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2015-4 REISE und PREISE

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INDIEN DIE REPORTAGE

INDIEN DIE REPORTAGE WESTBENGALEN Von Kalkutta zu den Teebergen Darjeelings In Kalkutta, der ehemaligen Hauptstadt Britisch-Indiens, trifft Kolonialflair auf Lebenslust. Zwischen Gangesdelta und den Gipfeln des Himalaja liegen die Teeberge Darjeelings – die Sommerfrische tropen - müder Briten und Sehnsuchtsziel von Tee liebhabern aus aller Welt. Ein Stück Indien, das noch zu entdecken ist. VON ELKE HOMBURG I fte steuert seine 35 Jahre alte Royal En - field, das indische Kult-Motorrad, über die Howrah-Brücke – mit mir auf dem Rücksitz. Zwei Millionen Menschen überqueren täglich das Wahrzeichen Kalkuttas – zu Fuß mit Lastkarren, mit Fahrrädern, in altersschwachen Bussen oder buckeligen Ambassador- Taxis. Unter uns der Hugli, ein Nebenarm des Ganges – eine braune, heilige Brühe. Zwölf, dreizehn, vielleicht auch schon fünfzehn Millionen Menschen leben in der ehemaligen Hauptstadt Britisch-Indiens, niemand weiß das so genau. Eine Stadt mit schlechtem Image. »Mutter Teresa hat wunderbare Arbeit geleistet, den Ruf unserer Stadt hat sie verdorben«, klagt Ifte. »Wir haben viel mehr zu bieten als Sterbehäuser.« Der Endzwanziger ist Jungunternehmer und versteht sich auch als PR- Manager seiner Stadt. Dass Kalkutta eine Stadt voller Lebensfreude und die intellektuelle Metropole Indiens ist, will er mir heute zeigen. Koloniale Träume aus Stein Einzigartig ist die koloniale Bausubstanz der Stadt. Wohlgehegte Erinnerungsstücke an eine vergangene Epoche: das monumentale Victoria Memorial im Herzen der Stadt und das »Oberoi Grand«, heute wie zu Kolonialzeiten der gesellschaftliche Mittelpunkt der Stadt. Der stolze Bau aus den 1880er-Jahren schien nach einer Cholera-Epidemie dem Verfall geweiht, als der junge Hotelier Oberoi das leerstehende Hotel kaufte. Seit 1982 hütet Amitava Sakar die Lobby des Kolonialpalasts, mit dem die Geschichte der 46 REISE & PREISE 4-2015

Morgennebel im grünen Bergland bei Darjeeling. Auf den terrassierten Feldern gedeiht der berühmte, mildblumig schmeckende Tee legendären indischen Hotelkette begann. Der Chef-Concierge ist die Seele des Hauses. Dem Dalai Lama, Fußballstar Pele und vielen Staatsmännern, Bollywood-Star Shah Rukh Khan und allen Kricketgrößen der Welt hat er die Hände geschüttelt. »Kalkutta ist konservativ im besten Sinne – bei uns trifft sich immer noch die feine Gesellschaft der Stadt«, erzählt er stolz. Das Kontrastprogramm: Im Marmorpalast, Traum eines indischen Rajas, wachen drei Männer in Uniform über die zerbröselnde Pracht und ein gelangweilter Diener wirbelt mit seinem Federbusch den Staub von Jahrzehnten auf. Ausgestopfte Elchköpfe, überdimensionierte Leuchter aus Murano-Glas, chinesische Vasen, antike Statuen, persische Teppiche und traumatisierte Vögel, die in verdreckten Käfigen um ihr Leben krächzen. Monsunzerfressene Paläste und Stadtvillen, aus deren marodem Mauerwerk Banyanbäume sprießen, säumen die Boulevards. Eingangshallen mit Säulen, die korinthische Kapitelle tragen, brüllende Stucklöwen, Figurenfriese, Gärten mit Venus- und Diana- Statuen im Verfall. Wo einst die britische Oberschicht residierte, leben heute für wenige Cent Miete mittellose Familien. Es riecht nach Müll und Urin. Vertreiben darf hier glücklicherweise niemand die Mieter, aber aufgrund der symbolischen Mieten hat kein Hausbesitzer Interesse an Renovierung. Erst wenn die Häuser zusammengefallen sind, darf neu gebaut werden. Bei vielen Gebäuden nur eine Frage der Zeit. »Wenn wir nicht aufpassen, wird Kalkutta sein Gesicht verlieren und eine seelenlose moderne Metropole werden«, fürchtet Ifte. »Ästhetisch bedeutete das Ende der Kolonialzeit ganz sicher einen Rückschritt.« Er selbst will Trendsetter sein und hat ein Kolonialhaus gekauft, das zum Homestay umgebaut wird. Mein Chauffeur gibt wieder Gas und zeigt mir den Kali-Tempel, wo Pilger aus ganz Indien die Stadtgöttin verehren, den Blumenmarkt am Fluss mit seiner Blütenpracht in Gelb, Orange und Pink und den archaischen Gemüsemarkt, wo Träger zentnerschwere Säcke mit Blumenkohlköpfen auf ihren Köpfen balancieren. Durch die engen Altstadtgassen mit ihren unzähligen kleinen Läden, Garküchen und Teashops zwängen sich Lastenräder mit Milchkannen und Gasflaschen und Laufrikschas, die bis heute zum Ärger der Stadtväter kein Gesetz aus dem Verkehr verbannen konnte. Unsere Tour endet im Bücherviertel College Street zwischen Buchläden und Antiquariaten. Im »Indian Coffee House«, seit 1942 eine Institution in Kalkutta, politisieren und philosophieren Studenten wie eh und je bei frisch gebrühtem Kaffee. »Bei euch im Westen gibt es Shopping Malls mit Modegeschäften. Wir bauen eine Mall nur für Buchläden.« Ifte deutet auf die Baustelle nebenan. Für ihn der Beweis: Kalkutta ist und bleibt die intellektuelle Metropole des Landes. Sommerfrische am Fuß des Himalaja Die Sommer in Kalkutta sind heiß und schwül. Sehnsucht nach den kühlen Temperaturen und Nebelschwaden ihrer grünen Heimat trieb die Briten in die kühlen Ausläufer des Himalajas. Man pachtete ein Stück Land vom Königreich Sikkim und gab es, als man entdeckte, dass Tee im Hochland bestens gedieh, einfach nicht zurück. Wer es sich leisten konnte, floh fortan während des Sommermonsuns aus dem tropischen Kalkutta in die Hill Station Darjeeling. Man baute Golfplatz, Pferderennbahn und Clubs fürs Vergnügen, Internatsschulen für die Kinder und eine Eisenbahn, die auch heute noch von Siliguri nach Darjeeling fährt. Mitten durch die Kleinstadt Kurseong führen die Schienenstränge des Toy Trains, der nostalgischen Schmalspurbahn – die Auslagen der Geschäfte sind oft nur eine Armlänge entfernt. In den Waggons drängen sich eine Handvoll Eisenbahnliebhaber aus aller Welt, ‘ Kalkutta: Im Fahrrad-Taxi wäre noch ein Platz zu haben … (links). Das koloniale Metropolitan Building beherbergte einst ein britisches Kaufhaus (rechts) REISE & PREISE 4-2015 47

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