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gerade noch im Krieg... - Frau zu Frau

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dienst |<br />

Nach dem eiNsatz ist vor dem eiNsatz<br />

geht es nicht gut, die Sorgen um den Mann, und sie selbst hat<br />

Albträume von dem Anschlag. An der Fachhochschule, an<br />

der sie studiert, ist ein Albaner mit langem Bart in ihrem Seminar,<br />

neulich kam er ganz in schwarz, da bekam sie Panikattacken,<br />

sie sitzt <strong>im</strong>mer direkt neben der Tür. Durch ein paar<br />

Prüfungen ist sie durchgefallen, manchmal sackt der Kreislauf<br />

weg. Jetzt sucht sie einen guten Psychologen – aber in<br />

der Region sind alle ausgebucht. Ihr Mann wird von der Bundeswehr<br />

betreut, sie nicht. Das Einsatznachbereitungsseminar<br />

war nicht für die Angehörigen, die Familienbetreuungsstelle<br />

ist nach dem Ende des Kontingents nicht mehr <strong>zu</strong>ständig.<br />

Was würde sie sich denn wünschen? „Eine längere und<br />

genauere Vorbereitung, vielleicht mit so einer Art Rettungskette<br />

für die <strong>Frau</strong>. Und Betreuung hinterher. Dann tauchen<br />

die Probleme doch erst richtig auf.“<br />

Ein nEonbELEuchtEtEr FLur, der Stab des Panzer-<br />

grenadierbataillons, wieder <strong>zu</strong>rück in der Kaserne. Hier sieht<br />

man an den Wänden auf wenigen Metern, wie weit der Weg<br />

ist, den die Bundeswehr gegangen ist: Auf einer Seite hängen<br />

Bilder von der Oderflut 1997, Soldaten mit Sandsäcken. Ein<br />

Stück weiter vorne eine Pinnwand, daran ein Ausdruck aus<br />

dem Internet mit den jüngsten Nachrichten. Vier Soldaten<br />

in Afghanistan tot. Oberstleutnant Andreas Killmann, Kom-<br />

„man hat alles ein bisschen mehr lieben<br />

gelernt“, sagt markus Kempf. er war<br />

bei der QrF, heute ist er wieder zivilist<br />

mandeur des Panzergrenadierbataillons 391, ist<br />

selbst erst seit vier Wochen <strong>zu</strong>rück aus Kunduz. Und<br />

schaut schon wieder nach vorne. Vieles hat brachgelegen<br />

am Standort, große Teile seines Stabes hatte<br />

Killmann mitgenommen nach Kunduz, die Planungen<br />

Zuhause haben gelitten, „da muss man jetzt<br />

wieder ran“. Kaum Zeit für ihn, <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>schauen<br />

oder durch<strong>zu</strong>atmen. Zumal er bald versetzt wird,<br />

Streitkräfteamt in Bonn, ganz andere Baustelle.<br />

Auch der Kommandeur des Panzerbataillons<br />

393, Oberstleutnant Philipp Leyde, ein überlegter,<br />

hochgewachsener Offizier, war in Afghanistan.<br />

Auch er sagt: „Jetzt müssen wir wieder gemeinsam<br />

anpacken“ und erzählt von der Vorfreude auf die<br />

Panzerschlachten, die anstehen – „das kann man<br />

vielleicht als Zivilist jetzt nicht so verstehen“, sagt er<br />

und lächelt. Er würdigt vor allem auch die, die in<br />

dem Jahr am Standort geblieben sind und den<br />

Grundbetrieb aufrechterhalten haben. Viele Beziehungen<br />

seien bei den Soldaten seiner 5. Kompanie,<br />

der AGA-Kompanie, in die Brüche gegangen – so<br />

viele wie bei jenen, die mit <strong>im</strong> Einsatz waren. Die 5.<br />

musste vier AGAs hintereinander stemmen, für beide<br />

Bataillone, mit wenig <strong>zu</strong>sätzlichem Personal. Das<br />

hieß: Richtig harte Arbeit. Abende und Wochenenden in den<br />

Kasernen. Da haben sich manche <strong>Frau</strong>en verabschiedet. Und<br />

die Jungs können nicht mal Heldengeschichten erzählen.<br />

Aus dEm LAgEZEntrum dEr kAsErnE dröhnt<br />

Es. Das Lagezentrum sind zwei Räume gegenüber des Mannschaftshe<strong>im</strong>s<br />

und dortdrin sitzt Stabsfeldwebel Matthias<br />

Weix, kräftiger Brustkorb, Schnurrbart, rauchend, laut und<br />

herzlich. Für ihn hat der Einsatz <strong>im</strong> Januar 2008 angefangen.<br />

Da hat er seine Arbeit <strong>im</strong> Lagezentrum begonnen, <strong>im</strong> Dezember<br />

2008 den ersten Soldaten nach Afghanistan in den Flieger<br />

gesetzt und den letzten Ende April 2010 wieder abgeholt. In<br />

den über zwei Jahren hat er 1546 Soldaten für Afghanistan<br />

eingeplant, hat ihre Lehrgänge, Impfungen und Arzttermine<br />

koordiniert, Abflüge gebucht und wieder verschoben, weil<br />

die Oma gestorben ist, und hat gelernt, dass der Soldat, der<br />

die Überwachungskameras <strong>im</strong> Camp in Afghanistan wartet,<br />

eine best<strong>im</strong>mte betriebsärztliche Untersuchung braucht. Er<br />

hat Soldaten <strong>zu</strong>m Flughafen gebracht und vier Monate später<br />

mit Mettwurstbrötchen und Sekt wieder in Empfang genommen<br />

und so manche Nacht <strong>im</strong> Lagezentrum durchgearbeitet.<br />

Aber eigentlich gibt es ihn gar nicht, erzählt er. Ihn nicht,<br />

seine neun Kameraden <strong>im</strong> Lagezentrum nicht, die Rechner<br />

nicht, nicht mal die Räume. Die STAN-Änderung von der Bri-<br />

gade wurde abgeschmettert, es gab keine offiziellen Dienstposten<br />

für das Lagezentrum – und wo kein Dienstposten, da<br />

auch kein Stuhl, kein Tisch, kein Rechner. Einsatz ja, Lagezentrum<br />

nein, so die verblüffende Logik. Also haben sich die<br />

Bataillone am Standort selbst geholfen und Personal aus anderen<br />

Dienstposten herausgeschnitten. Was machen Sie<br />

denn sonst so, Herr Weix? „Offiziell bin ich Bürosachbearbeiter<br />

Controlling –aber davon weiß ich jetzt nicht mehr viel“,<br />

sagt er. Und lacht.<br />

Markus Kempf und Oberstabsgefreiter Patrick Schönherr<br />

sitzen an dem runden Tisch be<strong>im</strong> Militärpfarrer des Standorts<br />

und erzählen von ihren Einsatzerlebnissen. Beide waren<br />

sie bei der Quick Reaction Force (QRF), von April bis Oktober<br />

2009, für ein halbes Jahr, meist in Kunduz. Sie sind häufig<br />

von Taliban angegriffen worden, sind ausgerückt, wenn andere<br />

Züge <strong>im</strong> Feuergefecht standen, und haben Menschen<br />

totgeschossen. Nette junge Männer, herzensklug und offen,<br />

keine Rambos. Beide reden sehr nüchtern übers Töten: „Das<br />

hat mich nicht großartig belastet, weil ich gesagt habe: Er<br />

oder ich. Wir fangen ja nicht an mit Schießen“, so Kempf.<br />

Wie haben sie sich durch den Einsatz verändert? „Man ist auf<br />

jeden Fall erwachsener geworden“, sagt Kempf. Er mache<br />

sich mehr Gedanken – über Politik, das Leben nach dem Tod<br />

und sogar über Altersvorsorge. Und er sagt: „Man hat alles<br />

ein bisschen mehr lieben gelernt als vorher.“ Schönherr ist<br />

während des Einsatzes Vater geworden. „Meine Freundin hat<br />

nach dem Einsatz gesagt, dass ich nicht so belastbar war, ich<br />

bin ziemlich schnell aus der Haut gefahren“, erzählt er. Jetzt<br />

sei es wieder „einwandfrei“, er kann gut schlafen, träumt<br />

nicht schlecht, redet aufgeräumt von der kleinen Tochter.<br />

dEr miLitärPFArrEr Wünscht sich ZEit. Draußen<br />

geht die Sonne langsam unter an diesem Tag <strong>im</strong> April,<br />

große Fenster, die Wände orange, die frischen Kerzen auf<br />

dem Tisch in blau, grün, orange, ein warmer Kontrast <strong>zu</strong>m<br />

neonfarbenen Einerlei der Kompanien. Wolfram Schmidt<br />

wünscht sich Zeit für seine Soldaten am Standort, dass es<br />

Nach dem eiNsatz ist vor dem eiNsatz | dienst<br />

mehr zeit für die soldaten – und bessere Betreuung<br />

wünscht sich militärpfarrer schmidt (mitte) für<br />

seine soldaten. stabsfeldwebel Weix arbietet <strong>im</strong> Lagezentrum,<br />

oberstabsgefreiter schönherr war bei QrF<br />

nicht gleich <strong>im</strong> Höllentempo weitergeht. Er war selbst in Afghanistan,<br />

in Kunduz, er hat die Verletzten betreut, die Trauerfeiern<br />

für vier Tote gehalten und hat allen <strong>zu</strong>gehört, vom<br />

Hauptgefreiten bis <strong>zu</strong> Oberst Klein. Als er <strong>zu</strong>rückkam, hat<br />

Wolfram Schmidt eine Zeitlang kaum gelacht.<br />

ProFEssionELLE strukturEn, das ist sein zweiter<br />

Wunsch: Ein Betreuungsteam, das vor den Einsätzen, in der<br />

Mitte und auch danach für die Soldaten und ihre Familien da<br />

ist. Die Familienbetreuungsstelle am Standort ist aufgelöst.<br />

Ja, es gibt das Psychosoziale Netzwerk. Das besteht aus Wolfram<br />

Schmidt, seinem katholischen Kollegen, der Truppenpsychologin,<br />

der Sozialdienst-Mitarbeiterin und jemanden<br />

aus dem Sanitätszentrum. Wolfram Schmidt selbst hat neben<br />

Bad Sal<strong>zu</strong>ngen <strong>noch</strong> Rotenburg und die Sportfördergruppe<br />

Oberhof <strong>zu</strong> betreuen, momentan vertritt er außerdem den<br />

Standortpfarrer für Gotha. Die Psychologin ist für die gesamte<br />

Brigade <strong>zu</strong>ständig, mit Sitz in Frankenberg, 300 Kilometer<br />

weit weg. Und die Sanitätsärzte? Die sind zwar am<br />

Standort, wechseln aber ständig. Das ist das Psychosoziale<br />

Netzwerk. Regulär sehen sie sich einmal <strong>im</strong> Vierteljahr – um<br />

über 1500 Soldaten in der Kaserne <strong>zu</strong> betreuen.<br />

Schmidt muss alles auf dem Zettel und <strong>im</strong> Herzen behalten:<br />

Angehörige der gefallenen Soldaten, Verwundete besuchen,<br />

sich nach den Therapien der PTBS-Erkrankten erkundigen,<br />

Einsatznachbereitungsseminare besuchen, Rüstzeiten<br />

mit Einsatzsoldaten und ihren Familien machen, mehr taufen<br />

und mehr trauen als früher – das sind die fröhlichen Momente.<br />

Und dabei den Alltag nicht vergessen: Den Wehrpflichtigen,<br />

der <strong>noch</strong> verweigern möchte. Den FWDLer, der<br />

Liebeskummer hat.<br />

2011 beginnt die Einsatzvorbereitung. Dorothea Siegle<br />

16 . js magazin 07-08/2010 07-08/2010 js magazin . 17

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