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Schwarzbrauenalbatross - Der Segelmeister - Polar-Reisen.ch

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Von Peter Balwin (Text)<br />

und Ruedi Abbühl (Bilder)<br />

«Jetzt gehöre i<strong>ch</strong> zu einer höheren Klasse<br />

der Sterbli<strong>ch</strong>en – weil i<strong>ch</strong> den Albatros gesehen<br />

habe!» Ni<strong>ch</strong>t erst vor hundert Jahren<br />

haben Albatrosse die Mens<strong>ch</strong>en entzückt, als<br />

jener <strong>Reisen</strong>de diesen berühmten Ausspru<strong>ch</strong><br />

tat. Seit die ersten Seefahrer si<strong>ch</strong> über den<br />

Äquator wagten, um auf der südli<strong>ch</strong>en<br />

Halbkugel na<strong>ch</strong> Passagen und Ländereien zu<br />

su<strong>ch</strong>en, seit jener Zeit haftet dem grössten<br />

fliegenden Vogel etwas Mythis<strong>ch</strong>es an.<br />

Während die Küstenbewohner überzeugt<br />

waren, dass die Albatrosse die Seelen ihrer<br />

Verstorbenen darstellten, glaubten Seeleute<br />

daran, dass Albatrosse niemals an Land<br />

kämen und deshalb ihre Eier unter den<br />

Flügeln über die Meere tragen würden.<br />

Natürli<strong>ch</strong> hat die moderne ornithologis<strong>ch</strong>e<br />

Fors<strong>ch</strong>ung sol<strong>ch</strong>e Thesen längst korrigiert.<br />

Heute weiss man erstaunli<strong>ch</strong> viel über diese<br />

majestätis<strong>ch</strong>en Seevögel, die zur Gruppe der<br />

Röhrennasen gehören. Das Wissen über die<br />

Albatrosse füllt Bü<strong>ch</strong>er. Dies ist eigentli<strong>ch</strong><br />

selbst in unserer modernen Zeit ni<strong>ch</strong>t selbstverständli<strong>ch</strong>,<br />

wenn man bedenkt, dass<br />

Albatrosse den grössten Teil ihres Lebens<br />

weit draussen auf dem Meer verbringen.<br />

Dass die Biologen trotzdem so viele<br />

Geheimnisse gelüftet haben, hat mit der<br />

Lebensweise dieser Vögel zu tun: Sie brüten<br />

oft in di<strong>ch</strong>ten Kolonien – dort haben<br />

Fors<strong>ch</strong>er ein lei<strong>ch</strong>tes Spiel. Oder man<br />

bestückt die grösseren Vertreter dieser<br />

Vogelgruppe mit Satellitensendern. Man hat<br />

dabei rekordverdä<strong>ch</strong>tige Daten über Flugstrecken<br />

erhalten und überras<strong>ch</strong>ende<br />

Einsi<strong>ch</strong>ten über den Verbleib der Albatrosse<br />

auf See gewonnen.<br />

«Einkaufstour» im <strong>Polar</strong>meer<br />

Eines dieser «Fors<strong>ch</strong>ungsobjekte» ist der<br />

S<strong>ch</strong>warzbrauenalbatros. Er ist der häufigste<br />

der kleineren Albatrosse im Südpolarmeer.<br />

Lange Zeit jedo<strong>ch</strong>, bevor dieser s<strong>ch</strong>öne<br />

Albatros zum Vielflieger wird, beginnt seine<br />

Karriere genau wie diejenige eines jeden<br />

anderen Vogels – an Land, in einem Ei. Aber<br />

s<strong>ch</strong>on in diesem Lebensabs<strong>ch</strong>nitt lässt si<strong>ch</strong><br />

die Grösse des zukünftigen Vogels erahnen,<br />

denn das Ei wiegt rund 260 Gramm. Dies<br />

sind immerhin gut 9 Prozent des Gewi<strong>ch</strong>ts<br />

eines ausgewa<strong>ch</strong>senen <strong>S<strong>ch</strong>warzbrauenalbatross</strong>es.<br />

Re<strong>ch</strong>neris<strong>ch</strong> wäre das etwa so,<br />

wie wenn eine Frau einen über se<strong>ch</strong>s<br />

Kilogramm s<strong>ch</strong>weren Säugling zur Welt<br />

bringen würde...<br />

Wie bei allen anderen 21 Albatrosarten, die<br />

es auf den Weltmeeren gibt, wä<strong>ch</strong>st der<br />

Kleine als Einzelkind heran. Stolz und<br />

«flaus<strong>ch</strong>ig» anzusehen in seinem hellgrauen<br />

Daunenkleid, thront der junge S<strong>ch</strong>warzbrauenalbatros<br />

auf seinem Nest, das einem<br />

kleinen Turm glei<strong>ch</strong>t. Diesen typis<strong>ch</strong>en<br />

Nesthügel bauten seine Elternvögel aus<br />

Erde, Gras und Wurzeln. Während fast 70<br />

Tagen hatten die Altvögel das Ei ausgebrütet,<br />

wobei sie si<strong>ch</strong> alle ein bis zwei Wo<strong>ch</strong>en<br />

beim Brüten abgelöst haben. In der ersten<br />

Dezemberhälfte war es dann so weit: Im<br />

s<strong>ch</strong>önsten Südsommer s<strong>ch</strong>lüpfte der Jungvogel<br />

und s<strong>ch</strong>aute s<strong>ch</strong>on wenig später keck<br />

von seinem 20 bis 35 Zentimeter hohen<br />

Nestturm in die grosse Kolonie hinaus.<br />

Jetzt beginnt das grosse Fressen – etwa<br />

jeden zweiten Tag besu<strong>ch</strong>en die Altvögel ihr<br />

Küken und bringen ihm gute Sa<strong>ch</strong>en mit<br />

von weit draussen: Tintenfis<strong>ch</strong>e, Krill und<br />

Fis<strong>ch</strong>e sind gefragte Babynahrung, dur<strong>ch</strong><br />

die Eltern von der Meeresoberflä<strong>ch</strong>e aufgesammelt<br />

(Albatrosse tau<strong>ch</strong>en eher selten;<br />

hö<strong>ch</strong>stens drei bis fünf Meter tief). Jede<br />

«Einkaufstour» der Eltern führt zwis<strong>ch</strong>en<br />

500 und 2000 Kilometer vom Neststandort<br />

weg, hinaus in die Weiten des Südli<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Polar</strong>meeres, irgendwo zwis<strong>ch</strong>en 40 Grad<br />

und 70 Grad südli<strong>ch</strong>er Breite. Mit Fütterungsportionen<br />

von immerhin rund 570<br />

Gramm pro Mahlzeit gedeiht unser kleiner<br />

S<strong>ch</strong>warzbrauenalbatros s<strong>ch</strong>nell und prä<strong>ch</strong>tig.<br />

Im Alter von erst 90 Tagen wiegt er stattli<strong>ch</strong>e<br />

vier bis fünf Kilogramm und s<strong>ch</strong>lägt<br />

damit seine Eltern in der Gewi<strong>ch</strong>tsklasse.<br />

No<strong>ch</strong>mals gute drei Wo<strong>ch</strong>en später, mit rund<br />

16 Wo<strong>ch</strong>en, hat der Jungvogel wieder etwas<br />

abgenommen und startet s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> mit<br />

einem Fluggewi<strong>ch</strong>t von 2,5 bis 3,5<br />

Kilogramm in sein Fliegerleben über den<br />

Wellen. Nun wird es drei bis se<strong>ch</strong>s Jahre<br />

dauern, bis unser S<strong>ch</strong>warzbrauenalbatros<br />

das nä<strong>ch</strong>ste Mal wieder Land berührt – denn<br />

jetzt beginnt das Dasein als einer der prä<strong>ch</strong>tigsten<br />

Seevögel, die es gibt.<br />

Meister im Fliegen<br />

Na<strong>ch</strong> der Brutzeit, wenn für die <strong>S<strong>ch</strong>warzbrauenalbatross</strong>e<br />

die Zeit in der Kolonie an<br />

Land endli<strong>ch</strong> vorbei ist, zieht es sie nordwärts<br />

aufs Meer hinaus. Die Kolonien leeren<br />

si<strong>ch</strong> bis Ende April. Wer in den zwölf<br />

Brutkolonien auf den Falklandinseln gebrütet<br />

hat, trifft si<strong>ch</strong> im Südwinter von Mai bis<br />

September über dem kalten Meeresstrom<br />

vor den Küsten Argentiniens, Uruguays und<br />

Brasiliens.<br />

Dort errei<strong>ch</strong>en die Albatrosse die nahrungsrei<strong>ch</strong>en<br />

Gewässer über dem Gebiet des<br />

Patagonis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>elfmeeres und bis hinauf<br />

auf 15 Grad südli<strong>ch</strong>e Breite. Diejenigen<br />

Vögel, wel<strong>ch</strong>e aus den Albatroskolonien auf<br />

Südgeorgien stammen, nehmen Kurs auf die<br />

Küste von Südafrika, wo ihnen der ebenfalls<br />

kalte, planktonrei<strong>ch</strong>e Benguelastrom ein<br />

Auskommen si<strong>ch</strong>ert. Im Südwinter halten<br />

si<strong>ch</strong> sämtli<strong>ch</strong>e <strong>S<strong>ch</strong>warzbrauenalbatross</strong>e, die<br />

es gibt, auf dem offenen Meer der Südhalbkugel<br />

auf – immerhin mindestens drei<br />

Millionen Individuen.<br />

Tau<strong>ch</strong>t ein S<strong>ch</strong>iff am Horizont auf, werden<br />

die Albatrosse neugierig. Besonders unser<br />

S<strong>ch</strong>warzbrauenalbatros folgt häufig den<br />

S<strong>ch</strong>iffen über weite Strecken. Das ist der<br />

Moment, in dem seine herausragenden<br />

Qualitäten als Flieger zur Geltung kommen.<br />

Genetis<strong>ch</strong> nahe verwandt mit den fluglosen<br />

Pinguinen, segelt der Albatros auf seinen<br />

grossen S<strong>ch</strong>wingen mit einer Flügelspann-<br />

Mit seinen 2,5 Metern Flügelspannweite lässt der S<strong>ch</strong>warzbrauenalbatros den Mens<strong>ch</strong>en unter si<strong>ch</strong><br />

klein aussehen. <strong>Der</strong> Vogel ist ein perfekter Segler.<br />

10 <strong>Polar</strong> NEWS <strong>Polar</strong> NEWS<br />

Im Wind stehend, beeindruckt dieses Männ<strong>ch</strong>en mit gestellten Flügeln ein Weib<strong>ch</strong>en – genauestens<br />

beoba<strong>ch</strong>tet von einem Konkurrenten.<br />

weite von bis zu 2,5 Metern s<strong>ch</strong>einbar<br />

s<strong>ch</strong>werelos und «lei<strong>ch</strong>tfüssig» dur<strong>ch</strong> den<br />

Wind und über die Wellen, bewundernd beoba<strong>ch</strong>tet<br />

von den Passagieren an Deck der<br />

S<strong>ch</strong>iffe.<br />

<strong>S<strong>ch</strong>warzbrauenalbatross</strong>e und ihre Artverwandten<br />

sind hervorragende Gleiter. Sie<br />

können lange Strecken zurücklegen, ohne<br />

ein einziges Mal mit den Flügeln zu s<strong>ch</strong>lagen<br />

– und verlieren dabei nur gering an<br />

Höhe. Ornithologen haben für Albatrosse<br />

eine Verhältniszahl von 22 bere<strong>ch</strong>net (in der<br />

Aviatik spri<strong>ch</strong>t man von Gleitzahl), was<br />

bedeutet, dass ein Albatros 22 Mal weiter<br />

gleiten kann, als er gerade ho<strong>ch</strong> ist. Zum<br />

Beispiel kann ein 10 Meter über dem Meer<br />

fliegender Albatros 220 Meter weit gleiten,<br />

ohne die Flügel zu bewegen. Adler und<br />

Geier hingegen müssen mit einer Gleitzahl<br />

von nur 15 auskommen...<br />

Gleiten wirkt bereits sehr elegant, aber für<br />

uns Landratten ist es no<strong>ch</strong> viel faszinierender,<br />

einen S<strong>ch</strong>warzbrauenalbatros beim<br />

dynamis<strong>ch</strong>en Segelflug zu bewundern. Für<br />

diese Energie sparende Flugweise muss der<br />

Wind stärker als 18 Kilometer pro Stunde<br />

wehen – sonst kann si<strong>ch</strong> der s<strong>ch</strong>were Vogel<br />

ni<strong>ch</strong>t vom Wasser erheben, wo er s<strong>ch</strong>wimmend<br />

rastet, so lange die Windges<strong>ch</strong>windigkeit<br />

zu gering zum Fliegen ist.<br />

Zum Glück pfeift der Wind meistens stark<br />

genug im Südatlantik und im Südpolarmeer,<br />

so dass der S<strong>ch</strong>warzbrauenalbatros die<br />

Kräfte des Windes mühelos für si<strong>ch</strong> nutzen<br />

kann. In einem stetigen Aufsteigen seitli<strong>ch</strong><br />

gegen den Wind gewinnt der Vogel an Höhe.<br />

Für einen problemlosen Flugstart bevorzugen<br />

Albatrosse Hänge mit einer starken Neigung.<br />

Etwa zehn Meter über den Wellen nimmt die<br />

Windenergie drastis<strong>ch</strong> ab – der Albatros<br />

gleitet wieder na<strong>ch</strong> unten, den Wellen entgegen.<br />

Knapp über der bewegten Wasseroberflä<strong>ch</strong>e<br />

verliert der Wind erneut an Kraft, so<br />

dass der Albatros zu einem weiteren<br />

Höhenflug ansetzen muss.<br />

Fast zum Vergnügen, so s<strong>ch</strong>eint es, berührt<br />

er dabei man<strong>ch</strong>mal mit der äussersten<br />

Flügelspitze ganz knapp die aufgebäumte<br />

Welle. Diese Flugte<strong>ch</strong>nik führt unweigerli<strong>ch</strong><br />

zu einem Zickzackkurs: Die zurückgelegten<br />

Strecken beim dynamis<strong>ch</strong>en Gleiten sind<br />

um die Hälfte länger als die Luftlinie.<br />

Trotzdem: Eine sol<strong>ch</strong>e Strecke legt er ohne<br />

Muskelkraft zurück! Dies verdeutli<strong>ch</strong>ten<br />

Herzmessungen beim grösseren Bruder, dem<br />

Wanderalbatros; sein Puls beim Gleiten war<br />

genau glei<strong>ch</strong> ho<strong>ch</strong> wie in der Ruhephase.<br />

Sobald allerdings die langen Flügel bewegt<br />

werden müssen, steigt der Energieverbrau<strong>ch</strong><br />

wie zum Beispiel beim Starten von Land<br />

oder vom Wasser: Aktives Fliegen mit<br />

Flügels<strong>ch</strong>lagen erhöht den Puls um das<br />

Vierfa<strong>ch</strong>e. Diese Studie ma<strong>ch</strong>t deutli<strong>ch</strong>,<br />

dass Albatrosse ohne Wind ni<strong>ch</strong>t überleben<br />

könnten. Ist dies ein mögli<strong>ch</strong>er Grund, weshalb<br />

sie – abgesehen vom Galapagosalbatros<br />

– ni<strong>ch</strong>t in den häufig windstillen<br />

Tropen vorkommen?<br />

Um sol<strong>ch</strong>en Gratistransport dur<strong>ch</strong> die Windenergie<br />

zu optimieren, hat die Natur den<br />

Albatrossen eine S<strong>ch</strong>ultersperre mit auf den<br />

Weg gegeben. Dank dieser Klemmvorri<strong>ch</strong>tung<br />

im S<strong>ch</strong>ultergelenk benötigt der<br />

Vogel keinerlei Muskelenergie, um seine<br />

Flügel ausgespannt zu halten. Diese Klemme<br />

verhindert bei vollständig gestrecktem<br />

Flügel, dass der Flügel höher als bis zur<br />

Horizontalen angehoben werden kann. Erst<br />

wenn der Oberarmkno<strong>ch</strong>en ganz lei<strong>ch</strong>t aus<br />

der maximalen Vorwärtsstellung zurückgenommen<br />

wird, öffnet si<strong>ch</strong> der Klemmme<strong>ch</strong>anismus,<br />

und der Flügel kann über die<br />

Horizontale gehoben werden.<br />

Kandidat der Roten Liste<br />

Nun sind Albatrosse zwar ausdauernde, aber<br />

keineswegs ges<strong>ch</strong>ickte Flieger, vor allem<br />

wenn es um plötzli<strong>ch</strong>e Flugmanöver geht.<br />

Sie können s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>nell auswei<strong>ch</strong>en,<br />

sollte si<strong>ch</strong> ihnen etwas in die Flugbahn stellen.<br />

Man könnte meinen, Wendigkeit ist auf<br />

den weiten Meeresflä<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t gefragt,<br />

do<strong>ch</strong> die Zeiten haben si<strong>ch</strong> geändert. »<br />

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