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Dr.Lilo Tutsch Supervision und Coaching 2005

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individuellen Art so-sein zu dürfen;<br />

den Anspruch der Situation aufnehmen <strong>und</strong> sich abstimmen<br />

mit der Welt durch Offenheit auf Welt hin, um zu erspüren, was<br />

man soll.<br />

Ist die Erfüllung dieser Gr<strong>und</strong>bedürfnisse gesichert, so ist<br />

die Person frei, sich den Fragen <strong>und</strong> Anforderungen des Lebens<br />

zuzuwenden. Die „Ichstärke” kann durch lebensgeschichtliche<br />

Mängel <strong>und</strong> Traumata beeinträchtigt sein, aber auch durch aktuelle<br />

Belastungen geschwächt werden. Beeinträchtigungen manifestieren<br />

sich in einer „einseitigen Motivationslage”, in der die<br />

Person mehr oder weniger effizient die Mangellage auszugleichen<br />

vermag, damit jedoch auch eine Beeinträchtigung in ihrer<br />

Offenheit auf Sinn hin erfahren kann.<br />

Die Wende ins Existentielle erfordert nicht nur das Vorhandensein<br />

dieser strukturellen Voraussetzungen, sondern ein Einverständnis<br />

der Person zur Welt als Gegebenheit, zum Leben als<br />

Bewegtsein, zu sich als Person, als Individuum <strong>und</strong> zum Sinn als<br />

dem Gesollten.<br />

Therapeutische Arbeit bewegt sich meist im Bereich der<br />

Voraussetzungen zum Dialog, hier besonders auch in der<br />

Frage des Verstehens aus den jeweiligen Lebenszusammenhängen<br />

<strong>und</strong> Erfahrungen heraus. Biografische Arbeit dient<br />

somit der Erforschung <strong>und</strong> dem Verstehen einseitig orientierter<br />

oder fixierter Motivation <strong>und</strong> der Befreiung der Person<br />

zur Existentialität. Existenzanalytische <strong>Supervision</strong> setzt<br />

die Erfüllung dieser Voraussetzungen voraus bzw. arbeitet<br />

nicht prozesshaft, sondern ressourcenorientiert an diesen.<br />

Arbeit an der Biografie der einzelnen Teammitglieder ist nicht<br />

Thema der <strong>Supervision</strong>, wohl aber ist die Biografie von<br />

Teams, Gruppen, Betrieben bisweilen ein wichtiges Thema<br />

<strong>und</strong> als solches veränderungs- <strong>und</strong> lösungsfördernd.<br />

Umgelegt auf die Gruppensituation bedeutet das, dass der<br />

Supervisor auf die gr<strong>und</strong>motivationale Situation der einzelnen<br />

<strong>und</strong> der Gruppe Bedacht nehmen muss bzw. dass er<br />

Störungen, die aus diesen Voraussetzungen stammen, ausgleichen<br />

oder thematisieren soll.<br />

Hier sehen wir vermutlich am deutlichsten, worin sich<br />

die <strong>Supervision</strong> zur Therapie hin unterscheidet: Geht es in<br />

der Therapie v.a. darum, die Voraussetzungen des Personseins<br />

zu entwickeln, zu stärken <strong>und</strong> aus den Lebensbehinderungen<br />

zu befreien – also anders gesprochen das Ich<br />

zu stärken bzw. die strukturellen Voraussetzungen des Dialoges<br />

zu entwickeln –, so werden in der <strong>Supervision</strong> diese Fähigkeiten<br />

vorausgesetzt. Nun hat natürlich nicht jedes Teammitglied<br />

bereits einen Entwicklungsreifegrad, der diese Voraussetzung<br />

tatsächlich rechtfertigen könnte. Was ist, wenn<br />

in sich gefangene Menschen in Teams die Öffnung aufeinander<br />

<strong>und</strong> auf die Sache hin nicht mitgehen können? Dann<br />

geht es eben nicht darum, Therapie in der Gruppe zu machen,<br />

sondern das Team anzuhalten, mit diesen Gegebenheiten<br />

umzugehen <strong>und</strong> im Dialog die für diese Konstellation beste<br />

Möglichkeit – auch der Unterstützung – zu entwickeln.<br />

Ist ein Team noch nicht „teamfähig” – also nicht in der<br />

Lage, miteinander in Dialog zu treten –, so hat der Supervisor<br />

die Möglichkeit, den Schwerpunkt auf Teamentwicklung<br />

ORIGINALARBEIT<br />

zu setzen: sei es durch die Arbeit an klärenden, haltgebenden<br />

Strukturen, durch Üben von Vorgängen wie z .B effiziente<br />

Kommunikation, durch unterstützendes <strong>und</strong> schützendes<br />

Vorgehen, durch stärkere Prozessleitung (1. GM), durch längeres<br />

Verweilen, um mit sich in Fühlung zu kommen <strong>und</strong><br />

mehr Gespür für den anderen zu entwickeln (2. GM), durch<br />

verstärkte Beachtung <strong>und</strong> Betonung der Individualität, des<br />

Eigenseins (3. GM) oder durch Betonung der Sache, um die<br />

es gerade geht (4. GM). Damit verlässt der Supervisor jedoch<br />

in einem gewissen Sinn die <strong>Supervision</strong> in Richtung<br />

Teamentwicklung. Man könnte sagen, Teamsupervision sei<br />

nahe der Beratung, Teamentwicklung näher der Therapie.<br />

Verführt eine der therapeutischen Vorgangsweise<br />

nahe liegende <strong>Supervision</strong>smethode nicht zu therapeutischem<br />

Vorgehen?<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich leitet sich aus der Kenntnis einer Vorgangsweise<br />

noch kein therapeutischer Einsatz derselben ab. Man<br />

könnte auch das Gegenteil behaupten: Erst die genaue Kenntnis<br />

der Unterschiede zur Therapie schützt vor deren naivem Einsatz.<br />

Die Fähigkeit zur Reflexion des eigenen Tuns ist für<br />

den Supervisor gleichermaßen wichtig wie für den Therapeuten.<br />

Es kann m. E. nicht angehen, zum Schutz vor den<br />

Mängeln von Supervisoren ihren Klienten etwas vorzuenthalten,<br />

was gut ist.<br />

Wohl aber muss deutlich gesagt werden, dass in der Gruppen-<br />

bzw. Teamsupervision ein „Abrutschen“ in die Selbsterfahrung<br />

schädlich ist. Persönliche, „intime”, private Dinge<br />

anzufragen <strong>und</strong> auszubreiten, ist in Arbeitsbeziehungen unpassend,<br />

vor allem, wenn dies nicht entschieden, mit Zustimmung<br />

der Teilnehmer <strong>und</strong> in Kenntnis der Folgen geschieht,<br />

sondern durch dynamische Momente passiert.<br />

Möglicherweise fällt dies dem Teilnehmer irgendwann „auf<br />

den Kopf”: Die Kollegen ändern z. B. ihr Verhalten zueinander<br />

<strong>und</strong> nehmen eine sorgende, therapeutische, oder aber auch<br />

intrigante Haltung ein oder verwenden die Informationen gegen<br />

diesen Kollegen.<br />

III) Existenzanalytische <strong>Supervision</strong> <strong>und</strong><br />

existenzanalytisches <strong>Coaching</strong> in der Praxis<br />

Das dynamische Feld von <strong>Supervision</strong> <strong>und</strong> <strong>Coaching</strong><br />

entsteht im Spannungsfeld von Person (Individualität), Gemeinschaft<br />

(Gruppenperson, System) <strong>und</strong> Aufgabe. Die<br />

Gr<strong>und</strong>bewegung in einer existenzanalytischen <strong>Supervision</strong><br />

innerhalb dieses Spannungsfeldes „Person/Gemeinschaft /<br />

Aufgabe” besteht in einer Fokusverschiebung zwischen diesen<br />

Bereichen.<br />

Innerhalb jedes dieser drei Pole bewegt sie sich zwischen<br />

Bedingtheit <strong>und</strong> Freiheit, d. h. der Abhängigkeit von den Bedingungen<br />

der persönlichen Lebensgeschichte <strong>und</strong> dem personalen<br />

Umgang mit sich, den Bedingungen der Gemeinschaft<br />

<strong>und</strong> dem Raum für die Ausgestaltung des Miteinander sowie<br />

zwischen der vorgegebenen Aufgabe <strong>und</strong> den persönlich darin<br />

empf<strong>und</strong>enen Werten. In der existenzanalytischen <strong>Supervision</strong><br />

geht es daher um maximales Personsein als Vor-<br />

EXISTENZANALYSE 22/1/<strong>2005</strong> 11

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