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Taxi Times Berlin - August 2015

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SICHERHEIT SICHERHEIT

SICHERHEIT SICHERHEIT TAXIFAHRER THOMAS M. FLUCHT ZUR HAUPTSTRASSE „Ich bin überfallen worden.“ Nach diesen Worten wurde der Taxi-Kollege ohnmächtig. Doch das war jetzt okay. Er hatte sein Ziel erreicht. Er wollte überleben. Kollege Thomas M. erzählt uns seine Geschichte einen Monat nach der Nacht, in der er zum vorerst letzten Mal hinter dem Steuer seines Taxis saß. Er erzählt sie gefasst, klar strukturiert, flüssig. Er hat sie schon öfter erzählt. Der Polizei, seiner Familie, seinen Freunden, seinen Taxi-Kollegen. Es ist die Geschichte einer Sommer- Nachtschicht mitten unter der Woche in Berlin, die zunächst einmal ganz typisch verläuft. Drei Uhr, so gut wie nichts mehr los auf den Straßen. Thomas fährt auf der Martin-Luther-Straße an einer Bushaltestelle vorbei. Dort stehen zwei Typen, in etwa in seinem Alter. Ende 20. Thomas fällt auf, wie intensiv und prüfend sie ihn ansehen, als er an ihnen vorbeifährt. Aber sie FINANZIELLE UNTER STÜTZUNG Ein paar Tage Krankenhaus, dann mehrere Wochen in Reha. Thomas M. kann seit dem Überfall kein Geld mehr als Taxi fahrer verdienen. Nicht zuletzt deshalb hat die Taxistiftung Deutschland den 28-Jährigen schnell und unbürokratisch mit einem Geldbetrag unterstützt. Der Verdienstausfall konnte so kompensiert werden. winken nicht, also hält Thomas auch nicht an. Er hält nach 50 Metern, weil die Ampel rot ist. Wäre sie doch besser grün gewesen, denkt sich Thomas heute, vier Wochen später. „Und hätte ich besser in den Rückspiegel geschaut.“ Dann hätte er gesehen, dass sich die beiden doch noch für eine Taxifahrt entschieden hatten. Sie reißen die Tür auf und setzen sich auf die Rückbank. Sie wollen zum Lützowplatz. Keine weite Tour. Dort angekommen, soll Thomas in die Wichmannstraße einbiegen und dann in eine Einfahrt fahren. Doch in die Einfahrt fährt er nicht rein. Ganz tief im Unterbewussten muss Thomas wohl schon etwas geahnt haben. Seine Ex- Freundin mit einem Hang zum Esoterischen ist überzeugt, dass er generell ein Mensch mit dem sechsten Sinn sei. „Die schlechte Ausstrahlung der beiden habe ich wohl gespürt“, erzählt Thomas. Deshalb keine Einfahrt, was ihm im Rückblick wahrscheinlich das Leben gerettet hat. Denn seine Fahrgäste werden plötzlich zu Taxi-Räubern. Sie bedrohen Thomas und wollen sein Geld. Thomas gibt ihnen seine Börse. Da sei zu wenig drin, sagen sie. Er solle auch die Scheine rausrücken, die er noch in den Hosentaschen oder sonst irgendwo versteckt hat. Doch Thomas hat nicht mehr Bargeld. Die Nachtschicht hatte nicht mehr hergegeben. Die beiden Täter werden immer brutaler. Sie stechen auf ihn ein. Thomas nimmt das gar nicht als Messerstiche wahr, er denkt, sie schlagen ihn. Er gibt Vollgas. „Ich wollte raus aus der kleinen Straße.“ Auf die Hauptstraße, wo ihn dann hoffentlich jemand sieht. Der Kampf wird intensiver. „Einer hat mir die Augen zugehalten, damit ich anhalte.“ Thomas bremst scharf, die Täter werden gegen die Lehnen gedrückt. Thomas kann weiterfahren. Rechtsrum in die Keithstraße. Eine menschenverlassene Gegend nachts um drei Uhr. Noch mal rechts und dann noch mal rechts. Endlich eine Hauptstraße. Thomas handelt rein intuitiv. Die Messerstiche spürt er immer noch nicht. An die Alarmanlage denkt er nicht. Auch nicht an das Pfefferspray. Nur raus aus den Nebenstraßen. „Es ist verrückt“, erzählt er uns, „aber meine größte Sorge in dem Moment war, keinen Unfall zu bauen.“ In der Schillstraße nimmt Thomas im Rückspiegel die Scheinwerfer eines Autos wahr. Es ist um diese Zeit das einzige Fahrzeug. Auch die beiden Täter sind mittlerweile darauf aufmerksam geworden. Endlich steigen sie aus. Vorher drohen sie noch: Wenn er versuchen würde, sie zu überfahren, würden sie zurückkommen und ihn ganz abstechen. Dann sind sie draußen, genau in dem Moment, als der andere Pkw auf seiner Höhe ist. Doch das Fahrzeug bremst nicht. Es hält nicht an. Die beiden Insassen fahren an ihm vorbei, sehen nicht, dass er zwischen zeitlich 32 Messerstiche abbe- FOTO: Name Name FOTO: Thomas Schröder SINNLOS UND BRUTAL THOMAS M. WAR IN BERLIN … … nicht das einzige Überfall- Opfer. Die Polizei berichtete im Juni von vier weiteren Übergriffen auf Kollegen. Am 2. Juni bedrohte ein Täter einen 58-jährigen Taxifahrer mit einem Messer und raubte das Geld. Am 10. Juni wurde ein 66-jähriger, iranischer Kollege am Kopf geschlagen und fremdenfeindlich beleidigt. Sechs Tage später wurde einem 55-Jährigen das Portemonnaie entrissen. Vorher war er mit einem Elektroschocker angegriffen worden. kommen hat, einen in das Zwerchfell, einen in den Lungenflügel, einen ganz knapp an der Halsschlagader vorbei. Sie ahnen nicht, dass er schon fast einen Liter Blut verloren hat. Thomas mobilisiert noch mal alle Kräfte. Jetzt ist es gut, dass nach 50 Metern eine rote Ampel kommt. Er bleibt neben dem Auto stehen, lässt das Fenster runter: „Ich bin überfallen worden.“ Dann kommt die Ohnmacht. Als er wieder zu sich kommt, sitzt er immer noch im Taxi, doch jetzt ist schon ein Notarzt da. „Wach bleiben!“, fordert der Sanitäter. Und Thomas bleibt wach. Er nimmt seinen nächsten Kampf an, gegen das Verbluten. Er muss vier Stunden notoperiert werden. Er überlebt. Was bleibt, sind zahlreiche Narben und selbst vier Wochen später auch noch das ein oder andere Pflaster. Thomas hat von Anfang an psychologische Betreuung bekommen, denn oft sind es die seelischen Nach einem Streit wegen Zahlungsschwierigkeiten wurde am 26. Juni ein 61-jähriger Nachtfahrer aus dem Wagen gezerrt und gegen den Arm sowie in das Gesicht getreten. Anschließend wollte der Fahrgast sogar das Fahrzeug klauen, was der Kollege aber noch verhindern konnte. ed erorio volo di con nus apicitis quas poriti o modit iatureptat as ea que qui officti Narben, die bleiben. Ängste, Albträume, nie mehr Taxifahren. „Ich habe keine Albträume“, erzählt er uns. „Ich war auch schon auf einem großen Straßenfest mitten unter vielen Menschen, das war auch kein Problem.“ Jetzt sollten nur noch die beiden Täter gefasst werden, „das wäre mir schon wichtig“, gibt Thomas zu. Er selbst kann sie nicht richtig beschreiben, weil sie permanent hinter ihm saßen und ständig eine Kapuze aufhatten. Der Überfall war wohl von Anfang an geplant, davon geht auch die Polizei aus. „Sie hatten mich während der Fahrt gefragt, ob ich schon müde bin“, erzählt Thomas. Eine typische Fangfrage, um herauszuhören, ob der Taxifahrer schon lange unterwegs ist und viel Geld im Portemonnaie hat. Vor Kurzem ist Thomas noch mal zum Tatort gefahren, um sich vielleicht an irgendetwas zu erinnern. Ohne Erfolg. „Es hat sich alles sehr unwirklich angefühlt, total verfremdet.“ Thomas hat den nötigen Abstand zu der Tat gefunden und er möchte auch so schnell wie möglich wieder Taxi fahren, dann zunächst in der Tagschicht. „Ich liebe diesen Beruf. Wenn ich den jetzt aufgebe, haben die Täter doch noch gewonnen.“ Nein, gewonnen hat in der Nacht des 11. Juni nur er, weil er sich nicht hat unterkriegen lassen. „Ich bin überfallen worden, aber ich lasse mir von zwei Idioten das Leben nicht kaputtmachen!“ jh GANZ BESONDERS BRUTAL … … ging ein 17 bis 20 Jahre altes Pärchen am 12. Juli vor. Sie ließen sich kurz nach Mitternacht von Neukölln nach Mariendorf fahren. Dort hackte der Mann plötzlich auf den 49-jährigen Kollegen mit einem Messer ein, während seine Komplizin das Opfer mit einem Pfefferspray bedrohte. Der Taxifahrer wurde dabei schwer verletzt, konnte aber noch den Alarmknopf drücken. Das Pärchen flüchtete ohne Beute. 6 TAXI AUGUST / 2015 7

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