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vorgänge<br />

Alltagssprache, die nach Blut schmeckt<br />

I„Ich bemühe mich nicht um abgerundete<br />

Menschen mit Fehlern und Schwächen, sondern<br />

um Polemik, starke Kontraste; eine Art<br />

Holzschnittechnik. Ich schlage sozusagen<br />

mit der Axt drein, damit kein Gras mehr<br />

wächst, wo meine Figuren hingetreten sind.”<br />

Diese Bemerkung machte Elfriede Jelinek<br />

sehr früh über ihre dramatischen Texte, Mitte<br />

der neunziger Jahre. Vor wenigen<br />

Wochen, vor der Uraufführung ihres Textes<br />

„Bambiland“, sagte sie mir, dass sie wünsche,<br />

ihr Text möge verschwinden hinter der<br />

Inszenierung von Christoph Schlingensief. Ihr<br />

Wunsch wurde erfüllt. Schlingensief ließ nicht<br />

mehr das Geschriebene sprechen, sondern<br />

er benutzte es bloß als Assoziationsmaterial.<br />

So wie sie, die Dramatikerin, Reden, Kommentare,<br />

Berichte zum Irak-Krieg nur verwandte,<br />

um sie zu collagieren und damit<br />

Assoziationen zu provozieren. Sie gab sie im<br />

Internet frei – für alle.<br />

Elfriede Jelinek saugt die Sprache des Alltags<br />

auf und verwertet davon nur, was darinnen<br />

nach Blut schmeckt. Ihre Arbeitsmethode<br />

vampiristisch zu nennen, ist gewiss nicht<br />

falsch. Denn der Vorgang, der an ihr 1987<br />

uraufgeführtes Stück „Krankheit oder<br />

moderne Frauen“ erinnert, gibt ihr Kraft, just<br />

gegen das zu schreiben, was sie verabscheut:<br />

Gewalt und Krieg. In diesem Stück,<br />

das so konventionell gebaut ist wie „Raststätte<br />

oder sie machen’s alle”, 1994 uraufgeführt,<br />

gibt es noch Rollen, Figuren. Es gibt<br />

Dialoge, die Spielern zugeordnet werden.<br />

Das, was an diesen Dramen verstörte, war<br />

nicht die Form, die Themen machten Kritikern<br />

und Zuschauern zu schaffen – und das<br />

Fehlen von Psychologie. Die Holzschnitt-<br />

Technik. Aber sie verzichtete nicht auf<br />

Gesellschaftskritik. Was die Dramatikerin<br />

nicht wollte – und manche ihrer Exegetinnen<br />

suchten genau dies darinnen: eine weibliche<br />

Sprache behaupten. Das bedeutet, dass sie<br />

jenen Unterscheidungen, die Julia Kristeva,<br />

als Nachdenkerin von Jacques Lacan, in<br />

ihrem Schreiben nicht (be)folgt und sie dennoch<br />

bestätigt. Für Julia Kristeva bevorzugen<br />

Schriftstellerinnen nicht die Grammatik der<br />

objektivierenden Sprache (das machen die<br />

Männer), sondern eine semiotische Sprache:<br />

Klänge, Rhythmen und poetische Bilder.<br />

Wenngleich Elfriede Jelinek darauf besteht,<br />

dass die weibliche Dramaturgie eine Kreisdramaturgie<br />

sei, so ist für sie etwas ganz<br />

anderes entscheidend als die Diskussion<br />

weibliche/männliche Sprache: „Das Entscheidende<br />

ist”, so klagt sie, „dass die patriarchalische<br />

Kultur existiert, dass die Frauen<br />

keinen Ort haben in ihr und sich nur als<br />

Gegenbilder definieren können.”<br />

Die große Wende in ihrem dramatischen<br />

Schaffen kündigte sich an mit „Stecken, Stab<br />

und Stangl”. Das Stück ist eine einzige große<br />

Rede, einer Gruppe von nicht definierten<br />

Menschen in den Mund gelegt, das Material<br />

wird also noch Sprechern zugeordnet.<br />

Es gleicht einem Requiem. Und es ist eine<br />

Collage. Dreiste Werbesprüche treffen auf<br />

Leitartikler-Gedröhn, auf Mob-Geplärr, auf<br />

Zeilen von Paul Celan, dem Lyriker, der auch<br />

in dem Werk „In den Alpen“ wieder zitiert<br />

werden wird. „Stecken, Stab und Stangl” gilt<br />

mir neben dem Robert-Walser-Monolog „er<br />

nicht als er” und „Wolken.Heim” als Elfriede<br />

Jelineks wichtigstes Werk. Hier ist der Tod<br />

kein Mätzchen, sondern ein Menetekel. Hier ist<br />

Elfriede Jelinek eine Sprachbeherrscherin, eine<br />

Sprachkritikerin. Auf den Spuren von Kleist.<br />

Begonnen hat Elfriede Jelinek mit dieser Art<br />

von Texten 1985, als das Stück „<strong>Burgtheater</strong>”<br />

herauskam. Es war eine Auseinandersetzung<br />

mit der nationalsozialistischen Vergangenheit<br />

berühmter <strong>Burgtheater</strong>-Mimen.<br />

1988 etablierte sie mit „Wolken.Heim” eine<br />

neue Theaterform. Der Prosatext, die<br />

Sprachfläche, als Material für den Theatermacher.<br />

Und sie blieb bei ihrem Thema:<br />

Deutschland und Österreich, Groß-Deutschland<br />

unter der Jelinekschen Zerr-Lupe. Die<br />

Jelinek seziert darin Sprache und zum Vorschein<br />

kommen Gedanken, entkleidet der<br />

Lüge – nackt. Das deutsche Wir, das in diesem<br />

Monolog spricht, ist ein Wir, gebildet von<br />

vielen. Von Fichte, Heidegger, Hegel, Hölderlin<br />

und Kleist. Und von der RAF werden Auszüge<br />

aus sieben Briefen der Mitglieder in den<br />

Text eingearbeitet. Akribisch hat sie darin<br />

nach Vaterland, Krieg und nach dem Zwist<br />

zwischen Staat und Individuum gesucht.<br />

Elfriede Jelinek hat den Text komponiert wie<br />

Musik, und bei dieser Methode blieb sie.<br />

Auch „Bambiland“ ist eine Komposition. Wie<br />

sie montiert – und erfindet – ist wichtiger, als<br />

was sie auffindet und miteinander in Beziehung<br />

setzt. „Wolken.Heim” und „Bambiland“<br />

können nicht als ein einheitliches Gebilde<br />

gelesen werden und gelten. Elfriede Jelinek<br />

setzt mit harten Schnitten die Fragmente<br />

gegeneinander. Sie komponiert Dissonanzen,<br />

Duette und Chöre. Wer „Wolken.Heim”<br />

oder „Bambiland“ hört oder liest, wird von der<br />

Autorin in einen Dialog gezwungen mit den<br />

toten Texten, derer sie sich bedient. Die Textsegmente<br />

werden zu Leben erweckt, wieder<br />

vernichtet, weil in ein neues, spannungsreiches<br />

Umfeld montiert und in eine neue<br />

Bewegung versetzt, also wieder belebt. Jelineks<br />

Sprachflächen gleichen einem Atom, in<br />

dem die einzelnen Teilchen gegeneinander<br />

stoßen, Energie, Sprachenergie entwickeln<br />

und deshalb in ständiger Bewegung bleiben.<br />

In Jelineks Collage-Texten, so auch in „Bambiland”,<br />

fehlen die Anführungszeichen. Die<br />

Manipulatorin kennzeichnet die verwendeten<br />

Texte nicht als Fremdmaterial. Dieses Verschweigen<br />

von Urheberschaft ist nichts Neues,<br />

lässt sich schon bei Flaubert finden, in<br />

der Moderne und später in der Postmoderne.<br />

Doch Jelineks Vorgehen folgt im Gegensatz<br />

zu den anderen einem Programm. Nichts ist<br />

zufällig in ihrem rhetorischen und poetologischen<br />

Verfahren. Eigentlich dürften die ver-<br />

Impressum<br />

C. Bernd Sucher über die Theatertexte von Elfriede Jelinek<br />

vorspiel. Das Magazin des Wiener <strong>Burgtheater</strong>s erscheint fünfmal jährlich als Sonderbeilage der Tageszeitung DER STANDARD.<br />

Medieninhaber: DER STANDARD Verlagsgesellschaft mbH. 3430 Tulln, Königstetter Strasse 132.<br />

Herausgeber: Direktion <strong>Burgtheater</strong> GesmbH, 1010 Wien, Dr. Karl Lueger-Ring 2. Redaktion: Dramaturgie <strong>Burgtheater</strong>.<br />

Gestaltung: richy oberriedmüller, section.d. Hersteller: Goldmann-Zeitungsdruck GesmbH, 3430 Tulln, Königstetter Strasse 132<br />

wendeten Zitate gar nicht mehr Zitate<br />

genannt werden. Elfriede Jelineks frecher,<br />

respektloser Umgang mit den Texten offenbart,<br />

dass sie den Urhebern das literarische<br />

Eigentum genauso streitig macht wie das<br />

gesprochene Wort oder die publizierte Meinung.<br />

Ihre Fähigkeit, aus dem Verschiedensten<br />

ein Neues zu schaffen, also einen Prozess<br />

der literarischen Amalgation einzuleiten<br />

und aus dem zeitlich Entfernten ein Kontinuum<br />

zu bilden, ist alle Bewunderung wert.<br />

Elfriede Jelinek ist die Neuerin des deutschsprachigen<br />

Dramas: Sie erfindet nicht zuerst<br />

eine Figur, der sie beim Schreiben dann<br />

Gedanken und Gefühle zuordnet, sondern<br />

sie arbeitet genau gegensätzlich. Die Figur<br />

muss über die Sprache entstehen. Oder, wie<br />

sie es selber ausdrückt: Nicht eine Person<br />

oder sechs Personen suchten bei ihr einen<br />

Autor, sondern „das Sprechen sucht eine<br />

Hülle”. Ganz anders formuliert: Die Zeugen<br />

ihrer Anklage gegen Gott, gegen ihre Heimat,<br />

gegen Regierungen, gegen die Dichter<br />

und Denker und gegen die Zeitungen, auch<br />

gegen die Männer überhaupt sind schon da,<br />

bevor es sie gibt, denn sie sind gefundene<br />

oder erfundene Sprache, die ein Gefäß<br />

sucht. Jemanden, der sie spricht oder spielt.<br />

Je weniger Elfriede Jelinek während des<br />

Schreibens nach den Hüllen sucht, also sich<br />

bewusst entfernt von Rollen und Rollenbildern<br />

– wie sie sie für all ihre Romane und für<br />

ihre frühen Stücke und die „Raststätte”<br />

benutzte, also sehr konventionell Figuren<br />

gestaltete; je entschiedener sie mit Prosatexten,<br />

mit der Montage von aufgefundenen<br />

Materialien arbeitet und es dem Regisseur<br />

überlässt, wie er den Text verteilt, auf welche<br />

Schauspieler: Desto bestechender, desto<br />

verletzender werden ihre Texte. Dann entlarvt<br />

sie nicht die Lüge allein. Sie sagt wahr –<br />

indem sie Lügen montiert.<br />

Elfriede Jelineks beste Texte zeugen Denken.<br />

Penetrieren Sprach- und Denkmuster,<br />

Gewohnheiten des Nicht-mehr-Bedenkens.<br />

Just das, was manche Theaterkritiker Elfriede<br />

Jelinek ankreiden – dass sie keine dramatischen<br />

Texte schreibe, keine herkömmlichen<br />

Dialoge –, ist ihre Stärke. Sie will ein anderes<br />

Theater. Misslingt es ihr, misslingt, was sie mit<br />

ihren Texten will, dann sagt sie schnippisch:<br />

„Ich weiß, dass alles aus und im Arsch ist.”<br />

C. Bernd Sucher, geboren in Bitterfeld, Autor und<br />

Kritiker der „Süddeutschen Zeitung“ Neben verschiedenen<br />

Lehrtätigkeiten ist er Herausgeber des Sucher-<br />

Theaterlexikons und Autor zahlreicher anderer Publikationen,<br />

u.a. „Luc Bondy - Erfinder, Spieler, Liebhaber“<br />

im Rahmen der Edition <strong>Burgtheater</strong>.<br />

Nächste Vorstellungen von „Das Werk“ am 8.<br />

Februar, von „Bambiland“ am <strong>23</strong>. und 24. Februar;<br />

Beachten Sie bitte den vorgezogenen Kartenvorverkauf<br />

für „Bambiland“ der seit 20.12. läuft<br />

und nutzen Sie auch SMS-Ticketing! (s.S. 15)

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