vs-aktuell · 2012 / Nr. 2 - VOLKSSOLIDARITÄT 1990 eV Halle (Saale)
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<strong>vs</strong>-<strong>aktuell</strong> <strong>·</strong> <strong>2012</strong> / <strong>Nr</strong>. 2 Neues von Karl 5<br />
Karls Freund und der Hund … von Klaus Peschke<br />
Es wird allgemein behauptet, dass sich ein Hund und<br />
dessen Frauchen beziehungsweise Herrchen im Laufe<br />
der Zeit immer ähnlicher werden. Diese »Erfahrung«<br />
konnte auch Karls Freund Gerhard Schmidt machen.<br />
Dieser erzählte Karl folgendes:<br />
Gerhard Schmidt hatte im Allgäu ein Grundstück erworben.<br />
Es lag auf halber Höhe an einem Berg. Nachdem<br />
er eingezogen war, kletterte Herr Schmidt hinter<br />
»seinem neuen Haus« den Steilhang empor, um sich bei<br />
den Leuten, die ihr Haus ganz oben auf dem Berge stehen<br />
hatten, vorzustellen.<br />
Die Sonne brannte und der Berg forderte Herrn<br />
Schmidt alles an Kondition ab. Völlig außer Atem und<br />
mit weichen Knien las er oben an der Haustür das<br />
Namensschild und klopfte.<br />
Als erstes meldete sich ein Hund. Ein helles lautes aufdringliches<br />
Kläffen drang durch<br />
die Tür. »Ich komme ja schon«,<br />
hörte er kurz darauf eine weibliche<br />
Stimme, die wohl eher dem<br />
Hund, als dem Ankömmling galt.<br />
Nachdem die Tür geöffnet wurde,<br />
begann das Kläffen wieder<br />
und ließ auch nicht nach, als der<br />
Hund auf den Arm genommen<br />
wurde.<br />
»Frau Winderle?«, fragte Herr<br />
Schmidt laut, um das Bellen des<br />
kleinen niedlichen Hundes zu<br />
übertönen.<br />
Freundlich nickend bat ihn die<br />
Foto: W. Kubak<br />
alte Dame in ihr Wohnzimmer. Auf dem Wege dorthin<br />
redete sie beruhigend auf ihren Spitz ein, der dadurch<br />
auch zu bellen aufhörte.<br />
Herr Schmidt bekam einen Platz im Sessel angeboten.<br />
Frau Winderle nahm ihren Hund auf den Schoß und<br />
machte es sich auf der Couch bequem. Kaum hatte Herr<br />
Schmidt Platz genommen, begann der Hund erneut mit<br />
seinem Gekläffe und ließ den Mann nicht zu Wort kommen.<br />
Frau Winderle streichelte ihren Hund und redete mit<br />
ihm: »Was machst du denn nur für einen Radau. Gut,<br />
ich habe Besuch bekommen. Ich weiß ja selbst noch<br />
nicht, wer das ist. Aber das wird er uns der Herr sicher<br />
gleich erzählen. Das ist noch lange kein Grund, dass du<br />
dich so aufführst!« Und zu Herrn Schmidt gewandt,<br />
redete sie: »Sehen Sie, es ist ja ein so lieber Kerl. Er ist<br />
vor Freude ganz aus dem Häuschen. Wissen Sie, ich<br />
bekomme hier oben sehr selten Besuch von fremden<br />
Leuten. Die anderen Menschen hier aus der Gegend<br />
kennt der Hund ja, da bellt er nicht so.« Durch das<br />
Streicheln und die monotone Stimme des Frauchens<br />
beruhigte sich der Hund. Doch als Herr Schmidt zu sprechen<br />
anfangen wollte, ging das Gekläffe wieder los.<br />
Erneut redete das Frauchen wieder auf ihren Hund ein.<br />
Herr Schmidt wollte ihr nicht ins Wort fallen. So erzählte<br />
sie ihm alles, was er über ihren Hund wissen und<br />
nicht wissen wollte. Vom Stammbaum, wer der Vater<br />
des Hundes war, und wer seine Mutter war. Sie sprach<br />
über die Besonderheiten beim Füttern, was er alles<br />
mochte und was nicht. Und immer wieder betonte sie,<br />
was doch ihr Hund sonst für ein lieber Kerl sei und was<br />
er alles könne. Einen kurzen Augenblick schwieg sie, als<br />
überlegte sie, wer ihr Gegenüber sei und sah ihn an.<br />
Herr Schmidt bemerkte ihren fragenden Blick, aber<br />
noch ehe er antworten konnte, fing der Hund wieder<br />
zu bellen an, so, als wollte er sagen: »Du bist still! Hier<br />
reden Frauchen oder ich. Sonst niemand! Verstanden?«<br />
Frau Winderle sprach wieder mit ihrem Hund und versuchte,<br />
ihn zu beruhigen. Es war wie verhext! Entweder<br />
bellte der Hund, dass man nichts verstehen konnte,<br />
oder das Frauchen erzählte, so dass Herr Schmidt nicht<br />
stören wollte. Sie war mittlerweile bereits das dritte<br />
Mal beim Stammbaum angelangt, und es war nicht abzusehen,<br />
wie lange das noch so weitergehen würde.<br />
Kurzerhand nahm Herr Schmidt<br />
einen Kugelschreiber und schrieb<br />
auf den Rand einer auf dem<br />
Tisch liegenden Zeitung: »Ich bin<br />
Herr Schmidt, Ihr neuer Nachbar.«<br />
Dann stand er auf und ließ<br />
die Frau, die immer noch mit<br />
ihrem Hund erzählte, allein zurück.<br />
Einen Tag später, in der kleinen<br />
Kirche ließ er sich in einer Bank<br />
nieder. Er nahm den prächtigen<br />
Schmuck in der Kirche wahr und<br />
betrachtete voller Andacht den<br />
Altar. Er sah, wie die Sonne ihre<br />
Strahlen durch das bunte Glas der Fenster schickte und<br />
vertiefte sich dann in sein Gesangbuch.<br />
Plötzlich durchzuckte es ihn, wie ein Blitz. Frau Winderle<br />
hatte neben ihm Platz genommen und riss ihn aus<br />
seiner Andacht: »Ach«, begann sie erneut das Gespräch.<br />
»Sie sind der neue Nachbar? Und Schmidt ist Ihr<br />
Name, wenn ich es richtig gelesen habe? Und sie waren<br />
nur gekommen, um sich vorzustellen? Ja, aber das hätten<br />
Sie doch sagen können, als Sie bei mir waren! Das<br />
brauchten Sie doch nicht auf einen Zeitungsrand schreiben.<br />
Beinahe hätte ich die Zeitung weggeworfen und<br />
Ihre Nachricht nicht einmal gelesen. Gut! Ich weiß<br />
schon, der Hund hat Sie nicht zum Sprechen kommen<br />
lassen. Ja, ja, der Hund«, seufzte sie. »Dabei ist er sonst<br />
ein so lieber Kerl«, sprach sie fast ohne Atempause. »Er<br />
gehorchte mir aufs Wort! Na ja, nicht immer gleich auf<br />
das Erste, aber immerhin. Und intelligent ist mein<br />
Struppi, ich kann Ihnen sagen! Das hat er alles von seinem<br />
Vater geerbt. Sagte ich Ihnen eigentlich schon,<br />
dass sein Vater ein Zirkushund war und seine Mutter<br />
…?« Der Beginn des Gottesdienstes hielt Frau Winderle<br />
davon ab, Herrn Schmidt den Stammbaum ihres Hundes<br />
erneut zu erzählen.<br />
»Gott sei Dank«, schickte Herr Schmidt ein Stoßgebet<br />
gen Himmel. »Das kann ja heiter werden. Nur gut, dass<br />
ich nach dem Gottesdienst beim Herrn Pfarrer angemeldet<br />
bin, sonst hätte ich mir auf dem Heimweg die<br />
Geschichte ihres Hundes erneut anhören müssen.«