Clubmagazin 2015
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AUS DEM VEREINSLEBEN
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Wie schnell wird der Zweite zum
ersten Verlierer gestempelt!
Mitunter sind es die Athleten
selbst, die sich mit solchen Einschätzungen
unter einen unmenschlichen
Druck setzen.
Obendrauf kommt dann noch der
Anspruch der Gesellschaft an ein
untadeliges Verhalten: Sauber
haben sie zu sein, inmitten einer
auf ständige Leistungsoptimierung
fixierten Welt. Und fair in
jeder Lebenslage. Weil Athleten
doch Vorbilder sind.
Müssen sie das sein? Können sie
es überhaupt sein? Die zweite
Frage lässt sich leicht beantworten.
Kein Mensch ist in der Lage,
diese wahnwitzigen Erwartungen
rund um die Uhr zu erfüllen. Schon
gar nicht so junge, unerfahrene
Athleten. Es scheint so, als würde
ihnen diese Last auf die Schultern
gelegt, um ihr Glück auszugleichen,
das alle anderen vergeblich
suchen. Um ihnen zu verdeutlichen,
dass ihre Sonderstellung,
ihr Erfolg, ihr Reichtum, ihr
Ruhm noch mehr Opfer als ständige
Arbeit verlangen. In dieser Rolle
ist das Scheitern schon angelegt,
vielleicht sogar mit Absicht.
Großartige, in der Öffentlichkeit
stehende Athleten haben keine
Wahl. Sie müssen Vorbilder sein.
Das wird ihnen früh suggeriert,
intensiv von Vereinen und Verbänden.
Die werben damit, indem
sie den Spitzensport als Elite-Internat
der Leistungsgesellschaft
vorstellen, das nicht nur erfolgreiche,
sondern auch besonders
gute Menschen produziert. Als sei
das gewonnene Gold gleichzeitig
Ausweis des Charakters, der Sieg
ein Beleg für eine außergewöhnlich
gelungene Erziehung.
Das ist eine maßlose Übertreibung,
in manchen Fällen auch
Heuchelei. Sie zwingt Sportler
mitunter, ein Doppelleben zu führen
oder zumindest alles zu kaschieren,
was nicht ins Bild des
Saubermanns passt.
Und doch lässt sich nicht bestreiten,
dass Kinder ihre Zimmerwände
mit den Postern ihrer
Lieblinge tapezieren. Sie wünschen
sich sehnlichst teure
Trikots mit deren Namen und nehmen
wie viele Erwachsene auch
mit leuchtenden Augen jede Bewegung
ihres Helden wahr, auch
nach dem Abpfiff.
Stars inspirieren eben.
Der Nationalmannschaftsmanager
Oliver Bierhoff hat also
Recht, wenn er im Interview mit
der Frankfurter Allgemeinen
Sonntagszeitung an den hohen
Anspruch an Nationalspieler erinnert
und erklärt, man „fordere
mit Blick auf gewisse Verhaltensweisen
und Werte viel ein“.
Aber im Fall Marco Reus will er
dennoch keine Konsequenzen
ziehen. Dem vielleicht besten
deutschen Spieler, monatelang
mit einem gefälschten Führerschein
in einem Geschoss unterwegs,
fehle es nicht „generell an
uns wichtigen Werten und Prinzipien“.
So die Aussage Bierhoff.
Und überhaupt müsse sich die Gesellschaft
Gedanken machen, ob
man den Anforderungen gerecht
werden könne, „bezogen auf ein
fehlerfreies Privatleben“.