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2014-3 REISE und PREISE

ÄTHIOPIEN DIE REPORTAGE

ÄTHIOPIEN DIE REPORTAGE Quelle Zur heiligen des Blauen Nil Das Wasser des Blauen Nil ist in Wirklichkeit braun. Die mächtigen Tisissat- Wasserfälle unweit vom Lake Tana sind nach den Victoria Falls die zweitgrößten Afrikas 8 REISE & PREISE 3-2014

REISE & PREISE-Chefredakteur Oliver Kühn reiste durch den christlich-orthodoxen Norden Äthiopiens, begab sich auf eine abenteuerliche Reise durch die Simien Mountains und folgte den Spuren des schottischen Entdeckungsreisenden James Bruce vom Lake Tana zur heiligen Quelle des Blauen Nil. Der klapprige Flughafenbus holpert über die notdürftig asphaltierte Piste dem 20 Kilometer entfernten Pilgerort Lalibela entgegen. Vorbei an strohgedeckten Rundhütten und roten Lehmhäusern. Zu den wenigen Touristen gesellt sich eine weiß gekleidete Gesellschaft mit schmucken Blumensträußen auf dem Weg zu einer Beerdigung. Die Straße in diesem abgelegenen Teil der Welt gehört den Fußgängern und Tieren. Mageren Kühen, meckernden Ziegen, störrischen Eseln und barfüßigen Hirten, die der Fahrer neben zahllosen Schlaglöchern gekonnt im Zickzackkurs umkurvt. In Lalibela ist sonnabends Markttag. Je näher wir der Stadt kommen, desto voller die Straße. Erntegut, Brennholz, Hühner und alles, was sich zu Geld machen lässt, wird in die Stadt geschleppt. Kaum angekommen, schon sind wir wieder unterwegs, denn der Markt von Lalibela ist einer der größten und interessantesten des Landes. Wir werden mit einem herzlichen »Salaam« und immer denselben Fragen bombardiert: »Where are you from? You like Lalibela? How was the church?«. Die Äthiopier sind stolz, neugierig, aber niemals aufdringlich. Wir treffen auf Menschen in traditionellen Gewändern mit Wanderstöcken, herumtollende Kinder und Familien, die uns zum Kaffee in ihr Haus einladen. Aus den Decken der Rundhütten dringt der Qualm der Kochstellen. In Lalibela endet der Tag mit dem Einbruch der Dunkelheit – insbesondere dann, wenn der Strom wieder einmal ausgefallen ist. Der Traum von einem zweiten Jerusalem In der Stadt leben fast ausschließlich orthodoxe Christen. Im 12. Jh. war Äthiopien durch die islamischen Eroberungen im Norden Afrikas von der christlichen Welt abgeschnitten. König Lalibela wollte einen Ersatz für Jerusalem schaffen und ließ elf monolithische Kirchen aus riesigen Basaltlava-Felsen meißeln. Hier sollten die Kleinstaaten am Nil ihren Gott verehren dürfen. Die 28-jährige Martha hat sich ein kleines Geschäft erarbeitet, verkauft Schnitzereien, Schmuck und Souvenirs. Ihre Freundin Ayana serviert auf einem kleinen, mit frischem Gras ausgelegten Platz traditionellen Buna-Kaffee. Die Bohnen werden frisch über dem Feuer geröstet, zermahlen und anschließend aufgebrüht. Dazu gibt es eine Schale gesalzenes Popcorn, frisch und warm aus dem Topf. Im Ausland waren beide noch nie, noch nicht einmal in Addis. Sie würden eines Tages aber gern dort leben, ja, das wäre ihr großer Traum. Ob sie das auch noch wollten, wenn sie einmal dagewesen wären? Addis ist ein täglich wachsender 4 - bis 5-Millionen-Moloch, wuselig und unübersichtlich. Die Lage auf 2.300 Metern lässt den Aufenthalt dennoch recht angenehm erscheinen. Großartige Sehenswürdigkeiten gibt es keine, die Stadt ist gerade einmal 120 Jahre alt. Wir gehen ins Piazza-Viertel. Hier gibt es zwar keine Komforthotels, dafür aber ein paar gute Restaurants, Musikbars und Kneipen. Am nächsten Tag verlassen wir in aller Herrgottsfrühe die noch schlafende Stadt. Vereinzelte Lada-Taxen düsen durch die gespenstisch leeren Straßen. ‘ Orthodoxer Priester in Lalibela bei der Segnung eines Pilgers (oben). Lehmrundhütten in Lalibela (rechts oben). Über dem Feuer geröstet: Kaffeezubereitung unter freiem Himmel (rechts). Bei jedem Stopp strömen Scharen von neugierigen Kindern herbei (ganz oben) REISE & PREISE 3-2014 9

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