07.+08.11.12 Somatoforme Störungen - Psychosomatik ...
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<strong>Somatoforme</strong> <strong>Störungen</strong><br />
<strong>Psychosomatik</strong><br />
<strong>Somatoforme</strong> <strong>Störungen</strong><br />
Dr. phil. Holmer Graap<br />
WS 2012/13<br />
Übersicht<br />
� Klassifikation, Nosologie<br />
� Ätiologie und Aufrechterhaltung<br />
� Therapeutisches Vorgehen und Wirksamkeit<br />
2<br />
� Modell gestufter Versorgung<br />
� Intervention im medizinischen Versorgungssystem<br />
� Kognitive Verhaltenstherapie<br />
© 2012 H. Graap<br />
© 2012 Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen
<strong>Somatoforme</strong> <strong>Störungen</strong><br />
Körperliche Beschwerden im 3-Jahresverlauf<br />
3-Jahres-Inzidenz<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
Brustschmerz<br />
Erschöpfung<br />
Schwindel<br />
Kopfschmerz<br />
Ödem<br />
Rückenschmerz<br />
Atemnot<br />
Schlafstörung<br />
Bauchschmerz<br />
Kroenke & Mangelsdorff, American Journal of Medicine, 1988<br />
insgesamt<br />
organisch<br />
Kennzeichen somatoformer <strong>Störungen</strong><br />
© 2012 Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Günstige Bedingungen:<br />
- organ. Ursache<br />
- Dauer < 4 Monate<br />
- wenig Symptome (
<strong>Somatoforme</strong> <strong>Störungen</strong><br />
<strong>Somatoforme</strong> <strong>Störungen</strong> nach ICD-10<br />
5<br />
Multiple Beschwerden<br />
(auch in der Anamnese)<br />
Somatisierungsstörung<br />
Undifferenzierte<br />
Somatisierungsstörung<br />
<strong>Somatoforme</strong> Autonome<br />
Funktionsstörung<br />
ICD-10<br />
© 2012 H. Graap<br />
Körperliche Beschwerden ohne<br />
organische Grunderkrankung<br />
Umschriebene<br />
körperliche Symptomatik<br />
Schmerzstörung<br />
Sonstige <strong>Somatoforme</strong><br />
Störung<br />
� Somatisierungsstörung (F45.0)<br />
� Undifferenzierte Somatisierungsstörung (F45.1)<br />
6<br />
© 2012 H. Graap<br />
© 2012 Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Starke Gesundheitsangst<br />
[Negative Bewertung von<br />
Körperteilen]<br />
Hypochondrie<br />
[Dysmorphophobe<br />
Störung]<br />
� Hypochondrische Störung (F45.2), Dysmorphophobe Störung<br />
� <strong>Somatoforme</strong> autonome Funktionsstörung (F45.3x)<br />
� Anhaltende somatoforme Schmerzstörung (F45.4)<br />
� <strong>Somatoforme</strong> Störung nnb (F45.9)<br />
� [Konversionsstörung (F44)]<br />
� [Neurasthenie (F48.0)]
<strong>Somatoforme</strong> <strong>Störungen</strong><br />
Ältere Bezeichnungen, die auf eine<br />
somatoforme <strong>Störungen</strong> hinweisen…<br />
� Funktionelle Beschwerden<br />
� Psychovegetatives Syndrom<br />
� Psychovegetative Labilität<br />
� Psychosomatischer Beschwerdekomplex<br />
� Globus hystericus<br />
� Somatisierte oder larvierte Depression<br />
� Vegetative Dystonie<br />
� Nervöses Erschöpfungssyndrom<br />
� Chronisches Magen-Darm-Syndrom<br />
Häufig im somatischen Kontext vergeben<br />
7<br />
8<br />
© 2012 H. Graap<br />
Somatisierungsstörung (ICD-10 F45.0)<br />
A Mindestens seit 2 J. Klagen über multiple Beschwerden, die nicht<br />
(ausreichend) auf organische Ursachen rückführbar sind.<br />
B Symptome führen zu andauerndem Leiden sowie mehrfachen<br />
Arzt-Konsultationen oder Zusatzuntersuchungen.<br />
C Medizinische Feststellung, dass Symptome keine ausreichende<br />
körperliche Ursache haben, wird nicht (anhaltend) akzeptiert.<br />
D Mindestens 6 Symptome aus mind. 2 Gruppen.<br />
E Nicht ausschließlich während Schizophrenie,<br />
affektiver Störung oder Panikstörung.<br />
© 2012 H. Graap<br />
© 2012 Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen
<strong>Somatoforme</strong> <strong>Störungen</strong><br />
<strong>Somatoforme</strong> <strong>Störungen</strong><br />
>= 2 Jahre<br />
6 von 14 Symptomen<br />
aus >= 2 Bereichen<br />
Weigerung, die<br />
nichtorganische<br />
Genese zu<br />
akzeptieren.<br />
Beeinträchtigung<br />
familiärer und sozialer<br />
Funktionen<br />
Somatisierungsstörung<br />
9<br />
10<br />
© 2012 H. Graap<br />
© 2012 H. Graap<br />
<strong>Somatoforme</strong> Autonome Funktionsstörung<br />
Gastrointestinale Symptome<br />
Kardiovaskuläre Symptome<br />
Respiratorische Symptome<br />
Urogenitale Symptome<br />
Haut-, Schmerz- und<br />
neurologische Symptome<br />
© 2012 Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
>= 3 vegetative<br />
Symptome<br />
Deutung als<br />
Krankheit und<br />
Zuordnung zu<br />
einem<br />
Organsystem<br />
durch Patient<br />
Ausschluss<br />
organischer<br />
Erkrankungen<br />
Hypochondrische Störung (ICD-10 F45.2)<br />
1. Anhaltende Überzeugung/Angst an wenigstens einer<br />
ernsthaften körperlichen Krankheit zu leiden/zu erkranken<br />
� über mindestens 6 Monate<br />
� Befürchtete Krankheit wird als Ursache für vorhandene Symptome<br />
betrachtet<br />
2. Hartnäckige Weigerung, die medizinische Feststellung zu<br />
akzeptieren, dass keine ausreichende körperliche Ursache<br />
vorliegt (Akzeptanz höchstens kurzfristig).<br />
3. Die Überzeugung bzw. Symptome verursachen Leiden,<br />
Störung des alltäglichen Lebens und veranlasst die<br />
Betroffenen, medizinische Behandlung aufzusuchen.
<strong>Somatoforme</strong> <strong>Störungen</strong><br />
Klinische Differentialdiagnose somatoformer<br />
<strong>Störungen</strong> (nach Henningsen & Rudolf, 1998)<br />
1. Schritt<br />
Abgrenzung von primär<br />
körperlichen <strong>Störungen</strong><br />
2. Schritt<br />
Abgrenzung von anderen<br />
psychischen <strong>Störungen</strong><br />
3. Schritt<br />
Differenzierung der<br />
somatoformen <strong>Störungen</strong><br />
11<br />
© 2012 H. Graap<br />
• Primär körperliche Erkrankung<br />
• Primär körperliche Erkrankung mit<br />
psychosomatischen Faktoren (F54)<br />
• Depressive <strong>Störungen</strong><br />
• Angststörungen<br />
• Psychotische <strong>Störungen</strong><br />
• Artifizielle <strong>Störungen</strong><br />
• Somatisierungsstörung<br />
• Undifferenzierte somatoforme Störung<br />
• <strong>Somatoforme</strong> autonome Funktionsstörung<br />
• Hypochondrie, Körperdysmorphe Störung<br />
• <strong>Somatoforme</strong> Schmerzstörung<br />
• Konversionsstörung<br />
• Neurasthenie<br />
Differenzialdiagnose<br />
Abgrenzung von anderen <strong>Störungen</strong><br />
Depression<br />
Angststörung<br />
Psychose<br />
12<br />
Affektive Symptome,<br />
antriebslos, suizidal<br />
Angstgefühle, Angstattacken,<br />
soziale Ängste,<br />
ängstliche Anspannung,<br />
situationsspezifische Ängste<br />
Wahnideen, Hallunzinationen,<br />
Denkstörungen, extrem<br />
verflachter o. inadäquater<br />
Affekt<br />
© 2012 H. Graap<br />
klagsam,<br />
passive Haltung,<br />
resigniert,<br />
demoralisiert<br />
Körperliche Symptome,<br />
Angst, mit dem Körper<br />
stimme etwas nicht<br />
beunruhigende Körpersensationen,<br />
Todesängste<br />
SFS<br />
SFS<br />
SFS<br />
© 2012 Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen
<strong>Somatoforme</strong> <strong>Störungen</strong><br />
Differentialdiagnose Artifizielle Störung<br />
� F 68.1: artifizielle Störung (absichtliches Vortäuschen oder<br />
Erzeugen von körperl. o. psych. Symptomen oder Behinderungen)<br />
� Synonym: Münchhausen-Syndrom<br />
� Fehlen einer gesicherten körperlichen oder anderen psychischen<br />
Störung<br />
� Verletzungen, Injektionen<br />
� Viele Untersuchungen oder Operationen<br />
� Motivation häufig unklar, häufig schwer traumatisierte Pat.<br />
� Störung der Beziehung zum eigenen Körper, im Umgang mit<br />
Krankenrolle<br />
� DD: Simulation: äußere Gründe oder offensichtliche<br />
Belastungssituationen (Rente, Bundeswehr o.ä.)<br />
Epidemiologie somatoformer <strong>Störungen</strong><br />
� Prävalenz in Allgemeinbevölkerung<br />
14<br />
� Alle somatoformen <strong>Störungen</strong>:<br />
7,5% (Punktprävalenz);<br />
12,9% (Lebenszeitprävalenz)<br />
� Somatisierungsstörung:
<strong>Somatoforme</strong> <strong>Störungen</strong><br />
Epidemiologie II<br />
� Prävalenz in der Spezialversorgung (Reid et al., 2001)<br />
� Dermatologie: 1 von 62 (Reid et al., 2001)<br />
38% (Stangier et al., 1996)<br />
� Neurologie: 20 von 40 (Reid et al., 2001)<br />
35%* (Fink et al., 2004)<br />
� Gastroenterologie: 32 von 59 (Reid et al., 2001)<br />
� *Neurologie:<br />
� 42% der Patienten richtig diagnostiziert<br />
� 1,5% davon an Psychiater oder Psychologen verwiesen<br />
� Komorbid häufig Depression, Angst und PS<br />
� Depression: ca. 50% (Leiknes et al., 2008)<br />
� Angststörung: 20-50%<br />
� Persönlichkeitsstör.: bis zu 60% (SS), v.a. selbstunsicher<br />
Folgen der Somatisierungsstörung<br />
� Kosten für das Gesundheitssystem<br />
16<br />
� Für stationäre Behandlung > 6-fache,<br />
� für ambulante Behandlung > 14-fache Kosten<br />
(Smith et al., 1986)<br />
� Ausgeprägte Tendenz zur Chronifizierung<br />
� Mittlere Erkrankungsdauer z.B. über 20 Jahre (Nanke & Rief,<br />
2000) und 30 Jahre (Smith et al., 1986)<br />
� Chronifizierung der Beschwerden geht einher mit Risiko<br />
iatrogener Schäden und Beeinträchtigungen (LQ, AU)<br />
© 2012 H. Graap<br />
© 2012 Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen
<strong>Somatoforme</strong> <strong>Störungen</strong><br />
Folgen intensiver Krankheitsängste<br />
� Hypochondrie (Vollbild) ist zwar in der Allgemeinbevölkerung<br />
selten, jedoch:<br />
� Intensive, anhaltende Krankheitsängste sind häufig<br />
� In der Allgemeinbevölkerung 2 – 6%<br />
� In medizinischen Versorgungseinrichtungen noch häufiger<br />
� Häufung auch bei chronischem Schmerz<br />
� Bereits unterschwellige Ausprägungen der Hypochondrie/<br />
anhaltende Krankheitsängste sind klinisch relevant<br />
� Erhebliche Beeinträchtigungen<br />
� Erhöhtes Inanspruchnahmeverhalten<br />
� Beeinflusst Prognose<br />
17<br />
© 2012 H. Graap<br />
Ätiologie: Prädisposition und<br />
Aufrechterhaltung<br />
© 2012 Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen
<strong>Somatoforme</strong> <strong>Störungen</strong><br />
Historische Konzepte der Hysterie<br />
� Altertum: Ausdruck eines Gebärmutterleidens<br />
19<br />
� Eine im Körper umher wandernde Gebärmutter (Hippokrates)<br />
� Verbindung zu sexuellen Konflikten, Abstinenz, Kinderlosigkeit<br />
� Mittelalter: Ausdruck von Besessenheit (Hexen/ von bösen<br />
Geistern heim gesucht)<br />
� Neuzeit (17Jh.): Ausdruck einer neurologischen Störung<br />
(Nervenleiden)<br />
� Psychoanalyse (Ende 19Jh.): Ausdruck einer Konversion<br />
� Fall: Anna O. (1894)<br />
� Umsetzung eines Affektbetrages in motorische Innervation bei<br />
gleichzeitiger Verdrängung der konflikthaften Vorstellungsinhalte<br />
� Paul Briquet („Briquet-Syndrom): deskriptive Beschreibung von<br />
Symptomen => Vorläufer somatoforme <strong>Störungen</strong> DSM-IV<br />
� 20 Jh. Charcot: Konversionssyndrom; P. Janet: dissoziat. Stör.<br />
© 2012 H. Graap<br />
Aktuelle Modelle<br />
� Klassisches psychodynamisches Modell<br />
� (unverarbeitete intrapsychische Affektspannungen aufgrund eines<br />
dahinterliegenden unbewussten Konfliktes)<br />
� „Verdienst“: Zugang zu psychotherapeutischen Behandlungsstrategien<br />
� Nachteil: teils unbestätigt, erschwert Arzt-Pat.-Beziehung<br />
(Invalidierung)<br />
� Interpersonelles Modell (Henningsen, 1998)<br />
� Körperbeziehungsstörung aufgrund maladaptiver Erfahrungen in früher<br />
Entwicklung/Bindungsstörung (Vernachlässigung, Krankheit etc) =><br />
Differenzierung körperlich-emotional gestört, fehlende<br />
Selbstberuhigung, fehlendes/inadäquates Hilfesuchverhalten etc.<br />
Diskrepanz subjektive Erklärung – „gesund“ aus Sicht der Mediziner<br />
=> nicht ernst genommen => Verdeutlichungstendenz<br />
� Somatosensorische Verstärkung (siehe unten)<br />
20<br />
© 2012 H. Graap<br />
© 2012 Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen
<strong>Somatoforme</strong> <strong>Störungen</strong><br />
…<br />
� Attributionen<br />
� Sorgenneigung<br />
� Gedächtnisprozesse<br />
� Erwartungseffekte<br />
� Subjektive Krankheitstheorien<br />
� …<br />
� …<br />
21<br />
© 2012 H. Graap<br />
Ätiologie: Risikobedingungen<br />
22<br />
© 2012 H. Graap<br />
© 2012 Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen
<strong>Somatoforme</strong> <strong>Störungen</strong><br />
Aufrechterhaltung 1: Biologische Merkmale<br />
� Beteiligung physiologischer Prozesse bei somatoformen<br />
Beschwerden naheliegend, jedoch Nachweis bisher<br />
unzureichend und Spezifität für bestimmte Störungsbilder<br />
unklar<br />
� Erhöhte psychophysiologische Erregung<br />
Herzrate (Rief et al., 1998)<br />
Atmungsmuster (Han et al., 1998)<br />
Muskelanspannung (Flor et al., 1985;1991)<br />
� Psychoneuroendokrinologische und<br />
-immunologische Auffälligkeiten<br />
� z.B. veränderter Kortisolspiegel (Rief et al. 1998)<br />
23<br />
© 2012 H. Graap<br />
Neurobiologie<br />
� fMRT-Studien: Trauer und sozialer Ausschluss<br />
aktivieren ähnliche/identische Hirnareale, die bei<br />
Schmerz aktiv sind (Insula, ACC, Amygdala etc.)<br />
=> „sozialer Schmerz“ (Eisenberger et al., 2003; Stoeter et al., 2007;<br />
Gündel et al., 2003; O‘Connor et al., 2007)<br />
� Vernachlässigung/sexueller Missbrauch o.ä. =><br />
Veränderung der Emotionsregulation auf<br />
zentralnervöser Ebene => erhöhte Stress- und<br />
Schmerzvulnerabilität (Anda et al., 2006; Sack et al., 2007)<br />
24<br />
© 2012 H. Graap<br />
© 2012 Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen
<strong>Somatoforme</strong> <strong>Störungen</strong><br />
25<br />
„Es gibt keine direkte Beziehung<br />
zwischen körperlicher Pathologie<br />
und der Intensität von Schmerzen“<br />
© 2012 H. Graap<br />
Turk (1993)<br />
Aufrechterhaltung 2: Kognitive Merkmale<br />
� Somatisches/ organmedizinisches Krankheitsmodell<br />
� Katastrophisierende Bewertungen von Körperempfindungen,<br />
v.a. in Krisensituationen => „Normalisieren“ wieder lernen<br />
(Sensky et al. 1996)<br />
� Eingeengtes Verständnis von „Gesundheit“<br />
(„Gesundheit = keine körperlichen Missempfindungen“)<br />
� Selektive Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf Körperprozesse<br />
→ Wahrnehmung zahlreicher, normalerweise unbedeutender<br />
Körperempfindungen<br />
� Globales Selbstkonzept als “schwach”, “nicht belastbar”,<br />
geringe subjektive Stresstoleranz<br />
26<br />
© 2012 H. Graap<br />
© 2012 Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen
<strong>Somatoforme</strong> <strong>Störungen</strong><br />
…aber!<br />
� Pat. mit somatoformen <strong>Störungen</strong> attribuieren nicht<br />
grundsätzlich somatisch, oftmals bio-psycho-sozial<br />
(Groben und Hausteiner, 2011)<br />
� Unzufriedenheit mit dem Gesundheitssystem<br />
deutlich höher => werden psychosoziale Aspekte<br />
vom Arzt überhört ? (Salmon et al., 2004)<br />
� Setting wichtig! (ruhiger Raum, Verständnis,<br />
Akzeptanz=> Pat. berichten psychosoziale<br />
Faktoren) (Risor, 2009)<br />
27<br />
© 2012 H. Graap<br />
Somatosensory<br />
Amplification<br />
28<br />
Aufmerksamkeits-<br />
Fokussierung<br />
Verstärkte<br />
Wahrnehmung<br />
© 2012 H. Graap<br />
Fehlbewertung<br />
von<br />
Empfindungen<br />
Barsky und Kollegen (1990)<br />
© 2012 Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen
<strong>Somatoforme</strong> <strong>Störungen</strong><br />
Aufrechterhaltung 3: „Krankheitsverhalten“<br />
29<br />
© 2012 H. Graap<br />
(Pilowsky 1997)<br />
� Drängen der Patienten auf medizinische<br />
Untersuchungen und „Doctor shopping“<br />
� Suche nach Rückversicherung über Gutartigkeit der<br />
Beschwerden<br />
� Inadäquate Einnahme/ Missbrauch von Medikamenten<br />
� Schonverhalten, Vermeidung körperlicher Belastung<br />
� Checking von Körperteilen<br />
� Individuelle sehr unterschiedlich, je nach „Bedürfnis“, auch<br />
subtile Formen<br />
� Verstärkerlernen begünstigt KV (Schmerzabnahme, Trost)<br />
� Modelllernen (Eltern SS => Fehltage der Kinder)<br />
(Livingston et al., 1995)<br />
Wirkmechanismus: Operante Konditionierung<br />
(nach Fordyce 1976)<br />
� Krankheitsverhalten wird häufiger gezeigt, wenn es<br />
(kontingent) verstärkt wird<br />
� Beeinflusst Chronifizierung<br />
� Beispiele:<br />
� Humpeln, Stöhnen → Mitgefühl/ Trost (positive<br />
Verstärkung)<br />
30<br />
� Schmerzmitteleinnahme/ Einstellung körperlicher Aktivität<br />
→ relative Beschwerdereduktion (negative Verstärkung)<br />
� Mangel positiver Verstärkung für „Gesundheitsverhalten“<br />
© 2012 H. Graap<br />
© 2012 Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen
<strong>Somatoforme</strong> <strong>Störungen</strong><br />
Pathogenese somatoformer <strong>Störungen</strong><br />
Mögliche Auslösebedingungen<br />
� Minimale organische Dysfunktionen (z.B. Darmträgheit,<br />
Erkältung)<br />
� Harmlose Schwellungen/Hautunregelmäßigkeiten<br />
� Autonome oder hormonell bedingte Erregung<br />
� Muskelverspannungen<br />
� Hyperventilation<br />
� Inaktivität (z.B. „Muskelkater“, Herzklopfen)<br />
� Schlechter Schlaf Physiologische Folgen von Speisen und<br />
Getränken<br />
� Nebenwirkungen von Medikamenten<br />
31<br />
© 2012 H. Graap<br />
Psychophysiologisches Erklärungsmodell der<br />
somatoformen <strong>Störungen</strong>.<br />
Rief & Hiller, 1998<br />
Körperliche Veränderungen<br />
Körperreaktionen, Missempfindungen, Symptome<br />
Krankheitsverhalten<br />
• Checking<br />
• Gesundheitssorgen<br />
• Doktor-Hopping<br />
• Medikamenteneinnahme<br />
• Schonverhalten<br />
32<br />
© 2012 H. Graap<br />
Auslöser/Trigger<br />
z.B. physiologische Erregung, Krankheit<br />
Symptomverstärkung<br />
• Erhöhte Aufmerksamkeit<br />
auf eigenen Körper<br />
• Physiologische Erregung<br />
© 2012 Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Wahrnehmung<br />
Fehlinterpretation<br />
als bedrohliche<br />
Krankheitszeichen
<strong>Somatoforme</strong> <strong>Störungen</strong><br />
Behandlung im medizinischen<br />
Versorgungssystem<br />
Intervention „Stepped Care“<br />
(nach Rief & Nanke 2004)<br />
34<br />
Patient mit<br />
Beschwerden<br />
Hausarzt , FA<br />
Primärversorgung<br />
Psychotherapie<br />
Stationäre Therapie<br />
<strong>Psychosomatik</strong><br />
© 2012 H. Graap<br />
© 2012 Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen
<strong>Somatoforme</strong> <strong>Störungen</strong><br />
Medizinische Diagnostik und<br />
Behandlungsplanung<br />
� Sinnvoll begrenzte Phase der organmedizinischen<br />
Ausschlussdiagnostik<br />
� Danach vorsichtiger Umgang mit diagnostischen Maßnahmen<br />
� Gefahr der Fixierung auf organmedizinische Ursachen bei<br />
Patienten<br />
� Keine Wiederholungen und Eingriffe trotz Klagsamkeit des<br />
Patienten<br />
� Transparenz der Behandlungsschritte<br />
� Koordination der Maßnahmen durch einen behandelnden Arzt<br />
(besonders bei Patienten mit multiplen Beschwerden)<br />
35<br />
36<br />
© 2012 H. Graap<br />
Vermittlung von Untersuchungsergebnissen<br />
(Rief, Martin, Rauh et al. 2006 Psychosomatics)<br />
� Frühzeitiges Ansprechen, dass die Ursache für die<br />
Beschwerden keine schwere organische Erkrankung ist.<br />
� Besprechung der vorliegenden Untersuchungsbefunde (auch<br />
bei unauffälligen Befunden!)<br />
� Verzicht auf ‚Bagatelldiagnosen‘, die ein organmedizinisches<br />
Konzept der Patienten verstärken würden.<br />
� Kein organisches Korrelat bedeutet zunächst, dass keine<br />
schnelle kausale Therapie möglich ist, d.h. dass langfristige<br />
Bewältigungsstrategien wichtig sind<br />
� Durch Rückfragen an den Patienten lassen sich<br />
Informationsverzerrungen erkennen.<br />
© 2012 H. Graap<br />
© 2012 Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen
<strong>Somatoforme</strong> <strong>Störungen</strong><br />
Beratungsmodell zur Reattribution körperlicher<br />
Symptome (Goldberg et al. 1989)<br />
37<br />
1. Phase “sich verstanden fühlen”<br />
Verständnis vermitteln, Vertrauen gewinnen<br />
2. Phase “das Thema Verändern”<br />
Untersuchungsbefunde, Anerkennung der Beschwerden,<br />
Hinführung an mögliche Auslösebedingungen<br />
3. Phase “die Verbindung herstellen”<br />
psychophysiologisches Bedingungsmodell<br />
© 2012 H. Graap<br />
Motivation zur Psychotherapie<br />
� Dem Patienten signalisieren, dass „gemeinsame<br />
Weiterbehandlung“ sinnvoll ist (und nicht an „Abschieben“<br />
gedacht ist)<br />
� Information über Ziele und Methoden von Psychotherapie<br />
� Verbindung herstellen zwischen psychosozialen<br />
Einflussfaktoren und körperlichen Beschwerden<br />
� 80% der Pat., denen positive Möglichkeiten eines psycholog.<br />
Konsiliardienstes erläutert wurden nahmen dieses Angebot<br />
auch an (Speckens et al., 1995)<br />
38<br />
� Annahme, die Pat. würden sich verweigern!<br />
© 2012 H. Graap<br />
© 2012 Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen
<strong>Somatoforme</strong> <strong>Störungen</strong><br />
Kognitive Verhaltenstherapie<br />
Therapieziel<br />
40<br />
© 2012 H. Graap<br />
„Coping not Curing“<br />
The symptom-free existence may not<br />
be a realistic therapeutic goal, but to<br />
help the patient to cope better with<br />
complaints and disability.<br />
© 2012 Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen
<strong>Somatoforme</strong> <strong>Störungen</strong><br />
Zieldefinition auf verschiedenen Ebenen<br />
41<br />
Arbeit<br />
- Wieder arbeiten gehen können<br />
- Weniger Krankheitstage haben<br />
- Monotone Sit. am A-Platz<br />
ändern<br />
42<br />
„Ich möchte gesund sein“<br />
© 2012 H. Graap<br />
© 2012 H. Graap<br />
Symptome<br />
- Mit Beschwerden besser<br />
zurecht kommen<br />
- Weniger Arztbesuche<br />
machen müssen<br />
- Sorgen um Körper seltener<br />
haben<br />
- Körper weniger beobachten<br />
müssen<br />
- Weniger Medikamente<br />
Ziele einer psychotherapeutischen<br />
Kurzintervention<br />
© 2012 Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Privatleben<br />
- Zufriedener leben<br />
- Mich mit Freunden<br />
treffen<br />
- Mit Kindern was<br />
unternehmen<br />
- Mit Frau Tanzkurs<br />
machen<br />
� Aufbau von Veränderungserwartung und gemeinsame<br />
Zielvereinbarung<br />
� Veränderung eines zu organisch geprägten Krankheitsmodells<br />
und katastrophisierender Bewertungen<br />
� Psychoedukation<br />
� Demonstration der Einflüsse von Stress, Emotionen,<br />
Aufmerksamkeitsfokussierung<br />
� Adäquates Verständnis von „Gesund sein“<br />
� Entwicklung eigener Bewältigungsstrategien, z.B.:<br />
� Erlernen einer Entspannungstechnik<br />
� Ablenkung<br />
� Stressreduktion<br />
� Problemlösestrategien<br />
� Körperliche Aktivierung
<strong>Somatoforme</strong> <strong>Störungen</strong><br />
Psychoedukation<br />
� Vermittlung von Informationen zum Störungsbild sowie zur<br />
Entstehung und Aufrechtherhaltung (Vortrag, Demonstration,<br />
kurze Übungen, Diskussion)<br />
� Gruppenprogramm: „Coping with Health Anxiety“ (Bouman<br />
2002):<br />
sechs 2-stündige Sitzungen zu den Themen:<br />
43<br />
1. Das Störungsbild der Hypochondrie<br />
2. Die Rolle der Gedanken (v.a. katastrophisierenden Fehlinterpretationen)<br />
3. Aufmerksamkeit und Krankheitsangst<br />
4. Sicherheitsverhalten und Krankheitsangst<br />
5. Stress und körperliche Beschwerden<br />
6. Der „eigene Teufelskreis“ zu den individuellen Bedingungsfaktoren<br />
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Infoblatt: Wirkung von Schonverhalten<br />
44<br />
Häufigere körperliche<br />
Missempfindungen<br />
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Reduktion der<br />
körperlichen Belastbarkeit<br />
Bewertung als krank<br />
© 2012 Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Erhöhung des Schon- und<br />
Vermeidungsverhaltens
<strong>Somatoforme</strong> <strong>Störungen</strong><br />
Verhaltensebene: Umgang mit inadäquatem<br />
Schonverhalten<br />
� Veränderungen seit Beschwerdebeginn erfragen<br />
� Welche Aktivitäten werden aufgrund der Beschwerden nicht mehr/<br />
seltener wahrgenommen?<br />
� Vor- und Nachteile von Schonverhalten aufzeigen<br />
� Verständnis zeigen für die kurzfristig wohltuende Wirkung von<br />
Schonverhalten<br />
� Ungünstige Langzeitfolgen bei chronischen Beschwerden<br />
herausarbeiten<br />
� Motivation des Patienten zu körperlicher Bewegung<br />
45<br />
46<br />
� Gemeinsames Planen eines realistischen gestuften<br />
Aktivierungsplans<br />
� Vorbereiten auf mögliche Symptomintensivierung zu Beginn<br />
© 2012 H. Graap<br />
Ziele einer integrativen Intensivbehandlung<br />
� Integration organmedizinischer und psychotherapeutischer<br />
Ansätze. Notwendige medizinische Diagnostik zu Beginn, im<br />
Verlauf Schwerpunkt auf Psychotherapie<br />
� Symptomspezifische Psychotherapie (s. Kurzintervention)<br />
� Problemspezifische Psychotherapie<br />
� z.B. Klärung familiärer Konflikte, Trauma-Bearbeitung<br />
� Behandlung von komorbiden Krankheiten (z.B. Depression)<br />
� Aufbau adäquater Belastbarkeit<br />
� z.B. allgemeine Aktivitäten, soziale Kontakte, berufliche<br />
Belastungserprobung<br />
� Aufbau eines positiven Körperempfindens<br />
� z.B. bewegungstherapeutische Maßnahmen<br />
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© 2012 Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen
<strong>Somatoforme</strong> <strong>Störungen</strong><br />
Evaluation (Review Henningsen et al. 2007; LANCET)<br />
� Positive Wirkung belegt für<br />
47<br />
� Psychotherapie (v. a. kognitive Verhaltenstherapie); ES 0,3 bis 0,6<br />
� Übungsprogramme (gestufte Aktivität)<br />
� Antidepressiva<br />
� Therapieziel/-evaluation<br />
� Fokussierung auf Alltagsfunktion und Lebensqualität<br />
anstelle von Symptomreduktion<br />
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Evaluation: Symptomreduktion in Abhängigkeit von<br />
der Offenheit für Psychotherapie (Rief et al. 2002)<br />
48<br />
SOMS-7 Symptomanzahl<br />
22<br />
20<br />
18<br />
16<br />
14<br />
Aufnahme 1-Jahres-Katamnese<br />
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GLM:<br />
Time F 1, 159 = 11.8; p
<strong>Somatoforme</strong> <strong>Störungen</strong><br />
Evaluation: Vergleich der prä- und<br />
poststationären Kosten (Hiller et al. 2003)<br />
� Stichprobe: High Utilizer (> 7.500 DM in 2 Jahren; = oberstes<br />
Drittel)<br />
� Intervention: Stationäre psychosomatische Psychotherapie<br />
� Reduktion der ambulanten Behandlungskosten um 37% (von<br />
5.677,-- auf 3.551,--DM)<br />
� Reduktion der stationären Behandlungskosten um 39% (von<br />
17.345,-- auf 10.521,--DM)<br />
� Reduktion der AU-Zeiten um 41 %<br />
� Egalisierung der Index-Behandlungskosten unter<br />
Berücksichtigung der AU-Tage (à 250 DM): 9 Monate<br />
� Anm.: Noch keine Inflationsrate berücksichtigt<br />
49<br />
50<br />
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Herausforderungen in der Behandlung bei<br />
somatoformen <strong>Störungen</strong><br />
� Herstellung einer therapeutischen Beziehung<br />
� Koordination zwischen verschiedenen Behandlern<br />
� Hinführen auf psychosomatisches Krankheitsverständnis<br />
� Übereinstimmende Zielvorstellungen<br />
� Aufbau von Veränderungsmotivation<br />
(Beachte: Gratifikation für Krankheitsverhalten)<br />
© 2012 H. Graap<br />
© 2012 Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen