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Interview mit Titelblatt

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MÄNNER LEBEN<br />

RELIGIONEN RELOADED<br />

Religionen werden hierzulande wieder mächtiger. Den radikalen Teil ihrer Anhänger eint der hemmungslose Hass<br />

auf Homosexuelle. Ist es jetzt Zeit, selber die Hemmungen fallen zu lassen und zurückzuhassen? TEXT CHRISTIAN MENTZ<br />

Unter aufgeklärten Schwulen hat man lange geglaubt, dass Religionen als<br />

Bedrohung für Homosexuelle abgedankt haben. Persönlichkeits- und Bürgerrechte<br />

statt Kanzelmacht, Pluralismus statt Katechismus. Kaum eine<br />

gesellschaftliche Gruppe hat davon so profitiert wie Schwule und Lesben.<br />

Moraltheologische Übergriffigkeiten, die das Zusammenleben schurigelten,<br />

passten nicht zu gleichberechtigten Lebensentwürfen in Vielfalt und Toleranz.<br />

Es schien ausgemachte Sache, dass es <strong>mit</strong> Demokratie, Menschenrechten, Pluralismus auch<br />

für Homosexuelle immer nur besser werden könnte.<br />

Die Aufklärung hatte gesiegt, die Vernunft<br />

war Maß der Dinge und die Religionen wirkten<br />

wie der missgestimmte Rentner von nebenan,<br />

der „Sünde“ murmelte und <strong>mit</strong> dem<br />

Kopf wackelte. Aber wen interessierte das<br />

noch? Gott ist tot.<br />

Doch es scheint, als habe der miesgelaunte<br />

Rentner namens Religion einen Jungbrun-<br />

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Männer und verteilen den Koran. Wer sich einmal den Spaß erlaubt und <strong>mit</strong><br />

ihnen über Homosexualität zu diskutieren versucht, weiß, dass das leider doch<br />

kein Spaß ist. In Russland erklärt die orthodoxe Kirche Hand in Hand <strong>mit</strong> Putin<br />

die westliche Gesellschaft als dekandent-verschwult und daher abzulehnen.<br />

Beunruhigend ist, wie sehr die Abscheu vor Homosexualität ein gemeinsamer<br />

Markenkern der neu entflammten Frömmler ist. Waren Homosexellle als<br />

selbstverständlicher Teil der Gesellschaft für einige Jahre Symbol des gesellschaftlichen<br />

Fortschrittes, werden diejenigen lauter, die das sehr bedauern.<br />

Religion hat fast unbemerkt, geradezu klammheimlich, eine neue Relevanz<br />

erlangt: Auf dem Schlachtfeld, in den Schulen, auf der Straße, in der Politik.<br />

Fundamentalisten: Wir haben die Wahrheit für uns gepachtet<br />

Wobei: Darf man die Schlächter des Kalifats in Arabien <strong>mit</strong> den christlichen<br />

Radikalen in Schwaben oder Putin, dem Brandstifter, vergleichen? Natürlich<br />

KANN MAN DIE SCHLÄCHTER DES ISLAMISCHEN<br />

STAATES MIT RADIKALEN CHRISTEN VERGLEICHEN?<br />

gibt es gravierende Unterschiede zwischen Völkermord, Rufmord und Auftragsmord<br />

– gleich aber bleibt das Motiv: Religionsfanatismus. Größenwahnsinnige<br />

religiöse Überhöhung der eigenen Exklusivität <strong>mit</strong> Allmachts- und<br />

Deutungsanspruch für den Rest der Minderbegabten und Minderbegeisterten.<br />

Kurz gesagt: Sie haben die Wahrheit, die einzige Wahrheit und haben<br />

diese für sich gepachtet. Wie alle Wahnsinnigen. Und wie alle wahnsinnig Religiösen.<br />

Eiferer, Fundamentalisten jeglicher Couleur, Sakral-Ideologen.<br />

FOTOS RALF KÖNIG: „PROTOTYP“/ROWOHLT<br />

nen entdeckt. Oder schlimmer noch: Als<br />

steige er als wilder Jungmann aus demselben:<br />

Was nicht rechtzeitig die Flucht ergreift<br />

oder verzweifelt zwangskonvertiert,<br />

wird von mordenden Horden geköpft für<br />

Allah und das Männerparadies ISIS.<br />

Abscheu vor Homosexualität als gemeinsamer<br />

Markenkern der neu entflammten<br />

Frömmler<br />

Christliche Netzwerke bringen in Baden-<br />

Württemberg Tausende auf die Straße<br />

gegen Homosexuelle und Aufklärung an<br />

Schulen. In den Einkaufsstraßen stehen<br />

junge muslimische, bartgeschmückte<br />

Gibt es eine schwule Reaktion?<br />

Wie nun als Schwuler da<strong>mit</strong> umgehen? Unter vielen Schwulen zieht die Stimmung<br />

an: Es wird zurückgehasst! Und das gesellschaftliche Stimmungsbild<br />

ähnelt immer mehr einer Ansammlung von Chören, die sich gegenseitig niederzuschreien<br />

versuchen. Zwar ist gegen Wut erst einmal nichts einzuwenden,<br />

sie ist immerhin das Gegenteil der jahrzehntelang eingeübten, depressiven<br />

„Ich bin Schuld“-Reaktion. Dennoch werden Hirntätigkeiten im berauschenden<br />

Wutanfall für gewöhnlich stark heruntergefahren. Geht es etwa um das<br />

Thema Homophobie in Migrantenkreisen, enden erregte Diskussionen unterdessen<br />

oft <strong>mit</strong> dem Verweis auf den Islamischen Staat im Irak oder die<br />

im Iran erhängten Schwulen. Die Wut auf die katholische Kirche schäumt<br />

ebenfalls über. Dabei geht unter, dass ein großer Teil der Katholiken sich die<br />

Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Lebensweisen wünschen, wie auch<br />

die vatikanische Umfrage im vergangenen Jahr zeigte. „Die Katholiken“ und<br />

„die Muslime“ zu unseren Feinden zu erklären, wäre töricht – und würde nur<br />

den Scharfmachern unter ihnen in die Hände spielen. Die jeweiligen Hardliner<br />

haben viel weniger Anhänger, als die allgegenwärtige Medienhysterie<br />

es darstellt. Wenn in Baden-Württemberg tausende Christen gegen Aufklärungsunterricht<br />

demonstrieren, tun es hunderttausende nicht. Weil nämlich deren Glaube<br />

von Wertschätzung und Toleranz – früher nannte man es Nächstenliebe – auch zur selbstverständlichen<br />

Gleichwertigkeit vor Gott und voreinander führt. Gleiches gilt für Muslime,<br />

für Juden, für Buddhisten, für Hindus: Religion und Aufklärung gemeinsam sind bereichernd<br />

für jede Seele – Religion und exklusiver Hass auf (Anders-)Denkende werden barbarisch und<br />

hirnbeschränkt.<br />

Nicht die Religionen, die Fundamentalisten sind gefährlich<br />

Nicht die Religionen sind die Gefahr für Schwule und Vielfältige, sondern die selbsternannten<br />

Gotteskrieger jeglicher Couleur. Die Fundamentalisten kommen in vielgesichtiger Gestalt<br />

– der miesepetrige Rentner ist die deutsche Gartenzwergvariante. Vielleicht lebt er in<br />

Stuttgart und Umgebung. Er ist eng verwandt <strong>mit</strong> dem Klu-Klux-Klan-Rassisten in Alabama.<br />

Der wiederum hat in Putin einen getreuen Kameraden, der das schwulenfreie Neurussland<br />

baut. Ein von Schwulen gesäubertes Putinat, äh ... Kalifat, äh ... Rektorat ...?<br />

Unwillkürlich ist man versucht zu beten: Gott, lass Hirn vom Himmel regnen!<br />

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MÄNNER LEBEN<br />

WAS SAGEN DIE THEOLOGEN?<br />

Schwule gibt es in allen Religionen, und in allen Religionen gibt es liberale Strömungen, die das gutheißen. Hier<br />

sprechen drei Theologen über ihr Verständnis von Homosexualität TEXT CHRISTIAN MENTZ<br />

MALTE STETS, Pfarrer der Gemeinde Boxhagen-Stralau in Berlin<br />

„Es gibt Bibelstellen, die durch ihr zeitbedingtes Umfeld heute nicht<br />

mehr treffen. Zu denen zähle ich die Verwerfungen homosexueller<br />

Praxis. Die Bibel kennt unsere modernen Lebensformen nicht. Biblische<br />

Aussagen richten sich da<strong>mit</strong> nicht gegen eine liebevoll und lustvoll<br />

gelebte Sexualität, wie wir<br />

sie heute kennen.<br />

Wichtiger finde ich die Bibelstellen,<br />

die Gottes bedingungslose<br />

Liebe zu den Menschen<br />

betonen, die deutlich<br />

machen: Du bist, so wie du bist, genau richtig und von Gott gewollt<br />

und geliebt. Das bleibt. Jesus hat das in seinem Handeln sehr deutlich<br />

gemacht. Er hat den einzelnen Menschen als Gottes geliebtes Geschöpf<br />

gesehen und moralische Verwerfungen auf den menschlichen<br />

Einflussbereich begrenzt.<br />

Es gibt Menschen in der Community, die unter Kirchen und Gläubigen<br />

gelitten haben und leiden. Das ist schlimm! Diese Menschen<br />

haben oft zu Recht eine große Wut, die ich auch teile. In der Vergangenheit<br />

hat die Kirche sich da schuldig gemacht und es bedarf großer<br />

Anstrengung, dies zu erkennen und nun Türen auch wieder zu öffnen.<br />

„ ES GIBT HIMMELWEITE UNTERSCHIEDE IN<br />

DEN CHRISTLICHEN GEMEINDEN“<br />

Etwas schräg wird es für mich, wenn Menschen, die <strong>mit</strong> Glauben und<br />

Kirche nichts am Hut haben, trotzdem große Hassreden loslassen. Oft<br />

werden auch verschiedene Kirchen und Positionen in einen Topf geworfen.<br />

Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob ich mich in einer klassischen<br />

Gemeinde umhöre oder in einer evangelikal geprägten Freikirche.<br />

Diese Stimmen treffen mich<br />

nicht und sie verletzen trotzdem.<br />

Ich frage mich dann, warum<br />

das passiert. Was wollen<br />

die? Sollen Verletzungen <strong>mit</strong><br />

Verletzungen vergolten werden?<br />

Aber: Trifft man da<strong>mit</strong> nicht die Falschen?<br />

In den verschiedenen Gemeinden, ob Stadt oder Land, habe ich letztlich<br />

immer die gleiche Erfahrung gemacht: Auch wenn es am Anfang<br />

immer mal unsichere Fragen gibt, weil man das nicht kennt, wenn da<br />

zwei Männer im Pfarrhaus wohnen, dann legt sich die Scheu ganz<br />

schnell. Die Menschen merken, dass ich meine Arbeit ganz normal<br />

mache, dass mein Mann und ich nicht im Leder auf dem Gemeindefest<br />

auftauchen, das können wir anderswo viel besser machen. Je<br />

normaler wir <strong>mit</strong> uns selbst umgehen, umso normaler wird auch <strong>mit</strong><br />

uns umgegangen.“<br />

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FOTOS CM, PRIVAT, CM<br />

LUDOVIC-MOHAMED ZAHED, Gründer einer liberalen Moschee<br />

in Paris und Imamlehrer in Kapstadt<br />

„Ich habe meine Teenagerzeit in Algerien erlebt. Ich habe sehr gewissenhaft<br />

den Koran studiert und wollte Imam werden. Mit 17 Jahren<br />

habe ich festgestellt, dass ich schwul bin. Das hat erst einmal<br />

Schmerz für mich bedeutet. Ich bin dann zum Studieren nach Frankreich<br />

gezogen und habe mich völlig vom Islam losgesagt. Mit 34 Jahren<br />

habe ich zum Islam zurückgefunden, denn mir wurde klar, dass<br />

man Homophobie und Sexismus in jeder Philosophie finden kann.<br />

Zum Beispiel sagen buddhistische Mönche, dass Frauen ein schlechtes<br />

Karma haben und hoffen sollen, als Männer wiedergeboren zu<br />

werden. Man muss unterscheiden zwischen Religion als Spiritualität<br />

und einem Dogma, das nur dazu dient, Macht auszuüben. Wie<br />

sagt Michel Foucault? „Kontrolliere ihre Sexualität und du hast die<br />

Macht“. Wenn es in allen Religionen Homophobie gibt, konnte ich<br />

genauso gut Moslem bleiben. Ich habe zehn Jahre zu Homosexualität,<br />

Soziologie und Religion geforscht und in Paris eine liberale Moschee<br />

gegründet, die offen für Schwule und Lesben ist. Unterdessen<br />

hat sie ein anderer Iman übernommen, aber die Gemeinde wächst.<br />

Ich lebe jetzt in Kapstadt und leite Fortbildungen an der Universität,<br />

um über Homosexualität aufzuklären. Mit der Organsiation „The Inner<br />

Circle“ biete ich ein zweijähriges Programm für Imame an, um<br />

ihnen eine liberale Haltung gegenüber Homosexualität nahezubringen.<br />

Diese Imame sind entweder inkludierend gegenüber Homosexuellen<br />

oder selber schwul.<br />

Ich weiß, dass man im Westen die islamische Welt für sehr homophob<br />

hält. Und zum Teil stimmt das leider auch. Allerdings gebe ich<br />

zu bedenken, dass Homophobie in der Zeit vor der Kolonialisierung<br />

durch den Westen keine Rolle spielte. Das soll nicht alles erklären,<br />

das wäre zu einfach. Aber auch in Europa hat es nach der Französischen<br />

Revolution 100 Jahre, Rückkehr zur Monarchie und zwei Weltkriege<br />

gedauert, um eine friedliche soziale Ordnung zu erreichen.“<br />

BENNO SIMONI, Vorsitzender der unabhängigen Synagogengemeinde<br />

Bet Haskala in Berlin<br />

„Im Gegensatz zu anderen Religionen gibt es im Judentum keine<br />

weltliche Instanz, die einem sagt, was richtig oder falsch ist, was man<br />

zu tun oder zu lassen hat. Es gibt keine Beichte, und auch der Rabbi<br />

kann nicht für dich entscheiden, er ist nur ein Gelehrter, den man befragen<br />

kann. Entscheiden muss man ganz alleine <strong>mit</strong> Gott. Natürlich<br />

gibt es in der Tora Textstellen, die gegen Homosexualität ausgelegt<br />

werden können. Aber es gibt ebenso wunderschöne Liebesgeschichten<br />

wie die zwischen David und Jonatan. Kritisiert man mich dahingehend,<br />

dass Homosexualität und Judentum nicht vereinbar wären, sage<br />

ich im Zweifelsfall: ‚Du weißt nicht, welche Vereinbarung ich <strong>mit</strong> Gott<br />

getroffen habe, also lass mich in Ruhe‘.<br />

Die Gemeinde, der ich vorstehe, gehört zu der liberalen Strömung<br />

des Judentums, die die größte Richtung innerhalb des Judentums<br />

darstellt. Nur in Israel und Deutschland sind die Orthodoxen stärker<br />

vertreten. Über eines muss man sich gar nichts vormachen, Homosexualität<br />

hat es im Judentum wie in jeder Gesellschaft schon immer<br />

gegeben, auch bei den Orthodoxen. Viele versuchen jedoch, es zu<br />

verstecken, es wird dennoch geheiratet, Kinder gezeugt.<br />

Mit unserer Gemeinde wollen wir uns auch besonders an die Menschen<br />

jüdischen Glaubens wenden, die sich in anderen Gemeinden<br />

vielleicht nicht ganz so willkommen fühlen, wie alleinerziehende Mütter<br />

und Väter, Schwule, Lesben und alle, die nicht ins orthodoxe Familienbild<br />

passen. Ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass<br />

unter liberalen Juden Homosexualität wirklich kein Thema mehr ist.<br />

Wenn ich mal ohne meinen Mann auftauche, werde ich immer gleich<br />

gefragt, wo er denn sei. Mit anderen Religionen suchen wir den Austausch<br />

und wir haben gute Kontakte zur evangelischen und katholischen<br />

Kirche und auch zum liberal-islamischen Bund in Deutschland.<br />

Nur <strong>mit</strong> Fundamentalisten braucht man sich nicht an einen Tisch zu<br />

setzen, da ist das Gespräch sinnlos.“<br />

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