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Rotary Magazin 05/2019

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Rotary Magazin 05/2019

SCHWERPUNKT – ROTARY

SCHWERPUNKT – ROTARY SUISSE LIECHTENSTEIN – MAI 2019 Ja, im Gegensatz zu den USA ist Russland Nach dem Georgienkrieg 2008 führte Der New-Start-Vertrag läuft in zwei, eine klassische Landmacht. Die USA sind Putin eine Militärreform durch. Sie brachte drei Jahren aus und muss dann neu ver- auch eine Seemacht. Deshalb sind für dem Land wieder ein glaubhaftes Abschre- handelt werden. Besteht nicht die Ge- Moskau bodengestützte Mittelstrecken- ckungssystem. Putin polte die Armee um fahr, dass nach dem INF-Abkommen Marschflugkörper, die sowohl konventio- und richtete sie neu auf die Bewältigung auch der New-Start-Vertrag gekündigt nell als auch atomar bestückt werden kön- regionaler Konflikte aus – Konflikte, die vor wird? nen, sehr wichtig, weil sie flexibel und allem im postsowjetischen Raum an der Wenn sich die Beziehungen zwischen mobil einsatzfähig sind. Sie können gegen russischen Peripherie ausbrechen könnten. den USA und Russland verschlechtern, verschiedene mögliche Bedrohungen ein- Das bedeutete: leichtere Truppen, mobile- könnte der New-Start-Vertrag gefährdet gesetzt werden. re Truppen, die man rasch verlegen kann. sein. Das wäre dann wesentlich schwer- Die gesamte Kommandostruktur wurde wiegender als die Folgen der Annullierung Wie stark ist heute Russland? umgestellt. Jetzt ist Russland wieder eine des INF-Abkommens. Im Moment besteht Russland ist keine globale Militär- ernstzunehmende Regionalmacht. Doch ein gegenseitiges Interesse, das Gleichge- macht mehr. Moskau weiss, dass der Wes- Russland bleibt der Nato gegenüber kon- wicht des Schreckens so aufrechtzuerhal- ten das auch weiss. Russland ist sich be- ventionell weit unterlegen. Und wenn man ten, wie es ist. Nicht einschätzen kann wusst, dass es nicht mehr global mit den konventionell unterlegen ist und der Wes- man heute den Trump-Faktor. Wie wird USA konkurrieren kann. Russland weiss ten auch noch an Raketenabwehrsyste- sich der amerikanische Präsident, falls er auch, dass es nur noch eine regionale Mi- men arbeitet, bleiben zum Selbstschutz dann noch im Weissen Haus sitzt, verhal- litärmacht in Eurasien ist; es ist nicht mehr eigentlich nur Nuklearwaffen. Da sind wir ten, wenn es um die Neuverhandlung des der zweite globale Pol wie während des bei den Marschflugkörpern, die nur schwer New-Start-Abkommens geht? Kalten Krieges. abzufangen sind. Solche offensiven Syste- Die Überlegenheit der USA ist schon me, die auch nuklear bestückt werden Sollte man nach der Annullierung ersichtlich, wenn man die beiden Verteidi- können, sind entscheidend für die russi- des INF-Abkommens versuchen, Russ- gungsbudgets vergleicht. Die USA stecken sche strategische Abschreckung. land in ein neues Rüstungsabkommen zehn Mal mehr Geld in die Verteidigung einzubeziehen, eventuell mit China zu- und in die Rüstung als Russland. Das ame- Wie kommt es, dass die öffentliche Mei- sammen? 22 rikanische Verteidigungsbudget beträgt 640 Milliarden Dollar, jenes von Russland 63 Milliarden. Selbst wenn man das russische Budget mit den europäischen militä- nung glaubt, Russland sei ebenso stark wie der Westen? Ja, wenn man heute zehn Leute fragt, wie stark sind die USA und wie stark ist Da bin ich sehr skeptisch. Vor allem auch, weil alle drei Mächte ungleiche Waffenkategorien und verschiedene militärische Stärken haben. Wir haben eine rischen Aufwendungen vergleicht, fällt Russland, so sagen neun von zehn: beide globale Supermacht, die USA, und wir Russland ab. Grossbritannien, Frankreich sind etwa gleich stark. Da wirkt eben der haben zwei regionale Militärmächte, und Deutschland zusammen wenden für russische Informations- und Propaganda- Russland und China. Wie will man diese Verteidigung und Rüstung insgesamt 150 krieg. Natürlich haben die Russen einige asymmetrischen Waffensysteme, diese Milliarden Dollar auf – also mehr als dop- Waffensysteme, die gleich gut oder sogar Äpfel und Birnen, unter einen Hut, in ein pelt so viel wie Russland. besser als die westlichen sind. Doch be- und dasselbe Rüstungsabkommen pa- Auch bei der militärischen und tech- trachtet man die gesamte Stärke, die Res- cken? nologischen Innovationsfähigkeit fällt sourcen und die Durchhaltefähigkeit, so Die USA können mit ihren konventio- Russland zurück. Bei der künstlichen Intel- fällt Russland ab und kann in keiner Weise nellen Waffen in einer Stunde jeden Ort ligenz kann Russland weder mit den USA mit den militärischen Möglichkeiten der auf der Welt angreifen. Aufgrund dieser noch mit China gleichziehen. Diese Nach- USA mithalten. konventionellen Überlegenheit wird teile will Moskau mit der Modernisierung Russland nicht auf seine nuklearen Waf- nuklearer Systeme kompensieren. Aber Russland bleibt ja auch deshalb fen verzichten wollen. Russland und Chi- nicht ungefährlich, weil es über ein na wollen als regionale Militärmächte mit Die sowjetische Armee lag ja nach dem grosses Potenzial an Interkontinental- ihren Marschflugkörpern und anderen Ende der Sowjetunion am Boden. Hat sie raketen verfügt. weitreichenden Mitteln einen gewissen seither nicht wieder grosse Fortschritte Mit ihren Interkontinentalraketen Einfluss in ihrem regionalen Umfeld gemacht? schrecken sich die USA und Russland ge- behalten. Die alte sowjetische Armee war noch genseitig ab. Da herrscht ein Gleichge- Es ist unwahrscheinlich, dass in auf einen globalen Konflikt ausgerichtet. wicht, das berühmte «Gleichgewicht des Russland oder China ein ernsthaftes Inte- Nach dem Ende des Kalten Krieges zerfiel Schreckens». Jede Macht weiss, wenn die resse an einem Rüstungsvertrag besteht. die sowjetische Armee, technologisch andere Macht angreift, wird sie selbst an- Für Moskau gilt es, das zu schützen, was und personell. Russland hätte sich bei gegriffen. Dieses strategische Gleichge- noch zu schützen ist. China hingegen einem westlichen Angriff nicht verteidi- wicht ist im «New Start-Vertrag» geregelt. wird sein militärisches Machpotential gen können, doch niemand wollte Russ- Die Abschreckung mit Langstreckenrake- langfristig ausbauen und dürfte damit land angreifen. Man diskutierte sogar ten funktioniert, und zwar so, dass sie die über kurz oder lang zum dominanten über eine Integration Russlands in der gegenwärtige Debatte über Mittelstre- militärischen Herausforderer der USA Nato. ckenraketen (noch) nicht tangiert. werden.

SCHWERPUNKT – ROTARY SUISSE LIECHTENSTEIN – MAI 2019 Putin liebt es ja, den bösen Mann zu Zukunft Interesse an der Nato und an Al- Militärisch sieht es anders aus. Als die spielen. liierten haben. Einer der grossen Vorteile Türkei ein russisches Flugzeug abschoss, Putin baut bewusst Spannungen mit für die USA ist, dass sie, auch dank der drohte eine Eskalation. Putin reagierte dem Westen auf. Das wertet ihn interna- Nato, über ein weitverzweigtes Allianzsys- aus serordentlich vorsichtig. Er weiss, dass tional, aber auch national auf. Er braucht tem verfügen. Russland und China hinge- die militärischen Fähigkeiten Russlands das, um sich innenpolitisch stabilisieren zu gen sind weitgehend isoliert. Mit Allian- begrenzt sind. Zudem kann er sich aus in- können. zen kann man Einfluss gewinnen, doch nenpolitischen Gründen nicht erlauben, Allianzen müssen auch gepflegt werden. Särge nach Hause zu bringen. Putin hat 2014 die Krim annektiert. Die Das ist die politische Seite. Militärisch müs- baltischen Staaten fürchten sich, dass sen sich die USA die Frage stellen: Wie Vielleicht sollte man dennoch Russland ihnen ähnliches geschehen könnte. Wie können wir Zugang zur eurasischen Land- nicht unterschätzen. sehen Sie das? masse haben? Da kann man Westeuropa Nein, Russland hat immer noch strate- Der Vergleich zwischen der Ukraine als grossen Flugzeugträger betrachten. gische Ressourcen. Das Land ist gross, es und den baltischen Staaten ist falsch. Die ist in Eurasien eine Militärmacht, es ist eine Ukraine ist nicht Mitglied der Nato und hat Das russische Engagement in Syrien Nuklearmacht, es hat einen Sitz im Uno-Si- keinen Anspruch darauf, dass sie von der zeigt, dass Moskau doch noch über mili- cherheitsrat. Mit diesen Elementen kann Nato verteidigt wird – im Gegensatz zu tärische Expansionsfähigkeiten ver- man sich viel Einfluss an Verhandlungsti- den Nato-Mitgliedern Estland, Lettland fügt. schen erzwingen. Putin gelingt es immer und Litauen. Man kann das so sehen. Doch Syrien wieder, diesen Einfluss punktuell und pro- ist ein spezieller Fall, weil dort ein Vakuum vokativ, auch mit Nadelstichen, einzuset- Malen wir den Teufel an die Wand. Was bestand. Mit einem militärisch begrenzten zen. Das ergibt ein Bild, das den wirklichen geschähe, wenn Russland einen balti- Aufwand konnte Russland Asad im Spiel russischen Einfluss viel grösser macht, als schen Staat angreifen würde? halten – auch deshalb, weil die USA nicht er in Wirklichkeit ist. Russland unterscheidet ganz klar zwischen Nato-Staaten und Nicht-Nato-Staaten. Moskau weiss, es gibt im Nordatlantikvertrag den Artikel 5. Der besagt, dass wenn ein Nato-Land angegriffen wird, die andern Nato-Staaten schützend eingreifen. Wenn russische Soldaten das Baltikum angreifen, greifen sie ja auch die dort stationierten amerikanischen, kanadi- agierten und die Regionalmächte sich blockierten. Damit ist Russland als Grossmacht zurück. Putin hat geschickt eine Schwäche des Westens ausgenützt und hat sich in eine wichtige Position hineinmanövriert. Ohne Putin gibt es jetzt in Syrien keinen Frieden und keine Stabilisierung. Das ist die politische Seite. Heiner Hug ist der Gründer von «Journal21». Er arbeitete 38 Jahre beim Schweizer Fernsehen SF, 17 Jahre lang war er Korrespondent in Genf und Paris. Er war tätig als Mitarbeiter beim ZDF, der NZZ und der Agentur AP. Anschliessend war er Auslandchef der Tagesschau, Chefproduzent und fünf Jahre lang Chef der Tagesschau. Heiner Hug ist Autor dreier Bücher Mit freundlicher Genehmigung von Journal21.ch 23 schen, britischen und deutschen Soldaten an. Das könnte zu einer Eskalation führen, die Putin kaum will. Kann die Nato ihre Einheit bewahren? Das ist das Kernproblem. Russland zielt ja mit Propaganda und Informationskriegsführung darauf ab, die Nato zu spalten. Wenn man die Ukraine-Krise anschaut, würde ich sagen: die Kohäsion der Nato ist überraschend gut gewesen. Man hat sich nach der Annexion der Krim schnell zu Sanktionen durchgerungen. Das hätte man so nicht unbedingt erwartet. Man hat das Abschreckungs- und Verteidigungssystem der Nato schnell angepasst. Amerikanische Soldaten wurden in Polen mit teils schweren Waffen stationiert. In die baltischen Staaten wurden deutsche, kanadische und britische Bataillone verlegt. Das Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich ist ein Kompetenzzentrum für schweizerische und internationale Sicherheitspolitik. Es bietet sicherheitspolitische Expertise in Forschung, Lehre und Beratung. Das CSS verbindet Forschung mit Politikberatung und bildet so eine Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis. Seit 2002 leitet Prof. Dr. Andreas Wenger das CSS, das zum Departement für Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften (D-GESS) der ETH Zürich gehört und 1986 von Prof. Dr. Kurt Spillmann gegründet worden war. Zusammen mit den politikwissenschaftlichen Professuren der ETH Zürich und der Universität Zürich bildet es das Center for Comparative and International Studies (CIS). Trump sagt es immer wieder: Er hält wenig von der Nato. Wie auch immer: Wenn man es nüchtern betrachtet, müssten die USA auch in

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