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Konzentrationsmaße

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Kapitel 4<br />

<strong>Konzentrationsmaße</strong><br />

Warum reicht die Varianz nicht zur Konzentrationsmessung aus?<br />

Betrachtet man die Merkmale XA ( ” Einkommen in Land A“) und XB ( ” Einkommen in<br />

Land B“) mit folgender Häufigkeitsverteilung<br />

Land A<br />

j aj fj<br />

1 10 0.1<br />

2 100 0.9<br />

Land B<br />

j aj fj<br />

1 10 0.9<br />

2 100 0.1<br />

so gilt ˜s 2 XA = ˜s2 , obwohl die Verteilungen ganz unterschiedlich sind.<br />

XB<br />

✻ ✻<br />

� �<br />

A B<br />

�<br />

Arm Reich Arm Reich<br />

In Land A haben Wenige ein geringes Einkommen, während in Land B Viele ein geringes<br />

Einkommen haben.<br />

• Gleicher Wert der Varianz / Streuung, aber ganz unterschiedliches ” Streuverhalten“.<br />

• Die üblichen Streuungsmaße messen symmetrisch die Variabilität um das Zentrum<br />

(arithmetisches Mittel, Median). Überschreiten und Unterschreiten des Mittelwerts<br />

werden also gleich gewichtet, geben aber keine Auskunft über die Gleichmäßigkeit<br />

der Verteilung bzw. über die sog. Konzentration.<br />

• Grundfrage der Konzentrationsmessung: Wie verteilt sich die Gesamtsumme (etwa<br />

das Vermögen) unter den einzelnen Einheiten? Beispiel: Welchen Anteil am<br />

Gesamtvermögen haben die Reichsten?<br />

Durchgängige Annahmen in diesem Kapitel:<br />

• X sei ein verhältnisskaliertes Merkmal mit Urliste x1, . . . , xn.<br />

59<br />


60 4.1. Relative Konzentrationsmessung<br />

• xi ≥ 0, für alle i = 1, . . . , n und<br />

verschieden).<br />

• Betrachtet werden die der Größe nach geordneten Daten:<br />

n�<br />

xi > 0 (d.h mindestens ein Wert ist von Null<br />

i=1<br />

x(1) ≤ x(2) ≤ . . . ≤ x(n)<br />

• Achtung: Die Klammern im Index werden in der Literatur oft weggelassen (z.B in<br />

Fahrmeir et al., 2007). Dann muss man vor dem Anwenden der dortigen Formeln<br />

die Daten ordnen. Später wird allerdings, wenn auf die Ausprägungen a1, . . . , ak<br />

übergegangen wird, angenommen, dass a1 < a2 < . . . < ak gilt, dass also diese<br />

Ausprägungen bereits geordnet sind.<br />

4.1 Relative Konzentrationsmessung<br />

4.1.1 Lorenzkurve<br />

• Erste und bekannteste Form der Konzentrationsmessung.<br />

• Bezeichne mit<br />

uj := j<br />

n<br />

den Anteil der j kleinsten Merkmalsträger und mit<br />

vj :=<br />

j�<br />

i=1<br />

n�<br />

i=1<br />

x(i)<br />

xi<br />

=<br />

j�<br />

i=1<br />

n�<br />

i=1<br />

x(i)<br />

x(i)<br />

den anteiligen Beitrag dieser Einheiten zur Gesamtsumme<br />

n�<br />

xi =<br />

i=1<br />

( ” kumulierte relative Merkmalssumme“).<br />

• Die stückweise lineare Kurve durch die Punkte (0, 0), (u1, v1), (u2, v2), . . ., (un, vn)<br />

= (1, 1), heißt Lorenzkurve.<br />

Berechnung der Lorenzkurve im Beispiel:<br />

n�<br />

i=1<br />

x(i)


Kapitel 4. <strong>Konzentrationsmaße</strong> 61<br />

l a A l f A<br />

l<br />

j�<br />

l=1<br />

f A<br />

l = uj f A<br />

l aA l<br />

j�<br />

l=1<br />

f A<br />

l a A l<br />

j�<br />

l=1<br />

k�<br />

l=1<br />

fl · al<br />

fl · al<br />

= v A j<br />

1<br />

1 10 0.1 0.1 0.1 · 10 = 1 1 = 0.0109<br />

91<br />

2 100 0.9 1 0.9 · 100 = 90 91 1<br />

l a B l f B<br />

l<br />

j�<br />

l=1<br />

f B<br />

l = uj f B<br />

l aB l<br />

j�<br />

l=1<br />

f B<br />

l a B l v B j<br />

9<br />

1 10 0.9 0.9 0.9 · 10 = 9 9 = 0.47<br />

19<br />

2 100 0.1 1 0.1 · 100 = 10 19 1<br />

Interpretation der Lorenzkurve:<br />

✑ ✑✑✑✑✑✑✑✑✑✑✑✑✑✑✑<br />

1<br />

• Der Punkt (uj, vj) bedeutet: Die uj ·100% Einheiten mit den kleinsten Ausprägungen<br />

(z.B. die 90% Ärmsten) haben vj · 100% des Gesamtbestandes (z.B. 8.25% des<br />

Gesamtvermögens).<br />

• Wie liegen die Punkte bei minimaler Konzentration? (Konzentration=0, entspricht<br />

gleichmäßiger Verteilung)<br />

10% kleinste haben 10%<br />

20% ” ” 20% usw.<br />

Es gilt also uj = vj für alle j, d.h. die Punkte (uj, vj) liegen auf der Winkelhalbierenden.<br />

• Die Lorenzkurve ist nach ” unten gewölbt“ (konvexe Funktion). Punkte oberhalb der<br />

Winkelhalbierenden kommen nicht vor.<br />

• Ähnlich überlegt man sich: die Kurve muss monoton wachsend sein.<br />

Gegenbeispiel: z.B. Punkte (0.6,0.8) und (0.7,0.7) würden bedeuten: die 60% Ärmsten<br />

haben 80% des Vermögens aber die 70% Ärmsten haben nur 70% des Vermögens.<br />

• Extremfall: vollständige Konzentration<br />

n − 1 Personen haben gar nichts<br />

n-te Person hat alles


62 4.1. Relative Konzentrationsmessung<br />

1<br />

☎<br />

☎<br />

☎<br />

☎<br />

☎<br />

☎<br />

☎<br />

✟ ✟✟✟✟✟✟✟✟✟✟✟✟✟✟✟✯<br />

• Konzentration 0 bedeutet ” gleiche Verteilung“ in dem Sinne, dass jede Einheit denselben<br />

Anteil an der Gesamtsumme hat. Dies bedeutet x1 = x2 = . . . = xn und<br />

damit hj∗ = n bzw. fj∗ = 1 für eine bestimmte Ausprägung aj∗ = x1.<br />

Dies ist zu unterscheiden von der (Häufigkeits-)Gleichverteilung (siehe v.a. Statistik<br />

2). Dort ist h1 = h2 = . . . = hk, also jede Ausprägung aj gleich häufig vertreten.<br />

�<br />

100% gleiche Verteilung,<br />

Konzentration 0<br />

☎•<br />

n−1<br />

n<br />

1<br />

(Häufigkeits-)Gleichverteilung<br />

• • • • •<br />

• Je weiter die Kurve von der Winkelhalbierenden entfernt ist, also je tiefer ceteris<br />

paribus vj ist, umso stärker ist die Konzentration.<br />

• Insbesondere bei größeren Datensätzen vereinfacht sich die Berechnung wesentlich,<br />

wenn man die relativen/absoluten Häufigkeiten f1, . . . , fk bzw. h1, . . . , hk der der<br />

Größe nach geordneten Merkmalsausprägungen a1 < a2 < . . . < ak benutzt. Dann<br />

ist für j = 1, . . . , k<br />

und<br />

vj =<br />

j�<br />

l=1<br />

k�<br />

l=1<br />

hl · al<br />

hl · al<br />

=<br />

j�<br />

l=1<br />

k�<br />

l=1<br />

uj =<br />

fl · al<br />

fl · al<br />

j�<br />

l=1<br />

= partielles arith. Mittel über die ersten j<br />

hl<br />

n =<br />

j�<br />

fl = F (aj)<br />

l=1<br />

.<br />

¯x<br />

• Ist bei klassierten Daten mit den Klassen [c0, c1), [c1, c2), . . . , [ck−1, ck] die Merkmalsverteilung<br />

in den Klassen nicht bekannt, so nimmt man wie bei den Berechnungen<br />

zum arithmetischen Mittel als Approximation an, dass alle Ausprägungen in dieser


Kapitel 4. <strong>Konzentrationsmaße</strong> 63<br />

Klasse auf die Klassenmitte ml = cl−1+cl<br />

2<br />

vj =<br />

j�<br />

l=1<br />

k�<br />

l=1<br />

fallen und erhält:<br />

hl · ml<br />

hl · ml<br />

(untere Abschätzung: in jeweiliger Klasse keine Konzentration).<br />

• Während normalerweise bei Lorenzkurven nur die Punkte (0, 0), (u1, v1), . . . interpretierbar<br />

sind, sind bei klassierten Daten auch die linearen Zwischenstücke interpretierbar.<br />

4.1.2 Gini-Koeffizient<br />

Will man die Konzentration durch eine einzige Maßzahl beschreiben, so liegt es nahe, die<br />

Fläche zwischen der Winkelhalbierenden und der Kurve heranzuziehen.<br />

Definition: Gegeben sei die geordnete Urliste x(1), x(2), . . . , x(n) eines verhältnisskalierten<br />

Merkmals X. Dann heißt<br />

G := 2· �n i=1 i· x(i)<br />

n �n i=1 xi<br />

n + 1<br />

−<br />

n<br />

Gini-Koeffizient und<br />

G ∗ := n<br />

· G<br />

n − 1<br />

normierter Gini-Koeffizient (Lorenz-Münzner-Koeffizient).<br />

Bemerkungen:<br />

• Man kann zeigen (Herleitung über Trapezformel, z.B. Toutenburg, 2006): Es gilt<br />

G =<br />

Fläche zwischen Winkelhalbierender und Lorenzkurve<br />

Fläche zwischen Winkelhalbierender und Abszisse<br />

= 2 · Fläche zwischen Winkelhalbierender und Lorenzkurve<br />

• Es gilt bei minimaler Konzentration G = 0 und bei maximaler Konzentration G =<br />

n−1<br />

n .<br />

• Damit ist also G ∗ = 0 bei minimaler Konzentration und G ∗ = 1 bei maximaler<br />

Konzentration. Ist n sehr groß, so gilt n−1<br />

n ≈ 1, also G∗ ≈ G.<br />

.


64 4.1. Relative Konzentrationsmessung<br />

• Betrachtet man die geordneten Ausprägungen a1 < a2 < . . . < ak mit den Häufigkeiten<br />

h1, h2, . . . , hk, so gilt<br />

mit<br />

Beispiel:<br />

beide Kurven zeichnen!<br />

Die Formel<br />

und u0 := 0.<br />

G =<br />

k�<br />

(ul−1 + ul)fl · al<br />

l=1<br />

k�<br />

l=1<br />

fl · al<br />

− 1 =<br />

uj = 1<br />

n<br />

l Land I: al fl ul fl · al<br />

j�<br />

l=1<br />

k�<br />

(ul−1 + ul)hl · al<br />

l=1<br />

hl<br />

j�<br />

l=1<br />

k�<br />

l=1<br />

flal<br />

hl · al<br />

j� flal<br />

k� fjaj<br />

1 2 0.5 0.5 1 1 1<br />

10<br />

2 18 0.5 1 9 10 1<br />

l Land II: al fl ul fl · al<br />

j�<br />

l=1<br />

flal<br />

j� flal<br />

k� flal<br />

1 10 0.9 0.9 9 9 1<br />

2<br />

2 90 0.1 1 9 18 1<br />

� ��<br />

� �<br />

� ��<br />

✥✥✥✥✥✥✥✥<br />

G =<br />

� ��<br />

� ����<br />

�k l=1 (ul−1 + ul)flal<br />

�k l=1 flal<br />

− 1<br />

1<br />

− 1


Kapitel 4. <strong>Konzentrationsmaße</strong> 65<br />

vereinfacht sich hier zu<br />

und man erhält für<br />

Land I:<br />

G = (0 + u1) · f1 · a1 + (u1 + u2) · f2 · a2<br />

f1 · a1 + f2 · a2<br />

0.5 · 0.5 · 2 + (0.5 + 1) · 0.5 · 18<br />

G = − 1<br />

0.5 · 2 + 0.5 · 18<br />

= 1.4 - 1 = 0.4<br />

Land II:<br />

0.9 · 0.9 · 10 + (0.9 + 1) · 0.1 · 90<br />

G = − 1<br />

0.9 · 10 + 0.1 · 90<br />

= 1.4 - 1 = 0.4<br />

Alternativ kann man direkt mit den Flächen rechnen: G = 2 · Fläche zwischen Winkelhalbierender<br />

und Lorenzkurve.<br />

Land I: Berechne zunächst die Fläche unter der Lorenzkurve:<br />

0.5·0.1<br />

2<br />

0.9·0.5<br />

+ 0.5 · 0.1 + 2<br />

⇒ G = 2 · � 1<br />

2 − 0.3� = 0.4<br />

Analog für Land II:<br />

0.9·0.5<br />

2<br />

0.1·0.5<br />

+ 0.1 · 0.5 + 2<br />

⇒ G = 2 · ( 1 − 0.3) = 0.4<br />

2<br />

= 0.3<br />

= 0.3<br />

Wie man sieht, können unterschiedliche Situationen zu demselben Gini-Index führen.<br />

⇒ Lorenzkurven mitzeichnen.<br />

Beispiel: Gini-Koeffizienten der landwirtschaftlich genutzten Fläche für ausgewählte<br />

Länder<br />

Paraguay G = 0.913 61.6% haben < 10ha<br />

Italien G = 0.768 87.7% ”<br />

Schweiz G = 0.232 52.3% ”<br />

Österreich G = 0.446 53.2% ”<br />

Portugal G = 0.716 91.5% ”<br />

4.1.3 Quantilsbezogene relative Konzentrationsmessung<br />

Oft werden Daten quantilsbezogen vergröbert bzw. zusammengefasst und auch nur die<br />

entsprechenden Anteile der Merkmalssumme in den Quantilen angegeben.<br />

− 1


66 4.1. Relative Konzentrationsmessung<br />

Beispiel: Einkommenskonzentration in Brasilien<br />

Quintile: 20% 40% 60% 80% 100%<br />

Anteile: 2.5 4.9 9.2 18.3 65.2<br />

z1 z2 z3 z4 z5<br />

(100.1% wegen Rundung)<br />

Für α, 2α, 3α, . . . (α = 0.2 im Beispiel) erhält man die zugehörigen v-Werte“ der Lorenz-<br />

”<br />

kurve v1, v2, v3, . . ., durch<br />

jα·n �<br />

Also im Beispiel:<br />

vj =<br />

i=1<br />

n�<br />

i=1<br />

x(i)<br />

x(i)<br />

= �<br />

u1 = 0.2 v1 = z1 = 2.5%<br />

u2 = 0.4 v2 = z1 + z2 = 2.5% + 4.9% = 7.4%<br />

u3 = 0.6 v3 = z1 + z2 + z3 = 16.6%<br />

u4 = 0.8 v4 = z1 + z2 + z3 + z4 = 34.9%<br />

u5 = 1 v5 = z1 + z2 + z3 + z4 + z5 = 100%<br />

Damit lässt sich die Lorenzkurve an den Punkten (α, v1), (2α, v2),. . . darstellen:<br />

� ����������<br />

•<br />

•✁✁<br />

•<br />

✟���✓✓✓✓<br />

•<br />

✟<br />

✟✟<br />

•<br />

❅<br />

0 α 2α 3α 1<br />

0.25 0.50 0.75<br />

Allgemeiner Zusammenhang zwischen zj und vj: Berechnung der zj aus den vj:<br />

z1 := v1 − 0<br />

z2 := v2 − v1<br />

.<br />

zj := vj − vj−1,<br />

So erhält man genau den Anteil, der ins j-te Quantil fällt, denn:<br />

z1 =<br />

�α·n<br />

x(i)<br />

i=1<br />

n�<br />

i=1<br />

x(i)<br />

, z2 =<br />

�2α·n<br />

i=1<br />

l≤j<br />

�α·n<br />

x(i) − x(i)<br />

n�<br />

i=1<br />

i=1<br />

x(i)<br />

zj<br />

=<br />

�2αn<br />

i=α·n+1<br />

n�<br />

i=1<br />

x(i)<br />

x(i)<br />

, usw.


Kapitel 4. <strong>Konzentrationsmaße</strong> 67<br />

Umgekehrt Berechnung der vj aus den zj:<br />

v1 = z1<br />

v2 = z2 + v1 = z2 + z1<br />

v3 = z1 + z2 + z3<br />

.<br />

vj = �<br />

l≤j<br />

zl<br />

Berechnung des Gini-Koeffizienten: Beim Gini-Koeffizienten muss man sich mit einer<br />

Zusatzannahme behelfen: Wenn im jeweiligen Quantil alle Einkommen gleich sind, so hat<br />

man Häufigkeitsdaten mit den Ausprägungen a1, a2, . . . , ak vorliegen, d.h. al ist der Wert<br />

im l-ten Quantil und man erhält<br />

G =<br />

=<br />

=<br />

k�<br />

(ul−1 + ul)fl · al<br />

l=1<br />

k�<br />

l=1<br />

fl · al<br />

k�<br />

(ul−1 + ul) ·<br />

l=1<br />

� l�<br />

l=1<br />

− 1<br />

fl · al<br />

k�<br />

l=1<br />

(ul−1 + ul) · zl<br />

fl · al<br />

Dieser so berechnete Wert von G ist eine untere Schranke für das wahre G!<br />

(insb. Verlauf im letzten Quantil verschleiert!)<br />

Zurück zum Beispiel Brasilien:<br />

G ≈<br />

Weitere Gini-Koeffizienten:<br />

k�<br />

(ul−1 + ul) · zl − 1<br />

l=1<br />

�<br />

− 1<br />

− 1<br />

= (0 + 0.2) · 0.025 + (0.2 + 0.4) · 0.049+<br />

+ (0.4 + 0.6) · 0.092+<br />

+ (0.6 + 0.8) · 0.183+<br />

+ (0.8 + 1) · 0.652 − 1<br />

= 0.5562


68 4.1. Relative Konzentrationsmessung<br />

Algerien 0.3572<br />

Brasilien 0.5562<br />

Deutschland 0.3034<br />

Finnland 0.2460<br />

Niger 0.3300<br />

China 0.3460<br />

Kann es wirklich sein, dass die Einkommenskonzentration in Deutschland ungefähr diesselbe<br />

ist wie in Niger? Ja, denn betrachtet wird hier nur die Verteilung der Gesamtsumme und keine<br />

absoluten Werte.


Kapitel 4. <strong>Konzentrationsmaße</strong> 69<br />

Inhaltlicher Exkurs: Vermögensverteilung in Deutschland<br />

4.1.4 Weitere relative <strong>Konzentrationsmaße</strong><br />

Insbesondere basierend auf der ” natürlichen, äquidistanten Einteilung“ mit Hilfe von<br />

Quantilen lassen sich weitere relative <strong>Konzentrationsmaße</strong> definieren:<br />

Robin-Hood-Index (Wagschal, 1999, S.135ff)<br />

• Idee: Wieviel müsste den Reichen weggenommen werden, um zu einer Konzentration<br />

von 0 zu kommen?<br />

• Ermittle jeweils für jedes j für das j · α-Quantil den Abstand seines Anteils zu j · α<br />

(also den Abstand zur Winkelhalbierenden).<br />

• Aufaddieren der positiven Abstände liefert den Robin-Hood-Index. Dieser Anteil<br />

müsste verteilt werden, um zu einer gleichen Verteilung zu kommen!


70 4.2. Absolute Konzentrationsmessung<br />

• Grafische Bestimmung des Robin-Hood-Indexes ⇒ Wagschal (1999, S.132).<br />

Quantilverhältnisse<br />

• Bilde das Verhältnis von (1 − α)- und α-Quantil, zum Beispiel:<br />

x0.9<br />

x0.1<br />

Dezilverhältnis (falls x0.1 > 0).<br />

• Interpretation am Beispiel des Einkommensvergleichs: Um welchen Faktor ist der<br />

Besitz der 10% Reichsten größer als der Besitz der 10% Ärmsten.<br />

• Minimale Konzentration erhält man, wenn alle Beobachtungen in einem Punkt zusammenfallen.<br />

Dann gilt beispielsweise x0.1 = x0.9 und damit Dezilverhältnis = 1.<br />

• Vorsicht: Ist das Dezilverhältnis = 1, so folgt nicht automatisch, dass minimale<br />

Konzentration vorliegt. Beispiel: 99% besitzen praktisch gar nichts, 1% fast alles,<br />

dann ist das Dezilverhältnis auch 1.<br />

Problematisch bei der Betrachtung extremer Ungleichheit, beispielsweise für Einkommen<br />

in Entwicklungsländern.<br />

• Für die Einkommensverhältnisse in OECD-Ländern dagegen sehr anschauliches Maß.<br />

Beispiel: Dezilverhältnisse des Einkommens von Vollbeschäftigten im internationalen<br />

Vergleich (Wagschal, 1999, S.138)<br />

Norwegen 1.98 Italien 2.80<br />

Schweden 2.13 Neuseeland 3.04<br />

Dänemark 2.17 Japan 3.04<br />

Belgien 2.25 Frankreich 3.26<br />

Finnland 2.29 Großbritannien 3.33<br />

Deutschland 2.32 Österreich 3.58<br />

Niederlande 2.59 Kanada 4.02<br />

Schweiz 2.71 Portugal 4.05<br />

Australien 2.79 USA 4.16<br />

4.2 Absolute Konzentrationsmessung<br />

• Alle bisherigen Maße betrachteten die relative Konzentration: Sowohl die uj als auch<br />

die vj waren Anteile.<br />

• Zu unterscheiden davon ist die absolute Konzentration, die die absolute Zahl der<br />

Merkmalsträger miteinbezieht.<br />

• Beispiel Duopolsituation (Markt mit nur zwei Anbietern): Haben beide denselben<br />

Umsatz, so ist die relative Konzentration 0, es liegt aber eine sehr starke absolute<br />

Konzentration vor.


Kapitel 4. <strong>Konzentrationsmaße</strong> 71<br />

• Es ist jeweils inhaltlich zu entscheiden, welche der beiden Arten von Konzentration<br />

von Interesse ist.<br />

• Relative Konzentrationsmessung ist heranzuziehen, wenn<br />

– die Merkmalssumme auf sehr viele Einheiten verteilt wird, oder<br />

– bei der Frage: Herrscht im Markt ein Übergewicht?<br />

• Absolute <strong>Konzentrationsmaße</strong> werden v.a. dann verwendet, wenn die Merkmalsumme<br />

nur auf wenige Einheiten aufgeteilt wird.<br />

Konzentrationsrate Naheliegende Idee zur Messung absoluter Konzentration: Betrachte<br />

den Anteil, der auf die größten g Einheiten entfällt (nicht relativ, sondern absolut<br />

gemeint).<br />

Definition: Sei 0 ≤ x(1) ≤ x(2) ≤ . . . ≤ x(n) die geordnete Urliste eines verhältnisskalierten<br />

Merkmals mit � n<br />

i=1 xi > 0. Mit<br />

heißt<br />

Konzentrationsrate vom Grad g.<br />

• Bestandteile der Formel:<br />

n�<br />

p(i) := x(i)<br />

CRg :=<br />

j=1<br />

n�<br />

xj<br />

i=n−g+1<br />

p(i)<br />

– p(i) Anteil der i-ten Beobachtung am Gesamten.<br />

– Summiert werden die Indizes<br />

n − g + 1, n − g + 2, . . . , n,<br />

also in der Tat über die g Einheiten mit den größten Ausprägungen.<br />

• Maximale Konzentration:<br />

(die größte Beobachtung hat alles).<br />

CR1 = 1<br />

• Minimale Konzentration: x(1) = x(2) = . . . = x(n) =: x . Dann gilt<br />

p(i) = x(i)<br />

n�<br />

= x<br />

n · x<br />

und damit<br />

CRg =<br />

i=1<br />

xi<br />

n�<br />

i=n−g+1<br />

• Wahl von g? Typischerweise ” klein“: 2 oder 3<br />

p(i) = g<br />

n


72 4.2. Absolute Konzentrationsmessung<br />

Beispiel: Zweitstimmenanteile politischer Parteien bei Bundestagswahlen 1949–2005 (Waagschal,<br />

1999, S.142)<br />

1949 1953 1965 1972 1983 1994 2002 2005<br />

CDU/CSU 31,0% 45,2% 47,6% 44,9% 48,8% 41,5% 38,5% 35,2%<br />

SPD 29,2% 28,8% 39,3% 45,8% 38,2% 36,4% 38,5% 34,2%<br />

FDP 11,9% 9,5% 9,5% 8,4% 7,0% 6,9% 7,4% 9,8%<br />

Grüne - - - - 5,6% 7,3% 8,6% 8,1%<br />

Sonstige 27,9% 16,5% 3,6% 0,9% 0,4% 7,9% 7,0% 12,7%<br />

Es ergeben sich folgende Konzentrationsraten für das Parteiensystem der Bundesrepublik<br />

Deutschland für die untersuchten Jahre:<br />

CR2(1949) = (31,0+29,2)/100 = 0,602<br />

CR2(1953) = (45,2+28,8)/100 = 0,740<br />

CR2(1965) = (47,6+39,3)/100 = 0,869<br />

CR2(1972) = 0,907<br />

CR2(1983) = 0,870<br />

CR2(1994) = 0,779<br />

CR2(2002) = 0,770<br />

CR2(2005) = 0,694<br />

CR3(1949) = (31,0+29,2+11,9)/100 = 0,721<br />

CR3(1953) = (45,2+28,8+9,5)/100 = 0,835<br />

CR3(1965) = (47,6+39,3+9,5)/100 = 0,964<br />

CR3(1972) = 0,991<br />

CR3(1983) = 0,940<br />

CR3(1994) = 0,852<br />

CR3(2002) = 0,856<br />

CR3(2005) = 0,792<br />

Herfindahl-Index: Die Konzentrationsrate berücksichtigt nur die g größten Werte. Will<br />

man dies nicht, so empfiehlt sich der sogenannte Herfindahl-Index.<br />

Definition: Sei 0 ≤ x(1) ≤ x(2) ≤ . . . ≤ x(n) die geordnete Urliste eines verhältnisskalierten<br />

Merkmals mit � n<br />

i=1 xi > 0. Mit<br />

heißt<br />

n�<br />

p(i) := x(i)<br />

H :=<br />

Herfindahl-Index. Die Größe 1 − H wird auch als Rae-Index bezeichnet.<br />

j=1<br />

n�<br />

i=1<br />

xj<br />

p 2 (i)


Kapitel 4. <strong>Konzentrationsmaße</strong> 73<br />

Eigenschaften :<br />

• H liegt zwischen 1<br />

n<br />

und 1.<br />

• Minimale Konzentration ergibt sich bei p(i) = 1<br />

n :<br />

H =<br />

n�<br />

i=1<br />

� �2 1<br />

n<br />

= n · 1 1<br />

=<br />

n2 n<br />

• Maximale Konzentration ergibt sich bei p(n) = 1 und p(i) = 0 für alle restlichen i.<br />

H = 1.<br />

• In der Tat wird die absolute Konzentration gemessen: Hat man q Einheiten, die<br />

jeweils den gleichen Anteil ausmachen, so gilt:<br />

q = 1 H = 1 (maximale Konzentration)<br />

q = 2 H = ( 1<br />

2 )2 + ( 1<br />

2 )2 = 1<br />

2<br />

q = 3 H = ( 1<br />

3 )2 + ( 1<br />

3 )2 + ( 1<br />

3 )2 = 1<br />

3<br />

während für den Gini-Koeffizienten immer G = 0 gilt.<br />

Beispiel: Herfindahl- und Rae-Index des deutschen Parteienwesens (2005).<br />

p(i)<br />

p 2 (i)<br />

CDU/CSU 35,2% 0.1239<br />

SPD 34,2% 0.1169<br />

FDP 9.8% 0.9604<br />

Grüne 8.1% 0.6561<br />

Linkspartei 8.7% 0.7569<br />

Sonstige (als eine Partei) 4,0% 0.1600<br />

H = 0.2662 ⇐⇒ RAE = 0.7398<br />

Beispiel: Durchschnittliche Fraktionalisierung von Parteiensystemen (Waagschal, 1999,<br />

S. 145).<br />

Land durchschnittlicher<br />

Rae-Index 1945-93<br />

USA 0.53<br />

Österreich 0.60<br />

Großbritannien 0.62<br />

Deutschland 0.64<br />

Schweiz 0.71<br />

Italien 0.75<br />

Frankreich 0.79<br />

Niederlande 0.79<br />

Finnland 0.82

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