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THEMA // Ankommen nach der Flucht<br />
»Wir alle sind dazu aufgefordert, unsere Gewiss heiten in Bezug<br />
auf junge Geflüchtete auf den Prüfstand zu stellen.«<br />
mehr als 310.000 Minderjährige und mehr als 200.000 junge<br />
Menschen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren in Deutschland<br />
auf. Mehr als die Hälfte aller seit 2015 schutzsuchenden Menschen<br />
ist jünger als 25 Jahre (siehe auch S. 7 in dieser Ausgabe).<br />
Für einen etwas differenzierteren Zugang bietet es sich an,<br />
zunächst drei Gruppen zu unterscheiden. Unbegleitete minderjährige<br />
Geflüchtete – amtlich auch als »unbegleitete minderjährige<br />
Ausländer« bezeichnet – leben und werden betreut<br />
in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Nach der »vorläufigen<br />
Inobhutnahme«, der fachlichen Einschätzung durch<br />
das Jugendamt, der Altersfeststellung und der Zuweisung einer<br />
rechtlichen Vertretung soll nach spätestens 14 Tagen die Verteilung<br />
in einen Jugendamtsbezirk beziehungsweise eine Einrichtung<br />
der Kinder- und Jugendhilfe erfolgen – es sei denn, es liegen<br />
entsprechend den gesetzlichen Vorgaben Gründe gegen<br />
diese Verteilung vor. Nach Angaben des Bundesverwaltungsamts<br />
(BVA) wurden im Juni 2016 insgesamt 52.656 unbegleitete<br />
minderjährige Ausländerinnen und Ausländer im Rahmen<br />
der jugendhilferechtlichen Zuständigkeiten gezählt.<br />
Die zweite Gruppe junger Geflüchteter sind junge Menschen,<br />
die in Begleitung ihrer Familien Schutz in Deutschland<br />
gesucht haben. Bis zum Erwerb eines asylrechtlichen Status leben<br />
sie in Erstaufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünften<br />
oder anderen »Zentren«. Je nach den Bedingungen vor<br />
Ort sind die Formen der Unterbringung sehr unterschiedlich:<br />
aufgegebene Bürogebäude und Hotels, nicht genutzte Wohnanlagen<br />
und Hallen sowie gelegentlich auch noch Containersiedlungen<br />
und Zelte. Meist sind diese von Sicherheitsdiensten<br />
bewacht und mit rudimentärer sozialer Versorgung ausgestattet.<br />
Die meiste Unterstützung erfolgt nach wie vor vonseiten<br />
der Zivilgesellschaft und von Trägern der Kinder- und Jugendhilfe.<br />
Altersgerechte Räume, Rückzugsorte und Betreuungsangebote<br />
sind keineswegs Standard.<br />
Integration ist schwierig, aber notwendig<br />
Während die Praxis, Hilfsnetzwerke und – am Rande vermerkt<br />
– auch die Wissenschaft in den Erstaufnahmeeinrichtungen,<br />
Gemeinschaftsunterkünften und Zentren noch eine Chance<br />
haben, junge Geflüchtete zu erreichen, wird genau dies nach<br />
deren Auszug zum Problem. Dementsprechend liegen über die<br />
dritte Gruppe, die begleiteten anerkannten, die geduldeten<br />
jungen Geflüchteten und die volljährig gewordenen unbegleiteten<br />
Geflüchteten bislang kaum Informationen vor. Je nach<br />
asylrechtlichem Status – also der Entscheidung, ob Deutschland<br />
der mittelfristige Bleibeort der Flucht oder nur Durchgangsstation<br />
ist, beziehungsweise ob und wann eine Abschiebung<br />
droht – ergeben sich große Unterschiede in der persönlichen<br />
Situation. Was das im Detail bedeutet, wo und wie junge<br />
Geflüchtete nach dem Auszug leben, welche Erfahrungen sie<br />
machen, welche Unterstützungsbedarfe es jenseits von Schule,<br />
Ausbildung und Integration auf dem Arbeitsmarkt gibt, wie<br />
die Netzwerke funktionieren: Dies alles kann bislang nur<br />
bruchstückhaft beantwortet werden.<br />
Vor diesem Hintergrund besteht nicht nur ein erheblicher<br />
Forschungsbedarf, sondern es stellen sich auch eine Reihe von<br />
Herausforderungen für Politik, Fachpraxis und Gesellschaft.<br />
Vor allem aber sind wir alle dazu aufgefordert, unsere Gewissheiten<br />
in Bezug auf junge Geflüchtete auf den Prüfstand zu<br />
stellen und ihnen mehr als bisher erst mal zuzuhören.<br />
DER AUTOR<br />
Dr. Christian Lüders leitet die Abteilung »Jugend und Jugendhilfe«<br />
am Deutschen Jugendinstitut. Zu seinen Forschungsschwerpunkten<br />
zählen unter anderem die Adressaten und Adressatinnen, Institutionen<br />
und Verfahren der Kinder- und Jugendhilfe, Evaluation, Theorien<br />
pädagogischen Wissens sowie Wissenschaftsforschung.<br />
Kontakt: lueders@dji.de<br />
LITERATUR<br />
BUNDESAMT FÜR MIGRATION UND FLÜCHTLINGE (BAMF 2016): www.<br />
bamf.de/DE/Infothek/Statistiken/statistiken-node.html (Zugriff: 30.10.2016)<br />
BUNDESFACHVERBAND UNBEGLEITETE MINDERJÄHRIGE FLÜCHTLINGE<br />
(BUMF): www.b-umf.de/ (Zugriff: 30.10.2016)<br />
INSTITUT FÜR ARBEITSMARKT UND BERUFSFORSCHUNG (IAB 2016): Projekt<br />
»WELLCOME«. Im Internet verfügbar unter: www.iab.de/de/befragungen/<br />
welcome.aspx (Zugriff: 30.10.2016)<br />
INSTITUT FÜR ARBEITSMARKT- UND BERUFSFORSCHUNG / SOZIO-OEKO-<br />
NOMISCHES PANEL / BUNDESAMT FÜR MIGRATION UND FLÜCHTLINGE<br />
(IAB-SOEP-BAMF 2016): Studie zur Lebenssituation von Schutzsuchenden<br />
in Deutschland. Im Internet verfügbar unter: www.iab.de/de/iab-aktuell/<br />
fluechtlingsbefragung_2016.aspx (Zugriff: 30.10.2016)<br />
JOHANSSON, SUSANNE (2016): Was wir über Flüchtlinge (nicht) wissen.<br />
Der wissenschaftliche Erkenntnisstand zur Lebenssituation von Flüchtlingen<br />
in Deutschland. Eine Expertise im Auftrag der Robert Bosch-Stiftung<br />
und des SVR-Forschungsbereichs. Berlin. Im Internet verfügbar unter:<br />
www.svr-migration.de/publikationen/was-wir-ueber-fluechtlinge-nicht-wissen/<br />
(Zugriff: 20.08.2016)<br />
LEIBNIZ-INSTITUT FÜR BILDUNGSVERLÄUFE (LFBI 2016): Projekt ReGES<br />
(Refugees in Germany – educational trajectories and social integration).<br />
Im Internet verfügbar unter: www.lifbi.de/de-de/weiterestudien/reges.aspx<br />
(Zugriff: 30.10.2016)<br />
NETZWERK FLÜCHTLINGSFORSCHUNG (2016): Informationen im Internet<br />
verfügbar unter: www.fluechtlingsforschung.net/ (Zugriff: 20.08.2016)<br />
SACHVERSTÄNDIGENRAT DEUTSCHER STIFTUNGEN FÜR INTEGRATION<br />
UND MIGRATION (SVR 2016): Projekt Von der Aufnahme zu gesellschaftlicher<br />
Teilhabe: Die Perspektive der Flüchtlinge auf ihre Lebenslagen in Deutschland.<br />
Im Internet verfügbar unter: www.svr-migration.de/forschungsbereich/forschungsprojekte/<br />
(Zugriff: 30.10.2016).<br />
WORLD VISION DEUTSCHLAND / HOFFNUNGSTRÄGER STIFTUNG (2016):<br />
Angekommen in Deutschland. Wenn geflüchtete Kinder erzählen. Friedrichsdorf.<br />
Im Internet verfügbar unter: www.worldvision-institut.de/kinderstudiengefluechtete-kinder-erzaehlen.php<br />
(Zugriff: 30.10.2016)<br />
6 DJI IMPULSE 3 . 2016