April - eXperimenta.de
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<strong>eXperimenta</strong><br />
aPriL 2009<br />
Onlinemagazin <strong>de</strong>s INstituts für KreAtives Schreiben, Bad Kreuznach/Bingen<br />
Inhalt dieser Ausgabe<br />
Impression........................................................ 3<br />
Die Kunst.......................................................... 4<br />
Jockel Kroecker: Das erblühen<strong>de</strong> Lachen............ 4<br />
Ulrike Goergen: Zwei Schritte .......................... 6<br />
Franz Grillparzer............................................ 8<br />
Internationaler Frauentag 2009: Nachtrag....... 10<br />
Ganz nah dran – Gedichte zum Weiter<strong>de</strong>nken . 14<br />
Eckermann und Goethe ................................. 15<br />
Die Gesellschaft & die Literatur.......................... 17<br />
Das Internet hin<strong>de</strong>rt keinen an <strong>de</strong>r Sorgfalt....... 17<br />
Die Welt <strong>de</strong>s Kreativen Schreibens ..................... 24<br />
Vom Klang <strong>de</strong>r Sprache – Das Sonett .............. 24<br />
Sinnieren über Schreibzeiten.......................... 28<br />
Das Institut...................................................... 31<br />
Fee: „Ich bin ein Straßenkind“........................ 31<br />
<strong>eXperimenta</strong> im Funk..................................... 32<br />
Der Wegweiser ............................................... 33<br />
Treffen Junger Autoren 2009.......................... 33<br />
9. Europäische Kin<strong>de</strong>r- und Jugendbuchmesse .. 33<br />
Was ich gera<strong>de</strong> lese..................................... 34<br />
Allfälliges.................................................... 37<br />
Die Redaktion ................................................. 43<br />
Praktikum in <strong>de</strong>r Redaktion............................. 43<br />
Impressum ................................................... 44<br />
Editorial<br />
Liebe Leserinnen und<br />
Leser,<br />
während Sie das<br />
Editorial <strong>de</strong>r <strong>eXperimenta</strong><br />
lesen,<br />
sterben in diesem<br />
Augenblick irgendwo<br />
auf <strong>de</strong>r Welt Menschen<br />
an Hunger, Krankheit<br />
o<strong>de</strong>r sind zu Opfern<br />
eines Krieges gewor<strong>de</strong>n.<br />
Eine „Scheißwelt“<br />
ist das! Dabei könnten<br />
wir auf diesem Plane-<br />
(Fortsetzung Seite 2)<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009 Www.Experimenta.De 31. März 2009<br />
© Frie<strong>de</strong>rike Zabel<br />
2008
ten doch ein schönes Leben führen. Keine hungern<strong>de</strong>n Menschen, keine Menschen,<br />
die an Seuchen sterben, keine Menschen, die durch Kriege um ihr Leben kommen.<br />
Die Realität aber ist eine an<strong>de</strong>re: Zwischen Salzgebäck und Bier erleben wir<br />
je<strong>de</strong>n Abend zu gleichen Sen<strong>de</strong>zeit live, wie Menschen um ihr Überleben ringen.<br />
Da gibt es eifrige Kommentatoren, die möglichst nahe am Geschehen das Grauen<br />
dokumentieren.<br />
Warum ist das so? Ganz einfach: Solange es wenige Menschen gibt, die <strong>de</strong>n<br />
Rachen nicht voll genug bekommen, wer<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite viele Menschen<br />
sterben, hungern o<strong>de</strong>r verdursten<br />
müssen.<br />
Was aber können wir än<strong>de</strong>rn?<br />
Wir brauchen verantwortungsbewusste<br />
Politiker, die <strong>de</strong>n Mut haben,<br />
Dinge anzupacken, die an<strong>de</strong>re<br />
liegen lassen. Wir brauchen auch<br />
kompetente Manager in <strong>de</strong>r Wirtschaft,<br />
die dazu in <strong>de</strong>r Lage sind,<br />
Arbeitsplätze zu erhalten und neue<br />
zu schaffen.<br />
Irgendwo habe ich einmal <strong>de</strong>n<br />
Satz gelesen: „Es fin<strong>de</strong>n keine Revolutionen<br />
mehr statt, weil das Fernsehprogramm<br />
zu gut ist“. Das stimmt<br />
nicht ganz, <strong>de</strong>nn über die Qualität<br />
<strong>de</strong>s Fernsehens lässt sich streiten.<br />
Aber sagen wir es so: Heute geht<br />
niemand mehr auf die Straße, um für<br />
eine gute Sache zu <strong>de</strong>monstrieren. Es<br />
© Gerd Altmann / Pixelio 2009<br />
ist doch viel bequemer, vor <strong>de</strong>m<br />
Fernseher liegen zu bleiben.<br />
Was können wir tun? Aufmerksam sein, uns mit Gleichgesinnten vernetzen, miteinan<strong>de</strong>r<br />
teilen.<br />
Da war einmal einer, <strong>de</strong>r vor 2000 Jahren in Palästina eine Revolution <strong>de</strong>s<br />
Lichts und <strong>de</strong>r Liebe ausgerufen hat. Das Ding ist immer noch im Gange!<br />
Eigentlich wollte ich ein Editorial über die Haiku-Dichtung schreiben. Das hat<br />
sich ja dann wohl erledigt!<br />
Herzliche Grüße<br />
Rüdiger Heins<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Impression Seite 2
Impression<br />
Christine Seiler: Hallo<br />
© Christine Seiler 2009<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Impression Seite 3
Die Kunst<br />
Jockel Kroecker: Das erblühen<strong>de</strong><br />
Lachen<br />
Ich glaubte schon<br />
das Lachen verlernt zu haben<br />
Ich glaubte schon<br />
dass es keine Freu<strong>de</strong> mehr gibt<br />
Ich glaubte schon<br />
genauso herumlaufen zu müssen<br />
wie viele unserer Mitmenschen<br />
Ich glaubte schon<br />
das Leben ist vorbei<br />
Doch dann kamst Du<br />
Um Dich herum nur Blumen<br />
die durch Dein Lachen<br />
noch mehr ihre<br />
erblühen<strong>de</strong> Pracht<br />
entfalten konnten<br />
Um Dich herum nur Freu<strong>de</strong><br />
die Du durch Fröhlichkeit gebierst<br />
Um Dich herum nur Menschen<br />
die Du mit Deinem Lachen<br />
angesteckt hast<br />
Die wie<strong>de</strong>r Lust zum<br />
Leben haben<br />
Wenn ich Dich sehe<br />
beginnt mein Herz zu klopfen<br />
Dein Lachen öffnet es<br />
und lässt Freu<strong>de</strong> hinein<br />
Der Autor<br />
Jockel Kroecker, geboren am 31. 5.<br />
1943 in Ankara. Dipl.-Ing. Architekt.<br />
Studium <strong>de</strong>r Malerei und Bildhauerei,<br />
Schauspielunterricht und Auftritte auf<br />
Kleinkunstbühnen und bei Musicals.<br />
Chorsänger, Vorträge, Fluxus, Performance<br />
und Kunstausstellungen. Lei<strong>de</strong>nschaftlicher<br />
Hobbykoch und Globetrotter.<br />
Literarische Verarbeitung <strong>de</strong>r Reiseerlebnisse.<br />
Lesungen in Altenheimen und<br />
Schulen. Das zweite familienhistorische<br />
Buch ist gera<strong>de</strong> in Arbeit. Des weiteren<br />
ein Haiku-Buch und eigene Gedichte als<br />
gesammelte Werke.<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Die Kunst Seite 4<br />
Privatbild<br />
Lyrik
die bis in die tiefsten<br />
Tiefen dringt<br />
und Wurzeln schlägt<br />
Dein Lachen<br />
ist das Elixier<br />
welches unser Leben - so<br />
lebenswert macht<br />
Wenn ich dich höre<br />
– ertönen Glocken überall<br />
– kann ich meinen Herzschlag<br />
heftig spüren<br />
und Dein Lachen klingt –<br />
durchs rote Telefon<br />
wie Nachtigallenklang<br />
Wenn ich Dich spüre<br />
will ich mehr...<br />
mehr von Deinem Lachen<br />
mehr von Deinem Leben<br />
mehr von Deiner Lust<br />
erleben<br />
leben<br />
einfach nur leben<br />
© Paola / Sxc.hu 2008<br />
© Berwis / Pixelio 2008<br />
Wir lachen über alles –<br />
kin<strong>de</strong>rgleich<br />
Wir sprechen über alles –<br />
sind uns eins<br />
auch ohne zu sprechen<br />
einfach so<br />
einfach so<br />
Es ist alles so natürlich<br />
ganz natürlich<br />
alles so ungezwungen<br />
ganz ungezwungen<br />
Grenzenloses Vertrauen<br />
ist die Basis<br />
unsrer Freundschaft<br />
…. o<strong>de</strong>r mehr …<br />
Durch Dich habe ich<br />
wie<strong>de</strong>r lachen gelernt<br />
Durch Dich habe ich<br />
wie<strong>de</strong>r leben gelernt<br />
Durch Dich<br />
ist mein Leben<br />
neu erblüht<br />
D a n k e<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Die Kunst Seite 5
Ulrike Görgen:<br />
Zwei Schritte<br />
Zuerst war ich sparsam mit <strong>de</strong>n<br />
Lebensmitteln. Jetzt habe ich meine<br />
Rationen bereits zum fünften Mal<br />
halbiert. Das En<strong>de</strong>? Über welches<br />
En<strong>de</strong> spekuliere ich? Das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />
Lebensmittel, die Auflösung <strong>de</strong>s<br />
Nebels?<br />
Ulrike Görgen, geb. 1954 in Essen, lebt<br />
Zwei Schritte vor, eine Kerbe in heute in Speyer. Hauptberuflich ist sie als<br />
<strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n schlagen.<br />
Dipl.-Finanzwirtin tätig. Sie schreibt Prosa<br />
Ich muss aufpassen, im Rhyth- und Lyrik. Texte <strong>de</strong>r Autorin wur<strong>de</strong>n<br />
mus zu bleiben. In Gedanken sind bereits in Zeitschriften und Anthologien<br />
Lösungen immer so einfach. In <strong>de</strong>r veröffentlicht. 2005 hat sie ihren ersten<br />
Realität trägt die Hoffnung. Es Kurzgeschichtenband Ein Hauch von…<br />
wird gut ausgehen. Ich muss nur herausgegeben.<br />
im Rhythmus bleiben.<br />
Zwei Schritte vor, eine Kerbe in <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n schlagen.<br />
Ich wollte es noch einmal wissen. Der Aufstieg, mehrfach hatte ich mit mir gerungen,<br />
umkehren o<strong>de</strong>r weiterklettern? Auch als <strong>de</strong>r Nebel aufzog, kletterte ich<br />
weiter.<br />
Zwei Schritte vor, eine Kerbe in <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n schlagen.<br />
Die Kerben, in <strong>de</strong>n letzten zwei Tagen, in <strong>de</strong>n<br />
letzten zwei Nächten haben sie mich immer wie<strong>de</strong>r<br />
zurückgeführt zum Gipfelkreuz. Ich konnte es<br />
nur noch ertasten im undurchdringlichen Nebel.<br />
Konnte es nur noch fühlen.<br />
Wie<strong>de</strong>r zwei Schritte vor, eine Kerbe in <strong>de</strong>n<br />
Bo<strong>de</strong>n schlagen.<br />
Bei <strong>de</strong>n kurzen Pausen hatte ich mich am Kreuz<br />
angebun<strong>de</strong>n, um meinen letzten Orientierungspunkt<br />
nicht zu verlieren. Von dort immer wie<strong>de</strong>r<br />
neu <strong>de</strong>n Versuch gestartet, die Haken mit <strong>de</strong>m<br />
© Guglielmo Losio / Sxc<br />
2006<br />
Die Autorin<br />
Halteseil zu fin<strong>de</strong>n.<br />
Zwei Schritte vor, eine Kerbe in <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n<br />
schlagen.<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Die Kunst Seite 6<br />
Privatbild<br />
Prosa
Sorgsam hatte ich mich abgesichert. Abgesichert, <strong>de</strong>n Rückweg zu fin<strong>de</strong>n. Bis<br />
auf die letzten Schritte. Beim Anblick <strong>de</strong>s Gipfelkreuzes, <strong>de</strong>r Sog, es zu berühren,<br />
ließ mich alles vergessen.<br />
Zwei Schritte vor, eine Kerbe in <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n schlagen.<br />
Die I<strong>de</strong>en für die Markierungen gehen mir langsam aus. Zwei Schritte, eine<br />
Kerbe. Ich bin bei Buchstabe Y.<br />
Zwei Schritte vor, ein Y in <strong>de</strong>n Stein schlagen.<br />
Zwei Schritte vor, ein Y in <strong>de</strong>n Stein schlagen.<br />
Das Bild von oben, welche Form hat das Alphabet um mich herum? Ich ging<br />
immer so weit vor, wie ich meinte, die letzte Halterung bei meinem Aufstieg angebracht<br />
zu haben. Ging noch zwei Schritte weiter.<br />
Zwei Schritte vor, ein Y in <strong>de</strong>n Stein schlagen.<br />
Ging vor, ging gera<strong>de</strong>aus. Gera<strong>de</strong>aus?<br />
© Marco Schlüter / Pixelio 2009<br />
Zwei Schritte vor, ein Y in <strong>de</strong>n Stein schlagen.<br />
Je<strong>de</strong>n Schritt kroch ich auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n, tastete mich zurück zu meinem Ausgangspunkt.<br />
Verän<strong>de</strong>rte die Richtung um wenige Zentimeter. Mit einen neuen<br />
Buchstaben <strong>de</strong>n nächsten Versuch begonnen.<br />
Zwei Schritte vor, ein Y in <strong>de</strong>n Stein schlagen.<br />
Zwei Schritte vor, ein Y in <strong>de</strong>n Stein schlagen.<br />
Eines Tages wer<strong>de</strong> ich zurückkommen, um mir das Muster anzusehen.<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Die Kunst Seite 7
Zwei Schritte vor, ein Y in <strong>de</strong>n Stein schlagen.<br />
Zwei Schritte vor,<br />
zwei Schritte vor,<br />
zwei Schritte.<br />
Franz Grillparzer<br />
Der Halbmond glänzet am Himmel<br />
Der Halbmond glänzet am Himmel,<br />
und es ist neblicht und kalt.<br />
Gegrüßet sei du, Halber, dort<br />
oben,<br />
wie du, bin ich einer, <strong>de</strong>r halb.<br />
Halb gut, halb übel geboren,<br />
und dürftig in bei<strong>de</strong>r Gestalt,<br />
mein Gutes ohne Wür<strong>de</strong>,<br />
das Böse ohne Gewalt.<br />
Halb schmeckt ich die Freu<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s<br />
Lebens,<br />
nichts ganz als meine Reu;<br />
die ersten Bissen genossen,<br />
schien alles mir einerlei.<br />
Halb gab ich mich hin <strong>de</strong>n Musen,<br />
und sie erhörte mich halb;<br />
hart auf <strong>de</strong>r Hälfte <strong>de</strong>s Lebens,<br />
entfloh'n sie und ließen mich alt.<br />
Und also sitz ich verdrossen,<br />
doch läßt die Zersplitterung nach;<br />
die leere Hälfte <strong>de</strong>r Seele<br />
verdrängt die noch volle gemach.<br />
Der Autor<br />
Franz Grillparzer wur<strong>de</strong> am 15. Januar<br />
1791 als Sohn eines Rechtsanwalts in<br />
Wien geboren. Später nahm er dann<br />
selbst das Studium <strong>de</strong>r Rechte auf, in<br />
welchem er 1811 seinen Abschluss machte.<br />
Er arbeitet zunächst als Privatlehrer,<br />
dann als Beamter. Bereits in dieser Zeit<br />
hat er einen Hang zum Schauspiel und<br />
zur Dichtung gehabt. Sein Leben war von<br />
harten Schicksalsschlägen gezeichnet.<br />
Sein Vater verstarb schon zu seiner Jugendzeit,<br />
seine Mutter verübte Jahre<br />
später plötzlich Selbstmord, genauso wie<br />
<strong>de</strong>r ältere Bru<strong>de</strong>r. 1821 bis 1826 sind<br />
die Höhepunkte seiner künstlerischen<br />
Laufbahn. Zu seinen größten Werken<br />
gehören Sappho, Ein treuer Diener seines<br />
Herrn und Das gol<strong>de</strong>ne Flies. 1856 ging<br />
er nach einer vierunddreißigjährigen<br />
Laufbahn als Direktor <strong>de</strong>s Hofkammerarchivs<br />
in <strong>de</strong>n Ruhestand. Er verstarb 1872<br />
in Wien.<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Die Kunst Seite 8<br />
Copyright abgelaufen<br />
Der Klassiker
Krankenbesuche<br />
Eine Ähnlichkeit, die ich mit Christus habe:<br />
Nur die Weiber kommen zu meinem Grabe.<br />
TRISTIA EX PONTO<br />
15. Jugen<strong>de</strong>rinnerungen im Grünen (1824) (Auszug)<br />
In Glutumfassen stürzten wir zusammen,<br />
ein je<strong>de</strong>r Schlag gab Funken und gab Licht;<br />
doch unzerstörbar fan<strong>de</strong>n uns die Flammen,<br />
wir glühten, aber ach, wir schmolzen nicht.<br />
Denn Hälften kann man aneinan<strong>de</strong>r passen,<br />
ich war ein Ganzes, und auch sie war ganz,<br />
Sie wollte gern ihr tiefstes Wesen lassen,<br />
doch allzu fest geschlungen war <strong>de</strong>r Kranz.<br />
© Andrew Beierle / Sxc 2007<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Die Kunst Seite 9
So stan<strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>, suchten sich zu einen,<br />
das an<strong>de</strong>re aufzunehmen ganz in sich,<br />
doch all umsonst, trotz Ringen, Stürmen, Weinen,<br />
Sie blieb ein Weib und ich war immer ich.<br />
Zitate<br />
1<br />
Der Verstand und die Fähigkeit, ihn zu gebrauchen, sind zwei verschie<strong>de</strong>ne Gaben.<br />
2<br />
Weh <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r lügt!<br />
Wer <strong>de</strong>utet mir die buntverworrene Welt?<br />
Sie alle re<strong>de</strong>n Wahrheit,<br />
sind drauf stolz.<br />
Und sie belügt sich selbst und ihn.<br />
Er mich und wie<strong>de</strong>r sie.<br />
Der lügt, weil man ihm log;<br />
Und re<strong>de</strong>n alle Wahrheit, alle. Alle.<br />
aus: Weh <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r lügt<br />
Internationaler Frauentag 2009: Nachtrag<br />
© Viktor Iglesias / Sxc 2008<br />
(ea) Provokativ möchte ich die Frage in <strong>de</strong>n Raum stellen: Benötigen wir ihn heute<br />
noch? O<strong>de</strong>r hat <strong>de</strong>r Tag nur noch einen geschichtlichen Erinnerungswert?<br />
Frauen sind zahlenmäßig in <strong>de</strong>r Mehrheit. Mittlerweile wur<strong>de</strong> in Deutschland<br />
das Amt <strong>de</strong>r Frauenbeauftragten mit einem an<strong>de</strong>rn Namen belegt: Gleichstellungsstelle.<br />
Benachteiligt wer<strong>de</strong>n nämlich nicht nur Frauen, son<strong>de</strong>rn auch Männer,<br />
Kin<strong>de</strong>r, ältere Menschen. Ungleichbehandlung zieht sich durch Bereiche wie Erwerbstätigkeit,<br />
Gesundheit, politische Parteien, Kultur, Unterhaltung. Nicht zu<br />
übersehen ist, dass immer noch weltweit Frauen und Mädchen unterdrückt wer<strong>de</strong>n<br />
und Gewalt gegen sie ausgeübt wird. Das war auch das Motto <strong>de</strong>s diesjährigen<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Die Kunst Seite 10
Weltfrauentags. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen berichtet über Opfer sexueller<br />
Gewalt in afrikanischen Län<strong>de</strong>rn sowie in Län<strong>de</strong>rn Südamerikas.<br />
Vor 100 Jahren rief Clara Zetkin <strong>de</strong>n Weltfrauentag ins Leben. Sie for<strong>de</strong>rte<br />
„keine Son<strong>de</strong>rrechte, son<strong>de</strong>rn Menschenrechte“. Ihre Re<strong>de</strong>, die sie als Alterspräsi<strong>de</strong>ntin<br />
bei <strong>de</strong>r Eröffnung <strong>de</strong>s Reichstags am 30. August 1932 hielt, zeigt die Klarheit<br />
ihrer Gedanken, natürlich auch ein wenig polemisch. Aber muss man nicht so<br />
vor einem Parlament re<strong>de</strong>n?!<br />
Re<strong>de</strong> Clara Zetkins als Alterspräsi<strong>de</strong>ntin<br />
bei <strong>de</strong>r Eröffnung <strong>de</strong>s<br />
Reichstags (30. August 1932)<br />
Meine Damen und Herren!<br />
Der Reichstag tritt in einer Situation<br />
zusammen, in <strong>de</strong>r die Krise <strong>de</strong>s<br />
zusammenbrechen<strong>de</strong>n Kapitalismus<br />
die breitesten werktätigen<br />
Massen Deutschlands mit einem<br />
Hagel furchtbarster Lei<strong>de</strong>n überschüttet.<br />
Zu <strong>de</strong>n Millionen Arbeitslosen,<br />
Die Autorin<br />
© Bun<strong>de</strong>sarchiv 1930,<br />
CC-by-sa 3.0<br />
Clara Zeitkin, * 5. Juli 1857 in Wie<strong>de</strong>rau.<br />
Letzte Veröffentlichung in <strong>eXperimenta</strong><br />
2009 / 03<br />
die mit <strong>de</strong>n Bettelpfennigen <strong>de</strong>r sozialen Unterstützung o<strong>de</strong>r auch ohne sie hungern,<br />
wer<strong>de</strong>n im Herbst und im Winter neue Millionen stoßen. Verschärfter Hunger<br />
ist auch das Schicksal aller an<strong>de</strong>ren sozial Hilfsbedürftigen. Die noch Beschäftigten<br />
können bei ihrem niedrigen Verdienst die durch die Rationalisierung aufs äußerste<br />
ausgepreßte Muskel- und Nervenkraft nicht ersetzen, geschweige <strong>de</strong>nn kulturelle<br />
Bedürfnisse befriedigen. Der weitere Abbau <strong>de</strong>s Tarifrechts und <strong>de</strong>s Schlichtungswesens<br />
wird die Entbehrungslöhne noch tiefer senken. Wachsen<strong>de</strong> Scharen von<br />
Handwerkern und Kleingewerbetreiben<strong>de</strong>n, von Klein- und Mittelbauern versinken<br />
verzweifelnd in Elendstiefen. Der Nie<strong>de</strong>rgang <strong>de</strong>r Wirtschaft, das Zusammenschrumpfen<br />
<strong>de</strong>r Aufwendungen für Kulturzwecke vernichten die wirtschaftlichen<br />
Grundlagen für die Existenz <strong>de</strong>r geistig Schaffen<strong>de</strong>n und verengen fortschreitend<br />
das Betätigungsfeld für ihre Kenntnisse und Kräfte. Der im Osten entfesselte Weltbrand,<br />
<strong>de</strong>r vom Westen her kräftig geschürt wird, und <strong>de</strong>ssen Flammenmeer auch<br />
die Sowjetunion und ihren sozialistischen Aufbau vertilgen soll, wür<strong>de</strong> auch<br />
Deutschland mit Schrecken und Greueln überhäufen, die das Mord- und Vernichtungswerk<br />
<strong>de</strong>s letzten Weltkrieges in <strong>de</strong>n Schatten stellen.<br />
(…..)<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Die Kunst Seite 11
Der Kampf <strong>de</strong>r werktätigen Massen gegen die zerfleischen<strong>de</strong>n Nöte <strong>de</strong>r Gegenwart<br />
ist zugleich <strong>de</strong>r Kampf für ihre volle Befreiung. Er ist ein Kampf gegen <strong>de</strong>n<br />
versklaven<strong>de</strong>n und ausbeuten<strong>de</strong>n Kapitalismus und für <strong>de</strong>n erlösen<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n befreien<strong>de</strong>n<br />
Sozialismus. Diesem leuchten<strong>de</strong>n Ziel muß <strong>de</strong>r Blick <strong>de</strong>r Massen unverrückt<br />
zugewandt sein, nicht umnebelt durch Illusionen über die befreien<strong>de</strong> Demokratie<br />
und nicht zurückgeschreckt durch die brutalen Gewalten <strong>de</strong>s Kapitalismus, <strong>de</strong>r<br />
seine Rettung durch neues<br />
Weltvölkergemetzel und<br />
faschistische Bürgerkriegsmor<strong>de</strong><br />
erstrebt. Das Gebot<br />
<strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong> ist die Einheitsfront<br />
aller Werktätigen, um <strong>de</strong>n<br />
Faschismus zurückzuwerfen,<br />
um damit <strong>de</strong>n Versklavten und<br />
Ausgebeuteten die Kraft und<br />
die Macht ihrer Organisationen<br />
zu erhalten, ja sogar ihr<br />
physisches Leben. Vor dieser<br />
zwingen<strong>de</strong>n geschichtlichen<br />
Notwendigkeit müssen alle<br />
fesseln<strong>de</strong>n und trennen<strong>de</strong>n<br />
politischen, gewerkschaftlichen,<br />
religiösen und weltanschaulichen<br />
Einstellungen<br />
zurücktreten. Alle Bedrohten,<br />
alle Lei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n, alle Befreiungssehnsüchtigen<br />
in die<br />
Einheitsfront gegen <strong>de</strong>n Fa-<br />
© RS / Pixelio 2009<br />
schismus und seine Beauftragten<br />
in <strong>de</strong>r Regierung! Die<br />
Selbstbehauptung <strong>de</strong>r Werktätigen gegen <strong>de</strong>n Faschismus ist die nächste unerläßliche<br />
Voraussetzung für die Einheitsfront im Kampfe gegen Krise, imperialistische<br />
Kriege und ihre Ursache, die kapitalistische Produktionsweise. Die Auflehnung von<br />
Millionen werktätiger Männer und Frauen in Deutschland gegen Hunger, Entrechtung,<br />
faschistischen Mord und imperialistische Kriege ist ein Ausdruck <strong>de</strong>r unzerstörbaren<br />
Schicksalsgemeinschaft <strong>de</strong>r Schaffen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r ganzen Welt. Diese internationale<br />
Schicksalsgemeinschaft muß ehern geschmie<strong>de</strong>te Kampfesgemeinschaft <strong>de</strong>r<br />
Werktätigen in allen Herrschaftsgebieten <strong>de</strong>s Kapitalismus wer<strong>de</strong>n, eine Kampfesgemeinschaft,<br />
die sie mit <strong>de</strong>n vorausgestürmten befreiten Brü<strong>de</strong>rn und Schwestern<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Die Kunst Seite 12
in <strong>de</strong>r Sowjetunion verbin<strong>de</strong>t. Streiks und Aufstän<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nsten Län<strong>de</strong>rn<br />
sind lo<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Flammenzeichen, die <strong>de</strong>n Kämpfen<strong>de</strong>n in Deutschland zeigen,<br />
daß sie nicht allein stehen. Überall beginnen die Enterbten und Nie<strong>de</strong>rgetretenen<br />
zur Eroberung <strong>de</strong>r Macht vorzustoßen. In <strong>de</strong>r auch in Deutschland sich formieren<strong>de</strong>n<br />
Einheitsfront <strong>de</strong>r Werktätigen dürfen die Millionen Frauen nicht fehlen, die<br />
noch immer Ketten <strong>de</strong>r Geschlechtssklaverei und dadurch härtester Klassensklaverei<br />
ausgeliefert sind. In <strong>de</strong>n vor<strong>de</strong>rsten Reihen muß die Jugend kämpfen, die freies<br />
Emporblühen und Ausreifen ihrer Kräfte heischt, aber heute keine an<strong>de</strong>re Aussicht<br />
hat als <strong>de</strong>n Kadavergehorsam und die Ausbeutung in <strong>de</strong>n Kolonnen <strong>de</strong>r Arbeitsdienstpflichtigen.<br />
In die Einheitsfront gehören auch alle geistig Schaffen<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>ren<br />
Können und Wollen, <strong>de</strong>n Wohlstand und die Kultur <strong>de</strong>r Gesellschaft zu mehren,<br />
heute in <strong>de</strong>r bürgerlichen Ordnung sich nicht mehr auszuwirken vermag.<br />
© Franz Haindl / Pixelio 2008<br />
In die kämpfen<strong>de</strong> Einheitsfront alle, die als Lohn- und Gehaltsangehörige o<strong>de</strong>r<br />
sonstwie Tributpflichtige <strong>de</strong>s Kapitals zugleich Erhalter und Opfer <strong>de</strong>s Kapitalismus<br />
sind!<br />
Ich eröffne <strong>de</strong>n Reichstag in Erfüllung meiner Pflicht als Alterspräsi<strong>de</strong>ntin und in<br />
<strong>de</strong>r Hoffnung, trotz meiner jetzigen Invalidität das Glück zu erleben, als Alterspräsi<strong>de</strong>ntin<br />
<strong>de</strong>n ersten Rätekongreß Sowjet<strong>de</strong>utschlands zu eröffnen.<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Die Kunst Seite 13
Ganz nah dran – Gedichte<br />
zum Weiter<strong>de</strong>nken<br />
Ein Lyrikband von Monika Schrenk<br />
Von Manuel Göpferich<br />
Gedichte, eine vielleicht vergessene<br />
Literaturform? Mit ihrem Lyrikband<br />
beweist Monika Schrenk das Gegenteil,<br />
in<strong>de</strong>m sie mo<strong>de</strong>rn dichtet.<br />
Ihre Gedichte sind komprimiert und<br />
einzigartig – o<strong>de</strong>r kürzer ausgedrückt:<br />
Ganz nah dran.<br />
In <strong>de</strong>n Gedichten gelingt es <strong>de</strong>r<br />
Autorin, Abstraktes wie Seele o<strong>de</strong>r<br />
Sehnsucht zu veranschaulichen. In<br />
ihren Momentaufnahmen vermischen<br />
sich konkrete und abstrakte<br />
Bil<strong>de</strong>r zu Kompositionen. Durch<br />
subjektive Erfahrungswelten führen<br />
ihre Verse <strong>de</strong>n Leser in immer<br />
wie<strong>de</strong>r neue Räume. Sowohl Autobiografisches<br />
wie auch Beobachtungen<br />
wer<strong>de</strong>n verarbeitet.<br />
Auffällig beim Lesen zeigt sich,<br />
wie mit je<strong>de</strong>r Zeile neue Dimensionen,<br />
verpackt in weichen Klängen, geöffnet wer<strong>de</strong>n. Je<strong>de</strong> Abstraktion, je<strong>de</strong> Metapher<br />
wirkt. In über vierzig Gedichten wer<strong>de</strong>n Beobachtungen, Gedanken und<br />
Gefühle durchlebt. Richtete sich <strong>de</strong>r Blick manchmal auch in die Ferne, so sucht<br />
doch das lyrische Ich stets sein Selbst.<br />
Lyrikbil<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n mit Wortkreationen geschaffen: „Choreographie meiner Seele“<br />
und „Septemberfrau“ – sind nur zwei davon. Eingebettet in Zeilenbrüchen<br />
wirken Monika Schrenks Worte als Zeugnis innerer Gefühls- und Gedankenwelten.<br />
In <strong>de</strong>m Titel Ganz nah dran verbirgt sich die Frage, an was man <strong>de</strong>nn nun ganz<br />
nah dran sei. Eine mögliche Antwort: nahe am Leben, an seiner Vielschichtigkeit<br />
und Faszination in Geist und Körper.<br />
Bibliographie:<br />
Monika Schrenk: Ganz nah dran. Gedichte zum Weiter<strong>de</strong>nken. Schweinfurt (Wiesenburg)<br />
2008. ISBN 978-3-939518-97-6. 108 S. 15,90 €<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Die Kunst Seite 14<br />
Rezension und Kritik
Eckermann und Goethe<br />
Von Marlene Schulz<br />
Wer keine Ahnung hat von Eckermann und Goethe, möge sich die vorher verschaffen.<br />
Allein ein wenig Internetrecherche reicht aus, um letztlich Genuss an Gerd<br />
Fuchs’ Eckermanns Traum zu haben.<br />
Der Erzählband wirft die Frage auf, welchen Preis die Kunst verlangt und welchen<br />
<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r die Kunstschaffen<strong>de</strong> bereit ist zu zahlen.<br />
Eckermann, <strong>de</strong>r Goethe neun Jahre seines Lebens begleitet hat, wie eine Ameise<br />
seine einzelnen Gedichte zusammenschleppte, so Goethe im Jahr 1824, wozu<br />
<strong>de</strong>r Meister höchstselbst nicht gekommen ist, zahlt einen hohen Preis. Im Halbschatten<br />
Goethes behan<strong>de</strong>lt er sein eigenes Literaturschaffen zweitrangig. Wirklich ans<br />
Licht kam er nie und <strong>de</strong>nnoch war er gespeist davon. Er wirkt, ganz im Sinne <strong>de</strong>r<br />
Goetheschen Farbenlehre, als Mischung einer Finsternis, die er aufgrund seiner<br />
ärmlichen Herkunft selbst mitbringt und<br />
<strong>de</strong>r Helligkeit, die all das ausmacht,<br />
was Goethe ihm gibt.<br />
Gerd Fuchs gelingt es, die fünfzehn<br />
klassischen Szenen aus Weimar - teils<br />
als Traum verfasst - so zu gestalten,<br />
dass die Geschichte <strong>de</strong>s Eckermann<br />
und <strong>de</strong>s Goethe nachvollziehbar wird.<br />
Eine Geschichte, die das Verhältnis<br />
<strong>de</strong>s Anhängers zu seinem Idol, <strong>de</strong>s<br />
Abhängigen zu seiner Droge zeichnet,<br />
die ihn unsäglich glücklich macht.<br />
Dabei treibt es Eckermann auf die<br />
Spitze: Gera<strong>de</strong>zu masochistisch begibt<br />
er sich in die Untertänigkeit, in<strong>de</strong>m es<br />
ihm offensichtlich Lust zu bereiten<br />
scheint, von Goethe gefressen zu<br />
wer<strong>de</strong>n, sich ihm einzuverleiben.<br />
© Bre<strong>de</strong>horn.J / Pixelio 2007<br />
„Man muss nur etwas aus sich machen“,<br />
gibt <strong>de</strong>r Meister ihm auf <strong>de</strong>n<br />
Weg und erfreut sich an eigener Größe und <strong>de</strong>r Dunkelheit seines Schattens, die er<br />
stets bemüht ist, nicht unkontrolliert zu erhellen. Das Aufbäumen Eckermanns bleibt<br />
glücklicherweise nicht aus. Auch wenn es ihm nicht vergönnt ist, sich loszulösen,<br />
unabhängig zu wer<strong>de</strong>n, schafft er es doch, seine literarischen Pläne zumin<strong>de</strong>st zu<br />
formulieren.<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Die Kunst Seite 15
Mit Goethes Tod atmen die Leserin und <strong>de</strong>r Leser stellvertretend für Eckermann<br />
auf. In <strong>de</strong>r Szene Die Leich wählt Gerd Fuchs das Bild von Braut und Bräutigam.<br />
Eckermann, <strong>de</strong>r Bräutigam, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n nackten Leichnam Goethes enthüllt. „So <strong>de</strong>ckt<br />
<strong>de</strong>r Bräutigam die Braut“, die ihm endlich Einblick gewährt, die Jungfräulichkeit<br />
ihm anbietet, ihm erlaubt, sie zu entjungfern. „Eckermann wird’ flügge“, schreit es<br />
da aus <strong>de</strong>n Zeilen. „Entjungfere dich selbst.“<br />
Gerd Fuchs greift die Zeichnung eines springen<strong>de</strong>n Pfer<strong>de</strong>s, die Eckermann in<br />
frühen Jahren gelingt und zu einem Schlüsselerlebnis für sein kreatives Sein wird,<br />
gleich zweimal auf. Am En<strong>de</strong> zerreißt Eckermann die Zeichnung. Ist es sein missglückter<br />
Erfolg, <strong>de</strong>r ihn dazu verleitet, akzeptierend, dass er <strong>de</strong>m Meister doch<br />
nicht das Wasser reichen kann, <strong>de</strong>mnach nicht geschaffen ist für die Kunst?<br />
Alles in allem, Eckermann zahlt mit seiner Selbstaufgabe, Selbstkasteiung, Hingabe<br />
und <strong>de</strong>r Freiwilligkeit, sich auffressen zu lassen, <strong>de</strong>n Preis für die Kunst und<br />
ihre Schaffung. Die scheint sadistisch und masochistisch zugleich.<br />
Bibliographie<br />
Gerd Fuchs: Eckermanns Traum. Fünfzehn Szenen aus <strong>de</strong>m klassischen Weimar.<br />
Hamburg (Edition Nautilus) 2006. ISBN 3-89401-483-0. 76 Seiten.14,00 €.<br />
© Zneaschta / Pixelio 2006<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Die Kunst Seite 16
Die Gesellschaft &<br />
die Literatur<br />
Das Internet hin<strong>de</strong>rt keinen an <strong>de</strong>r Sorgfalt<br />
22 Minuten und 15 Sekun<strong>de</strong>n mit Wolfgang Koch<br />
Von Arabell Weigel-Hafsia und Toni Reitz<br />
(0:00)<br />
(tr) Lieber Herr Koch. Sie sind <strong>de</strong>r Betreiber <strong>de</strong>r Die Grundlage ist I<strong>de</strong>alismus.<br />
Web-Plattform Funkystory. Autoren können dort Ökonomische Interessen sind<br />
Texte einstellen; es wird eine Möglichkeit zu nicht im Spiel. Grundi<strong>de</strong>e ist, das<br />
Veröffentlichung und Diskussion geboten. Was Web 2.0 für literarische Texte zu<br />
ist Ihre Absicht? Steckt reiner I<strong>de</strong>alismus dahin- öffnen, und eine Plattform zu<br />
ter, Liebe an <strong>de</strong>r Literatur, o<strong>de</strong>r was sind Ihre grün<strong>de</strong>n, die Autoren auf direk-<br />
Ziele?<br />
tem Weg zu ihren Lesern führt<br />
und die Kommunikation zwischen bei<strong>de</strong>n erlaubt.<br />
Strikte Kategorien sind dabei fremd, die Autoren<br />
erzeugen selbst <strong>de</strong>n Rahmen, in <strong>de</strong>m sie sich<br />
bewegen. Daneben soll die Seite schön, angenehm,<br />
unter <strong>de</strong>m Strich: funky sein. Wir sprechen<br />
damit vornehmlich eine junge Zielgruppe an,<br />
bleiben aber offen für je<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r mitmachen will.<br />
© Wolfgang Koch 2008<br />
Verstan<strong>de</strong>n. Allerdings investieren Sie auch<br />
persönlich viel Arbeit in die Website. Was ist<br />
dabei Ihr Antrieb?<br />
Es hat viel mit Lust an <strong>de</strong>r Technik<br />
zu tun, mit <strong>de</strong>r Frage, wie so<br />
etwas geht. Ich habe mir die<br />
notwendigen Kenntnisse von Grund auf selbst beigebracht: wie man eine solche<br />
Website erstellt, welche Gestaltung möglich ist. Dazu kam die bloße Lust am Ausprobieren,<br />
ob tatsächlich eine Community aus Autoren und Lesern entstehen wür<strong>de</strong>.<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Die Gesellschaft & die Literatur Seite 17<br />
Das Interview
Wieviele Autoren sind auf Ihrer Plattform vertre- Die Seite ist seit Sommer 2008<br />
ten?<br />
online, etwa 90 Autoren haben<br />
bis jetzt knapp über 200 Beiträge auf Funkystory eingestellt.<br />
Welche Absichten zur Professionalisierung<br />
haben Sie, o<strong>de</strong>r soll das Ganze Liebhaberei<br />
bleiben?<br />
Für eine Professionalisierung gibt<br />
es bis jetzt keine wirtschaftliche<br />
Grundlage. Damit bleibt Funky-<br />
story Liebhaberei, soll aber auf je<strong>de</strong>n Fall mehr sein als ein schrulliges Hobby,<br />
son<strong>de</strong>rn sich aus <strong>de</strong>r Beteiligung <strong>de</strong>r Autoren motivieren und tragen.<br />
(3:26)<br />
Viele Webplattformen lei<strong>de</strong>n daran, daß sie<br />
nur von <strong>de</strong>n Autoren gelesen wer<strong>de</strong>n, die<br />
selbst Beiträge eingestellt haben. An welches<br />
Zielpublikum richten Sie sich eigentlich?<br />
Damit legen Sie <strong>de</strong>n Finger in<br />
eine Wun<strong>de</strong>. Tatsächlich habe<br />
ich das Gefühl, daß die Beschäftigung<br />
mit <strong>de</strong>n Texten <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>-<br />
ren zu kurz kommt im Vergleich zur Präsentation <strong>de</strong>s Eigenen. Wieviele Leser wir<br />
haben, die nicht selbst veröffentlichen, wissen wir lei<strong>de</strong>r nicht. Deshalb ist eines<br />
meiner nächsten Ziele, die Community lebendiger zu machen, Leser zu Kommentaren<br />
zu ermutigen, und auch die Autoren stärker zur Kommunikation zu bringen.<br />
© Julia Freeman-Woolpert / Sxc 2006<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Die Gesellschaft & die Literatur Seite 18
Wie soll das geschehen?<br />
Eine Möglichkeit wäre die Kooperation<br />
mit Instituten wie INKAS. Hier könnte ich mir vorstellen, zu einem besseren<br />
und leistungsfähigeren Lektorat zu kommen. Dies wäre ein klarer Mehrwert für<br />
die Autoren: daß mit <strong>de</strong>n Texten gearbeitet wird, daß sie ihre Defizite erkennen<br />
können. Insgesamt muß man Mechanismen fin<strong>de</strong>n, wie die Autoren selbst auf<br />
an<strong>de</strong>re Autoren zuzugehen, in ihrem eigenen Interesse.<br />
(aw) Es gibt aber Kontakt <strong>de</strong>r Autoren unter- Heute ist die auf <strong>de</strong>r Plattform<br />
einan<strong>de</strong>r?<br />
sichtbare Kommunikation, beispielsweise<br />
in Kommentaren, wenig ausgeprägt. Kommunikation scheint mir aber<br />
<strong>de</strong>r Knackpunkt je<strong>de</strong>r Onlinecommunity.<br />
(5:47)<br />
Funkystory ist sehr jung aufgemacht. Sind die<br />
Autoren wirklich alle junge Menschen? Literatur<br />
scheint doch oft ein Interessengebiet für Ältere.<br />
Funkystory gibt sich aber jung und knackig.<br />
In <strong>de</strong>r Tat: „Jung und knackig“ war<br />
von vorne herein die Zielgruppe.<br />
Eher Ältere ab etwa vierzig haben<br />
zwar oft schon Texte in <strong>de</strong>r Schub-<br />
la<strong>de</strong>, aber ich vermute hier eine hohe Hemmschwelle, eigene Texte ins Internet zu<br />
stellen. Dieses Problem, die Intimsphäre zu durchbrechen<br />
und an die Öffentlichkeit zu gehen, kommt bei Jüngeren so<br />
nicht vor. Außer<strong>de</strong>m interessiert mich <strong>de</strong>r Aspekt Jugend<br />
selbst.<br />
Tatsache ist aber, daß auch mancher sich beteiligt, <strong>de</strong>r<br />
nicht zur eigentlichen Zielgruppe gehört. Ich weiß von<br />
Sechzig- bis zu über Achtzigjährigen, die bei Funkystory<br />
aktiv sind.<br />
(tr) Es macht <strong>de</strong>n Eindruck, daß je<strong>de</strong>r seine<br />
Texte bei Funkystory einstellen darf. Das tut ja<br />
nicht unbedingt <strong>de</strong>r Qualität <strong>de</strong>r Plattform gut.<br />
Was machen Sie mit Texten, die Sie für ausgesprochen<br />
schlecht halten?<br />
(8:34)<br />
Meine persönliche Meinung spielt<br />
für die Veröffentlichung keine<br />
Rolle. Von Anfang an fin<strong>de</strong>t keine<br />
Zensur statt.<br />
Zensur ist ein dabei allerdings<br />
ein starkes Wort. Man könnte auch sagen, daß keine redaktionelle Auswahl stattfin<strong>de</strong>t.<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Die Gesellschaft & die Literatur Seite 19<br />
© Pixelwelten / Deviantart<br />
2009
Dahinter steht<br />
schlicht die Frage<br />
<strong>de</strong>r verfügbaren<br />
Arbeitskraft. Es hat<br />
aber auch prinzipielle<br />
Grün<strong>de</strong>. Ich<br />
bin <strong>de</strong>r Meinung,<br />
die Qualitätsfrage<br />
muß sich über die<br />
Community selbst<br />
regeln, mit <strong>de</strong>r<br />
Weisheit <strong>de</strong>r Masse<br />
sozusagen. Beim<br />
Fotoportal flickr wie<br />
Paul Rehak / Sxc 2009<br />
auch bei <strong>de</strong>r Vi<strong>de</strong>osite<br />
Youtube<br />
kommt das ganz ähnlich zur Anwendung: wo viel ist, da ist auch Qualität. Die<br />
Community selbst übernimmt die Sortierung in gut und schlecht.<br />
(10:38)<br />
Wird sich durch das Internet Literatur insgesamt<br />
verän<strong>de</strong>rn? Heute zeigen viele Plattformen<br />
eigentlich noch ganz konventionelle Literatur,<br />
die genauso in <strong>de</strong>r Printwelt vorkommen könnte.<br />
Bei Ihnen scheint mir das genauso.<br />
Ja, das trifft zu. Allerdings <strong>de</strong>nke<br />
ich, daß wir uns in einem Übergangsstadium<br />
befin<strong>de</strong>n. Literatur<br />
wird sich verän<strong>de</strong>rn. Die Interaktivität<br />
<strong>de</strong>r Texte wird steigen. Dieser<br />
Prozeß steckt noch in <strong>de</strong>n Anfängen, gewinnt aber eine Wahnsinnsdynamik.<br />
Gemeinschaftlich verfaßte Werke sind beispielsweise mit <strong>de</strong>r Technik <strong>de</strong>s Internet<br />
sehr einfach anzugehen. Autor A beginnt,<br />
bietet zwei o<strong>de</strong>r drei mögliche Entwicklungen<br />
an, Autor B greift das auf, und so weiter. Vielleicht<br />
fächert sich sogar ein ganzer Baum von<br />
möglichen Texten auf. Eine Mannschaft könnte<br />
an <strong>de</strong>m einen Ast arbeiten, eine an<strong>de</strong>re sich auf<br />
einen zweiten konzentrieren. So etwas ist ohne<br />
das Internet meiner Meinung nach un<strong>de</strong>nkbar.<br />
©<br />
Dialwrong / Deviantart 2009<br />
(13:20)<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Die Gesellschaft & die Literatur Seite 20
Insgesamt zeichnen Sie eine ungeheuer positive<br />
Sicht von <strong>de</strong>r Literatur im Web. Viele Stimmen<br />
sind hingegen eher kritisch. Früher konnte<br />
Literatur nur gegen viele Wi<strong>de</strong>rstän<strong>de</strong> verlegt<br />
wer<strong>de</strong>n: Verlag, Lektorat, Verkauf. Je einfacher<br />
es aber wird, seinen Text irgendwohin zu<br />
stellen, <strong>de</strong>sto mehr wird er von Kunst zum<br />
Gebrauchsgegenstand, vielleicht sogar zum<br />
Wegwerfartikel, im Extremfall zum Kulturmüll?<br />
Das kann ich nicht ein<strong>de</strong>utig<br />
beantworten. Die Frage ist genau<br />
die richtige. Im Internet haben wir<br />
mit einem großen Müllproblem zu<br />
tun, da je<strong>de</strong>r zum Produzenten<br />
von Inhalt wer<strong>de</strong>n kann. Unbedingt<br />
schlecht ist das nicht, aber<br />
das Problem bleibt: wie grenzt<br />
sich Qualität von Müll ab?<br />
Was konkret Literatur angeht: Wenn man das Internet mit <strong>de</strong>m üblichen Verlagswesen<br />
vergleicht, dann kann ich die Frage nicht entschei<strong>de</strong>n, ob die Mechanismen,<br />
die das klassische Buch auf <strong>de</strong>n Markt bringen, ob die qualitätsför<strong>de</strong>rnd<br />
sind o<strong>de</strong>r eher qualitätsverhin<strong>de</strong>rnd.<br />
© Scherbius / Deviantart 2009<br />
Weil nicht verkäuflich?<br />
Qualitätsverhin<strong>de</strong>rnd insofern, daß<br />
Autoren nicht erscheinen, die erscheinen sollten. Viel hängt hier von subjektiven<br />
Einschätzungen ab, wie zum Beispiel zum Marktpotential. Verlage können dieser<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Die Gesellschaft & die Literatur Seite 21
Sicht gar nicht ausweichen. Deswegen ist Funkystory ein Experiment, inwieweit<br />
man auch jenseits <strong>de</strong>r Mechanismen <strong>de</strong>s Verlagswesens Qualität sicherstellen<br />
kann, die man dann vielleicht auch wie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Verlagsbetrieb zurückführen<br />
kann.<br />
Dabei ist natürlich die Frage, was verloren Das hängt von <strong>de</strong>n Beteiligten<br />
geht.<br />
selbst ab. Das Internet selbst<br />
hin<strong>de</strong>rt nieman<strong>de</strong>n daran, daß er sich Zeit läßt mit <strong>de</strong>m Schreiben, daß er sorgfältig<br />
arbeitet.<br />
(16:43)<br />
Funkystory ist eine Plattform im Web. Das Web<br />
ist überall, man braucht nur einen Browser. Wir<br />
sitzen aber jetzt in Frankfurt, Sie wohnen in<br />
Frankfurt. Frankfurt genießt durchaus einen Ruf<br />
als Literaturstadt. Ist für Sie Literatur in Frankfurt<br />
etwas Beson<strong>de</strong>res, o<strong>de</strong>r verliert sich das, weil<br />
mit <strong>de</strong>m Web dann doch alles überall ist?<br />
Natürlich ist <strong>de</strong>r Ort, an <strong>de</strong>m man<br />
sich aufhält, immer auch relevant<br />
für das, was man virtuell tut. Das<br />
ist überhaupt keine Frage. Auf<br />
meiner langen Liste von offenen<br />
Punkten steht gera<strong>de</strong> auch, Kontakte<br />
zu Frankfurter Verlagen<br />
aufzunehmen, zu Frankfurter Institutionen wie <strong>de</strong>m Journal, Veranstalter von Lesungen<br />
anzusprechen. Das wäre die Verwurzelung von Funkystory genau da, wo <strong>de</strong>r<br />
Betreiber <strong>de</strong>r Website zuhause ist.<br />
(19:03)<br />
(aw) Schreiben Sie selbst?<br />
Wenig, wenig. Vielleicht ist mein<br />
Talent nicht hun<strong>de</strong>rtprozentig ausgeprägt. In <strong>de</strong>n letzten Monaten habe ich mich<br />
auf Rezensionen konzentriert. Diese Form ermöglicht mir eine für mich interessante<br />
Mischung aus Literatur und Journalismus. Rezensionen schreiben be<strong>de</strong>utet, sich mit<br />
Literatur zu beschäftigen, und gleichzeitig selbst einen Sachtext zu verfassen.<br />
Einiges davon fin<strong>de</strong>n Sie auf Funkystory. Darüber hinaus ist meine Schreibtätigkeit<br />
aber seit meiner Pubertät, was ein paar Tage her ist, eigentlich eher erlahmt.<br />
(20:14)<br />
(tr) Was ärgert Sie am meisten am heutigen Schwierig zu sagen. Was mich<br />
<strong>de</strong>utschen Literaturbetrieb?<br />
ärgert ist eigentlich das wahnsinnige<br />
Hochdrehen <strong>de</strong>r ganzen Buchbranche. Dabei muß ich aber einen Moment<br />
zögern. Die Masse ist ja gera<strong>de</strong> auch eine Grundi<strong>de</strong>e von Funkystory. Als Leser,<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Die Gesellschaft & die Literatur Seite 22
als Konsument von Büchern habe ich aber stark das Gefühl, hinter <strong>de</strong>n 14.000<br />
belletristischen Neuerscheinungen eines Jahres niemals hinterherkommen zu können.<br />
Aber vielleicht wird ja auch da einiges Schlechtes verlegt. Mich stört aber<br />
auch die mangeln<strong>de</strong> Offenheit für junge Autoren, für unkonventionelle Autoren,<br />
weswegen mich auch gera<strong>de</strong> Poetry Slams interessieren. Ich sehe eine ganz große<br />
Schnittmenge zwischen Funkystory und Poetry Slams, an <strong>de</strong>nen ich das Wil<strong>de</strong><br />
schätze, das weniger Langweilige gegenüber Lesungen. Daß diese Energie so<br />
wenig an die offizielle Oberfläche kommt, das stört mich am allermeisten.<br />
Herr Koch, vielen herzlichen Dank.<br />
(22:15)<br />
Wolfgang Koch, geboren 1972 im Hunsrück, an <strong>de</strong>r Uni Frankfurt<br />
studiert, im Jahr 2000 Diplom-Soziologe gewor<strong>de</strong>n. Seit einigen<br />
Jahren beim Hessischen Rundfunk in Frankfurt als Medienforscher<br />
mit <strong>de</strong>m Schwerpunkt Online tätig.<br />
Nebenher Hörbuchbearbeitungen, Medienforschungs-Workshops in<br />
Vietnam und Laos und Administrator <strong>de</strong>r Autoren-Community<br />
Www.Funkystory.De.<br />
© Kriss Skurlatowski / Sxc 2008<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Die Gesellschaft & die Literatur Seite 23
Die Welt <strong>de</strong>s Kreativen<br />
Schreibens<br />
Vom Klang <strong>de</strong>r Sprache – Das Sonett<br />
(rh) Was ist eigentlich ein Sonett? Wo kommt es her und welche Be<strong>de</strong>utung hat das<br />
Sonett im 21. Jahrhun<strong>de</strong>rt? Fragen, auf die es Antworten gibt, die mit Sicherheit<br />
spannen<strong>de</strong>r sind als die sorgsam gepflegten Vorurteile, die zeitgenössische Dichter<br />
im Hinblick auf diese zugegeben antiquierte Form <strong>de</strong>r Dichtkunst haben.<br />
Dass unser Sonett, wie wir es bisher kennen gelernt haben, <strong>de</strong>m Leser gegenüber<br />
auch ganz an<strong>de</strong>rs in Erscheinung treten kann, zeigt uns William Shakespeare:<br />
Die schönsten Wesen, sie solln sich vermehren,<br />
Damit die Rose Schönheit nie verdorrt.<br />
Muss auch die Zeit <strong>de</strong>n reifen Mann verheeren.<br />
In seinem zarten Sprößling lebt er fort.<br />
Doch du, vom eignen Augenstrahl gebannt,<br />
Verzehrst dich selber brennend, vor Begier,<br />
Schaffst Hunger, wo uns Fülle übermannt,<br />
Dir selber feind und allzu hart zu dir.<br />
Noch schmückt die Welt <strong>de</strong>in frischer Jugendschein,<br />
Du Herold, <strong>de</strong>r uns prallen Lenz verheißt,<br />
Ins Knospengrab schließt du Erfüllung ein,<br />
Wenn du so wüst mit <strong>de</strong>inen Reizen geizt.<br />
Erbarme dich, dass nicht verschlungen wird<br />
Vom Grab und dir, was aller Welt gebührt.<br />
William Shakespeare<br />
© Dan Shirley / Sxc 2008<br />
Shakespeare schrieb seine Sonette in einen klar ins Auge springen<strong>de</strong>n Zeilenblock.<br />
Das Reimschema ist <strong>de</strong>utlich erkennbar. Zunächst fin<strong>de</strong>n wir einen Kreuzreim vor,<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Die Welt <strong>de</strong>s Kreativen Schreibens Seite 24<br />
Schreiben im Alltag
<strong>de</strong>r dann in <strong>de</strong>n letzten bei<strong>de</strong>n Zeilen zu einem Paarreim reduziert wird. Das<br />
englische Spencer- o<strong>de</strong>r Shakespeare-Sonett unterschei<strong>de</strong>t sich vom kontinentalen<br />
Sonett nicht nur in <strong>de</strong>r Wahl eines sogenannten harten Reims, son<strong>de</strong>rn auch im<br />
Aufbau <strong>de</strong>r Versstruktur. Wie wir bei Shakespeares Sonett zweifellos erkennen<br />
können, besteht das englische Sonett aus drei Quartinen und einem abschließen<strong>de</strong>n<br />
Reimpaar.<br />
Die Melodie <strong>de</strong>r Sprache<br />
Wir haben es also bei <strong>de</strong>r Sonettdichtung mit einer durchstrukturierten Dichtkunst<br />
zu tun, die sich auf klare handwerkliche Vorgaben bezieht. Dennoch gab o<strong>de</strong>r gibt<br />
es immer wie<strong>de</strong>r Dichter, die <strong>de</strong>m Sonett ihre ganz persönliche Note verleihen,<br />
ohne <strong>de</strong>n vorgegebenen Rahmen unnötig zu sprengen; <strong>de</strong>nn die lyrische Bewegung<br />
in <strong>de</strong>r Versform <strong>de</strong>s Sonetts bedarf einer sensiblen Textgestaltung.<br />
Die Nähe <strong>de</strong>s Sonetts zur Musik zeigt nicht nur seine mathematische Mentalität.<br />
Der Begriff Sonett, aus <strong>de</strong>m Italienischen, be<strong>de</strong>utet ins Deutsche übertragen so viel<br />
wie Tönchen o<strong>de</strong>r kleiner Klang. Der Anklang <strong>de</strong>r Musikalität liegt also schon in<br />
<strong>de</strong>r Namensgebung <strong>de</strong>s Sonetts verborgen. Andreas Gryphius (1616 – 1664)<br />
spricht in diesem Zusammenhang übrigens von einem Klinggedicht. Auch wenn<br />
sich dieser Begriff nicht in die heutige Zeit hinüberretten konnte, sagt er doch<br />
Wesentliches über das Sonett als lyrische Ausdrucksform aus: Ein Sonett hat immer<br />
auch eine musikalische Qualität.<br />
Uralte Buddha-Figur,<br />
in einer japanischen Waldschlucht verwitternd<br />
Gesänftigt und gemagert, vieler Regen<br />
Und vieler Fröste Opfer, grün von Moosen<br />
Gehn <strong>de</strong>ine mil<strong>de</strong>n Wangen, <strong>de</strong>ine großen<br />
Gesenkten Li<strong>de</strong>r still <strong>de</strong>m Ziel entgegen,<br />
Dem willigen Zerfalle, <strong>de</strong>m Entwer<strong>de</strong>n<br />
Im All, im ungestaltet Grenzenlosen.<br />
Noch kün<strong>de</strong>t die zerrinnen<strong>de</strong> Gebär<strong>de</strong><br />
Vom A<strong>de</strong>l <strong>de</strong>iner königlichen Sendung<br />
Und sucht doch schon in Feuchte, Schlamm und Er<strong>de</strong>,<br />
Der Formen ledig, ihres Sinns Vollendung,<br />
Wird morgen Wurzel sein und Laubes Säuseln,<br />
Wird Wasser sein, zu spiegeln Himmels Reinheit, © Atif Gulzar / Sxc 2008<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Die Welt <strong>de</strong>s Kreativen Schreibens Seite 25
Wird sich zu Efeu, Algen, Farnen kräuseln, -<br />
Bild allen Wan<strong>de</strong>ls in <strong>de</strong>r ewigen Einheit.<br />
Hermann Hesse<br />
In diesem Sonett von Hermann Hesse hat er das fernöstliche Buddhathema in die<br />
europäische Dichtkunst <strong>de</strong>s Sonetts transportiert. Wir haben es im ersten Quartett<br />
mit einem umrahmen<strong>de</strong>n Reim zu tun, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Mittelzeilen über einen<br />
Paarreim verfügt, also ABBA. Im zweiten Quartett begegnen wir einem Kreuzreim,<br />
<strong>de</strong>r sich bis ins erste Terzett erstreckt ABAB. Im letzten Terzett bedient sich Hesse<br />
wie<strong>de</strong>rum <strong>de</strong>s Kreuzreimes CBC. Interessant an diesem Sonett, das er so nicht<br />
<strong>de</strong>klariert, ist die kontinuierlich durchgehaltene Silbenform von jeweils elf Silben<br />
pro Zeile.<br />
Im Klartext: Das Sonett kommt in seiner Reinform mit vier Reimen aus, die sich<br />
folgen<strong>de</strong>rmaßen gestalten): ABBA ABBA CDC DCD. Dagegen sind aber auch erhebliche<br />
Abweichungen und Erweiterungen möglich.<br />
Die bei<strong>de</strong>n Quartette bil<strong>de</strong>n beim Sonett eine thematische Antithese zu <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n<br />
Terzetten, die auch in <strong>de</strong>r Reimform ihren Ausdruck fin<strong>de</strong>n.<br />
© Daniel Andres Forero / Sxc 2008<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Die Welt <strong>de</strong>s Kreativen Schreibens Seite 26
Da stieg ein Baum. O reine Übersteigerung!<br />
O Orpheus singt ! O hoher Baum im Ohr!<br />
Und alles schwieg. Doch selbst in <strong>de</strong>r Verschweigung<br />
Ging neuer Anfang, Wink und Wandlung vor.<br />
Tiere aus Stille drangen aus <strong>de</strong>m klaren<br />
Gelösten Wald von Lager und Genist;<br />
Und da ergab sich, daß sie nicht aus List<br />
Und nicht aus Angst in sich so leise waren,<br />
son<strong>de</strong>rn aus Hören. Brüllen, Schrei, Geröhr<br />
schien klein in ihren Herzen. Und wo eben<br />
kaum eine Hütte war, dies zu empfangen,<br />
ein Unterschlupf aus dunkelstem Verlangen<br />
mit einem Zugang, <strong>de</strong>ssen Pfosten beben, -<br />
da schufst du ihnen Tempel im Gehör.<br />
Rainer Maria Rilke, aus: die Sonette an Orpheus<br />
Von Jamben, Hebungen und Senkungen<br />
Lyrischer Sprachausdruck setzt sich nicht nur aus <strong>de</strong>n einzelnen Worten, Versen<br />
o<strong>de</strong>r Strophen zusammen, die ein Dichter vorgibt. Im Gedicht stellt sich Sprache in<br />
einem in sich stimmigen System dar, sozusagen unter <strong>de</strong>n Zeilen versteckt, das<br />
Lyrik erst zur Lyrik macht, sonst wäre es ja Prosa. Häufig wird in Unkenntnis <strong>de</strong>r<br />
Hebungen und Senkungen, <strong>de</strong>r Jamben, Alternationen und an<strong>de</strong>ren Sprachmelodien<br />
gera<strong>de</strong> von zeitgenössischen Dichtern gedichtet, was das Zeug hält. Schräge<br />
Melodien wer<strong>de</strong>n als solche nicht erkannt und gelten als salonfähig, wobei gegen<br />
<strong>de</strong>n Klang schräger Melodien nichts einzuwen<strong>de</strong>n ist, nur sollte die Absicht <strong>de</strong>s<br />
Dichters zumin<strong>de</strong>st für <strong>de</strong>n geübten Leser erkennbar sein. Genau an diesem Punkt<br />
kann uns das Sonett helfen, auch mo<strong>de</strong>rne Lyrik in Form zu bringen, ohne dass sie<br />
sich gleich reimen muss.<br />
Beispielsweise haben wir es bei einer Hebung im metrischen Bauplan mit einer<br />
betonten Silbe zu tun. Eine Senkung hingegen ist eine unbetonte Silbe in einem<br />
metrisch gebun<strong>de</strong>nen Vers. Die Hebungen und Senkungen wie<strong>de</strong>rum ergeben eine<br />
Alternation, also ein Wechselspiel aus Hebungen und Senkungen.<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Die Welt <strong>de</strong>s Kreativen Schreibens Seite 27
© Seer / Sxc 2002<br />
Der Jambus beschreibt eine<br />
steigen<strong>de</strong> Silbenfolge von<br />
einer Senkung zu einer Hebung:<br />
Gewált. Beim Trochäus<br />
begibt sich ein Vers von <strong>de</strong>r<br />
Hebung zur Senkung: Gárten,<br />
während <strong>de</strong>r Daktylus eine<br />
dreisilbige Folge aus einer<br />
Hebung und zwei Senkungen<br />
beschreitet: Táp-fer-keit. Zu<br />
guter Letzt gibt es noch <strong>de</strong>n<br />
so genannten Anapäst, eine<br />
dreisilbige Folge aus zwei<br />
Senkungen und einer Hebung<br />
bestehend: Pa-ra-diès.<br />
Dieses Wechselspiel <strong>de</strong>r<br />
Hebungen und Senkungen –<br />
gezielt eingesetzt – bestimmt<br />
das Metrum <strong>de</strong>r Sprache,<br />
unabhängig davon, ob diese<br />
Dichtung im Mittelalter o<strong>de</strong>r in<br />
<strong>de</strong>r Neuzeit angesie<strong>de</strong>lt ist.<br />
Soweit eine Einführung in die hohe Mathematik <strong>de</strong>r Verskunst, am Beispiel <strong>de</strong>s<br />
Sonetts. Es empfiehlt sich immer bei <strong>de</strong>r Lektüre o<strong>de</strong>r auch <strong>de</strong>r lyrischen Kreation<br />
eines Sonetts, das handwerkliche Hintergrundwissen mit in <strong>de</strong>n Schreibprozess<br />
einzubeziehen. Ein Sonett ist, wie wir erfahren haben, nicht nur ein Gedicht, das<br />
sich irgendwie reimt. Son<strong>de</strong>rn ein Sonett ist eine durchdachte lyrische Konstruktion,<br />
die auf ein soli<strong>de</strong>s literarisches Handwerk zurückgreifen kann und die durchaus<br />
auch noch im 21. Jahrhun<strong>de</strong>rt ihren sprachlichen Ausdruck fin<strong>de</strong>n kann.<br />
Sinnieren über Schreibzeiten<br />
Von Carla Capellmann<br />
Sinnieren. Über <strong>de</strong>n Sinn o<strong>de</strong>r Unsinn von Schreibzeiten und Nichtschreibzeiten<br />
und Schreibnichtzeiten. Über Schreibvielseiten und vergiss die Zeit. Sinniere ich.<br />
Zur Unzeit.<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Die Welt <strong>de</strong>s Kreativen Schreibens Seite 28
Zur Unzeit: Schreiben. Zur Uhrzeit. Im Takt <strong>de</strong>r Worte. Stun<strong>de</strong>nlang. Bange<br />
Stun<strong>de</strong>n: Klopft ein Wort?<br />
Zur Unzeit. Schreiben. Seit Urzeiten. Wünsche ich, dass ich schreibe. Seit Urzeiten.<br />
Seit Uhrzeiten sinne ich. Als wäre ich von Sinnen. Von allen guten Geistern<br />
verschrien, verschreibe ich ein Aufschreien. Ein Aufschreiben. Zur Geisterstun<strong>de</strong><br />
verschreibe ich mich. Dem Verschreiben. Dem Vers Schreiben. Den allen guten<br />
Geistern schreiben. Schreibe ich.<br />
Ich schreibe nun also zur Unzeit von <strong>de</strong>r Nichtzeit,<br />
in <strong>de</strong>r ich schreiben will, aber nicht kann. Weil sie, die<br />
Nichtzeit, gera<strong>de</strong> zur Unzeit meist nicht da. So ein Bla!<br />
Zu Unzeiten: Unseiten schreiben. Mit allen Unsinnen.<br />
Ich sinne um, ich sinne umher. Zur Zeit: sinnlich schreiben.<br />
Zur Uhrzeit Worte wiegen. Im Takt <strong>de</strong>s Satzes<br />
Verse drehen. Ausrufezeichen husten. Wenn ein Punkt<br />
fällt. Dem die Zeit fehlt. Mehr zu wer<strong>de</strong>n. Als nur ein<br />
Satz. Ein Frageschatz.<br />
Überschlagen, umschlagen. Eine neue Seite, eine<br />
neue Zeit. Beginnen. Anfangen. Zu Unzeiten Unseiten<br />
umschreiben. Die Zeit umschreiben, bis sie wie<strong>de</strong>r da.<br />
Haha.<br />
Feste Schreibzeiten, schreibe ich. Mir auf<br />
und vor und weiß genau, dass zur Aufgabe<br />
<strong>de</strong>r Schreibaufgabe dies führt. Zu nichts. Fast<br />
hätte ich <strong>de</strong>n Fehler wie<strong>de</strong>rholt. Zu fest die<br />
Zeiten gezurrt, so dass die Minuten gemurrt<br />
und alle Zeit verstrichen – <strong>de</strong>r einzige Strich,<br />
ungezogen, verblichen. Streichzeiten. Zu<br />
streichen. Nur zu gerne wür<strong>de</strong> ich sie streichen<br />
aus meinem Leben. Und <strong>de</strong>nnoch sind sie<br />
da. Was ein Bah!<br />
Ich schreibe: Meine Schreibzeiten sollen<br />
(mir) eine Lust sein. Fein! Wollen sie sein. Und<br />
Versuch 3<br />
Versuch 1<br />
Allein <strong>de</strong>r Reim,<br />
bleib er daheim.<br />
Versuch 2<br />
Schreibunzeiten<br />
schreib um Seiten<br />
Schreibe sie voll<br />
und freue dich doll.<br />
Und wenn nichts mehr geht<br />
wenn die Zeit still steht:<br />
Versuch 4<br />
Schreibzeiten<br />
schreib Seiten<br />
Schreibe sie fest<br />
das Schreiben ein Fest.<br />
müssen nicht sollen und wollen nur rollen. Und muss doch: aufpassen, dass sie<br />
nicht entweicht: meine Schreibluft. Lasse ich es zu luftig angehen. Packe ich die<br />
Lust unter ein starres Korsett aus Zwang und Muss, höre ich (laut) ein Au. Ein Laut<br />
verschiebt sich, das U ge<strong>de</strong>ckelt. Schreibzeitenwen<strong>de</strong>: en<strong>de</strong> in Last.<br />
Meine Schreibzeiten: Lust pen<strong>de</strong>lt zwischen Luft und Last. Zwischen Fest und<br />
fast. Meine Schreibzeiten brauchen Schreibfreizeiten. Meine Schreibzeiten brauchen<br />
einen Platz. Meine Schreibzeiten brauchen einen Satz (mit <strong>de</strong>m sie anfangen<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Die Welt <strong>de</strong>s Kreativen Schreibens Seite 29
können). Meine Schreibzeiten brauchen Freu<strong>de</strong>. Meine Schreibzeiten brauchen<br />
Freun<strong>de</strong>. Meine Schreibzeiten wünschen sich viel Zeit. Meine Schreibzeiten haben<br />
alle Zeit <strong>de</strong>r Welt. Meine Schreibzeiten sehnen sich nach Freizeichen. Meine<br />
Schreibzeiten wären so gern Schreibseiten.<br />
Tauschangebot.<br />
Zu Zeiten schreiben. Zu ihnen und mit<br />
ihnen und von ihnen. Bei Vollmond und<br />
im Schatten <strong>de</strong>r Sonne. Bei Ebbe und<br />
Flut. Gezeitenschreiben. Beizeiten:<br />
schreiben! Rechtzeitig damit anfangen. Linksseitig (von links oben nach rechts<br />
unten o<strong>de</strong>r mitten drin o<strong>de</strong>r am En<strong>de</strong>). Hauptsatz: Anfangen!<br />
Das Resultat<br />
Feste Schreibzeiten<br />
Schreibzeitenfeste!<br />
Feiern<br />
bis sie fallen!<br />
(die Worte)<br />
Über Schreibzeiten sinnieren<br />
seitenweise Worte dinieren.<br />
Das war’s.<br />
Das wär’s.<br />
Und das<br />
ist es!<br />
Versuch 5<br />
Schrieb schon eine Seite voll<br />
+ hab noch Zeit – ja, das ist toll<br />
© Diego Medrano /<br />
Sxc 2008<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Die Welt <strong>de</strong>s Kreativen Schreibens Seite 30
Das Institut<br />
Fee: „Ich bin ein Straßenkind“<br />
(rh) Uraufführung: 20. September 2009 um 20:00 Uhr auf <strong>de</strong>r Binger Bühne<br />
Min<strong>de</strong>stens 2.000 Kin<strong>de</strong>r leben in Deutschland auf <strong>de</strong>r Straße. Straßenkin<strong>de</strong>r<br />
kommen we<strong>de</strong>r in Heimen noch bei Freun<strong>de</strong>n unter. Sie sind ausgestiegen aus<br />
einer Welt, die nicht die ihre ist. Fee: „Ich bin ein Straßenkind“ beschäftigt sich mit<br />
einem Phänomen, das es nicht geben dürfte. Schauplatz: Frankfurt Main, Hauptbahnhof.<br />
© Seer / Sxc 2002<br />
Darsteller: Jugendliche und Erwachsene<br />
aus <strong>de</strong>m Raum Mainz—<br />
Bingen und Stu<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r Schauspielschule<br />
Mainz.<br />
Ricarda Baus, Caroline Dillmann,<br />
Änne Fuhrmann, Dominik Gierscher,<br />
Marie Luise Hardwig-Dilly,<br />
Inge Heisinger, Romina Junker,<br />
Roswitha Junker, Maik Krüger,<br />
Jockel Kroecker, Viktoria Lewinsky,<br />
Wolfgang Röben, Karina Schumacher,<br />
Frie<strong>de</strong>rike Zabel, Gerorgina<br />
Wolf–Metternich, Johannes Vollbrecht<br />
u.a.<br />
Musik: Richard Lunkenheimer<br />
(Gitarre). Sabrina Butz (Percussion)<br />
Tanz: Annette Artus<br />
Text/Inszenierung: Rüdiger Heins<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Das Institut Seite 31<br />
Veranstaltungen von INKAS
<strong>eXperimenta</strong> im Funk<br />
(rh) Das Radiomagazin für Kreatives Schreiben<br />
bei Radio Rheinwelle.<br />
Sen<strong>de</strong>termin: 21. <strong>April</strong> 2009 von 15:00 bis<br />
17:00 Uhr.<br />
Thema <strong>de</strong>r Sendung: Die Haiku-Dichtung<br />
© Martin Simonis / Sxc 2006<br />
Studiogäste:<br />
Oliver Buslau, Herausgeber <strong>de</strong>s TextArt-Magazins<br />
Dr. Rainer Weiss, Verlagseiter <strong>de</strong>s Weissbook-Verlags in Frankfurt am Main,<br />
Jürgen Kipp, Leiter <strong>de</strong>r Mainzer Minipressenmesse.<br />
Hörer und Hörerinnen können live in <strong>de</strong>r Sendung anrufen, um ihre Texte und<br />
Gedichte vorzutragen! Telefon: +49 (6 11) 6 09 93 33<br />
© Jorge Alejandro Preclado Oseguera / Sxc 2003<br />
Studiotelefon: +49 (6 11) 6 09 93 33<br />
Kontakt: info@inkas-id.<strong>de</strong><br />
Website: Www.<strong>eXperimenta</strong>.De<br />
Sen<strong>de</strong>leitung: Rüdiger Heins, Www.RuedigerHeins.De<br />
<strong>eXperimenta</strong><br />
kann auch<br />
über das Internet<br />
empfangen<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Internet Live<br />
Stream:<br />
www.radiorheinwelle.<strong>de</strong>Sen<strong>de</strong>frequenzen:<br />
WI 92,5<br />
Mhz (UKW),<br />
WI 99,85 Mhz<br />
(Kabel), MZ<br />
192,7 Mhz<br />
(Kabel)<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Das Institut Seite 32<br />
<strong>eXperimenta</strong> im Funk
Der Wegweiser<br />
Treffen Junger Autoren 2009<br />
Der Bun<strong>de</strong>swettbewerb wird alljährlich vom Bun<strong>de</strong>sministerium für Bildung und<br />
Forschung finanziert und von <strong>de</strong>n Kulturveranstaltungen <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>s in Berlin<br />
GmbH, Geschäftsbereich Berliner Festspiele, organisiert und durchgeführt. Teilnahmeberechtigt<br />
sind Kin<strong>de</strong>r und Jugendliche aller Schularten und Ausbildungswege<br />
im Alter ab 10 Jahren.<br />
Zugelassen sind Gedichte, Geschichten, Dramatisches, Satire o<strong>de</strong>r Parodien,<br />
Märchen, Science Fiction, Reportagen, Nonsens… . Bewerbungschluss: 15. Juli<br />
2009. Eine unabhängige Fachjury wählt in <strong>de</strong>r Regel bis zu zwanzig Jugendliche<br />
aus, die mit ihren literarischen Beiträgen zum Treffen nach Berlin eingela<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />
Das Auswahlverfahren ist bis En<strong>de</strong> September abgeschlossen.<br />
Das Festival Treffen Junger Autoren fin<strong>de</strong>t vom 12. – 16. November 2009 statt.<br />
Bewerbungsbogen und weitere Informationen:<br />
Www.Treffen-Junger-Autoren.De<br />
Jugendwettbewerbe@Berlinerfestspiele.De<br />
Berliner Festspiele<br />
Treffen Junger Autoren<br />
Schaperstraße 24<br />
D-10719 Berlin<br />
Tel. +49 (30) 2 54 89-2 13<br />
Fax +49 (30)2 54 89-1 32<br />
9. Europäische Kin<strong>de</strong>r- und Jugendbuchmesse<br />
Saarbrücken, 13. bis 16. Mai 2009<br />
Die Autoren- und Kommunikationsmesse offeriert Schülern, Lehrern, Eltern und<br />
Fachbesuchern ein umfangreiches Programm aus Lesungen, Foren, Ausstellungen,<br />
Theater und Film. Außer<strong>de</strong>m wer<strong>de</strong>n Fortbildungen für Erzieher, Lehrer und Bibliothekare<br />
angeboten, eine lange Büchernacht mit Lesungen, eine run<strong>de</strong> Mondnacht<br />
und eine Kin<strong>de</strong>raka<strong>de</strong>mie. Ehrengastland <strong>de</strong>r kommen<strong>de</strong>n Messe ist Tschechien.<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Der Wegweiser Seite 33<br />
Preise und Stipendien<br />
Die Ausstellung
Ganz philosophisch wird <strong>de</strong>r literarische Schwerpunkt sein. Im Messebuchla<strong>de</strong>n<br />
fin<strong>de</strong>n die Besucher (in 2008 über 20.000) ein breit gefächertes Angebot. Ausstellungsort<br />
ist das Saarbrücker Schloß mit seinen repräsentativen Räumlichkeiten.<br />
Eintritt: Kin<strong>de</strong>r 1,-- Euro, Erwachsene 2,-- Euro<br />
Was ich gera<strong>de</strong> lese<br />
Lin<strong>de</strong> von Keyserlingk : Sie nannten sich Wolfskin<strong>de</strong>r<br />
(ea) Manchmal packt es mich und ich lese Ungewöhnliches, Befremdliches für<br />
einen Erwachsenen. Aber da ich in meinem Herzen Kind geblieben bin, gehe ich<br />
gerne Abwege. So weiß ich nicht mehr, wo, aber ich habe beim Stöbern nach<br />
Texten für die <strong>eXperimenta</strong> <strong>de</strong>n Hinweis auf das Buch Sie nannten sie Wolfskin<strong>de</strong>r<br />
gelesen und mir dieses Buch gleich gekauft. Ich habe es nicht bereut. Es<br />
geht zu Herzen. Der Autorin gelingt es das Elend und die Verzweiflung <strong>de</strong>r Nachkriegszeit<br />
nach <strong>de</strong>m 2. Weltkrieg einfühlsam<br />
und gleichzeitig hautnah an die<br />
Adressaten, nämlich Kin<strong>de</strong>r zu bringen.<br />
Mich hat das Buch nicht losgelassen, ich<br />
hätte es am liebsten an einem Abend und<br />
die Nacht durch been<strong>de</strong>t. Gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r<br />
heutigen Zeit rüttelt es einen auf und lässt<br />
uns dankbar sein.<br />
Erzählt wird die Geschichte von zwei<br />
verwaiste Jungen, Abromow und Ismael,<br />
die auf <strong>de</strong>r Flucht sind. Sie treffen auf<br />
ihrem weiten Weg, <strong>de</strong>r sie erst nach Westen,<br />
später nach Sü<strong>de</strong>n führt, weitere<br />
Kin<strong>de</strong>r, die sich ihnen anschließen, erst<br />
zwei Zwillingsmädchen, dann noch zwei<br />
weitere Mädchen. Sie erleben und durchleben<br />
Gefährliches und Bedrohliches.<br />
Gemeinsam fühlen sie sich sicherer und<br />
meistern die entbehrungsreiche Zeit mit<br />
Verlorene Kin<strong>de</strong>r ("Wolfskin<strong>de</strong>r"),<br />
Rußland, 1942. Public Domain<br />
Kälte, Hunger. Je<strong>de</strong>s Kind hat bestimmte<br />
Fähigkeiten, die ihnen in schwierigen<br />
Situationen weiter helfen. Sie suchen<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Der Wegweiser Seite 34<br />
Was ich gera<strong>de</strong> lese
Verwandte und fin<strong>de</strong>n auf ihrem Überlebensweg Erwachsene, die es gut mit ihnen<br />
meinen und ihnen helfen, erleben aber auch Negatives. Am En<strong>de</strong> hätte ich gerne<br />
gewusst, wie geht es mit <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn weiter. Sie waren mir ans Herz gewachsen.<br />
Lin<strong>de</strong> von Keyserlingk, * am 08.05.1932 in Berlin-Lichterfeld. Sie ist Familientherapeutin<br />
und Mutter von sieben Kin<strong>de</strong>rn, und greift in ihren Geschichten auf konkrete<br />
Erfahrungen zurück. Besuch <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Künste, Ausbildung<br />
zur Journalistin in Hamburg, längere Reisen in Län<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r 3. Welt ( z.B. Mexiko,<br />
Tunesien, Tonga), Veröffentlichung von zahlreichen Fachpublikationen und Jugendbüchern.<br />
Seit mehreren Jahren ist sie für <strong>de</strong>n Rundfunk tätig.<br />
Bibliographie:<br />
Lin<strong>de</strong> von Keyserlingk: Sie nannten sie Wolfskin<strong>de</strong>r. Freiburg (Her<strong>de</strong>r) 2008, ISBN<br />
978-3-451-70859-6. 272 Seiten.14,95 €.<br />
Ninni Holmqvist: Die Entbehrlichen<br />
(cw) Die Autorin wirft in<br />
ihrem 2006 im Original<br />
veröffentlichten Roman<br />
einen Blick in die Zukunft,<br />
<strong>de</strong>n sie durch keine Jahreszahl<br />
präzisiert. Die<br />
glaubhaft komponierten<br />
Details dieser schönen<br />
neuen Welt allerdings<br />
lassen <strong>de</strong>n Schluß zu, daß<br />
schon in kurzer Zeit das<br />
fiktive Szenario <strong>de</strong>r gelebten<br />
Wirklichkeit nahe<br />
kommen kann.<br />
Beleuchtet wird das Leben<br />
<strong>de</strong>r Entbehrlichen –<br />
das sind nach Definition © Carmen Weber 2009<br />
von Ninni Holmqvist<br />
menschliche Individuen, die sich nicht fortpflanzen und zugleich keiner im betriebswirtschaftlichen<br />
Sinn produktiven Tätigkeit nachgehen. Und solche, die sich<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Der Wegweiser Seite 35
mit Büchern beschäftigen, sind auf <strong>de</strong>m besten Weg, entbehrlich zu wer<strong>de</strong>n. Diese<br />
Menschen wer<strong>de</strong>n als leben<strong>de</strong>s Kapital <strong>de</strong>r Gesellschaft verstan<strong>de</strong>n und auch<br />
behan<strong>de</strong>lt. Man wünschte sich, mehr zu erfahren über die gesamte Struktur dieses<br />
Gemeinwesens, doch lei<strong>de</strong>r bleibt das Leben <strong>de</strong>r systemkompatiblen 'Benötigten'<br />
ausgespart.<br />
Wer keine Nachkommen vorzuweisen hat, darf als Frau in - vermutlich sehr relativer<br />
- Freiheit und Selbstbestimmtheit nicht älter als 50 wer<strong>de</strong>n, die Frist für<br />
Männer liegt ein wenig günstiger bei 60 Jahren. Personen in dieser Lebensphase<br />
wer<strong>de</strong>n zu Bewohnern <strong>de</strong>r sogenannten 'Einheit', einem Ort, an <strong>de</strong>m eine täglich<br />
strahlen<strong>de</strong> synthetische Sonne und an<strong>de</strong>re oberflächliche Annehmlichkeiten über<br />
<strong>de</strong>n Zweck <strong>de</strong>s Dortseins hinwegzutäuschen versuchen. Es geht schlicht und ebenso<br />
grausig um die endgültige und umfassen<strong>de</strong> Verwertung <strong>de</strong>r Körper, bevor ihr<br />
Haltbarkeitsdatum abläuft. Gestorben wird hier auch nicht mehr. Das hat man<br />
durch die sauber programmierbare Endspen<strong>de</strong> ersetzt.<br />
Dorrit, die Ich-Erzählerin, von Beruf Schriftstellerin, schil<strong>de</strong>rt uns die Zeit, die sie<br />
in <strong>de</strong>r Einheit verbringen muss. Wenn man es auch kaum glauben mag, daß eine<br />
Gesellschaft, die <strong>de</strong>rart radikalen Regeln folgt, Menschen mit Gefühlen und Werten<br />
hervorbringen kann – die Geschichte braucht sie, ebenso die Elemente <strong>de</strong>r Spannung,<br />
die <strong>de</strong>r Roman durchaus enthält. Der Ausgang bleibt bis zuletzt offen. Doch<br />
die größte Resonanz verursacht beim Lesen das Schau<strong>de</strong>rn und Staunen über das<br />
Menschenmögliche im Streben nach perfekter Ausbeutung jeglicher Ressourcen.<br />
Das Buch ist flüssig erzählt, die Sprache klar und sachlich, die Handlung stimmig;<br />
man kann es durchaus <strong>de</strong>r reinen Unterhaltung wegen lesen. Seine Stärke<br />
liegt aber darin, daß sich Fragen über das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Handlung hinaus auftun.<br />
Wichtige Fragen, die jetzt und hier gestellt wer<strong>de</strong>n müssten, um dieser <strong>de</strong>nkbaren<br />
Variante <strong>de</strong>r Zukunft keine Chance zu geben. Ob die Leserin, <strong>de</strong>r Leser sich mit<br />
ihnen befassen möchte, darf in <strong>de</strong>r Gegenwart, in <strong>de</strong>r wir leben, noch je<strong>de</strong>r und<br />
je<strong>de</strong> für sich selbst entschei<strong>de</strong>n.<br />
Bibliographie:<br />
Ninni Holmqvist: Die Entbehrlichen. Roman. Aus <strong>de</strong>m Schwedischen von Angelika<br />
Gundlach. Orig.: Enhet. München (Fahrenheit) 2008. ISBN 978-3-940813-00-8.<br />
269 S. 19,90 €.<br />
(tr) Und außer<strong>de</strong>m empfiehlt <strong>de</strong>r Doktor:<br />
Das hat man davon, wenn man sich für an<strong>de</strong>re Kulturen<br />
interessiert. Im Inhalt zeichnet das Buch ein beklemmen-<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Der Wegweiser Seite 36
Abdishamil Nurpeissow<br />
Allfälliges<br />
Ausschreibungen<br />
<strong>de</strong>s Bild. Der Aralsee ist auf einen winzigen Anteil seiner<br />
ursprünglichen Fläche zusammengeschrumpft, weil irrsinnige<br />
Bewässerungsprojekte seine Quelleflüsse Amurdaja<br />
und Syrdaja umgeleitet haben. Das Wasser versalzt, <strong>de</strong>r<br />
Fisch stirbt, die kasachischen Fischer verhungern und sind<br />
gezwungen, die Siedlungen zu verlassen. Eine grandiose<br />
Thematik.<br />
Aber die literarische Form ist für einen mo<strong>de</strong>rnen, westlichgeprägten<br />
Leser fast ungenießbar. Fast durch das<br />
ganze Buch hindurch spricht <strong>de</strong>r Erzähler seine Figuren in<br />
<strong>de</strong>r zweiten Person, in <strong>de</strong>r Du-Form an. Er belehrt sie<br />
sozusagen ständig. Als Leser war ich froh, ab und zu<br />
einen kleinen Abschnitt zu fin<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>r er sich mit einer<br />
autorialen Rolle begnügt.<br />
Die Ware war zu hart.<br />
Der sterben<strong>de</strong> See. Romandilogie. Aus <strong>de</strong>m Russischen<br />
von Annelore Nitschke. Berlin (Dagyeli) 2006. ISBN 3-<br />
935597-47-9. 520 S. Nur noch antiquarisch.<br />
1. <strong>April</strong> 2009 Literaturtage Rheinland-Pfalz 2009 in Bingen<br />
An <strong>de</strong>n Wassern<br />
Prosatexte bis 4.500 Zeichen an Literaturtage 2009,<br />
Kloppgasse 9, D-55411 Bingen<br />
30. <strong>April</strong> 2009 Verlag Buena Vision, Kassel<br />
Menschen und ihre Sehnsucht nach <strong>de</strong>m Meer<br />
Prosatexte über die Liebe zum Meer bis 3—4 Seiten<br />
Kontakt: info@buena-vision.<strong>de</strong><br />
2. Mai 2009 Land Rheinland-Pfalz und SWR<br />
Georg-K.-Glaser-Preis<br />
Unveröffentlichte abgeschlossene Texte aller literarischer<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Der Wegweiser Seite 37
Gattungen bis zu 10 Normseiten von Autoren aus Rheinland-Pfalz.<br />
Einsendungen mit bibliographischen Angaben an das<br />
Literaturreferat <strong>de</strong>s Ministeriums für Bildung, Wissenschaft,<br />
Jugend und Kultur, Postfach 3110, D-55022 Mainz<br />
13. Mai 2009 Verein Wort-Werk, Villach<br />
Die Nacht <strong>de</strong>r schlechten Texte<br />
Schlechte literarische Texte von maximal 10 Seiten; Vi<strong>de</strong>o,<br />
Performance etc. von höchstens 7 Minuten.<br />
Kontakt: Sicke@Tele2.At.<br />
31. Mai 2009 <strong>eXperimenta</strong>9000: Lesung & Anthologie<br />
Amour fou – irre Liebe<br />
Prosatexte bis 9.000 Zeichen zu allen schrägen Situationen<br />
in <strong>de</strong>r Liebe<br />
Kontakt: <strong>eXperimenta</strong>@T-Online.De<br />
1. Juli 2009 Rheinlandpfälzische Literaturtage 2009<br />
Von Liebe, Lust und Lei<strong>de</strong>nschaft<br />
Bis fünf Gedichte o<strong>de</strong>r bis zwei Normseiten lyrische<br />
Prosa.<br />
Kontakt: Literaturtage 2009, Kloppgasse 9 in D-55411<br />
Bingen<br />
Veranstaltungen<br />
19. Mai 2009 Zehnjähriges Bestehen von Lyrikline.org<br />
Poesielesung mit Jean-Marc Desgent, Rachel Leclerc, Erin<br />
Moure, Uljana Wolf und Diane Monique Daviau, präsentiert<br />
von Alexis O’Hara<br />
Montreal, Maison <strong>de</strong>s écrivains<br />
Info: Www.Lyrikline.Org<br />
19. Mai 2009 Welttag <strong>de</strong>r Poesie<br />
Lyriker aus aller Welt<br />
mit Laurynas Katkus (Litauen), Erik Lindner (Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>),<br />
Michèle Métail (Frankreich), Yoko Tawada (Deutsch-<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Der Wegweiser Seite 38
Seminare<br />
land/Japan) und Jáchym Topol (Tschechien)<br />
Berlin, Stiftung Bran<strong>de</strong>nburger Tor<br />
Info: Www.Lyrikline.Org<br />
17. – 20. Mai 2009 Vom ersten bis zum letzten Satz<br />
Werkstatt Kurzgeschichte<br />
Bun<strong>de</strong>saka<strong>de</strong>mie Wolfenbüttel<br />
Seminarleitung: Markus Orths, Autor; Dr. Olaf Kutzmutz<br />
Kontakt: Www.Bun<strong>de</strong>saka<strong>de</strong>mie.De<br />
21. Mai 2009 Autorentreffen in Nürnberg<br />
1: Titus Müller: Vom Rohtext zum Roman<br />
2: Edith Kneifl: Detektive <strong>de</strong>r Seele<br />
3. Roland Rosenbauer: Schreiben fürs Hören<br />
Veranstaltet mit <strong>de</strong>r Fe<strong>de</strong>rwelt, Leitung: Ursula Schmidt-<br />
Spreer.<br />
Kontakt: Sichremail-Autorentreffen@Yahoo.De<br />
22. – 24. Mai 2009 Klartext schreiben<br />
Werkstatt Literaturkritik<br />
Bun<strong>de</strong>saka<strong>de</strong>mie Wolfenbüttel<br />
Seminarleitung: Dr. Tilman Krause, Literaturkritiker und<br />
Redakteur <strong>de</strong>r Welt; Dr. Olaf Kutzmutz<br />
Kontakt: Www.Bun<strong>de</strong>saka<strong>de</strong>mie.De<br />
28. – 30. Mai 2009 Auf Vers und Silbern<br />
Sprechstun<strong>de</strong> beim Lyrikdoktor<br />
Bun<strong>de</strong>saka<strong>de</strong>mie Wolfenbüttel<br />
Seminarleitung: Steffen Jacobs, Lyriker, Übersetzer und<br />
Essayist; Dr. Olaf Kutzmutz<br />
Kontakt: Www.Bun<strong>de</strong>saka<strong>de</strong>mie.De<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Der Wegweiser Seite 39
28. – 31. Mai 2009 Worte <strong>de</strong>r Heilung<br />
Kloster Himmerod<br />
Seminarleitung: Rüdiger Heins, Schriftsteller<br />
Kontakt: Info@Inkas-Id.De<br />
20. – 22. Juni 2009 Bis über bei<strong>de</strong> Ohren<br />
Werkstatt Kurzhörspiel<br />
Bun<strong>de</strong>saka<strong>de</strong>mie Wolfenbüttel<br />
Seminarleitung: Leonhard Koppelmann, Hörspielregisseur<br />
und Autor; Hilke Veth, Hörspieldramaturgin beim NDR<br />
und Autorin<br />
Kontakt: Www.Bun<strong>de</strong>saka<strong>de</strong>mie.De<br />
10. - 13. Dezember<br />
2009<br />
Achtung:<br />
geän<strong>de</strong>rter Termin<br />
Hörspiel<br />
Kreatives Schreiben – Ein Weg zum Glück<br />
Kloster Himmerod<br />
Seminarleitung: Rüdiger Heins, Schriftsteller<br />
Kontakt: Info@Inkas-Id.De<br />
3. <strong>April</strong> 2009 20.30 Uhr, BR2<br />
Polle Wilbert: Illegal<br />
Geh nach <strong>de</strong>r Arbeit sofort nach Hause. Beschwere dich<br />
nicht über laute Nachbarn. Mei<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Hauptbahnhof mit<br />
seinen Zivilstreifen. Geh nicht bei Rot über die Straße.<br />
Fahre nie schwarz. Halte im Kaufhaus immer alle Quittungen<br />
bereit. Zahle immer Cash. Gibt dir jemand zu<br />
wenig Geld heraus, schluck es und mach kein Aufheben.<br />
Polle Wilbert nimmt die Spur in die Illegalität abgedrängter<br />
Menschen auf, die sich im Alltag zumeist ta<strong>de</strong>llos<br />
verhalten, damit sie nicht erkannt und abgeschoben<br />
wer<strong>de</strong>n. 40.000 bis 50.000 von ihnen leben ohne staatliche<br />
Erlaubnis allein in München. Sie wen<strong>de</strong>n ein hohes<br />
Maß an Geld, Zeit, Energie und Durchhaltevermögen auf,<br />
um <strong>de</strong>n Traum vom besseren Leben zu verwirklichen.<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Der Wegweiser Seite 40
hör!spiel!art.mix <strong>de</strong>s BR in Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>n<br />
Münchner Kammerspielen 2008<br />
9. <strong>April</strong> 2009 20.04 Uhr, SR2<br />
Ferdinand Bruckner: Heroische Komödie<br />
Madame <strong>de</strong> Staël (1766-1817), französische Schriftstellerin<br />
und Publizistin, galt schon zu Lebzeiten als streitbar und<br />
emanzipiert. Ihr Urteil über die Deutschen als „Land <strong>de</strong>r<br />
Dichter und Denker“ ist zum geflügelten Wort gewor<strong>de</strong>n.<br />
1789 war ihr Salon Treffpunkt <strong>de</strong>r gemäßigten Revolutionäre,<br />
die mit <strong>de</strong>r zunehmen<strong>de</strong>n Radikalisierung ins Abseits<br />
gerieten. Madame <strong>de</strong> Staël reiste viel, auch zwangsweise,<br />
<strong>de</strong>nn ihre publizistische Kampagne gegen Napoleon führte<br />
sie mehrfach ins Exil. Von Napoleons Vasallen aus allen<br />
Hauptstädten Europas vertrieben, ließ sie sich aber nicht<br />
beirren und schrieb weiter ihre Pamphlete. Ein heitermelancholisches<br />
Kammerhörspiel.<br />
Regie: P. A. Stiller<br />
Produktion: SR 1953<br />
11. <strong>April</strong> 2009 15.15 Uhr, BR2<br />
Christian Scholz: Mein Sohn<br />
Das Hörstück nähert sich <strong>de</strong>r Person Franz Kafka aus <strong>de</strong>r<br />
Perspektive seiner Mutter, Julie Kafka, die in fiktiven Monologen<br />
<strong>de</strong>n Lebensweg ihres Sohnes nachzeichnet. Seine<br />
Liebe zum Schreiben machte ihn zum Fremdkörper in <strong>de</strong>r<br />
kaufmännisch geprägten Familie. Die Mutter ist zwar stolz<br />
auf ihren Sohn, wenn auch ungewiss ist, ob sie jemals<br />
etwas von ihm gelesen hat. An <strong>de</strong>r Ablehnung durch <strong>de</strong>n<br />
Vater bleibt jedoch kein Zweifel bestehen. Die tschechische<br />
Schauspielerin Z<strong>de</strong>nka Prochazkova ist ein Glücksfall. Sie<br />
spricht mit Anklängen an das Prager Deutsch mit einer<br />
sprachlichen Ausdrucksvielfalt, die <strong>de</strong>n Hörer vom Anfang<br />
bis zum Schluss in <strong>de</strong>n Sog ihres Erzählens hineinzieht,<br />
changiert zwischen Freu<strong>de</strong> und Trauer – eine rühmenswerte<br />
Sprecherleistung.<br />
Regie: Christoph Pragua<br />
Produktion: WDR 2008<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Der Wegweiser Seite 41
19. <strong>April</strong> 2009 18.20 Uhr, SWR2<br />
Marlene Streeruwitz: Der Abend nach <strong>de</strong>m Begräbnis <strong>de</strong>r<br />
besten Freundin<br />
Eine Frau sechs Stun<strong>de</strong>n nach <strong>de</strong>m Begräbnis <strong>de</strong>r besten<br />
Freundin. Auf <strong>de</strong>m Weg nach Hause <strong>de</strong>nkt sie wie<strong>de</strong>r und<br />
wie<strong>de</strong>r an Lilli. Daran, wie sie es mit <strong>de</strong>n Männern gehalten<br />
hat, mit <strong>de</strong>n Bindungen, mit <strong>de</strong>n kleinen und großen<br />
Lügen, <strong>de</strong>m Abtauchen in immer gleiche Affären und wie<br />
mit <strong>de</strong>r tödlichen Krankheit. „Sie war so damit beschäftigt,<br />
das Sterben ernst zu nehmen, dass sie <strong>de</strong>n Tod übersehen<br />
hat.“ Marlene Streeruwitz beleuchtet all die gedankenlosen,<br />
beleidigend falschen Töne, die verlogenen<br />
Gesten, die leer gewor<strong>de</strong>nen verrutschten Rituale mit<br />
präziser Scharfsichtigkeit.<br />
Regie: Ulrich Lampen<br />
Produktion: SWR 2009<br />
Eine Woche zum Download auf: www.swr2.<strong>de</strong>/hoerspiel<br />
30. <strong>April</strong> 2009 20.04 Uhr, SR2<br />
Frank Conrad: Es ist spät gewor<strong>de</strong>n<br />
Einsamkeit in <strong>de</strong>r Berliner Großstadt. Blind Dates, Junggesellenversteigerungen,<br />
Mondscheinfahrten, kostspielige<br />
Singleclubs – er, En<strong>de</strong> Vierzig, hat wirklich alles versucht.<br />
Doch richtig geklappt hat es nie mit <strong>de</strong>n Frauen. Dann<br />
wie ein Wun<strong>de</strong>r: Oksana, morgens um halb vier im<br />
Waschsalon. Mit ihr soll es Eheglück geben, wie bei<br />
seinen Eltern. Er ahnt nicht, dass auch dort nur noch Stille<br />
und Einsamkeit herrschten.<br />
Zwei verschränkte Monologe in einem spannen<strong>de</strong>n und<br />
melodramatischen Hörspiel über die Abgrün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen<br />
Partnervermittlungsgesellschaft.<br />
Regie: Barbara Plensat<br />
Produktion: DKultur 2005<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Der Wegweiser Seite 42
Die Redaktion<br />
Praktikum in <strong>de</strong>r Redaktion<br />
©<br />
Axumawit Berhe 2008<br />
Mein Name ist Arabell Weigel. Ich bin 26 Jahre alt und<br />
studiere an <strong>de</strong>r Universität in Mainz Medienpädagogik.<br />
Mein Herz habe ich an die Ferne verloren und versuche<br />
daher, so oft es geht, <strong>de</strong>n grauen Zeiten zu entfliehen.<br />
Ich freue mich sehr, die <strong>eXperimenta</strong> während<br />
meines Praktikums zu unterstützen. Diese Arbeit stellt für<br />
mich einen beson<strong>de</strong>ren Reiz dar, weil es sich hierbei<br />
um kein standardisiertes Blättchen han<strong>de</strong>lt, son<strong>de</strong>rn<br />
vielmehr um eine Plattform, die <strong>de</strong>m Freigeist Raum zu<br />
bieten versucht. So hoffe ich, meinen Beitrag zu einem großen Ganzen zu leisten.<br />
Auf eine großartige gemeinsame und erfolgreiche Zeit!<br />
© Kriss Szkurlatowski / Sxc 2009<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Die Redaktion Seite 43
Impressum<br />
<strong>eXperimenta</strong><br />
Zeitschrift für zeitgenössische Lyrik<br />
und Prosa<br />
Herausgegeben von: INKAS – Institut<br />
für Kreatives Schreiben im Netzwerk<br />
für alternative Medien und Kulturarbeit<br />
e.V., Magister-Faust-Gasse 37, D-<br />
55545 Bad Kreuznach und Dr.-<br />
Sieglitz-Straße 49, D-55411 Bingen,<br />
Telefon & Fax +49 (67 21) 92 10 60,<br />
E-Mail: Info@Inkas-Id.De<br />
Herausgeber: Rüdiger Heins<br />
Redaktionsanschrift: Ludwig-Ruppel-<br />
Straße 31, D-60437 Frankfurt am<br />
Main<br />
Redaktion: Ellen Auler (ea), Edgar<br />
Helmut Neumann (ehn), Toni Reitz –<br />
Schriftleitung (tr), Arabell Weigel-<br />
Hafsia (aw)<br />
Korrespon<strong>de</strong>nten: Carla Capellmann<br />
– Television (cc), Anne Mai – Hörspiel<br />
(am), Carmen Weber – Graphik und<br />
Bild (cw).<br />
Herstellung: Roswitha Junker – Abschlußkorrektur,<br />
Toni Reitz – Chef vom<br />
Dienst, Arabell Weigel-Hafsia –<br />
Graik<br />
Auflage: 3.567<br />
Einsendungen: Literarische Beiträge<br />
bitte mit Bild und Kurzvita an<br />
Experimenta@T-Online.De. Für eingesandte<br />
Beiträge kann keine Haftung<br />
übernommen wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Rechte an namentlich gekennzeichneten<br />
Beiträgen liegen beim<br />
jeweiligen Autor. Alle sonstigen Rechte<br />
liegen beim Institut für Kreatives<br />
Schreiben Bad Kreuznach und Bingen<br />
und bei ID Netzwerk für alternative<br />
Medien- und Kulturarbeit e.V.<br />
© ID Netzwerk für alternative Medien-<br />
und Kulturarbeit e.V.<br />
ISSN 1865-5661, URN:<br />
urn:nbn:<strong>de</strong>:0131-experimenta3<br />
Sollte gegen gelten<strong>de</strong>s Urheberrecht<br />
verstoßen wor<strong>de</strong>n sein, bitten wir um<br />
umgehen<strong>de</strong> Benachrichtigung.<br />
Bil<strong>de</strong>r: Nicht namentlich gekennzeichnete<br />
Bil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Autoren und<br />
Redakteure wur<strong>de</strong>n von ihnen selbst<br />
als Privatbil<strong>de</strong>r zur Verfügung gestellt.<br />
Lizenzen: GNU Free Documentation<br />
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creativecommons.org.<br />
In <strong>de</strong>r Rechtschreibung folgen wir<br />
jeweils <strong>de</strong>n Gepflogenheiten <strong>de</strong>s<br />
Autors.<br />
<strong>eXperimenta</strong> 04 / 2009: Die Redaktion Seite 44