Drucken VORSPIEL_23_LITHO - Burgtheater
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vorgänge<br />
Alltagssprache, die nach Blut schmeckt<br />
I„Ich bemühe mich nicht um abgerundete<br />
Menschen mit Fehlern und Schwächen, sondern<br />
um Polemik, starke Kontraste; eine Art<br />
Holzschnittechnik. Ich schlage sozusagen<br />
mit der Axt drein, damit kein Gras mehr<br />
wächst, wo meine Figuren hingetreten sind.”<br />
Diese Bemerkung machte Elfriede Jelinek<br />
sehr früh über ihre dramatischen Texte, Mitte<br />
der neunziger Jahre. Vor wenigen<br />
Wochen, vor der Uraufführung ihres Textes<br />
„Bambiland“, sagte sie mir, dass sie wünsche,<br />
ihr Text möge verschwinden hinter der<br />
Inszenierung von Christoph Schlingensief. Ihr<br />
Wunsch wurde erfüllt. Schlingensief ließ nicht<br />
mehr das Geschriebene sprechen, sondern<br />
er benutzte es bloß als Assoziationsmaterial.<br />
So wie sie, die Dramatikerin, Reden, Kommentare,<br />
Berichte zum Irak-Krieg nur verwandte,<br />
um sie zu collagieren und damit<br />
Assoziationen zu provozieren. Sie gab sie im<br />
Internet frei – für alle.<br />
Elfriede Jelinek saugt die Sprache des Alltags<br />
auf und verwertet davon nur, was darinnen<br />
nach Blut schmeckt. Ihre Arbeitsmethode<br />
vampiristisch zu nennen, ist gewiss nicht<br />
falsch. Denn der Vorgang, der an ihr 1987<br />
uraufgeführtes Stück „Krankheit oder<br />
moderne Frauen“ erinnert, gibt ihr Kraft, just<br />
gegen das zu schreiben, was sie verabscheut:<br />
Gewalt und Krieg. In diesem Stück,<br />
das so konventionell gebaut ist wie „Raststätte<br />
oder sie machen’s alle”, 1994 uraufgeführt,<br />
gibt es noch Rollen, Figuren. Es gibt<br />
Dialoge, die Spielern zugeordnet werden.<br />
Das, was an diesen Dramen verstörte, war<br />
nicht die Form, die Themen machten Kritikern<br />
und Zuschauern zu schaffen – und das<br />
Fehlen von Psychologie. Die Holzschnitt-<br />
Technik. Aber sie verzichtete nicht auf<br />
Gesellschaftskritik. Was die Dramatikerin<br />
nicht wollte – und manche ihrer Exegetinnen<br />
suchten genau dies darinnen: eine weibliche<br />
Sprache behaupten. Das bedeutet, dass sie<br />
jenen Unterscheidungen, die Julia Kristeva,<br />
als Nachdenkerin von Jacques Lacan, in<br />
ihrem Schreiben nicht (be)folgt und sie dennoch<br />
bestätigt. Für Julia Kristeva bevorzugen<br />
Schriftstellerinnen nicht die Grammatik der<br />
objektivierenden Sprache (das machen die<br />
Männer), sondern eine semiotische Sprache:<br />
Klänge, Rhythmen und poetische Bilder.<br />
Wenngleich Elfriede Jelinek darauf besteht,<br />
dass die weibliche Dramaturgie eine Kreisdramaturgie<br />
sei, so ist für sie etwas ganz<br />
anderes entscheidend als die Diskussion<br />
weibliche/männliche Sprache: „Das Entscheidende<br />
ist”, so klagt sie, „dass die patriarchalische<br />
Kultur existiert, dass die Frauen<br />
keinen Ort haben in ihr und sich nur als<br />
Gegenbilder definieren können.”<br />
Die große Wende in ihrem dramatischen<br />
Schaffen kündigte sich an mit „Stecken, Stab<br />
und Stangl”. Das Stück ist eine einzige große<br />
Rede, einer Gruppe von nicht definierten<br />
Menschen in den Mund gelegt, das Material<br />
wird also noch Sprechern zugeordnet.<br />
Es gleicht einem Requiem. Und es ist eine<br />
Collage. Dreiste Werbesprüche treffen auf<br />
Leitartikler-Gedröhn, auf Mob-Geplärr, auf<br />
Zeilen von Paul Celan, dem Lyriker, der auch<br />
in dem Werk „In den Alpen“ wieder zitiert<br />
werden wird. „Stecken, Stab und Stangl” gilt<br />
mir neben dem Robert-Walser-Monolog „er<br />
nicht als er” und „Wolken.Heim” als Elfriede<br />
Jelineks wichtigstes Werk. Hier ist der Tod<br />
kein Mätzchen, sondern ein Menetekel. Hier ist<br />
Elfriede Jelinek eine Sprachbeherrscherin, eine<br />
Sprachkritikerin. Auf den Spuren von Kleist.<br />
Begonnen hat Elfriede Jelinek mit dieser Art<br />
von Texten 1985, als das Stück „<strong>Burgtheater</strong>”<br />
herauskam. Es war eine Auseinandersetzung<br />
mit der nationalsozialistischen Vergangenheit<br />
berühmter <strong>Burgtheater</strong>-Mimen.<br />
1988 etablierte sie mit „Wolken.Heim” eine<br />
neue Theaterform. Der Prosatext, die<br />
Sprachfläche, als Material für den Theatermacher.<br />
Und sie blieb bei ihrem Thema:<br />
Deutschland und Österreich, Groß-Deutschland<br />
unter der Jelinekschen Zerr-Lupe. Die<br />
Jelinek seziert darin Sprache und zum Vorschein<br />
kommen Gedanken, entkleidet der<br />
Lüge – nackt. Das deutsche Wir, das in diesem<br />
Monolog spricht, ist ein Wir, gebildet von<br />
vielen. Von Fichte, Heidegger, Hegel, Hölderlin<br />
und Kleist. Und von der RAF werden Auszüge<br />
aus sieben Briefen der Mitglieder in den<br />
Text eingearbeitet. Akribisch hat sie darin<br />
nach Vaterland, Krieg und nach dem Zwist<br />
zwischen Staat und Individuum gesucht.<br />
Elfriede Jelinek hat den Text komponiert wie<br />
Musik, und bei dieser Methode blieb sie.<br />
Auch „Bambiland“ ist eine Komposition. Wie<br />
sie montiert – und erfindet – ist wichtiger, als<br />
was sie auffindet und miteinander in Beziehung<br />
setzt. „Wolken.Heim” und „Bambiland“<br />
können nicht als ein einheitliches Gebilde<br />
gelesen werden und gelten. Elfriede Jelinek<br />
setzt mit harten Schnitten die Fragmente<br />
gegeneinander. Sie komponiert Dissonanzen,<br />
Duette und Chöre. Wer „Wolken.Heim”<br />
oder „Bambiland“ hört oder liest, wird von der<br />
Autorin in einen Dialog gezwungen mit den<br />
toten Texten, derer sie sich bedient. Die Textsegmente<br />
werden zu Leben erweckt, wieder<br />
vernichtet, weil in ein neues, spannungsreiches<br />
Umfeld montiert und in eine neue<br />
Bewegung versetzt, also wieder belebt. Jelineks<br />
Sprachflächen gleichen einem Atom, in<br />
dem die einzelnen Teilchen gegeneinander<br />
stoßen, Energie, Sprachenergie entwickeln<br />
und deshalb in ständiger Bewegung bleiben.<br />
In Jelineks Collage-Texten, so auch in „Bambiland”,<br />
fehlen die Anführungszeichen. Die<br />
Manipulatorin kennzeichnet die verwendeten<br />
Texte nicht als Fremdmaterial. Dieses Verschweigen<br />
von Urheberschaft ist nichts Neues,<br />
lässt sich schon bei Flaubert finden, in<br />
der Moderne und später in der Postmoderne.<br />
Doch Jelineks Vorgehen folgt im Gegensatz<br />
zu den anderen einem Programm. Nichts ist<br />
zufällig in ihrem rhetorischen und poetologischen<br />
Verfahren. Eigentlich dürften die ver-<br />
Impressum<br />
C. Bernd Sucher über die Theatertexte von Elfriede Jelinek<br />
vorspiel. Das Magazin des Wiener <strong>Burgtheater</strong>s erscheint fünfmal jährlich als Sonderbeilage der Tageszeitung DER STANDARD.<br />
Medieninhaber: DER STANDARD Verlagsgesellschaft mbH. 3430 Tulln, Königstetter Strasse 132.<br />
Herausgeber: Direktion <strong>Burgtheater</strong> GesmbH, 1010 Wien, Dr. Karl Lueger-Ring 2. Redaktion: Dramaturgie <strong>Burgtheater</strong>.<br />
Gestaltung: richy oberriedmüller, section.d. Hersteller: Goldmann-Zeitungsdruck GesmbH, 3430 Tulln, Königstetter Strasse 132<br />
wendeten Zitate gar nicht mehr Zitate<br />
genannt werden. Elfriede Jelineks frecher,<br />
respektloser Umgang mit den Texten offenbart,<br />
dass sie den Urhebern das literarische<br />
Eigentum genauso streitig macht wie das<br />
gesprochene Wort oder die publizierte Meinung.<br />
Ihre Fähigkeit, aus dem Verschiedensten<br />
ein Neues zu schaffen, also einen Prozess<br />
der literarischen Amalgation einzuleiten<br />
und aus dem zeitlich Entfernten ein Kontinuum<br />
zu bilden, ist alle Bewunderung wert.<br />
Elfriede Jelinek ist die Neuerin des deutschsprachigen<br />
Dramas: Sie erfindet nicht zuerst<br />
eine Figur, der sie beim Schreiben dann<br />
Gedanken und Gefühle zuordnet, sondern<br />
sie arbeitet genau gegensätzlich. Die Figur<br />
muss über die Sprache entstehen. Oder, wie<br />
sie es selber ausdrückt: Nicht eine Person<br />
oder sechs Personen suchten bei ihr einen<br />
Autor, sondern „das Sprechen sucht eine<br />
Hülle”. Ganz anders formuliert: Die Zeugen<br />
ihrer Anklage gegen Gott, gegen ihre Heimat,<br />
gegen Regierungen, gegen die Dichter<br />
und Denker und gegen die Zeitungen, auch<br />
gegen die Männer überhaupt sind schon da,<br />
bevor es sie gibt, denn sie sind gefundene<br />
oder erfundene Sprache, die ein Gefäß<br />
sucht. Jemanden, der sie spricht oder spielt.<br />
Je weniger Elfriede Jelinek während des<br />
Schreibens nach den Hüllen sucht, also sich<br />
bewusst entfernt von Rollen und Rollenbildern<br />
– wie sie sie für all ihre Romane und für<br />
ihre frühen Stücke und die „Raststätte”<br />
benutzte, also sehr konventionell Figuren<br />
gestaltete; je entschiedener sie mit Prosatexten,<br />
mit der Montage von aufgefundenen<br />
Materialien arbeitet und es dem Regisseur<br />
überlässt, wie er den Text verteilt, auf welche<br />
Schauspieler: Desto bestechender, desto<br />
verletzender werden ihre Texte. Dann entlarvt<br />
sie nicht die Lüge allein. Sie sagt wahr –<br />
indem sie Lügen montiert.<br />
Elfriede Jelineks beste Texte zeugen Denken.<br />
Penetrieren Sprach- und Denkmuster,<br />
Gewohnheiten des Nicht-mehr-Bedenkens.<br />
Just das, was manche Theaterkritiker Elfriede<br />
Jelinek ankreiden – dass sie keine dramatischen<br />
Texte schreibe, keine herkömmlichen<br />
Dialoge –, ist ihre Stärke. Sie will ein anderes<br />
Theater. Misslingt es ihr, misslingt, was sie mit<br />
ihren Texten will, dann sagt sie schnippisch:<br />
„Ich weiß, dass alles aus und im Arsch ist.”<br />
C. Bernd Sucher, geboren in Bitterfeld, Autor und<br />
Kritiker der „Süddeutschen Zeitung“ Neben verschiedenen<br />
Lehrtätigkeiten ist er Herausgeber des Sucher-<br />
Theaterlexikons und Autor zahlreicher anderer Publikationen,<br />
u.a. „Luc Bondy - Erfinder, Spieler, Liebhaber“<br />
im Rahmen der Edition <strong>Burgtheater</strong>.<br />
Nächste Vorstellungen von „Das Werk“ am 8.<br />
Februar, von „Bambiland“ am <strong>23</strong>. und 24. Februar;<br />
Beachten Sie bitte den vorgezogenen Kartenvorverkauf<br />
für „Bambiland“ der seit 20.12. läuft<br />
und nutzen Sie auch SMS-Ticketing! (s.S. 15)