möchte ich lesen... - Polar-reisen.ch
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<strong>Polar</strong>NEWS<br />
Zeits<strong>ch</strong>rift über polare Regionen<br />
www.polar-news.com<br />
Ausgabe 7 /Juni 2008 Auflage 50’000<br />
Ts<strong>ch</strong>ukotka<br />
Eine Reise auf Motors<strong>ch</strong>litten<br />
<strong>Polar</strong> NEWS<br />
wird zur Abenteuer-Fahrt<br />
S<strong>ch</strong>iffsuntergang<br />
Peter Kunz aus Zür<strong>i<strong>ch</strong></strong> überlebt<br />
den Untergang der «Explorer»<br />
Dinosaurier<br />
Das «Monster» aus Spitzbergen<br />
entpuppt s<strong>i<strong>ch</strong></strong> als Sensation
Expedition<br />
Kaiserpinguin<br />
Snow Hill<br />
8. – 24.10. 2009<br />
Für Astronauten ist es der<br />
Mond. Für m<strong>i<strong>ch</strong></strong> sind es die<br />
Kaiserpinguine auf Snow Hill.<br />
Für Pinguin-Fans einfa<strong>ch</strong><br />
das Spektakulärste.<br />
Das ultimative Erlebnis jedes Pinguin-Fans!<br />
S<strong>i<strong>ch</strong></strong>ern Sie s<strong>i<strong>ch</strong></strong> jetzt Ihren Logenplatz beim grossen Kaiserpinguin-Konzert.<br />
Jetzt bu<strong>ch</strong>en: Die Plätze sind auf dieser<br />
einzigartigen Reise bes<strong>ch</strong>ränkt. Lesen Sie mehr auf der Seite 41.<br />
Detailinfos<br />
www.kontiki-eiszeit.<strong>ch</strong> · 056 203 66 11<br />
www.polar-<strong>reisen</strong>.<strong>ch</strong> · 044 342 36 60<br />
Heiner Kubny<br />
Exklusive Leserreise<br />
mit <strong>Polar</strong>News und<br />
Kontiki-Saga<br />
Ihr Begleiter<br />
Ihr Zuhause<br />
Ihr Abenteuer<br />
<strong>Polar</strong>spezialist<br />
und Fotograf<br />
Heiner Kubny.<br />
Der Eisbre<strong>ch</strong>er<br />
Kapitan<br />
Khlebnikov.<br />
Mit dem<br />
Helikopter zur<br />
Kaiserpinguinkolonie.<br />
Liebe Leserin, lieber Leser<br />
Wieder mal ist es soweit, Sie halten die neuste<br />
Ausgabe von <strong>Polar</strong>NEWS in Ihren<br />
Händen. Viel Lob erhielten wir für die letzte<br />
Ausgabe, es soll bis anhin die beste gewesen<br />
sein! Sol<strong>ch</strong>es Lob tut gut, ma<strong>ch</strong>en wir do<strong>ch</strong><br />
<strong>Polar</strong>NEWS mit viel Liebe zum Detail.<br />
Jedesmal erhalten wir viel Post – vor allem<br />
jene von Kindern lässt uns im Glauben,<br />
unsere Arbeit gut zu ma<strong>ch</strong>en. Wir <strong>mö<strong>ch</strong>te</strong>n<br />
mit <strong>Polar</strong>NEWS weiterhin die S<strong>ch</strong>önheit der<br />
polaren Regionen, aber au<strong>ch</strong> deren Probleme<br />
unseren Lesern näher bringen.<br />
Erinnern Sie s<strong>i<strong>ch</strong></strong> an Pia? Sie su<strong>ch</strong>te in der<br />
letzten Ausgabe einen Mann, der mit ihr ein<br />
Jahr in einer Trapperhütte auf Spitzbergen<br />
leben <strong>mö<strong>ch</strong>te</strong>. Nun, einen Mann hat sie zwar<br />
gefunden. Aber jetzt will sie mit ihm lieber<br />
vor dem warmen Kaminfeuer kus<strong>ch</strong>eln als<br />
auf der Jagd na<strong>ch</strong> Rentieren frieren. Ist au<strong>ch</strong><br />
eine gute Lösung. Herzwärme ist immer<br />
eine gute Lösung! Bloss aus unserer geplanten<br />
Abenteuerges<strong>ch</strong><strong>i<strong>ch</strong></strong>te wird jetzt n<strong>i<strong>ch</strong></strong>ts.<br />
Aber vielle<strong>i<strong>ch</strong></strong>t melden s<strong>i<strong>ch</strong></strong> andere Wag -<br />
halsige bei uns. Wir wären bereit.<br />
E<strong>ch</strong>te Dramatik erlebten die Passagiere auf<br />
der «Explorer», und zwar so, wie man s<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
das nie im Leben wüns<strong>ch</strong>t: Das S<strong>ch</strong>iff<br />
s<strong>ch</strong>lug in der Antarktis leck und sank,<br />
Besatzung und Gäste mussten evakuiert<br />
werden und auf ihre Rettung warten. Lesen<br />
Sie ab Seite 14 den Ber<strong>i<strong>ch</strong></strong>t von Peter Kunz,<br />
der an Bord der «Explorer» war. Und <strong>lesen</strong><br />
Sie ans<strong>ch</strong>liessend den Ber<strong>i<strong>ch</strong></strong>t von Arne<br />
Kertelhein: Er gehörte als Crew-Mitglied<br />
der «Nordnorge» zu jenem S<strong>ch</strong>iff, das die<br />
«Explorer»-Passagiere aus dem Wasser zog.<br />
Ein Drama gle<strong>i<strong>ch</strong></strong>ermassen aus der S<strong>i<strong>ch</strong></strong>t der<br />
zur Rettenden als au<strong>ch</strong> der Retter...<br />
Neue Gebiete erfors<strong>ch</strong>en: <strong>Polar</strong>NEWS<br />
ma<strong>ch</strong>t’s mögl<strong>i<strong>ch</strong></strong>! Im April war <strong>i<strong>ch</strong></strong> mit dabei,<br />
als zum ersten Mal überhaupt Fremde offiziell<br />
das Landesinnere von Ts<strong>ch</strong>ukotka besu<strong>ch</strong>en<br />
durften. Fasziniert vom Land und den<br />
Mens<strong>ch</strong>en ganz im Osten von Russland, entstand<br />
mein Reiseber<strong>i<strong>ch</strong></strong>t (ab Seite 32).<br />
Bereits im kommenden August wird<br />
<strong>Polar</strong>NEWS mit einer grösseren Reise -<br />
gruppe diese Gegend besu<strong>ch</strong>en.<br />
Wir haben also wieder mal viele spannende<br />
Ges<strong>ch</strong><strong>i<strong>ch</strong></strong>ten für Sie zusammengetragen:<br />
Viel Spass beim Lesen!<br />
<strong>Polar</strong> NEWS<br />
Rosamaria und Heiner Kubny<br />
Inhaltsverze<strong>i<strong>ch</strong></strong>nis<br />
News aus der <strong>Polar</strong>fors<strong>ch</strong>ung 4<br />
Alte Eisbären, resistente Tundravögel, tieftau<strong>ch</strong>ender<br />
Krill und die w<strong>i<strong>ch</strong></strong>tigsten<br />
Down loads.<br />
Tierwelt: Das Walross 6<br />
Die Pfundskerle fressen fast nur Mus<strong>ch</strong>eln.<br />
Aber n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t mit ihren Stoss zähnen.<br />
Serie: Vergessene Helden 12<br />
Der deuts<strong>ch</strong>e Klimafors<strong>ch</strong>er Alfred Wegener<br />
entdeckte Pangäa und fand in Grönland den<br />
Tod.<br />
Drama: Untergang der «Explorer» 14<br />
Ein Geretteter und ein Retter erzählen, wie<br />
sie die Katastrophe in der Antarktis erlebten.<br />
Service: Marktplatz 27<br />
Von Karten bis Foulards: Alles, was das<br />
Herz eines <strong>Polar</strong>NEWS-Fans begehrt.<br />
Tierwelt: Pinguin-Mauser 28<br />
Zum We<strong>ch</strong>seln ihres Federkleids haben<br />
Pinguine wenig Zeit. Eine effiziente Lösung<br />
tut Not.<br />
<strong>Polar</strong>NEWS<br />
Seit mehr als 25 Jahren reise <strong>i<strong>ch</strong></strong> mehrmals jährl<strong>i<strong>ch</strong></strong> in<br />
die kanadis<strong>ch</strong>e Arktis. Diesmal war <strong>i<strong>ch</strong></strong> mit einem<br />
erfahrenen Inuitjäger in einem kleinen Fiberglasboot<br />
unterwegs. In der Nähe von Igloolik (Nunavut) näherten<br />
wir uns kurz na<strong>ch</strong> Mitterna<strong>ch</strong>t der Walrossmutter,<br />
die auf einer kleinen Eiss<strong>ch</strong>olle kurz vorher ihr Junges<br />
geboren hatte. So gelang mir eines meiner besten<br />
Walrossbilder.<br />
Norbert Rosing<br />
Abenteuer: Ts<strong>ch</strong>ukotka 32<br />
Heiner Kubny war einer der allerersten<br />
Touristen ganz im wilden Osten von Russ -<br />
land.<br />
Reisen: <strong>Polar</strong>NEWS-Reisen 40<br />
Expeditionen in die Antarktis und die<br />
Arktis: Exklusive Angebote für <strong>Polar</strong>NEWS-<br />
Leser.<br />
Wissens<strong>ch</strong>aft: Dinosaurier 42<br />
Der Fund eines Pliosauriers in Spitz bergen<br />
entwickelt s<strong>i<strong>ch</strong></strong> zur wissens<strong>ch</strong>aftl<strong>i<strong>ch</strong></strong>en<br />
Sensation.<br />
Dies & Das / Impressum 53<br />
Globi wird endl<strong>i<strong>ch</strong></strong> zum <strong>Polar</strong>fors<strong>ch</strong>er. Den<br />
Film dazu ma<strong>ch</strong>t allerdings die <strong>Polar</strong>NEWS-<br />
Crew.<br />
Lexikon: Antarktis<strong>ch</strong>e Pelzrobbe 54<br />
Sie waren einst fast ausgerottet. Jetzt balzen<br />
die Antarktis<strong>ch</strong>en Seebären wieder.<br />
Die Crew:<br />
Ruedi und Priska Abbühl 58<br />
Das Ehepaar ist für die Swiss mit der<br />
Kamera im ewigen Eis unterwegs.<br />
Zum Titelbild<br />
3
Fors<strong>ch</strong>ung<br />
News aus der <strong>Polar</strong>fors<strong>ch</strong>ung<br />
Antarktis<strong>ch</strong>er Krill<br />
tau<strong>ch</strong>t Tiefenrekord<br />
Die Kapitel über Lebensweise und Tiefen -<br />
verteilung des Antarktis<strong>ch</strong>en Krills müssen<br />
neu ges<strong>ch</strong>rieben werden, na<strong>ch</strong>dem Wissen -<br />
s<strong>ch</strong>aftler des British Antarctic Survey<br />
entlang der Antarktis<strong>ch</strong>en Halb insel ausgewa<strong>ch</strong>senen<br />
Krill (Euphausia superba) in<br />
einer Meerestiefe von 3000 Metern gefunden<br />
haben. Bisher ist man davon ausgegangen,<br />
dass diese bis 6 Zentimeter lange<br />
Leu<strong>ch</strong>t garnele mehrheitl<strong>i<strong>ch</strong></strong> in den obersten<br />
150 Metern der Wassersäule vorkommt.<br />
Krill ist eine der grössten Proteinquellen der<br />
Erde und stellt ein w<strong>i<strong>ch</strong></strong>tiges Glied in der<br />
Nahrungskette des Südozeans dar: Von ihm<br />
ernähren s<strong>i<strong>ch</strong></strong> Pinguine, Fis<strong>ch</strong>e, Bartenwale<br />
und Robben. Seit den siebziger Jahren<br />
s<strong>ch</strong>eint die Menge an Krill um 80 Prozent<br />
zurückgegangen zu sein, was auf die steigenden<br />
Temperaturen zurückgeführt wird –<br />
an der Antarktis<strong>ch</strong>en Halbinsel allein<br />
werden 2,5 Grad höhere Jahres tempe -<br />
raturen gemessen als no<strong>ch</strong> vor 50 Jahren.<br />
Weddellrobbe sammelt Daten<br />
Sie wiegen 100 Gramm, kosten je 15’000<br />
Franken und sollen mithelfen, die Ge heim -<br />
nisse des gefrorenen Südozeans im Winter zu<br />
lüften: kleine Satellitensender. Natürl<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
haben s<strong>i<strong>ch</strong></strong> die Zoologen der Universität von<br />
Tasmanien au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> einem geeigneten<br />
«Transporteur» umgesehen: die Weddell -<br />
robbe. Diese antarktis<strong>ch</strong>e Robbenart lebt im<br />
Packeis und tau<strong>ch</strong>t bis über 800 Meter Tiefe<br />
hinab.<br />
Die Sender, wel<strong>ch</strong>e mit Leim am Kopf der<br />
Weddellrobbe befestigt werden, sammeln bei<br />
diesen Tau<strong>ch</strong>gängen Daten über Bewegungs -<br />
muster, Verhalten und Nutzung des Lebens -<br />
raums. Au<strong>ch</strong> ozeanografis<strong>ch</strong>e Werte werden<br />
gemessen wie Temperatur und Salzgehalt des<br />
Wassers. Zoologen wie au<strong>ch</strong> Meeresfors<strong>ch</strong>er<br />
hatten bisher no<strong>ch</strong> keine Mögl<strong>i<strong>ch</strong></strong>keit, Daten<br />
von unterhalb des winterl<strong>i<strong>ch</strong></strong>en Packeises zu<br />
erhalten, weil diese Region während dieser<br />
Zeit für S<strong>ch</strong>iffe unerre<strong>i<strong>ch</strong></strong>bar ist. Die Weddell -<br />
robbe, das südl<strong>i<strong>ch</strong></strong>ste Säugetier der Erde, hilft<br />
jetzt also mit, spannende Fragen zu lösen. So<br />
interessiert zum Beispiel, wie Tiere an der<br />
Spitze der Nahrungskette auf klimabedingte<br />
Veränderungen des Meereises reagieren.<br />
(Quelle: University of Tasmania)<br />
Zusammengestellt von Peter Balwin<br />
(Quelle: Current Biology)<br />
Tundravögel entwickeln<br />
Resistenz gegen Antibiotika<br />
Selbst Vögel, die auf der mens<strong>ch</strong>enleeren<br />
Tundra der Arktis leben, sind resistent gegen<br />
Antibiotika. Dies belegt eine Studie der<br />
Universität Uppsala. Die s<strong>ch</strong>wedis<strong>ch</strong>en<br />
Fors<strong>ch</strong>er nahmen Kotproben von 97<br />
Tundravögeln aus dem Norden Sibiriens, aus<br />
Nordalaska und dem nördl<strong>i<strong>ch</strong></strong>en Grönland,<br />
unter anderen von Berg- und Alpenstrand -<br />
läufer, Eis- und <strong>Polar</strong>möwe und S<strong>ch</strong>neegans.<br />
Spezialisten für Infektions krankheiten staunten<br />
n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t, als sie in diesen Proben<br />
antibiotikaresistente Colibakterien fanden –<br />
s<strong>ch</strong>liessl<strong>i<strong>ch</strong></strong> stammen die Vögel aus extrem<br />
abgelegenen Tundragebieten, wo Kontakte<br />
zu Mens<strong>ch</strong>en ausges<strong>ch</strong>lossen sind. Die<br />
Vögel zeigten Resistenzen auf 14 von den<br />
insgesamt 17 getesteten Antibiotikatypen.<br />
Als die wahrs<strong>ch</strong>einl<strong>i<strong>ch</strong></strong>ste von mehreren<br />
Erklärungen wird angeführt, dass Vögel aus<br />
diesen Regionen den Winter auf se<strong>ch</strong>s vers<strong>ch</strong>iedenen<br />
Kontinenten verbringen und auf<br />
ihrem Zugweg antibiotikaresistente Bak terien<br />
aufnehmen und in die Arktis transportieren.<br />
Diese Funde bestätigen einmal mehr, dass die<br />
Antibiotikaresistenz zu einem weltweiten<br />
Phänomen geworden ist. Und dass alle<br />
Regionen der Erde davon betroffen sind –<br />
ausgenommen mögl<strong>i<strong>ch</strong></strong>erweise die Antarktis.<br />
(Quelle: Emerging Infectious Diseases,<br />
Januar 2008)<br />
Eisbär ist älter als geda<strong>ch</strong>t<br />
Der Fund eines alten Kieferkno<strong>ch</strong>ens auf<br />
Spitzbergen lässt die Lebensges<strong>ch</strong><strong>i<strong>ch</strong></strong>te des<br />
Eisbären in neuem L<strong>i<strong>ch</strong></strong>t ers<strong>ch</strong>einen. Der<br />
Kno<strong>ch</strong>en lag eingebettet in die Sedi ment -<br />
s<strong>ch</strong><strong>i<strong>ch</strong></strong>ten bei Poolepynten auf Prins Karls<br />
Forland, wo er dur<strong>ch</strong> Wissens<strong>ch</strong>aftler der<br />
Uni versität von Island gefunden wurde. Der<br />
23 Zentimeter lange Kieferkno<strong>ch</strong>en liess s<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
eindeutig einem Eisbären zuordnen.<br />
Sein Alter wurde auf maximal 130’000 Jahre<br />
bestimmt, was ihn rund doppelt so alt ma<strong>ch</strong>t<br />
wie der bisher älteste (vermeintl<strong>i<strong>ch</strong></strong>e) Eisbären -<br />
kno<strong>ch</strong>en aus London. Der Fund zeigt, dass der<br />
Eisbär seit gut 100’000 Jahren eine morphologis<strong>ch</strong><br />
ausgeprägte Tierart darstellt, und trägt<br />
deshalb dazu bei, der no<strong>ch</strong> ungelösten Frage<br />
einen S<strong>ch</strong>ritt näher zu kommen: Wann genau<br />
begann s<strong>i<strong>ch</strong></strong> der Eisbär als eigene Art zu entwickeln<br />
und von seinem Artverwandten, dem<br />
Braunbären, zu trennen?<br />
UN-Report zum Downloaden<br />
Das Umweltprogramm der Vereinten Natio -<br />
nen (Unep) hat einen 64-seitigen Be r<strong>i<strong>ch</strong></strong>t<br />
publiziert über die Gefahren der Klima er -<br />
wärmung für arktis<strong>ch</strong>e Gewässer. Das Gut -<br />
a<strong>ch</strong>ten formuliert au<strong>ch</strong> den weltweiten Ein -<br />
fluss von Ver s<strong>ch</strong>mutzung, Raubbau, gebietsfremden<br />
Arten und Klimaveränderung auf die<br />
Weltmeere. Download in englis<strong>ch</strong>er Spra<strong>ch</strong>e<br />
unter www.unep.org/pdf/InDeadWater_LR.pdf.<br />
(Quelle: WWF und Unep)<br />
Grundlagen kurz und bündig<br />
Der WWF International stellt auf der<br />
Webseite zu seinem Arktisprogramm zahlre<strong>i<strong>ch</strong></strong>e<br />
ho<strong>ch</strong>interessante Grundlagenpapiere<br />
über aktuelle Themen der Arktis zum<br />
Download zur Verfügung. Die in englis<strong>ch</strong>er<br />
Spra<strong>ch</strong>e gs<strong>ch</strong>riebenen Ber<strong>i<strong>ch</strong></strong>te fassen das<br />
W<strong>i<strong>ch</strong></strong>tigste über Klimaveränderungen in der<br />
Arktis, Eisbären, Ölvers<strong>ch</strong>mutzung, Wale<br />
und weitere Themen auf wenigen Seiten<br />
zusammen. Zu finden unter diesem Link:<br />
www.panda.org/arctic/publications.<br />
(Quelle: WWF Arctic Bulletin)<br />
Bauplatz Südpol<br />
Am geografis<strong>ch</strong>en Südpol mitten in der<br />
Antarktis haben die USA im Januar eine<br />
brandneue Fors<strong>ch</strong>ungsstation eingeweiht.<br />
Dies ist das dritte Bauwerk seit 1957 am südl<strong>i<strong>ch</strong></strong>en<br />
Ende der Erda<strong>ch</strong>se. Die neue<br />
Amundsen-Scott-Südpolstation ist grösser,<br />
moderner, s<strong>i<strong>ch</strong></strong>erer und gilt als ar<strong>ch</strong>itektonis<strong>ch</strong><br />
s<strong>ch</strong>öner als deren Vorgänger. Die<br />
Bauzeit betrug 12 Südsommer. Mit 925<br />
Materialflügen wurden rund 1100 Tonnen<br />
Baumaterialien heranges<strong>ch</strong>afft.<br />
(Quelle: National Science Foundation NSF)<br />
Baffininsel ist bald eisfrei<br />
Auf der kanadis<strong>ch</strong>en Baffininsel, der fünftgrössten<br />
Insel der Erde, s<strong>ch</strong>melzen die<br />
Eiskappen. Über 20 kleinere Eiskappen mit<br />
bis zu 7 Kilometern Ausdehnung und rund<br />
100 Metern Dicke im nördl<strong>i<strong>ch</strong></strong>en Teil dieser<br />
Arktisinsel sind jetzt kleiner als jemals zuvor<br />
in den vergangenen 1600 Jahren. In den letzten<br />
fünfzig Jahren sind sie um die Hälfte<br />
ges<strong>ch</strong>rumpft. Man befür<strong>ch</strong>tet, dass die globale<br />
Erwärmung diese Eisfelder bis zur Mitte<br />
unseres Jahrhunderts gänzl<strong>i<strong>ch</strong></strong> zum Ver -<br />
s<strong>ch</strong>winden gebra<strong>ch</strong>t haben wird.<br />
(Quelle: University of Colorado at<br />
Boulder/UCB)<br />
(Quelle: BBC News)<br />
4 <strong>Polar</strong> NEWS<br />
<strong>Polar</strong> NEWS<br />
5
Tierwelt<br />
Der sanfte Koloss<br />
Walrosse ernähren s<strong>i<strong>ch</strong></strong> fast nur von kleinen Mus<strong>ch</strong>eln. Wie bringen sie die aus dem<br />
Boden? Mit ihren Stosszähnen, vermutete man bisher. Das stimmt n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t.<br />
<strong>Polar</strong> NEWS
Von Peter Balwin (Text)<br />
und Norbert Rosing (Bilder)<br />
Rund um den Nordpol lebt ein Tier, das es<br />
dem Mens<strong>ch</strong>en s<strong>ch</strong>on immer angetan hat –<br />
im guten wie im s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ten Sinne. Dabei<br />
kennen wir Mitteleuropäer dieses arktis<strong>ch</strong>e<br />
Charaktertier seit erst fünfhundert Jahren.<br />
Vielen, denen es vergönnt war, diesem Tier<br />
wenigstens einmal im Leben gegenüber zu<br />
stehen, begegnen ihm heute no<strong>ch</strong> mit einer<br />
undefinierbaren Mis<strong>ch</strong>ung aus Neugierde,<br />
Abneigung, Faszination und einem kleinen<br />
biss<strong>ch</strong>en widerwilligem S<strong>ch</strong>audern vielle<strong>i<strong>ch</strong></strong>t:<br />
das Walross!<br />
Die grösste Robbe der nördl<strong>i<strong>ch</strong></strong>en Halbkugel<br />
erhielt von Anbeginn ihrer Kontakte zu europäis<strong>ch</strong>en<br />
Seefahrern des 16. Jahrhunderts<br />
keine löbl<strong>i<strong>ch</strong></strong>en Attribute zugespro<strong>ch</strong>en. Der<br />
erste Eindruck von einem Walross sei «kein<br />
günstiger», wusste Tierfors<strong>ch</strong>er Alfred<br />
Brehm selbst no<strong>ch</strong> in den 1870er-Jahren in<br />
seinem berühmten «Thierleben» zu ber<strong>i<strong>ch</strong></strong>ten.<br />
Das «ozeanis<strong>ch</strong>e Monsters<strong>ch</strong>wein» oder<br />
die «Meereskuh» trug «sta<strong>ch</strong>lige Bürsten<br />
rund um sein O<strong>ch</strong>senmaul» (1671) und regte<br />
die Phantasie der damaligen Entdecker<br />
regelre<strong>ch</strong>t an. Das «Seepferd mit zwei langen,<br />
abstehenden Zähnen» (Holland, 1578)<br />
«klettert mit seinen Zähnen auf die Gipfel<br />
der Felsen, von wo es s<strong>i<strong>ch</strong></strong> wieder zurück ins<br />
Meer wälzt – falls es n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t an den Felsen<br />
hängen bleibt, vom S<strong>ch</strong>lafe überras<strong>ch</strong>t»<br />
(Olaus Magnus, 1539).<br />
Bis zum ausgehenden 16. Jahrhundert hatte<br />
no<strong>ch</strong> kaum jemand bei uns ein e<strong>ch</strong>tes<br />
Walross gesehen – oder als sol<strong>ch</strong>es erkannt.<br />
Die markanten Stosszähne dieser riesigen<br />
Robbe hingegen waren seit dem 9.<br />
Jahrhundert begehrte Handelsobjekte. So<br />
etwa zahlte das Bistum der Wikinger auf<br />
Grönland 1282 seinen Zehnten an Rom in<br />
O<strong>ch</strong>senhäuten, Robbenfellen und –<br />
Walrosszähnen. Im Jahre 1520 wollte ein<br />
Bis<strong>ch</strong>of im norwegis<strong>ch</strong>en Trondheim wohl<br />
besonders gut dastehen, indem er n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t nur<br />
die Zähne des Walrosses na<strong>ch</strong> Rom lieferte,<br />
sondern gle<strong>i<strong>ch</strong></strong> den ganzen eingesalzenen<br />
Kopf an Papst Leo X. spedierte. Jener<br />
Walrosskopf, unterwegs in die Heilige Stadt,<br />
wurde via Strassburg befördert, wo ihn der<br />
Maler Albre<strong>ch</strong>t Dürer meisterhaft abze<strong>i<strong>ch</strong></strong>nete<br />
und so den wissbegierigen Mens<strong>ch</strong>en<br />
Europas zum ersten Mal eine brau<strong>ch</strong>bare<br />
Darstellung dieses «Ungeheuers» lieferte.<br />
Mit der Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> einem s<strong>ch</strong>nelleren Weg<br />
zu den Gewürzinseln im Fernen Osten sta<strong>ch</strong>en<br />
im 16. und 17. Jahrhundert immer mehr<br />
europäis<strong>ch</strong>e Expeditionen in See und nahmen<br />
Kurs in die Arktis. Den ersehnten<br />
Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>lupf na<strong>ch</strong> Japan fanden sie allerdings<br />
dann no<strong>ch</strong> n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t, aber jede dieser oft<br />
tragis<strong>ch</strong> verlaufenden S<strong>ch</strong>iffs<strong>reisen</strong> lüftete<br />
den S<strong>ch</strong>leier des Unbekannten über der<br />
Arktis mehr und mehr. Ges<strong>ch</strong><strong>i<strong>ch</strong></strong>ten über<br />
neue Inseln, fremdartige Mens<strong>ch</strong>en und seltsame<br />
Tiere erre<strong>i<strong>ch</strong></strong>ten die Handelsherren in<br />
Europa. Und die ersten gefangenen «Wal -<br />
pferde» fanden ihren Weg wiederholt und<br />
unfreiwillig zu den staunenden Aristokraten,<br />
das erste na<strong>ch</strong>weisl<strong>i<strong>ch</strong></strong> im Jahre 1608.<br />
Damals jedo<strong>ch</strong> versetzte n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t das Walross<br />
die Kommerzialräte, Navigatoren und Com -<br />
pa nien in Aufregung, sondern die Meldung<br />
von arktis<strong>ch</strong>en Meeren, in denen es vor lauter<br />
Wal-Leibern zu brodeln s<strong>ch</strong>ien. Die Jagd<br />
auf Wale in Spitzbergen und Grönland galt<br />
damit als eröffnet, mit den bekannten tragis<strong>ch</strong>en<br />
Konsequenzen für die Walpopu -<br />
lationen, die wir heute, 400 Jahre später,<br />
immer no<strong>ch</strong> deutl<strong>i<strong>ch</strong></strong> wahrnehmen können.<br />
Erst als es bald keine Wale mehr zu erlegen<br />
gab, wandte man s<strong>i<strong>ch</strong></strong> notgedrungen anderen<br />
Tierarten zu – und das Walross geriet ins<br />
Visier der erbarmungslosen Robbenjäger.<br />
«Sie werden alleine umb der Zähne gefangen»,<br />
gibt Frider<strong>i<strong>ch</strong></strong> Martens in seiner<br />
Reisebes<strong>ch</strong>reibung von 1671 zu. Und weiter<br />
s<strong>ch</strong>reibt er: «Wann der Wall Ross getödtet<br />
ist, hauet man ihm den Kopf abe, den Leib<br />
lassen sie liegen oder lassen ihn im Wasser<br />
treiben. Den Kopf nehmen sie mit an das<br />
S<strong>ch</strong>iff, da werden die Zähne aussgehauen,<br />
die zwo grossen Zahn gehören den Redern<br />
oder Kauffleuten des S<strong>ch</strong>iffes, die kleinen<br />
Backen-Zähn werden wenig gea<strong>ch</strong>tet.»<br />
Der Zahnläufer als Ziels<strong>ch</strong>eibe<br />
Die Gier na<strong>ch</strong> diesen beiden hauerartig verlängerten<br />
oberen Eckzähnen ma<strong>ch</strong>te den<br />
Walrossen beinahe den Garaus. Diese Zähne<br />
lieferten das von alters her begehrte Elfen -<br />
bein für S<strong>ch</strong>nitzereien, wel<strong>ch</strong>es über Jahr -<br />
hunderte hinweg gesu<strong>ch</strong>t war, weshalb das<br />
Walross weit oben stehen blieb auf der Jagd -<br />
liste europäis<strong>ch</strong>er und nordamerikanis<strong>ch</strong>er<br />
Ges<strong>ch</strong>äftsleute. Man s<strong>ch</strong>ätzt, dass es in<br />
Nordamerika und dem europäis<strong>ch</strong>en Nord -<br />
polar gebiet viele hunderttausend Walrosse<br />
gegeben haben musste, bevor die Europäer<br />
die Neue Welt entdeckten.<br />
Im späten 18. Jahrhundert, als der Walfang<br />
zu Ende ging, begann die kommerzielle Jagd<br />
auf Walrosse. N<strong>i<strong>ch</strong></strong>t nur das Elfenbein der<br />
Hauer war begehrt. Walrosse mit ihrer bis zu<br />
zehn Zentimeter dicken Specks<strong>ch</strong><strong>i<strong>ch</strong></strong>t lieferten<br />
Öl. Und au<strong>ch</strong> die zwei bis vier Zenti -<br />
Wenn s<strong>i<strong>ch</strong></strong> ein Eisbär einer Walrossherde nähert, kann s<strong>ch</strong>on mal Panik ausbre<strong>ch</strong>en. Dann stürzen s<strong>i<strong>ch</strong></strong> die Tiere Hals über Kopf ins Wasser.<br />
meter starke Haut wurde verwertet; unter<br />
anderem stellte man daraus Treibriemen für<br />
Mas<strong>ch</strong>inen her. Se<strong>ch</strong>zig oder mehr Männer<br />
könnten an einem Walross-Lederriemen ziehen,<br />
ohne ihn zu zerreissen, heisst es in<br />
einem Dokument aus dem 13. Jahrhundert.<br />
Das Abs<strong>ch</strong>la<strong>ch</strong>ten nahm ein ungeheuerl<strong>i<strong>ch</strong></strong>es<br />
Ausmass an. Bis zur Mitte des 20. Jahr -<br />
hunderts ist die gesamte Population des<br />
Atlantis<strong>ch</strong>en Walrosses (Odobenus rosmarus<br />
rosmarus) in jedem Winkel seines Ver -<br />
breitungsgebietes beinahe völlig ausgerottet<br />
worden. Die Gesetze zum S<strong>ch</strong>utz dieser <strong>ch</strong>arakteristis<strong>ch</strong>en<br />
Robbe in den vers<strong>ch</strong>iedenen<br />
Anrainerstaaten der Arktis kamen fast zu<br />
spät. Als Erste erkannten die Russen den<br />
Ernst der Lage und erliessen bereits 1921<br />
Jagdvors<strong>ch</strong>riften, wel<strong>ch</strong>e 1956 no<strong>ch</strong> ausgeweitet<br />
wurden, so dass seither nur no<strong>ch</strong> die<br />
Ureinwohner Russlands, für wel<strong>ch</strong>e die Jagd<br />
Lebensgrundlage ist, dort in bes<strong>ch</strong>ränktem<br />
Masse Walrossen na<strong>ch</strong>stellen dürfen.<br />
Ähnl<strong>i<strong>ch</strong></strong>es gilt au<strong>ch</strong> für Grönland, an dessen<br />
wilder Ostküste 1956 ein vollständiges Jagd -<br />
verbot für Walrosse verhängt wurde. Trotz -<br />
dem werden heute no<strong>ch</strong> jedes Jahr 20 bis 30<br />
dieser Tiere erlegt. An der grönländis<strong>ch</strong>en<br />
Westküste hingegen ist eine na<strong>ch</strong>haltige Jagd<br />
für Einheimis<strong>ch</strong>e erlaubt. Kanada zog An -<br />
fang der dreissiger Jahre na<strong>ch</strong>, und in Alaska<br />
ist die Jagd heute den Ureinwohnern (Indi -<br />
anern, Aleuten und Eskimos) vorbehalten.<br />
In Spitzbergen sind diese Tiere seit 1952<br />
vollständig ges<strong>ch</strong>ützt, als klar wurde, dass<br />
damals dort gerade mal rund hundert<br />
Walrosse das Gemetzel überlebt hatten.<br />
Abgesehen von denjenigen Walrossen, die<br />
heute no<strong>ch</strong> Jagdopfer der indigenen Völker<br />
werden, kann s<strong>i<strong>ch</strong></strong> der urtüml<strong>i<strong>ch</strong></strong>e «Zahn -<br />
läufer», wie Odobenus auf Grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong> heisst,<br />
heute endl<strong>i<strong>ch</strong></strong> wieder unbekümmert an den<br />
Stränden der kalten Küsten ausruhen. Seit<br />
gut einem dreiviertel Jahrhundert stehen die<br />
Vertreter der beiden Walross-Unterarten, des<br />
Atlantis<strong>ch</strong>en und des Pazifis<strong>ch</strong>en, mehr oder<br />
minder unter S<strong>ch</strong>utz.<br />
S<strong>ch</strong>wergew<strong>i<strong>ch</strong></strong>tige Unterarten<br />
Und jetzt bemerken wir Mens<strong>ch</strong>en, dass wir<br />
von diesem Tier, das so lange verfolgt wurde,<br />
no<strong>ch</strong> gar n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t alles aus seinem spannenden<br />
Leben kennen. Dabei tummelten s<strong>i<strong>ch</strong></strong> die<br />
ersten Walrosse bereits vor 18 Millio nen<br />
Jahren in den Gewässern des frühen<br />
Miozäns. No<strong>ch</strong> vor etwa 2000 Jahren gehörte<br />
das Walross zur ganz normalen Tierwelt<br />
der Nordsee, wohin es s<strong>i<strong>ch</strong></strong>, nota bene, hin<br />
und wieder immer no<strong>ch</strong> zurück verirrt: Aus<br />
dem 20. Jahrhundert gibt es se<strong>ch</strong>s gemeldete<br />
Walross-Beoba<strong>ch</strong>tungen aus der Nordsee.<br />
Während Zoologen – hätte es sie dann s<strong>ch</strong>on<br />
gegeben – in prähistoris<strong>ch</strong>er Zeit 13 Arten<br />
des Walrosses hätten unters<strong>ch</strong>eiden können,<br />
Brehm bes<strong>ch</strong>rieb die Tasthaare einst abs<strong>ch</strong>ätzig als «sta<strong>ch</strong>elige Bürsten rund um sein O<strong>ch</strong>senmaul».<br />
R<strong>i<strong>ch</strong></strong>tig ist: Sie sind ein ho<strong>ch</strong>sensibles Instrument für die Nahrungssu<strong>ch</strong>e.<br />
kommt heute nur mehr eine Art vor, das<br />
Walross eben, oder Odobenus rosmarus.<br />
Allerdings unters<strong>ch</strong>eiden Fa<strong>ch</strong>leute zwei<br />
Unterarten, deren Trennung gute 500’000<br />
bis 785’000 Jahre zurück liegt und deren<br />
körperl<strong>i<strong>ch</strong></strong>e Unters<strong>ch</strong>iede selbst für Laien<br />
erkennbar sind.<br />
Da sind zum einen die 20’000 bis 30’000<br />
Individuen des Atlantis<strong>ch</strong>en Walrosses<br />
(Odobenus rosmarus rosmarus) «unserer»<br />
Region. Sein Lebensraum re<strong>i<strong>ch</strong></strong>t von der<br />
zentralen kanadis<strong>ch</strong>en Arktis über Grönland<br />
und Spitzbergen bis zur russis<strong>ch</strong>en Karasee<br />
östl<strong>i<strong>ch</strong></strong> von Nowaja Semlja. Während die 3,5<br />
Meter langen Männ<strong>ch</strong>en bis 1500 Kilo -<br />
gramm auf die Waage bringen, s<strong>ch</strong>einen die<br />
Weib<strong>ch</strong>en mit ihrer Körperlänge von 2,5<br />
Metern und einem Gew<strong>i<strong>ch</strong></strong>t von 700 bis 900<br />
Kilogramm geradezu zierl<strong>i<strong>ch</strong></strong>. No<strong>ch</strong> weiter<br />
östl<strong>i<strong>ch</strong></strong> an der Nordküste Sibiriens stösst man<br />
auf das Laptev-Walross (Odobenus rosmarus<br />
laptevi), wel<strong>ch</strong>es man<strong>ch</strong>mal als dritte Unter -<br />
art angeführt wird.<br />
Zum anderen leben in der Region der Beringstrasse<br />
zwis<strong>ch</strong>en Russland und Alaska etwa<br />
200’000 Tiere, die zur Unterart des Pazi fi -<br />
s<strong>ch</strong>en Walrosses (Odobenus rosmarus divergens)<br />
gehören. Sie sind merkl<strong>i<strong>ch</strong></strong> grösser als<br />
ihre europäis<strong>ch</strong>en Artver wandten. Ein<br />
Männ<strong>ch</strong>en bringt dort s<strong>ch</strong>nell mal 1700<br />
Kilogramm auf die Waage und erre<strong>i<strong>ch</strong></strong>t eine<br />
Körperlänge von 4 Metern. Au<strong>ch</strong> die Zähne<br />
sind beim Pazifis<strong>ch</strong>en Walross länger und<br />
ers<strong>ch</strong>einen deshalb s<strong>ch</strong>ön auseinander gebogen<br />
oder weggedreht (lateinis<strong>ch</strong> divergens).<br />
Typis<strong>ch</strong> für diese Unterart sind die Fotos, die<br />
wir alle s<strong>ch</strong>on irgendwo einmal gesehen<br />
haben: Weite Strände, von denen man<br />
eigentl<strong>i<strong>ch</strong></strong> gar n<strong>i<strong>ch</strong></strong>ts sieht – weil jeder Qua -<br />
dratmeter von einem dicken, rosaroten<br />
Walross belegt ist und s<strong>i<strong>ch</strong></strong> Tausende dieser<br />
Tiere ins Bild drängeln...<br />
Wedeln beim Essen<br />
Walrosse ernähren s<strong>i<strong>ch</strong></strong> hauptsä<strong>ch</strong>l<strong>i<strong>ch</strong></strong> von<br />
eher kleinen Lebewesen des Meeresgrundes<br />
(des Benthals). So stehen etwa benthis<strong>ch</strong>e<br />
Wirbellose wie zweis<strong>ch</strong>alige Mus<strong>ch</strong>eln (zum<br />
Beispiel die Felsenbohrmus<strong>ch</strong>el, au<strong>ch</strong><br />
Nordis<strong>ch</strong>er Steinbohrer genannt) ganz oben<br />
auf der Menükarte. Für Abwe<strong>ch</strong>slung auf<br />
dem Speisezettel sorgen Tintenfis<strong>ch</strong>e,<br />
<strong>Polar</strong>dors<strong>ch</strong>, Würmer, Krabben und Floh -<br />
krebse, Seegurken – und ab und zu eine<br />
Ringelrobbe.<br />
N<strong>i<strong>ch</strong></strong>ts geht einem Walross aber über seine<br />
geliebten Mus<strong>ch</strong>eln. S<strong>ch</strong>ätzungen zufolge<br />
konsumiert ein Walross dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittl<strong>i<strong>ch</strong></strong> 6,2<br />
Prozent seines Körpergew<strong>i<strong>ch</strong></strong>tes dur<strong>ch</strong> den<br />
Verzehr von wirbellosen Tieren des Meeres -<br />
grundes. Umgere<strong>ch</strong>net heisst das, dass ein<br />
1000 Kilogramm wiegendes Walross jeden<br />
Tag 180 bis 240 Kilogramm an Mus<strong>ch</strong>eln<br />
auss<strong>ch</strong>lürfen muss, um an die notwendige<br />
tägl<strong>i<strong>ch</strong></strong>e Ration von 60 Kilogramm we<strong>i<strong>ch</strong></strong>em<br />
Mus<strong>ch</strong>elfleis<strong>ch</strong> zu gelangen. Zu diesem<br />
Zweck muss ein Walross zwis<strong>ch</strong>en 4000 und<br />
6000 Mus<strong>ch</strong>eln pro Tag aufspüren. Führen<br />
wir dieses Unterwasserre<strong>ch</strong>nen no<strong>ch</strong> etwas<br />
weiter, so kommen wir auf die stolze Zahl<br />
von 8900 Tonnen Nahrung, wel<strong>ch</strong>e allein die<br />
gesamte Population des Pazifis<strong>ch</strong>en Wal -<br />
rosses in der Region des Beringmeeres jeden<br />
Tag vers<strong>ch</strong>lingt – oder 3,2 Millionen Tonnen<br />
pro Jahr.<br />
Weil s<strong>i<strong>ch</strong></strong> die Mahlzeiten in den obersten,<br />
s<strong>ch</strong>lammigen S<strong>ch</strong><strong>i<strong>ch</strong></strong>ten des Meeresbodens<br />
verstecken, muss ein Walross gehörig Staub<br />
aufwirbeln, um an sein Mittagessen zu<br />
gelangen. Die Nahrungssu<strong>ch</strong>e des Walrosses »<br />
8<br />
<strong>Polar</strong> NEWS<br />
<strong>Polar</strong> NEWS 9
Antarktis-Expeditionsreise<br />
7. bis 26. Februar 2009<br />
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7.2.09 Zür<strong>i<strong>ch</strong></strong>–BuenosAires mit Lufthansa<br />
2 Überna<strong>ch</strong>tungen in Buenos Aires<br />
9.2.09 Buenos Aires – Ushuaia<br />
Eins<strong>ch</strong>iffung auf die Prinz Albert II<br />
11./12.2.09 Falkland Inseln inkl. Stanley<br />
15./16.2.09 Südgeorgien<br />
18./19.2.09 Südorkney-/Südshetland-Inseln<br />
20.–22.2.09 Antarktis<strong>ch</strong>e Halbinsel<br />
23./24.2.09 Drake Passage<br />
25.2.09 Auss<strong>ch</strong>iffung in Ushuaia.<br />
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Es gelten die «Allgemeinen Reise- und Vertragsbedingungen»<br />
der Reederei sowie der Kuoni Reisen AG.<br />
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in Ihrer Kuoni Filiale oder in jedem anderen guten Reisebüro.<br />
An Land wirken Walrosse plump und s<strong>ch</strong>werfällig. Do<strong>ch</strong> im Wasser manövrieren sie flink und s<strong>ch</strong>nell.<br />
Dann geht man ihnen s<strong>i<strong>ch</strong></strong>erheitshalber besser aus dem Weg.<br />
am Meeresgrund führt deshalb ganz nebenbei<br />
dazu, dass grosse Mengen der oberen<br />
Sediments<strong>ch</strong><strong>i<strong>ch</strong></strong>t stark umgepflügt werden.<br />
Dies wiederum könnte wesentl<strong>i<strong>ch</strong></strong> dazu beitragen,<br />
dass die Produktivität in den Nah -<br />
rungsgebieten der Walrosse mä<strong>ch</strong>tig angeheizt<br />
wird, weil dur<strong>ch</strong> das Pflügen Nähr -<br />
stoffe freigesetzt werden. Ohne das Zutun<br />
der Walrosse würden diese Stoffe im Boden -<br />
s<strong>ch</strong>lick einges<strong>ch</strong>lossen bleiben.<br />
Für ein Walross heisst essen also gle<strong>i<strong>ch</strong></strong>zeitig<br />
au<strong>ch</strong> tau<strong>ch</strong>en. Das Meer sollte aber n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t<br />
tiefer als rund 80 Meter sein. Am Meeres -<br />
grund angekommen, bringt das Walross ein<br />
weiteres Merkmal seines ur<strong>ch</strong>igen Aus -<br />
sehens ins Spiel, die Tastborsten auf der<br />
Nase, au<strong>ch</strong> Vibrissae genannt. 600 bis 700<br />
sol<strong>ch</strong>er Nasenhaare – mehr als bei anderen<br />
Robben arten – zieren eine Walrosss<strong>ch</strong>nauze<br />
und geben dem Tier sein typis<strong>ch</strong> unrasiertes<br />
Äusseres.<br />
Diese Borsten sind empfindl<strong>i<strong>ch</strong></strong>e Organe,<br />
jede einzelne ist mit Nerven und Blutbahnen<br />
versorgt und an kleine Muskeln angehängt.<br />
Walrosse können die Tasthaare also gruppenweise<br />
bewegen und mit ihrer Hilfe Form<br />
und Grösse ihrer Beute erkennen. Dank<br />
Filmaufnahmen dur<strong>ch</strong> wissens<strong>ch</strong>aftl<strong>i<strong>ch</strong></strong>e<br />
Tau<strong>ch</strong>er vor Ostgrönland konnte vor ein paar<br />
Jahren erstmals na<strong>ch</strong>gewiesen werden, wie<br />
denn nun ein Walross an seine Nahrung<br />
gelangt.<br />
Erstaunl<strong>i<strong>ch</strong></strong>es Ergebnis dieses Fors<strong>ch</strong>ungs -<br />
projektes: Walrosse neigen dazu, während<br />
der Nahrungssu<strong>ch</strong>e vor allem die re<strong>ch</strong>te<br />
Vorderflosse zu benutzen. Damit wedeln sie<br />
die Sediments<strong>ch</strong><strong>i<strong>ch</strong></strong>t weg und legen so die<br />
Mus<strong>ch</strong>eln frei. Diese Beoba<strong>ch</strong>tung wurde<br />
no<strong>ch</strong> erhärtet dur<strong>ch</strong> Messungen an gut zwei<br />
Dutzend Walrossskeletten aus Museums -<br />
sammlungen. Tatsä<strong>ch</strong>l<strong>i<strong>ch</strong></strong>, bei allen waren<br />
die vorderen Gliedmassen (S<strong>ch</strong>ulterblatt,<br />
Oberarmkno<strong>ch</strong>en, Elle) re<strong>ch</strong>ts bedeutend<br />
länger als links.<br />
Neben dieser bevorzugten Methode, ihre<br />
Nahrung freizulegen, benutzen Walrosse<br />
au<strong>ch</strong> öfters mal die linke Vorderflosse, produzieren<br />
mit dem Mund einen extrem starken<br />
Wasserstrahl oder ruts<strong>ch</strong>en auf der<br />
S<strong>ch</strong>nauze dur<strong>ch</strong>s Sediment – womit man den<br />
alten Grie<strong>ch</strong>en wieder Re<strong>ch</strong>t geben muss:<br />
Odobenus, der Zahnläufer...<br />
Und die Hauer? Die alte Meinung, Walrosse<br />
würden ihre Nahrung mit den mä<strong>ch</strong>tigen<br />
Eckzähnen ausgraben, ist fals<strong>ch</strong> und längst<br />
widerlegt. Die Zähne dienen als Waffen,<br />
haben eine soziale Signalfunktion, sind dienl<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
beim Heraushieven auf eine Eiss<strong>ch</strong>olle,<br />
vergrössern im Nu ein Atemlo<strong>ch</strong> im Packeis<br />
oder geben ein praktis<strong>ch</strong>es «Kopfkissen» ab<br />
bei plötzl<strong>i<strong>ch</strong></strong>en Müdigkeitsanfällen an Land.<br />
Und dorthin kommt ein Walross nur, um s<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
auszuruhen, denn das Leben ausserhalb des<br />
Wassers ist für eine derart s<strong>ch</strong>were, plumpe<br />
Robbe gar n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t lustig. Walross-Ruhepätze<br />
findet man denn au<strong>ch</strong> nur an fla<strong>ch</strong>en arktis<strong>ch</strong>en<br />
Stränden, meist nahe bei guten<br />
Nahrungsgebieten in se<strong>i<strong>ch</strong></strong>ten Meeres regio -<br />
nen und nur wenige Dutzend Meter vom<br />
Meer entfernt.<br />
Lange Tragzeit und Aufzu<strong>ch</strong>t<br />
Im Sommer kehren diese leistungsstarken<br />
S<strong>ch</strong>wimmer na<strong>ch</strong> einem opulenten Mus<strong>ch</strong>el -<br />
mahl beinahe weisshäutig zu einem Ruhe -<br />
platz zurück, wo sie d<strong>i<strong>ch</strong></strong>t an d<strong>i<strong>ch</strong></strong>t gedrängt,<br />
zu Dutzenden bis zu Tausenden friedl<strong>i<strong>ch</strong></strong> an<br />
der arktis<strong>ch</strong>en Sonne dösen. S<strong>ch</strong>on na<strong>ch</strong> kurzer<br />
Zeit sind die dicken Speck- und Haut -<br />
s<strong>ch</strong><strong>i<strong>ch</strong></strong>ten wieder wohlig dur<strong>ch</strong>blutet, und die<br />
Tiere nehmen eine rosarote Farbe an. Im<br />
Winter allerdings leben Walrosse südl<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
ihrer dann vereisten Sommerplätze, weit im<br />
Meer, an der Grenze des Packeises.<br />
Irgendwo dort draussen im Eismeer, während<br />
des düster-dämmrigen <strong>Polar</strong>winters,<br />
paaren s<strong>i<strong>ch</strong></strong> die Walrosse. Es dauert 15 bis 16<br />
Monate, bis das Walrossbaby geboren wird,<br />
worauf es gute zwei Jahre gestillt wird – mit<br />
ein Grund, weshalb Walross-Weib<strong>ch</strong>en nur<br />
alle zwei bis drei Jahre ein Junges austragen<br />
können. Bei keiner anderen Robbenart ist<br />
die Fortpflanzungsrate derart tief.<br />
Und wenn man nun einem Walross lange<br />
genug in seine kleinen, kurzs<strong>i<strong>ch</strong></strong>tigen, roten<br />
Augen blickt, an seine traurige Ges<strong>ch</strong><strong>i<strong>ch</strong></strong>te<br />
und sein faszinierendes Leben denkt, dann<br />
wird man «diese ungeheuerl<strong>i<strong>ch</strong></strong>ste aller<br />
Robben» (Brehms «Thierleben») unwillkürl<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
in sein Herz s<strong>ch</strong>liessen.<br />
<strong>Polar</strong>NEWS<br />
Walross-Webtipps:<br />
Auf einer Internetseite des US Geological<br />
Survey lassen s<strong>i<strong>ch</strong></strong> kürzl<strong>i<strong>ch</strong></strong> besenderte<br />
Walrosse im Beringmeer verfolgen:<br />
http://alaska.usgs.gov/science/biology/<br />
walrus/2008animation.html.<br />
Zurzeit können im Internet unter<br />
www.biomedcentral.com/1472-6785/3/9,<br />
dort im Kapitel «Results», zwei Film -<br />
sequenzen herunter geladen werden, wel<strong>ch</strong>e<br />
die eigentüml<strong>i<strong>ch</strong></strong>e Nahrungssu<strong>ch</strong>e<br />
eines Walrosses auf dem Meeresgrund<br />
vor Ostgrönland verans<strong>ch</strong>aul<strong>i<strong>ch</strong></strong>en.<br />
10 <strong>Polar</strong> NEWS<br />
<strong>Polar</strong> NEWS<br />
11
Serie<br />
erdmannpeisker<br />
Vergessene Helden Teil III<br />
Der Welt-Versteher<br />
Es dauerte Hunderte von Jahren,<br />
bis die Mens<strong>ch</strong>heit fähig war,<br />
das Antlitz unseres Planeten als<br />
exakte Landkarte wiederzugeben.<br />
Und au<strong>ch</strong> dann verstr<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
viel Zeit, bis endl<strong>i<strong>ch</strong></strong> jemand<br />
genau hins<strong>ch</strong>aute und bemerkte,<br />
dass die Ostküste Südamerikas<br />
wie ein Puzzleteil an die West -<br />
küste Afrikas passte. Es war der<br />
Deuts<strong>ch</strong>e Alfred Wegener, 1880<br />
als Pfarrerssohn geboren, Wetterund<br />
Weltallfors<strong>ch</strong>er, Physiker<br />
und Familienvater und einer, der<br />
die Welt in den ganz grossen<br />
Zusammenhängen zu verstehen<br />
versu<strong>ch</strong>te.<br />
Wenn also, so da<strong>ch</strong>te Wegener,<br />
Südamerika und Afrika zu -<br />
sammen passen, dann kann es ja<br />
sein, dass sämtl<strong>i<strong>ch</strong></strong>e Kontinente<br />
einst eine einzige Landmasse<br />
bildeten. Wegener nannte diesen<br />
Urkontinent Pangäa. Do<strong>ch</strong>, o<br />
weh, seine Wissens<strong>ch</strong>aftler -<br />
kollegen la<strong>ch</strong>ten ihn bloss aus,<br />
nannten seine Idee den «Taum<br />
eines Poeten» und ihn selber<br />
einen «von der Pols<strong>ch</strong>ubseu<strong>ch</strong>e<br />
s<strong>ch</strong>wer Befallenen». Wegener<br />
solle s<strong>i<strong>ch</strong></strong> do<strong>ch</strong> lieber wieder<br />
dem zuwenden, was er kann:<br />
Der Meteorologie.<br />
Als erster Fors<strong>ch</strong>er bes<strong>ch</strong>rieb<br />
Wegener näml<strong>i<strong>ch</strong></strong> Turbulenzen Alfred Wegner.<br />
in der Erdatmosphäre, veröffentl<strong>i<strong>ch</strong></strong>te<br />
Arbeiten über die Entstehung von Zirruswolken und teilte als<br />
erster Fors<strong>ch</strong>er die Atmosphäre in vers<strong>ch</strong>iedene S<strong>ch</strong><strong>i<strong>ch</strong></strong>ten auf – was ihn<br />
zur wissens<strong>ch</strong>aftl<strong>i<strong>ch</strong></strong>en Erklärung über die Entstehung von Fata<br />
Morganas führte. Bloss dass seine Idee eines Urkontinents keine Fata<br />
Morgana war, das konnte er nie hinre<strong>i<strong>ch</strong></strong>end beweisen. Immerhin:<br />
Wegener reiste dur<strong>ch</strong> die Kontinente und fand überall dieselben<br />
Gesteinsarten.<br />
Sein liebstes Fors<strong>ch</strong>ungsgebiet aber war Grönland. Hierhin war<br />
Wegener 1906 zum ersten Mal gereist als Teilnehmer einer 28-köpfigen<br />
Expedition, die den Auftrag hatte, die Ostküste Grönlands zu<br />
erkunden und Daten über das Wetter zu sammeln. Zwei Jahre dauerte<br />
diese Expedition, und was er (unter vielem anderem) herausfand,<br />
stützte seinen Urkontinent-Theorie: Man fand Fossilien von Bäumen,<br />
die heute am Mittelmeer wa<strong>ch</strong>sen.<br />
Auf seiner zweiten Grönlandreise dur<strong>ch</strong>querte er mit seinen Kameraden<br />
zum ersten Mal überhaupt die grösste Insel der Welt von Küste zu Küste<br />
auf dem ewigen Eis. Eine dritte Expedition 1929 diente zur Vorbereitung<br />
der vierten Reise, die ein Jahr<br />
später losging.<br />
Wegener war s<strong>i<strong>ch</strong></strong> der Gefahren<br />
des ewigen Eises dur<strong>ch</strong>aus<br />
bewusst: Auf seinem ersten<br />
Grönlandtrip starben der Expe -<br />
ditionsleiter und zwei seiner<br />
Kollegen. Die zweite Reise geriet<br />
zum Fiasko, die Mens<strong>ch</strong>en hatten<br />
bereits alle Ponys und Hunde<br />
notges<strong>ch</strong>la<strong>ch</strong>tet und wurden erst<br />
im allerletzten Moment von<br />
einem Missionar vor dem Er -<br />
frieren gerettet. Dass Wegener als<br />
Reserveoffizier während des<br />
Ersten Weltkrieges zweimal an<br />
der Front verletzt wurde, war<br />
dagegen eine Bagatelle. Immer -<br />
hin: Die dritte Expedition verlief<br />
ohne Zwis<strong>ch</strong>enfälle.<br />
Aber seine vierte war dann definitiv<br />
seine letzte: Auf dem<br />
Rückweg von einer Station zur<br />
anderen starb Alfred Lothar<br />
Wegener, vermutl<strong>i<strong>ch</strong></strong> am 16.<br />
November 1930 und ebenso vermutl<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
an einem Herzversagen<br />
infolge Überanstrengung, definitiv<br />
nur ein paar Tage na<strong>ch</strong> seinem<br />
fünfzigsten Geburtstag. Ein<br />
Jahr später fand man sein sauber<br />
herger<strong>i<strong>ch</strong></strong>tetes Grab. Von seinem<br />
damaligen grönländis<strong>ch</strong>en Be -<br />
gleiter Rasmus Villumsen, der<br />
ihn wohl begraben hat, fehlt bis<br />
heute jede Spur. Und mit ihm<br />
bleibt leider au<strong>ch</strong> Wegeners Tagebu<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>ollen.<br />
So ist es halt: Helden sterben einsam. Vor allem in Grönland. Zum<br />
Trost: Ein Superheld wurde Wegener Jahrzehnte später: Seit den 70er-<br />
Jahren gilt seine Urkontinent-Theorie als wissens<strong>ch</strong>aftl<strong>i<strong>ch</strong></strong> anerkannt.<br />
Und damit au<strong>ch</strong> Wegeners Ans<strong>i<strong>ch</strong></strong>t, dass die Bergmassive am<br />
Meeresboden eine Folge der Kontinentalvers<strong>ch</strong>iebung sind. Sogar<br />
seine Theorie, dass die Mondkrater eine Folge von Meteoreins<strong>ch</strong>lägen<br />
sind, gilt heute als Selbstverständl<strong>i<strong>ch</strong></strong>keit. Na<strong>ch</strong> ihm ist heute das<br />
Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven benannt, weltweit eines der<br />
w<strong>i<strong>ch</strong></strong>tigsten Zentren für <strong>Polar</strong>- und Meeresfors<strong>ch</strong>ung.<br />
Und, a<strong>ch</strong> ja: Für die Teilnehmer an seinen letzten Grönland ex -<br />
peditionen entwarf Wegener Spezialkleidung na<strong>ch</strong> dem Vorbild des<br />
grönländis<strong>ch</strong>en Anoraks. Das Modell wurde später im Wesentl<strong>i<strong>ch</strong></strong>en<br />
von der europäis<strong>ch</strong>en Wintersportmode übernommen.<br />
Greta Paulsdottir<br />
S<strong>ch</strong>lafl abor.<br />
2700 Meter Höhe. Minus 15 Grad. Das Mammut-Team testet den Ajungilak Altitude. Bekommen die Teilnehmer<br />
au<strong>ch</strong> unter härtesten Bedingungen keine kalten Füsse? Ist der S<strong>ch</strong>lafsack für Extrembedingungen wirkl<strong>i<strong>ch</strong></strong> extrem<br />
gut? Alles über den Test und Anmeldungen für das nä<strong>ch</strong>ste Testevent mit Mammut-Fans und Freunden unter:<br />
www.mammut.<strong>ch</strong>/testevent<br />
12<br />
<strong>Polar</strong> NEWS<br />
<strong>Polar</strong> NEWS<br />
Absolute Alpine.<br />
13
Drama<br />
S<strong>ch</strong>iffsuntergang<br />
Am 23. November 2007 rammte das Kreuzfahrts<strong>ch</strong>iff «Explorer» vor der<br />
Antarktis<strong>ch</strong>en Halbinsel einen Eisberg und sank. Alle 154 Passagiere und<br />
Besatzungsmitglieder konnten gerettet werden. Der Zür<strong>ch</strong>er Peter Kunz war<br />
einer von ihnen. Hier sein Ber<strong>i<strong>ch</strong></strong>t.<br />
14 <strong>Polar</strong> NEWS<br />
15
Von Peter Kunz (Text und Bilder)<br />
und Arne Kertelhein (Bilder)<br />
Na<strong>ch</strong> elf Uhr gehen meine Partnerin Dora<br />
und <strong>i<strong>ch</strong></strong> zu Bett. Wir hören in der Kabine, wie<br />
s<strong>ch</strong>on so oft, wie das Eis kratzend um den<br />
Bug herum gedrückt und weggepresst wird.<br />
Zweimal allerdings knallt es so laut, dass wir<br />
uns fragen, ob wir diese Na<strong>ch</strong>t werden s<strong>ch</strong>lafen<br />
können. I<strong>ch</strong> habe eben das L<strong>i<strong>ch</strong></strong>t gelös<strong>ch</strong>t,<br />
als die Alarmglocke das Notsignal gibt. Was<br />
ist los? Es folgt die Laut spre<strong>ch</strong>er dur<strong>ch</strong>sage<br />
des Kapitäns: Be sammlung mit S<strong>ch</strong>wimm -<br />
westen im offiziellen Meeting point im<br />
obersten Aufenthalts raum, wie am ersten Tag<br />
geübt. Einige Minuten später folgt der beruhigende<br />
Dur<strong>ch</strong>sage-Zusatz, es sei im untersten<br />
Deck aus no<strong>ch</strong> unbekannter Ursa<strong>ch</strong>e<br />
etwas Wasser eingedrungen, die Pumpen<br />
seien jedo<strong>ch</strong> aktiviert worden; aus S<strong>i<strong>ch</strong></strong>er -<br />
heitsgründen möge man s<strong>i<strong>ch</strong></strong> aber denno<strong>ch</strong><br />
ankleiden und s<strong>i<strong>ch</strong></strong> aufs obere Deck begeben.<br />
Meine Partnerin Dora ist zieml<strong>i<strong>ch</strong></strong> ras<strong>ch</strong><br />
bereit und eilt na<strong>ch</strong> oben. I<strong>ch</strong> dagegen bin<br />
etwas verärgert: I<strong>ch</strong> weiss zwar, dass S<strong>i<strong>ch</strong></strong>er -<br />
heit hier stets das oberste Gebot ist und allen<br />
anderen Überlegungen vorangestellt wird.<br />
Aber mitten in der Na<strong>ch</strong>t ist’s lästig, weil es<br />
jetzt wohl zwei bis drei Stunden dauern wird,<br />
bis wir in unsere Kabine zurück können.<br />
I<strong>ch</strong> lasse mir deshalb Zeit und kleide m<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
voll an, wie für einen Zodiakausflug mit<br />
Stiefeln und dicker Jacke. Denn falls wir aufs<br />
Da war no<strong>ch</strong> klar S<strong>ch</strong>iff: Die «Explorer» vor der Antarktis<strong>ch</strong>en Halbinsel.<br />
Baujahr 1969, Tiefgang 4,2 Meter, 72,8 Meter lang, 14 Meter breit. Ges<strong>ch</strong>windigkeit: 11 Knoten.<br />
Freideck müssen, wird’s kalt. I<strong>ch</strong> gehe in den<br />
Korridor und s<strong>ch</strong>aue im Treppenhaus hinunter<br />
zum unteren Kabinendeck: Da steht tatsä<strong>ch</strong>l<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
etwa eine Handbreit ho<strong>ch</strong> Wasser im<br />
Gang. I<strong>ch</strong> su<strong>ch</strong>e in unserer Kabine also no<strong>ch</strong><br />
die Chips hervor, auf denen alle Fotos unserer<br />
Reise gespe<strong>i<strong>ch</strong></strong>ert sind, und greife zu den<br />
Pillen, die <strong>i<strong>ch</strong></strong> tägl<strong>i<strong>ch</strong></strong> einnehmen muss.<br />
S<strong>i<strong>ch</strong></strong>er ist s<strong>i<strong>ch</strong></strong>er.<br />
Am Besammlungsort herrs<strong>ch</strong>t eine sonderbare<br />
Stimmung. Einige sind sehr still, andere<br />
ma<strong>ch</strong>en Spässe. Es herrs<strong>ch</strong>t Uns<strong>i<strong>ch</strong></strong>erheit.<br />
Die Crew beantwortet Fragen und regt an,<br />
Witze ins Mikrofon zu spre<strong>ch</strong>en – man kennt<br />
s<strong>i<strong>ch</strong></strong> ja mittlerweile re<strong>ch</strong>t gut. Mit den voluminösen<br />
S<strong>ch</strong>wimmwesten, die wir anziehen<br />
müssen, sind deren Träger in ihrer Be -<br />
wegungs freiheit einges<strong>ch</strong>ränkt, man kann<br />
damit kaum bequem sitzen. Die Situation ist<br />
n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t extrem angespannt: Alle glauben, bald<br />
wieder in der Kabine zu sein, um so mehr, als<br />
der Kapitän nun persönl<strong>i<strong>ch</strong></strong> ers<strong>ch</strong>eint und<br />
vers<strong>i<strong>ch</strong></strong>ert, dass die Pumpen funktionieren<br />
und das Wasser zurückgeht.<br />
I<strong>ch</strong> lege m<strong>i<strong>ch</strong></strong> in einer dunklen Ecke auf den<br />
Boden und versu<strong>ch</strong>e zu dösen, na<strong>ch</strong>dem <strong>i<strong>ch</strong></strong> das<br />
verantwortl<strong>i<strong>ch</strong></strong>e Crewmitglied informiert habe,<br />
dass es mir gut geht, dass <strong>i<strong>ch</strong></strong> nur müde bin.<br />
Das nä<strong>ch</strong>ste, was <strong>i<strong>ch</strong></strong> mitbekomme, ist die<br />
Meldung, dass es s<strong>i<strong>ch</strong></strong> beim S<strong>ch</strong>aden am<br />
S<strong>ch</strong>iff zwar nur um ein faustgrosses Leck<br />
handle, dass die Pumpen aber denno<strong>ch</strong> Mühe<br />
hätten, das eindringende Wasser wieder hinauszubefördern,<br />
denn das alte S<strong>ch</strong>iff hat<br />
keine Doppelwandung. Einer der Passagiere<br />
erzählt, er sei erwa<strong>ch</strong>t, als es ihm auf den<br />
Kopf tropfte und das eiskalte Wasser s<strong>ch</strong>on<br />
knö<strong>ch</strong>eltief im Kabinenboden stand.<br />
Dann geht es n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t mehr lange, bis der<br />
Kapitän wieder persönl<strong>i<strong>ch</strong></strong> ers<strong>ch</strong>eint und<br />
informiert, dass er – natürl<strong>i<strong>ch</strong></strong> nur aus S<strong>i<strong>ch</strong></strong>er -<br />
heitsgründen – «Mayday» abgegeben hat.<br />
Dieser Funkspru<strong>ch</strong>, erklärt er, werde global<br />
ausgesendet, er habe Reaktionen sogar aus<br />
dem Mittelmeer erhalten. Ein S<strong>ch</strong>wester -<br />
s<strong>ch</strong>iff der «Explorer» sei 10 Stunden entfernt,<br />
zwei andere nur etwa 5 Stunden. Sie alle hätten<br />
ihren Kurs geändert und eilten herbei.<br />
Zurück in die Kabine<br />
Do<strong>ch</strong> sowas tut man n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t nur s<strong>i<strong>ch</strong></strong>erheitshalber,<br />
sondern meiner Meinung na<strong>ch</strong> nur im Ernstfall.<br />
Okay: Ab jetzt wird’s konkret... Die Leute werden<br />
leiser. Das S<strong>ch</strong>iff liegt s<strong>ch</strong>on bedenkl<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
s<strong>ch</strong>räg im Wasser. I<strong>ch</strong> will aufs Salondeck hinunter<br />
zur Toilette, was eine Sondererlaubnis<br />
vom Personal erfordert, da niemand mehr zu<br />
den unteren Decks darf. I<strong>ch</strong> kriege die<br />
Erlaubnis. Die quer im S<strong>ch</strong>iff liegende Treppe<br />
ist inzwis<strong>ch</strong>en enorm steil geworden.<br />
Tatsä<strong>ch</strong>l<strong>i<strong>ch</strong></strong> will <strong>i<strong>ch</strong></strong> jedo<strong>ch</strong> zu unserer Kabine<br />
hinunter, um den Tresors<strong>ch</strong>lüssel zu holen,<br />
denn dort liegt unsere ganze Bars<strong>ch</strong>aft. Über<br />
die Treppen und dur<strong>ch</strong> die Korridore auf dem<br />
Kabinendeck ziehen s<strong>i<strong>ch</strong></strong> S<strong>ch</strong>läu<strong>ch</strong>e, Mann -<br />
s<strong>ch</strong>aft rennt herum, im untersten Deck steht<br />
das Wasser jetzt deutl<strong>i<strong>ch</strong></strong> über einen Meter<br />
ho<strong>ch</strong>. Das sieht n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t gut aus...<br />
In unserer Kabine angelangt, ziehe <strong>i<strong>ch</strong></strong>, um<br />
den Rucksack zu dur<strong>ch</strong>wühlen, die störende<br />
S<strong>ch</strong>wimmweste aus, finde endl<strong>i<strong>ch</strong></strong> den<br />
Tresors<strong>ch</strong>lüssel, s<strong>ch</strong>meisse no<strong>ch</strong> einige nützl<strong>i<strong>ch</strong></strong>e<br />
Dinge in den Rucksack – da wird’s<br />
plötzl<strong>i<strong>ch</strong></strong> stockdunkel. S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tes Ze<strong>i<strong>ch</strong></strong>en.<br />
Die Mas<strong>ch</strong>ine oder wenigstens die elektris<strong>ch</strong>e<br />
Anlage steht unter Wasser, das vers<strong>ch</strong>ärft<br />
die Situation erhebl<strong>i<strong>ch</strong></strong>. Nur no<strong>ch</strong> im<br />
Dunkeln den halboffenen Rucksack s<strong>ch</strong>nappen.<br />
I<strong>ch</strong> taste m<strong>i<strong>ch</strong></strong> zur Treppe, und dann<br />
ras<strong>ch</strong> hinauf.<br />
Als <strong>i<strong>ch</strong></strong> im Salondeck ankomme, brennt wieder<br />
L<strong>i<strong>ch</strong></strong>t. I<strong>ch</strong> stosse auf den Purser, wie der<br />
Versorgungsoffizier in der S<strong>ch</strong>iffsspra<strong>ch</strong>e<br />
heisst, und bitte ihn, zusammen mit seinem<br />
S<strong>ch</strong>lüssel meinen Tresor zu öffnen. Do<strong>ch</strong><br />
dafür hat er nun gar kein Musikgehör: keine<br />
Zeit! Die Wertsa<strong>ch</strong>en aller Passagiere werden<br />
aufgegeben! Wieder am Meetingpoint, sehe<br />
<strong>i<strong>ch</strong></strong>, dass die vier Rettungsboote bis zum<br />
obersten Deck hinuntergelassen und für die<br />
Evakuation bereitgestellt worden sind. Mit<br />
S<strong>ch</strong>recken stelle <strong>i<strong>ch</strong></strong> ebenfalls fest, dass <strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
meine Rettungsweste in der dunklen Kabine<br />
liegengelassen habe. Hinunter kann <strong>i<strong>ch</strong></strong> n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t<br />
mehr, und ein Ersatz ist n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t aufzutreiben<br />
hier oben.<br />
Immer mehr S<strong>ch</strong>lagseite<br />
Immerhin: I<strong>ch</strong> entdecke eine Weste für<br />
Zodiakboote, die zwar viel kleiner ist als die<br />
Rettungs-S<strong>ch</strong>wimmwesten, aber mir dafür<br />
mehr Bewegungsfreiheit gibt. Das ma<strong>ch</strong>t<br />
allerdings kaum einen Unters<strong>ch</strong>ied: Wer<br />
hier ins Wasser fällt, ist na<strong>ch</strong> spätestens drei<br />
Minuten ohnehin weggetreten, mit oder<br />
ohne Weste.<br />
Das S<strong>ch</strong>iff hat nun merkl<strong>i<strong>ch</strong></strong> mehr S<strong>ch</strong>lag -<br />
seite. Wie <strong>i<strong>ch</strong></strong> später erfahre, dringt wegen<br />
Kurz von Mitterna<strong>ch</strong>t rammt die «Explorer» wahrs<strong>ch</strong>einl<strong>i<strong>ch</strong></strong> einen Eisberg und s<strong>ch</strong>lägt leck.<br />
Es dringt mehr Wasser ins S<strong>ch</strong>iff, als die Pumpen wieder rausbefördern können.<br />
der extremen S<strong>ch</strong>räglage Wasser dur<strong>ch</strong> die<br />
Toiletten ins obere Kabinendeck, sozusagen<br />
aus vollen Rohren. Als der Kapitän, na<strong>ch</strong>dem<br />
au<strong>ch</strong> die Steuerung ausgefallen ist,<br />
«abandon ship» erklärt, besetzen wir die<br />
Rettungs boote. Das geht ganz unspektakulär,<br />
ohne Panik und na<strong>ch</strong> dem System «first<br />
come, first served». Glückl<strong>i<strong>ch</strong></strong>erweise stehen<br />
wir im Besammlungsraum vorne bei der<br />
Türe. Es gibt kein Gedränge und keine<br />
Panik, aber der Rucksack wird mir weggenommen:<br />
Mit allen Klamotten am Leibe<br />
und mit den S<strong>ch</strong>wimm westen wird’s ohnehin<br />
grauenhaft eng.<br />
Im Rettungsboot sitzen 35 Passagiere so eng<br />
zusammen wie Kaiserpinguine während der<br />
Brutzeit – und das ist vorteilhaft. Denn der<br />
Wind bläst kalt. Na<strong>ch</strong> zwanzig Minuten<br />
werde <strong>i<strong>ch</strong></strong> langsam unruhig. Wieso lässt niemand<br />
unser Boot zu Wasser? Bei dieser<br />
S<strong>ch</strong>räglage können wir s<strong>ch</strong>on längst n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t<br />
mehr senkre<strong>ch</strong>t hinunter gelassen werden,<br />
sondern nur dem Bug entlang hinunters<strong>ch</strong>aben.<br />
Sofern das überhaupt no<strong>ch</strong> geht!<br />
Nur ein Boot funktioniert<br />
Einige Philippinos aus der Manns<strong>ch</strong>aft werkeln<br />
ununterbro<strong>ch</strong>en am Motor unseres<br />
Bootes. Mal geht wieder einer weg, mal<br />
kommt einer. Später erfahren wir die Ur -<br />
sa<strong>ch</strong>e: Obwohl vor jeder Fahrt routinemässig<br />
alle Boote geprüft werden, lässt s<strong>i<strong>ch</strong></strong> ausgere<strong>ch</strong>net<br />
jetzt von den vier Booten der<br />
«Ex plorer» nur in einem einzigen der Motor<br />
starten... Der Kapitän will die Boote aber<br />
erst wassern, wenn die Motoren laufen,<br />
damit sie auf dem Wasser sofort vom S<strong>ch</strong>iff<br />
wegkommen.<br />
»<br />
Eilt mit voller Kraft dem Unfallort entgegen: Die «Endavour» ist zum Zeitpunkt des Unfalls 150 Kilometer von der «Explorer» entfernt.<br />
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Böse Zungen lästern, was keinen Preis habe, sei n<strong>i<strong>ch</strong></strong>ts Wert...<br />
<strong>Polar</strong>NEWS beweist das Gegenteil: Wir ber<strong>i<strong>ch</strong></strong>ten über die polaren<br />
Gebiete dieser Erde und greifen ver tieft Themen aus der<br />
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Reise be r<strong>i<strong>ch</strong></strong>te und, und – alles gratis.<br />
Die «Explorer» ist evakuiert, sämtl<strong>i<strong>ch</strong></strong>e Wertsa<strong>ch</strong>en bleiben an Bord. Das S<strong>ch</strong>iff hat s<strong>ch</strong>on stark S<strong>ch</strong>lagseite: Sein Untergang ist bereits besiegelt.<br />
Natürl<strong>i<strong>ch</strong></strong> könnten wir einen Abonnementspreis er heben und<br />
das <strong>Polar</strong>NEWS am Kiosk verkaufen. Aber wir <strong>mö<strong>ch</strong>te</strong>n insbesondere<br />
Jugendl<strong>i<strong>ch</strong></strong>en und S<strong>ch</strong>ülern diese lehrre<strong>i<strong>ch</strong></strong>e und<br />
brücken s<strong>ch</strong>lagende Lektüre n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t vorenthalten: Viele S<strong>ch</strong>ul -<br />
klassen arbeiten im Unterr<strong>i<strong>ch</strong></strong>t mit <strong>Polar</strong>NEWS.<br />
Das ist w<strong>i<strong>ch</strong></strong>tig, denn ein Eisberg treibt auf<br />
das n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t mehr manövrierfähige S<strong>ch</strong>iff zu.<br />
Der ist zwar n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t sehr gross, aber gross<br />
genug, um ein s<strong>ch</strong>on gewassertes, aber no<strong>ch</strong><br />
n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t abgelegtes Boot am S<strong>ch</strong>iffsrumpf zu<br />
zerquets<strong>ch</strong>en.<br />
Bootes klats<strong>ch</strong>en. Es s<strong>ch</strong>aukelt bedenkl<strong>i<strong>ch</strong></strong>,<br />
und <strong>i<strong>ch</strong></strong> rufe, ob denn n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t vorne und hinten<br />
einer mit den Holzrudern das S<strong>ch</strong>iff in die<br />
r<strong>i<strong>ch</strong></strong>tige R<strong>i<strong>ch</strong></strong>tung bringen könne. Das funktioniert<br />
aber n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t, ein lä<strong>ch</strong>erl<strong>i<strong>ch</strong></strong>es Unter -<br />
fangen bei diesem Seegang.<br />
bei denen das Wasser s<strong>ch</strong>on in der Kabine<br />
stand, als sie geweckt wurden, und deshalb<br />
verständl<strong>i<strong>ch</strong></strong>erweise ein wenig in Eile gerieten.<br />
Das kleine Boot s<strong>ch</strong>aukelt und s<strong>ch</strong>lingert entsetzl<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
und unaufhörl<strong>i<strong>ch</strong></strong>, mir s<strong>ch</strong>merzt bald<br />
Jetzt ents<strong>ch</strong>eidet der Kapitän, au<strong>ch</strong> die a<strong>ch</strong>t<br />
der Rücken, weil die Auf- und Ab wärts -<br />
Zodiaks, die je zwölf bis 15 Passagiere fassen, Auf dem Wasser<br />
bewegungen immer ausgegl<strong>i<strong>ch</strong></strong>en werden<br />
vom obersten Deck hinunterzulassen. Die<br />
Benzintanks der Aussenbordmotoren sind<br />
gefüllt. Do<strong>ch</strong> die s<strong>ch</strong>weren Zodiaks können<br />
n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t wie die Rettungsboote manuell gewassert<br />
werden, dafür benötigt man Strom. Und<br />
der ist jetzt n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t mehr da. Wenigstens n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t<br />
dort, wo man ihn bräu<strong>ch</strong>te. Der Chef -<br />
ingenieur arbeitet s<strong>i<strong>ch</strong></strong> deshalb no<strong>ch</strong>mals zum<br />
Mas<strong>ch</strong>inenraum dur<strong>ch</strong> – das Wasser steht<br />
ihm bis zur Brust.<br />
Es gelingt ihm, alle no<strong>ch</strong> verfügbaren Strom -<br />
quellen zusammenzufassen und zur Zodiak -<br />
station umzuleiten. Der Strom sollte für 20<br />
Minuten re<strong>i<strong>ch</strong></strong>en, lässt der Ingenieur verlauten.<br />
Bis dann müssen alle Boote unten sein.<br />
Es ist 1.15 Uhr.<br />
Endl<strong>i<strong>ch</strong></strong> werden die Rettungsboote runtergelassen.<br />
Allerdings ohne laufende Motoren. Es<br />
ist deshalb extrem s<strong>ch</strong>wierig, vom S<strong>ch</strong>iff<br />
wegzukommen, die Wellen s<strong>ch</strong>lagen es<br />
Gottlob eilen die Zodiaks, die inzwis<strong>ch</strong>en<br />
gewassert sind, herbei, binden Seile an die<br />
Rettungsboote, ziehen sie vom S<strong>ch</strong>iff weg<br />
und r<strong>i<strong>ch</strong></strong>ten sie gegen die Wellen aus. An<br />
jedem Rettungsboot muss permanent ein<br />
Zodiak ziehen – solange das Benzin re<strong>i<strong>ch</strong></strong>t.<br />
Bis jetzt s<strong>ch</strong>eint alles gut gegangen zu sein.<br />
Einige der Passagiere, die offenbar in den<br />
Rettungsbooten keinen Platz fanden, hocken<br />
in den Zodiaks. Dort spritzt jede Welle das<br />
ganze Boot voll, viel s<strong>ch</strong>limmer als bei uns.<br />
Ausserdem sind Zodiaks bei rauem Wetter<br />
(bei dem man keine Landungen ma<strong>ch</strong>en<br />
würde) n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t s<strong>i<strong>ch</strong></strong>er und deshalb au<strong>ch</strong> n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t<br />
als Ersatz für Rettungsboote zugelassen.<br />
I<strong>ch</strong> sitze in einer Montur vergle<strong>i<strong>ch</strong></strong>bar etwa<br />
mit derjenigen, die Neil Armstrong bei der<br />
Mondlandung getragen hat, hautnah neben<br />
Dora auf der einen und ebenso hautnah neben<br />
einer üppigen Holländerin auf der anderen<br />
müssen, stundenlang. Wird es ein Massen -<br />
erbre<strong>ch</strong>en geben? Man beginnt, s<strong>i<strong>ch</strong></strong> auf eine<br />
lange Na<strong>ch</strong>t einzur<strong>i<strong>ch</strong></strong>ten. Dunkel ist es n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t.<br />
Kälte und Nässe greifen um s<strong>i<strong>ch</strong></strong>, Wind stärke<br />
4, keine hohen, aber trotzdem harte Wellen<br />
aus allen R<strong>i<strong>ch</strong></strong>tungen.<br />
Angst kommt zumindest in unserem Boot<br />
n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t spürbar auf, dazu bleibt gar keine Zeit.<br />
Jeder und jede ist unaufhörl<strong>i<strong>ch</strong></strong> damit<br />
bes<strong>ch</strong>äftigt zu überlegen, wel<strong>ch</strong>e Mass -<br />
nahmen man no<strong>ch</strong> ergreifen könnte, um die<br />
Situation, besonders wenn sie länger dauern<br />
wird, zu verbessern. Und man denkt s<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
Szenarien aus, was uns bevorstehen könnte:<br />
Stärkerer Wind, s<strong>ch</strong>limmstenfalls ein Sturm,<br />
das Kentern eines Bootes, weil den Zodiaks<br />
der Treibstoff ausgeht und sie die motorlos<br />
dahin treibenden Nusss<strong>ch</strong>alen n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t mehr<br />
ausr<strong>i<strong>ch</strong></strong>ten können. Oder – eine ernsthafte<br />
Ge fahr – das Ers<strong>ch</strong>einen unübers<strong>ch</strong>aubarer<br />
immer wieder zurück, es besteht die Gefahr Seite. Au<strong>ch</strong> am Boden ist keine Mengen von Eisbergen. Und wahrs<strong>ch</strong>einl<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
des Kenterns. Wir stossen uns mit den beiden<br />
langen Holzrudern wie Besessene von der<br />
S<strong>ch</strong>iffswand weg.<br />
Endl<strong>i<strong>ch</strong></strong> sind wir frei, aber immer no<strong>ch</strong> viel<br />
zu nahe am S<strong>ch</strong>iff. Das Boot stellt s<strong>i<strong>ch</strong></strong> quer,<br />
so dass die Wellen an die Breitseite des<br />
«Fussfreiheit». Das Adrenalin ist in Strömen<br />
geflossen, das verhindert wohl die See krank -<br />
heit, und man leidet trotz der Nässe n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t so<br />
sehr unter der Kälte. Ausgenommen jene, die<br />
beim Alarm sehr ras<strong>ch</strong> auf Deck sein wollten<br />
und nun zu le<strong>i<strong>ch</strong></strong>t bekleidet sind. Und jene,<br />
denkt jeder irgendwann mal an die<br />
«Titanic»...<br />
Do<strong>ch</strong> für den Augenblick stehen unsere<br />
Chancen n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t: Das Wetter ist für<br />
antarktis<strong>ch</strong>e Verhältnisse gut, und der<br />
Kapitän hat ja no<strong>ch</strong> auf dem S<strong>ch</strong>iff infor- »<br />
18<br />
<strong>Polar</strong> NEWS<br />
19<br />
Dass viele Leserinnen und Leser trotzdem einen Beitrag an unsere Arbeit geben <strong>mö<strong>ch</strong>te</strong>n, liegt n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t daran, dass unser Heft<br />
«einen Wert» erhalten soll, sondern weil sie <strong>Polar</strong>NEWS unterstützen <strong>mö<strong>ch</strong>te</strong>n. Wir haben uns deshalb ents<strong>ch</strong>lossen, diesen<br />
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19
Informationen und Bezugsquellen: 031 951 71 81 oder www.irox.<strong>ch</strong><br />
Das grosse Aufatmen: Die «Nordnorge» und die «Endeavour» sind beide beim Unfallort eingetroffen. Jetzt sind die S<strong>ch</strong>iffbrü<strong>ch</strong>igen so gut wie in S<strong>i<strong>ch</strong></strong>erheit.<br />
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miert, dass Hilfe unterwegs sei. Bei der verständl<strong>i<strong>ch</strong></strong>en<br />
Tendenz zur Bes<strong>ch</strong>önigung der<br />
Situation muss man s<strong>i<strong>ch</strong></strong> aber realistis<strong>ch</strong>erweise<br />
darauf einstellen, dass es sehr wohl<br />
au<strong>ch</strong> länger als fünf Stunden dauern könnte,<br />
bis wir gerettet werden.<br />
Au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong>dem die Sonne untergegangen<br />
ist, bleibt in dieser Jahreszeit in diesen<br />
Breiten graden ein heller Streifen am<br />
Horizont. Alle Boote haben deshalb<br />
S<strong>i<strong>ch</strong></strong>tkontakt zu einander – vermute <strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
jeden falls, denn s<strong>i<strong>ch</strong></strong> um drehen und selber<br />
na<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>auen kann keiner in dieser Enge. Es<br />
werden jetzt hau<strong>ch</strong>dünne, folienbes<strong>ch</strong><strong>i<strong>ch</strong></strong>tete<br />
Rettungsmäntel aus der Notkiste jedes<br />
Bootes ausgegeben, aber nur die wenigsten<br />
können sie anziehen, weil man au<strong>ch</strong> mit den<br />
Füssen beziehungsweise den Stiefeln hineinsteigen<br />
müsste, und so viel Raum hat<br />
kaum einer. Aber man kann die Folie über<br />
den Rücken legen und au<strong>ch</strong> den Kopf vor<br />
dem Spritzwasser s<strong>ch</strong>ützen – das ist do<strong>ch</strong><br />
s<strong>ch</strong>on etwas.<br />
Immer s<strong>ch</strong>ön die Füsse, die Hände und die<br />
S<strong>ch</strong>ultern bewegen, unablässig, dann bleibt’s<br />
warm.<br />
Eng, kalt und peinl<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
Es wird wenig gespro<strong>ch</strong>en. Die Holländerin<br />
ist ohnehin n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t anspre<strong>ch</strong>bar, sie starrt nur<br />
geradeaus, realisiert kaum, dass <strong>i<strong>ch</strong></strong> ihr den<br />
Rettungsmantel über die S<strong>ch</strong>ulter lege, was<br />
n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t so einfa<strong>ch</strong> ist, wie es klingt.<br />
Dann etwas Wunders<strong>ch</strong>önes: Um 3.30 Uhr<br />
geht die Sonne auf, zwis<strong>ch</strong>en einigen kleineren<br />
Wolken. Prä<strong>ch</strong>tig. Viele denken jetzt<br />
s<strong>i<strong>ch</strong></strong>er: «Das letzte Mal.» Auf der einen Seite<br />
die aufgehende Sonne, auf der andern das<br />
sinkende, s<strong>ch</strong>räg im Wasser liegende S<strong>ch</strong>iff,<br />
dazwis<strong>ch</strong>en einige kleinere Eis platten, weit<br />
verstreut die Rettungsboote und die Zodiaks.<br />
Es gelingt mir, unter meinen Kleider -<br />
s<strong>ch</strong><strong>i<strong>ch</strong></strong>ten die Kamera herauszugraben und<br />
einige Fotos von der Sonne und dem S<strong>ch</strong>iff<br />
zu ma<strong>ch</strong>en. Bilder, die man n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t vergessen<br />
wird. Auf der einen Seite des Horizonts ist<br />
der Himmel ganz s<strong>ch</strong>warz. Wenn das nur<br />
n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t ein herannahender Sturm ist!<br />
Eigentl<strong>i<strong>ch</strong></strong> könnte man jetzt fürs erste mal tief<br />
dur<strong>ch</strong>atmen. Do<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on bald ergeben s<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
neue Probleme: I<strong>ch</strong> müsste dringend mal pinkeln...<br />
S<strong>ch</strong>wankend kann <strong>i<strong>ch</strong></strong> aufstehen und<br />
m<strong>i<strong>ch</strong></strong> um eine A<strong>ch</strong>teldrehung von der<br />
Holländerin wegbewegen zum Boots rand<br />
hin. Aber das ist keineswegs nahe genug.<br />
Leute halten m<strong>i<strong>ch</strong></strong>. I<strong>ch</strong> arbeite m<strong>i<strong>ch</strong></strong> dur<strong>ch</strong> vier<br />
Paar Hosen und den Rettungsmantel hindur<strong>ch</strong>.<br />
Die Rettungsmäntel waren in<br />
Plastiksäcklein eingepackt. Es gelingt mir,<br />
eine sol<strong>ch</strong>e Tüte zu füllen und den Inhalt dann<br />
ins Wasser zu leeren. Das ist peinl<strong>i<strong>ch</strong></strong>. Jeder<br />
bemüht s<strong>i<strong>ch</strong></strong> wegzus<strong>ch</strong>auen, aber wirkl<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
abwenden kann s<strong>i<strong>ch</strong></strong> keiner. Kurz na<strong>ch</strong> mir ist<br />
die Holländerin in der gle<strong>i<strong>ch</strong></strong>en Lage, später<br />
au<strong>ch</strong> Dora. Die Frauen benutzen den Platz,<br />
den es eigentl<strong>i<strong>ch</strong></strong> gar n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t gibt, auf dem<br />
Bootsboden und pinkeln einfa<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en die<br />
Lattung hindur<strong>ch</strong>. Wenn die Not grösser ist<br />
als die S<strong>ch</strong>am...<br />
Wir fühlen uns jetzt verhältnismässig zieml<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
wohl: Solange kein Sturm aufkommt und<br />
uns kein Eisberg zu nahe kommt, kann eigentl<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t viel passieren. Es ist nur un -<br />
angenehm. Gegen halb se<strong>ch</strong>s Uhr hören wir<br />
dann einen Helikopter. Wir sind erle<strong>i<strong>ch</strong></strong>tert,<br />
alle haben das Gefühl, «gefunden» worden zu<br />
sein. Es ist die <strong>ch</strong>ilenis<strong>ch</strong>e Luftwaffe. Dann<br />
fliegt ein zweiter Helikopter herbei, er trägt<br />
keine militäris<strong>ch</strong>en Kennze<strong>i<strong>ch</strong></strong>en: Es muss<br />
also einer von einem S<strong>ch</strong>iff sein. Das bedeutet,<br />
dass unser Rettungss<strong>ch</strong>iff n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t mehr weit<br />
weg ist.<br />
Endl<strong>i<strong>ch</strong></strong> an Bord...<br />
Tatsä<strong>ch</strong>l<strong>i<strong>ch</strong></strong>: Eine halbe Stunde später dringen<br />
Blinksignale eines S<strong>ch</strong>iffes dur<strong>ch</strong> die mittlerweile<br />
dunklen Wolken am Horizont. Es ist die<br />
«Endeavour». Wel<strong>ch</strong> eine Erle<strong>i<strong>ch</strong></strong>terung! Und<br />
gle<strong>i<strong>ch</strong></strong> hinter der «Endeavour» naht die «Nord-<br />
norge», ein sehr grosses, luxuriöses Kreuz -<br />
fahrts<strong>ch</strong>iff. Jetzt ändert die Stimmung! Leute,<br />
die bisher erstarrt im Boot sassen und n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t<br />
anspre<strong>ch</strong>bar waren, bre<strong>ch</strong>en in Tränen aus. »<br />
<strong>Polar</strong> NEWS 21
Endl<strong>i<strong>ch</strong></strong> in S<strong>i<strong>ch</strong></strong>erheit: Auf der «Nordnorge» werden die S<strong>ch</strong>iffbrü<strong>ch</strong>igen erstmal mit warmen Decken und heissen Getränken versorgt.<br />
Ein Hangar der Militärstation wird zur Notunterkunft umfunktioniert. Die Hälfte der S<strong>ch</strong>iffbrü<strong>ch</strong>igen wird hier untergebra<strong>ch</strong>t.<br />
Die «Endeavour» übernimmt die Passagiere<br />
der Zodiaks; die S<strong>ch</strong>iffbrü<strong>ch</strong>igen in den<br />
Rettungsbooten sollen bei der «Nordnorge»<br />
an Bord. Das geht natürl<strong>i<strong>ch</strong></strong> n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t ohne die<br />
Hilfe der Zodiaks, teilweise au<strong>ch</strong> jener der<br />
«Nordnorge». Denn Rettungsboote können<br />
n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t direkt am S<strong>ch</strong>iff anlegen. Wir müssen<br />
uns einer na<strong>ch</strong> dem anderen auf die s<strong>ch</strong>aukelnden,<br />
nassen S<strong>ch</strong>lau<strong>ch</strong>boote «hinüberwerfen»<br />
und werden dann an den Landungs steg<br />
der «Nordnorge» gebra<strong>ch</strong>t. Na<strong>ch</strong> fünf<br />
Stunden auf offenem Meer sind wir endl<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
in S<strong>i<strong>ch</strong></strong>erheit.<br />
Jetzt geht alles wie am S<strong>ch</strong>nür<strong>ch</strong>en: Toiletten,<br />
Handtü<strong>ch</strong>er, trockene Kleider, heisser<br />
Kaffee. Die S<strong>ch</strong>iffsärzte haben n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t viel zu<br />
tun: Ausser einigen S<strong>ch</strong>ockbehandlungen<br />
fällt für sie n<strong>i<strong>ch</strong></strong>ts an. Einer hat s<strong>i<strong>ch</strong></strong> den<br />
Knö<strong>ch</strong>el gebro<strong>ch</strong>en. Bei einem Appell er -<br />
weist s<strong>i<strong>ch</strong></strong>, dass niemand fehlt. Ein Paar aus<br />
Dänemark hat s<strong>i<strong>ch</strong></strong> im Rettungsboot verlobt.<br />
Wir werden auf einem eleganten Panorama -<br />
deck untergebra<strong>ch</strong>t, von wo aus wir den<br />
«Todeskampf» der sinkenden «Explorer»<br />
betra<strong>ch</strong>ten können, während wir uns aus den<br />
Klamotten s<strong>ch</strong>älen und aufwärmen. Sie war<br />
ein gutes S<strong>ch</strong>iff; sie tut uns leid. Die<br />
Passagiere der «Nordnorge» sind – dafür,<br />
dass wir ihr Reiseprogramm ruiniert haben –<br />
sehr freundl<strong>i<strong>ch</strong></strong>, teilnahmsvoll und zuvorkommend.<br />
Sie haben sogar eine Kleider -<br />
sammlung organisiert, jeder von uns kann<br />
s<strong>i<strong>ch</strong></strong> etwas davon nehmen. Ausserdem erhalten<br />
wir von der S<strong>ch</strong>iffsboutique neue, warme<br />
Sa<strong>ch</strong>en. Enorm grosszügig. Ein ganz grosses,<br />
feines Frühstücksbuffet ist aufgetis<strong>ch</strong>t, später<br />
au<strong>ch</strong> ein Lun<strong>ch</strong>buffet mit leckeren skandinavis<strong>ch</strong>en<br />
Spezialitäten. Uns geht’s gut! Die<br />
Passagiere nehmen herzl<strong>i<strong>ch</strong></strong> Anteil. Au<strong>ch</strong> darf<br />
jeder S<strong>ch</strong>iffbrü<strong>ch</strong>ige eine Minute lang telefonieren<br />
– sofern er die Telefon nummer auswendig<br />
kennt. Jetzt erst wird Dora und mir<br />
bewusst, dass wir über keinerlei Nummern,<br />
Angaben oder Adressen mehr verfügen. Wir<br />
können niemanden anrufen. Internet ist nur<br />
sehr bes<strong>ch</strong>ränkt vorhanden, viel zu wenig für<br />
alle und streng rationiert.<br />
Die «Nordnorge» nimmt Fahrt auf und<br />
erre<strong>i<strong>ch</strong></strong>t am Na<strong>ch</strong>mittag den Eduardo<br />
Frei/Marsh-Stützpunkt, eine <strong>ch</strong>ilenis<strong>ch</strong>e<br />
Militär- und Fors<strong>ch</strong>ungsbasis auf den South<br />
Shetlands. Dort sollten wir an Land gehen,<br />
können aber mit den Zodiaks n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t ablegen,<br />
weil der Wind stark zugenommen hat. Es hat<br />
inzwis<strong>ch</strong>en angefangen zu s<strong>ch</strong>neien, der<br />
S<strong>ch</strong>nee fegt jetzt horizontal übers Wasser.<br />
Gottlob war das am Morgen n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t so.<br />
...und wieder an Land<br />
Wir erfahren, dass die «Nordnorge» zur Zeit<br />
des Notrufs in der Drake-Passage steckte, bei<br />
Windstärke 9 und 7 Meter hohen Wellen...<br />
Wir hätten sowas n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t überlebt. Niemals.<br />
Erst um 18 Uhr können wir einen Anlande -<br />
versu<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en mit den stabileren und stärker<br />
motorisierten Zodiaks der «Nordnorge».<br />
Einige der S<strong>ch</strong>iffbrü<strong>ch</strong>igen haben grosse<br />
Mühe, wieder in die Boote zu steigen,<br />
besonders unter den gegenwärtigen Wetter -<br />
be dingungen. Aber es gibt keine Alternative.<br />
Sie haben s<strong>ch</strong>liessl<strong>i<strong>ch</strong></strong> eine Expeditionsreise<br />
gebu<strong>ch</strong>t...<br />
An Land dann eine halbe Stunde dur<strong>ch</strong> den<br />
Neus<strong>ch</strong>nee stapfen, jeder mit einem Plastik -<br />
sack mit den neu erstandenen Habseligkeiten<br />
in der Hand. Das Militär erwartet uns in<br />
einem riesigen Hangar, wo man erst mal<br />
unsere Personalien aufnimmt. Au<strong>ch</strong> Militär -<br />
medien sind s<strong>ch</strong>on da. Die eine Hälfte von<br />
uns und die Besatzung s<strong>ch</strong>lafen im geheizten<br />
Hangar auf Prits<strong>ch</strong>en; Dora und <strong>i<strong>ch</strong></strong> gehören<br />
zu jenen, denen «VIP-Behandlung» in einer<br />
Fors<strong>ch</strong>ungsstation zuteil wird. Was aber<br />
bedeutet, dass wir uns mit einem Pisten -<br />
fahrzeug erneut dur<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>nee und Wind<br />
kämpfen müssen.<br />
Auf der Station empfängt uns eine perfekt<br />
Englis<strong>ch</strong> spre<strong>ch</strong>ende Wissens<strong>ch</strong>aftlerin. Alle<br />
Abflug von der Militärbasis R<strong>i<strong>ch</strong></strong>tung Punta Arenas. Die erste Gruppe<br />
der Geretteten besteigt die Herkules C-130.<br />
Setzt s<strong>i<strong>ch</strong></strong> medienwirksam in Szene, hilft aber<br />
effizient: Der Luftwaffengeneral der Militärbasis.<br />
werden in verhältnismässig komfortablen<br />
Doppelzimmern untergebra<strong>ch</strong>t, Gemein -<br />
s<strong>ch</strong>afts dus<strong>ch</strong>en, gute Verpflegung. Das<br />
Fernsehen zeigt die letzten Minuten der<br />
Explorer, die inzwis<strong>ch</strong>en gesunken ist.<br />
Wann wir ausfliegen können, weiss no<strong>ch</strong> niemand.<br />
Au<strong>ch</strong> Fliegen ist hier extrem vom<br />
Wetter abhängig. Es könnte Tage dauern.<br />
Do<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on am nä<strong>ch</strong>sten Tag kann die erste<br />
Hälfte der Geretteten starten – wir gehören<br />
dazu. Die Armee s<strong>ch</strong>ickt einen Herkules-<br />
C130-Transporter und fliegt sogar den<br />
Luftwaffengeneral ein, der s<strong>i<strong>ch</strong></strong> hier jedem<br />
persönl<strong>i<strong>ch</strong></strong> mit Händes<strong>ch</strong>ütteln vorstellt und<br />
uns ans<strong>ch</strong>liessend mit einer Anspra<strong>ch</strong>e au<strong>ch</strong><br />
no<strong>ch</strong> medienwirksam begrüsst. Wahrs<strong>ch</strong>ein -<br />
l<strong>i<strong>ch</strong></strong> ist der General und n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t das Wetter die<br />
Ursa<strong>ch</strong>e, dass wir erst am Na<strong>ch</strong>mittag abfliegen<br />
können.<br />
Der Flug na<strong>ch</strong> Punta Arenas in Chile dauert<br />
fast drei Stunden. Gegen Ende der Reise<br />
bahne <strong>i<strong>ch</strong></strong> mir den Weg zwis<strong>ch</strong>en den fast so<br />
eng wie im Rettungsboot sitzenden Passa -<br />
gieren hindur<strong>ch</strong>. Unten stehen zwei Offi ziere<br />
als Wa<strong>ch</strong>e an der Treppe, oben sind die zwei<br />
Piloten, der Navigator und no<strong>ch</strong> zwei<br />
Uniformierte – a<strong>ch</strong> ja, den einen kenne <strong>i<strong>ch</strong></strong>,<br />
es ist der General. Er zeigt mir sehr freundl<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
und sehr ausführl<strong>i<strong>ch</strong></strong> die Instrumente und<br />
Karten, erlaubt mir zu fotografieren, au<strong>ch</strong> ihn<br />
selber. I<strong>ch</strong> kann m<strong>i<strong>ch</strong></strong> fast n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t mehr zurückziehen.<br />
Zum Dank frage <strong>i<strong>ch</strong></strong> ihn s<strong>ch</strong>liessl<strong>i<strong>ch</strong></strong>, ob er<br />
s<strong>i<strong>ch</strong></strong> fotografieren lassen wolle mit dem dänis<strong>ch</strong>en<br />
Pär<strong>ch</strong>en, das s<strong>i<strong>ch</strong></strong> im Rettungs boot verlobt<br />
hat. Der Däne hat den Diamant ring in<br />
seiner Brusttas<strong>ch</strong>e. Damit will <strong>i<strong>ch</strong></strong> dem lieben »<br />
22<br />
<strong>Polar</strong> NEWS<br />
<strong>Polar</strong> NEWS 23
Kaum in Punta Arenas angekommen, geht der<br />
ganz grosse Medienrummel los.<br />
General die Mögl<strong>i<strong>ch</strong></strong>keit geben, ein s<strong>ch</strong>önes<br />
Bild in die Presse zu bringen. Dass genau<br />
dieses Bild später um die Welt gehen würde,<br />
kann <strong>i<strong>ch</strong></strong> ja n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t ahnen... S<strong>ch</strong>on als wir in<br />
Punta Arenas ankommen, wirft s<strong>i<strong>ch</strong></strong> die<br />
gesamte versammelte Presse meute auf das<br />
dänis<strong>ch</strong>e Pär<strong>ch</strong>en, natürl<strong>i<strong>ch</strong></strong> mit dem wohlwollenden<br />
General daneben stehend, der<br />
seine Popularität stündl<strong>i<strong>ch</strong></strong> wa<strong>ch</strong>sen sieht.<br />
Im Flughafengebäude begrüsst uns die<br />
Stellvertreterin der Präsidentin der Nation,<br />
und s<strong>ch</strong>liessl<strong>i<strong>ch</strong></strong> werden wir zu einem guten<br />
Hotel an der Maghelanstrait gefahren. Jetzt<br />
kommen neue Sorgen auf uns zu: Wir haben<br />
keinen Rappen Bargeld und keine Kredit -<br />
karten. Was tun? Vor dem Hotel steht die<br />
Reportermeute. I<strong>ch</strong> gewähre der Reporterin<br />
der englis<strong>ch</strong>en Boulevardzeitung «Sun» ein<br />
Interview und verkaufe ihr meine Bilder aus<br />
dem Rettungsboot für 200 Dollar. Das ist<br />
s<strong>ch</strong>on mal ein Anfang.<br />
Zurück na<strong>ch</strong> Hause<br />
Die Leute des Reiseveranstalters GAP (Great<br />
Adventure People; den Namen haben sie verdient,<br />
au<strong>ch</strong> wenn sie n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t jedes Mal ein<br />
S<strong>ch</strong>iff versenken können) ma<strong>ch</strong>en einen fantastis<strong>ch</strong>en<br />
Job: Hundert Leute müssen heute<br />
Abend untergebra<strong>ch</strong>t und verpflegt werden.<br />
Die meisten von ihnen haben n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t einmal<br />
S<strong>ch</strong>uhe, da sie in den kniehohen Wellington-<br />
Boots im Boot sassen. Alle wollen sie ihre<br />
Lieben informieren. Praktis<strong>ch</strong> keiner hat<br />
Geld oder Kreditkarten. Jeder hat andere<br />
Bedürfnisse, Wüns<strong>ch</strong>e und An sprü<strong>ch</strong>e. Und<br />
morgen früh wird bereits die zweite Hälfte<br />
der Passagiere mit der Herkules eingeflogen.<br />
Beim Na<strong>ch</strong>tessen kommt der Kapitän der<br />
«Explorer», der als letzter von Bord gegangen<br />
war, ins Restaurant. Er wird jubelnd<br />
begrüsst und beklats<strong>ch</strong>t, alle mögen ihn und<br />
alle wissen, dass er eine s<strong>ch</strong>wierige Zeit vor<br />
s<strong>i<strong>ch</strong></strong> hat. Am nä<strong>ch</strong>sten Tag, es ist ein Sonntag,<br />
erhalten wir die Mögl<strong>i<strong>ch</strong></strong>keit, die notwendigsten<br />
Dinge einzukaufen. Alle Ges<strong>ch</strong>äfte in<br />
Punta Arenas sind heute ges<strong>ch</strong>lossen, aber<br />
die GAP hat erre<strong>i<strong>ch</strong></strong>t, dass ein Warenhaus<br />
auss<strong>ch</strong>liessl<strong>i<strong>ch</strong></strong> für uns das Verkaufspersonal<br />
zusammentrommelt und seine Türen öffnet.<br />
Mit Kleinbussen werden wir gruppenweise<br />
hingefahren. Wir benötigen vor allem<br />
S<strong>ch</strong>uhe, Socken, Toiletten artikel, Gepäck -<br />
stücke, Lesebrillen, Hemden und T-Shirts<br />
Der Flug in der Herkules dauert drei Stunden. Es ist sehr eng. Aber das stört niemanden.<br />
Peter Kunz<br />
Peter Kunz, 70, wohnt mit seiner<br />
Partner in Dora Senn in Zür<strong>i<strong>ch</strong></strong>. Bis zu<br />
seiner Pensionierung arbeitete er als<br />
Vers<strong>i<strong>ch</strong></strong>erungsberater bei der «Zür<strong>i<strong>ch</strong></strong>»,<br />
seither frönt er mit Dora dem gemeinsamen<br />
Hobby Reisen. Ihr Trip mit der<br />
«Explorer» war n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t Peters erster<br />
Ausflug in die Antarktis. Aber s<strong>i<strong>ch</strong></strong>er sein<br />
aufregendster.<br />
oder eine Jacke. Ein Arzt steht zur Verfügung<br />
und stellt Rezepte aus.<br />
Gestaffelt fliegen die Leute nun na<strong>ch</strong><br />
Hause, die meisten über Santiago und von<br />
dort weiter an die Zieldestination. Alle<br />
Tickets müssen neu gebu<strong>ch</strong>t werden. Na<strong>ch</strong><br />
zwei Tagen ist weit über die Hälfte der<br />
Leute bereits ausgeflogen, Dora und <strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
sind inzwis<strong>ch</strong>en in Buenos Aires angekommen.<br />
Hier warten wir im Hotel auf den<br />
Weiterflug na<strong>ch</strong> Zür<strong>i<strong>ch</strong></strong>. In Punta Arenas<br />
sind no<strong>ch</strong> die zumeist philippinis<strong>ch</strong>en<br />
Besatzungsmitglieder zurückgeblieben. Sie<br />
sind sehr frustriert und traurig. Einige<br />
arbeiteten s<strong>ch</strong>on seit Jahren auf der<br />
«Explorer»; jetzt haben sie keine Stelle<br />
mehr, müssen na<strong>ch</strong> Hause, und es ist<br />
s<strong>ch</strong>wierig, wieder einen Job zu kriegen,<br />
besonders einen so guten auf einem S<strong>ch</strong>iff.<br />
In Buenos Aires empfängt uns der<br />
S<strong>ch</strong>weizer Bots<strong>ch</strong>after; wir erhalten ein<br />
paar hundert Franken «Notgeld». Nun können<br />
wir no<strong>ch</strong> einige Einkäufe ma<strong>ch</strong>en. Wir<br />
freuen uns, bald wieder zu Hause zu sein.<br />
Was wir erlebt haben, kommt mir vor wie<br />
ein Traum, und <strong>i<strong>ch</strong></strong> denke: unglaubl<strong>i<strong>ch</strong></strong>!<br />
I<strong>ch</strong> bin sehr dankbar, dass wir diesen Unfall<br />
n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t mit dem Leben bezahlt haben. So<br />
s<strong>ch</strong>nell hätte es vorbei sein können. Und<br />
trotzdem: Was wir bisher von der Antarktis<br />
gesehen haben, war so faszinierend, dass<br />
wir auf jeden Fall so bald wie mögl<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
no<strong>ch</strong>mals hin wollen.<br />
<strong>Polar</strong>NEWS<br />
Rettung<br />
Arne Kertelhein begleitet als Wissens<strong>ch</strong>aftler S<strong>ch</strong>iffs<strong>reisen</strong> in alle<br />
Welt, vorzugsweise in polare Gegenden. Als die «Explorer» unterging,<br />
befand er s<strong>i<strong>ch</strong></strong> auf der «Nordnorge» und beteiligte s<strong>i<strong>ch</strong></strong> an der<br />
Bergung der S<strong>ch</strong>iff brü<strong>ch</strong>igen. Hier sein Ber<strong>i<strong>ch</strong></strong>t aus der S<strong>i<strong>ch</strong></strong>t des<br />
Retters.<br />
I<strong>ch</strong> war in der Na<strong>ch</strong>t wa<strong>ch</strong> ge -<br />
worden und hatte aus dem<br />
Fenster ges<strong>ch</strong>aut, um s<strong>ch</strong>on mal<br />
die Wetterverhältnisse des neuen<br />
Tages zu beguta<strong>ch</strong>ten. Dabei<br />
wunderte <strong>i<strong>ch</strong></strong> m<strong>i<strong>ch</strong></strong>, dass wir<br />
re<strong>ch</strong>t gute Fahrt ma<strong>ch</strong>ten und<br />
s<strong>ch</strong>einbar auf dem offenen Meer<br />
unterwegs waren. Na<strong>ch</strong> dem wir<br />
gestern Na<strong>ch</strong> mittag Halfmoon<br />
Island bei Livingston Island auf<br />
den Südshetlands besu<strong>ch</strong>t hatten<br />
und für heute Vormittag nur<br />
Yankee Harbour auf der anderen<br />
Seite der McFarlane Strait auf<br />
dem Programm stand, war das<br />
sehr merkwürdig, s<strong>ch</strong>liessl<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
war das keine grosse Ent fernung,<br />
man kann da sozusagen hin -<br />
sehen.<br />
Kurz darauf – es wird etwa 3:30<br />
Uhr gewesen sein – klingelte<br />
mein Telefon. Marco, ein Kollege<br />
aus dem Expeditions team, sagte<br />
nur knapp: «Die „Explorer“<br />
sinkt. Ma<strong>ch</strong> d<strong>i<strong>ch</strong></strong> fertig und<br />
komm auf die Brücke.» Nun<br />
war mir klar, warum wir n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t<br />
mehr auf unserer Position<br />
waren.<br />
Auf der Brücke bespra<strong>ch</strong>en der<br />
Kapitän, einige Offiziere und<br />
unser Expeditionsleiter die<br />
Situation. S<strong>ch</strong>on gegen 2:00<br />
Uhr hatten sie den Hilferuf der<br />
«Explorer» empfangen und s<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
sofort auf den Weg gema<strong>ch</strong>t.<br />
Die «Nordnorge» fuhr mit<br />
Hö<strong>ch</strong>stges<strong>ch</strong>windigkeit, da man<br />
wusste, dass Passagiere und<br />
Crew die «Explorer» bereits<br />
verlassen hatten und in den<br />
Rettungsbooten auf Hilfe warteten.<br />
Aber trotzdem würden wir<br />
n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t vor 7:00 Uhr am mehr als<br />
150 Kilometer entfernten Un -<br />
glücksort südöstl<strong>i<strong>ch</strong></strong> von King<br />
George Island eintreffen können<br />
– genug Zeit aber au<strong>ch</strong>, um das<br />
weitere Vorgehen genau zu planen.<br />
Wir wussten, dass au<strong>ch</strong> die<br />
«Endeavour» auf dem Weg zum<br />
Havaristen war, aber sie war<br />
n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t so s<strong>ch</strong>nell wie wir. Bald<br />
konnten wir sie sehen und hatten<br />
sie dann au<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>nell<br />
eingeholt. Wir würden also als<br />
erstes S<strong>ch</strong>iff bei der «Explorer»<br />
sein und uns um die S<strong>ch</strong>iff -<br />
brü<strong>ch</strong>igen kümmern müssen.<br />
Natürl<strong>i<strong>ch</strong></strong> spekulierten wir au<strong>ch</strong><br />
eifrig darüber, wie es zu einem<br />
sol<strong>ch</strong>en Unglück hatte kommen<br />
können, denn die See war in dieser<br />
Na<strong>ch</strong>t n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t besonders rauh<br />
gewesen – und dass hier Eis im<br />
Wasser treibt, ist ja au<strong>ch</strong><br />
bekannt, die S<strong>ch</strong>iffe sind entspre<strong>ch</strong>end<br />
verstärkt und ausgerüstet.<br />
Wir mussten no<strong>ch</strong> ein<br />
grosses Treibeisfeld umrunden<br />
und hielten dann eifrig Aus -<br />
s<strong>ch</strong>au na<strong>ch</strong> einem S<strong>ch</strong>iff.<br />
S<strong>ch</strong>liess l<strong>i<strong>ch</strong></strong> konnten wir die<br />
«Explorer» entfernt im Morgen -<br />
dunst ausma<strong>ch</strong>en: Das S<strong>ch</strong>iff<br />
hatte s<strong>ch</strong>on re<strong>ch</strong>t stark S<strong>ch</strong>lag -<br />
seite, und in einiger Entfernung<br />
dümpelten die Rettungsboote<br />
und Zodiaks auf den Wellen.<br />
Das war ein Anblick, bei dem<br />
mir mulmig wurde. Umgeben<br />
von all der modernen Te<strong>ch</strong>nik<br />
der S<strong>ch</strong>iffe glaubt man s<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
do<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>t s<strong>i<strong>ch</strong></strong>er und absolviert<br />
die obligatoris<strong>ch</strong>e Rettungs -<br />
übung am Beginn jeder Fahrt in<br />
der Meinung, dass es einen<br />
wirkl<strong>i<strong>ch</strong></strong>en Ernstfall nie geben<br />
wird. Aber hier s<strong>ch</strong>aukelten nun<br />
150 dur<strong>ch</strong>gefrorene Mens<strong>ch</strong>en<br />
fernab vom Land zwis<strong>ch</strong>en den<br />
Eisbergen neben ihrem sinkenden<br />
S<strong>ch</strong>iff in diesen absolut<br />
altertüml<strong>i<strong>ch</strong></strong>en offenen Rettungs -<br />
booten... Wenn das Wetter n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t<br />
so ruhig gewesen wäre, hätte<br />
man in den s<strong>ch</strong>einbar manöv -<br />
rier unfähigen Booten (sie muss -<br />
ten von den Zodiaks ges<strong>ch</strong>leppt<br />
werden) eine no<strong>ch</strong> wesentl<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
s<strong>ch</strong>limmere Zeit dur<strong>ch</strong>lebt.<br />
Um die S<strong>ch</strong>iffbrü<strong>ch</strong>igen mögl<strong>i<strong>ch</strong></strong>st<br />
s<strong>ch</strong>nell aufnehmen zu<br />
können, liessen wir eins unserer<br />
Rettungsboote zu Wasser, die<br />
Zodiaks manövrierten ein<br />
Rettungs boot na<strong>ch</strong> dem anderen<br />
längsseits, die Leute kletterten<br />
herüber, und dann s<strong>ch</strong>webten sie<br />
wie mit einem Fahrstuhl rauf auf<br />
Deck 5. Von hier ging es in den<br />
Panorama-Salon, wo die neuen<br />
Gäste mit warmen Decken versehen<br />
und verpflegt wurden.<br />
Die meisten ma<strong>ch</strong>ten trotz der<br />
langen Zeit in den Booten einen<br />
munteren Eindruck, niemand<br />
war ernsthaft verletzt oder<br />
bedrohl<strong>i<strong>ch</strong></strong> ges<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>t. Als alle<br />
an Bord waren, drehten wir<br />
no<strong>ch</strong> eine Abs<strong>ch</strong>iedsrunde um<br />
die s<strong>i<strong>ch</strong></strong> immer weiter auf die<br />
Seite neigende «Explorer». Die<br />
geretteten Passagiere hatten<br />
n<strong>i<strong>ch</strong></strong>ts mitnehmen können<br />
ausser der Kleidung, die sie am<br />
Leibe trugen, und <strong>i<strong>ch</strong></strong> da<strong>ch</strong>te<br />
etwas wehmütig daran, wie viele<br />
erstklassige Kameraausrüstungen<br />
dort nun demnä<strong>ch</strong>st auf den<br />
Grund des Meeres sinken würden...<br />
Ans<strong>ch</strong>liessend ma<strong>ch</strong>ten wir uns<br />
dann auf den Weg zur <strong>ch</strong>ilenis<strong>ch</strong>en<br />
Basis auf King George<br />
Island, von wo aus die S<strong>ch</strong>iff -<br />
brü<strong>ch</strong>igen am nä<strong>ch</strong>sten Tag ausgeflogen<br />
werden sollten. Das<br />
Unglück hatte s<strong>i<strong>ch</strong></strong> in der Welt<br />
sehr ras<strong>ch</strong> herumgespro<strong>ch</strong>en,<br />
ständig riefen Journalisten in<br />
unserem Büro an, aber der<br />
Kapitän hatte ein generelles<br />
Telefon- und Internetverbot<br />
erlassen, da er die verfügbare<br />
Sendekapazität brau<strong>ch</strong>te, um die<br />
weiteren Rettungsmassnahmen<br />
mit den <strong>ch</strong>ilenis<strong>ch</strong>en, argentinis<strong>ch</strong>en<br />
und britis<strong>ch</strong>en Behörden<br />
zu koordinieren. Alle drei<br />
Länder beanspru<strong>ch</strong>en näml<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
dieses Territorium der Antarktis<br />
für s<strong>i<strong>ch</strong></strong> und meinten somit<br />
allein zuständig zu sein – was<br />
die Sa<strong>ch</strong>e s<strong>i<strong>ch</strong></strong>er n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t vereinfa<strong>ch</strong>te.<br />
Unsere Gäste auf der «Nord -<br />
norge» akzeptierten den geänderten<br />
Tagesablauf ohne Murren,<br />
denn s<strong>ch</strong>liessl<strong>i<strong>ch</strong></strong> war allen klar,<br />
dass man in einer sol<strong>ch</strong>en<br />
Notsituation ohne Dis kussion<br />
zu aller Hilfe verpfl<strong>i<strong>ch</strong></strong>tet war –<br />
viele gaben den dur<strong>ch</strong>gefrorenen<br />
und nassen «Explorer»-Gästen<br />
etwas von ihrer Kleidung ab.<br />
Ausserdem würde es Pinguin -<br />
kolonien ja au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> am nä<strong>ch</strong>sten<br />
Tag geben: Die sinkende<br />
«Explorer» aber war ein dramatis<strong>ch</strong>er<br />
Anblick, den man so ähnl<strong>i<strong>ch</strong></strong><br />
s<strong>i<strong>ch</strong></strong>er n<strong>i<strong>ch</strong></strong>t no<strong>ch</strong> einmal erleben<br />
würde.<br />
Vor diesem Tag hatte <strong>i<strong>ch</strong></strong> es<br />
immer besonders genossen,<br />
wenn wir weit und breit das einzige<br />
S<strong>ch</strong>iff in antarktis<strong>ch</strong>en oder<br />
arktis<strong>ch</strong>en Gewässern gewesen<br />
waren. Allerdings ist dann au<strong>ch</strong><br />
niemand in der Nähe, der einem<br />
zu Hilfe kommen kann... Da sieht<br />
man die anderen S<strong>ch</strong>iffe na<strong>ch</strong> so<br />
einem Erlebnis do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> mit<br />
anderen Augen!<br />
Arne Kertelhein<br />
24<br />
<strong>Polar</strong> NEWS<br />
<strong>Polar</strong> NEWS 25