Dieter Eckermann Richter am Amtsgericht
Dieter Eckermann Richter am Amtsgericht
Dieter Eckermann Richter am Amtsgericht
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<strong>Dieter</strong> <strong>Eckermann</strong><br />
<strong>Richter</strong> <strong>am</strong> <strong>Amtsgericht</strong><br />
Über<br />
Herrn Präsidenten des<br />
Landgerichts München II<br />
an das<br />
Bayerische Staatsministerium<br />
der Justiz<br />
zu Händen<br />
Frau Staatsministerin Dr. Merk<br />
Beschwerde des Rechtsanwalts Dr. Süssenguth vom 23.11.2006<br />
Geschäftszeichen: 2030 E–III–10573/06<br />
Sehr geehrte Frau Staatsministerin Dr. Merk,<br />
<strong>Amtsgericht</strong> Wolfratshausen<br />
Bahnhofstraße 18<br />
82515 Wolfratshausen<br />
Donnerstag, 11.01.2007<br />
der Präsident des Landgerichts München II hat das Schreiben des Rechtsanwalts Dr.<br />
Süssenguth vom 23.11.2006 als gegen m i c h gerichtete Dienstaufsichtsbeschwerde<br />
bewertet. Wortlaut und erkennbare Intention der Eingabe legen indes wohl eher den Gedanken<br />
nahe, dass der Beschwerdeführer die Ursachen der nicht auf mein Referat beschränkten<br />
Fehlentwicklungen in der Justiz durchschaut und sich in Wahrnehmung seiner<br />
Verantwortung als Parteivertreter und Organ der Rechtspflege deshalb an S i e und<br />
den bayerischen Ministerpräsidenten gewandt hat, um der Wurzel des Übels („…die Gerichte<br />
personell ausbluten.“) möglichst nahe zu kommen.<br />
Veranlassung mich zu rechtfertigen sehe ich folglich nicht. Gleichwohl will ich die Hintergründe<br />
der im Lauf der letzten Jahre entstandenen Situation aus meiner Sicht erläutern<br />
und d<strong>am</strong>it – vielleicht über den Bereich meines <strong>Richter</strong>referats hinaus – zu einer realitätsbezogenen<br />
Einschätzung der Verhältnisse an der Basis auf Ministerialebene und in<br />
der Bayerischen Staatskanzlei beitragen.<br />
Vorweg darf ich klarstellen: Auch mir bereitet es kein Vergnügen, den Beteiligten eines<br />
Zivilrechtsstreits erstmals anlässlich eines Termins unter die Augen zu treten, der über<br />
ein Jahr nach Klageerhebung stattfindet. Allerdings sehe ich in einer prioritätsorientierten<br />
Streckung der Verfahrensdauer, von der insbesondere nicht überdurchschnittlich eilbedürftige<br />
Zivilrechtsstreitigkeiten betroffen sind, die einzige Möglichkeit, dem ständig steigenden<br />
Erledigungsdruck in angemessener Weise zu begegnen.<br />
Auch nach über 33 Jahren Tätigkeit bei der bayerischen Justiz erlaubt mir mein Langzeitgedächtnis<br />
die Erinnerung an meinen <strong>Richter</strong>eid. Dies bedeutet, dass ich auch und<br />
gerade bei der Bearbeitung scheinbar unbedeutender Verfahren um dasjenige Maß an<br />
Sorgfalt bemüht bin, welches die obergerichtliche Rechtsprechung in Haftungsprozessen<br />
den Angehörigen der rechtsberatenden Berufe auferlegt und welches ich selbst der<br />
Beurteilung des Verhaltens anderer Verfahrensbeteiligter – etwa im Geschäftsleben oder<br />
...
im Straßenverkehr – unter dem Gesichtspunkt der Fahrlässigkeit zugrunde zu legen<br />
habe.<br />
Im übrigen versuche ich – hoffentlich überwiegend erfolgreich – im Umgang mit dem sogenannten<br />
rechtssuchenden und rechtsunterworfenen Publikum mir diejenige Zeit zu<br />
nehmen, die erforderlich scheint, um Begriffe wie Anhörung, Transparenz oder Fairness<br />
mit Leben zu erfüllen. Ich bitte um Verständnis, wenn mir hierbei der herablassende Stil,<br />
mit dem höhere Stellen der Justizverwaltung den Angehörigen der von ihnen so bezeichneten<br />
nachgeordneten Gerichte nicht selten begegnen, trotz möglicher Zeitersparnis<br />
kein Vorbild ist.<br />
Das <strong>Amtsgericht</strong> ist nicht der Müllplatz, sondern das Schaufenster des Rechtsstaats.<br />
Aus den genannten Gründen sehe ich es nicht als meine vorrangige Aufgabe an, die<br />
bayerische Justizverwaltung in ihrem Bestreben zu unterstützen, durch Veröffentlichung<br />
qualitätsneutraler Statistiken zu Verfahrensdauer und –erledigungen im bundesweiten<br />
Vergleich zu glänzen.<br />
Folgende Themen möchte ich zur Veranschaulichung der entstandenen Situation konkret<br />
ansprechen:<br />
1. Zur Entwicklung der Referatsbelastung<br />
Zu meinen Geschäftsaufgaben gehören seit vielen Jahren nicht nur Zivilsachen (insbesondere<br />
die ges<strong>am</strong>ten – überdurchschnittlich arbeits- und zeitaufwändigen - Straßenverkehrsunfälle),<br />
sondern auch alle Erwachsene betreffenden ermittlungsrichterlichen<br />
Angelegenheiten und Bußgeldverfahren.<br />
Es darf wohl als bekannt vorausgesetzt werden, dass die meisten ermittlungsrichterlichen<br />
Handlungen keinen Aufschub dulden.<br />
Auch Bußgeldverfahren – weit überwiegend straßenverkehrsrechtlicher Art – können<br />
angesichts der kurzen Verjährungsfrist nicht über längere Zeit unbearbeitet bleiben.<br />
Spielraum bei der Terminierung besteht somit praktisch nur bei Zivilsachen, soweit diese<br />
nicht wiederum eilbedürftig sind (wie etwa einstweilige Verfügungen).<br />
Aus den Ihnen zugänglichen Statistiken dürfte ohne weiteres zu ersehen sein, dass mein<br />
Referat in den letzten Jahren – bei überproportionalem Anstieg der Bußgeldsachen –<br />
deutlich über dasjenige Maß hinaus belastet war, welches sich bei Zugrundelegung des<br />
aktuellen Personalberechnungssystems („PEBB§Y“) und der ministeriell ermittelten<br />
Jahresarbeitszeit gleichs<strong>am</strong> als Richtwert für einen Amtsrichter mittlerer Art und Güte<br />
ergibt.<br />
Die in meinem Referat für 2005 zu verzeichnende Erledigungsquote lag sogar über derjenigen<br />
der Eingänge. Dieses Ergebnis war nur durch eine durchschnittlich weit über 42<br />
Wochenstunden hinausgehende Arbeitszeit meinerseits, aber auch wegen der zuverlässigen<br />
und engagierten Mitarbeit der Angehörigen der Geschäftsstellen möglich. Für 2006<br />
dürfte sich zwar ein geringeres Erledigungspensum ergeben, welches aber immer noch<br />
über dem oben genannten Richtwert liegt (vgl. hierzu auch unten 3.1).<br />
2
Angesichts des gegenüber meiner Terminierungspraxis zu erwartenden Einwands, die<br />
überwiegende Mehrzahl der <strong>Richter</strong> terminiere in geringerem zeitlichen Abstand, gebe<br />
ich zu bedenken, dass im Einzelfall<br />
- das Referat des betreffenden <strong>Richter</strong>s weniger belastet oder günstiger strukturiert<br />
sein kann;<br />
- dem <strong>Richter</strong> seine Gesundheit (vgl. hierzu Artikel 167 I, II der Bayerischen Verfassung)<br />
und/oder sein Privatleben (vgl. hierzu Artikel 6 I, II Grundgesetz) weniger<br />
bedeuten mögen;<br />
- der <strong>Richter</strong> möglicherweise den sich allgemeiner Akzeptanz erfreuenden Satz<br />
„Nur schnelles Rechts ist gutes Recht“ im Sinne des Postulats der Justizverwaltung<br />
interpretiert: „Quick & Dirty“;<br />
- der <strong>Richter</strong> schlichtweg besser sein mag.<br />
Nach dem gegenwärtigen Terminierungsstand in meinem Referat werden Ersttermine in<br />
Bußgeldsachen regelmäßig für Anfang Juli, in Zivilsachen für Anfang November 2007<br />
anberaumt. Die wenigen nicht urlaubsbedingten Lücken müssen besonders<br />
eilbedürftigen oder sonst Vorrang genießenden Verfahren (z. B. Beweisaufnahmen in<br />
Folgeterminen) vorbehalten bleiben.<br />
Bei dieser Gelegenheit darf ich Sie bitten, dafür Sorge zu tragen, dass die Justizverwaltung<br />
die Terminskalender für 2008 nicht erst – wie in den Vorjahren geschehen – im<br />
September, sondern baldmöglichst ausliefert.<br />
2. Zur Entwicklung des Arbeitsaufwands in den einzelnen Rechtsgebieten<br />
Die Situation hat sich in den letzten Jahren nicht nur wegen der Entwicklung der Eingangszahlen,<br />
sondern auch aufgrund des für die Bearbeitung des einzelnen Verfahrens<br />
durchschnittlich zu erbringenden Mehraufwands verschärft.<br />
2.1 Zivilsachen<br />
Die längere Verfahrensdauer führt – was ohne weiteres nachvollziehbar sein dürfte –<br />
gerade in Zivilsachen zu einem vermehrten Wechsel von Schriftsätzen mit dem Erfordernis<br />
einer wiederholten Einarbeitung in einzelne Verfahren in größeren zeitlichen Abständen.<br />
Es ergibt sich also nicht nur für die Parteien und deren Vertreter, sondern auch<br />
für das Gericht gleichs<strong>am</strong> eine überlastungsbedingte Zusatzbelastung, die sich wiederum<br />
allgemein auf die Verfahrensdauer negativ auswirkt.<br />
2.2 Bußgeldsachen<br />
Nach langjähriger Bearbeitung von Verkehrsordnungswidrigkeiten, die schätzungsweise<br />
etwa 95 % der Bußgeldsachen ausmachen, ergibt sich der Eindruck, dass<br />
3
- einerseits das Verhalten vieler Verkehrsteilnehmer zunehmend von Bedenkenlosigkeit<br />
den Rechten anderer gegenüber und einem aggressiven Auftreten gegenüber<br />
der Polizei geprägt wird;<br />
- andererseits im Bereich der Polizei das Bild des Freunds und Helfers dem des Jägers<br />
und des (Anzeigen-)S<strong>am</strong>mlers weicht.<br />
Bei nicht wenigen Betroffenen scheint im übrigen ein als unangemessen empfundenes<br />
polizeiliches Tätigwerden zu einer Ausschöpfung prozessualer Rechte nach allen Regeln<br />
der juristischen Kunst zu führen. Insbesondere bei drohenden Fahrverboten sind verstärkt<br />
Verhaltensweisen zu beobachten, die an aus Strafverfahren bekannte Muster der<br />
sogenannten Konfliktverteidigung erinnern.<br />
Zum Verständnis der forensischen Problematik erlaube ich mir, zwei Urteile aus neuerer<br />
Zeit in anonymisierter Fassung vorzulegen:<br />
Das Urteil vom 26.09.2005 - Az.: 3 OWi 55 Js 608/05 - betrifft die für die Praxis bedeuts<strong>am</strong>e<br />
Frage der Verwertbarkeit tilgungsreifer Voreinträge im Verkehrszentralregister<br />
während der Überliegefrist. Es beleuchtet zugleich die fehlende Bereitschaft bei Legislative,<br />
Exekutive und obergerichtlicher Rechtsprechung, Verfahrensverzögerungen mit<br />
dem Ziel einer sachlich ungerechtfertigten Besserstellung im Verhältnis zu weniger<br />
wehrhaften Betroffenen mit den Mitteln des Rechtsstaats zu begegnen – und d<strong>am</strong>it zu<br />
einer Entlastung der Instanzgerichte beizutragen (vgl. hierzu den auf die Rechtsbeschwerde<br />
des Betroffenen hin erlassenen Beschluss des OLG B<strong>am</strong>berg vom 04.04.2006<br />
- Az.: 3 Ss OWi 22/06).<br />
Das jüngst ergangene, zwischenzeitlich rechtskräftige Urteil vom 13.11.2006 - Az. 3<br />
OWi 52 Js 6404/06 - betrifft die Problematik polizeilicher Geschwindigkeitsmessungen<br />
mittels Lasergerät. Es zeigt auf, wie die Kombination von Sparmaßnahmen (fehlende<br />
bildliche Dokumentation trotz technischer Möglichkeit hierzu) in Verbindung mit dem<br />
Verzicht auf „Sicherheitsreserven“ zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Beweisführung<br />
und d<strong>am</strong>it zu einer vermeidbaren zusätzlichen Belastung der Gerichte führt.<br />
Nach meiner festen Überzeugung kann der Beitrag der Justiz zur Vermeidung einer in<br />
Teilbereichen sich bereits abzeichnenden Vergiftung der Atmosphäre im Verhältnis<br />
Bürger/Staat nur darin bestehen, dass die Gerichte im Einzelfall eine Konfliktlösung mit<br />
Augenmaß anstreben, erforderlichenfalls aber auch einen auf den ersten Blick unverhältnismäßig<br />
scheinenden Aufklärungsaufwand nicht scheuen.<br />
Beiträge wie die Anregung des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren im Schreiben<br />
vom 11.09.2006 an das Bayerische Staatsministerium der Justiz, zur Verringerung<br />
der von Polizeibe<strong>am</strong>ten als Zeugen wahrzunehmenden Gerichtstermine vermehrt von<br />
der gesetzlichen Verlesungsmöglichkeit auch ohne Zustimmung des Betroffenen Gebrauch<br />
zu machen (vgl. das in Anlage beigefügte Schreiben sowie die ebenfalls in Anlage<br />
beigefügten Stellungnahmen meinerseits vom 25.10.2006 und des Präsidenten des<br />
Landgerichts München II vom 31.10.2006), lassen Zweifel aufkommen, ob die eigentliche<br />
Problematik dort erkannt wurde:<br />
Rechtsprechung als Absegnung polizeilicher Aktenvermerke?<br />
4
3. Zur Entwicklung der allgemeinen Arbeitsbedingungen<br />
Bei den Justizverwaltungsstellen innerhalb und außerhalb des hiesigen Gerichts sind<br />
zunehmend Verhaltensweisen zu beobachten, deren Ergebnis sich bei der <strong>Richter</strong>schaft,<br />
aber auch bei Rechtspflegern sowie den weitgehend wehrlosen Angehörigen der Geschäftsstellen<br />
und Wachtmeistern kaum mit dem Zauberwort „Motivation“ beschreiben<br />
lässt. Für den richterlichen Bereich will ich folgende Beispiele erwähnen:<br />
3.1 Häusliche Aktenbearbeitung und Parkraumsituation<br />
Angesichts des Anstiegs der Eingangszahlen war ich zunehmend zur häuslichen Bearbeitung<br />
von Akten übergegangen, um etwa bei der Sitzungsvorbereitung oder bei Urteilsdiktaten<br />
nicht durch den allgemeinen Gerichtsbetrieb gestört zu werden.<br />
Diese Arbeitsweise, die auch zu dem überdurchschnittlichen Erledigungspensum für<br />
2005 beigetragen haben dürfte, war mit dem häufigen Transport zum Teil durchaus umfangreicher<br />
„Aktenpakete“ verbunden.<br />
Im Laufe des Winters 2005/2006 verschärfte sich die Parkraumnot im Bereich des hiesigen<br />
Gerichtsgebäudes derart, dass es insbesondere bei ungünstigen Witterungsverhältnissen<br />
zu Konflikten wegen der Nutzung der gerichtseigenen Tiefgarage k<strong>am</strong>. Nach<br />
mehreren vergeblichen Versuchen, die Leitung des Gerichts zu einer sachgerechten Regelung<br />
zu veranlassen, die auch dem Interesse von aktentragenden Teilen der <strong>Richter</strong>schaft<br />
an einem gerichtsnahen Parkplatz Rechnung tragen sollte, legte ich mein Anliegen<br />
im Schreiben vom 21.03.2006 an den Direktor des <strong>Amtsgericht</strong>s Wolfratshausen<br />
nochmals ausführlich dar.<br />
Der hiernach eingeschaltete Präsident des Landgerichts München II gelangte offenbar<br />
zu der Auffassung, ich hielte mich gleichs<strong>am</strong> für etwas Besseres und wollte eine<br />
„Mehrklassen“-Regelung erreichen (Schreiben vom 27.03.2006 –Gz.: Bl.Nr. 26/06).<br />
Er fertigte mich in einer Art und Weise ab, die vielleicht bei einem Antrag meinerseits auf<br />
Gestellung eines Dienstwagens mit Chauffeur zu Repräsentationszwecken verständlich<br />
gewesen wäre. Tatsächlich war es mir darum gegangen, auch bei Nichtteilnahme an der<br />
morgendlichen Tiefgaragenplatz-Rallye (etwa nach häuslicher Aktenbearbeitung bis in<br />
die späten Abendstunden des Vortags) die Aussicht zu haben, für meinen zu Transportzwecken<br />
genutzten 16 Jahre alten Pkw der unteren Mittelklasse einen gerichtsnahen<br />
Abstellort zu finden und die meist mitgeführten Akten nicht über größere Strecken durch<br />
Wolfratshausen tragen zu müssen.<br />
Ich habe den Vorgang jedenfalls zum Anlass genommen, mich selbst – von Ausnahmen<br />
abgesehen – nicht mehr mit dem Transport und meinen privaten Lebensbereich nicht<br />
mehr mit der häuslichen Bearbeitung von Gerichtsakten zu belasten. Allerdings will ich<br />
nicht ausschließen, dass dieser Entschluss sich – bei etwa gleichem Zeitaufwand –<br />
negativ auf die Effizienz meiner Arbeit im Jahr 2006 ausgewirkt hat.<br />
3.2 Inszenierung eines gerichtlichen Wettstreits um Erledigungszahlen<br />
Im Herbst 2006 wurde mir und offenbar auch allen anderen <strong>Richter</strong>n an den <strong>Amtsgericht</strong>en<br />
und Landgerichten in Bayern über den Präsidenten des Oberlandesgerichts<br />
München eine „vertiefte“ Auswertung von Geschäfts- und Personalstatistiken durch das<br />
5
Bayerische Staatsministerium der Justiz ohne weiteren Kommentar zugeleitet (Schreiben<br />
vom 15.09.2006 – Gz.: 1441 E 572/2006).<br />
Der Begriff „vertieft“ bedeutete offenbar, dass die verantwortlichen Stellen Ihres Hauses<br />
sich zur Förderung einer Wettbewerbsmentalität bei den einzelnen Gerichten veranlasst<br />
sahen, die Statistiken zu Eingangs- und Erledigungszahlen ausgewählter Rechtsgebiete<br />
in einem „Ranking“ gipfeln zu lassen. Platz 1 wurde jeweils für dasjenige Gericht vergeben,<br />
bei dem der Durchschnittswert der Verfahrenserledigungen seitens der mit dem betreffenden<br />
Rechtsgebiet befassten <strong>Richter</strong> <strong>am</strong> höchsten lag.<br />
Bei näherer Betrachtung der Ranglisten müssen bereits die zum Teil eklatanten Abweichungen<br />
der Zahlenwerte im Verhältnis der einzelnen Gerichte zueinander (etwa in Bußgeldsachen)<br />
verwundern.<br />
Bei der Klassifizierung der <strong>Amtsgericht</strong>e hat offenbar die Begeisterung darüber, ausgerechnet<br />
<strong>am</strong> Wohnsitzgericht des bayerischen Ministerpräsidenten Helden der Arbeit<br />
entdeckt zu haben, das Bedürfnis nach einer Plausibilitätsbetrachtung gar nicht erst aufkommen<br />
lassen. Wären die Ergebnisse richtig und aussagekräftig, hätte es nämlich 2005<br />
für die Zivilrichter des <strong>Amtsgericht</strong>s Wolfratshausen gleichs<strong>am</strong> eine 7 ½ -Tage-Woche<br />
gegeben (durchschnittlich 1005 erledigte Verfahren pro fiktiven Voll-Zivilrichter bei einem<br />
geschätzten PEBB§Y-Durchschnittsrichtwert von 663 Verfahren; vgl. hierzu Herrler in<br />
BRV-Nachrichten 2004, Nr. 2, Seite 22 ). Die Kollegen <strong>am</strong> Landgericht München II hingegen<br />
dürften wohl nicht einmal fünf Tage wöchentlich gearbeitet haben (durchschnittlich<br />
184 erledigte Verfahren pro fiktiven Voll-Zivilrichter bei PEBB§Y-Durchschnittsrichtwerten<br />
zwischen 130 und 250 - ohne Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Änderung der<br />
Arbeitszeitregelung).<br />
Bedauerlicherweise wollte bei mir über meine Beteiligung an den Tabellenplätzen des<br />
hiesigen <strong>Amtsgericht</strong>s in der Saison 2005 (Platz 1 in Zivilsachen, Platz 22 in Bußgeldsachen<br />
– jeweils von 72 <strong>Amtsgericht</strong>en) keine rechte Freude aufkommen. Als ich mich<br />
daraufhin mit einigen konkreten Fragen an den Präsidenten des Landgerichts München<br />
II wandte (vgl. mein Schreiben vom 18.10.2006), erhielt ich eine Antwort, in der zwar von<br />
Transparenz die Rede war, die inhaltlich aber an das Spiel „Journalisten fragen, Politiker<br />
antworten“ erinnerte (Schreiben vom 14.11.2006 – Gz.: E 14). Dies gilt insbesondere für<br />
Zweck und Berechnungsgrundlagen der Ranglisten (nicht: der Aufstellung über<br />
Eingänge und Erledigungen), die dem ansonsten doch eher uninteressanten Zahlenwerk<br />
wohl zu dem Prädikat einer „vertieften“ Auswertung verholfen haben.<br />
Immerhin hatte man offenbar erkannt, dass die nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen<br />
als durchaus oberflächlich zu bezeichnende Auswertung von Geschäfts- und Personalstatistiken<br />
den einen oder anderen <strong>Richter</strong> auf die Idee des Erfordernisses einer<br />
Umschichtung nicht unbeträchtlicher <strong>Richter</strong>stückzahlen – beispielsweise vom<br />
Landgericht München II an die <strong>Amtsgericht</strong>e seines Bezirks – hätte bringen können. Um<br />
derart dumme Gedanken gleich im Keim zu ersticken, wurde mir wenigstens mitgeteilt,<br />
wofür die statistische Fleißarbeit nicht dienen sollte: „als Grundlage für personalwirtschaftliche<br />
Maßnahmen“.<br />
Für die Zivilrichter <strong>am</strong> Landgericht München II dürfte dies insofern ärgerlich sein, als sie<br />
ohne Erhöhung der Eingangszahlen wohl keine realistische Chance erhalten, sich durch<br />
Steigerung des Erledigungspensums bei der nächsten Runde in der Bayernliga der<br />
Landgerichte von Rang 22 (unter 22 Landgerichten) nennenswert zu verbessern.<br />
6
Um den mir immer rätselhafter erscheinenden Vorgang wenigstens in mathematischer<br />
Hinsicht aufzuklären, wandte ich mich in einem letzten Versuch an den Direktor des hiesigen<br />
<strong>Amtsgericht</strong>s mit der Bitte, eine beispielhafte Erläuterung des Rechenwegs zu den<br />
in der ersten Spalte der Ranglisten enthaltenen Zahlen anhand derjenigen für Zivilsachen<br />
(hier: 1,65) zu veranlassen. Eine Antwort auf meine Mitte November 2006 handschriftlich<br />
formulierte Bitte (vgl. Anlage) habe ich bis heute ebensowenig erhalten wie die<br />
Mitteilung über eine Korrektur oder Vernichtung der aus den statistischen Zahlenwerken<br />
destillierten Ranglisten.<br />
Vorläufig lässt sich somit zu dem in jeder Hinsicht fragwürdigen Vorgang folgendes sagen:<br />
Jedem Schüler ist klar, dass er für eine Mathematikarbeit nicht die Bestnote erhält, wenn<br />
bei richtigem Ergebnis der Rechenweg nicht nachvollziehbar ist. Erweist sich auch noch<br />
das Ergebnis als offensichtlich unzutreffend, sollte es wegen der für die Arbeit verdienten<br />
Note keiner Befragung Ihres Kollegen aus dem Kultusressort bedürfen.<br />
Das ministerielle „Ranking“ sagt somit mehr über Geisteshaltung und mathematische<br />
Kompetenz seiner Verfasser als über die quantitative (oder gar qualitative) Leistungsfähigkeit<br />
der Gerichte aus.<br />
Nach alledem erlaube ich mir die Anregung, die mit der Erstellung derartiger Ranglisten<br />
in der Justizverwaltung befassten Personen - dieselben, die Bayern auch bundesweit<br />
immer wieder nach vorn bringen? - nach Möglichkeit in der Rechtsprechung einzusetzen<br />
(„Judex non calculat“) - wenn auch vielleicht nicht gerade an den <strong>Amtsgericht</strong>en.<br />
3.3 Bereitschaftsdienst<br />
Mit Schreiben vom 07.12.2006 übermittelte der Präsident des Landgerichts München II<br />
„Überlegungen zur Regelung des Bereitschaftsdienstes der <strong>Amtsgericht</strong>e“.<br />
Einleitend wurde mit der gebotenen Klarheit darauf hingewiesen, dass die Vorgaben des<br />
Bayerischen Staatsministeriums der Justiz (welche?) „hohe Anforderungen an das zeitliche<br />
Engagement und die Leistungsbereitschaft des richterlichen und nichtrichterlichen<br />
Personals“ stellen. Auch sei sorgfältig darauf zu achten, „dass die vorhandenen Personalressourcen<br />
soweit wie möglich geschont werden“.<br />
Von einer personellen Verstärkung der betroffenen Gerichte war mit keinem Wort die<br />
Rede.<br />
Um so bemerkenswerter erscheint es, mit welchen Argumenten der Präsident des Landgerichts<br />
München II die mit dem Bereitschaftsdienst verbundene zusätzliche Last ungeachtet<br />
der gesetzlich geschaffenen Möglichkeit hierzu nicht auch den <strong>Richter</strong>n seines<br />
Gerichts, sondern allein den – nicht weniger seiner Fürsorge als Dienstvorgesetzter anvertrauten<br />
- Amtsrichtern seines Bezirks aufgebürdet haben wollte.<br />
Wie ein derartig einseitiges Plädoyer im Sinne einer Verschonung der ohnehin pensenmäßig<br />
deutlich geringer belasteten <strong>Richter</strong> <strong>am</strong> Landgericht München II bei den <strong>Richter</strong>n<br />
an den <strong>Amtsgericht</strong>en des Bezirks ankommen musste, die sich bei ihrer Arbeit „an der<br />
Front“ täglich nicht nur durchschnittlich etwa einmal, sondern mehrfach mit verschiedenen<br />
Interessenlagen argumentativ auseinanderzusetzen haben (und übrigens über eine<br />
gegenüber sogenannten Führungskräften keineswegs geringerwertige juristische<br />
7
Ausbildung verfügen), hätte der Präsident des Landgerichts München II wohl absehen<br />
können.<br />
Sollte es sich bei der Verbreitung der „Überlegungen“ allerdings um einen weiteren Versuch<br />
gehandelt haben, endlich die Grenzen <strong>am</strong>tsrichterlicher Leidensbereitschaft aufzuspüren,<br />
darf dieser als gelungen bezeichnet werden.<br />
Der Stellungnahme des <strong>Richter</strong>rats des benachbarten <strong>Amtsgericht</strong>s Miesbach (vgl. Anlage)<br />
ist insoweit nichts hinzuzufügen.<br />
Ministerium und Staatskanzlei mögen weiterhin das Idealbild des reibungslos funktionierenden<br />
und grenzenlos belastbaren Amtsrichters pflegen, dem nach dem Motto „Es wird<br />
zu ihrem Schaden nicht sein!“ als Belohnung beförderungsträchtige Zusatzaufgaben<br />
zugewiesen werden können.<br />
Man sollte dort jedoch wissen, dass es auch <strong>Richter</strong> gibt, die ihren Beruf nicht gewählt<br />
haben, um beim Staat „unterzukommen“ oder/und dort Karriere zu machen. Ein Großteil<br />
solcher <strong>Richter</strong> dürfte auf die mit Beförderungen verbundene Mehrbesoldung und klangvollere<br />
Dienstbezeichnungen verzichten, weil er diejenige Verantwortung, welche der<br />
Rechtsprechung in unserem Staatswesen verfassungsrechtlich zugewiesen ist, gern im<br />
unmittelbaren Kontakt mit den Menschen wahrnimmt.<br />
Falls Sie sich für die Stimmungslage bei <strong>Richter</strong>n der zuletzt genannten Art interessieren<br />
sollten, für welche im übrigen die Bewahrung des Wohlwollens der Justizverwaltung<br />
nicht oberstes Gebot ist, dürfte sich der Besuch nicht nur von Festveranstaltungen des<br />
braven Bayerischen <strong>Richter</strong>vereins, sondern auch der Internetseiten der Neuen<br />
<strong>Richter</strong>vereinigung (www.nrv-net.de) und vor allem der Freunde des deutlichen Wortes<br />
im Amtsrichterverband (www.<strong>am</strong>tsrichterverband.com) anbieten. Die Ausbreitung dieses<br />
vor wenigen Jahren im Nachbarland Baden-Württemberg gegründeten „Verbands zur<br />
Förderung der Rechtspflege und der Unabhängigkeit von <strong>Richter</strong>n an den<br />
<strong>Amtsgericht</strong>en“ wird garantiert vor den Grenzen Bayerns nicht halt machen…<br />
4. Fazit<br />
Bei Beobachtung des Tagesgeschehens scheint es nicht nur im Justizbereich, sondern<br />
auch in anderen Bereichen der bayerischen Staatsverwaltung (Schulen, Polizei) Anhaltspunkte<br />
dafür zu geben, dass vermeintliche Sparzwänge und ein hiervon diktiertes<br />
Verständnis des Leistungsprinzips zu verstärkter Frustration an der zunehmend ausgedünnten<br />
und ausgepressten Basis führen.<br />
Da angesichts der auffälligen Parallelität dieser Entwicklungen der hinreichende<br />
Verdacht besteht, dass die letztlich Verantwortlichen für die gegenwärtige Situation nicht<br />
im Justizverwaltungspalast, sondern in der Bayerischen Staatskanzlei sitzen, darf ich Sie<br />
um Weiterleitung meines Schreibens an den bayerischen Ministerpräsidenten bitten. Der<br />
Forderung in der im Grunde dankenswerten Eingabe des Rechtsanwalts Dr. Süssenguth<br />
vom 23.11.2006, die Bereiche Wissenschaft, Bildung, Polizei und Justiz von dem<br />
angeblichen Sparzwang auszunehmen, ist nicht zu widersprechen.<br />
Wer in diesen staatlichen Bereichen Beratern einer Spezies das Feld überlässt, wie sie<br />
derzeit in der Wirtschaft global im Sinne einer Profitmaximierung ihr Unwesen treibt und<br />
8
hierdurch den sozialen Frieden stört, sollte nicht erwarten, bei einer Wertediskussion<br />
noch ernst genommen zu werden.<br />
Er mag sich aber wenigstens – was die Justiz betrifft – der inzwischen Allgemeingut gewordenen<br />
Erkenntnis nicht verschließen, dass eine Rechtsprechung, welche die ihr zugewiesenen<br />
Aufgaben im Geiste der Verfassung wahrnimmt, auch bei rein wirtschaftlicher<br />
Betrachtungsweise die Bedeutung des „Standorts Deutschland“ maßgeblich prägt.<br />
Sicherlich ist hier nicht der Ort für grundlegende staatsphilosophische Betrachtungen<br />
über Wechselbeziehungen zwischen Einigkeit und Recht und Freiheit. Gleichwohl sei<br />
folgendes angemerkt:<br />
Die in Festtagsreden immer wieder angesprochenen leidvollen Erfahrungen mit der Vergangenheit<br />
haben in der Bundesrepublik Deutschland eine Rechtskultur entstehen<br />
lassen, die den Bürgern im Verhältnis zueinander, aber auch dem Staat gegenüber ein<br />
Höchstmaß an Freiheit bietet. Auch in Bayern ist diese Freiheit immer noch Bestandteil<br />
der stets gepriesenen Lebensqualität („Liberalitas Bavariae“).<br />
Wer die unbestreitbar erforderliche Spars<strong>am</strong>keit in den öffentlichen Haushalten zum<br />
Selbstzweck werden lässt und hierbei die Rechtskultur missachtet, gefährdet nicht nur<br />
den Rechtsfrieden und d<strong>am</strong>it die Einigkeit der Bürger im Sinne eines demokratischen<br />
Grundkonsenses, sondern im Hinblick auf die dann absehbaren politischen<br />
Entwicklungen letztlich auch deren Freiheit.<br />
Will Bayern in Sachen Lebensqualität seinen Spitzenplatz behalten, muss es nicht nur<br />
nach außen, sondern auch nach innen ein Freistaat bleiben.<br />
----------<br />
Meines Erachtens unterliegen die in meinem vorliegenden Schreiben angesprochenen<br />
Vorgänge nicht der Geheimhaltung. Sollten Sie (teilweise) anderer Auffassung sein, bitte<br />
ich bis Ende des Monats um entsprechende Mitteilung. Für diesen Fall beantrage ich<br />
hiermit vorsorglich bereits jetzt meine umfassende Entbindung von einer etwaigen<br />
Verschwiegenheitspflicht.<br />
Die in meinem vorliegenden Schreiben erwähnten Schriftstücke dürften sich – soweit<br />
nicht beigefügt - über die beteiligten Stellen der Justizverwaltung ohne weiteres<br />
beschaffen lassen. Andernfalls bin ich gern bereit, diese nachzureichen.<br />
Mit freundlichem Gruß<br />
<strong>Eckermann</strong><br />
9