Psychosomatik Skript WS 2012/2013.pdf
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Universitätsklinikum Erlangen<br />
Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung<br />
Komm. Leiter der Abteilung: Prof. Dr. med. Johannes Kornhuber<br />
Schwabachanlage 6<br />
91054 Erlangen<br />
Telefon: 09131 85-34596 (Sekretariat für Studentenangelegenheiten)<br />
E-Mail: psom-lehre@uk-erlangen.de<br />
Internet: www.psychosomatik.uk-erlangen.de Rubrik „Lehre“<br />
<strong>Skript</strong><br />
zur Hauptvorlesung<br />
<strong>Psychosomatik</strong><br />
mit Anhang zum Praktikum<br />
Wintersemester<br />
<strong>2012</strong>/2013<br />
1
Einführung in die <strong>Psychosomatik</strong><br />
Einführung in die <strong>Psychosomatik</strong><br />
Dr. Beatrix Vill<br />
WiSe <strong>2012</strong>/2013<br />
Ltd. Oberärztin<br />
Fachärztin Psychosomatische Medizin<br />
und Psychotherapie<br />
Psychosomatische Medizin<br />
Niemand bezweifelt, dass medizinische Fachkompetenz<br />
Voraussetzung für eine verantwortungsvolle und qualifizierte<br />
ärztliche Tätigkeit ist………. Aber die Einsicht, dass über<br />
fachmedizinische Kompetenz hinaus auch psychosoziale<br />
Kompetenz erforderlich ist, die ebenfalls im Verlauf einer<br />
Ausbildung erworben werden muss, um mit kranken Menschen<br />
verantwortungsvoll und qualifiziert umgehen zu können, hat<br />
sich noch keineswegs allgemein durchgesetzt.<br />
Thure von Uexküll (<strong>Psychosomatik</strong>er, † 2004)<br />
Somato…<br />
…psyche<br />
Universitätsklinikum Erlangen<br />
Psycho…<br />
…somatik<br />
Psychosomatische Medizin<br />
Unsere westliche Medizin definiert den Körper als Maschine<br />
und versteht ihre Aufgabe als Reparaturbetrieb<br />
(“High-tech”-Medizin).<br />
Ihr Gesundheitsbegriff lässt es nicht zu, dass psychosoziale<br />
Faktoren für die Gesundheit und Krankheit eines Menschen<br />
gleiches Gewicht haben können wie physikalische, chemische<br />
oder mikrobiologische Faktoren.<br />
Thure von Uexküll (<strong>Psychosomatik</strong>er, † 2004)<br />
Handwerkszeug des <strong>Psychosomatik</strong>ers…<br />
…muss erlernt werden<br />
ist etwas anderes als ein Gespräch unter Freunden<br />
…Abstinenz<br />
…Selbsterfahrung<br />
2
Einführung in die <strong>Psychosomatik</strong><br />
Ausbildung<br />
“Psychosomatische Medizin und<br />
Psychotherapie”<br />
ist seit der Ärztlichen Approbationsordnung 1970<br />
ein scheinpflichtiges Unterrichtsfach im<br />
Medizinstudium.<br />
Pflichtunterricht (curriculare Lehre)<br />
� Klausur am 14.02.12, 15.45–16.30 Uhr im Gr.<br />
Hörsaal des Hörsaalgebäudes Ulmenweg<br />
� Bekanntgabe der <strong>Psychosomatik</strong>-Ergebnisse in<br />
Medikurs<br />
� Nachklausur vorauss. am 11.04.13 von 15.15-16.00<br />
Uhr im Kl. Hörsaal des KK<br />
� <strong>Skript</strong>um<br />
� www.psychosomatik.uk-erlangen.de<br />
� <strong>Skript</strong>um (Vergabe bei den Vorlesungen)<br />
BASICS <strong>Psychosomatik</strong> und<br />
Psychotherapie<br />
19,95 € inkl. MwSt<br />
Jette Hänel, Annalisa Enders, Svenja Davi<br />
Urban & Fischer in Elsevier<br />
Jahr: 2008<br />
X, 118 Seiten<br />
ISBN/EAN:978-3-437-42356-7<br />
Universitätsklinikum Erlangen<br />
Pflichtunterricht (curriculare Lehre)<br />
neue ÄAppO<br />
� Hauptvorlesung (2 S<strong>WS</strong>)<br />
� Mi, Do 9.15-10.00 Uhr<br />
� Großer Hörsaal des Kopfklinikums<br />
� Verschiedene Dozenten/innen, Patienten/innen<br />
� EVALUNA<br />
� Praktikum (2 S<strong>WS</strong>)<br />
� Gruppen zu 6 Studierenden, Di 14-17 Uhr, Do 15-18 Uhr<br />
� Fragen an psom-lehre@uk-erlangen.de<br />
� 5 Termine<br />
� Die ersten beiden Termine finden für alle Gruppen gemeinsam im<br />
kleinen Hörsaal statt (Kommunikation).<br />
Literatur<br />
Kompaktlehrbücher:<br />
� Fritzsche, Wirsching. Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Springer<br />
Verlag, 2006<br />
� Hoffmann, Hochapfel. Neurotische Störungen und Psychosomatische Medizin.<br />
Schattauer, 8. Auflage,. 2009<br />
� Ehrmann, Frick, Kinzel, Seidl. Einführung in die <strong>Psychosomatik</strong> und<br />
Psychotherapie. Kohlhammer, 2.Auflage, 2009<br />
-------------------------------------------------------------------------------------------<br />
� Stephan Ahrens, Wolfgang Schneider (Hrsg.) Lehrbuch der Psychotherapie<br />
und Psychosomatischen Medizin. 2. Auflage, Schattauer, 2002<br />
� Herpertz, Caspar & Mundt (Hrsg.). Störungsorientierte Psychotherapie.<br />
Elsevier, 2008<br />
� Thure von Uexküll u.a. (Hrsg.) Psychosomatische Medizin, 7. Auflage, Urban<br />
& Fischer, 2010<br />
Für Studierende der Psychologie (aber natürlich nicht nur):<br />
� Ulrike Ehlert (Hrsg.) Verhaltensmedizin, Springer Verlag, 2003<br />
Praxis der Psychosomatischen<br />
Grundversorgung<br />
Die Beziehung zwischen Arzt und<br />
Patient<br />
29,90 € inkl. MwSt<br />
Iris Veit<br />
Kohlhammer<br />
Jahr: 2010<br />
280 Seiten<br />
978-3-17-020832-2<br />
3
Einführung in die <strong>Psychosomatik</strong><br />
Universitätsklinikum Erlangen<br />
Kompendium Psychiatrie,<br />
Psychotherapie,<br />
Psychosomatische Medizin<br />
39,95 € inkl. MwSt<br />
Harald J Freyberger, Wolfgang<br />
Schneider, Rolf-Dieter Stieglitz<br />
Verlag Hans Huber<br />
Jahr:2011 (12. Auflage)<br />
920 Seiten<br />
ISBN/EAN: 978-3-456-84977-5<br />
Neurotische Störungen und<br />
Psychosomatische Medizin<br />
Mit einer Einführung in<br />
Psychodiagnostik und Psychotherapie<br />
29,95 € inkl. MwSt<br />
Sven Olaf Hoffmann, Frank R<br />
Hochapfel, Annegret Eckhardt-Henn,<br />
Gereon Heuft<br />
Schattauer<br />
2009 (8. Auflage)<br />
ISBN/EAN: 978-3-7945-2619-2<br />
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Format:<br />
PDF (Adobe DRM)<br />
978-3-7945-6376-0<br />
Praxis schnuppern…<br />
� Famulatur (mind. 4 Wochen)<br />
beatrix.vill@uk-erlangen.de<br />
� Wahlfach im PJ<br />
beatrix.vill@uk-erlangen.de<br />
Uexküll, Psychosomatische<br />
Medizin<br />
Theoretische Modelle und<br />
klinische Praxis - mit Zugang zum<br />
Elsevier-Portal<br />
Preis: 176,00 € inkl. MwSt<br />
Verlag:Urban & Fischer in Elsevier<br />
Jahr: 2010 (7. Auflage)<br />
Seiten: XXIV, 1352 Seiten<br />
ISBN/EAN:978-3-437-21831-6<br />
Einführung in die<br />
<strong>Psychosomatik</strong> und<br />
Psychotherapie<br />
Ein Arbeitsbuch für Unterricht und<br />
Eigenstudium<br />
12,90 € inkl. MwSt<br />
Michael Ermann, Eckhard<br />
Frick, Christian Kinzel, Otmar<br />
Seidl<br />
Verlag: Kohlhammer<br />
Jahr: 2009 (2. Auflage)<br />
Seiten: 112 Seiten<br />
ISBN/EAN:978-3-17-020675-5<br />
Wissenschaftliche Mitarbeit<br />
� Wissenschaftliche Hilfskraftstellen, Tutoren<br />
� Doktorarbeiten, Diplomarbeiten, Masterarbeiten<br />
� Ankündigungen unter:<br />
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4
Einführung in die <strong>Psychosomatik</strong><br />
Weiterbildung<br />
� Gebietsbezeichnung<br />
� 95. Ärztetag 1992: Facharzt für<br />
“Psychotherapeutische Medizin”<br />
� Ärztetag 2003: Facharzt für<br />
“Psychosomatische Medizin und Psychotherapie”<br />
� 1 Jahr Innere<br />
� 1 Jahr Psychiatrie<br />
� 3 Jahre <strong>Psychosomatik</strong><br />
Psychosomatische Grundversorgung<br />
(80 Stunden)<br />
Kenntnisse Theorie, Krankheitslehre 20 Stunden<br />
Erfahrungen Reflexion der Arzt-Patient-<br />
Beziehung, Balint-Gruppe<br />
Fertigkeiten Verbale Intervention,<br />
Training<br />
Geschichte der <strong>Psychosomatik</strong><br />
Universitätsklinikum Erlangen<br />
15 Doppelstunden<br />
15 Doppelstunden<br />
� Tradition bis in die Antike<br />
� Somatopsychische Konzepte<br />
� Säfte-/Temperamentenlehre von Hippokrates<br />
� “Hysterie”<br />
� Somatogenese psychischer Erkrankungen<br />
� Groddeck, 1917: “Psychische Bedingtheit und<br />
psychoanalytische Behandlung organischer Leiden”.<br />
� Psychogenese organischer Erkrankungen<br />
Fortbildung<br />
1. Fortbildung: Psychosomatische Grundversorgung:<br />
berechtigt zur Abrechnung spezieller Ziffern der BMÄ, E-GO;<br />
Pflichtkurs für die neuen Fachärzte für Innere Medizin,<br />
Allgemeinmedizin und Frauenheilkunde.<br />
2. Bereichs(zusatz)bezeichnung:<br />
Psychotherapie oder Psychoanalyse:<br />
mit gewissen Gebietsbezeichnungen kombinierbar.<br />
Psychosomatische Grundversorgung<br />
� In der Hausarztpraxis leiden durchschnittlich 35% aller<br />
Patienten an einer behandlungsbedürftigen psychischen oder<br />
psychosomatischen Symptomatik.<br />
� Zintl-Wiegand et al., 1980; Dilling et al., 1978; Linden et al.,<br />
1996; Kruse et al., 1999<br />
� Die Identifikationsrate beträgt beim Hausarzt nur ca. 30-50%.<br />
� nach Kruse und Tress, 2001<br />
� “Gatekeeperfunktion” des Hausarztes<br />
Historische Entwicklung in Deutschland<br />
� Anwendung von psychoanalytischer Therapie auf<br />
Körperkrankheiten (Psychogenese von Erkrankungen).<br />
� Die Psychoanalyse findet in der Inneren Medizin mehr<br />
Aufnahmebereitschaft als in der Psychiatrie<br />
(von Weizsäcker).<br />
� Felix Deutsch, 1922: “Über das Anwendungsgebiet der<br />
Psychotherapie in der inneren Medizin”.<br />
� Edoardo Weiss, 1922: Psychoanalyse eines Falles von<br />
nervösem Asthma. Int Z Psychoanalyse, 8: 440-455.<br />
5
Einführung in die <strong>Psychosomatik</strong><br />
Die Heiligen Chicago Sieben<br />
Franz Alexander: Psychosomatic Medicine. New York: Norton, 1950<br />
� “Spezifischer” unbewusster Konflikt bei sieben<br />
Körperkrankheiten (“Spezifitätshypothese”):<br />
z.B.<br />
� Ulcus duodeni: unbewusster Wunsch nach Nährendversorgt-Werden<br />
führt zur “Scheinfütterungs”-Physiologie<br />
des Magens.<br />
� Hypertonie: unbewusste Erwartung, sich gegen einen<br />
Angriff körperlich wehren zu müssen, “Bereitstellungs-<br />
Krankheit” (Thure von Uexküll, † 2004).<br />
OBSOLET<br />
<strong>Psychosomatik</strong> heute<br />
� Psychobiologisches Modell<br />
� Bedeutung des Neuro-Imaging<br />
Psychische und soziale Faktoren können …<br />
� zum Entstehen einer<br />
Krankheit beitragen,<br />
� den Zeitpunkt des Auftretens<br />
mitbestimmen,<br />
� den Moment, in dem der Arzt<br />
aufgesucht wird bestimmen.<br />
Universitätsklinikum Erlangen<br />
� die Reaktion des Menschen<br />
auf körperliche<br />
Veränderungen beeinflussen<br />
(„coping“),<br />
� das Verhalten während des<br />
Krankseins färben (z.B.<br />
compliance/adherence),<br />
� das Ausmaß und die<br />
Geschwindigkeit der<br />
Genesung modifizieren.<br />
<strong>Psychosomatik</strong> heute<br />
� Bio-psycho-soziales Modell<br />
� Psychosomatische Medizin beschäftigt sich mit den<br />
Wechselwirkungen zwischen körperlichen,<br />
seelischen und sozialen Prozessen in der<br />
Entstehung, im Verlauf und in der Bewältigung von<br />
Krankheiten und Leidenszuständen.<br />
Psychische und soziale Faktoren können ...<br />
VORHER<br />
� zum Entstehen einer<br />
Krankheit beitragen,<br />
� den Zeitpunkt des<br />
Auftretens mitbestimmen,<br />
� den Moment, in dem der<br />
Arzt aufgesucht wird<br />
bestimmen.<br />
NACHHER<br />
� die Reaktion des Menschen auf<br />
körperliche Veränderungen<br />
beeinflussen („coping“)<br />
� das Verhalten während des<br />
Krankseins färben (z.B.<br />
Compliance),<br />
� das Ausmaß und die<br />
Geschwindigkeit der Genesung<br />
modifizieren.<br />
Entstehung<br />
Bsp. Stress hemmt das Immunsystem<br />
� Psychoneuroimmunologie<br />
� Stressforschung<br />
� Stress: kein objektiv feststehender Wert, sondern abhängig von<br />
der subjektiven Bedeutung.<br />
� Virenprovokationsstudie (Cohen et al., 1993)<br />
� 394 gesunde Probanden infiziert.<br />
� Höhere Wahrscheinlichkeit eine Erkältungskrankheit zu<br />
entwickeln, wenn im Vorjahr chronische oder kritische<br />
Lebensereignisse („life events“) erlebt wurden.<br />
� Von Außen kommende Belastungen, die starke emotionelle<br />
Bedeutung haben, wirken über das ZNS und die NNR auf das<br />
Immunsystem ein.<br />
6
Einführung in die <strong>Psychosomatik</strong><br />
Prävalenz depressiver Störungen<br />
(Katon, 2003)<br />
� Allgemeinbevölkerung 3-5%<br />
� Primary Care 5-10%<br />
� Stationäre internistische Patienten 10-14%<br />
� Diabetes mellitus 11-14%<br />
(Andersen, 2001, Diabetes Care)<br />
� KHK, MI 15-23%<br />
� HIV 4-23%<br />
Psychosoziale Belastungen durch eine<br />
Krebserkrankung (Faller, 1998)<br />
� Todesdrohung<br />
� Verletzung der körperlichen Integrität (Amputation,<br />
Kolostomie)<br />
� Bedrohung der Selbständigkeit bis hin zur Hilflosigkeit<br />
(Autonomieverlust)<br />
� Verlust von Aktivitäten<br />
� Bedrohung des körperlichen Wohlbefindens bis hin zu<br />
chronischen Schmerzen<br />
� Bedrohung der sozialen Identität und des<br />
Selbstwertgefühls<br />
� Soziale Isolierung, Stigmatisierungsangst<br />
Zusammenhang zwischen depressiver Symptomatik<br />
und Überlebenswahrscheinlichkeit (10 Jahre)<br />
N=205 Pat. Brust-, Lungen-, Kolon-, Gehirn-, Prostata-,<br />
Uterus- , Ovarialtumore (Brown et at. 2003)<br />
Überlebenswahrscheinlichkeit<br />
1<br />
0,9<br />
0,8<br />
0,7<br />
0,6<br />
0,5<br />
0,4<br />
0 20 60 120 140<br />
Monate nach Diagnosestellung<br />
Universitätsklinikum Erlangen<br />
niedrige<br />
Depressionswerte<br />
hohe<br />
Depressionswerte<br />
Depression und internistische Erkrankungen<br />
� Eine depressive Störung in der Anamnese erhöht das relative<br />
Risiko an einer KHK zu erkranken auf 1.64<br />
(Meta-Analyse, Wulsin & Singal, 2003).<br />
� Depression ist ein eigenständiger Risikofaktor sowohl für<br />
die Entwicklung eines Herzinfarkts als auch für die erhöhte<br />
Mortalität nach Herzinfarkt<br />
� Eine depressive Störung in der Anamnese verdoppelt das<br />
Risiko an Typ 2 Diabetes mellitus zu erkranken<br />
(Eaton et al., 1996; Kawakami et al., 1999 – Diabetes Care).<br />
Einfluss depressiver Störungen<br />
(Katon, 2003)<br />
� Ungesunde Lebensführung<br />
� Rauchen<br />
� Alkohol<br />
� Bewegungsarmut<br />
� Symptomkontrolle verschlechtert<br />
� Compliance, Adhärenz<br />
� Inanspruchnahmeverhalten, Liegedauer erhöht<br />
� Symptompräsentation verstärkt<br />
� Arzt-Patient-Beziehung erschwert<br />
Die Struktur einer <strong>Psychosomatik</strong><br />
� Konsiliar – Liaisondienst<br />
� Psychoonkologie<br />
� Interdisziplinäre Schmerztherapie<br />
� Psychosomatische Frauenheilkunde<br />
� Psychokardiologie<br />
� Psychodermatologie<br />
� Psychoophthalmologie<br />
� ……….<br />
� Stationäre – teilstationäre – ambulante Psychotherapie<br />
� Hohe Kompetenz der <strong>Psychosomatik</strong><br />
7
Einführung in die <strong>Psychosomatik</strong><br />
<strong>Psychosomatik</strong> - stationär<br />
� Psychotherapie als Therapie erster Wahl<br />
� Essstörungen<br />
� Somatoforme Störungen<br />
� Persönlichkeitsstörungen<br />
� Zwangsstörungen<br />
� Angststörungen<br />
� Posttraumatische Belastungsstörung<br />
� Impulskontrollstörungen<br />
� Störungsspezifische und störungsübergreifende<br />
(‚transdiagnostische‘) Therapien, Interventionen<br />
Wissenschaftlich anerkannte Psychotherapie<br />
in Deutschland<br />
� Psychotherapeutische Verfahren müssen den Nachweis über<br />
ihre empirisch bestätigte Wirksamkeit erbringen<br />
� In mindestens 5 von 12 ICD-10 Störungsbildern mind. 2<br />
kontrollierte Studien.<br />
� Standards der “evidence based medicine” (EBM) auch in der<br />
Psychotherapie.<br />
� Tiefenpsychologisch fundierte Verfahren<br />
� Psychoanalyse<br />
� Verhaltenstherapie<br />
� Gesprächspsychotherapie (aber: noch nicht von Kassen<br />
finanziert)<br />
Für alle anderen Psychotherapieverfahren fehlen bisher<br />
notwendige Wirksamkeitsnachweise!<br />
Wirksamkeit von Psychotherapie<br />
� Psychotherapie ist hoch wirksam und empirisch gut überprüft.<br />
� Nur wissenschaftlich anerkannte psychotherapeutische<br />
Verfahren werden von den Krankenkassen finanziert<br />
� Um als wissenschaftlich anerkannt zu gelten, müssen<br />
Wirksamkeitsnachweise erbracht werden.<br />
� Zentral Institution zur Festlegung der Wirksamkeit ist der<br />
„Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie“.<br />
� In Vergleichsstudien finden sich meist keine Unterschiede<br />
zwischen verschiedenen Therapieverfahren,<br />
Leichsenring, Z Psychosom Med Psychother, 2002 (48):139-162<br />
Forum der Psychoanalyse, Band 20, Heft 1, 2004<br />
Universitätsklinikum Erlangen<br />
Psychotherapie<br />
Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)<br />
� Psychotherapie dient dazu eine Krankheit zu erkennen, zu<br />
heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder<br />
Krankheitsbeschwerden zu lindern.<br />
� Was ist nicht Psychotherapie?<br />
� Beratung bei Gesunden: Berufsberatung, Erziehungsberatung,<br />
Sexualberatung, körperbezogene Therapieverfahren, darstellende<br />
Gestaltungstherapie sowie heilpädagogische oder ähnliche Maßnahmen.<br />
� Beratung bei Kranken: vorbeugende und diätetische Maßnahmen wie auch<br />
die Erläuterungen und Empfehlungen von übenden, therapiefördernden<br />
Begleitmaßnahmen, Beratung von Angehörigen.<br />
Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Durchführung der Psychotherapie<br />
(Psychotherapie-Richtlinie) 18.4.2009<br />
Psychotherapie<br />
Was ist das?<br />
� Ein bewusster und geplanter interaktionaler Prozess,<br />
� zur Beeinflussung von Verhaltensstörungen und Leidenszuständen,<br />
die behandlungsbedürftig sind,<br />
� mit psychosozialen Mitteln (Kommunikation, verbal/averbal),<br />
� in Richtung auf ein definiertes, gemeinsam erarbeitetes Ziel<br />
(Symptomminimierung, Änderung der Persönlichkeitsstruktur), mit a<br />
priori formulierten und a posteriori evaluierten Therapiezielen,<br />
� mittels lehrbarer Techniken,<br />
� auf der Basis einer Theorie von normalem/pathologischem Verhalten.<br />
� In der Regel ist dazu eine tragfähige emotionale Bindung notwendig.<br />
Strotzka, 1975<br />
Settings in der Psychotherapie<br />
Einzeltherapie<br />
Gruppentherapie<br />
Paartherapie<br />
Familientherapie<br />
Stationäre, teilstationäre und ambulante Therapie<br />
Stationäre Psychotherapie<br />
Multimodales Vorgehen, d.h. Kombination von Einzel-,<br />
Gruppen-, meist mit Bewegungstherapie, Kunsttherapie, etc.<br />
8
Einführung in die <strong>Psychosomatik</strong><br />
‚Unspezifische‘ Wirkfaktoren der<br />
Psychotherapie<br />
� Intensive emotionale Beziehung<br />
� Vermittlung von Support (Verständnis, Ermutigung, Stützung)<br />
� Suggestion<br />
� Mobilisieren von Zuversicht<br />
� „Auftauen“ verfestigter Erlebnis- und Verhaltensmuster<br />
� Vermittlung von Erfolgserlebnissen<br />
Psychotherapie<br />
Welcher Umfang in der GKV<br />
� Die Durchführung der Psychotherapie im Rahmen der GKV<br />
(und zumeist auch der PKV) ist eine antragspflichtige Leistung.<br />
Kurzzeit Langzeit Maximum<br />
Verhaltenstherapie<br />
Tiefenpsychologisch<br />
25h 45h 80h<br />
Fundierte PT 25h 50h 100h<br />
Psychoanalyse --- 160h 300h<br />
Psychotherapeuten in der vertragsärztlichen<br />
Versorgung 2001<br />
analytisch tiefenpsychologisch + analytisch<br />
tiefenpsychologisch Verhaltenstherapie<br />
14000<br />
12000<br />
10000<br />
8000<br />
6000<br />
4000<br />
2000<br />
0<br />
Psychologische PT Ärztliche PT* Kinder/Jugendlichen<br />
PT<br />
Koch, Schulz: Psychotherapeutische Versorgung in Deutschland, 2003<br />
Deutsches Ärzteblatt, 17. Oktober 2003<br />
* Weitere 5 891 niedergelassene Ärzte arbeiten nur zum Teil psychotherapeutisch<br />
Universitätsklinikum Erlangen<br />
Mögliche negative Effekte einer Psychotherapie<br />
� Exazerbation vorhandener Symptome<br />
� Auftreten neuer Symptome (maligne Regression, Suizidalität,<br />
psychotische Dekompensation)<br />
� Abhängigkeit vom Therapeuten<br />
� Psychotherapie als Surrogat für tätiges Handeln im Alltag<br />
(Suchen nach unbewussten Motiven blockiert konstruktives<br />
Handeln)<br />
� Setzen unrealistischer Lebensziele<br />
� Egozentrismus<br />
Niedergelassene Psychotherapeuten mit<br />
Kassenzulassung<br />
12728<br />
74%<br />
Quelle: KBV, Stand 31.12.2006<br />
4484<br />
26%<br />
Ärzte<br />
Psychologen<br />
1999: Einführung des neuen Heilberufs<br />
„Psychologischer Psychotherapeut“<br />
mit eigener Approbation (PThG).<br />
9
Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />
<strong>Psychosomatik</strong><br />
Beispiele für verhaltenstherapeutische<br />
Therapieverfahren<br />
Dr. Barbara Gruß<br />
Allgemeine Psychotherapie-Wirkfaktoren<br />
nach Grawe (1995)<br />
Ressourcenaktivierung<br />
� Anknüpfen an die Ressourcen,<br />
Eigenarten und Fähigkeiten des<br />
Patienten<br />
Problemaktualisierung<br />
� „Prinzip der realen Erfahrung“<br />
= Veränderung durch „reales<br />
Erleben von Bedeutungsveränderungen<br />
im Therapieprozess“<br />
Aktive Hilfe zur<br />
Problembewältigung<br />
� Einsatz geeigneter Maßnahmen<br />
(störungsspezifisch)<br />
Motivationale Klärung<br />
� Klärung der Bedeutungen des<br />
Patientenerlebens und -verhaltens<br />
im Hinblick auf bewusste und unbewusste<br />
Ziele und Werte<br />
„Therapeuten unterschiedlicher Zugehörigkeit unterscheiden sich sehr wohl<br />
voneinander, wobei sie aber in höherem Maße Vergleichbares machen, als sie<br />
möglicherweise selbst wahrhaben wollen und als ihre Lehrbücher vermuten<br />
lassen“ (Czogalik 1990, S. 11).<br />
Allgemeine Merkmale<br />
Verhaltenstherapie …<br />
� … orientiert sich an der empirischen Psychologie.<br />
� „Nahverhältnis zur Forschung“ (Reinecker, 2009, S. 84)<br />
� Dadurch bedingte mehrfache Erweiterung des<br />
verhaltenstherapeutischen Paradigmas (ursprünglicher<br />
Ursprung in den Lerntheorien)!<br />
� … setzt an den prädisponierenden, auslösenden und<br />
aufrechterhaltenden Problembedingungen an.<br />
� … ist eine psychotherapeutische Grundorientierung, die ein<br />
Spektrum an therapeutischen Techniken nutzt.<br />
� Basis: störungsspezifische Behandlungskonzepte<br />
� Durch individuelle Verhaltensanalyse werden die<br />
Behandlungspläne aber stets individuell angepasst.<br />
Übersicht<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
� Überblick – Verhaltenstherapie<br />
� Lerntheorien und daraus abgeleitete<br />
Therapietechniken<br />
� Der kognitive Ansatz<br />
� Weitere Ansätze – Beispiel Achtsamkeit<br />
� Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />
Überblick – Verhaltenstherapie<br />
Allgemeine Merkmale<br />
Verhaltenstherapie …<br />
� … ist problem-, ziel- und handlungsorientiert.<br />
� Aktivierung zur eigenverantwortlichen Mitarbeit beim<br />
Veränderungsprozess<br />
� … ist nicht auf das therapeutische Setting begrenzt.<br />
� Die Zeit zwischen den Sitzungen ist relevant (zum üben,<br />
ausprobieren, …).<br />
� … ist transparent.<br />
� Durch eine vom Therapeuten angeleitete Problemanalyse wird der<br />
Patient zum Experten der eigenen Symptomatik.<br />
� … stellt die Hilfe zur Selbsthilfe in den Mittelpunkt.<br />
� … bemüht sich um ständige Weiterentwicklung.<br />
10
Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />
Erweiterung des verhaltenstherapeutischen<br />
Paradigmas<br />
Behaviorismus<br />
Äußere Verhaltensänderung<br />
Kognitive Wende<br />
Veränderung gedanklicher Schemata<br />
Emotionale Wende<br />
Einfluss von Emotionen,<br />
sprachunabhängigen Phänomenen,<br />
Spiritualität, Achtsamkeit, Akzeptanz<br />
Lerntheorien<br />
� Können Lernprozesse die Entstehung und<br />
Aufrechterhaltung problematischen Verhaltens<br />
und Erlebens erklären?<br />
� Klassisches Konditionieren<br />
� Operantes Konditionieren<br />
� Lernen am Modell<br />
Lerntheorien<br />
Klassisches Konditionieren – „Little Albert“ (Watson & Rayner, 1920)<br />
UCS: Lärm<br />
Wiederholte gemeinsame Darbietung<br />
Kopplung, Assoziation<br />
ursprünglich<br />
neutraler<br />
Reiz<br />
CS: Ratte<br />
UCR: Schreckreaktion,<br />
Herzklopfen, Angst,<br />
Weglaufen<br />
CR: Herzklopfen, Angst,<br />
Weglaufen<br />
� Unkonditionierter (biologisch bedingter) Stimulus (UCR) löst<br />
unkonditionierte Reaktion aus (UCR)<br />
� Konditionierter Stimulus (CR, mit UCR gemeinsam angeboten)<br />
löst konditionierte Reaktion aus (CR) (ähnelt UCR)<br />
� Assoziation zweier Reize durch das lernende Individuum<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Lerntheorien und daraus<br />
abgeleitete Therapietechniken<br />
Lerntheorien<br />
Klassisches Konditionieren<br />
ursprünglich<br />
neutraler<br />
Reiz<br />
UCS: unkonditionierter<br />
Stimulus: Futter<br />
Wiederholte gemeinsame Darbietung<br />
CS: konditionierter<br />
Stimulus: Glocke<br />
Lerntheorien<br />
Klassisches Konditionieren …<br />
UCR: unkonditionierte<br />
Reaktion: Speichelfluss<br />
CR: konditionierte<br />
Reaktion: Speichelfluss<br />
… in der Medizin<br />
Beispiele:<br />
� Angst vor den weißen Kitteln der Ärzte<br />
� Allergischer Schnupfen beim Anschauen eines Fotos mit Rosen<br />
� Krebspatient, dem beim Anblick der Infusionsflasche übel wird<br />
11
Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />
Lerntheorien<br />
Klassisches Konditionieren …<br />
… in der Medizin<br />
ursprünglich<br />
neutraler<br />
Reiz<br />
UCS: Infusion mit<br />
Chemotherapie<br />
Wiederholte gemeinsame Darbietung<br />
Kopplung, Assoziation<br />
CS: Anblick der Infusions-<br />
Flasche, Annäherung an<br />
Krankenhaus<br />
Lerntheorien<br />
Operantes Konditionieren<br />
UCR: Übelkeit, Erbrechen<br />
CR: Übelkeit, Erbrechen<br />
Kontingenzschema: Konsequenzen und ihre Wirkung<br />
Positiver<br />
Stimulus<br />
Aversiver<br />
Stimulus<br />
Darbietung Entfernung<br />
Positive Verstärkung<br />
Belohnung<br />
R� C +<br />
Direkte Bestrafung<br />
R� C -<br />
Indirekte Bestrafung<br />
Löschung<br />
R� C +<br />
Negative Verstärkung<br />
Erleichterung<br />
R� C -<br />
Lerntheorien<br />
Klassisches & operantes Konditionieren<br />
2-Faktoren-Theorie (Mowrer, 1945) zur Angst und Vermeidung<br />
UCS: volle U-Bahn UCR: Herzklopfen, Schwindel<br />
CS: enger, voller, heißer<br />
Raum<br />
R1: Flucht, Vermeidung<br />
R2: Krankheitsverhalten<br />
CR: somatische Reaktion<br />
K-: Angstreduktion<br />
= negative Verstärkung<br />
K+: Aufmerksamkeit<br />
= positive Verstärkung<br />
� Selbst im einfachsten Fall der klassischen Konditionierung folgen auf<br />
die konditionierte Reaktion bestimmte Konsequenzen!<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Lerntheorien<br />
Operantes Konditionieren<br />
= Lernen am Erfolg/ durch Verstärkung<br />
� Verstärker = Ereignisse, die dazu führen, dass ein Verhalten<br />
häufiger auftritt<br />
� Die Konsequenz bestimmt die Auftritt-Wahrscheinlichkeit der<br />
Reaktion<br />
R K<br />
Reaktion Konsequenz<br />
C<br />
Lerntheorien<br />
Operantes Konditionieren<br />
Kontingenz<br />
= die Tatsache, dass dem<br />
Verhalten eine bestimmte<br />
Konsequenz folgt<br />
Konsequenzen und ihre Wirkung<br />
Positive Verstärkung<br />
Negative Verstärkung<br />
Löschung<br />
Bestrafung<br />
Steigert Verhalten durch Belohnung (z.B.<br />
Lob, Geschenk)<br />
Steigert Verhalten durch Wegnahme einer<br />
unangenehmen Konsequenz (z.B.<br />
Erbrechen verhindert Gewichtszunahme)<br />
Verringert Verhalten indem dieses nicht<br />
verstärkt wird (z.B. Konfrontation und<br />
Reaktionsverhinderung bei Zwängen)<br />
Lerntheorien � VT Techniken<br />
Konfrontationstherapie<br />
Verringert unerwünschtes Verhalten<br />
durch unangenehme Konsequenzen (z.B.<br />
kein Schein bei zu spät kommen)<br />
„… Besonders aber ängstigte mich ein Schwindel, der<br />
mich jedes Mal befiel, wenn ich von der Höhe<br />
herunterblickte. Allen diesen Mängeln suchte ich<br />
abzuhelfen, und zwar, weil ich keine Zeit verlieren wollte,<br />
auf eine etwas heftige Weise. … Ich erstieg ganz allein<br />
den höchsten Gipfel des Münsterturms und saß in dem<br />
sogenannten Hals, wohl eine viertel Stunde lang, bis ich<br />
es wagte, wieder heraus in die freie Luft zu treten, wo<br />
man auf einer Platte … stehend das unendliche Land vor<br />
sich sieht … Dergleichen Angst und Qual wiederholte ich<br />
so oft, bis der Eindruck mir ganz gleichgültig war. …“<br />
Goethe 1811, S. 337-338<br />
12
Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />
Lerntheorien � VT Techniken<br />
Konfrontationstherapie<br />
Exposition & Reaktionsverhinderung/-management<br />
� Darbieten bzw. Aufsuchen einer vom Patient gefürchteten<br />
Situation.<br />
� Der Patient sollte so lange in einer belastenden Situation<br />
bleiben, bis es zu einer deutlichen Reduktion von Angst und<br />
Unruhe gekommen ist.<br />
� Durch Reaktionsverhinderung erlebt der Patient, dass die<br />
von ihm befürchteten Erwartungen (z.B. Umfallen, Sterben,<br />
Blamieren) nicht eintreten.<br />
� Es wurden mehrere Varianten der Reizkonfrontation<br />
entwickelt.<br />
Lerntheorien � VT Techniken<br />
Konfrontationstherapie<br />
Systematische<br />
Desensibilisierung<br />
Die aversiven Stimuli werden in<br />
der Vorstellung, in voller Intensität<br />
und z.T. bis ins Unrealistische<br />
übersteigert, dargeboten.<br />
Graduierte in-vivo-Konfrontation<br />
Die aversiven Stimuli werden<br />
unmittelbar in der Realität in<br />
höchster Intensität dargeboten.<br />
Die Stimuli werden hierarchisch<br />
geordnet & in der Vorstellung in<br />
einem entspannten Zustand<br />
dargeboten. Einstieg mit dem<br />
am wenigsten aversiven Reiz.<br />
Implosion<br />
Schrittweise, systematische<br />
Darbietung der aversiven<br />
Situationen in der Realität.<br />
Beginn mit „schwachen“ Reizen.<br />
Flooding<br />
Lerntheorien � VT Techniken<br />
Konfrontationstherapie<br />
Spiegelexposition bei einer Essstörung<br />
„Ich möchte Sie jetzt bitten, sich selbst möglichst genau in<br />
diesem Spiegel anzuschauen. Beschreiben Sie mir bitte so<br />
objektiv und so neutral wie möglich, wie Sie aussehen. Stellen<br />
Sie sich dabei vor, ich wäre eine Malerin und möchte Sie malen,<br />
kann Sie jedoch nicht sehen. Ich brauche also eine genaue<br />
Beschreibung in allen Einzelheiten von Ihnen. Zu den einzelnen<br />
Körperbereichen stelle ich Ihnen Fragen. Fangen wir z.B. mit<br />
Ihren Augen an: Wie sehen Ihre Augen aus? Sind Ihre Augen<br />
geschminkt? Was strahlen Ihre Augen insgesamt aus? Sehen sie<br />
wach oder müde aus? Haben Sie einen offenen oder verschlossenen<br />
Blick? …“ Quelle: Hilbert & Tuschen-Caffier, 2010<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Lerntheorien � VT Techniken<br />
Konfrontationstherapie<br />
Art der<br />
Exposition<br />
in sensu<br />
(in der Vorstellung)<br />
in vivo<br />
(im „Feld“)<br />
Graduiert<br />
Systematische<br />
Desensibilisierung<br />
Graduierte in-vivo<br />
Konfrontation<br />
Lerntheorien � VT Techniken<br />
Konfrontationstherapie<br />
massiert<br />
(Reizüberflutung)<br />
Implosion<br />
Flooding<br />
Flooding-Übungen bei Agoraphobie (Beispiel)<br />
� Zugfahrt in Begleitung des Therapeuten nach Nürnberg<br />
� Bummel durch Fußgängerzone, Besuch mehrerer Kaufhäuser<br />
� Mittagessen in einem Kaufhaus<br />
� U-Bahn-Fahrten durch Nürnberg (teils ohne Therapeut)<br />
� Zugfahrt nach München (allein)<br />
� …<br />
� Die direkte Konfrontation führt zu einer umfassenden und<br />
intensiven Aktivierung der Angstreaktion & verringert<br />
Erwartungsängste und damit einhergehendes<br />
Vermeidungsverhalten.<br />
� Begünstigung eines schnelleren Behandlungserfolges!<br />
Lerntheorien � VT Techniken<br />
Konfrontationstherapie<br />
Stress- und Angstreaktion im Alltag<br />
hoch<br />
Erregung<br />
Angstschwelle<br />
Stark schwach sehr stark<br />
niedrig<br />
Belastungssituation<br />
Allgemeine Anspannung niedrig<br />
Stark schwach sehr stark<br />
Belastungssituation<br />
Allgemeine Anspannung hoch<br />
13
Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />
Lerntheorien � VT Techniken<br />
Konfrontationstherapie<br />
Der Angst-(Teufels-)Kreis<br />
Körperliche<br />
Symptome<br />
Physiologische<br />
Veränderungen<br />
„Angst“<br />
Flucht/Vermeidung<br />
Wahrnehmung<br />
Lerntheorien � VT Techniken<br />
Konfrontationstherapie<br />
Gedanken<br />
„Gefahr!!!“<br />
Angstverlauf bei Konfrontation mit Angstreizen<br />
10<br />
Angst<br />
0 Zeit<br />
Lerntheorien � VT Techniken<br />
Operante Ansätze im Rahmen komplexer Programme<br />
Essstörungsspezifische Therapiemodule (P22)<br />
Programm C (BMI 16,5 bis 18,9)<br />
� 700 g Gewichtszunahme; 100% Essen (Suppe, Nachtisch); freier<br />
Ausgang; Besuch/ Außenkontakt möglich; jedes 2. WE Übernachtung<br />
zuhause (= Belastungserprobung); Wäsche waschen frei; Teilnahme<br />
an allen Therapien; Gewichtskontrolle Mo & Do; Übernahme von<br />
Stationsdiensten<br />
Programm 0 (BMI ab 19)<br />
� Gewicht halten; „ausreichend“ Essen; freier Ausgang; Besuch/<br />
Außenkontakt möglich; jedes WE Übernachtung zuhause (=<br />
Belastungserprobung); Wäsche waschen frei; Teilnahme an allen<br />
Therapien; Gewichtskontrolle Mo (Do freiwillig); Übernahme von<br />
Stationsdiensten<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Lerntheorien � VT Techniken<br />
Konfrontationstherapie<br />
Angstverlauf bei Konfrontation mit Angstreizen<br />
10<br />
Angst<br />
Erwartung<br />
Vermeidung<br />
0 Zeit<br />
Erwartung<br />
Habituation<br />
= Abnahme in der Reaktionsstärke nach<br />
wiederholter Präsentation des Stimulus<br />
Lerntheorien � VT Techniken<br />
Operante Ansätze im Rahmen komplexer Programme<br />
Essstörungsspezifische Therapiemodule (P22)<br />
Programm A (BMI < 14)<br />
� 400 g Gewichtszunahme; 100% Essen (incl. Salat); kein (Einzel-,<br />
Gruppen-, Tages-, WE-)Ausgang; kein Außenkontakt; keine<br />
Bewegungstherapie, kein Yoga, keine Kunst- und Ausdruckstherapie,<br />
keine Kochgruppe; Wäsche waschen 1x wöchentlich;<br />
Gewichtskontrolle Mo & Do; keine Stationsdienste<br />
Programm B (BMI 14 bis 16,4)<br />
� 700 g Gewichtszunahme; 100% Essen (Suppe, Nachtisch); ½ h pro<br />
Tag Ausgang; Gruppenausgang; 1x pro Woche 4h Besuch in Klinik<br />
möglich; Wäsche waschen frei; Teilnahme an allen Therapien;<br />
Gewichtskontrolle Mo & Do; Übernahme von Stationsdiensten<br />
Lerntheorien � VT Techniken<br />
Operante Ansätze im Rahmen komplexer Programme<br />
Therapievertrag für PatientInnen, bei denen eine<br />
Gewichtszunahme angezeigt ist (P22)<br />
„Sie werden je nach Aufnahmegewicht oder Schwere der Essproblematik<br />
einem der Programme zugewiesen. Können Sie die Vereinbarungen in<br />
dieser Zeit gut einhalten (Gewichtsentwicklung, Essverhalten, Regeln<br />
einhalten, Bewegungsdrang selbständig oder mit leichter Unterstützung<br />
kontrollierbar), so steigen Sie in das nächst höhere Programm auf. …<br />
… Wenn die in den Programmen B und C vereinbarten Gewichts- und<br />
Ernährungsvorgaben nicht eingehalten werden können, werden Sie in ein<br />
niedrigeres Programm zurückgestuft.“<br />
� Operante Verfahren kommen als alleinige Therapieverfahren selten<br />
zum Einsatz, werden aber in Teilbereichen oft eingesetzt (z.B. auch<br />
bei kindlicher Verhaltensstörung, geistiger Behinderung).<br />
14
Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />
Lerntheorien � VT Techniken<br />
Stimuluskontrolle<br />
� Ein gewünschtes Verhalten gezielt fördern, indem man<br />
situative Bedingungen herstellt, unter denen nur das<br />
gewünschte Verhalten auftritt.<br />
oder<br />
� Ein unerwünschtes Verhalten reduzieren, indem die situativen<br />
Bedingungen seines Auftretens beseitigt werden<br />
Stimuluskontrolle – Bsp. Schlafstörung<br />
� Sich nur schlafen legen, wenn man müde ist.<br />
� Das Bett ausschließlich zum Schlafen benutzen (und ggf. zu<br />
sexuellen Aktivitäten).<br />
� Wenn man innerhalb von 10 Minuten nicht einschlafen kann, soll<br />
man aufstehen und in ein anderes Zimmer gehen. Rückkehr ins<br />
Schlafzimmer sollte erst dann erfolgen, wenn man sich wieder<br />
bereit fühlt, einzuschlafen. Während man auf ist, kann man lesen,<br />
fernsehen, … . Diese Aktivitäten muss man im Bett grundsätzlich<br />
vermeiden.<br />
� Wenn man nach Rückkehr ins Bett nach ca. 10 min noch nicht<br />
eingeschlafen ist, wird letztgenannte Regel wiederholt (so oft wie<br />
nötig).<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Lerntheorien � VT Techniken<br />
Stimuluskontrolle – Bsp. Gewichtsreduktion<br />
� Nahrungsvorräte nur für den nächsten Tag einkaufen<br />
� Nahrungsmittel dürfen nicht frei herumliegen<br />
� Von kleinem Teller essen<br />
� 20x kauen<br />
Lerntheorien � VT Techniken Lerntheorien – Zusammenfassung<br />
Grenzen der klassischen Konditionierung<br />
Lerntheorien – Zusammenfassung<br />
Modelllernen am Beispiel der Angst<br />
� Die Beobachtung von angstvoll reagierenden Affen (in vivo/<br />
Video) führte zur eigenen Angstreaktion.<br />
� Eine ein- bis zweimalige Beobachtung ist ausreichend.<br />
� Belege für „preparedness“-Annahme: Angsterwerb erfolgte bei<br />
Schlangen, nicht aber bei Blumen<br />
� Immunisierung: Eine vorangegangene Beobachtung nichtängstlicher<br />
Affen reduzierte das Risiko, eine Angstreaktion<br />
durch Beobachtung zu erwerben.<br />
Tierexperimentalreihe von Mineka, Cook et al (1980):<br />
Rhesusaffen und Erwerb von Angst vor Schlangen<br />
Am Beispiel der Angst<br />
� Die meisten Patienten können sich nicht an ein traumatisches<br />
(auslösendes) Ereignis erinnern.<br />
� Es muss weitere Wege geben, eine Phobie zu entwickeln!<br />
� Versuche, Phobien beim Menschen (experimentell) zu<br />
konditionieren, scheitern überwiegend.<br />
� „Preparedness“-Annahme (Seligman, 1971; Marks, 1987)<br />
Bestimmte Reiz-Reaktions-Verbindungen werden aufgrund<br />
biologischer Vorbereitung leichter gelernt.<br />
� Vorerfahrung beeinflusst die Konditionierung der Angstreaktion:<br />
„Inflationseffekt“ (frühere intensive Angstreaktion �) und<br />
„Latent inhibition“ (frühere positive Erfahrung �)<br />
Lerntheorien – Zusammenfassung<br />
Modelllernen<br />
� Änderung des eigenen Verhaltens aufgrund der Beobachtung<br />
des Verhaltens einer anderen Person (= dem Modell).<br />
� Ist am effektivsten, wenn der Beobachter anschließend das<br />
Verhalten selbst ausführt; dies ist aber keine unabdingbare<br />
Voraussetzung.<br />
� Grundlage dieses Ansatzes sind kognitive Prozesse!<br />
� Modelllernen als ein Ursprung der kognitiven Wende in der<br />
Verhaltenstherapie.<br />
15
Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />
Lerntheorien – Zusammenfassung<br />
� Elementare Lernprozesse laufen unbewusst ab und bestimmen<br />
einen Teil unseres Verhaltens und Erlebens.<br />
� Verstärkerwirkungen sind allgegenwärtig.<br />
� Viele Lernprozesse bilden zusammen Verhaltens- und<br />
Erlebensketten.<br />
� Auch beim einfachen Lernen spielen kognitive, emotionale und<br />
motivationale Prozesse eine Rolle.<br />
� Weiterentwicklung: kognitive Verhaltenstherapie<br />
Der kognitive Ansatz<br />
Der kognitive Ansatz<br />
� Berücksichtigung von „inneren", nicht-beobachtbaren<br />
Ereignissen/ kognitiven Prozessen (Gedanken, innere Bilder,<br />
Wahrnehmungen, Selbstaussagen, Einstellungen etc.)<br />
� Hauptintervention:<br />
kognitive Umstrukturierung = Veränderung dieser Prozesse<br />
� Unterschiede zur psychoanalytischen Therapie<br />
� Fokus auf das „hier und jetzt“<br />
� Therapeut liefert keine Interpretationen unbewusster Vorgänge<br />
� Unterschiede zur „reinen“ Verhaltenstherapie<br />
� Betonung innerer Vorgänge<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
3 Phasen der Verhaltenstherapie<br />
Behaviorismus<br />
Äußere Verhaltensänderung<br />
Kognitive Wende<br />
Veränderung gedanklicher Schemata<br />
Der kognitive Ansatz<br />
„Menschen werden nicht durch die Dinge an sich<br />
beunruhigt, sondern durch die Meinungen, die sie<br />
darüber haben.“<br />
Epiktet, 60 v. Chr.<br />
Kognitionen<br />
= Gedanken oder Vorstellungen, die uns nicht<br />
eindeutig bewusst sind, außer wir richten unsere<br />
Aufmerksamkeit gezielt darauf.<br />
nach Beck et al., 1986<br />
Der kognitive Ansatz<br />
Rational der kognitiven Therapie<br />
� Emotionen hängen mit bestimmten Kognitionen zusammen.<br />
� Eine Situation wird im Lichte dessen, was in der Vergangenheit<br />
schon erworben wurde, bewusst und aktiv interpretiert.<br />
� Neue Information wird in ein organisiertes Netzwerk<br />
vorhandenen Wissens (=Schema) eingepasst.<br />
� Widerspricht die neue Information dem Schema, wird dieses in<br />
dem erforderlichen Ausmaß neu organisiert.<br />
16
Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />
Der kognitive Ansatz<br />
Kognitive Verhaltenstherapie bei Depressionen<br />
Kognitive Triade der Depression nach Beck …<br />
Negative<br />
Sicht der<br />
Umwelt<br />
Negatives<br />
Selbstbild<br />
Depression<br />
Negative<br />
Zukunftsperspektive<br />
… führt zu ungünstigen<br />
Verhaltensweisen,<br />
… behindert effektive<br />
Problemlösestrategien<br />
und<br />
… stabilisiert die<br />
depressive Stimmung!<br />
Der kognitive Ansatz<br />
KVT bei Depressionen<br />
Aufbau positiver Aktivitäten<br />
� Ziel<br />
� Schaffung einer Balance zwischen angenehmen,<br />
verstärkenden Aktivitäten sowie Pflichten und aversiven<br />
Aktivitäten<br />
� Steigerung positiv erlebter Erfahrungen<br />
� Methode/ Interventionen<br />
� Bewältigung graduierter Aufgaben und Planung von<br />
Aktivitäten<br />
� Aufbau angenehmer/ Abbau aversiver Aktivitäten<br />
� Tages-/ Wochenprotokolle<br />
� Gestuftes Vorgehen bei der Umsetzung<br />
Der kognitive Ansatz<br />
KVT bei Depressionen<br />
Kognitive Umstrukturierung<br />
Beispiele für irrationale Denkmuster<br />
� Voreiliges Schlussfolgern<br />
� „Ich spüre keine Wirkung des Medikaments. Medikamente helfen mir nicht.“<br />
� Generalisieren<br />
� „Ich habe einen Korb bekommen. Ich bin einfach nicht attraktiv.“<br />
� Schwarz-Weiß-Malen/ Alles-oder-nichts-Denken<br />
� „Ich mache immer alles falsch.“<br />
� Abwehr des Positiven<br />
� „Das ist doch nichts Besonderes, das kann doch jeder.“<br />
� Emotionale Beweisführung<br />
� „Ich fühle mich minderwertig, also bin ich minderwertig.“<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Der kognitive Ansatz<br />
KVT bei Depressionen<br />
Vorgehen (nach Hautzinger, 2000)<br />
Aufbau positiver Aktivitäten<br />
Kognitive Umstrukturierung<br />
Verbesserung sozialer Fertigkeiten<br />
Der kognitive Ansatz<br />
KVT bei Depressionen<br />
Kognitive Umstrukturierung<br />
Vorgehen<br />
� Erfassung von negativen automatischen Gedanken und<br />
Überzeugungen (irrationalen Denkmustern)<br />
� Verdeutlichung des Zusammenhangs von negativen<br />
Gedanken und Gefühlen<br />
� Kognitionen als Hypothesen erfahren, nicht als Fakten<br />
� Alternative Erklärungen finden und reattribuieren<br />
(z.B. anhand von Spaltenprotokolle)<br />
� Realitätstesten, Validieren<br />
Der kognitive Ansatz<br />
KVT bei Depressionen<br />
Kognitive Umstrukturierung<br />
Beispiele für irrationale Denkmuster<br />
� Katastrophisieren<br />
� „Ich werde sicher der Erste sein, der entlassen wird.“<br />
� Über-/ Untertreibung<br />
� „Andere sind immer so gut drauf, nur ich bin ein Miesepeter.“<br />
� Dinge persönlich nehmen<br />
� „Ich vermiese den anderen nur die Stimmung. Ich bleibe besser zuhause.“<br />
� Muss-Aussagen<br />
� „Man muss mit allem alleine fertig werden.“<br />
17
Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />
Der kognitive Ansatz<br />
KVT bei Depressionen<br />
Kognitive Umstrukturierung<br />
Gedankliche Verzerrung<br />
Situation<br />
Ein potentieller<br />
Kunde am<br />
Telefon legt auf,<br />
als ich gerade<br />
das Produkt<br />
beschreibe.<br />
Gefühl<br />
0-100%<br />
ärgerlich<br />
(90)<br />
traurig<br />
(50)<br />
Automatischer<br />
Gedanke<br />
• Ich muss etwas<br />
Falsches gesagt<br />
haben.<br />
• Ich kann nichts<br />
richtig.<br />
• Ich werde nie<br />
etwas verkaufen.<br />
Gedankliche<br />
Verzerrung<br />
• Voreilige<br />
Schlussfolgerung<br />
• Schwarz-Weiß-<br />
Malen<br />
• Generalisieren<br />
Der kognitive Ansatz<br />
KVT bei Depressionen<br />
Kognitive Umstrukturierung<br />
Gefühle und negative Gedanken<br />
Auslöser<br />
Situation<br />
Ich denke an<br />
alles, was ich<br />
noch erledigen<br />
muss: Haushalt,<br />
Kinder,<br />
Arbeit, … .<br />
Gefühle<br />
1-100<br />
%<br />
hoffnungs<br />
-los,<br />
niedergeschlagen<br />
(85%)<br />
Automat.<br />
Gedanken<br />
Das schaffe<br />
ich nie.<br />
Sicher läuft<br />
wieder alles<br />
schief.<br />
Alternativgedanken<br />
Ich habe das<br />
früher auch<br />
gekonnt.<br />
Immer der<br />
Reihe nach.<br />
Ergebnis<br />
(Gefühl)<br />
Noch etwas<br />
verzweifelt<br />
und ausweglos<br />
Der kognitive Ansatz<br />
KVT bei Depressionen<br />
Soziales Kompetenztraining<br />
(30%)<br />
Soziale Kompetenz – Definition<br />
� Verfügbarkeit und Anwendung von kognitiven, emotionalen<br />
und motorischen Verhaltensweisen, die in bestimmten<br />
Situationen zu einem langfristig günstigen Verhältnis von<br />
positiven und negativen Konsequenzen für den Handelnden<br />
führen.<br />
(Hinsch & Pfingsten, 1982, 2007)<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Der kognitive Ansatz<br />
KVT bei Depressionen<br />
Kognitive Umstrukturierung<br />
3-Spalten-Technik (Beck)<br />
Situation Interpretation<br />
Mein Chef hat mich<br />
heute morgen nicht<br />
gegrüßt.<br />
Er ist bestimmt mit<br />
meiner Arbeit<br />
unzufrieden. Ich habe<br />
mal wieder versagt.<br />
Alternative<br />
Sichtweise<br />
Der Chef ist heute<br />
wieder mal schlecht<br />
gelaunt.<br />
Wahrscheinlich hat er<br />
Krach mit einem<br />
Kunden.<br />
Der kognitive Ansatz<br />
KVT bei Depressionen<br />
Soziales Kompetenztraining<br />
Selbstsicherheit/soziale Kompetenz – Begriffsbestimmung<br />
� Mit dem Begriff Selbstsicherheit ist die Fähigkeit eines<br />
Individuums gemeint, in Relation zu seiner Umgebung eigene<br />
Ansprüche zu stellen und sie auch verwirklichen zu können.<br />
� Dazu gehört also, sich zu erlauben, eigene Ansprüche zu<br />
haben, sich zu trauen, sie auch zu äußern und die Fähigkeit zu<br />
besitzen, sie auch durchzusetzen.<br />
(Ullrich & Ullrich de Muynk, 1971)<br />
Der kognitive Ansatz<br />
KVT bei Depressionen<br />
Soziales Kompetenztraining<br />
Indikation<br />
� Zusammenhang zwischen sozialen Kompetenzproblemen und<br />
psychischen Störungen:<br />
1. (Mit-)Ursache<br />
2. Folge<br />
3. Hindernis bei der Bewältigung von Symptomen od Störungsfolgen<br />
� Beispiele: Soziale Phobie, ängstlich (vermeidende)<br />
Persönlichkeitsstörung, Depression, Schizophrenie,<br />
Substanzmissbrauch, psychosomatische Störungen<br />
(Hinsch & Pfingsten, 1982, 2007)<br />
� Allgemeiner: Überdauernde Schwierigkeiten beim Bewältigen<br />
sozialer Alltagssituationen, die das Berufs-/ Privatleben des<br />
Klienten/ Patienten beeinträchtigen.<br />
18
Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />
Der kognitive Ansatz<br />
KVT bei Depressionen<br />
Soziales Kompetenztraining<br />
GSK = Gruppentraining sozialer Kompetenzen<br />
Einführungsveranstaltung + 7 Sitzungen:<br />
� Instruktion und Modellverhalten (zu Zielverhalten und<br />
Vorgehensweisen)<br />
� Rollenspiel (Verhaltensübung, Reizkonfrontation)<br />
� Rückmeldung, Verstärkung, Video-Feedback<br />
� Transfertechniken und in-vivo-Konfrontation<br />
� Techniken der kognitiven Verhaltensmodifikation<br />
� Entspannungstechniken<br />
Der kognitive Ansatz<br />
Störungsspezifische kognitive Therapie<br />
� Depression<br />
� Panikstörung<br />
� Soziale Phobie<br />
� Generalisierte Angststörung<br />
� Somatoforme Störungen<br />
� Sucht<br />
� Persönlichkeitsstörungen<br />
Weitere Ansätze<br />
- Beispiel Achtsamkeit<br />
Hinsch & Pfingsten (1982, 2007)<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Der kognitive Ansatz<br />
KVT bei Depressionen Soziales Kompetenztraining<br />
Erweiterung des verhaltenstherapeutischen<br />
Paradigmas<br />
Behaviorismus<br />
Äußere Verhaltensänderung<br />
Kognitive Wende<br />
Veränderung gedanklicher Schemata<br />
Emotionale Wende<br />
Einfluss von Emotionen,<br />
sprachunabhängigen Phänomenen,<br />
Spiritualität, Achtsamkeit, Akzeptanz<br />
Weitere Ansätze<br />
Beispiel Achtsamkeit<br />
Achtsamkeit<br />
� = wesentliches Element von Meditation; allerdings nicht<br />
an einen bestimmten (kulturellen/ spirituellen) Kontext<br />
gebunden<br />
� bedeutet auf eine bestimmte Art aufmerksam zu sein<br />
Aufmerksam<br />
im jetzigen Moment<br />
und ohne vorschnell zu bewer<br />
19
Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />
Weitere Ansätze<br />
Beispiel Achtsamkeit<br />
Achtsamkeitsbasierte Ansätze<br />
� MBSR – Mindfulness Based Stress Reduction (Kabat-<br />
Zinn, 1990) = Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion<br />
� MBCT – Mindfulness Based cognitive therapy (Segal et<br />
al., 2002) = Achtsamkeitsbasierte kognitive<br />
Rückfallprophylaxe bei Depressionen<br />
Weitere Ansätze<br />
Beispiel Achtsamkeit<br />
Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR)<br />
Innere Haltung<br />
� Nicht bewerten<br />
� Geduld<br />
� Den Geist des Anfängers bewahren<br />
� Vertrauen<br />
� Nicht greifen<br />
� Akzeptanz<br />
� Loslassen<br />
Weitere Ansätze<br />
Beispiel Achtsamkeit<br />
Achtsamkeitsbasierte<br />
Stressreduktion<br />
(MBSR)<br />
Praktische Umsetzung<br />
in der<br />
Psychosomatischen<br />
Tagesklinik<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Weitere Ansätze<br />
Beispiel Achtsamkeit<br />
Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR)<br />
� (Infoveranstaltung oder Vorgespräch)<br />
� 8 Wochen à 2,5 Stunden<br />
� Achtsamkeitstag nach 6. Termin<br />
� Arbeitsheft<br />
� 3 CDs<br />
� Hausaufgaben<br />
� Tägliche Übungszeit ca. 45min<br />
� (Nachgespräch und ggf. Auffrischungstage)<br />
Weitere Ansätze<br />
Beispiel Achtsamkeit<br />
Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR)<br />
Formale Achtsamkeitsübungen stehen im Mittelpunkt<br />
� Body scan<br />
� Sitzmeditation<br />
� Sanfte Körperübungen aus dem Yoga<br />
� Achtsamkeit im Gehen /beim Sehen<br />
� Achtsamkeit bei Alltagstätigkeiten<br />
Verhaltenstherapeutisches<br />
Vorgehen<br />
20
Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />
Verhaltenstherapie-Prozess<br />
Orientierungs- & Planungsphase<br />
� Therapeutische Beziehung<br />
� Vorliegende Störung (Diagnose/ Problemanalyse)<br />
� Ziel- & Behandlungsplanung<br />
Interventionsphase<br />
� Zielführende Interventionen (Methoden- &<br />
Beziehungsgestaltung)<br />
� Ergebnis- und Prozessevaluation<br />
� Aktivierung des Patienten zur Problemlösung<br />
Integrationsphase<br />
� Überführung der Kompetenzen ins<br />
Selbstmanagement des Patienten<br />
� Rückfallprophylaxe<br />
� Expliziter Transfer<br />
Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />
Therapiephasen<br />
7-Phasen-Modell (nach Kanfer)<br />
5. Planung, Auswahl und Durchführung spezieller<br />
Methoden<br />
6. Evaluation therapeutischer Fortschritte<br />
7. Endphase: Erfolgsoptimierung und Abschluss der<br />
Therapie<br />
Follow-up/Katamnese<br />
Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />
Therapiephasen – zu 2: Änderungsmotivation<br />
Extrinsische – intrinsische Motivation<br />
Der Mensch ist immer motiviert, die Frage ist nur wozu.<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />
Therapiephasen<br />
7-Phasen-Modell (nach Kanfer)<br />
1. Eingangsphase: Schaffung günstiger<br />
Ausgangsbedingungen<br />
2. Aufbau von Änderungsmotivation und vorläufige<br />
Auswahl von Änderungsbereichen<br />
3. Verhaltensanalyse und funktionales Bedingungsmodell<br />
4. Vereinbaren therapeutischer Ziele<br />
Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />
Therapiephasen – zu 1: Eingangsphase<br />
� Bildung einer kooperativen Therapeut-Klient-Beziehung<br />
� Rollenstrukturierung: Therapeut als professioneller Helfer<br />
– aktive Mitarbeit & Verantwortungsübernahme durch<br />
den Patienten<br />
� Beginn der problembezogenen Informationssammlung<br />
� Günstige Gestaltung der äußeren Therapiesituation<br />
Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />
Therapiephasen – zu 2: Änderungsmotivation<br />
Motivierende Gesprächsführung (z.B. nach Miller & Rollnick, 2005)<br />
� Unterstützung der Patienten durch eine wertschätzende<br />
Haltung, aktives Zuhören und offene Fragen.<br />
� Unterstützung beim Erkunden von Widersprüchen und<br />
Ambivalenzen, aber auch von Ressourcen.<br />
� Häufig: Thematisierung von Vor- und Nachteilen der<br />
gewünschten Verhaltensänderung.<br />
21
Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />
Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />
Therapiephasen – zu 2: Änderungsmotivation<br />
Vor- und Nachteile einer Veränderung am Bsp. der<br />
Gewichtszunahme bei Anorexie<br />
Vorteile<br />
Nachteile<br />
� Ich brauche mich nicht mehr � Ich nehme zu!<br />
zu verstellen.<br />
� Ich bin nicht mehr<br />
� Ich habe mehr Zeit für<br />
bemitleidenswert.<br />
andere Dinge.<br />
� Ich kann nicht so stolz auf<br />
� Ich kann mich besser<br />
mich und meine Figur sein.<br />
konzentrieren.<br />
� Ich muss mich dann mit<br />
� Mir ist nicht mehr ständig anderen Problemen<br />
kalt.<br />
auseinandersetzen.<br />
� Ich mag mich selbst mehr.<br />
Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />
Therapiephasen – zu 3: Verhaltensanalyse/Bedingungsmodell<br />
� Unter welchen Bedingungen wurde das Verhalten erworben,<br />
und welche Faktoren halten es momentan aufrecht?<br />
� Präzise Beschreibung des Problems<br />
� Erhebung situationaler Bedingungen des Verhaltens<br />
� Erfassung von Einstellungen, Regeln und Normen bezüglich des<br />
Problemverhaltens<br />
� Bisheriger Umgang mit dem Problem und dem Grad der<br />
Beeinträchtigung<br />
� Verhalten der Umgebung bezüglich des Problemverhaltens<br />
� Genese und Entwicklung des Problems<br />
� Erstellung eines hypothetischen Bedingungsmodells für das Modell<br />
Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />
Therapiephasen – zu 3: Verhaltensanalyse/ Bedingungsmodell<br />
Mikroanalyse<br />
S<br />
Auslösende<br />
Situation<br />
-Externe Reize<br />
z.B. situative<br />
Außenbedingungen<br />
- Interne Reize<br />
z.B. körperliche<br />
Wahrnehmung,<br />
Gedanken<br />
O<br />
Organismusvariable<br />
Stabile<br />
biologische &<br />
psychische<br />
Merkmale<br />
der Person<br />
R<br />
Reaktion<br />
= Problemverhalten<br />
- Emotionale Ebene<br />
- Körperliche Ebene<br />
-Kognitive Ebene<br />
- Verhaltensebene<br />
K<br />
Konsequenzen<br />
Kurz-, mittel-, langfristig<br />
� wodurch<br />
wird die Auftretenswahrscheinlichkeit<br />
des<br />
Symptoms verstärkt?<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />
Therapiephasen – zu 2: Änderungsmotivation<br />
Vor- und Nachteile einer Veränderung am Bsp. der<br />
Normalisierung eines pathologischen Kaufverhaltens<br />
Vorteile<br />
� Das Geld reicht nicht,<br />
obwohl ich gut verdiene.<br />
� Es droht eine Anzeige wegen<br />
Betrugs.<br />
� Ich lüge die anderen an<br />
wegen der Einkäufe.<br />
� Mein Mann und ich streiten<br />
ständig wegen des<br />
fehlenden Geldes.<br />
Nachteile<br />
� Jetzt fühle ich mich frei.<br />
Dieses Freiheitsgefühl<br />
werde ich verlieren.<br />
� Wie soll ich mir denn sonst<br />
etwas Gutes tun?<br />
� Wenn ich nicht mehr<br />
shoppen gehe, wird mir<br />
langweilig sein.<br />
� Die Verkäuferin wird nicht<br />
mehr so nett zu mir sein.<br />
Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />
Therapiephasen – zu 3: Verhaltensanalyse/ Bedingungsmodell<br />
Bestandteile einer Verhaltensanalyse<br />
� Mikroanalyse<br />
� aktuelle Bedingungsanalyse des Problems<br />
� Makroanalyse<br />
� Wie ist das Problem entstanden?<br />
� Funktionsanalyse<br />
� Welche Funktion erfüllt das Symptom?<br />
� Was bewirkt das Symptom?<br />
� Bedeutung des Symptoms im Systemkontext<br />
� Analyse der Verhaltensaktiva und Ressourcen<br />
Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />
Therapiephasen – zu 3: Verhaltensanalyse/ Bedingungsmodell<br />
Mikroanalyse – Pat. mit Bulimie<br />
S = auslösende Situation<br />
Extern: Die Pat. befindet sich nach einem Streit alleine zuhause.<br />
Intern: Gefühl von Leere und innerer Anspannung, Selbstvorwürfe.<br />
O = Organismusvariable<br />
Dysfunktionale Grundannahmen („Ich bin nichts wert.“, „Ich muss es<br />
anderen immer Recht machen.“)<br />
Emotionsregulation: Schwierigkeiten im Umgang mit Ärger<br />
22
Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />
Beispiel – Essprotokoll<br />
Beispiel – Kaufprotokoll<br />
Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />
Therapiephasen – zu 3: Verhaltensanalyse/ Bedingungsmodell<br />
Mikroanalyse – Pat. mit Bulimie<br />
R = Reaktion<br />
Kognition: „Ich bin hässlich.“; „Ich mache nichts richtig.“<br />
Emotion: Niedergeschlagenheit, Wut, Unsicherheit<br />
Physiologie: Anspannung, Übelkeit<br />
Motorik/Verhalten: Pat. erbricht infolge eines Essanfalls; zieht sich<br />
danach zurück in ihr Zimmer.<br />
K = Konsequenz<br />
Kurzfristig: C- Spannungsreduktion durch Erbrechen, C- Entlastung<br />
durch Rückzug<br />
Langfristig: C+ Reduktion sozialer Aktivitäten, C- Verschlechterung des<br />
Selbstbildes, C- depressive Symptome<br />
Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />
Therapiephasen – zu 3: Verhaltensanalyse/ Bedingungsmodell<br />
Datum/<br />
Uhrzeit/<br />
Ort<br />
6:30 Küche<br />
9:45 Schule<br />
10:00-16:20<br />
Schule<br />
17:10 Bahnhof<br />
17:40 Zimmer<br />
Situation/Anlass<br />
(vorangehende<br />
Gedanken/ Gefühle und<br />
Empfindungen)<br />
Frühstück<br />
---<br />
---<br />
Eine Freundin hat mir<br />
ein Stück angeboten.<br />
Ich konnte nicht nein<br />
sagen<br />
H/E/BH/BE<br />
/GE/R/Lax<br />
/S/Sü/Diu<br />
(Was trifft für<br />
Sie zu?)<br />
---<br />
---<br />
---<br />
---<br />
H/E<br />
Nahrung/Getränke<br />
(Was wurde gegessen/<br />
getrunken?)<br />
1 Tasse Tee<br />
½ l Buttermilch<br />
1 l Mineralwasser<br />
1 Stück<br />
Mannerschnitte<br />
1 Mars, 1 Tafel<br />
Schokolade, 2 Stk<br />
Milchrahmstrudel, 1<br />
Käsekornweckerl, 2<br />
Bounties, 4 Topfenbissen,<br />
500 g Landliebejoghurt,<br />
200g<br />
Marzipan, 100g<br />
Nougat, ½ l Milch,<br />
viel Wasser<br />
Konsequenzen<br />
(nachfolgende<br />
Gedanken/Gefühle und<br />
Empfindungen)<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
---<br />
---<br />
---<br />
Das eine Stück hat mich<br />
ganz nervös gemacht<br />
Mist, es ist einfach über<br />
mich gekommen. Ich<br />
habe mich nicht mehr<br />
unter Kontrolle gehabt<br />
nach dem einen Stück<br />
Schnitte. Bin jetzt total<br />
fertig und müde, aber<br />
ich glaube, ich habe das<br />
meiste wieder erbrochen<br />
Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />
Therapiephasen – zu 3: Verhaltensanalyse/ Bedingungsmodell<br />
Datum<br />
Uhrzeit<br />
Ware/n<br />
(einschl. TV und<br />
online-shopping)<br />
€ Gedanken Gefühle<br />
05.12. 16:00 Schuhe für Sohn 100,- Ganz schön teuer für<br />
Kinderschuhe, aber er braucht sie.<br />
08.12. 15:00 Kosmetik und ein<br />
Brotkasten<br />
100,- Die Kosmetik ist nötig. Der<br />
Brotkasten hat mir schon seit<br />
langem gefallen und war<br />
supergünstig.<br />
09.12. 18:00 2 Schlafanzüge 90,- Schnäppchen. Wollte ich schon<br />
lange haben. Brauche ich.<br />
10.12. 16:00 4 Paar Schuhe 250,- Wollte ich schon lange haben. Sind<br />
sehr schick und preisgünstig, da<br />
kann ich 4 Paar kaufen.<br />
11.12. 14:00 2 Jeans für mich<br />
2 Jeans für Tochter<br />
1 Mantel für mich<br />
1 Parfüm<br />
170,-<br />
160,-<br />
700,-<br />
50,-<br />
Kann mich nicht entscheiden,<br />
welche Jeans ich nehmen soll. Der<br />
Mantel ist so schön. Ich liebe<br />
diesen Duft.<br />
12.12. 22:00 Jacke (online) 440,- Muss ich haben! Kann ich mir<br />
eigentlich nicht leisten.<br />
Gutes Gefühl, bin stolz.<br />
?<br />
Freude<br />
Zuerst schönes Gefühl,<br />
dann mulmig, genervt.<br />
Bin aufgeregt, ein<br />
bisschen hektisch,<br />
freue mich, bin aber<br />
auch ängstlich, wenn<br />
ich an meine Schulden<br />
denke.<br />
Freude, später total<br />
schlechtes Gewissen<br />
Beispiel – Essprotokoll<br />
Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />
Therapiephasen – zu 3: Verhaltensanalyse/ Bedingungsmodell<br />
Selbstbeobachtungsprotokolle<br />
Ziel/Funktion:<br />
� Verhalten, Gefühle und Gedanken werden bewusster und<br />
sichtbarer<br />
� Dem Symptom wird sein automatischer Charakter genommen<br />
� = Grundlage für das funktionale Bedingungsmodell und liefert<br />
Anhaltspunkte für therapeutische Interventionen<br />
� Förderung der aktiven Mitarbeit und Übernahme von<br />
Selbstverantwortung<br />
� Distanzierung vom Symptom: Methode der Selbstkontrolle<br />
� Erfolgskontrolle und Strukturaufbau<br />
Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />
Therapiephasen – zu 3: Verhaltensanalyse/ Bedingungsmodell<br />
Datum/<br />
Uhrzeit/<br />
Ort<br />
6:45 Küche<br />
8:00 Schule<br />
10:40 Schule<br />
11:00 Schule<br />
14:50 Kantine<br />
19:00 daheim<br />
19:15 Esszimmer<br />
Situation/Anlass<br />
(vorangehende<br />
Gedanken/ Gefühle und<br />
Empfindungen)<br />
Frühstück<br />
---<br />
---<br />
---<br />
Mittagessen<br />
---<br />
---<br />
H/E/BH/BE<br />
/GE/R/Lax<br />
/S/Sü/Diu<br />
(Was trifft für<br />
Sie zu?)<br />
---<br />
---<br />
---<br />
---<br />
---<br />
---<br />
---<br />
Nahrung/Getränke<br />
(Was wurde gegessen/<br />
getrunken?)<br />
Konsequenzen<br />
(nachfolgende<br />
Gedanken/Gefühle und<br />
Empfindungen)<br />
1 Tasse Tee<br />
---<br />
1 Käsecroissant ---<br />
½ l Buttermilch ---<br />
1 Apfel<br />
---<br />
2 Gemüselaibchen --mit<br />
1 Kartoffel und<br />
Salat, ½ l Mineralwasser<br />
½ l Mineralwasser ---<br />
200 g Jogurt, 2 kleine Ich bin mit dem, was ich<br />
Äpfel<br />
heute gegessen habe<br />
zufrieden und bin fast<br />
ein wenig stolz auf<br />
mich, weil ich nicht<br />
bereue was ich<br />
gegessen habe.<br />
Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />
Therapiephasen – zu 3: Verhaltensanalyse/ Bedingungsmodell<br />
Makroanalyse<br />
� Lebensgeschichtliche Entwicklung/ Krankheitsanamnese<br />
� Ableitung eines hypothetischen Bedingungsmodell<br />
� Bsp. – Pat. mit Bulimie:<br />
� Elterliches Modell ohne konstruktive Auseinandersetzungen und mit<br />
�<br />
stetiger Vermeidung von Gefühls- und Bedürfnisäußerungen � Pat. hat<br />
keine Problemlösestrategien in Konfliktsituationen kennen gelernt und ist<br />
für ihre Denk- & Verhaltensmuster (z.B. „Ich muss es anderen immer<br />
recht machen, um gemocht zu werden.“) stets positiv verstärkt worden.<br />
Der Fokus auf Figur und Gewicht in Familie und Sport (Leistungsturnen)<br />
führten zu einem nicht erreichbaren Schlankheitsideal.<br />
� …<br />
23
Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />
Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />
Therapiephasen – zu 4: Vereinbarung von Zielen<br />
Genaue Beschreibung des SOLL-Zustandes:<br />
Ziel- und Wertklärung<br />
Rucksackmetapher<br />
Gute Fee<br />
3-Jahres-Frage in die Zukunft<br />
Lottogewinn<br />
u. a.<br />
Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />
Therapiephasen – zu 4: Vereinbarung von Zielen<br />
Fallbeispiel Pat. mit sozialer Phobie<br />
Die Pat. selbst strebt einen besseren Umgang mit<br />
ihrer Angst und Unsicherheit an und will ihr<br />
Vertrauen in sich selbst und andere stärken.<br />
Folgende Therapieziele wurden abgeleitet:<br />
1. Aufbau von Psychogeneseverständnis<br />
2. Abbau des Vermeidungsverhaltens und Stärkung der<br />
Selbstmanagementfähigkeit<br />
3. Aufbau einer realistischeren und positiveren Selbstwahrnehmung<br />
und Modifikation dysfunktionaler Gedanken und Schemata<br />
4. Rückfallprophylaxe<br />
Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />
Therapiephasen – zu 5: Methodeneinsatz<br />
Fallbeispiel Pat. mit sozialer Phobie<br />
� Identifikation relevanter sozialphobischer bzw. dysfunktionaler<br />
Gedanken und Infragestellen dieser Gedanken mit Hilfe von<br />
Disputationsstrategien, Sokratischem Dialog und<br />
Verhaltensexperimenten<br />
� Erarbeitung situationsangemessener hilfreicher Gedanken und<br />
Stabilisierung der günstigen Selbstverbalisationen (Üben in der<br />
Vorstellung und in der Realität)<br />
� Rekapitulation des Erreichten bzw. der positiven Veränderungen<br />
� Erarbeitung von Risikosituationen und Zusammenfassung der<br />
hilfreichsten Maßnahmen<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />
Therapiephasen – zu 4: Vereinbarung von Zielen<br />
Ungenaue Zielformulierung<br />
� Essen Sie lieber Obst statt Süßigkeiten<br />
� Sehr unkonkret, gibt es Lieblingsobstsorten?<br />
� Halten Sie Ihr Bein während des Tages meistens hoch<br />
� Was heißt „hoch“ und „meistens“?<br />
� Nehmen Sie häufig Bäder<br />
� Heißt dies ein- oder viermal am Tag?<br />
� Nehmen Sie diese Tabletten nur, wenn Sie die Schmerzen<br />
nicht mehr aushalten können<br />
� Was heißt nicht aushalten können? Wie lange soll der Patient warten?<br />
Wenn er die Tablette nimmt, ist er dann eine schwache Person?<br />
Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />
Therapiephasen – zu 5: Methodeneinsatz<br />
Fallbeispiel Pat. mit sozialer Phobie<br />
� Informationsvermittlung und Erarbeitung eines individuellen<br />
Erklärungsmodells zur Entstehung und Aufrechterhaltung der<br />
Symptomatik<br />
� Durchführung erster Verhaltensexperimente zur Vertiefung des<br />
Symptomverständnisses, zum Abbau von Vermeidungsverhalten und<br />
zum Aufbau von Selbstwirksamkeitserfahrungen<br />
� Tagesstrukturierung und Aktivitätsaufbau, Förderung von<br />
Entspannung (z.B. durch Progressive Muskelrelaxation)<br />
� Ziel- und Teilzielformulierung; bewusstes Erleben kleiner Erfolge und<br />
Verhaltensänderungen; Selbstverstärkung durch positive<br />
Selbstverbalisation<br />
Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />
Therapiephasen – zu 6/7: Evaluation/Abschluss & Optimierung<br />
Evaluation<br />
� Einschätzung der Zielerreichung durch Patienten selbst<br />
� Einsatz von Testverfahren (prä & post)<br />
� Erfolg in Selbstbeobachtungsprotokollen ersichtlich?<br />
Abschluss & Optimierung<br />
� Reflexion des Therapieverlaufs hinsichtlich des Nutzens und<br />
der Fortschritte � Stabilisierung der Erfolge + Vorbereitung<br />
auf Risikosituationen<br />
� Katamnese-/ Booster-Sitzungen � Überprüfung des<br />
Therapieerfolges/ konzentrierte Wiederholung von<br />
Therapieinhalten<br />
24
Somatoforme Störungen<br />
Somatoforme Störungen<br />
Dr. phil. Holmer Graap<br />
Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung<br />
Körperliche Beschwerden im 3-Jahresverlauf<br />
3-Jahres-Inzidenz<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
Brustschmerz<br />
Erschöpfung<br />
Schwindel<br />
Kopfschmerz<br />
Ödem<br />
Rückenschmerz<br />
Atemnot<br />
Schlafstörung<br />
Bauchschmerz<br />
Kroenke & Mangelsdorff, American Journal of Medicine, 1988<br />
insgesamt<br />
organisch<br />
Somatoforme Störungen nach ICD-10<br />
Multiple Beschwerden<br />
(auch in der Anamnese)<br />
Somatisierungsstörung<br />
Undifferenzierte<br />
Somatisierungsstörung<br />
Somatoforme Autonome<br />
Funktionsstörung<br />
5<br />
Körperliche Beschwerden ohne<br />
organische Grunderkrankung<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
Umschriebene<br />
körperliche Symptomatik<br />
Schmerzstörung<br />
Sonstige Somatoforme<br />
Störung<br />
Günstige Bedingungen:<br />
- organ. Ursache<br />
-Dauer < 4 Monate<br />
- wenig Symptome (
Somatoforme Störungen<br />
Ältere Bezeichnungen, die auf eine<br />
somatoforme Störungen hinweisen…<br />
� Funktionelle Beschwerden<br />
� Psychovegetatives Syndrom<br />
� Psychovegetative Labilität<br />
� Psychosomatischer Beschwerdekomplex<br />
� Globus hystericus<br />
� Somatisierte oder larvierte Depression<br />
� Vegetative Dystonie<br />
� Nervöses Erschöpfungssyndrom<br />
� Chronisches Magen-Darm-Syndrom<br />
Häufig im somatischen Kontext vergeben<br />
7 © <strong>2012</strong> H. Graap<br />
8<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
Somatoforme Störungen<br />
>= 2 Jahre<br />
6 von 14 Symptomen<br />
aus >= 2 Bereichen<br />
Weigerung, die<br />
nichtorganische<br />
Genese zu<br />
akzeptieren.<br />
Beeinträchtigung<br />
familiärer und sozialer<br />
Funktionen<br />
Somatisierungsstörung<br />
Somatoforme Autonome Funktionsstörung<br />
Gastrointestinale Symptome<br />
Kardiovaskuläre Symptome<br />
Respiratorische Symptome<br />
Urogenitale Symptome<br />
Haut-, Schmerz- und<br />
neurologische Symptome<br />
>= 3 vegetative<br />
Symptome<br />
Deutung als<br />
Krankheit und<br />
Zuordnung zu<br />
einem<br />
Organsystem<br />
durch Patient<br />
Ausschluss<br />
organischer<br />
Erkrankungen<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Somatisierungsstörung (ICD-10 F45.0)<br />
A Mindestens seit 2 J. Klagen über multiple Beschwerden, die nicht<br />
(ausreichend) auf organische Ursachen rückführbar sind.<br />
B Symptome führen zu andauerndem Leiden sowie mehrfachen<br />
Arzt-Konsultationen oder Zusatzuntersuchungen.<br />
C Medizinische Feststellung, dass Symptome keine ausreichende<br />
körperliche Ursache haben, wird nicht (anhaltend) akzeptiert.<br />
D Mindestens 6 Symptome aus mind. 2 Gruppen.<br />
E Nicht ausschließlich während Schizophrenie,<br />
affektiver Störung oder Panikstörung.<br />
9 © <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
10<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
Klinische Differentialdiagnose somatoformer<br />
Störungen (nach Henningsen & Rudolf, 1998)<br />
1. Schritt<br />
Abgrenzung von primär<br />
körperlichen Störungen<br />
2. Schritt<br />
Abgrenzung von anderen<br />
psychischen Störungen<br />
3. Schritt<br />
Differenzierung der<br />
somatoformen Störungen<br />
11<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
• Primär körperliche Erkrankung<br />
• Primär körperliche Erkrankung mit<br />
psychosomatischen Faktoren (F54)<br />
• Depressive Störungen<br />
• Angststörungen<br />
• Psychotische Störungen<br />
• Artifizielle Störungen<br />
• Somatisierungsstörung<br />
• Undifferenzierte somatoforme Störung<br />
• Somatoforme autonome Funktionsstörung<br />
• Hypochondrie, Körperdysmorphe Störung<br />
• Somatoforme Schmerzstörung<br />
• Konversionsstörung<br />
• Neurasthenie<br />
Hypochondrische Störung (ICD-10 F45.2)<br />
1. Anhaltende Überzeugung/Angst an wenigstens einer<br />
ernsthaften körperlichen Krankheit zu leiden/zu erkranken<br />
� über mindestens 6 Monate<br />
� Befürchtete Krankheit wird als Ursache für vorhandene Symptome<br />
betrachtet<br />
2. Hartnäckige Weigerung, die medizinische Feststellung zu<br />
akzeptieren, dass keine ausreichende körperliche Ursache<br />
vorliegt (Akzeptanz höchstens kurzfristig).<br />
3. Die Überzeugung bzw. Symptome verursachen Leiden,<br />
Störung des alltäglichen Lebens und veranlasst die<br />
Betroffenen, medizinische Behandlung aufzusuchen.<br />
Differenzialdiagnose<br />
Abgrenzung von anderen Störungen<br />
Depression<br />
Angststörung<br />
Psychose<br />
12<br />
Affektive Symptome,<br />
antriebslos, suizidal<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
klagsam,<br />
passive Haltung,<br />
resigniert,<br />
demoralisiert<br />
Angstgefühle, Angst-<br />
Körperliche Symptome,<br />
attacken, soziale Ängste,<br />
Angst, mit dem Körper<br />
ängstliche Anspannung,<br />
stimme etwas nicht<br />
situationsspezifische Ängste<br />
Wahnideen, Hallunzinationen,<br />
Denkstörungen, extrem<br />
verflachter o. inadäquater<br />
Affekt<br />
beunruhigende Körpersensationen,<br />
Todesängste<br />
SFS<br />
SFS<br />
SFS<br />
26
Somatoforme Störungen<br />
Differentialdiagnose Artifizielle Störung<br />
� F 68.1: artifizielle Störung (absichtliches Vortäuschen<br />
oder Erzeugen von körperl. o. psych. Symptomen oder<br />
Behinderungen)<br />
� Synonym: Münchhausen-Syndrom<br />
� Fehlen einer gesicherten körperlichen oder anderen psychischen<br />
Störung<br />
� Verletzungen, Injektionen<br />
� Viele Untersuchungen oder Operationen<br />
� Motivation häufig unklar, häufig schwer traumatisierte Pat.<br />
� Störung der Beziehung zum eigenen Körper, im Umgang mit<br />
Krankenrolle<br />
� DD: Simulation: äußere Gründe oder offensichtliche<br />
Belastungssituationen (Rente, Bundeswehr o.ä.)<br />
Epidemiologie II<br />
� Prävalenz in der Spezialversorgung (Reid et al., 2001)<br />
� Dermatologie: 1 von 62 (Reid et al., 2001)<br />
38% (Stangier et al., 1996)<br />
� Neurologie: 20 von 40 (Reid et al., 2001)<br />
35%* (Fink et al., 2004)<br />
� Gastroenterologie: 32 von 59 (Reid et al., 2001)<br />
� *Neurologie:<br />
� 42% der Patienten richtig diagnostiziert<br />
� 1,5% davon an Psychiater oder Psychologen verwiesen<br />
� Komorbid häufig Depression, Angst und PS<br />
� Depression: ca. 50% (Leiknes et al., 2008)<br />
� Angststörung: 20-50%<br />
� Persönlichkeitsstör.: bis zu 60% (SS), v.a. selbstunsicher<br />
Folgen intensiver Krankheitsängste<br />
� Hypochondrie (Vollbild) ist zwar in der Allgemeinbevölkerung<br />
selten, jedoch:<br />
� Intensive, anhaltende Krankheitsängste sind häufig<br />
� In der Allgemeinbevölkerung 2 – 6%<br />
� In medizinischen Versorgungseinrichtungen noch häufiger<br />
� Häufung auch bei chronischem Schmerz<br />
� Bereits unterschwellige Ausprägungen der Hypochondrie/<br />
anhaltende Krankheitsängste sind klinisch relevant<br />
� Erhebliche Beeinträchtigungen<br />
� Erhöhtes Inanspruchnahmeverhalten<br />
� Beeinflusst Prognose<br />
17<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Epidemiologie somatoformer Störungen<br />
� Prävalenz in Allgemeinbevölkerung<br />
� Alle somatoformen Störungen:<br />
7,5% (Punktprävalenz);<br />
12,9% (Lebenszeitprävalenz)<br />
� Somatisierungsstörung: 6-fache,<br />
� für ambulante Behandlung > 14-fache Kosten<br />
(Smith et al., 1986)<br />
� Ausgeprägte Tendenz zur Chronifizierung<br />
� Mittlere Erkrankungsdauer z.B. über 20 Jahre (Nanke & Rief,<br />
2000) und 30 Jahre (Smith et al., 1986)<br />
� Chronifizierung der Beschwerden geht einher mit Risiko<br />
iatrogener Schäden und Beeinträchtigungen (LQ, AU)<br />
16<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
Ätiologie: Prädisposition und<br />
Aufrechterhaltung<br />
27
Somatoforme Störungen<br />
Historische Konzepte der Hysterie<br />
� Altertum: Ausdruck eines Gebärmutterleidens<br />
19<br />
� Eine im Körper umher wandernde Gebärmutter (Hippokrates)<br />
� Verbindung zu sexuellen Konflikten, Abstinenz, Kinderlosigkeit<br />
� Mittelalter: Ausdruck von Besessenheit (Hexen/ von bösen<br />
Geistern heim gesucht)<br />
� Neuzeit (17Jh.): Ausdruck einer neurologischen Störung<br />
(Nervenleiden)<br />
� Psychoanalyse (Ende 19Jh.): Ausdruck einer Konversion<br />
� Fall: Anna O. (1894)<br />
� Umsetzung eines Affektbetrages in motorische Innervation bei<br />
gleichzeitiger Verdrängung der konflikthaften Vorstellungsinhalte<br />
� Paul Briquet („Briquet-Syndrom): deskriptive Beschreibung von<br />
Symptomen => Vorläufer somatoforme Störungen DSM-IV<br />
� 20 Jh. Charcot: Konversionssyndrom; P. Janet: dissoziat. Stör.<br />
…<br />
� Attributionen<br />
� Sorgenneigung<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
� Gedächtnisprozesse<br />
� Erwartungseffekte<br />
� Subjektive Krankheitstheorien<br />
� …<br />
� …<br />
Aufrechterhaltung 1: Biologische Merkmale<br />
� Beteiligung physiologischer Prozesse bei somatoformen<br />
Beschwerden naheliegend, jedoch Nachweis bisher<br />
unzureichend und Spezifität für bestimmte Störungsbilder<br />
unklar<br />
� Erhöhte psychophysiologische Erregung<br />
Herzrate (Rief et al., 1998)<br />
Atmungsmuster (Han et al., 1998)<br />
Muskelanspannung (Flor et al., 1985;1991)<br />
� Psychoneuroendokrinologische und<br />
-immunologische Auffälligkeiten<br />
� z.B. veränderter Kortisolspiegel (Rief et al. 1998)<br />
23<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
Aktuelle Modelle<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
� Klassisches psychodynamisches Modell<br />
� (unverarbeitete intrapsychische Affektspannungen aufgrund eines<br />
dahinterliegenden unbewussten Konfliktes)<br />
� „Verdienst“: Zugang zu psychotherapeutischen Behandlungsstrategien<br />
� Nachteil: teils unbestätigt, erschwert Arzt-Pat.-Beziehung<br />
(Invalidierung)<br />
� Interpersonelles Modell (Henningsen, 1998)<br />
� Körperbeziehungsstörung aufgrund maladaptiver Erfahrungen in früher<br />
Entwicklung/Bindungsstörung (Vernachlässigung, Krankheit etc) =><br />
Differenzierung körperlich-emotional gestört, fehlende<br />
Selbstberuhigung, fehlendes/inadäquates Hilfesuchverhalten etc.<br />
Diskrepanz subjektive Erklärung – „gesund“ aus Sicht der Mediziner<br />
=> nicht ernst genommen => Verdeutlichungstendenz<br />
� Somatosensorische Verstärkung (siehe unten)<br />
Ätiologie: Risikobedingungen<br />
22<br />
Neurobiologie<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
� fMRT-Studien: Trauer und sozialer Ausschluss<br />
aktivieren ähnliche/identische Hirnareale, die bei<br />
Schmerz aktiv sind (Insula, ACC, Amygdala etc.)<br />
=> „sozialer Schmerz“ (Eisenberger et al., 2003; Stoeter et al., 2007;<br />
Gündel et al., 2003; O‘Connor et al., 2007)<br />
� Vernachlässigung/sexueller Missbrauch o.ä. =><br />
Veränderung der Emotionsregulation auf<br />
zentralnervöser Ebene => erhöhte Stress- und<br />
Schmerzvulnerabilität (Anda et al., 2006; Sack et al., 2007)<br />
28
Somatoforme Störungen<br />
25<br />
…aber!<br />
„Es gibt keine direkte Beziehung<br />
zwischen körperlicher Pathologie<br />
und der Intensität von Schmerzen“<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
Turk (1993)<br />
� Pat. mit somatoformen Störungen attribuieren nicht<br />
grundsätzlich somatisch, oftmals bio-psycho-sozial<br />
(Groben und Hausteiner, 2011)<br />
� Unzufriedenheit mit dem Gesundheitssystem<br />
deutlich höher => werden psychosoziale Aspekte<br />
vom Arzt überhört ? (Salmon et al., 2004)<br />
� Setting wichtig! (ruhiger Raum, Verständnis,<br />
Akzeptanz=> Pat. berichten psychosoziale<br />
Faktoren) (Risor, 2009)<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Aufrechterhaltung 2: Kognitive Merkmale<br />
� Somatisches/ organmedizinisches Krankheitsmodell<br />
27 © <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
28<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
Aufrechterhaltung 3: „Krankheitsverhalten“<br />
29<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
(Pilowsky 1997)<br />
� Drängen der Patienten auf medizinische<br />
Untersuchungen und „Doctor shopping“<br />
� Suche nach Rückversicherung über Gutartigkeit der<br />
Beschwerden<br />
� Inadäquate Einnahme/ Missbrauch von Medikamenten<br />
� Schonverhalten, Vermeidung körperlicher Belastung<br />
� Checking von Körperteilen<br />
� Individuelle sehr unterschiedlich, je nach „Bedürfnis“, auch<br />
subtile Formen<br />
� Verstärkerlernen begünstigt KV (Schmerzabnahme, Trost)<br />
� Modelllernen (Eltern SS => Fehltage der Kinder)<br />
(Livingston et al., 1995)<br />
� Katastrophisierende Bewertungen von Körperempfindungen,<br />
v.a. in Krisensituationen => „Normalisieren“ wieder lernen<br />
(Sensky et al. 1996)<br />
� Eingeengtes Verständnis von „Gesundheit“<br />
(„Gesundheit = keine körperlichen Missempfindungen“)<br />
� Selektive Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf Körperprozesse<br />
→ Wahrnehmung zahlreicher, normalerweise unbedeutender<br />
Körperempfindungen<br />
� Globales Selbstkonzept als “schwach”, “nicht belastbar”,<br />
geringe subjektive Stresstoleranz<br />
26<br />
Somatosensory<br />
Amplification<br />
30<br />
Aufmerksamkeits-<br />
Fokussierung<br />
Verstärkte<br />
Wahrnehmung<br />
Fehlbewertung<br />
von<br />
Empfindungen<br />
Barsky und Kollegen (1990)<br />
Wirkmechanismus: Operante Konditionierung<br />
(nach Fordyce 1976)<br />
� Krankheitsverhalten wird häufiger gezeigt, wenn es<br />
(kontingent) verstärkt wird<br />
� Beeinflusst Chronifizierung<br />
� Beispiele:<br />
� Humpeln, Stöhnen → Mitgefühl/ Trost (positive<br />
Verstärkung)<br />
� Schmerzmitteleinnahme/ Einstellung körperlicher Aktivität<br />
→ relative Beschwerdereduktion (negative Verstärkung)<br />
� Mangel positiver Verstärkung für „Gesundheitsverhalten“<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
29
Somatoforme Störungen<br />
Pathogenese somatoformer Störungen<br />
Mögliche Auslösebedingungen<br />
� Minimale organische Dysfunktionen (z.B. Darmträgheit,<br />
Erkältung)<br />
� Harmlose Schwellungen/Hautunregelmäßigkeiten<br />
� Autonome oder hormonell bedingte Erregung<br />
� Muskelverspannungen<br />
� Hyperventilation<br />
� Inaktivität (z.B. „Muskelkater“, Herzklopfen)<br />
� Schlechter Schlaf Physiologische Folgen von Speisen und<br />
Getränken<br />
� Nebenwirkungen von Medikamenten<br />
31 © <strong>2012</strong> H. Graap<br />
32Rief<br />
& Hiller, 1998 © <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
Behandlung im medizinischen<br />
Versorgungssystem<br />
Medizinische Diagnostik und<br />
Behandlungsplanung<br />
� Sinnvoll begrenzte Phase der organmedizinischen<br />
Ausschlussdiagnostik<br />
� Danach vorsichtiger Umgang mit diagnostischen Maßnahmen<br />
� Gefahr der Fixierung auf organmedizinische Ursachen bei<br />
Patienten<br />
� Keine Wiederholungen und Eingriffe trotz Klagsamkeit des<br />
Patienten<br />
� Transparenz der Behandlungsschritte<br />
� Koordination der Maßnahmen durch einen behandelnden Arzt<br />
(besonders bei Patienten mit multiplen Beschwerden)<br />
35<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Psychophysiologisches Erklärungsmodell der<br />
somatoformen Störungen.<br />
Körperliche Veränderungen<br />
Körperreaktionen, Missempfindungen, Symptome<br />
Krankheitsverhalten<br />
• Checking<br />
• Gesundheitssorgen<br />
• Doktor-Hopping<br />
• Medikamenteneinnahme<br />
• Schonverhalten<br />
34<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
Auslöser/Trigger<br />
z.B. physiologische Erregung, Krankheit<br />
Symptomverstärkung<br />
• Erhöhte Aufmerksamkeit<br />
auf eigenen Körper<br />
• Physiologische Erregung<br />
Intervention „Stepped Care“<br />
(nach Rief & Nanke 2004)<br />
36<br />
Patient mit<br />
Beschwerden<br />
Hausarzt , FA<br />
Primärversorgung<br />
Psychotherapie<br />
Stationäre Therapie<br />
<strong>Psychosomatik</strong><br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
Wahrnehmung<br />
Fehlinterpretation<br />
als bedrohliche<br />
Krankheitszeichen<br />
Vermittlung von Untersuchungsergebnissen<br />
(Rief, Martin, Rauh et al. 2006 Psychosomatics)<br />
� Frühzeitiges Ansprechen, dass die Ursache für die<br />
Beschwerden keine schwere organische Erkrankung ist.<br />
� Besprechung der vorliegenden Untersuchungsbefunde (auch<br />
bei unauffälligen Befunden!)<br />
� Verzicht auf ‚Bagatelldiagnosen‘, die ein organmedizinisches<br />
Konzept der Patienten verstärken würden.<br />
� Kein organisches Korrelat bedeutet zunächst, dass keine<br />
schnelle kausale Therapie möglich ist, d.h. dass langfristige<br />
Bewältigungsstrategien wichtig sind<br />
� Durch Rückfragen an den Patienten lassen sich<br />
Informationsverzerrungen erkennen.<br />
30
Somatoforme Störungen<br />
Beratungsmodell zur Reattribution körperlicher<br />
Symptome (Goldberg et al. 1989)<br />
37<br />
1. Phase “sich verstanden fühlen”<br />
Verständnis vermitteln, Vertrauen gewinnen<br />
2. Phase “das Thema Verändern”<br />
Untersuchungsbefunde, Anerkennung der Beschwerden,<br />
Hinführung an mögliche Auslösebedingungen<br />
3. Phase “die Verbindung herstellen”<br />
psychophysiologisches Bedingungsmodell<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
Kognitive Verhaltenstherapie<br />
Zieldefinition auf verschiedenen Ebenen<br />
41<br />
Arbeit<br />
- Wieder arbeiten gehen können<br />
- Weniger Krankheitstage haben<br />
- Monotone Sit. am A-Platz<br />
ändern<br />
„Ich möchte gesund sein“<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
Symptome<br />
- Mit Beschwerden besser<br />
zurecht kommen<br />
- Weniger Arztbesuche<br />
machen müssen<br />
- Sorgen um Körper seltener<br />
haben<br />
- Körper weniger beobachten<br />
müssen<br />
- Weniger Medikamente<br />
Privatleben<br />
- Zufriedener leben<br />
- Mich mit Freunden<br />
treffen<br />
- Mit Kindern was<br />
unternehmen<br />
- Mit Frau Tanzkurs<br />
machen<br />
Motivation zur Psychotherapie<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
� Dem Patienten signalisieren, dass „gemeinsame<br />
Weiterbehandlung“ sinnvoll ist (und nicht an „Abschieben“<br />
gedacht ist)<br />
� Information über Ziele und Methoden von Psychotherapie<br />
� Verbindung herstellen zwischen psychosozialen<br />
Einflussfaktoren und körperlichen Beschwerden<br />
� 80% der Pat., denen positive Möglichkeiten eines psycholog.<br />
Konsiliardienstes erläutert wurden nahmen dieses Angebot<br />
auch an (Speckens et al., 1995)<br />
38<br />
40<br />
� Annahme, die Pat. würden sich verweigern!<br />
Therapieziel<br />
42<br />
„Coping not Curing“<br />
The symptom-free existence may not<br />
be a realistic therapeutic goal, but to<br />
help the patient to cope better with<br />
complaints and disability.<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
Ziele einer psychotherapeutischen<br />
Kurzintervention<br />
� Aufbau von Veränderungserwartung und gemeinsame<br />
Zielvereinbarung<br />
� Veränderung eines zu organisch geprägten Krankheitsmodells<br />
und katastrophisierender Bewertungen<br />
� Psychoedukation<br />
� Demonstration der Einflüsse von Stress, Emotionen,<br />
Aufmerksamkeitsfokussierung<br />
� Adäquates Verständnis von „Gesund sein“<br />
� Entwicklung eigener Bewältigungsstrategien, z.B.:<br />
� Erlernen einer Entspannungstechnik<br />
� Ablenkung<br />
� Stressreduktion<br />
� Problemlösestrategien<br />
� Körperliche Aktivierung<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
31
Somatoforme Störungen<br />
Psychoedukation<br />
� Vermittlung von Informationen zum Störungsbild sowie zur<br />
Entstehung und Aufrechtherhaltung (Vortrag, Demonstration,<br />
kurze Übungen, Diskussion)<br />
� Gruppenprogramm: „Coping with Health Anxiety“ (Bouman<br />
2002):<br />
sechs 2-stündige Sitzungen zu den Themen:<br />
1. Das Störungsbild der Hypochondrie<br />
2. Die Rolle der Gedanken (v.a. katastrophisierenden Fehlinterpretationen)<br />
3. Aufmerksamkeit und Krankheitsangst<br />
4. Sicherheitsverhalten und Krankheitsangst<br />
5. Stress und körperliche Beschwerden<br />
6. Der „eigene Teufelskreis“ zu den individuellen Bedingungsfaktoren<br />
43<br />
45<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
Verhaltensebene: Umgang mit inadäquatem<br />
Schonverhalten<br />
� Veränderungen seit Beschwerdebeginn erfragen<br />
� Welche Aktivitäten werden aufgrund der Beschwerden nicht mehr/<br />
seltener wahrgenommen?<br />
� Vor- und Nachteile von Schonverhalten aufzeigen<br />
� Verständnis zeigen für die kurzfristig wohltuende Wirkung von<br />
Schonverhalten<br />
� Ungünstige Langzeitfolgen bei chronischen Beschwerden<br />
herausarbeiten<br />
� Motivation des Patienten zu körperlicher Bewegung<br />
� Gemeinsames Planen eines realistischen gestuften<br />
Aktivierungsplans<br />
� Vorbereiten auf mögliche Symptomintensivierung zu Beginn<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
Evaluation (Review Henningsen et al. 2007; LANCET)<br />
� Positive Wirkung belegt für<br />
47<br />
� Psychotherapie (v. a. kognitive Verhaltenstherapie); ES 0,3 bis 0,6<br />
� Übungsprogramme (gestufte Aktivität)<br />
� Antidepressiva<br />
� Therapieziel/-evaluation<br />
� Fokussierung auf Alltagsfunktion und Lebensqualität<br />
anstelle von Symptomreduktion<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Infoblatt: Wirkung von Schonverhalten<br />
44<br />
46<br />
Häufigere körperliche<br />
Missempfindungen<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
Reduktion der<br />
körperlichen Belastbarkeit<br />
Bewertung als krank<br />
Erhöhung des Schon- und<br />
Vermeidungsverhaltens<br />
Ziele einer integrativen Intensivbehandlung<br />
� Integration organmedizinischer und psychotherapeutischer<br />
Ansätze. Notwendige medizinische Diagnostik zu Beginn, im<br />
Verlauf Schwerpunkt auf Psychotherapie<br />
� Symptomspezifische Psychotherapie (s. Kurzintervention)<br />
� Problemspezifische Psychotherapie<br />
� z.B. Klärung familiärer Konflikte, Trauma-Bearbeitung<br />
� Behandlung von komorbiden Krankheiten (z.B. Depression)<br />
� Aufbau adäquater Belastbarkeit<br />
� z.B. allgemeine Aktivitäten, soziale Kontakte, berufliche<br />
Belastungserprobung<br />
� Aufbau eines positiven Körperempfindens<br />
� z.B. bewegungstherapeutische Maßnahmen<br />
Evaluation: Symptomreduktion in Abhängigkeit von<br />
der Offenheit für Psychotherapie (Rief et al. 2002)<br />
48<br />
SOMS-7 Symptomanzahl<br />
22<br />
20<br />
18<br />
16<br />
14<br />
Aufnahme 1-Jahres-Katamnese<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
GLM:<br />
Time F 1, 159 = 11.8; p
Somatoforme Störungen<br />
Evaluation: Vergleich der prä- und<br />
poststationären Kosten (Hiller et al. 2003)<br />
� Stichprobe: High Utilizer (> 7.500 DM in 2 Jahren; = oberstes<br />
Drittel)<br />
� Intervention: Stationäre psychosomatische Psychotherapie<br />
� Reduktion der ambulanten Behandlungskosten um 37% (von<br />
5.677,-- auf 3.551,--DM)<br />
� Reduktion der stationären Behandlungskosten um 39% (von<br />
17.345,-- auf 10.521,--DM)<br />
� Reduktion der AU-Zeiten um 41 %<br />
� Egalisierung der Index-Behandlungskosten unter<br />
Berücksichtigung der AU-Tage (à 250 DM): 9 Monate<br />
� Anm.: Noch keine Inflationsrate berücksichtigt<br />
49<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Herausforderungen in der Behandlung bei<br />
somatoformen Störungen<br />
� Herstellung einer therapeutischen Beziehung<br />
� Koordination zwischen verschiedenen Behandlern<br />
� Hinführen auf psychosomatisches Krankheitsverständnis<br />
� Übereinstimmende Zielvorstellungen<br />
� Aufbau von Veränderungsmotivation<br />
(Beachte: Gratifikation für Krankheitsverhalten)<br />
50<br />
33
Persönlichkeitsstörungen<br />
<strong>Psychosomatik</strong><br />
Persönlichkeitsstörungen<br />
Dr. Dipl.-Psych. Andrea Silbermann<br />
WiSe <strong>2012</strong>/2013<br />
PERSÖNLICHKEIT<br />
� Ergebnis einer einzigartigen Geschichte von<br />
Wechselwirkungen zwischen konstitutionellen<br />
(genetische Ausstattung) und biographischen<br />
Faktoren (Beziehungs- und Lerngeschichte).<br />
� “NATURE AND NURTURE”<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
ICD-10 Klassifikation<br />
� Das abnorme Verhaltensmuster ist andauernd<br />
und nicht auf Episoden psychischer Krankheit<br />
begrenzt.<br />
� Das abnorme Verhaltensmuster ist tiefgreifend<br />
und in vielen persönlichen und sozialen<br />
Situationen eindeutig unpassend.<br />
� Die Störungen beginnen immer in der Kindheit<br />
oder Jugend und manifestieren sich auf Dauer<br />
im Erwachsenenalter.<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
PERSÖNLICHKEIT<br />
� Summe aller psychischen Eigenschaften und<br />
Verhaltensbereitschaften, die dem einzelnen<br />
seine eigene, unverwechselbare Individualität<br />
verleihen.<br />
� Die dauerhaften Eigenschaften eines Menschen<br />
� Betrifft Wahrnehmen, Denken, Fühlen,<br />
interpersonelle Beziehungsgestaltung.<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG<br />
ICD-10 Klassifikation, F 60.--<br />
� Nur dann, wenn Persönlichkeitszüge unflexibel und<br />
unangepasst sind und zu<br />
� wesentlichen Funktionsbeeinträchtigungen (z.B. sozial,<br />
Scheitern bei den alltäglichen Aufgaben des Lebens) oder<br />
� zu subjektivem Leid führen, manchmal erst im späteren<br />
Verlauf und oft nur durch Probleme, die mit anderen<br />
Menschen entstehen (ich-synton). („Persönlichkeitsstörungen<br />
sind Beziehungsstörungen“).<br />
� Patienten mit Persönlichkeitsstörungen kommen meist mit<br />
anderen Diagnosen, sich bewussten Problemen in die<br />
Behandlung (z.B. Ängste, Depression, „Burnout“, Mobbing,…)<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
ICD-10 Klassifikation<br />
� Man benötigt VIEL Information<br />
Biographische Anamnese, Fremdanamnese,<br />
Verhaltensbeobachtung,<br />
International Personality Disorder Examination (IPDE,<br />
Loranger et al., 1996)<br />
SKID-II<br />
IDCL<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
34
Persönlichkeitsstörungen<br />
DSM-IV<br />
Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders<br />
Einteilung der 10 Persönlichkeitsstörungen in 3 Cluster<br />
� Cluster A = sonderbar, exzentrisch<br />
� Cluster B = emotional instabil, launisch,<br />
dramatisch<br />
� Cluster C = ängstlich, furchtsam, asthenisch<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
CLUSTER B (DSM IV)<br />
- deskriptive Ähnlichkeiten -<br />
Emotional instabil, launisch, dramatisch<br />
� Narzisstisch<br />
� Selbstbezogenheit, mangelnde Empathie, Egoismus<br />
� Histrionisch<br />
� Abhängigkeit von äußerer Aufmerksamkeit, oberflächlicher<br />
Gefühlsausdruck, Suggestibilität<br />
� Borderline<br />
� Störung der Affektregulation, mangelhafte Impulskontrolle,<br />
Identitätsstörung, Dissoziation<br />
� Antisozial, dissozial<br />
� Delinquentes, deviantes Verhalten, fehlendes<br />
Schuldbewusstsein, geringe Frustrationstoleranz<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Die narzisstische PS<br />
mindestens 5 der folgenden Kriterien<br />
� Grandioses Gefühl der eigenen Wichtigkeit<br />
� Stark eingenommen von Phantasien grenzenlosen Erfolgs,<br />
Macht, idealer Liebe<br />
� Glaubt von sich, besonders und einzigartig zu sein und nur<br />
mit besonderen Personen verkehren zu können<br />
� Verlangt nach übermäßiger Bewunderung<br />
� Anspruchsdenken<br />
� Ausbeuterisch in Beziehungen<br />
� Mangel an gezeigter Empathie<br />
� Probleme mit Neid<br />
� Arrogante, überhebliche Verhaltendweisen<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
CLUSTER A (DSM IV)<br />
- deskriptive Ähnlichkeiten -<br />
sonderbar, exzentrisch<br />
� Paranoid<br />
� gekennzeichnet durch Misstrauen (bis hin zur häufigen Annahme von<br />
Verschwörungen, um Ereignisse zu erklären), Streitsucht, dauernden<br />
Groll und starke Selbstbezogenheit. Handlungen oder Äußerungen<br />
anderer Personen werden häufig als feindlich missgedeutet<br />
� Schizoid<br />
� gekennzeichnet durch einen Rückzug von affektiven, sozialen und<br />
anderen Kontakten mit übermäßiger Vorliebe für Phantasie,<br />
einzelgängerisches Verhalten und in sich gekehrte Zurückhaltung;<br />
es besteht nur ein begrenztes Vermögen, Gefühle auszudrücken und<br />
Freude zu erleben<br />
� Schizotypisch<br />
� “Verdünnungsform” schizophrener Erkrankungen<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Die narzisstische Persönlichkeitsstörung<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Narzisstische Persönlichkeitsstörung<br />
� Interaktionelle Ziele � Bevorzugte Images<br />
� Leisten, Erfolg haben<br />
� Ich bin toll, großartig<br />
� Lob, Anerkennung bekommen � Ich habe keine Probleme, alles<br />
� Erfolgs-, Statussymbole<br />
im Griff<br />
�<br />
�<br />
Regeln bestimmen<br />
VIP-Status erlangen<br />
�<br />
�<br />
Ich stehe über allem, bin<br />
souverän<br />
Ich kenne mich aus, blicke<br />
� Abwertung, Kritik vermeiden<br />
durch<br />
�<br />
�<br />
Kontrollverlust vermeiden<br />
Abhängigkeit vermeiden � Bevorzugte Appelle<br />
� Bewundere, akzeptiere,<br />
respektiere, bestätige mich<br />
� Stell mich nicht in Frage<br />
� Akzeptiere mein Territorium<br />
� Gib mir Sonderrechte<br />
� Folge meinen Regeln<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
35
Persönlichkeitsstörungen<br />
Die narzisstische PS<br />
� Sich ärgern über die „Mittelmäßigkeit“ anderer<br />
� Viel von sich und anderen erwarten<br />
� Kritik von anderen abtun oder nicht nachvollziehen können<br />
� Sich bei Misserfolgen wie der absolute Versager ohne<br />
Existenzberechtigung fühlen<br />
� Bei Erfolgen typischerweise denken, alles erreichen zu können<br />
� Bei Enttäuschung alles riskieren, ohne Rücksicht auf<br />
Verluste<br />
� Das Gefühl haben, eigentlich niemandem trauen zu können<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Die histrionische Persönlichkeitsstörung<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Histrionische Persönlichkeitsstörung<br />
� Interaktionelle Ziele<br />
� Erlange Aufmerksamkeit um<br />
jeden Preis<br />
� Sei die Wichtigste, fordere dies<br />
vom Partner<br />
� Gib anderen die<br />
Verantwortung<br />
Kosten der Histrioniker:<br />
� Beziehungspartner fühlen sich<br />
langfristig ausgebeutet, eingespannt,<br />
manipuliert, werden ärgerlich<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
� Bevorzugte Images<br />
� Ich bin attraktiv, sexy, eine<br />
begehrenswerte Frau.<br />
� Ich gehe auf deine Bedürfnisse<br />
ein<br />
� Ich bin arm dran,<br />
hilfsbedürftig, brauche<br />
Fürsorge, kann mir nicht<br />
alleine helfen<br />
� Bevorzugte Appelle<br />
� Nimm mich wahr, begehre<br />
mich, gib mir Aufmerksamkeit<br />
� Sei für mich da!<br />
� Schone mich, lass mich nicht<br />
allein, tröste mich<br />
Die narzisstische PS<br />
Kosten der Narzissten<br />
(veranlassen in Therapie zu gehen):<br />
� kaum Zeit für Hobbys und Interessen<br />
� Patienten fühlen sich immer wieder erschöpft, müde,<br />
ausgelaugt<br />
� oft Stress / Konflikte in Beziehungen<br />
� soziale Isolation<br />
� somatische Beschwerden wie KHK<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Die histrionische PS<br />
mindestens 5 der folgenden Kriterien<br />
� Fühlt sich unwohl, wenn er/sie nicht im Mittelpunkt steht<br />
� Die Interaktion mit anderen ist durch ein unangemessenes<br />
sexuell-verführerisches oder provokantes Verhalten<br />
charakterisiert<br />
� Zeigt rasch wechselnden und oberflächlichen Gefühlsausdruck<br />
� Setzt regelmäßig seine körperliche Erscheinung ein, um die<br />
Aufmerksamkeit auf sich zu lenken<br />
� Übertriebener impressionistischer, wenig detaillierter Sprachstil<br />
� Zeigt Selbstdramatisierung, Theatralik und übertriebenen<br />
Gefühlsausdruck<br />
� Ist suggestibel, d.h. leicht beeinflussbar durch andere Personen<br />
oder Umstände<br />
� Fasst Beziehungen enger auf als sie eigentlich sind<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
CLUSTER C (DSM IV)<br />
- deskriptive Ähnlichkeiten -<br />
Ängstlich, furchtsam, asthenisch<br />
� Vermeidend-selbstunsicher<br />
� Große Angst vor Zurückweisung und Ablehnung<br />
� Dependent, abhängig<br />
� Überzeugung, das eigene Leben nicht selbständig führen<br />
zu können<br />
� Zwanghaft, anankastisch<br />
� Gewissenhaftigkeit, Perfektionismus, Inflexibilität,<br />
Normentreue<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
36
Persönlichkeitsstörungen<br />
Die selbstunsichere Persönlichkeitsstörung<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Die selbstunsichere PS<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Selbst-Schema Beziehungsschemata<br />
Ich bin nicht attraktiv.<br />
Ich bin nicht weiblich/männlich (genug).<br />
Ich kann andere nicht unterhalten.<br />
Ich bin ein Langweiler.<br />
Ich kann andere nicht für mich einnehmen,<br />
nicht beeindrucken, nicht positiv auf mich<br />
aufmerksam machen.<br />
Wenn ich auffalle, dann falle ich negativ auf.<br />
Sobald ich etwas sage, blamiere ich mich.<br />
� Bevorzugte Images<br />
� Ich bin ja so schüchtern, ich traue mich nicht.<br />
� Ich bin schwer aus meiner Höhle herauszulocken.<br />
� Tests<br />
� Finden Sie mich in Ordnung?<br />
� Finden Sie mich langweilig?<br />
� Möchtest Du mich retten und die Initiative übernehmen?<br />
Kriterien der abhängigen PS<br />
Mindestens 5 der folgenden Kriterien<br />
Ich habe anderen nichts zu bieten.<br />
Ich kann eine Frau nicht einmal<br />
unterhalten.<br />
Ich habe keine Eigenschaften, die einen<br />
Partner interessiert.<br />
Ich habe keinen Marktwert.<br />
� Hat Schwierigkeiten, alltägliche Entscheidungen zu treffen, ohne<br />
ausgiebig den Rat und die Bestätigung anderer einzuholen<br />
� Benötigt andere als Verantwortliche für wichtige Lebensbereiche<br />
� Hat Schwierigkeiten, anderen Menschen gegenüber eine eigene Meinung<br />
zu vertreten, aus Angst, Unterstützung und Zuneigung zu verlieren<br />
� Hat Schwierigkeiten, Unternehmungen selbständig zu beginnen oder<br />
Dinge unabhängig durchzuführen<br />
� Tut alles Erdenkliche, um die Versorgung und Zuwendung anderer zu<br />
erhalten bis hin zur freiwilligen Übernahme unangenehmer Tätigkeiten<br />
� Fühlt sich alleine unwohl oder hilflos aus übertriebener Angst, nicht<br />
für sich selbst sorgen zu können<br />
� Sucht dringend eine andere Beziehung als Quelle der Fürsorge und<br />
Unterstützung, wenn eine enge Beziehung endet<br />
� Ist in unrealistischer Weise von Ängsten eingenommen, verlassen zu<br />
werden und für sich selbst sorgen zu müssen<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Die selbstunsichere PS<br />
Mindestens 4 der folgenden Kriterien<br />
� Vermeidet aus Angst vor Kritik, Missbilligung und Zurückweisung<br />
berufliche Aktivitäten, die engere zwischenmenschliche Kontakte mit sich<br />
bringen<br />
� Lässt sich nur widerwillig mit Menschen ein, sofern er nicht sicher ist,<br />
gemocht zu werden<br />
� Zurückhaltung in intimen Beziehungen, aus Angst, beschämt oder<br />
lächerlich gemacht zu werden<br />
� Ist stark davon eingenommen, in sozialen Situationen kritisiert oder<br />
abgelehnt zu werden<br />
� Ist aufgrund von Gefühlen der Unzulänglichkeit in neuen<br />
zwischenmenschlichen Situationen gehemmt<br />
� Hält sich für unbeholfen, unattraktiv und anderen unterlegen<br />
� Nimmt außergewöhnlich ungern persönliche Risiken auf sich oder<br />
irgendwelche neuen Untersuchungen in Angriff, weil dies sich als<br />
beschämend erweisen könnte<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Die abhängige Persönlichkeitsstörung<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Die abhängige Persönlichkeitsstörung<br />
Selbst-Schema Beziehungsschemata<br />
Ich kann nicht alleine leben! Beziehungen sind nicht verlässlich!<br />
Beziehungen sind nicht solidarisch!<br />
Vermeide das Alleinsein und das Verlassen<br />
werden um jeden Preis!<br />
� Bevorzugte Images<br />
� Ich erfülle Dir alle Wünsche!<br />
� Ich bin unentbehrlich für Dich!<br />
� Ich bin klein, mein Herz ist rein, soll niemand drin wohnen<br />
als Du allein!<br />
� Ich bin bedürftig!<br />
� Du kannst Dich voll auf mich verlassen!<br />
� Bevorzugte Appelle<br />
� Verlass mich nicht!<br />
� Kümmere Dich um mich!<br />
� Übernimm Verantwortung für mich!<br />
� Triff Entscheidungen für mich!<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Beziehungen können jederzeit aufgekündigt<br />
werden!<br />
Beziehungen sind nicht belastbar, so dass<br />
jeder Konflikt dazu führen kann, dass diese<br />
beendet wird.<br />
37
Persönlichkeitsstörungen<br />
Die zwanghafte Persönlichkeitsstörung<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Prävalenz bei psychiatrischen Patienten/innen<br />
(WHO, 1988-90)<br />
Paranoid 2,4%<br />
Schizoid 1,8%<br />
Dissozial ♂ 3,2%<br />
Borderline 14,9%<br />
Histrionisch 4,3%<br />
Zwanghaft ♂ 3,6%<br />
Ängstlich 15,2%<br />
Dependent 4,6%<br />
Andere 6,8%<br />
Irgendeine Pers.störung 39,5%<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
kommen seltener<br />
in Therapie<br />
die häufigsten PS<br />
♂ häufiger bei Männern<br />
Problembereiche in der Therapie mit Patienten<br />
mit einer Persönlichkeitsstörung:<br />
� Patienten mit PS weisen meist keine „Änderungsmotivation“, sondern eine<br />
„Stabilisierungsmotivation“ auf: sie kommen in Therapie, um ihr System<br />
(Annahmen, Motive, Ziele, etc.) mit Hilfe des Therapeuten zu stabilisieren.<br />
� Therapeuten haben oft Schwierigkeiten, dies zu erkennen; einerseits, weil es<br />
von den Patienten nicht explizit gemacht wird, und andererseits weil die<br />
Therapeuten häufig gar nicht wissen, wie man die Motive der Patienten im<br />
Prozess analysieren kann.<br />
� Strebt der Therapeut eine Bearbeitung des stabilen Systems des Patienten<br />
an, wird er häufig vom Patienten mit Hilfe vielfältiger Strategien (häufig nicht<br />
bewusst repräsentiert) blockiert.<br />
� Kennt und versteht der Therapeut diese Strategien nicht, fühlt er sich<br />
mattgesetzt, hilflos und reagiert oft ärgerlich auf den Patienten: seine<br />
Interventionen verschlimmern dann in aller Regel noch das Problem.<br />
� Patienten thematisieren ihre Beziehungsprobleme meist nicht; der Therapeut<br />
kann sie daher oft nur schwer erkennen. Er versteht dann nicht, dass das<br />
Problem des Patienten eben nicht nur z.B. in „Panik“ besteht, sondern dass<br />
es sich um ein massives Interaktionsproblem handelt.<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Die zwanghafte PS<br />
mindestens 5 der folgenden Kriterien<br />
� Beschäftigt sich übermäßig mit Details, Regeln, Listen, Ordnung<br />
oder Plänen, sodass der wesentliche Gesichtspunkt der Aktivität verloren<br />
geht<br />
� Zeigt Perfektionismus, der Aufgabenerfüllung behindert<br />
� Verschreibt sich übermäßig der Arbeit und Produktivität unter Ausschluss<br />
von Freizeitaktivitäten und Freundschaften<br />
� Ist übermäßig gewissenhaft, skrupulös und rigide in Fragen der Moral,<br />
Ethik und Werten<br />
� Ist nicht in der Lage, verschlissene oder wertlose Dinge wegzuwerfen,<br />
selbst wenn diese keinen Gefühlswert besitzen<br />
� Delegiert nur widerwillig Aufgaben oder arbeitet nur ungern mit<br />
anderen zusammen, wenn diese nicht genau die eigene Arbeitsweise<br />
übernehmen<br />
� Ist geizig sich selbst und anderen gegenüber<br />
� Zeigt Rigidität und Sturheit<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
� Hauptproblem für den Therapeuten:<br />
� Patienten mit einer PS weisen Beziehungsprobleme auf = Kern<br />
ihrer Störung;<br />
� sie thematisieren oder bearbeiten diese Probleme meist nicht,<br />
sie „leben“ diese Probleme in der Therapie<br />
� damit wird der Therapeut (häufig ohne dass er es direkt<br />
merkt) zum Teil des Problems<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
„aus dem Bauch heraus“ � diagnostisch wichtig<br />
Welche „Interaktionsgefühle“ löst der Patient mit einer<br />
Persönlichkeitsstörung beim Team aus?<br />
� Der Paranoide: Vorsicht<br />
� Der Schizoide: keines<br />
� Der Schizotype: „komisch, strange“<br />
� Der Antisoziale: Aggression<br />
� Der Narzisstische: persönlich angegriffen (z.T. Mitleid)<br />
� Der Histrionische: genervt, gelangweilt<br />
� Der Borderliner: helfen wollen<br />
� Der Selbstunsichere: „Vertrau mir“<br />
� Der Dependente: sagen, wo`s lang geht<br />
� Der Zwanghafte: mühsam<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
38
Persönlichkeitsstörungen<br />
Warum ist therapeutische Beziehung so wichtig?<br />
(verschiedene Untersuchungen)<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Beziehungsgestaltung<br />
durch<br />
Therapeuten<br />
Andere<br />
therapeutische<br />
Interventionen<br />
starker<br />
Einfluss<br />
schwacher Einfluss<br />
Problembearbeitung<br />
durch den<br />
Patienten<br />
Therapieerfolg<br />
Was antworten „Psycho“-Professoren auf die Frage:<br />
Was ist eine Persönlichkeitsstörung?<br />
� Der Paranoide: Das ist eine Fangfrage<br />
� Der Schizoide: Damit will ich nichts zu tun haben<br />
� Der Schizotype: Die wurden von einem UFO eingeschleppt<br />
� Der Antisoziale: Was zahlen Sie für die Antwort?<br />
� Der Narzisstische: Haben Sie meine Veröffentlichungen darüber nicht<br />
gelesen?<br />
� Der Histrionische: Darüber könnte ich Ihnen einen langen, aufregenden<br />
Vortrag halten<br />
� Der Ängstlich-vermeidende: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich die 100%<br />
korrekte Definition weiß<br />
� Der Dependente: Da muss ich erst noch mal bei meinen besser<br />
spezialisierten Kollegen nachfragen.<br />
� Der Zwanghafte: Also, DSM-IV definiert sie so…, was uns allerdings weniger<br />
interessieren sollte, da bei uns das ICD-10 gilt, was die PS wiederum so<br />
definiert<br />
Symptome der Borderline<br />
Persönlichkeitsstörung (F 60.31)<br />
1. Impulsive Verhaltensweisen<br />
2. Affektive Instabilität<br />
3. Beziehungsprobleme<br />
4. Identitätsstörungen<br />
5. Dissoziative oder (pseudo)psychotische Symptome<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Therapeutische Prinzipien bei Patienten mit PS<br />
1. Komplementarität zur Motivebene<br />
� soweit im Rahmen der therapeutischen Regeln möglich und vertretbar,<br />
wesentliche Beziehungsmotive des Patienten befriedigen<br />
� schafft „Beziehungskredit“<br />
� Tests bestehen<br />
2. Explizierung und Bearbeitung der Beziehungsmotive<br />
und der Schemata<br />
� Verminderung von „Alienation“= wenig bewusster Zugang zum eigenen<br />
Bedürfnis- und Motivsystem<br />
� Konfrontation mit Aspekten des problematischen<br />
Interaktionsverhaltens � nicht komplementär verhalten!!<br />
� Biografische Arbeit<br />
� Unterscheide zwischen Therapie bei PS und<br />
Therapie der PS !!<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Borderline Persönlichkeitsstörung<br />
Fallbeispiel Frau K.<br />
� Alter: 27 Jahre<br />
� Gelernte Krankenschwester<br />
� Bulimische Symptomatik<br />
� Mehrere Essanfälle mit anschließendem Erbrechen pro Tag<br />
� Essanfälle dienen der Selbstbestrafung, Spannungsreduktion und Gewichtsregulation<br />
� Flüssigkeitszufuhr ca. 10-12 Liter pro Tag (SVV)<br />
� Extreme Gewichtsschwankungen innerhalb kurzer Zeit (Max.: 120kg, Min: 47kg – Größe 176cm)<br />
� Laxantien-, Diuretika-, Thyroxin-Abusus<br />
� Außerhalb der Essanfälle extrem restriktives Essverhalten (nur Obst und Gemüsesuppe)<br />
� Körperliche Folgen: kritische Kaliumwerte, Herz-Rhythmusstörungen, Wassereinlagerungen,<br />
Nierenfunktionsstörung<br />
� Depressive Symptomatik<br />
� Häufig wechselnde Partner, in Partnerschaften sexuelle Übergriffe<br />
� Sexueller Missbrauch und körperliche Gewalt in der Vergangenheit<br />
� Selbstverletzungen seit der Kindheit (Kopf schlagen, Schneiden)<br />
� 2 Suizidversuche mit 15 und 21 Jahren<br />
� In Jugend Drogenkonsum und Alkoholabusus<br />
� Extremer Selbsthass<br />
� Dissoziative Symptome<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
39
Persönlichkeitsstörungen<br />
1. Impulsive Verhaltensweisen<br />
� Suizidales Verhalten<br />
� Suizidphantasien<br />
� Hochrisikoverhalten<br />
� Selbstverletzung<br />
� Essanfälle<br />
� Episodischer Alkohol- Drogenmissbrauch<br />
� Medikamentenmissbrauch<br />
� Pathologisches Kaufen, Spielen<br />
� Promiskuität<br />
� Rücksichtsloses Autofahren<br />
� Instabile persönliche Beziehungen<br />
� Wutausbrüche, körperliche Auseinandersetzungen<br />
Selbstschädigende Verhaltensweisen bei 80%<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Stress und Schmerz<br />
� Stressinduzierte Analgesie = reduzierte<br />
Schmerzsensitivität<br />
� Schmerzschwelle korreliert positiv mit Dissoziation<br />
und Spannungszuständen<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Selbstverletzung - Verhalten<br />
� Verbergen, verstecken<br />
� Lange Ärmel<br />
� Vermeiden von Sport<br />
� Ausreden finden<br />
� Scham, Schuld, Versagensgefühl<br />
� Schmerzintensität reduziert<br />
� 30% spüren gar keinen Schmerz<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Selbstschädigung<br />
� Spannungsreduktion<br />
� Euphorisierung<br />
� Selbstbestrafung<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Selbstverletzung - Formen<br />
� Ritzen oder Schneiden<br />
� Kratzen<br />
� Schlagen<br />
� Ausreißen von Haaren<br />
� Beißen<br />
� Störung der Wundheilung<br />
� Kopfschlagen<br />
� Nagelbeißen<br />
� Verbrennen<br />
� Durchstechen von Körperteilen<br />
� Stechen mit Nadeln<br />
� Knochen brechen<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Selbstverletzung - Motivation<br />
� i.d. Regel nicht in suizidaler Absicht<br />
� i.d. Regel nicht um demonstrativ Aufmerksamkeit zu erregen<br />
Eine Form der Selbstfürsorge, Form der Emotionsregulation,<br />
„Überlebensstrategie“:<br />
� „sich lebendig fühlen“<br />
� „die schlechten Gedanken hören auf“<br />
� „der Druck lässt nach“<br />
� „damit ich den inneren Schmerz nicht spüre“<br />
� Dissoziative Zustände auflösen, „den Körper wieder spüren“<br />
� individuelle Funktion der Selbstverletzung ist nicht immer bewusst<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
40
Persönlichkeitsstörungen<br />
Offenes selbstverletzendes Verhalten<br />
- DD -<br />
� Artifizielle Störung<br />
� Heimliche Manipulation an Körperteilen und –funktionen<br />
� Motivation: Einnehmen der Krankenrolle<br />
� Münchhausen-Syndrom<br />
� Pseudologia phantastica (Krankengeschichte)<br />
� Wandern von Klinik zu Klinik<br />
� Münchhausen-by-proxy (-Stellvertretersyndrom)<br />
� Manipulationen bei Kindern, ausgestaltet durch die Mütter unter<br />
Täuschung der Ärzte<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
2. Störung der Affektregulation<br />
Psychophysiologisches Defizit der Affektregulation (Linehan, 1993)<br />
� hohe Sensitivität gegenüber schon niedrigschwelligen<br />
Reizen (“emotionale Empfindlichkeit”,<br />
“auf rohen Eiern gehen”)<br />
� Hohe Affektintensität<br />
� Prolongiertes Abklingen der affektiven Erregung<br />
� Schnelle Affektwechsel<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Stiglmayr et al. J Psych Res 2007<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
2. Störung der Affektregulation<br />
- Diagnostisches Leitsymptom -<br />
Einschießende, starke Spannung, die als äußerst<br />
aversiv erlebt wird und keiner klaren, handlungsweisenden<br />
Emotion zugeordnet werden kann.<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Stiglmayr et al. J Psych Res 2007<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
E-mail der Patientin K<br />
Nochmal zu gestern. Als ich heim gekommen bin war ich total down und konnte nur noch<br />
ans fressen denken... Hab dann Mama angerufen und versucht zu schildern was in mir<br />
vorgeht aber das hat irgendwie nicht so funktioniert. Auch heute habe ich noch das<br />
Gefühl, dass mein Kopf vor lauter Gedanken implodiert. Gedanken die nicht in Worte<br />
fassbar sind. Gedanken die mich traurig machen, fühle mich total überfordert und im<br />
Stich gelassen mit all der Arbeit die ich noch nicht kann. Und die mir vor allem nicht<br />
besonders liegt, musste ich feststellen. Am liebsten würde ich da am Montag gar nicht<br />
mehr hingehen so sehr beschäftigt mich das. Aber ich muss da jetzt durch das hilft ja<br />
nicht.<br />
Also gestern dann, hab ich also das 1. mal gefressen dann gekotzt dann hab ich total zu<br />
zittern angefangen und das 2. mal gefressen und zwar riesige Mengen... dann wieder<br />
gekotzt und das zittern war weg. Dann endlich kam Jörg nach Hause und ich hab mir so<br />
sehr gewünscht, dass er mich in den Arm nimmt und tröstet. Meine schrecklichen<br />
Gedanken einfach wegtröstet. Aber er war schlecht drauf und als ich ihm versucht habe<br />
zu sagen wie es mir geht hat er nur gesagt " mir kommt es so vor als hättest du schon<br />
wieder die Schnauze voll davon, was erwartest du eigentlich" oh Mann. Danach ging es<br />
mir noch beschissener am liebsten hätte ich mich zur Strafe auf den Boden gesetzt<br />
und dort gebüßt.<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
41
Persönlichkeitsstörungen<br />
2. Störung der Affektregulation<br />
- neurobiologische Befunde -<br />
� Morphologische und funktionelle Störungen im<br />
fronto-limbischen Regekreis, insbesondere<br />
Amygdala und Hippokampus betreffend.<br />
� Hinweise auf reduzierte zentrale serotonerge<br />
Funktion (v.a. präfrontaler Cortex)<br />
� Ursache:<br />
� Genetischer Faktor?<br />
� Folge psychosozialer traumatischer Erfahrungen?<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Zusammenhang zwischen Störungen der<br />
Affektregulation und der Impulskontrolle<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Impulshandlung Entspannung<br />
bereitliegende Verhaltensmuster<br />
zunehmender Spannungszustand<br />
Intensive negative Affekte<br />
Stressor<br />
3. Beziehungsprobleme<br />
z.B. Angst,<br />
verlassen zu werden<br />
Stimmungsanhebung<br />
negative innere<br />
Verstärkung<br />
negative<br />
Konsequenzen<br />
� Schwierigkeiten in der Regulation von Nähe und<br />
Distanz<br />
� Schlecht ausgeprägte intrapsychische Repräsentanz<br />
wichtiger Bezugspersonen (Abwesenheit =<br />
Verlassen werden)<br />
� Passive Aktivität: Demonstration von Hilflosigkeit<br />
und Leid -> Überlastung der Sozialkontakte<br />
� Dependenz<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Vulnerabilität gg. Stress und Traumata<br />
Genetische Aspekte<br />
Intrusionen und Vermeidungsverhalten bei monozygoten Zwillingen<br />
(True et al., 1993)<br />
Morphologische Besonderheiten<br />
Hippocampale Volumenreduktion prä/postmorbid (Gurvits et al., 1996;<br />
Gilbertson et al., Nature, 2002; Sapolsky et al., 2002)<br />
Unter Provokationsbedingungen Erhöhung des Blutflusses in der re<br />
Amygdala<br />
Humorale Stressreaktion (Ehlert et al., 2001; Brody et al., 2000)<br />
CRF�, Stress - Cortisol�, Glucocorticoid Rezeptor Sensitivität�<br />
Opiatinduzierte Analgesie� (van der Kolk, 1989)<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
3. Beziehungsprobleme<br />
� Ein Muster instabiler, aber intensiver<br />
zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch<br />
einen Wechsel zwischen den Extremen der<br />
Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist.<br />
� Verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder<br />
vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden,<br />
einhergehend mit einem chronischen Gefühl der<br />
Leere.<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Beziehungsprobleme<br />
- typische Pläne und Schemata -<br />
Sichere Nähe! Meide Nähe!<br />
Ohne ein<br />
liebendes<br />
Gegenüber<br />
löse ich<br />
mich auf.<br />
Wenn mir<br />
jemand nahe<br />
kommt,<br />
droht Gefahr.<br />
Wenn jemand<br />
sieht, wie ich<br />
wirklich bin,<br />
wird er mich<br />
verlassen.<br />
Neigung der Borderline PatientInnen zu dichotomem, rigidem<br />
Denken mit der Unfähigkeit, sich auf eine Synthese hinzubewegen<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Wenn mir<br />
jemand nahe<br />
kommt,<br />
werde ich<br />
gefährlich.<br />
42
Persönlichkeitsstörungen<br />
Therapeutische Beziehung<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Therapeutische Beziehung<br />
Radikale Akzeptanz<br />
� Geduld zu haben mit dem oft unerträglich langsamen<br />
Fortschritt und den massiven Schwierigkeiten in der<br />
therapeutischen Beziehung.<br />
� Explizit anerkennen und akzeptieren, dass es der Patientin<br />
schwer fällt, dem Therapeuten zu trauen.<br />
� Hohes Maß an Toleranz gegenüber Zurückweisungen, Kritik<br />
und feindseligen Gefühlen.<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
5. Dissoziative und (pseudo)psychotische<br />
Symptome<br />
� Vorübergehende, durch Belastung ausgelöste<br />
paranoide Vorstellungen (”Minipsychose”)<br />
� Diss. Amnesie<br />
� Depersonalisation, Derealisation<br />
� Bewegungslosigkeit – Freezing (diss. Stupor)<br />
� Dissoziative Phänomene treten vor allem bei<br />
traumatisierten Pat. auf.<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
SMS-Nachrichten einer Patientin<br />
� Das Leben ist zum kotzen. Ich könnte schreien. Warum bin ich bloß<br />
so schlecht. Ich hasse mich!<br />
� Noch lebe ich! Kämpfe ständig gegen meine Gedanken. Mache mich<br />
lächerlich, wenn ich mich umbring! Bin ekelig! Ertrag es nicht mehr!<br />
� Geschafft. Ich war stärker als mein Ungeheuer, ich habe es besiegt!<br />
Viel Spaß auf dem Kongress! Und DANKE für ihre Unterstützung!!!<br />
� Keiner braucht sich um mich zu sorgen, auch sie nicht! Sie kennen<br />
mich doch gar nicht! Will das nicht! Bin schlecht! Will meine Ruhe! Ich<br />
werd sie bekommen.<br />
� Vergessen sie meine letzte sms. Hat sich erledigt. Sorry!<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
4. Identitätsstörung<br />
� ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes<br />
oder der Selbstwahrnehmung:<br />
� Mangelnde Zukunftsorientierung und Lebensplanung<br />
� Wahllose Kontakte zu unterschiedlichen Peer Groups<br />
� Instabile sexuelle Orientierung<br />
� tiefgreifendes Gefühl „Anders“ zu sein<br />
� tiefgreifendes Gefühl der Insuffizienz<br />
� Gefühl des „hohlen Kerns“<br />
� Störung des Körper-Selbst<br />
� Störung des Körper-Bildes<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Ätiologie der BPS<br />
-“Nature and Nurture” -<br />
� 60-70% der Varianz genetisch erklärt<br />
� Konkordanzrate bei Zwillingen<br />
monozygot dizygot<br />
35% 7%<br />
� Vererbbarkeit bestimmter Persönlichkeitszüge (Varianz 47%):<br />
� Emotionale Dysregulation<br />
� Labiler Affekt<br />
� Instabiles Identitätsgefühl<br />
� Instabile Beziehungen<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Torgersen et al., 2000; Lieb et al., Lancet, 2004<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
43
Persönlichkeitsstörungen<br />
Ätiologie der BPS<br />
-“Nature and Nurture” -<br />
� Sexuelle Gewalterfahrung (70%)<br />
� Sehr frühe Erfahrungen, meist im Binnenraum der Familie<br />
� Traumatisierende Erfahrungen (v.a. über längere Zeit) führen zu<br />
Defiziten in der Entwicklung adäquater Affektsteuerung und<br />
Verhaltenskontrolle.<br />
� primäre affektive Vulnerabilität ev. Voraussetzung<br />
� Körperliche Gewalterfahrung (60%)<br />
� schwerwiegende Vernachlässigung (40%)<br />
� Invalidierendes Umfeld<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Neurobehaviorales Entstehungsmodell<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Genetische<br />
Belastung<br />
Neurobiologie<br />
Affektregulationsstörung<br />
Dysfunktionale<br />
Verhaltensmuster<br />
Umweltfaktoren<br />
- Körperliche Misshandlung (bis 14 Jahre) -<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
91<br />
9<br />
76<br />
24<br />
Kontrollen (n=78) somatoforme St.<br />
(n=32)<br />
Umwelt-Faktoren<br />
47<br />
53<br />
BPS (n=185)<br />
Invalidierendes Umfeld bei Borderline<br />
PatientInnen (nach Linehan)<br />
� Unangemessene Reaktion auf das Mitteilen von<br />
persönlichen Erfahrungen und Gefühlen:<br />
� Gefühle und Erfahrungen werden als falsch dargestellt<br />
oder<br />
� auf inakzeptable Eigenschaften oder Wesenszüge<br />
attribuiert<br />
� Selbst-Invalidierung<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Umweltfaktoren<br />
- Gewalt zwischen den Eltern (bis 14 Jahre) -<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
nein<br />
ja<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
90<br />
10<br />
85<br />
15<br />
Kontrollen (n=78) somatoforme St.<br />
(n=32)<br />
Umweltfaktoren<br />
- Sexueller Missbrauch -<br />
100<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
87 85<br />
5<br />
8 9 6<br />
65<br />
35<br />
BPS (n=185)<br />
nein einmalig mehrfach bis regelhaft<br />
Kontrollen (n=78) somatoforme St.<br />
(n=32)<br />
37<br />
12<br />
51<br />
BPS (n=185)<br />
nein<br />
ja<br />
44
Persönlichkeitsstörungen<br />
Psychotherapie der BPS<br />
- zentrale Ansatzpunkte -<br />
Störungsspezifische Ansätze<br />
� Dialektische Verhaltenstherapie (DVT) nach Marsha Linehan<br />
� Störung der Affektregulation<br />
� Schema-fokussierte Therapie nach Jeffrey Young<br />
� Dysfunktionale Grundannahmen<br />
� Übertragungs-fokusierte Therapie (TFT) nach Otto Kernberg<br />
� Mentalization Based Treatment (MBT) nach Bateman &<br />
Fonagy<br />
� Mangelhafte Ausprägung der Subjekt-Objekt-Differenzierung<br />
� Fragmentiertes Selbst<br />
� Niedriges Strukturniveau (Achse 3 OPD)<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Medikamentöse Therapie der BPS<br />
-einzige PS mit RCT -<br />
� Pharmakotherapie unterstützend, v.a. initial<br />
� Komorbidität<br />
� Symptomorientiert<br />
� Syndromorientiert<br />
Kein Medikament zugelassen<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Spannung<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
70 %<br />
30 %<br />
Skillstraining, Fertigkeitentraining (Marsha Linehan)<br />
-4 Module -<br />
Medikamentöse Therapie der BPS<br />
- Ergebnisse -<br />
© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />
Stresstoleranz<br />
Umgang mit<br />
Gefühlen<br />
Zwischenmenschliche<br />
Fertigkeiten<br />
Achtsamkeit<br />
Kontrollierte Studien:<br />
� SSRIs (Fluoxetin, Fluvoxamin) – Depression, Angst, Zwang,<br />
Selbstverletzung, Impulsivität, Aggressivität<br />
� Mood stabilizer (Valproinsäure, Topiramat) – Aggressivität,<br />
Wut, interpersonelle Schwierigkeiten<br />
� atypische Neuroleptika (Olanzapin) – alle Symptombereiche<br />
Offene Studien:<br />
� Naltrexon - dissoziative Symptomatik? (25-100 mg)<br />
� Clonidin – Spannungszustände? (akut 75-200 ug)<br />
Benzodiazepine und Polypharmakotherapie vermeiden<br />
Zeit<br />
45
Schmerztherapie<br />
1<br />
3<br />
Chronischer Schmerz und<br />
Somatoforme Schmerzstörung –<br />
Grundlagen<br />
der Diagnostik und Therapie<br />
Dr.med Beatrix Vill<br />
Psychosomatische Medizin und<br />
Psychotherapie<br />
Spezielle Schmerztherapie<br />
Was haben diese 3 Begriffe<br />
miteinander zu tun ?<br />
Schmerz Stress<br />
5<br />
Beziehung<br />
Helfer des Schmerzes<br />
Was kann der Betroffene selber tun ?<br />
Selbstwirksamkeit = Ziel<br />
Ressourcen ? Ziele ? Aufmerksamkeitslenkung ?<br />
Teufelskreise durchbrechen<br />
Schmerzbewältigung = Methode<br />
auslösende Situation, Bewertung, Consequenzen –<br />
„sich ein guter Freund sein“<br />
Entspannung<br />
Signal verstehen<br />
Stressoren überdenken<br />
Bindungen und Beziehungen<br />
hinterfragen<br />
Zeit des Schmerzes:<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
2<br />
Unfall<br />
„dazwischen“ ???<br />
Operation<br />
erkennbarer<br />
Zusammenhang<br />
4<br />
6<br />
BEHANDLUNG<br />
COMPLIANCE<br />
AKZEPTANZ<br />
action<br />
desire<br />
VERSTEHEN interest<br />
INFORMATION attention<br />
46
Schmerztherapie<br />
R. Descartes 1644<br />
7<br />
9<br />
CARTESIANISCHES SCHMERZPARADIGMA<br />
Was spricht gegen das Einbahnstraßenmodell?<br />
-situationsabhängiges Schmerzerleben<br />
-Stressanalgesie<br />
-Placebo<br />
-Phantomschmerz<br />
-Fakir etc.<br />
Physiologie des Schmerzes<br />
Strukturen der zentralen Schmerzverarbeitung<br />
� Rückenmark<br />
� Formatio reticularis<br />
� Medulla oblongata<br />
� Thalamus<br />
� Hypothalamus<br />
� Limbisches System<br />
� Großhirnrinde<br />
11<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Nozizeptive Afferenz (Schmerzbahn)<br />
8<br />
10<br />
12<br />
Schmerzwahrnehmung<br />
Haut-<br />
Nozizeptoren<br />
Viszerale<br />
Nozizeptoren<br />
Schmerz<br />
ist<br />
Hinterhorn-<br />
Neuron<br />
lokalisierte<br />
Sorge<br />
Konvergenz-<br />
Neuron<br />
Hauptwirkorte von Analgetika<br />
Schmerzwahrnehmung<br />
NSAR<br />
Haut-<br />
Nozizeptoren<br />
Hinterhorn-<br />
Neuron<br />
Viszerale<br />
Nozizeptoren<br />
Konvergenz-<br />
Neuron<br />
Vorder-<br />
Seitenstrang<br />
Baruch de Spinoza:<br />
1632-1677<br />
Vorder-<br />
Seitenstrang<br />
Opioide<br />
Antidepressiva<br />
/<br />
Antikonvulsiva<br />
47
Schmerztherapie<br />
Zeitgemäße Definition von Schmerz (IASP)<br />
13<br />
15<br />
keine kausale Verknüpfung<br />
�Gewebsschädigung<br />
�Schmerzreaktion<br />
gleichberechtigt<br />
unangenehmes<br />
�emotionale Komponente<br />
Sinnes- und<br />
Gefühlserlebnis -<br />
�sensorische Komponente<br />
aktuelle oder<br />
potentielle Gewebsschädigung<br />
oder<br />
�subjektive Empfindung<br />
�objektivierbare Läsion<br />
als Reizauslösung kann fehlen<br />
mit Begriffen<br />
einer solchen<br />
Schädigung<br />
beschrieben<br />
AKUTER vs . CHRONISCHER SCHMERZ<br />
6<br />
M<br />
o<br />
n<br />
a<br />
t<br />
e<br />
chronisch<br />
akut<br />
somatische<br />
Faktoren<br />
psychosoziale<br />
Faktoren<br />
Chronischer Schmerz als Ausdruck<br />
anderer psychischer (und körperlicher) Erkrankungen<br />
17<br />
Depression<br />
Angst<br />
Zwang<br />
Phobien<br />
Abhängigkeiten<br />
PTSD<br />
Rheumat. Erkrankungen<br />
Bewältigungsprobleme<br />
Einfluß auf das Schmerzerleben<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
bio<br />
14<br />
16<br />
18<br />
sozial<br />
Kulturelle Faktoren<br />
(Couvade-Phänomen)<br />
Ablenkung,<br />
Bewältigungsstrategien<br />
Sekundärer Krankheitsgewinn<br />
DIFFERENTIALDIAGNOSE<br />
BEI CHRONISCHEM SCHMERZ<br />
nozizeptiv<br />
neuropathisch<br />
inadäquate Bewältigung<br />
nozizeptiv/neuropathisch<br />
psychische Komorbidität<br />
Schmerz in Kindheit<br />
und Jugend<br />
dysfunktionelle Störung<br />
psychische Störungen<br />
psycho<br />
Depression<br />
Angst<br />
Somatisierungsstörungen:<br />
•Somatoforme Schmerzstörung<br />
•somatof. autonome Funktionsst.<br />
•Hypochondrische Störung<br />
•PTSD<br />
Interdisziplinäres Schmerzzentrum Erlangen<br />
Kontakt über Frau Gämlich: 8532558<br />
Akutschmerzdienst<br />
Schmerzambulanz<br />
Schmerztagesklinik<br />
Screeningtermine<br />
Gruppen<br />
Schwerpunkt =<br />
Schmerzbewältigung<br />
Auffrischtage/-woche<br />
• für chronische Schmerzpatienten 25 Tg VT<br />
• für Kopfschmerzpatienten 16 Tg VT<br />
• für Senioren 20 Tg VT<br />
• für Patienten mit somatoformen Störungen<br />
und Fibromyalgie 45 Tg TPs<br />
48
Schmerztherapie<br />
19<br />
Psychosomatische und Psychotherapeutische<br />
Abteilung der Universitätsklinik Erlangen<br />
Kontakt über Frau Jüriens 8534899<br />
Ambulante Gruppen: - Achtsamkeit<br />
-Schmerz<br />
Psychosomatische Tagesklink<br />
Psychosomatische Station<br />
21<br />
23<br />
Schwerpunkt =<br />
Psychische Problematik<br />
BINDUNGSTYPOLOGIE (NACH BOWLBY & AINSWORTH)<br />
BILD VOM<br />
ANDEREN<br />
STRESS<br />
Nickel & Egle in Vorb., n=135<br />
Psychosomatische Patientenpopulation<br />
positiv<br />
negativ<br />
Frühe Stresserfahrungen<br />
sicher<br />
vermeidend<br />
(Bindungsstörung, „childhood adversities“)<br />
führen zu einer eingeschränkten Funktion des<br />
Stressverarbeitungssystems mit<br />
lebenslang dysfunktionale Stressverarbeitung<br />
SELBSTBILD<br />
18% positiv negativ<br />
ambivalent<br />
ängstlich<br />
unsicher 82%<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
20<br />
22<br />
24<br />
BINDUNG<br />
Bindungstypologie<br />
Nach Bowlby u. Ainsworth<br />
BILD VOM<br />
ANDEREN<br />
positiv<br />
negativ<br />
sicher<br />
vermeidend<br />
FRÜHE STRESSERFAHRUNGEN<br />
Welche können heute für Langzeitfolgen als gesichert gelten?<br />
� emotionale Vernachlässigung (Unerwünschtheit)<br />
� berufl. Anspannung beider Eltern von klein auf<br />
� chronische familiäre Disharmonie/mit Gewalt<br />
� Altersabstand zu Geschwister < 18 Monate<br />
� häufig geschlagen/misshandelt<br />
� schwerer sexueller Missbrauch<br />
SELBSTBILD<br />
positiv negativ<br />
60 %<br />
� finanz. Situation kärglich/instabil,niedrige Schulbildung<br />
� Scheidung/Trennung der Eltern<br />
� Mutter körperlich krank/behindert<br />
� Mutter psychisch krank/Suchtproblem<br />
� Vater körperlich krank/behindert<br />
� Vater psychisch krank/Suchtproblem<br />
� Tod eines Elternteils<br />
SCHMERZ UND PSYCHE<br />
zentrale<br />
Schmerzverarbeitung<br />
Peripheres System<br />
ambivalent<br />
ängstlich<br />
Umschaltung 1. auf 2. Neuron<br />
unsicher 36%<br />
psychosoz. ? Psyche<br />
Stress<br />
49
Schmerztherapie<br />
25<br />
27<br />
SOMATOFORME SCHMERZSTÖRUNG<br />
PATHOGENETISCHES MODELL (Egle 1997)<br />
psych.<br />
psychosoziale<br />
Belastungen<br />
Gesundheitssystem<br />
"früher Stress"<br />
Beziehungs- und Selbstwertstörung<br />
unreife Konfliktbewältigungsstrategien<br />
Störung der Stressverarbeitung<br />
somatoforme<br />
Schmerzstörung<br />
Chronifizierung<br />
Familie Beruf soziales Umfeld Freizeitverhalten<br />
29<br />
Chronifizierungsfaktoren<br />
Protektive<br />
Faktoren<br />
Charakteristika der somatoformen Schmerzstörungen<br />
� hohe Schmerzintensität meist ohne freie Intervalle<br />
� affektive Schmerzbeschreibung (scheußlich, widerlich)<br />
� gleichzeitig oft geringe emotionale Beteiligung bei Beschwerdeschilderung<br />
� diffuse Lokalisation, v.a. Extremitäten<br />
Gesicht / Zähne<br />
Unterleib<br />
oder multilokulär<br />
� Beginn der Symptomatik oft vor dem 35. LJ<br />
� weiblich - männlich: 3:1<br />
� Häufigkeit im Patientenklientel einer Schmerzambulanz:<br />
30-50%<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
biol.<br />
26<br />
…. und nun?<br />
� Gerade für die Chronifizierung von<br />
Schmerzsyndromen ist sehr gut belegt, dass<br />
verschiedene psychosoziale Variablen entscheidend<br />
dafür sind, ob Schmerzen persistieren oder<br />
remittieren.<br />
� ….. die psychosozialen Interventionen sind in vielen<br />
Fällen die effektivsten Behandlungsoptionen.<br />
28<br />
30<br />
Ein akuter Schmerz hat Signalfunktion auf körperlicher<br />
Ebene.<br />
Ein chronischer Schmerz kann SIGNALFUNKTION<br />
auf<br />
psychischer Ebene (Kränkung, Verlust)<br />
oder auf sozialer Ebene (Beziehungsprobleme)<br />
haben.<br />
.<br />
Charakteristika der somatoformen Schmerzstörungen<br />
� Kein klarer klinischer Befund<br />
� somatische Krankheitsattribuierung<br />
� Vorgeschichte: Psychovegetative Symptome wie Bauchschmerzen<br />
Kloß- und Engegefühl<br />
Mundbrennen<br />
� Verleugnung psychosozialer Einflussfaktoren<br />
� ausgeprägte Abwehr von Affekten/ Emotionen<br />
� Aggression = Destruktion<br />
50
Schmerztherapie<br />
31<br />
33<br />
Charakteristika der somatoformen Schmerzstörungen<br />
� ausgeprägte Abhängigkeits- und Versorgungswünsche<br />
� unsicheres Bindungsverhalten<br />
� Anerkennung und Selbstwert über Leistung und Konformität<br />
� ständige Vertrauensfrage, auch gegenüber dem Therapeuten<br />
� hohe Kränkbarkeit und geringe Frustrationstoleranz<br />
Fibromyalgie ?<br />
Schmerzindex WPI +Symptomschwere (Wolfe 2010)<br />
WPI = Widespread pain index<br />
(nach anamnestischen Angaben) Punktzahl max 19<br />
SS = Symptom severity scale<br />
umfasst die 3 Bereiche:<br />
Schwächegefühl, wenig erholsamer Schlaf, kognitive<br />
Symptome und zusätzlich somatische Symptome<br />
Punktzahl max. je 3, also max. 12<br />
Der Patient erfüllt die diagnostischen Kriterien einer Fibromyalgie wenn:<br />
WPI mind. 7 (3-6) und SS mind. 5 (9)<br />
Die Symptome seit mindestens 3 Monaten bestehen<br />
Keine andere Krankheit die Symptome erklären würde<br />
Biopsychosoziales Modell des FMS<br />
vom Typ der somatoformen Schmerzstörung<br />
Prädisponierende Faktoren<br />
Auslösende Faktoren<br />
Chronifizierende Faktoren<br />
35<br />
• unsichere Bindung, emotionale Vernachlässigung<br />
• frühe Viktimisierung (childhood-adversities)<br />
biologisch: ängstlich, gehemmt<br />
körperliche Schwachstellen<br />
genetische Disposition?<br />
• lang anhaltender Alltagsstress, dessen Wegfall<br />
• belastende Lebensereignisse<br />
biologisch: Traumata<br />
Infektionen<br />
• ängstlich depressive Symptomverarbeitung<br />
• Katastrophisierung<br />
biologisch : Schonung<br />
Dekonditionierung<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
32<br />
Fibromyalgie ICD 10 M 79.0<br />
Chronisch generalisierte Schmerzen im Bereich von Muskeln,<br />
Bändern, Knochen (ACR-Kriterien)<br />
in allen 4 Körperquadranten und <strong>WS</strong><br />
mindestens 3 Monate bestehend<br />
Druckschmerz an 11 von 18 festgelegten Druckpunkten, sog.<br />
Tenderpoints ?<br />
fakultativ Zusatzbefunde wie Müdigkeit, Schlafstörungen,<br />
Parästhesien, andere psychovegetative Symptome<br />
große Schnittmenge mit der Diagnose<br />
Somatoforme Schmerzstörung<br />
ICD 10 F 45.40, F45.41<br />
Somatoform?<br />
-ICD-10-GM Version 2009 -<br />
F45.40 Anhaltende somatoforme Schmerzstörung<br />
� Die vorherrschende Beschwerde ist ein andauernder, schwerer und quälender Schmerz,<br />
der durch einen physiologischen Prozess oder eine körperliche Störung nicht<br />
hinreichend erklärt werden kann. Er tritt in Verbindung mit emotionalen Konflikten<br />
oder psychosozialen Belastungen auf, denen die Hauptrolle für Beginn, Schweregrad,<br />
Exazerbation oder Aufrechterhaltung der Schmerzen zukommt. Die Folge ist meist eine<br />
beträchtlich gesteigerte persönliche oder medizinische Hilfe und Unterstützung.<br />
F45.41 Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen<br />
Faktoren.<br />
� Im Vordergrund des klinischen Bildes stehen seit mindestens 6 Monaten bestehende<br />
Schmerzen in einer oder mehreren anatomischen Regionen, die ihren Ausgangspunkt in<br />
einem physiologischen Prozess oder einer körperlichen Störung haben.<br />
Psychischen Faktoren wird eine wichtige Rolle für Schweregrad, Exazerbation<br />
oder Aufrechterhaltung der Schmerzen beigemessen, jedoch nicht die<br />
ursächliche Rolle für deren Beginn. Der Schmerz verursacht in klinisch bedeutsamer<br />
Weise Leiden und Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen<br />
Funktionsbereichen. Der Schmerz wird nicht absichtlich erzeugt oder vorgetäuscht (wie<br />
bei der vorgetäuschten Störung oder Simulation).<br />
34<br />
36<br />
Somatisierung =<br />
Neigung, körperliche Beschwerden als<br />
Antwort auf psychosoziale<br />
Belastungsfaktoren zu erfahren und zu<br />
vermitteln, und medizinische Hilfe dafür in<br />
Anspruch zu nehmen<br />
Es findet eine Spaltung statt ( unbewusst ):<br />
•der Affekt wird dabei verdrängt ( z.B. Angst )<br />
•das ursprünglich gleichzeitige körperliche<br />
Erscheinungsbild ( z.B. Herzrasen, Schmerz, Schwitzen )<br />
rückt ins Zentrum<br />
51
Schmerztherapie<br />
37<br />
39<br />
41<br />
„REPSYCHISIERUNG“<br />
DER SOMATISIERUNG<br />
Verschiebung des Aufmerksamkeitsfokus<br />
von der Wahrnehmung körperlicher Beschwerden und<br />
ihrer Bewältigung<br />
auf das innere Erleben<br />
sowie auf psychische und soziale Belastungen und<br />
Konflikte<br />
Manualisierte Psychodynamisch - Interaktionelle<br />
Gruppentherapie bei somatoformen Schmerzstörungen<br />
D<br />
Info/<br />
Motiv<br />
40 Sitzungen<br />
Arbeit<br />
Transfer<br />
0 3 10 26 Wo<br />
Informations und Motivationsphase<br />
Abholen des Patienten bei seinem Krankheitsverständnis<br />
Schaffung einer hinreichenden Behandlungsmotivation<br />
dh. Ansprechen von Themen wie:<br />
Beeinträchtigung der Affektwahrnehmung<br />
„somatosensorische Amplifizierung“= erhöhte<br />
physiolog. Reaktionsbereitschaft, Fehlbewertung der<br />
Bedeutung dieser Prozesse<br />
biologische Vulnerabilität<br />
Bindung<br />
Chronifizierungsfaktoren<br />
Funktion der Symptoms ( ich will nicht –ich kann nicht )<br />
Bedeutung der Gruppe<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Tagesklinische Module<br />
bei Patienten mit somatoformer Schmerzstörung<br />
und Fibromylgie<br />
38<br />
40<br />
42<br />
Entspannung<br />
Hypnose<br />
tiefenpsychologischeGruppentherapie<br />
Inhalte der diagnostischen Vorphase<br />
medizinische<br />
Trainingstherapie<br />
ausführliche biographische Anamnese<br />
Fremdanamnese: Kennenlernen wichtiger<br />
Bezugspersonen, Verhalten des Patienten in der Paar-<br />
Familiensituation, Funktion des Symptoms.<br />
Erste Informationen zur Behandlung und Motivationsprüfung.<br />
Erarbeiten des psychodynamischen beziehungsorientierten<br />
Behandlungsfokus mit möglichen Lösungsversuchen in<br />
Gegenwart und Zukunft<br />
explizite Therapieziele<br />
Arbeitsphase<br />
Differenzierung von körperlichem Schmerz und Affekt<br />
Differenzierung zwischen erwünschtem und<br />
unerwünschtem Affekt<br />
Akzeptanz unerwünschter Affekte.<br />
Überprüfung bisheriger Beziehungserfahrungen:<br />
"Opfer-Rolle", Vorleistungen, hohe Anpassung an<br />
Erwartungen Anderer, Unterlegenheits- und<br />
Ohnmachtsgefühle<br />
52
Schmerztherapie<br />
43<br />
45<br />
47<br />
Arbeitsphase<br />
Entwicklung neuer Beziehungsmuster<br />
und reiferer Konfliktbewältigungsstrategien<br />
(z.B.Antizipation, Abgrenzung )<br />
Emotionales Wiedererleben und Ermöglichen<br />
korrigierender Beziehungserfahrungen in der Gruppe<br />
Etablieren einer veränderten Kommunikation:<br />
differenziertes emotionales Erleben statt diffuser<br />
körperlicher Beschwerden<br />
Transferphase<br />
Anwendung neu gewonnener Beziehungserfahrungen im<br />
Alltag<br />
Förderung des „Selbst-Expertentums“<br />
Themen wie Abschied<br />
Austausch !!!<br />
Bilanzierung<br />
Perspektiven<br />
Auffrischsitzungen<br />
Bilanz der Therapie:<br />
Erhöhung der gesundheitsbezogenen<br />
Lebensqualität auf der psychischen Ebene<br />
Veränderung der Schmerzbewertung<br />
mit privater, sozialer und beruflicher Auswirkung<br />
Bei relativ unveränderter Schmerzstärke<br />
ist die Reduktion der Schmerzmedikamente<br />
zu berücksichtigen<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
44<br />
46<br />
Nur<br />
was<br />
mit<br />
Emotionen<br />
gekoppelt<br />
ist<br />
hat<br />
Wirkung !<br />
take home message für Patienten<br />
Schmerz Stress<br />
48<br />
Psychometrie<br />
Beziehung<br />
Im Fragebogen der DGSS enthalten:<br />
• Schmerz-Empfindungs-Skala (Schmerzbeschreibung)<br />
• Pain Disability Index (Beeinträchtigung)<br />
• Allgemeine Depressions Skala (Komorbidität)<br />
• SF-36 (Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität)<br />
Zusätzlich eingesetzt:<br />
•Fragebogen zur Erfassug der Schmerz-Verarbeitung (Bewältigung)<br />
• FF-Stabs ( Fragebogen zur Motivationsprüfung)<br />
53
Schmerztherapie<br />
Änderung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität<br />
in den somatoformen Gruppen 2005 - 2009 (Completeranalyse)<br />
***p
Schmerztherapie<br />
Fragebogen zur Erfassung der Schmerzverarbeitung,<br />
Beeinträchtigung, Completer Analyse (n=34) 2005 - 2009<br />
MW, SD<br />
55<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
***p
Schmerztherapie<br />
Psychosomatischer „Kurzcheck“ Chronischer Schmerz<br />
Fragen an den Patienten (begleitend zur allgemeinen Anamnese):<br />
1. Leben ihre Eltern noch? Gesundheitliche Probleme? Alter? Ehe? Kontakt?<br />
2. Haben Sie Geschwister? (Gesundheitliche) Probleme?<br />
Geschwisterreihenfolge mit Alter? Kontakt?<br />
3. Wie sind sie mit Ihrer aktuellen Lebenssituation zufrieden (außer<br />
Gesundheit): Beruf, Familiensituation bzw. Partnerschaft, Kinder, Freunde,<br />
Freizeit?<br />
4. Schönstes bisher im Leben?<br />
5. Schlimmstes bisher im Leben?<br />
6. Wo stehen Sie innerhalb der erlebten Spannbreite jetzt?<br />
7. Wie reagieren/reagierten Sie bisher auf Stress körperlich und psychisch?<br />
8. Wie war die Lebenssituation zum Zeitpunkt des Schmerzbeginns, der<br />
Schmerzverstärkung?<br />
9. Was sind für Sie typische Sorgen auf der einen, typische Wünsche und<br />
Träume auf der anderen Seite?<br />
61<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Psychosomatischer „Kurzcheck“<br />
Fragen an den Therapeuten (am Ende des Erstgespräches)<br />
1. Habe ich ein Bild vom Leben des Patienten: Herkunftsfamilie, schulische<br />
berufliche und private/soziale Situation betreffend?<br />
2. Was hat der Patient für ein Bild von sich (Selbstwert) und von anderen<br />
(Beziehung)?<br />
3. Was hat der Schmerz für eine Funktion?<br />
4. Passten die Affekte des Patienten zum Inhalt des Gesagten?<br />
5. Empfinde ich diesen Patienten als überdurchschnittlich pessimistisch<br />
oder ängstlich?<br />
6. Habe ich Hinweise auf prädisponierende, auslösende oder<br />
chronifizierende Faktoren nach dem bio-psycho-sozialen Modell<br />
gefunden?<br />
7. Wenn ja, was braucht der Patient dann evtl. noch an Information, damit er<br />
versteht und akzeptiert, dass eine „andere“ (Be)-Handlung nun ansteht ?<br />
62<br />
56
<strong>Psychosomatik</strong> in der Gynäkologie<br />
<strong>Psychosomatik</strong><br />
<strong>Psychosomatik</strong> in der Gynäkologie<br />
Dr. Denise Heinke<br />
WiSe <strong>2012</strong>/2013<br />
Folien werden rechtzeitig zur Vorlesung<br />
auf StudON und der Internetseite der<br />
Psychosomatischen Abteilung<br />
veröffentlicht!<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
57
<strong>Psychosomatik</strong> in der HNO<br />
<strong>Psychosomatik</strong> in der<br />
HNO-Heilkunde<br />
Stephanie Geidies<br />
Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung<br />
Grundüberlegungen<br />
zur Verknüpfung der HNO-Heilkunde mit der <strong>Psychosomatik</strong><br />
� Verknüpfung von auf den HNO-Bereich projizierten<br />
Beschwerden mit negativem seelischem Erleben in<br />
Redewendungen:<br />
� „Ich bin sprachlos.“<br />
� „Ich kann das nicht mehr hören.“<br />
� „Ich hab den Hals voll.“<br />
� selber Wortstamm bei „Stimme“, „stimmig“ und<br />
„Stimmung“<br />
Aspekte der <strong>Psychosomatik</strong> in der HNO<br />
„klassisch“<br />
psychosomatisch<br />
somatische<br />
Disposition und<br />
psychischer<br />
Trigger<br />
nach © <strong>2012</strong> A. Martin<br />
Symptomatik<br />
psychische<br />
Störung<br />
als „Boden“,<br />
grundlegende<br />
Ursache oder<br />
Folge der HNO-<br />
Symptomatik<br />
Belastungsreaktion<br />
psychosoziale Folgen<br />
der HNO-Symptomatik<br />
Grundüberlegungen<br />
zur Verknüpfung der HNO-Heilkunde mit der <strong>Psychosomatik</strong><br />
� vielschichtiges Gebiet<br />
� klinisch oft überwiegender Fokus auf<br />
organbezogenem und ggf. operativem Vorgehen<br />
� v.a. bei Chronifizierung zunehmende Wichtigkeit der<br />
Integration von Körper-, Funktions- und<br />
Erlebensebene im Sinne eines bio-psycho-sozialen<br />
Krankheitsverständnisses<br />
� viele Symptome des HNO-Bereiches mit<br />
psychosozialen Komponenten<br />
Entwicklung der HNO-Heilkunde<br />
Von lebensbedrohlichen Krankheitsbildern wie<br />
otogenem Hirnabszess oder tonsillogener Sepsis …<br />
… zu Zivilisationserkrankungen und<br />
Kommunikationsstörungen wie Lärmschwerhörigkeit<br />
Beispiele<br />
körperliche<br />
Disposition x<br />
psych. Faktoren<br />
Tinnitus<br />
Morbus Menière<br />
funktionelle<br />
Stimmstörung<br />
schlafgebundener<br />
Laryngospasmus<br />
nach © <strong>2012</strong> A. Martin<br />
psychische Störung Belastungsreaktion<br />
somatoforme Störung<br />
Angststörung<br />
Hypochondrie<br />
artifizielle Störung<br />
Ticstörung (Räuspern)<br />
Mutismus<br />
KDS<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Anpassungsstörung<br />
bei Entstellungen z.B.<br />
durch Tumoren<br />
Trauma<br />
58
<strong>Psychosomatik</strong> in der HNO<br />
Sekundärsymptomatik<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin<br />
TINNITUS<br />
� Hörbeeinträchtigung<br />
� Sprachverstehen<br />
� Richtungshören<br />
� emotionale Belastung<br />
� depressive Verstimmung<br />
� Verzweiflung, Mutlosigkeit<br />
� kognitive Belastung<br />
� dysfunktionale Kognitionen<br />
� negative Lebenseinstellung<br />
� Konzentrationsprobleme<br />
� psychosoziale Belastung<br />
� Gefühl fehlender sozialer Unterstützung<br />
� Rückzug<br />
� körperliche Belastung<br />
� Schlafstörungen<br />
� Entspannungsschwierigkeiten<br />
Ursachen<br />
� für die …<br />
� … Auslösung des Tinnitus<br />
� Lärmtraumata, Hörminderung, Hörsturz<br />
� M. Menière<br />
� Funktionsstörungen der H<strong>WS</strong> und des Kiefers<br />
� … Wahrnehmung des Tinnitus als<br />
Beeinträchtigung<br />
� bio-psycho-soziale Interaktion?<br />
� fehlende Habituation?<br />
� emotionale Assoziation?<br />
� kortikale Reorganisation?<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin<br />
Tinnitus<br />
� Hörempfindung ohne Signal- oder Informationsgehalt<br />
� subjektiv vs. objektiv (dann besser „somatosounds“)<br />
� akut vs. chronisch (> 3 Monate)<br />
� kompensiert vs. dekompensiert (z.B. Sekundärsymptomatik)<br />
� Schweregradeinteilung nach Biesinger und Heiden (1998)<br />
1 = kompensiert 3 = dauernde Beeinträchtigung<br />
2 = in Stille und belastend bei Stress 4 = völlige Dekompensation<br />
Epidemiologische Daten<br />
� Prävalenz (Pilgramm et al., 1999 u.a.)<br />
� chronischer Tinnitus: ~ 4%<br />
� chronisch dekompensierter Tinnitus: ≤ 2,0%<br />
� Verlauf und Prognose<br />
� hohe Rate an Spontanremissionen bei akutem Tinnitus<br />
(40-70%) (Rubinstein et al., 1992)<br />
� gute Habituation an den Tinnitus nach 5-10 Jahren<br />
bei ca. 70% der Betroffenen mit chronischem Tinnitus<br />
(Bleich et al., 2001)<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin<br />
Ätiologische Modelle:<br />
biopsychosoziales Modell (Hiller & Goebel 2001)<br />
somatische Faktoren<br />
Schädigung der Cochlea<br />
oder des Hörnervs<br />
z.B. durch Lärmtraumata<br />
muskuläre<br />
Verspannung<br />
(H<strong>WS</strong>, Kiefer)<br />
akuter Tinnitus<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin<br />
psychische Faktoren<br />
z.B. bestehende<br />
psychische Erkrankung<br />
oder Grundhaltungen<br />
chronischer, dekompensierter<br />
Tinnitus<br />
� Aufmerksamkeitslenkung<br />
auf Tinnitus<br />
� Angst vor Krankheit<br />
� Schlaf- und<br />
Konzentrationsstörungen<br />
Umgebungsfaktoren<br />
z.B. starke private oder<br />
berufliche Belastungen,<br />
hoher Lärmpegel<br />
chronischer Tinnitus<br />
� depressive Reaktionen<br />
� psychosoziale Störungen<br />
� erfolglose Behandlungsversuche<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
59
<strong>Psychosomatik</strong> in der HNO<br />
Ätiologische Modelle:<br />
habituationstheoretisches Modell (Hallam 1984;Jastreboff et al.1996 etc)<br />
� Habituationsmodell (Hallam et al. 1984; Hallam 1987)<br />
� Tinnitushabituation = "normale" Reaktion<br />
� bei dekompensierten Patienten: ständige Fokussierung der<br />
Aufmerksamkeit auf das Ohrgeräusch<br />
� Faktoren, die die Habituation beeinträchtigen<br />
können:<br />
� individuelle Personen- und Stimuluscharakteristika<br />
(z.B. vorbestehende Ängstlichkeit bzw. deutlicher Hörverlust)<br />
� Wichtigkeit und negative Bewertung des Tinnitus<br />
� dysfunktionale Aufmerksamkeitsfokussierung<br />
� erhöhtes kortikales Erregungsniveau<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin<br />
Ätiologische Modelle:<br />
Modell der zyklisch-maladaptiven Prozesse (Stobik et al. 2005)<br />
Gesamtmorbidität<br />
(incl. Hypakusis)<br />
Dekompensation<br />
des Tinnitus<br />
Psychophysiologische<br />
Anspannung<br />
negatives Coping<br />
Tinnitusspezifische Diagnostik<br />
ICD-10 F54 psychologische und Verhaltensfaktoren bei andernorts klassifizierten Krankheiten<br />
� Tinnitusanamnese (Dauer, Art, zeitliche Veränderung)<br />
� medizinisch: Ausschluss anderer kausal zu behandelnder<br />
Ursachen (z.B. Tubenkatarrh oder Akustikusneurinom)<br />
� ätiologische Faktoren (Hörsturz, Funktionsstörungen, Lärmschaden)<br />
� psychologische Aspekte (emotionale, psychosoziale und berufliche Beeinträchtigung)<br />
� bisherige Therapieversuche<br />
� Messinstrumente<br />
� Tinnitus-Fragebogen (Goebel & Hiller 1998)<br />
� Strukturiertes Tinnitus-Interview (Hiller et al. 2000)<br />
� Tinnitustagebuch (z.B. Goebel 2003)<br />
nach © <strong>2012</strong> A. Martin<br />
Ätiologische Modelle:<br />
neurophysiologisches Modell (Jastreboff und Hazell 1993)<br />
3. Wahrnehmung und Evaluation<br />
(auditorischer Kortex und andere kortikale Zentren)<br />
2. Entdeckung des<br />
Tinnitus<br />
(Subkortex)<br />
1. Ursprung der<br />
Tinnitusgenerierung<br />
(z.B. Cochlea)<br />
Komorbidität<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin<br />
emotionale<br />
Assoziation<br />
(limbisches System)<br />
Belästigung durch<br />
den Tinnitus<br />
(autonomes NS)<br />
� komorbide psychische Störungen<br />
� affektive Störungen (bei 50 - 80%)<br />
� Angststörungen (ca. 30%)<br />
� Missbrauch oder Abhängigkeit von psychotropen<br />
Substanzen (bei ca. 20%)<br />
� komorbide physische Störungen<br />
� Hyperakusis (ca. 50%)<br />
� Schwindel (bis 10%)<br />
� Schwerhörigkeit (30-70%)<br />
Behandlung<br />
� Behandlungen werden ausgewählt nach<br />
� Dauer des Tinnitus<br />
� Schweregrad des Tinnitus bzw. der Beeinträchtigung<br />
� Vorliegen bzw. Art der komorbiden Störung<br />
� Setting<br />
� ambulant vs. stationär<br />
� Einzel vs. Gruppe<br />
� Ziel ist eine multimodale Therapie<br />
� Berücksichtigung der verschiedenen Problembereiche<br />
nach © <strong>2012</strong> A. Martin<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
60
<strong>Psychosomatik</strong> in der HNO<br />
Behandlungsmöglichkeiten (I)<br />
� medizinische Behandlungen<br />
� durchblutungsfördernde Infusionen<br />
→ Wirksamkeit nur im Akutstadium<br />
� hyperbare Sauerstofftherapie oder Akupunktur<br />
→ Wirksamkeit nicht eindeutig belegt<br />
� orthopädische Behandlung (H<strong>WS</strong> und Kiefer)<br />
→ Zusammenhang zwischen Tinnitus und Funktionsstörung meist nicht eindeutig<br />
nachweisbar<br />
→ Aufwand-Nutzen-Frage<br />
� Ziel: Remission des Tinnitus<br />
nach © <strong>2012</strong> A. Martin<br />
Behandlungsmöglichkeiten (III)<br />
� Tinnitus Retraining Therapie (TRT) (Delb et al. 2002)<br />
� apparative Versorgung (Hörgerät oder Noiser)<br />
� Geräuschtherapie: Exposition an Geräusche<br />
� psychologische Beratung/Counselling: Informationsvermittlung<br />
� Ziel: Habituation an den Tinnitus<br />
→ moderate Wirksamkeit<br />
� Besserung bei ~30% der Betroffenen<br />
� wirksam bei leichter bis mittlerer Tinnitusbelastung<br />
� Counselling führt bei ~11-40% der Patienten zur Besserung<br />
nach © <strong>2012</strong> A. Martin<br />
Behandlungsmöglichkeiten (V)<br />
� kognitiv-behaviorale Ansätze<br />
(z.B. Kröner-Herwig 1997, Martinez-Devesa et al. 2007)<br />
� klassisch verhaltenstherapeutische Strategien wie<br />
� Psychoedukation<br />
� kognitive Umstrukturierung<br />
� Copingstrategien<br />
� Abbau von Vermeidung<br />
� Wirksamkeit<br />
� deutliche Verbesserungen hinsichtlich Tinnitus-Belastung,<br />
Kontrollierbarkeit und Depressivität<br />
� geringe Veränderungen der Tinnituslautheit<br />
� teilweise hohe Dropout-Raten<br />
nach © <strong>2012</strong> A. Martin<br />
Behandlungsmöglichkeiten (II)<br />
� akustisch-apparative Versorgung<br />
� Anpassung eines Hörgerätes bei Hörminderung<br />
� Maskierung des Tinnitus durch Umgebungsgeräusche<br />
� sehr gute Wirksamkeit bei 80% der Patienten<br />
� Anpassung eines Tinnitusnoisers<br />
� Teilmaskierung durch künstliches Rauschgeräusch<br />
� Erfolg bei ca. 30% der Betroffenen<br />
� wenig Studien<br />
� Ziel: Aufmerksamkeit auf Tinnitus reduzieren<br />
nach © <strong>2012</strong> A. Martin<br />
Behandlungsmöglichkeiten (IV)<br />
� Entspannungsverfahren<br />
� Vermittlung von Strategien zur Verbesserung der<br />
Entspannungsfähigkeit<br />
� PMR oder Autogenes Training<br />
� Biofeedbackgestützte Entspannung<br />
� gute Wirksamkeit im Rahmen multimodaler Therapieansätze<br />
� als Monoverfahren nicht erfolgversprechend<br />
� Ziel: Verringerung des erhöhten psychophysiologischen<br />
Arousals und Verbesserung der<br />
Körperwahrnehmung<br />
nach © <strong>2012</strong> A. Martin<br />
Ziele der kognitiv-behavioralen Ansätze<br />
� "Coping not curing."<br />
� bessere Bewältigung statt "Heilung" oder Verschwinden des<br />
Tinnitus<br />
� Entwicklung von Bewältigungsstrategien<br />
� Gewöhnung an den Tinnitus<br />
� Verbesserung der Akzeptanz des Tinnitus<br />
� Steigerung der Lebensqualität<br />
� Tinnitus-Bewältigungs-Therapie<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
61
<strong>Psychosomatik</strong> in der HNO<br />
Wichtige Therapiebausteine der KVT<br />
1. Psychoedukation: Erarbeitung eines Störungsmodells<br />
nach © <strong>2012</strong> A. Martin<br />
Abbau von Ängsten und fehlerhaften Krankheitsmodellen<br />
2. Aufmerksamkeitslenkung auf andere Sinne oder “Hörtraining”<br />
3. kognitive Umstrukturierung<br />
4. Förderung der Entspannungsfähigkeit und<br />
Verbesserung der Körperwahrnehmung<br />
(z.B. durch Entspannungsverfahren, Achtsamkeit)<br />
5. Verringerung von Rückzug und Vermeidung<br />
6. Analyse funktionaler Beziehungen zum Tinnitus<br />
(Stichwort: sekundärer Krankheitsgewinn)<br />
Wichtigkeit der lautsprachlichen Kommunikation<br />
� Störungen im Bereich der lautsprachlichen<br />
Kommunikation (z.B. Stimmstörungen oder<br />
Schwerhörigkeit) können im Einzelfall die<br />
Integration des Individuums in sein Umfeld<br />
tiefgreifend beeinträchtigen<br />
� Entwicklung eines eigenständigen Fachgebietes der<br />
Phoniatrie und Pädaudiologie<br />
Schwindel<br />
� 30-50% der komplexen Schwindelsyndrome sind<br />
somatoforme Schwindelsyndrome.<br />
� Bei ca. 30% der ursprünglich organischen<br />
Schwindelsyndrome entwickelt sich ein sekundäres<br />
somatoformes Schwindelsyndrom.<br />
Zusammenfassung<br />
� viele unterschiedliche Behandlungsansätze<br />
� Infusion, Akupunktur, KVT, TRT, Biofeedback, Counselling etc.<br />
� sehr gute Evidenzbasierung für kognitiv-behaviorale<br />
Verfahren<br />
� gute und langfristig stabile Erfolge hinsichtlich der Verringerung<br />
der Tinnitusbelastung<br />
� Ziel der wirksamen Verfahren<br />
� Verbesserung der Copingstrategien<br />
� bessere Gewöhnung an den Tinnitus<br />
nach © <strong>2012</strong> A. Martin<br />
SCHWINDEL<br />
Wichtige organische Schwindelursachen<br />
� Neuritis vestibularis Dauerschwindel ohne spontane<br />
Drehschwindelattacken<br />
� benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel<br />
� M. Menière Trias mit Tinnitus und Schwerhörigkeit<br />
> 30 min Attacken<br />
� vestibuläre Migräne transiente Funktionsstörungen von<br />
Gleichgewicht und Gehör<br />
� auch: akute vestibuläre Störung, orthostatisch, TIA,<br />
kardial, etc.<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
62
<strong>Psychosomatik</strong> in der HNO<br />
Zugrunde liegende oder assoziierte psychische<br />
Störungsbilder bei Schwindel<br />
� Angst/Phobie Dauerschwindel, Nervosität, innere Anspannung<br />
� Panikstörung scheinbar aus heiterem Himmel,<br />
hypochondrische Ängste<br />
� Depression Schwindel häufig als „Auslöser“ der Depression<br />
� dissoziative Störung zur Lösung eines Konfliktgeschehens<br />
� somatoforme Störung Fixierung auf organische Ursache<br />
Positiv-Kriterien für somatoforme Genese<br />
Störungsmodell somatoformer Störungen Spezifische Diagnostik<br />
Behandlungsmöglichkeiten bei komplexen<br />
Schwindelsyndromen<br />
� organische Diagnostik und ggf. kausale Therapie<br />
� interdisziplinär und multimodal!!!<br />
� Psychoedukation<br />
� psychotherapeutische Verfahren (z.B. Expositionsübungen)<br />
� Entspannungsverfahren / Biofeedback<br />
� Physiotherapie<br />
� Mototherapie<br />
� ggf. Psychopharmakotherapie je nach<br />
zugrundeliegender Störung<br />
� subjektiv deutlicher Drehschwindel ohne gleichzeitige<br />
vestibuläre Zeichen<br />
� keine reproduzierbare Fallneigung<br />
� Diskrepanz zwischen subjektiven Beschwerden und<br />
klinisch-neurologischem Untersuchungsbefund<br />
� Besserung durch Alkohol oder zentral wirksame<br />
Substanzen<br />
� bestimmte Auslösereize, die nicht organisch begründbar<br />
sind<br />
� inadäqutes Vermeidungsverhalten im Hinblick auf<br />
tatsächliche Funktionseinbußen<br />
� Schwindelanamnese (Art, Dauer, Trigger, Begleitsymptome)<br />
� neurologische Untersuchung incl. EEG<br />
� HNO-ärztliche, augenärztliche und internistische<br />
Abklärung<br />
� ggf. Bildgebung<br />
� psychometrische Instrumente<br />
� Vertigo-Symptom-Skala (Eckhardt-Henn et al. 2008)<br />
� Vertigo-Handicap-Skala (Yardley et al. 2001)<br />
� AKV (Fragebogen zu körperbezogenen Ängsten, Kognitionen und<br />
Vermeidung) (Ehlers et al.)<br />
� ergänzend evtl.: SKID-Interview<br />
ANPASSUNGSSTÖRUNG<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
63
<strong>Psychosomatik</strong> in der HNO<br />
a<br />
d<br />
a<br />
p<br />
t<br />
i<br />
v<br />
Modell zur Entstehung von Anpassungsstörung am<br />
Beispiel der Deformität des Ohres (modifiziert n. Stangier 2002)<br />
Unsicherheit<br />
Kontrollverlust<br />
Gute Krankheitsanpassung<br />
Deformität des Ohres nach Unfall / Tumor<br />
Hörstörung sichtbare Deformität der Ohrmuschel<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin<br />
körperliches<br />
Unbehagen<br />
soziale<br />
Ablehnung<br />
Krankheitsbewältigung<br />
maladaptiv<br />
Angst vor soziale<br />
Krankheitsschub Ängste<br />
Anpassungsstörung<br />
unattraktives<br />
Aussehen<br />
negatives<br />
Körperbild<br />
Explorieren bei stigmatisierenden Symptomen<br />
(Verdacht auf Anpassungsstörung)<br />
� negatives Körperkonzept?<br />
� Belastungen durch Sichtbarkeit des Symptoms<br />
� Erleben von Attraktivitätsverlust<br />
� soziale Ängste?<br />
� Gefühl beobachtet oder angestarrt zu werden<br />
� ablehnende Reaktionen anderer auf Erscheinung<br />
� Vermeidung / sozialer Rückzug<br />
� problematische Situationen?<br />
� Beruf<br />
� Freizeit<br />
� Kontakte in Partnerschaft / Freundeskreis / Öffentlichkeit<br />
� Einschränkung der Lebensqualität?<br />
� berufliche / finanzielle / andere Nachteile oder Einschränkungen<br />
Therapie der Anpassungsstörung<br />
� Schwerpunkt bei erlebtem Kontrollverlust<br />
� Vermittlung von Informationen bezüglich Einflussfaktoren der<br />
Krankheit („Patientenschulung“, Psychoedukation)<br />
� Verbesserung der emotionalen Krankheitsbewältigung<br />
(z.B. Therapie depressiver Symptomatik)<br />
� Verbesserung der problembezogenen Bewältigungskompetenzen<br />
(z. B. soziales Kompetenztraining, Kommunikationstraining)<br />
� Schwerpunkt bei Entstellungserleben<br />
� Veränderung dysfunktionaler Überzeugungen bezüglich des<br />
Aussehens<br />
� Aufbau selbstsicheren Verhaltens (z. B. soziales<br />
Kompetenztraining, Kommunikationstraining)<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin<br />
ICD-10 F43.2 Anpassungsstörung<br />
� bei Vorliegen von klinisch bedeutsamen emotionalen oder<br />
verhaltensmäßigen Symptomen als Reaktion auf einen<br />
identifizierbaren Belastungsfaktor<br />
� zum Beispiel: chronische Krankheit oder Verlust eines Angehörigen<br />
� Symptomatik<br />
� depressive Symptome<br />
� Angstsymptome<br />
� Störung des Sozialverhaltens<br />
� Beginn: innerhalb eines Monats nach Belastungseintritt<br />
� Remission: innerhalb von sechs Monaten nach Belastungsende<br />
� prolongierter Verlauf kann bei chronischen Belastungen<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin<br />
Bedingungsanalyse bei Entstellungserleben<br />
© <strong>2012</strong> A. Martin<br />
S<br />
sichtbares Symptom<br />
Entstellung<br />
O<br />
Bedeutung (Überbewertung)<br />
des Aussehens<br />
R<br />
Erwartung von Abwertung<br />
Angst<br />
Rückzug, Vermeidung<br />
C<br />
Entlastung (kurzfristig)<br />
negatives Selbst-/<br />
Körperkonzept<br />
Depression, Isolation<br />
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
64
Impulskontrollstörungen<br />
<strong>Psychosomatik</strong><br />
Impulskontrollstörungen<br />
Dr. Barbara Gruß<br />
F63.0 Pathologisches Glücksspiel<br />
F63.2 Pathologisches Stehlen F63.3 Trichotillomanie<br />
F63.8 Sonstige abnorme<br />
Gewohnheiten und Störungen<br />
der Impulskontrolle<br />
Impulskontrollstörungen<br />
F63.1 Pathologische Brandstiftung<br />
F63.9 Abnorme Gewohnheiten<br />
und Störungen der Impulskontrolle,<br />
nicht näher bezeichnet<br />
u.a. Pathologisches Kaufen,<br />
Pathologischer PC-/Internetgebrauch,<br />
Exzessives Sporttreiben, Dermatillomanie<br />
Diagnose<br />
ICD-10 (Internationale Klassifikation psychischer Störungen)<br />
Abnorme Gewohnheiten & Störungen der Impulskontrolle<br />
� … sind durch wiederholte Handlungen ohne vernünftige<br />
Motivation gekennzeichnet, die nicht kontrolliert werden<br />
können und die meist die Interessen des betroffenen Patienten<br />
oder anderer Menschen schädigen. Der betroffene Patient<br />
berichtet von impulshaftem Verhalten.<br />
� Die Ursachen dieser Störungen sind unklar, sie sind wegen<br />
deskriptiver Ähnlichkeiten gemeinsam aufgeführt, nicht weil sie<br />
andere wichtige Merkmale teilen.<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Impulskontrollstörungen<br />
Überblick – Diagnostik – Differenzierung<br />
Historisches<br />
� Kraepelin (1896):<br />
„impulsives Irresein” = Sammelbegriff für Krankheitsbilder<br />
mit unbezähmbarem Impuls, der bei Ausführung<br />
Befriedigung und Erleichterung verspricht<br />
� Janet (1906):<br />
unwiderstehlicher Handlungsdrang zur Manipulation der<br />
Befindlichkeit bei innerer Leere und Hilflosigkeit<br />
� Chronifizierung<br />
� Jaspers (1913):<br />
ungehemmte, unhemmbare, unkontrollierte Triebregungen<br />
Diagnose<br />
ICD-10 (Internationale Klassifikation psychischer Störungen)<br />
F63.0 Pathologisches Glücksspiel<br />
F63.2 Pathologisches Stehlen F63.3 Trichotillomanie<br />
F63.8 Sonstige abnorme<br />
Gewohnheiten und Störungen<br />
der Impulskontrolle<br />
Abnorme Gewohnheiten &<br />
Störungen der Impulskontrolle<br />
F63.1 Pathologische Brandstiftung<br />
F63.9 Abnorme Gewohnheiten<br />
und Störungen der Impulskontrolle,<br />
nicht näher bezeichnet<br />
u.a. Pathologisches Kaufen,<br />
Pathologischer PC-/Internetgebrauch,<br />
Exzessives Sporttreiben, Dermatillomanie<br />
65
Impulskontrollstörungen<br />
Diagnose<br />
DSM-IV (Diagnostic & Statistical Manual of Mental Disorders)<br />
Störungen der Impulskontrolle nicht andernorts klassifiziert<br />
� Versagen, einem Impuls, einem Trieb oder einer Versuchung<br />
zu widerstehen, eine Handlung auszuführen, die schädlich für<br />
die Person selbst oder andere ist.<br />
� Ansteigendes Gefühl von Spannung oder Erregung vor der<br />
Handlung.<br />
� Erleben von Vergnügen, Befriedigung, Entspannung während<br />
der Handlung.<br />
� Nach der Handlung können Reue, Schuldgefühle, Selbstvorwürfe<br />
auftreten.<br />
Diagnose<br />
Kontroverse Diskussion der Zuordnung<br />
Impulskontrollstörung als<br />
eigenständiges<br />
Störungsbild?<br />
vs.<br />
Unterform anderer Störungsbilder?<br />
� Suchterkrankung (z.B. pathologisches<br />
Spielen als nicht stoffgebundene Sucht)<br />
� Zwangsstörung<br />
� Affektive Störung<br />
Komorbidität<br />
Prävalenz von IKS bei anderen psychische Störungen<br />
ALKOHOL-<br />
ABHÄNGIG-<br />
KEIT 1<br />
N=79<br />
DEPRESSION 2<br />
N=107<br />
ZWÄNGE 3<br />
N=293<br />
1 Lejoyeux et al. 99; 2 Lejoyeux et al., 02; 3 Grant et al., 06; 4 Grant et al., 05 ; 5 Mueller et al., 113<br />
PSYCHIATRISCHE<br />
ERKRANKUNGEN<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
N=204 4<br />
(USA)<br />
N=234 5<br />
(D)<br />
N (%) N (%) N (%) N (%) N (%)<br />
Mindestens 1 IKS* 30 (38.0) 31 (28.9) 34 (11.6) 63 (30.9) 44 (18.8)<br />
Intermittierende Explosive<br />
Störung<br />
19 (24.0) 18 (16.8) n/a n/a 13 (6.4) 8 (3.4)<br />
Kleptomanie 3 (3.8) 4 (3.7) 1 (1.0) 16 (7.8) -<br />
Pyromanie 0 (0) 3 (2.8) 0 (0) 7 (3.4) -<br />
Pathologisches Spielen 7 (8.9) 3 (2.8) 1 (0.3) 14 (6.9) 4 (1.7)<br />
Trichotillomanie 1 (1.3) 3 (2.8) 3 (1.0) 7 (3.4) 2 (0.9)<br />
Pathologisches Kaufen n/a 19 (9.3) 14 (6.0)<br />
Nonparaphiles zwanghaftes<br />
Sexualverhalten<br />
n/a 9 (4.4) 4 (1.7)<br />
Pathologisches Skin Picking n/a 23 (7.8) n/a 16 (6.8)<br />
Pathologischer<br />
Internetgebrauch<br />
n/a 7 (3.9)<br />
Diagnose<br />
DSM-IV (Diagnostic & Statistical Manual of Mental Disorders)<br />
Pathological Gambling<br />
Intermittent Explosive Disorder<br />
Pyromania<br />
Kleptomania<br />
Trichotillomania<br />
DSM-5<br />
DSM-5<br />
Addiction and Related Disorders<br />
(Behavioral Addictions)<br />
www.dsm5.org<br />
Anxiety or Obsessive-<br />
Compulsive and<br />
Related Disorders<br />
Diagnose<br />
Impulskontrollstörung (IKS) als Symptom bei<br />
� Missbrauch von Alkohol/ anderen psychotropen<br />
Substanzen<br />
� Störungen des Essverhaltens (z.B. Bulimie)<br />
� Störungen der Sexualpräferenz (z.B. Fetischismus,<br />
Exhibitionismus)<br />
� Persönlichkeitsstörungen (z.B. Emotional instabile<br />
Persönlichkeitsstörung)<br />
� Eigenständige Diagnose einer Impulskontrollstörung<br />
nur, wenn das Verhalten nicht durch die komorbide<br />
psychische Störung erklärbar ist!<br />
Komorbidität<br />
Prävalenz von IKS bei anderen psychische Störungen<br />
� Depression, Angststörungen, Zwangsstörungen,<br />
Substanzabhängigkeit, Essstörungen, ADHS<br />
� Achtung!<br />
Komorbide IKS wird von den Patienten oft<br />
bagatellisiert oder aus Peinlichkeit verschwiegen<br />
und von den Behandlern häufig nicht diagnostiziert.<br />
66
Impulskontrollstörungen<br />
Komorbidität<br />
Prävalenz von IKS bei anderen psychische Störungen<br />
� IKS bei stationären psychiatrischen Patienten<br />
(USA; n=204; Grant et al., Am J Psychiatry, 2005)<br />
Bei 31% waren die diagnostischen Kriterien für<br />
eine IKS erfüllt<br />
Nur bei 1,5% wurde IKS auch im klinischen Setting diagnostiziert.<br />
Hintergrund<br />
Impulskontrollstörungen (IKS) – „konzeptuelle Klammer“<br />
� Sozial inakzeptable Verhaltensweisen<br />
� z.B. Pyromanie, Kleptomanie<br />
� Entgleistes normales Verhalten � Verhaltensexzess<br />
� z.B. Pathologisches Spielen, Pathologisches Kaufen,<br />
Pathologischer PC-/Internetgebrauch<br />
Hintergrund<br />
Äthiopathogenese<br />
� Impulsivität = “Acting without thinking” (Barrett, 1993)<br />
� Urgency (Dringlichkeit, Druck)<br />
� Handeln ohne Vorsatz<br />
� Mangelnde Berücksichtigung langfristiger Konsequenzen<br />
zugunsten von “Instant-Befriedigung”<br />
� Sensation-Seeking (Sensationslüsternd)<br />
(Whitesyde & Lynam, 2001)<br />
� Impulsivität als Persönlichkeitsmerkmal/-dimension<br />
(Eysenck & Eysenck, 1977; Costa & McCrae, 1990)<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Komorbidität<br />
Prävalenz von IKS bei anderen psychische Störungen<br />
� IKS bei stationären psychiatrischen Patienten<br />
(D; n=234; Mueller et al., Psychiatry Res, 2011)<br />
Bei 19% waren die diagnostischen Kriterien für<br />
eine IKS erfüllt<br />
Nur bei 3,8% wurde IKS auch im klinischen Setting diagnostiziert.<br />
Hintergrund<br />
Spannung<br />
Erregung<br />
Unruhe<br />
IMPULSHANDLUNG<br />
VORHER WÄHREND NACHHER<br />
Hintergrund<br />
Äthiopathogenese<br />
Vergnügen<br />
Befriedigung<br />
Entspannung<br />
Antrieb Hemmung<br />
Reue<br />
Schuldgefühle<br />
Selbstvorwürfe<br />
Handlungsimpulse<br />
Gestörte Impulskontrolle<br />
Impulsivität = Disposition zu<br />
schnellen Reaktionen, Risikofreudigkeit,<br />
“acting without thinking”, Unfähigkeit zur<br />
Planung (Barratt, 1991)<br />
Defizite in Exekutivfunktionen<br />
Direkte Umsetzung von Impulsen in Handlungen<br />
Dysbalance im serotonergen oder im Opiatsystem. Physiologische<br />
Korrelate im mesolimbischen, dopaminergen Belohnungssystem.<br />
Herpertz & Saß, Nervenarzt 1997; Moeller et al., Am J Psychiatry 2001; Reuter et al., Nat Neurosci 2005; Brewer &<br />
Potenza, Biochem Pharmacology 2008; van Holst et al., Neurosci Biobehav Rev 2010; Raab et al., 2010<br />
67
Impulskontrollstörungen<br />
Hintergrund<br />
Äthiopathogenese<br />
� Unterscheidung von zwei biologisch begründeten<br />
Verhaltenssystemen (Gray, 1975; Gray et al., 1983)<br />
Behavioral-Inhibation-System<br />
hemmt Verhalten und ermöglicht<br />
Reflexion bei drohendem Versagen<br />
oder potentieller Bestrafung<br />
� Bei Impulskontrollstörungen: Tonisch erhöhte Aktivität des<br />
BAS-Systems/ erniedrigte Aktivität des BIS-Systems (Gray, 1991;<br />
Bijttebier et al., 2009)<br />
Hintergrund<br />
Äthiopathogenese<br />
Pathologisches Glücksspiel<br />
Varianten<br />
Casino<br />
Sportwetten<br />
Online-Casinos<br />
Geldautomaten<br />
Poker<br />
Online-Wetten<br />
Behavioral-Activation-System<br />
Fördert Verhalten bei Belohnungsreizen<br />
oder drohender Bestrafung<br />
Börse<br />
Karten<br />
Würfel<br />
Lotto<br />
Online-Pokerrooms<br />
Hintergrund<br />
Äthiopathogenese<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
� Enger Zusammenhang mit Belohnungssystem<br />
� Beispiel: Parkinson-Patienten unter dopaminerger<br />
Therapie<br />
„dopaminerge dysregulation syndrom“<br />
Entwicklung eines<br />
süchtigen Musters<br />
mit steigenden Dosen<br />
+<br />
F63.0 Pathologisches Glücksspiel<br />
Stereotype Gedanken und<br />
Verhaltensweisen:<br />
z.B. sinnloses Sortieren, Sammeln<br />
von Gegenständen, pathologisches<br />
Spielen, Hypersexualität, dranghaftes<br />
Einkaufen und Essen<br />
(O’Sullivan et al., 2009)<br />
F63.2 Pathologisches Stehlen F63.3 Trichotillomanie<br />
F63.8 Sonstige abnorme<br />
Gewohnheiten und Störungen<br />
der Impulskontrolle<br />
Impulskontrollstörungen<br />
Pathologisches Glücksspiel<br />
F63.1 Pathologische Brandstiftung<br />
F63.9 Abnorme Gewohnheiten<br />
und Störungen der Impulskontrolle,<br />
nicht näher bezeichnet<br />
u.a. Pathologisches Kaufen,<br />
Pathologischer PC-/Internetgebrauch,<br />
Exzessives Sporttreiben, Dermatillomanie<br />
ICD-10 F63.0<br />
� Wiederholtes, episodenhaftes Glücksspiel<br />
� Glücksspiel beherrscht die Lebensführung und führt zum<br />
Verfall der sozialen, beruflichen, materiellen und<br />
familiären Werte und Verpflichtungen<br />
� Hauptmerkmal: Anhaltendes Glücksspiel trotz negativer<br />
Konsequenzen (z.B. Verarmung, familiäre Zerrüttung)<br />
68
Impulskontrollstörungen<br />
Pathologisches Glücksspiel<br />
ICD-10 F63.0<br />
Differentialdiagnose:<br />
� Exzessives Spielen manischer Patienten<br />
� Spielen bei dissozialer Persönlichkeitsstörung<br />
� Gewohnheitsmäßiges Spielen und Wetten (� in der Regel<br />
Einschränkung bei erheblichen Verlusten und/oder<br />
negativen Auswirkungen)<br />
Häufigkeit<br />
� Prävalenz: 0,6%; m>w<br />
Pathologisches Glücksspiel<br />
Verlauf: 3 Phasen<br />
Einstiegsphase – positives Anfangsstadium<br />
Im Vordergrund stehen die Gewinne sowie erregende,<br />
euphorisierende und selbstwertsteigernde Effekte<br />
Kritische Gewöhnungsphase<br />
Chasing im Vordergrund, Spielintensität steigt,<br />
Lügen werden wegen finanzieller Verluste notwendig,<br />
Toleranzentwicklung, Abstinenzphasen noch möglich<br />
Suchtstadium<br />
Kontroll- und Abstinenzverlust, Schuld- und Panikgefühle,<br />
kognitive Verzerrungen, irrationale Annahmen,<br />
Beschaffungsdelinquenz, Persönlichkeitsveränderung,<br />
sozialer Abstieg, Suizidgefahr<br />
Custer R (1987) The diagnosis and scope of pathological gambling.<br />
In: Galski T (ed) The handbook of pathological gambling, Springfields: Thomas, 3-7<br />
Pathologisches Glücksspiel<br />
Verlauf<br />
Spielabhängigkeit<br />
= operant erlerntes<br />
Fehlverhalten<br />
Integration in<br />
Subgruppen<br />
Soziale<br />
Ausgrenzung<br />
Schuld- und<br />
Schamgefühle<br />
Psychosoziale<br />
Belastungen,<br />
persönliche<br />
Krisen<br />
Flucht durch<br />
Glücksspiel<br />
= intermittierende,<br />
negative Verstärkung<br />
Pathologisches Glücksspiel<br />
CCCC-Fragebogen (Petry, 1996)<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Cannot quit, Chasing, Craving, Consequences<br />
1. Ich kann mit dem Glücksspielen erst aufhören, wenn ich kein Geld mehr<br />
habe!<br />
� Richtig � Falsch<br />
2. Verlieren ist eine persönliche Niederlage, die ich wettmachen möchte!<br />
� Richtig � Falsch<br />
3. Ich denke oft an das Glücksspielen und verspüre einen inneren<br />
Spieldrang!<br />
� Richtig � Falsch<br />
4. Zur Geldbeschaffung habe ich schon andere Menschen belogen und<br />
betrogen.<br />
� Richtig � Falsch<br />
Pathologisches Glücksspiel<br />
Verlauf<br />
Anfangsphase<br />
6 Jahre<br />
Suchtstadium<br />
Pathologisches Glücksspiel<br />
Häufige Folgen<br />
Zeit<br />
� Persönlichkeitsveränderungen<br />
� Sozialer Abstieg (u.a. Jobverlust,<br />
Verschuldung)<br />
� Beschaffungsdelinquenz<br />
� Suizidalität<br />
Grant & Kim, 2001<br />
Symptomverlauf<br />
69
Impulskontrollstörungen<br />
F63.0 Pathologisches Glücksspiel<br />
F63.2 Pathologisches Stehlen F63.3 Trichotillomanie<br />
F63.8 Sonstige abnorme<br />
Gewohnheiten und Störungen<br />
der Impulskontrolle<br />
Impulskontrollstörungen<br />
F63.1 Pathologische Brandstiftung<br />
F63.9 Abnorme Gewohnheiten<br />
und Störungen der Impulskontrolle,<br />
nicht näher bezeichnet<br />
u.a. Pathologisches Kaufen,<br />
Pathologischer PC-/Internetgebrauch,<br />
Exzessives Sporttreiben, Dermatillomanie<br />
Pathologische Brandstiftung<br />
(Pyromanie)<br />
ICD-10 F63.1 - Differentialdiagnose<br />
� Vorsätzliche Brandstiftung (mit Motiv � Rache,<br />
Sabotage, Versicherungsbetrug)<br />
� Brandstiftung bei dissozialer Persönlichkeitsstörung<br />
� Brandstiftung bei Jugendlichen (� Störung des<br />
Sozialverhaltens)<br />
� Brandstiftung bei Psychose, Intoxikation, organischbedingter<br />
psychiatrischer Störung<br />
F63.0 Pathologisches Glücksspiel<br />
F63.2 Pathologisches Stehlen F63.3 Trichotillomanie<br />
F63.8 Sonstige abnorme<br />
Gewohnheiten und Störungen<br />
der Impulskontrolle<br />
Impulskontrollstörungen<br />
F63.1 Pathologische Brandstiftung<br />
F63.9 Abnorme Gewohnheiten<br />
und Störungen der Impulskontrolle,<br />
nicht näher bezeichnet<br />
u.a. Pathologisches Kaufen,<br />
Pathologischer PC-/Internetgebrauch,<br />
Exzessives Sporttreiben, Dermatillomanie<br />
Pathologische Brandstiftung<br />
(Pyromanie)<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
ICD-10 F63.1<br />
� Häufige scheinbar unmotivierte tatsächliche oder<br />
versuchte Brandstiftung an Gebäuden/ anderen Objekten<br />
� Anhaltende Beschäftigung mit Feuer und Brand (z.T.<br />
auch übermäßiges Interesse für Themen mit Bezug zu<br />
Feuer, z.B. Löschfahrzeuge, Gegenstände zur<br />
Brandbekämpfung � alarmieren Feuerwehr)<br />
� Wachsende innere Spannung vor der Handlung und<br />
starke Erregung sofort nach ihrer Ausführung<br />
Pathologische Brandstiftung<br />
(Pyromanie)<br />
Häufigkeit & Verlauf<br />
� selten (bisher in erster Linie Einzelfallschilderungen)<br />
� m>w<br />
� Krankheitsbeginn: Kindheit oder Adoleszenz<br />
� Verlauf: episodisch oder chronisch<br />
Pathologisches Stehlen<br />
(Kleptomanie)<br />
ICD-10 F63.2<br />
(Virkunen et al., 1989)<br />
Photo: Andreas Frücht<br />
Quelle nw-news.de<br />
� Häufiges Nachgeben gegenüber Impulsen, Dinge zu<br />
stehlen, die nicht dem persönlichen Gebrauch oder der<br />
Bereicherung dienen.<br />
� Die Gegenstände werden häufig weggeworfen,<br />
weggegeben oder gehortet.<br />
� Der Diebstahl erfolgt allein; zwischen den Diebstählen<br />
können Angst, Scham- u Schuldgefühle auftreten.<br />
� Wachsende innere Spannung vor der Handlung, Gefühl<br />
von Befriedigung während und sofort nach der Tat.<br />
70
Impulskontrollstörungen<br />
Pathologisches Stehlen<br />
(Kleptomanie)<br />
ICD-10 F63.2 - Differentialdiagnose<br />
Photo: Andreas Frücht<br />
Quelle nw-news.de<br />
� Wiederholter Ladendiebstahl ohne deutliche psychische<br />
Störung (sorgfältiger geplant, ein persönlicher Nutzen ist<br />
offensichtlich)<br />
� Organische psychische Störung<br />
� Mutproben<br />
Häufigkeit und Verlauf<br />
� Ladendiebstahl ist häufig; pathologisches Stehlen macht<br />
nur einen geringen Anteil aus (m<br />
Trichotillomanie<br />
ICD-10 F63.3<br />
� Übermächtige Impulse Haare auszureißen<br />
� Sichtbarer Haarverlust<br />
� Meist Spannung vorab, Entspannung/Genuss beim<br />
Ausreißen oder direkt danach<br />
DD<br />
� Psychose<br />
� Dermatologische Erkrankung<br />
F63.0 Pathologisches Glücksspiel<br />
F63.2 Pathologisches Stehlen<br />
F63.8 Sonstige abnorme<br />
Gewohnheiten und Störungen<br />
der Impulskontrolle<br />
Impulskontrollstörungen<br />
F63.1 Pathologische Brandstiftung<br />
F63.3 Trichotillomanie<br />
F63.9 Abnorme Gewohnheiten<br />
und Störungen der Impulskontrolle,<br />
nicht näher bezeichnet<br />
u.a. Pathologisches Kaufen,<br />
Pathologischer PC-/Internetgebrauch,<br />
Exzessives Sporttreiben, Dermatillomanie<br />
F63.0 Pathologisches Glücksspiel<br />
F63.2 Pathologisches Stehlen<br />
F63.8 Sonstige abnorme<br />
Gewohnheiten und Störungen<br />
der Impulskontrolle<br />
Trichotillomanie<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Impulskontrollstörungen<br />
F63.1 Pathologische Brandstiftung<br />
F63.3 Trichotillomanie<br />
F63.9 Abnorme Gewohnheiten<br />
und Störungen der Impulskontrolle,<br />
nicht näher bezeichnet<br />
u.a. Pathologisches Kaufen,<br />
Pathologischer PC-/Internetgebrauch,<br />
Exzessives Sporttreiben, Dermatillomanie<br />
� Typisch: Kopfhaare, aber auch Haare anderer<br />
Körperregionen (Augenbrauen, -lider, Bart, Achseln)<br />
� Lebenszeitprävalenz bei Erwachsenen: m 1,6%, w 3,5%<br />
(Cristenson et al. 1991)<br />
� Kahle Stellen bei schweren Fällen � Kopfbedeckung,<br />
Schamgefühle, zunehmende Vermeidung sozialer<br />
Kontakte<br />
Sonstige abnorme Gewohnheiten<br />
und Störungen der Impulskontrolle<br />
� Störung mit intermittierend auftretender Reizbarkeit<br />
(ICD-10)<br />
� Intermittierend explosible Störung (DSM-IV)<br />
� Spontaner Kontrollverlust über aggressive Impulse in<br />
umschriebenen Episoden<br />
� Ausmaß der gezeigten Aggressivität steht in keinem Verhältnis<br />
zu den Anlässen<br />
� Reue, Schamgefühl und Selbstvorwürfe danach = auch ein<br />
Indikator zur Abgrenzung ggü. spontaner Gewalt infolge von<br />
Provokationen (z.B. bei Personen mit dissozialer<br />
Persönlichkeitsstörung)<br />
71
Impulskontrollstörungen<br />
F63.0 Pathologisches Glücksspiel<br />
F63.2 Pathologisches Stehlen<br />
F63.8 Sonstige abnorme<br />
Gewohnheiten und Störungen<br />
der Impulskontrolle<br />
Impulskontrollstörungen<br />
Pathologisches Kaufen<br />
Überblick<br />
F63.1 Pathologische Brandstiftung<br />
F63.3 Trichotillomanie<br />
F63.9 Abnorme Gewohnheiten<br />
und Störungen der Impulskontrolle,<br />
nicht näher bezeichnet<br />
u.a. Pathologisches Kaufen,<br />
Pathologischer PC-/Internetgebrauch,<br />
Exzessives Sporttreiben, Dermatillomanie<br />
Konsum vom Bedarf gelöst<br />
Finanzielle, soziale, berufliche, juristische Probleme<br />
Leidensdruck Keine Manie<br />
Pathologisches Kaufen<br />
Häufigkeit<br />
Land Test Stichprobe Geschätzte Prävalenz<br />
[%]<br />
CBS N=2513 5.8<br />
SKSK N=1454 Neue BL: 1<br />
Alte BL: 5<br />
SKSK N=1017 Neue BL: 6<br />
Alte BL: 8<br />
SKSK N=1000 5.6<br />
SKSK N=705 5<br />
CBS-G N=2350 6.9 Neue BL: 4<br />
Alte BL: 8<br />
McElroy et al.,<br />
J Clin Psychiatry 1994<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Quelle<br />
Koran et al. 2006<br />
Neuner et al. 1992<br />
Scherhorn et al. 1996<br />
Neuner et al. 1998<br />
Neuner et al. 2005<br />
Arbeiterkammer Wien 2004<br />
Maag 2004<br />
Mueller et al. 2010<br />
Abnorme Gewohnheiten und Störungen<br />
der Impulskontrolle, nicht näher bezeichnet<br />
ICD-10 F63.9<br />
� Pathologisches Kaufen<br />
� Pathologischer PC-/Internetgebrauch<br />
� Exzessives Sporttreiben<br />
� Dermatillomanie<br />
� Exzessives non-paraphiles Sexualverhalten<br />
Pathologisches Kaufen<br />
Erhebung: Allgemeine Fragen<br />
� Wie viel Zeit verbringen Sie mit Einkaufen?<br />
� Hatten Sie jemals das Gefühl, die Kontrolle über Ihr<br />
Kaufverhalten verloren zu haben?<br />
� Hat Ihr Kaufverhalten jemals zu Problemen geführt?<br />
� Hat sich schon mal jemand darüber beschwert, dass Sie<br />
zu lange oder zu viel eingekauft haben?<br />
� Kam es jemals zu finanziellen Problemen infolge Ihres<br />
Kaufverhaltens?<br />
Pathologisches Kaufen<br />
Häufigkeit<br />
Patienten mit Pathologischem Kaufen (n=171)<br />
� Lebenszeitprävalenz<br />
� Fast 90% hatten mindestens noch eine andere frühere oder<br />
aktuelle psychische Störung; zumeist Depression (74%)<br />
oder Angststörung (57%)<br />
� Derzeitige Prävalenz<br />
� 50% hatten mindestens noch eine weitere aktuelle<br />
psychische Störung, meistens eine Angststörung (40%)<br />
Mueller, Mitchell et al., Psychiatry Research 2010; 178: 348-353<br />
72
Impulskontrollstörungen<br />
Pathologischer PC-/Internetgebrauch<br />
Überblick<br />
� Exzessive Internetnutzung<br />
� Kontrollverlust<br />
� Immenser die Gedanken bestimmender Drang zur<br />
Aufrechterhaltung der persönlichen Internetnutzung<br />
trotz negativer Konsequenzen und hohem Leidensdruck<br />
� Sozialer Rückzug<br />
� Leistungseinbußen<br />
� Abmahnungen<br />
� Soziale, familiäre, finanzielle Probleme<br />
� Verschiebung Schlaf-Wach-Rhythmus<br />
Pathologischer PC-/Internetgebrauch<br />
Online-Rollenspiele<br />
MMORPG<br />
Massive Multiplayer Online Role Play Games<br />
Charakter eines Spielers wird durch die investierte<br />
Zeit immer stärker!<br />
� Intensiv spielen wird belohnt<br />
Pathologischer PC-/Internetgebrauch<br />
Hintergrund<br />
+<br />
- Selbstwirksamkeitserwartung +<br />
Ablehnung durch<br />
Peer-Group<br />
Schulängstlichkeit<br />
Soziale Phobie<br />
Neg. soziale<br />
Lernerfahrungen<br />
Anerkennung durch<br />
Gilde<br />
Virtueller Sozialstatus<br />
Positive (frühe)<br />
Lernerfahrungen<br />
mit Computerspielen<br />
Soziale Inhibition Geringes Leistungsmotiv<br />
Neurotizismus Introversion Boredom Susceptibility<br />
Dispositionelle Vulnerabilitätsfaktoren<br />
Exzessives<br />
Computerspielen<br />
Mediales<br />
Coping<br />
Wölfling & Müller (2009).<br />
Computerspielsucht.<br />
In Batthyany, Pritz (Hrg)<br />
Rausch ohne Drogen.<br />
Wien: Springer, S.301<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Pathologischer PC-/Internetgebrauch<br />
Überblick & Häufigkeit<br />
� Gaming<br />
� Chatting<br />
� Surfing<br />
� Recherchieren<br />
� Online-Shopping<br />
� Online-Sex<br />
� Prävalenz 1-5%<br />
� m:w = 9:1<br />
Fachverband Medienabhängigkeit e.V., 2007;<br />
Wölfling & Müller, Bundesgesundheitsbl 2010<br />
Pathologischer PC-/Internetgebrauch<br />
Klassifikation?<br />
� Nicht näher bezeichnete<br />
Impulskontrollstörung?<br />
� Zwangsspektrumsstörung?<br />
� Sonstige näher bezeichnete<br />
Persönlichkeits- und Verhaltensstörung?<br />
Exzessives Sporttreiben<br />
Überblick<br />
� Extreme sportliche Betätigung<br />
� Toleranzentwicklung, Entzugssymptome<br />
� Intentionalität: wahrgenommener Zwang<br />
� Kontrollverlust: Erfolglose Versuche, sportliche<br />
Betätigung zu reduzieren<br />
� Konflikte: Vernachlässigung sozialer, beruflicher<br />
Aktivitäten; Sport zur Ablenkung von Konflikten<br />
� Kontinuität: Sport trotz persistierender physischer<br />
(Krankheit, Verletzung) und psychischer Beschwerden<br />
Bamber et al., 2003; Hausenblas & Symons Downs, 2002; Veale, 1987, 1995<br />
73
Impulskontrollstörungen<br />
Exzessives Sporttreiben<br />
Erhebung: Sportsucht-Skala 21<br />
� Beantworten Sie bitte die folgenden Fragen so ehrlich<br />
wie möglich. Die Fragen beziehen sich auf Ihre<br />
gegenwärtigen Ansichten und Verhaltensweisen<br />
bezüglich körperlicher Aktivitäten, die Sie in den<br />
vergangenen drei Monaten unternommen haben.<br />
Tragen Sie bitte Ihre Antwort nach jeder Aussage an<br />
der dafür vorgesehenen Stelle ein.<br />
1<br />
Nie<br />
2 3 4 5<br />
Exercise Dependence Scale-21<br />
(Hausenblas & Symons Down, 2002; dt. Mueller et al., <strong>2012</strong>)<br />
Exzessives Sporttreiben<br />
Erhebung: Sportsucht-Skala 21<br />
6<br />
Immer<br />
11. Es gelingt mir nicht, die Häufigkeit meiner sportlichen Aktivitäten zu<br />
reduzieren.<br />
12. Ich denke an Sport, wenn ich mich eigentlich auf die Schule/Arbeit<br />
konzentrieren sollte.<br />
13. Ich verbringe den größten Teil meiner Freizeit mit Sport.<br />
14. Ich treibe länger Sport als erwartet.<br />
15. Ich treibe Sport, um Spannungsgefühle zu vermeiden.<br />
16. Ich bin trotz anhaltender körperlicher Beschwerden sportlich aktiv.<br />
17. Ich verlängere ständig die Dauer meiner sportlichen Aktivitäten, um die<br />
gewünschten Effekte/Vorteile zu erzielen.<br />
18. Es gelingt mir nicht, die Intensität meiner sportlichen Aktivitäten zu<br />
verringern.<br />
19. Ich entscheide mich dafür, Sport zu treiben, damit ich keine Zeit mit der<br />
Familie/mit Freunden verbringen muss.<br />
20. Ich verbringe den Großteil meiner Zeit mit Sport.<br />
21. Ich treibe länger Sport als geplant.<br />
Exzessives Sporttreiben<br />
Auftreten<br />
Begleitphänomen anderer<br />
Störungen, v.a. Essstörungen<br />
primär<br />
sekundär<br />
Bamber et al., 2003; Hausenblas & Symons Downs, 2002; Veale, 1987, 1995<br />
Exzessives Sporttreiben<br />
Erhebung: Sportsucht-Skala 21<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
1. Ich treibe Sport, weil ich das Gefühl der Gereiztheit vermeiden möchte.<br />
2. Ich treibe Sport, obwohl ich immer wieder körperliche Beschwerden<br />
habe.<br />
3. Meine sportlichen Aktivitäten werden immer intensiver, damit ich die<br />
gewünschten Effekte/Vorteile erziele.<br />
4. Es gelingt mir nicht, die Dauer meiner sportlichen Aktivitäten zu<br />
verkürzen.<br />
5. Ich treibe lieber Sport, als Zeit mit meiner Familie/meinen Freunden zu<br />
verbringen.<br />
6. Ich verbringe viel Zeit mit Sport.<br />
7. Ich treibe länger Sport als ich mir vorgenommen habe.<br />
8. Ich treibe Sport, um Angstgefühle zu vermeiden.<br />
9. Ich treibe Sport, wenn ich Verletzungen habe.<br />
10. Ich treibe immer häufiger Sport, um die gewünschten Effekte/Vorteile zu<br />
erzielen.<br />
Exzessives Sporttreiben<br />
Häufigkeit<br />
Prävalenzschätzungen – At risk for exercise dependence<br />
� Repräsentative deutsche Bevölkerungsstichprobe<br />
(n=1611): 3,5%<br />
� Besucher von Fitnessstudios (n=129): 12,4%<br />
� Sportstudenten (n=129): 16,5%<br />
� Medizinstudenten (n=85): 1,6%<br />
(Mueller et al., <strong>2012</strong>)<br />
Dermatillomanie<br />
Überblick<br />
Skin-Picking<br />
� Dauerndes Kratzen, Quetschen, Zupfen an vermeintlichen<br />
Hautunreinheiten, was zu Hautschädigungen führt<br />
� Spannungsbogen<br />
� Hautmanipulation nicht bedingt durch Substanzkonsum,<br />
dermatologische Erkrankung, Psychose<br />
74
Impulskontrollstörungen<br />
Impulskontrollstörungen<br />
Therapie<br />
Psychopharmaka<br />
Opiatantagonisten<br />
� Wirksamkeit von Opiatantagonisten wurde in<br />
kontrollierten Studien bei pathologischem Spielen 1,2<br />
und Kleptomanie 3 nachgewiesen.<br />
� Die Aussagekraft dieser Ergebnisse wird durch geringe<br />
Fallzahlen, hohe Drop-out-Raten und Placeboraten bis<br />
zu 34% limitiert.<br />
1 Grant et al., J Clin Psychiatry, 2008<br />
2 Grant et al., Am J Psychiatry, 2006<br />
3 Grant et al., Biol Psychiatry, 2009<br />
Psychotherapie<br />
Kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen<br />
Hohe<br />
Impulsivität<br />
↕<br />
Versagen der<br />
Selbstkontrolle<br />
Quelle: Müller et al. (2008)<br />
Motivierende Gesprächsführung<br />
Erlernen von<br />
Stimuluskontrolle<br />
Aufbau von<br />
Alternativverhalten<br />
Kognitive<br />
Umstrukturierung<br />
Motivierende Gesprächsführung<br />
Vermeiden<br />
negativer<br />
Befindlichkeit<br />
↕<br />
Aufrechterhaltung<br />
durch<br />
negative<br />
Verstärkung<br />
Psychopharmaka<br />
SSRIs<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
� Wirksamkeitsstudien haben sehr uneinheitliche<br />
Ergebnisse erbracht.<br />
� Nicht in allen Studien konnte eine Überlegenheit des<br />
SSRI gegenüber Placebo nachgewiesen werden.<br />
Ho et al., J Psychopharmacol, 1998<br />
Brewer & Potenza, Biochemical Pharmacology, 2008;<br />
Coccaro et al., J Clin Psychiatry, 2009;<br />
Grant et al., CNS Spect, 2006;<br />
Hollander et al., J Gambl Stud, 2005;<br />
Kozian & Otto , Psychiat Prax, 2003;<br />
Leung & Cottler, Curr Opin Psychiatry, 2009;<br />
Ravindran et al., Can J Psychiatry, 2009;<br />
Grant et al., J Clin Psychiatry, 2007;<br />
Walsh & McDougle, Expert Opin Pharmacother, 2005<br />
Psychotherapie<br />
Voraussetzungen<br />
� Problemwahrnehmung<br />
� Änderungsbereitschaft<br />
Psychotherapie<br />
Kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen<br />
Typische Bausteine<br />
• Problemwahrnehmung und Aufbau von Änderungsmotivation,<br />
Zielklärung<br />
• Psychoedukation, Vermittlung eines Krankheits- und<br />
Behandlungskonzeptes<br />
• Anleitung zur Selbstbeobachtung, Protokollieren von auslösenden<br />
Situationen und begleitenden Emotionen und Kognitionen<br />
(Verhaltensanalysen)<br />
• Erlernen von Techniken der Stimuluskontrolle<br />
• Aufbau bzw. Ausweitung von Alternativverhalten<br />
• Kognitive Interventionen zur Modifikation dysfunktionaler Gedanken und<br />
verzerrter Informationswahrnehmung<br />
• Expositionstraining<br />
• Training zur Verbesserung der Stressbewältigung und des<br />
Problemlöseverhaltens, Vermittlung von Copingstrategien zum Umgang<br />
mit negativen Befindlichkeiten<br />
75
Impulskontrollstörungen<br />
Psychotherapie<br />
Kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen<br />
Verhaltensanalyse<br />
Auslöser/Reize<br />
soziale<br />
emotionale<br />
gedankliche<br />
körperliche<br />
Reaktionen<br />
Gedanken<br />
Gefühle<br />
Verhalten<br />
Folgen<br />
soziale<br />
emotionale<br />
gedankliche<br />
körperliche<br />
Quelle: Müller et al. (2008)<br />
Psychotherapie<br />
Spezifische Interventionen je nach Krankheitsbild<br />
Habit Reverseal Training = Gewohnheitsumkehr<br />
� Andere, der Gewohnheit entgegenwirkende,<br />
Verhaltensweisen werden erlernt<br />
� Vorgehen<br />
� Erlernen adäquater Selbstwahrnehmung<br />
� Aufbau bzw. Stärkung der Veränderungsmotivation<br />
� Einübung einer „competing response“ = motorische<br />
Gegenantwort<br />
� Verhaltensgewohnheit wird durch das Ausführen anderer<br />
Verhaltensweisen unterdrückt<br />
Psychotherapie<br />
Wirksamkeitsnachweise<br />
� Für pathologisches Spielen 1-3 und pathologisches Kaufen 4<br />
� noch keine Langzeitkatamnesen<br />
� Operationalisierung von Remissionsraten schwierig<br />
1 Leung & Cottler, Curr Opin Psychiatry, 2009;<br />
2 Ravindran et al., Can J Psychiatry, 2009;<br />
3 Petry et al., J Consult Clin Psychol, 2006;<br />
4 Mueller et al., J Clin Psychiatry, 2008<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Psychotherapie<br />
Spezifische Interventionen je nach Krankheitsbild<br />
� Geld- und Schuldenmanagement bei pathologischem<br />
Glücksspiel und pathologischem Kaufen<br />
� Materielle Einstellungen bei pathologischem Kaufen<br />
� Berücksichtigung strafrechtlicher Probleme bei<br />
pathologischem Glücksspiel, Kleptomanie, pathologischem<br />
Kaufen<br />
� Unterstützung bei Reintegration in familiäres und berufliches<br />
Umfeld<br />
� Habit Reversal Training zur Unterbrechung von<br />
Verhaltensketten bei Kleptomanie, Trichotillomanie und<br />
pathologischem Skin Picking<br />
Psychotherapie<br />
Spezifische Interventionen je nach Krankheitsbild<br />
Habit Reverseal Training = Gewohnheitsumkehr<br />
� Beispiel Trichotillomanie<br />
� Keine Berührung des Kopfes!<br />
� Competing Response:<br />
Hand zur Faust ballen oder ein Objekt (z.B. Handschmeichler) für<br />
ca. 3 Minuten festhalten<br />
� Vorbeugung/ Pflege:<br />
� Haaredrehen � Kämmen, Glätten, Frisieren<br />
� Auszupfen der Augenbrauen � beruhigende Creme,<br />
Augenbrauenstift zur optischen Korrektur<br />
� Evtl. Handschuhe tragen<br />
Psychotherapie<br />
Am Beispiel der Kaufsucht (Quelle: Müller et al. 2008)<br />
Fokus?<br />
Kaufabstinenz<br />
Angemessenes Kaufverhalten<br />
76
Impulskontrollstörungen<br />
Beispiel – Kaufprotokoll<br />
Psychotherapie<br />
Am Beispiel der Kaufsucht (Quelle: Müller et al. 2008)<br />
Therapieziele<br />
� Unterbrechen des pathologischen Kaufverhaltens und<br />
Reduktion der Kaufattacken,<br />
� erkennen und Modifzieren von dysfunktionalen Gedanken<br />
und negativen Gefühlen, die das pathologische<br />
Kaufverhalten bedingen,<br />
� etablieren von angemessenen, gesunden<br />
Konsummustern.<br />
Psychotherapie<br />
Am Beispiel der Kaufsucht (Quelle: Müller et al. 2008)<br />
Datum<br />
Uhrzeit<br />
Ware/n<br />
(einschl. TV und<br />
online-shopping)<br />
€ Gedanken Gefühle<br />
05.12. 16:00 Schuhe für Sohn 100,- Ganz schön teuer für<br />
Kinderschuhe, aber er braucht sie.<br />
08.12. 15:00 Kosmetik und ein<br />
Brotkasten<br />
100,- Die Kosmetik ist nötig. Der<br />
Brotkasten hat mir schon seit<br />
langem gefallen und war<br />
supergünstig.<br />
09.12. 18:00 2 Schlafanzüge 90,- Schnäppchen. Wollte ich schon<br />
lange haben. Brauche ich.<br />
10.12. 16:00 4 Paar Schuhe 250,- Wollte ich schon lange haben. Sind<br />
sehr schick und preisgünstig, da<br />
kann ich 4 Paar kaufen.<br />
11.12. 14:00 2 Jeans für mich<br />
2 Jeans für Tochter<br />
1 Mantel für mich<br />
1 Parfüm<br />
170,-<br />
160,-<br />
700,-<br />
50,-<br />
Kann mich nicht entscheiden,<br />
welche Jeans ich nehmen soll. Der<br />
Mantel ist so schön. Ich liebe<br />
diesen Duft.<br />
12.12. 22:00 Jacke (online) 440,- Muss ich haben! Kann ich mir<br />
eigentlich nicht leisten.<br />
Psychotherapie<br />
Am Beispiel der Kaufsucht (Quelle: Müller et al. 2008)<br />
Gutes Gefühl, bin stolz.<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
?<br />
Freude<br />
Zuerst schönes Gefühl,<br />
dann mulmig, genervt.<br />
Bin aufgeregt, ein<br />
bisschen hektisch,<br />
freue mich, bin aber<br />
auch ängstlich, wenn<br />
ich an meine Schulden<br />
denke.<br />
Freude, später total<br />
schlechtes Gewissen<br />
Aufbau von Änderungsmotivation<br />
z.B. Thematisieren von Vor- und Nachteilen einer Normalisierung<br />
des Kaufverhaltens:<br />
Vorteile<br />
Nachteile<br />
� Das Geld reicht nicht, obwohl � Jetzt fühle ich mich frei.<br />
ich gut verdiene.<br />
Dieses Freiheitsgefühl werde<br />
� Es droht eine Anzeige wegen ich verlieren.<br />
Betrugs.<br />
� Wie soll ich mir denn sonst<br />
� Ich lüge die anderen an<br />
etwas Gutes tun?<br />
wegen der Einkäufe.<br />
� Wenn ich nicht mehr<br />
� Mein Mann und ich streiten shoppen gehe, wird mir<br />
ständig wegen des fehlenden langweilig sein.<br />
Geldes.<br />
� Die Verkäuferin wird nicht<br />
mehr so nett zu mir sein.<br />
Psychotherapie<br />
Am Beispiel der Kaufsucht (Quelle: Müller et al. 2008)<br />
Selbstbeobachtungsprotokolle<br />
Ziel/Funktion der Kaufprotokolle:<br />
� Verhalten, Gefühle und Gedanken werden bewusster und<br />
sichtbarer<br />
� Dem Symptom wird sein automatischer Charakter genommen<br />
� = Grundlage für das funktionale Bedingungsmodell und gibt<br />
Anhaltspunkte für therapeutische Interventionen<br />
� Förderung der aktiven Mitarbeit und Übernahme von<br />
Selbstverantwortung<br />
� Distanzierung vom Symptom: Methode der Selbstkontrolle<br />
� Erfolgskontrolle und Strukturaufbau<br />
Psychotherapie<br />
Am Beispiel der Kaufsucht (Quelle: Müller et al. 2008)<br />
Selbstbeobachtung<br />
� Im Therapieverlauf: Unterscheidung zwischen<br />
angemessenen und nicht angemessenen Käufen<br />
� Neigung zum Rationalisieren, Bagatellisieren und<br />
Rechtfertigen der Einkäufe<br />
� Vorteil eines Gruppentherapeutischen Settings:<br />
Wirksame gegenseitige Konfrontation<br />
Psychotherapie<br />
Am Beispiel der Kaufsucht (Quelle: Müller et al. 2008)<br />
Verhaltensanalysen<br />
Auslöser/Reize<br />
soziale<br />
emotionale<br />
gedankliche<br />
körperliche<br />
Reaktionen<br />
Gedanken<br />
Gefühle<br />
Verhalten<br />
Folgen<br />
soziale<br />
emotionale<br />
gedankliche<br />
körperliche<br />
77
Impulskontrollstörungen<br />
Beispiel – Kognitive Umstrukturierung<br />
Psychotherapie<br />
Am Beispiel der Kaufsucht (Quelle: Müller et al. 2008)<br />
Verhaltensanalysen – Beispiel<br />
Auslöser<br />
Erledige Einkäufe.<br />
Bin nach einem Streit<br />
mit meinem Partner in<br />
mieser Laune.<br />
Fühle mich abgelehnt.<br />
Sehe das Kosmetikgeschäft<br />
und denke,<br />
dass ich da etwas<br />
gebraucht könnte.<br />
Pathologisches<br />
Kaufverhalten<br />
Was tue ich?<br />
Kaufe viel mehr Kosmetik<br />
ein, als ich benötige; unterhalte<br />
mich mit Verkäuferin.<br />
Was denke ich?<br />
Ich sehe schön damit aus.<br />
Die werden mit morgen auf<br />
der Arbeit bewundern.<br />
Was fühle ich?<br />
Bin aufgeregt, etwas<br />
angespannt und gereizt,<br />
immer noch etwas traurig.<br />
Psychotherapie<br />
Am Beispiel der Kaufsucht (Quelle: Müller et al. 2008)<br />
Folgen<br />
Positiv<br />
Vergesse den Streit. Fühle<br />
mich super. Bekomme<br />
Komplimente von der<br />
Verkäuferin.<br />
Negativ<br />
Schäme mich, dass ich so<br />
viel Geld ausgegeben<br />
habe für unnötigen Kram.<br />
Kriege Angst wegen<br />
meiner Schulden. Fühle<br />
mich als Versagerin<br />
Stimuluskontrolle & Aufbau von Alternativverhalten<br />
Typische Kaufzeiten in der<br />
kommenden Woche<br />
Freitag ab 16:00 Uhr<br />
(Wenn ich die Arbeitswoche<br />
geschafft habe.)<br />
Beispiel: Planung alternativer Aktivitäten<br />
Alternativverhalten, das Sie<br />
umsetzen wollen:<br />
Treffe mich mit einer Freundin<br />
zum Kaffee. Werde sie Anfang der<br />
Woche anrufen und mich mit ihr<br />
verabreden. Überlege mir vorher,<br />
in welches Café wir gehen.<br />
Vielleicht können wir vorher noch<br />
etwas spazieren gehen.<br />
Psychotherapie<br />
Am Beispiel der Kaufsucht (Quelle: Müller et al. 2008)<br />
Auslöser Reaktionen Folgen<br />
Einladung<br />
zu einer<br />
Geburtstagsfeier<br />
Was denke ich?<br />
Da werden nur<br />
Akademiker da sein.<br />
Ich muss<br />
wenigstens gut<br />
aussehen. Ich<br />
brauche unbedingt<br />
was Neues zum<br />
Anziehen.<br />
Was fühle ich?<br />
Unsicherheit, etwas<br />
ängstlich, schäme<br />
mich.<br />
Was tue ich?<br />
Kaufe mir ein<br />
komplett neues<br />
Outfit.<br />
Alternative<br />
Gedanken:<br />
Bin genauso schlau wie<br />
die. Hab lauter schicke<br />
Klamotten, in denen ich<br />
gut aussehe. Brauche<br />
nichts Neues.<br />
Alternative<br />
Gefühle:<br />
Innerlich noch etwas<br />
unsicher, aber ruhig.<br />
Alternatives<br />
Verhalten:<br />
Ziehe etwas Passendes<br />
aus meinem Schrank an.<br />
Kurzfristig:<br />
Froh über diese<br />
Idee. Freude,<br />
dass ich einen<br />
Anlass habe, mir<br />
was Neues zu<br />
kaufen.<br />
Langfristig:<br />
Schon wieder<br />
versagt!<br />
Kreditkarte schon<br />
wieder überzogen.<br />
Ärgere<br />
mich über mich<br />
selbst, bin<br />
verzweifelt.<br />
Alternative<br />
Folgen<br />
Kurzfristig:<br />
Gedanke: Schade,<br />
dass ich mir jetzt<br />
nichts Neues<br />
kaufen kann.<br />
Nachdenken über<br />
Einladung lässt<br />
nach.<br />
Langfristig:<br />
Stolz, es geschafft<br />
zu haben.<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Psychotherapie<br />
Am Beispiel der Kaufsucht (Quelle: Müller et al. 2008)<br />
Stimuluskontrolle & Aufbau von Alternativverhalten<br />
� = Methode der Selbststeuerung<br />
� Auslösereize für Kaufattacken werden systematisch<br />
reduziert; parallel wird „normales“ Kaufverhalten<br />
systematisch ausgebaut und belohnt.<br />
� Vermeidung von Situationen die Kaufattacken auslösen<br />
� Reaktionsverzögerung beim Einkauf (z.B. 2 min � 5 min � 1 Tag)<br />
� Auf- oder Ausbau alternativer Verhaltensweisen (z.B. Aktivitäten)<br />
� Belohnung für erwünschtes Verhalten (unmittelbar z.B. mental:<br />
„Eigenlob“; belohnende Aktivität z.B. Kinobesuch)<br />
Psychotherapie<br />
Am Beispiel der Kaufsucht (Quelle: Müller et al. 2008)<br />
Kognitive Umstrukturierung<br />
� Um sich eigene dysfunktionale Einstellungen und Bewertungen<br />
bewusst zu machen, zu hinterfragen und durch zielführendere<br />
Kognitionen zu ersetzen.<br />
Psychotherapie<br />
Am Beispiel der Kaufsucht (Quelle: Müller et al. 2008)<br />
Expositionsübungen im Therapieverlauf<br />
� Konfrontation mit Situationen, die gewöhnlich eine<br />
Kaufattacke auslösen (z.B. Betreten eines<br />
Kleidungsgeschäftes)<br />
� Exposition und Reaktionsverhinderung (Kaufdrang nicht<br />
nachgeben!)<br />
� Wichtig: Gute Vorbereitung; zu Beginn wenn möglich<br />
begleitetes Vorgehen<br />
78
Impulskontrollstörungen<br />
Psychotherapie<br />
Am Beispiel der Kaufsucht (Quelle: Müller et al. 2008)<br />
Geldmanagement<br />
� Bei Defiziten im Umgang mit Geld und irrationalen<br />
Konsummustern<br />
� Bedeutung von Geldkarten bei der Aufrechterhaltung des<br />
pathologischen Kaufverhaltens (diese begünstigen<br />
Kontrollverluste beim Einkaufen)<br />
� Vorgehen: Übung Pro – Contra Abgabe bzw. Zerschneidung<br />
der EC-Karte; Empfehlungen für gelungenes Geldmanagement<br />
(z.B. 2 Wochen lang jeden ausgegebenen Euro und jeden Cent<br />
notieren, jeden Monat Festbetrag sparen); Überlegungen zu<br />
einem angemessenen Kaufverhalten (z.B. prompte<br />
Begleichung aller Rechnungen)<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
79
Essstörungen<br />
<strong>Psychosomatik</strong><br />
Essstörungen<br />
Dr.phil. Holmer Graap<br />
WiSe <strong>2012</strong>/2013<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
Krankheitsverlauf der Essstörungen<br />
Fairburn u. Harrison, Lancet 2003; 361:407-416<br />
Anorexia nervosa (DSM IV)<br />
Untergruppen:<br />
„Restriktiver Typ“:<br />
Keine Essanfälle, kein Erbrechen, kein Kontrollverlust,<br />
kein Missbrauch von Abführmitteln bzw. Diuretika.<br />
„Bulimischer Typ“:<br />
regelmäßige Essanfälle oder Erbrechen oder Missbrauch<br />
von Abführmitteln bzw. Diuretika.<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
Klassifikation der Essstörungen (DSM IV)<br />
restriktiv<br />
bulimisch<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
Essstörungen<br />
Anorexia nervosa Bulimia nervosa Essstör. NNB<br />
NNB = nicht näher bezeichnet<br />
“purging”<br />
“non-purging”<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Binge Eating<br />
Störung<br />
subsyndromale<br />
AN, BN<br />
Anorexia nervosa (ICD 10: F 50.0)<br />
� Gewichtsverlust oder fehlende Gewichtszunahme.<br />
� BMI von 17,5 kg/m 2 oder weniger.<br />
� Der Gewichtsverlust ist selbst herbeigeführt durch<br />
Vermeidung von “fettmachenden” Speisen.<br />
� Selbstwahrnehmung als “zu fett” verbunden mit einer sich<br />
aufdrängenden Furcht, zu dick zu werden. Die Betroffenen<br />
legen für sich selbst eine sehr niedrige Gewichtsschwelle fest.<br />
� Amenorrhoe bei Frauen, Interesseverlust an Sexualität und<br />
Potenzverlust bei Männern.<br />
� Wachstumshemmung bei Beginn der Erkrankung vor der<br />
Pubertät.<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
Verhaltensweisen bei Anorexie<br />
� Weite Kleidung, mehrere Schichten<br />
� Findet Entschuldigungen für Nicht-Essen<br />
� Ständige körperliche Betätigung (körperliche Hyperaktivität)<br />
� Vermeiden von Situationen, die mit Essen verbunden sind.<br />
� Häufiges Wiegen<br />
� Kocht für andere, ohne selbst zu essen<br />
� Sammelt Rezepte, liest Kochbücher, sieht Koch-Shows<br />
� Herumstochern im Essen u. a. ungewöhnliche Essens-Rituale<br />
� Essen “verschwinden lassen”<br />
� Ständiges Kaugummi-Kauen, Light-Getränke in großen Mengen<br />
� Horten von Nahrungsmitteln.<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
80
Essstörungen<br />
Körperschemastörung<br />
-Diagnostik -<br />
� „Body checking“<br />
� Spiegel<br />
� Schaufenster<br />
� Umfänge messen<br />
� Wiegen<br />
� Vergleichen<br />
� Körperpflege<br />
� Kleidung<br />
� Rückversicherung<br />
� Körperbezogene<br />
Aktivitäten<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap © 2011 M.de Zwaan<br />
Körperliche Folgen der Anorexia<br />
� Kältegefühl, Zyanose der Hände<br />
� Dünnerwerden der Haare, Haarverlust<br />
� Trockene Haut, brüchige Nägel<br />
� Gelbfärbung der Haut<br />
� Lanugo-Behaarung<br />
� Völlegefühl/Magenschmerzen nach dem Essen<br />
(selbst bei kleinen Mahlzeiten)<br />
� Darmträgheit, Obstipation<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
Knochendichte bei Anorexia nervosa<br />
� Osteopenie<br />
� frühzeitig<br />
� bei 54%<br />
� Erhöhtes Risiko für Osteoporose<br />
� bei 21%<br />
� Kein Hinweis, dass Hormonersatztherapie hilfreich ist!!<br />
� Kein Hinweis, dass Biphosphonate hilfreich sind.<br />
� Aber auch kein Hinweis, dass Ca-Vit.D3 hilfreich ist.<br />
� Normalisierung von Essverhalten und Gewicht!<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
Somatische<br />
Aspekte<br />
Körperliche Folgen der Anorexia<br />
ERBRECHEN, LAXANTIEN<br />
� Hypokaliämie<br />
� Herzrhythmusstörungen<br />
� Muskelschwäche<br />
� Nierenversagen<br />
� Hypochlorämie, -natriämie<br />
� Metabolische Alkalose/Acidose<br />
� Knöchelödeme, periorbitale<br />
Ödeme (morgens)<br />
� Hyperamylasämie<br />
� Dehydratation mit Schwindel und<br />
Synkopen<br />
� Schleimhautschädigungen im<br />
Ösophagus, Magen, Colon<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
Bulimia Nervosa<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
UNTERGEWICHT/-ERNÄHRUNG<br />
� Low-T3-Syndrom � Hypercholesterinämie<br />
� Panzytopenie<br />
� Hypoglykämie<br />
� Hypothermie<br />
� Hypotonie<br />
� Bradykardie<br />
� Polyurie<br />
� verminderte Knochendichte<br />
� Zerebrale (“Pseudo”)Atrophie<br />
� Epileptische Anfälle<br />
� Die Selbstbewertung wird übermäßig stark von Gewicht<br />
und Figur abhängig gemacht.<br />
� Wiederholte Essanfälle<br />
� objektiv groß<br />
� Kontrollverlust<br />
� Kompensatorische Verhaltensweisen<br />
� Gezügeltes Essverhalten, Sport (“non-purging”)<br />
� Erbrechen, Laxanzien, Diuretika, Appetitzügler, SD-Präparate<br />
(“purging”)<br />
� Bei Diabetikerinnen: “insulin purging”<br />
� Frequenz 2x/Woche innerhalb von 3 Monaten<br />
� Vorgeschichte einer AN: 15-25%<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
81
Essstörungen<br />
Entzug von Laxanzien und Diuretika<br />
� ABSETZEN<br />
� Flüssigkeitsretention / Gewichtszunahme<br />
� 10 � 30 kg<br />
� 5 � 10 Tagen<br />
� Obstipation<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
Auslösende Bedingungen für Essanfälle II<br />
� Affektregulationsmodell<br />
� Blockieren der Wahrnehmung unangenehmer emotionaler<br />
Zustände<br />
� Spannungsreduktion<br />
� Dissoziative Qualität<br />
� “Verlagerung” in Richtung Affektregulation im Laufe<br />
der Störung<br />
� hohes Maß an Impulsivität, Komorbidität mit<br />
Borderline Persönlichkeitsstörung<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
Hinweise auf Erbrechen<br />
� Hypertrophie der Speicheldrüsen<br />
� meist beidseitig, schmerzlos<br />
� Zahnschäden<br />
� erhöhte Temperaturempfindlichkeit<br />
� Schmelzdefekte (an der Innenseite der oberen<br />
Schneidezähne)<br />
� Kariesentwicklung<br />
� Lockerung von Füllungen<br />
� Mundwinkelrhagaden<br />
� Kallusbildung an der Rückseite der Finger (“Russell sign”)<br />
� Petechien<br />
� Gesicht, weicher Gaumen, Hornhaut<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
Auslösende Bedingungen für Essanfälle I<br />
� Ausgeprägt restriktive Nahrungsaufnahme –<br />
“gezügeltes Essverhalten”<br />
� gepaart mit komplexen und rigiden Diätregeln,<br />
Abstinenzverletzungseffekten, “Gewichtsphobie”<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
Teufelskreis Bulimie<br />
Ärger,<br />
Langeweile,<br />
Alleinsein,<br />
Enttäuschung<br />
Kontrollierte Nahrungsreduktion,<br />
„Gute Vorsätze“<br />
Verzweiflung, Leere,<br />
Scham,<br />
Schuldgefühle,<br />
Selbsthaß<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
Zahnhygiene<br />
Essanfall<br />
Entsetzen, Gewichtsphobie<br />
Erbrechen<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Tortur<br />
Ekel<br />
Übelkeit, Leibschmerzen,<br />
Erschöpfung,<br />
lustvolle<br />
„Erlösung“<br />
Kontrollverlust<br />
Selbstbeobachtung<br />
wie von außen,<br />
machtloses<br />
Zusehen<br />
� Zähneputzen vermeiden<br />
� schonende Zahnputztechnik erlernt werden, um<br />
die Zahnsubstanzdefekte gering zu halten und<br />
nicht durch schädigende Schrubbtechniken zu<br />
begünstigen<br />
� Basische Mundspülung<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
82
Essstörungen<br />
Epidemiologie<br />
- APA 2006 -<br />
Anorexia nervosa<br />
� Prävalenz: 0,3%-3,7% (Frauen)<br />
� Frauen:Männer: 10:1<br />
� 2 Altersgipfel (14 u. 18 J.)<br />
Bulimia nervosa<br />
� Prävalenz: 1%-4,2% (Frauen)<br />
� Frauen:Männer: 20:1<br />
� Altersgipfel 18 Jahre<br />
subsyndromale Essstörungen<br />
� bis zu 13%<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
Psychische Komorbidität<br />
� Affektive Störungen (bis 70% Lebenszeitdg.)<br />
� Angststörungen (Sozialphobie)<br />
� Zwangsstörung (AN)<br />
� Substanzabhängigkeit (bulim. Essst.)<br />
� Zwanghafte Persönlichkeit (restr. AN)<br />
� Ängstlich-vermeidende Persönlichkeit<br />
� Impulsive Persönlichkeit (bulim. Essst.)<br />
� Selbstverletzung (bulim. Essst.)<br />
Prognose<br />
� Anorexia nervosa<br />
� 10-Jahresletalität 5,6% (Sullivan, 1995)<br />
� Standardisierte Mortalitätsrate (Nielsen 2001)<br />
� Im ersten Jahr nach Diagnosestellung: 30 fach<br />
� nach 6-12 Jahren: 9,6<br />
� nach 20-40 Jahren: 3,7<br />
� Bulimia nervosa<br />
� Standardisierte Mortalitätsrate (Nielsen 2001)<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap © <strong>2012</strong> H. Graap<br />
Bedingungsmodell für Anorexia und Bulimia<br />
Interpersonelle<br />
Probleme<br />
Intrapsychische<br />
Faktoren:<br />
Perfektionismus,<br />
Affektintoleranz,…<br />
Soziokulturelle<br />
Faktoren<br />
Biologische und<br />
Genetische<br />
Faktoren<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
Überbetonung von Kontrolle<br />
über Essen, Figur und Gewicht<br />
Essanfälle<br />
Erbrechen,<br />
Laxanzien etc.<br />
Diäthalten, kontrolliertes<br />
Essen<br />
Auswirkungen<br />
des restriktiven<br />
Essens<br />
oder des<br />
Untergewichts<br />
„starvation<br />
syndrom“:<br />
sozialer<br />
Rückzug,<br />
Essen dominiert<br />
alles,<br />
erhöhtes<br />
Völlegefühl,<br />
„Besessenheit<br />
Ernährung“,…<br />
� nach 5-11 Jahren: 1,5-7,4 (noch unklar)<br />
Ätiologie der Essstörungen<br />
� intrapsychische/interpersonelle Faktoren<br />
� Soziokulturelle Faktoren<br />
� biologische und genetische Faktoren<br />
Therapie der Essstörungen<br />
� Früherkennung<br />
� Körperliche Untersuchung und Stabilisierung<br />
� Motivation zur Therapie<br />
� Psychotherapie (Therapie der Wahl)<br />
� Aufbau eines geregelten Essverhaltens<br />
� ambulant - stationär<br />
� Erfahrung in der Behandlung von Essstörungen<br />
� Medikamentöse Therapie (SSRIs bei BN)<br />
� Selbsthilfe<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
83
Essstörungen<br />
Motivation zur Therapie<br />
� Patientinnen mit Essstörungen sind häufig zu<br />
Veränderungen nicht bereit bzw. ambivalent<br />
� Haben keine Krankheitseinsicht und kein Krankheitsgefühl<br />
� Ego-synton, Ich-nahe<br />
� AN: Gewichtsverlust<br />
� BN: restriktives Essverhaltens<br />
THERAPIE IST NUR DANN WIRKUNGSVOLL, WENN DIE<br />
BETROFFENEN BEREIT DAZU SIND. ZIELE MÜSSEN<br />
GEMEINSAME SEIN.<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
Indikationen zur stationären Behandlung<br />
� bei AN initial oft stationär (Gesundheitssystem!)<br />
� Ausgeprägte Symptomatik<br />
� BMI < 13, rascher Gewichtsverlust (AN)<br />
� tägliche Ess-Brech-Attacken (BN)<br />
� Ausgeprägtes Kompensationsverhalten<br />
� Körperlich instabiler Zustand<br />
� Ausgeprägte Komorbidität<br />
� Depression, Suizidalität<br />
� Persönlichkeitsstörung<br />
� Substanzmissbrauch<br />
� Diabetes mellitus Typ I<br />
� Schwangerschaft<br />
� Nicht verfügbare oder erfolglose ambulante Behandlung<br />
� Instabile soziale Situation<br />
Pro und Contra Veränderung<br />
Gründe, zu bleiben wie ich bin Gründe, mich zu verändern<br />
„Ich mag mich selbst wieder“<br />
„ich würde zunehmen!!!!“<br />
„Ich kann mich wieder besser<br />
„ich bin nicht mehr<br />
konzentrieren“<br />
bemitleidenswert!!“<br />
„Ich habe wieder Zeit für<br />
„ich könnte nicht mehr so stolz<br />
interessante Dinge“<br />
auf Figur und Gewicht sein!“<br />
„ED wird bleiben, wenn ich nichts<br />
„ich muß mich mit anderen<br />
tue“<br />
Problemen auseinandersetzen“<br />
„zu 90% fange ich an zu<br />
erbrechen“<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap © 2010 M. de Zwaan<br />
Behandlungsschritte<br />
1. Behandlungsmotivation und Ausblick auf<br />
Veränderung<br />
2. Informationsvermittlung („starvation syndrom“, bulimic<br />
circle, psychobiologische Auswirkungen)<br />
3. Regelmäßiges Essen<br />
4. Gewichtszunahme und/oder –stabilisierung<br />
5. Andere Problembereiche (Selbstwert, Überbetonung von<br />
Figur, Aussehen und Gewicht, Affektintoleranz, interpersonelle<br />
Probleme)<br />
6. Gewichtsstabilisierung selbständig umsetzten<br />
© 2010 M. de Zwaan<br />
Regelmäßige Nahrungsaufnahme<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
„zu 50% entwickle ich eine BN mit<br />
unkontrollierter Gewichtszunahme“<br />
Vorgehen<br />
1. Definierte Zeitintervalle<br />
� 3 Mahlzeiten, 2-3 Zwischenmahlzeiten<br />
� Geplant, “automatisches” Essen<br />
� Gewisse Flexibilität sinnvoll („guideline not a rule“)<br />
� Pausen nicht länger als 4 Stunden<br />
� Patientin wählt Nahrungsmittel selbst aus, versucht jedoch<br />
nicht zu Erbrechen<br />
� große Angst vor unkontrollierter Gewichtszunahme<br />
� Eventuell schritt weises Einführen, z.B. ein strukturierter<br />
Esstag pro Woche, oder die einfachste Mahlzeit am Tag<br />
© 2010 M. de Zwaan<br />
84
Essstörungen<br />
Regelmäßige Nahrungsaufnahme<br />
Vorgehen<br />
2. Nicht zwischen den geplanten Zeiten essen<br />
� Strategien entwickeln<br />
� Alternative Verhaltensweisen<br />
� Hinauszögern<br />
3. Einführen verbotener Nahrungsmittel<br />
� Schwarze Liste<br />
© 2010 M. de Zwaan © <strong>2012</strong> H. Graap<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
Bearbeitung zugrunde liegender Problembereiche<br />
Selbstwert<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
Figur<br />
Gewicht<br />
Selbstwert<br />
? ? ? ? ?<br />
Bearbeitung zugrunde liegender Problembereiche<br />
Selbstwert<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
Selbstwert<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Figur<br />
Antidepressiva bei Bulimia<br />
� THERAPIE DER ZWEITEN WAHL<br />
� KOMBINATIONSTHERAPIE<br />
v.a. zu Beginn der Behandlung<br />
Gewicht<br />
� Bei Bestehen einer depressiven Symptomatik<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
85
Essstörungen<br />
Antidepressiva bei Bulimia<br />
� Serotonerge Antidepressiva (SSRIs)<br />
� günstiges Nebenwirkungsprofil<br />
� keine Gewichtszunahme<br />
� in hoher Dosierung<br />
(drei- bis vierfache antidepressive Dosis)<br />
� über einen Zeitraum von 6 bis 12 Monaten<br />
� bei Nichtansprechen eventuell Umstellung auf<br />
anderes Antidepressivum<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
Zusammenfassung<br />
� Viele der Symptome sind eine Nebenwirkung des<br />
niedrigen Körpergewichtes oder des restriktiven<br />
Essens<br />
� Einige dieser Nebenwirkungen halten die Essstörung<br />
aufrecht und schädigen den Körper<br />
� Viele Betroffene denken, der aktuelle Zustand<br />
entspreche ihrer wirklichen Persönlichkeit<br />
� Eine Lösung der Probleme ohne<br />
Gewichtszunahme/Normalem Essverhalten gibt es<br />
nicht<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
Effektivität antidepressiver Therapie bei<br />
Bulimia nervosa<br />
� Reduktion der Essanfälle um 40-90%<br />
� Signifikant besser als Plazebo<br />
� Spezifische antibulimische Wirkung?<br />
� auch bei nicht depressiven Pat. wirksam<br />
� Signifikante Verbesserung depressiver Symptome<br />
� Wirkung oft bereits nach einer Woche<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
Selbsthilfe bei BN und AN<br />
� Fairburn, C.G. „Essattacken stoppen“. Huber:<br />
Bern. 2.Auflage 2006<br />
� Treasure, J. „Gemeinsam die Magersucht<br />
besiegen“. Beltz: Weinheim. 2001<br />
© <strong>2012</strong> H. Graap<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
86
Adipositas<br />
<strong>Psychosomatik</strong><br />
Adipositas<br />
Dr. Holmer Graap<br />
WiSe <strong>2012</strong><br />
Fettverteilung: Birne oder Apfel?<br />
gynoid<br />
Gluteo-femoral<br />
Hüftbetont<br />
Nur geringfügige<br />
metabolische<br />
Begleiterkrankungen !<br />
Waist-to-hip-<br />
Ratio:<br />
Taille/Hüfte<br />
Kritisch…<br />
Frauen > 0,85<br />
Männer > 1,00<br />
Ebenso gut: Taillenumfang messen!<br />
einfaches Risiko<br />
(keine Gewichtszunahme)<br />
android<br />
abdominal<br />
stammbetont<br />
Deutlich erhöhtes<br />
Gesundheitsrisiko!!<br />
Metabolisch, coronar,<br />
respiratorisch<br />
stark erhöhtes Risiko<br />
(Gewichtsreduktion erforderlich)<br />
Männer 94-102 cm � 102 cm<br />
Frauen 80-88 cm � 88 cm<br />
Taillenumfangsmessung: abdominale Adipositas ab…<br />
Bei Frauen ≥ 88 cm<br />
Bei Männern ≥ 102 cm<br />
(WHO, 2000; EASO, 2002).<br />
Einteilung der Adipositas<br />
© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Tabelle: Einteilung nach dem Body Mass Index<br />
BMI = Körpergewicht (kg) / Körperhöhe 2 (m 2 )<br />
1.70 m Einteilung/BMI (kg/m 2 ) 1.80 m<br />
52-72 kg Normalgewicht 18-24.9 58.3-80.7 kg<br />
72-86.5 kg Übergewicht 25-29.9 80.7-97 kg<br />
86.5-101 kg Adipositas Grad I 30-34.9 97-113 kg<br />
101-115 kg Adipositas Grad II 35-39.9 113-129.3 kg<br />
> 115 kg Adipositas Grad III > 40 > 129.3 kg<br />
Geschlechterverteilung<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
"Birne" "Apfel"<br />
Bei Adipositas erhöhtes Risiko für…<br />
� Arterielle Hypertonie (v.a. abdomineller Adipositas)<br />
� Diabetes mell. Typ II (30fach erhöht, wenn BMI > 30 !!!)<br />
� Hyperlipidämie<br />
� Herzinfarkt, Herzinsuffizienz,<br />
� Schlaganfall<br />
� Schlafapnoe-Syndrom<br />
� Schwangerschaftskomplikationen, Fertilitätsstörung<br />
� Krebserkrankungen<br />
� Gicht<br />
� Gallenblasenerkrankungen<br />
� Orthopädische Probleme (Knie, Rücken)<br />
� Katarakte<br />
� Lungenembolie<br />
� Erhöhte Mortalität…<br />
Männer<br />
Frauen<br />
Metabolisches<br />
Syndrom<br />
Deutschland: ca. 35 Mrd.<br />
Euro/Jahr nur für direkte Kosten<br />
der Adipositas!!!<br />
87
Adipositas<br />
Organische Komorbidität bei Adipositas<br />
RR > 3 RR 2-3 RR 1-2<br />
Dyslipidämie KHK Malignome<br />
Diabetes mellitus 2 Hypertonie red. Fertilität<br />
Apoplex Beinvenenthrombose EPH Gestose<br />
Cholezystolithiasis Arthrose PCO Syndrom<br />
Schlafapnoe<br />
RR = relatives Risiko<br />
© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />
Mortalität<br />
• Verdoppelung der Mortalität ab BMI > 35.<br />
• Die Mortalität im Rahmen von Stoffwechselerkrankungen<br />
und Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />
steigt um ein Vielfaches (Sjöström et al., 1992)<br />
• Abdominelle Fettverteilung besserer Sjöström et Prädiktor al., 1992 als<br />
BMI für Mortalität<br />
• V.a. bei frühem Beginn Lebenszeitverkürzung.<br />
Männer 13 Jahre, Frauen 8 Jahre (Fontaine et al., 2003)<br />
Stigmatisierung und Diskriminierung<br />
� „Dicke haben keine Willenskraft“ = Kausalattributionen auf das<br />
individuelle Verhalten und die Kontrollierbarkeit des Verhaltens<br />
� 23,5% einer repräsentativen Stichprobe der Deutschen Bevölkerung<br />
� 50% unentschieden (Hilbert et al., 2008)<br />
� geringerer Bildungsstand, höheres Alter<br />
� Personal im Gesundheitswesen!!<br />
� Soziale Benachteiligung<br />
� Arbeitssuche<br />
� Lohnverhandlungen<br />
� Partnersuche<br />
� Aufnahme ins College<br />
� Finanzielle Unterstützung durch Eltern<br />
© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />
Alle Malignome<br />
© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
� Frauen: OR 1,88 (Uterus, Niere, Zervix, Pankreas,<br />
Ösophagus)<br />
� Männer: OR 1,68 (Leber, Pankreas, Magen,<br />
Ösophagus, Colorektal)<br />
Calle, NEJM 2003<br />
2-7% der direkten Kosten im Gesundheitssystem<br />
Anzahl der Krankheitstage in Abhängigkeit<br />
vom BMI (Ford et al, 2001)<br />
© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />
Adipositas (BMI>30)<br />
-derzeit -<br />
USA<br />
England<br />
Deutschland<br />
© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />
0 5 10 15 20 25 30 35 40<br />
Prozent der Bevölkerung<br />
Frauen<br />
Männer<br />
88
Adipositas<br />
Verbreitung von Adipositas bei 18-79 jährigen<br />
Frauen und Männern nach sozialer Schicht<br />
35<br />
30<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
Unterschicht Mittelschicht Oberschicht<br />
Robert Koch-Institut, BGS 98<br />
© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />
Prognostische Faktoren für Persistenz<br />
kindlicher Adipositas im Erwachenenalter<br />
� Früher Beginn (vor 6. Lebensjahr)<br />
� Früher „adiposity-rebound“<br />
� Extremes Übergewicht<br />
� Eltern übergewichtig<br />
� Fortdauer der Adipositas bis nach der Pubertät<br />
Prozent Übergewicht und Sozialstatus<br />
16<br />
14<br />
14<br />
12<br />
12<br />
10<br />
9,8<br />
8<br />
7,5<br />
6<br />
4<br />
4,4<br />
3<br />
6,3<br />
3<br />
5,9<br />
3,6<br />
5,2<br />
2<br />
0<br />
1,3<br />
3-6 J. 7-10 J. 11-13 J. 14-17 J.<br />
KIGGS Studie, Bundesgesundheitsblatt, 2007<br />
© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />
Männer<br />
Frauen<br />
niedrig<br />
mittel<br />
hoch<br />
Dicke Kinder - dicke Erwachsene!<br />
© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Risiko für Übergewicht als<br />
Erwachsener (%)<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />
Risiko für Erwachsenen-Adipositas<br />
falls Übergewicht im Kindesalter<br />
www.kiggs.de<br />
(n=17.641, 2006)<br />
1-2 J. 3-5 J. 6-9 J. 10-14 J. 15-17 J.<br />
15% der Kinder und Jugendlichen von 3-17 Jahren haben einen<br />
BMI oberhalb der 90. Perzentile (Übergewicht)<br />
6,3% haben einen BMI oberhalb der 97. Perzentile (Adipositas)<br />
N=14.747<br />
Prozent Übergewicht und BMI der Mutter<br />
24<br />
22<br />
20<br />
18<br />
16<br />
14<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
1,7<br />
3,8<br />
9,5<br />
© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />
3,5<br />
9,6<br />
15<br />
4<br />
6,8<br />
22<br />
5<br />
11<br />
3-6 J. 7-10 J. 11-13 J. 14-17 J.<br />
KIGGS Studie, Bundesgesundheitsblatt, 2007<br />
18<br />
BMI=30<br />
89
Adipositas<br />
Erlanger Einschulungsdaten<br />
� Einschulungsdaten von 2312 Kindern des Jahrgangs 1995/96<br />
und von 2298 Kindern aus 2000/2001<br />
� Insgesamt 4610 Kinder aus Stadt Erlangen und Landkreis<br />
Erlangen-Höchstadt<br />
� Anteil nichtdeutscher Kinder 6,1 bzw. 6,9%<br />
� Mittleres Alter 6,7 Jahre, 49% Mädchen<br />
(Knerr et al., 2005)<br />
© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />
Erlanger Einschulungsdaten<br />
Frühe Einflussfaktoren auf kindliches Übergewicht:<br />
� Ein hohes Geburtsgewicht<br />
� Nichtdeutsche Kinder waren signifikant schwerer als<br />
gleichaltrige deutsche Kinder<br />
� Jungen waren bei der Einschulung schwerer als gleichaltrige<br />
Mädchen<br />
� Die Kinder im Landkreis hatten einen höheren BMI als<br />
diejenigen aus der Stadt Erlangen<br />
(Knerr et al., 2005)<br />
© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />
Take home message<br />
� ÜG/Adipositas nimmt in Industrienationen rasant<br />
zu, aber auch in Schwellenländern (China etc.)<br />
� Deutschland: 50% ÜG, 18% Grad I, ca. 1% Grad III<br />
(800.000 Menschen allein in Deutschland!)<br />
� Kinder und Jugendliche werden immer dicker<br />
(10-20% ÜG in Deutschland, 20-27% in USA)<br />
� Persistenz ins Erwachsenenalter bei ca. 50%<br />
� Adipositas ist das Gesundheitsproblem der<br />
westlichen Industrienationen<br />
� Kosten Dtl.: ca. 35 Mrd.€/Jahr nur direkte Kosten<br />
Erlanger Einschulungsdaten<br />
© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Prävalenz [%]<br />
12%<br />
10%<br />
8%<br />
6%<br />
4%<br />
2%<br />
0%<br />
Mädchen<br />
© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />
Jungen<br />
2000/01<br />
1995/96<br />
Entwicklung der Adipositas weltweit<br />
PANDEMIE<br />
International Obesity Task Force,<br />
Nature 404, 2000<br />
Zunahme von<br />
Übergewicht und<br />
Adipositas von<br />
6,3% auf 9,5%<br />
aller Kinder<br />
innerhalb von nur<br />
5 Jahren!<br />
(Knerr et al., 2005)<br />
Ätiologie und Pathogenese<br />
90
Adipositas<br />
Biopsychosoziales Modell zur Genese von Adipositas<br />
Psychosoziale Faktoren<br />
•Individuelle<br />
Lerngeschichte/Elternhaus<br />
•Nahrungsmittelpräferenzen<br />
•Stress/emotionale Befindlichkeit<br />
•Essen als Affektregulation<br />
Essverhalten<br />
(qualitative/quantitative<br />
Nahrungsaufnahme)<br />
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Soziokulturelle Faktoren<br />
•Leichte Verfügbarkeit von<br />
Lebensmitteln mit hoher<br />
Energiedichte/<br />
Überflussgesellschaft<br />
•Geringe körperliche Aktivität in<br />
Beruf und Freizeit<br />
Körperliche<br />
Aktivität<br />
Energieaufnahme Energieverbrauch<br />
Adipositas<br />
Genetische Faktoren<br />
•Anzahl der Fettzellen<br />
•Energieverbrauch<br />
•Geschmackspräferenz<br />
Ruhestoffwechsel<br />
Essprotokoll vs. Doppelisotopenmessung<br />
Platte et al. (1995); (N=24; Frauen)<br />
kcal<br />
Unterschätzung der Kalorienzufuhr !<br />
Essverhalten<br />
qualtitativ<br />
� Konsum fettreicher Nahrungsmittel steigt<br />
� Nahrungsfett hohe Energiedichte<br />
� Leichte Konvertierung in Körperfett<br />
� Adipöse nehmen tendentiell mehr Energie über Fett<br />
als über Kohlenhydrate zu sich (Pudel & Westhöfer, 1992)<br />
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© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Differenz Energieaufnahme - Energieverbrauch<br />
„underresponding“ bei Adipösen bzgl. Quantität<br />
Essverhalten<br />
quantitativ<br />
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Prentice et al., 1986 Lichtman et al., 1992<br />
� Auch sozial beeinflusst<br />
� Exakte Erfassung schwierig<br />
� Erhöhte Kalorienzufuhr nicht für alle Adipösen<br />
nachgewiesen => andere Faktoren<br />
Warum die Zunahme der Prävalenz der<br />
Adipositas?<br />
� Überflussgesellschaft<br />
SOZIOBIOCHEMISCHE DISSONANZTHEORIE<br />
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91
Adipositas<br />
Umwelt<br />
� Dieser Überfluss war in unserer evolutionären<br />
Programmierung nicht vorgesehen.<br />
� Der menschliche Organismus ist wesentlich besser<br />
auf Mangel als auf Überfluss eingerichtet.<br />
� Übergewicht heute ist eine ganz normale Reaktion<br />
des Körpers auf eine unnormale Umwelt.<br />
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Teufelskreis<br />
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Gezügeltes Essverhalten<br />
Angst vor Gewichtszunahme<br />
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Zunahme der Störbarkeit/<br />
Essanfälle<br />
Homo McDonalds<br />
Zunahme von Hunger<br />
Grundumsatz interfamiliär sehr unterschiedlich !<br />
Ravussien et al., 1988; Bogardus et al., 1986; N=130 aus 54 Familien<br />
Schönheitsideal<br />
� Hänseleien, Stigmatisierung, Meidung adipöser<br />
Menschen<br />
� Unzufriedenheit mit Körper/Insuffizienzgefühle<br />
� Diät, meist sehr einschränkend<br />
� Kognitive Kontrolle des Essverhaltens<br />
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Risiko für BED steigt !!<br />
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Körperliche Aktivität hat großen Einfluss !!!<br />
Martinez-Gonzales et al., 1999 Europäische Multicenterstudie (N=15.239)<br />
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Aus: Martinez-Gonzales et al., 1999<br />
Genetische Faktoren: 30-70% des Varianzanteils<br />
� Familienuntersuchungen<br />
� beide Eltern übergewichtig: 80% Chance<br />
� beide Eltern schlank: 20% Chance<br />
� Risiko steigt mit zunehmendem BMI<br />
� Zwillingsstudien<br />
� gemeinsam vs getrennt aufgewachsen (70%)<br />
� Überernährung, Unterernährung<br />
� Adoptionsstudien<br />
� Der BMI von Adoptivkindern korreliert stärker mit dem BMI der<br />
leiblichen Eltern als der Adoptiveltern<br />
92
Adipositas<br />
Genetischer Einfluss<br />
� Energieverbrauch<br />
� Anzahl der Adipozyten<br />
� Lipolyse im Fettgewebe<br />
� Muskelzusammensetzung und Oxidationspotenzial<br />
� Freie Fettsäuren, Aktivität der β-Rezeptoren im Fettgewebe<br />
� Fettpräferenz<br />
� Thermogenetischer Effekt der Nahrung<br />
� Insulinsensitivität<br />
� Leptinspiegel<br />
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Psychische Faktoren<br />
� Zusammenhang zwischen Psychopathologie/<br />
psychischer Komorbidität und Übergewicht/Adipositas<br />
in der Bevölkerung<br />
� Untergruppen mit höherer Psychopathologie:<br />
� Menschen, die Behandlung aufsuchen<br />
� Adipositas Grad III<br />
� Lebenszeit Achse I Diagnose 84%<br />
� Persönlichkeitsstörung 40-72%<br />
� Binge-Eating-Störung<br />
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Zusammenfassung<br />
Adipositas....<br />
• Ist nicht primär das Ergebnis von Willensschwäche.<br />
• Ist durch das komplexe Zusammenspiel von<br />
Umweltfaktoren, verhaltensbezogenen Faktoren und von<br />
genetisch-biologischen Grundlagen bedingt.<br />
• Adipositas hat den Stellenwert einer chronischen<br />
Erkrankung.<br />
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Familiäre Einflussfaktoren<br />
� Nahrungsmittel als Belohung/Bestrafung<br />
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© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
� Ersatz emotionaler Zuwendung durch Süßigkeiten<br />
� Tischsitten<br />
� Starre Vorschriften ohne Berücksichtigung von<br />
Sättigungssignalen<br />
� Imitationsverhalten<br />
Bidirektionale Assoziation zwischen Depression<br />
und Adipositas<br />
� Adipöse Menschen haben ein um 55% erhöhtes<br />
Risiko eine Depression zu entwickeln (OR 1,55).<br />
� Depressive Personen haben ein um 58% erhöhtes<br />
Risiko adipös zu werden (OR 1,58).<br />
� Das gilt gleichermaßen für Frauen und für Männer.<br />
� Der Zusammenhang gilt auch für Übergewicht, ist<br />
aber schwächer.<br />
Luppino et al., Arch Gen Psychiatry, 2010<br />
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Gewichtsreduktionsmaßnahmen<br />
93
Adipositas<br />
Behandlung<br />
Die Behandlung der Adipositas wäre einfach….<br />
� Nahrungsumstellung (Kalorienreduktion)<br />
� Bewegungssteigerung<br />
� Verhaltensänderung („lifestyle“)<br />
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Therapieziele nach DAG S3-Leitlinie Adipositas<br />
� Langfristige Senkung des Körpergewichts<br />
� Verbesserung Adipositas-assoziierter Risikofaktoren und<br />
Krankheiten<br />
� Verbesserung des Gesundheitsverhaltens (energieadäquate<br />
Ernährung, regelmäßige Bewegung)<br />
� Reduktion von Arbeitsunfähigkeit und vorzeitiger Berentung<br />
� Stärkung der Selbstmanagementfähigkeit und<br />
Stressverarbeitung<br />
� Steigerung der Lebensqualität<br />
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Auswirkungen einer vorübergehenden<br />
hypokalorischen Diät auf das Körpergewicht<br />
15<br />
Ursprungsgewicht<br />
10<br />
5<br />
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Hypokalorische Diät<br />
Neues Gewicht, Stabilisierung<br />
Lockerung der Diät<br />
oft überschießen<br />
Jojo-Effekt<br />
Versagen in<br />
> 90% der Fälle<br />
Ernährung Bewegung Verhalten Medikamente<br />
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Adipositas – Therapie nach Leitlinie DAG 2006<br />
Therapieregime<br />
+ + + +<br />
I II III IV<br />
Gardner, JAMA 2007<br />
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Basisprogramm<br />
•BMI ≥ 30<br />
•BMI ≥ 25 + Risikofaktoren<br />
A To Z Weight Loss Study<br />
Sportliche Aktivität - Ziele<br />
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• BMI ≥ 30<br />
• BMI ≥ 27 + Risikofaktoren<br />
• � 5 kg Gewichtsverlust<br />
in 3 Monaten mit<br />
dem Basisprogramm<br />
Operation<br />
(gastric<br />
banding)<br />
V<br />
•BMI > 40<br />
• BMI > 35<br />
+ Begleiterkrankungen<br />
� Allein - zur Gewichtsabnahme (aber hohe Intensität und<br />
Regelmäßigkeit erforderlich, Reduktion erfolgt langsam)<br />
� In Kombination mit Reduktionskost – begünstigt/ zur<br />
Gewichtsabnahme<br />
� Nach Gewichtsabnahme zur Gewichtsstabilisierung!<br />
� Weitere Effekte:<br />
� reduziert adipositas-assoziierte Begleiterkrankungen<br />
� Steigerung körperlicher Ausdauer/ Leistungsfähigkeit<br />
� Verbesserung Wohlbefinden Erfolgserlebnisse, positive soziale Erfahrungen<br />
94
Adipositas<br />
Medikamentöse Therapie der Adipositas<br />
� Indikation (DAG)<br />
� BMI ≥ 30 ohne ausreichende Gewichtsabnahme im Basisprogramm<br />
� BMI ≥ 27 bei gleichzeitigen gravierenden Risikofaktoren (u.a. Hypertonie,<br />
Diabetes)<br />
� Ziele: Begünstigung der Gewichtsabnahme (kurzfristig) und<br />
der Gewichtsstabilisierung (langfristig)<br />
� Einsatz nur adjuvant, im Rahmen multimodalen Vorgehens<br />
� Ggf. Motivierende Wirkung bei Stagnation der<br />
Gewichtsabnahme über Diät/ Bewegung<br />
� Einschränkungen<br />
� Die Medikamente wirken nur so lange, wie sie genommen werden !<br />
� Nebenwirkungspotenzial!<br />
� Kosten-Nutzen-Abwägung notwendig!<br />
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Sibutramin (Reductil ® )<br />
� Norepinephrin-Wiederaufnahme-Hemmer<br />
� Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer<br />
� � Puls<br />
� � Blutdruck<br />
� Zulassung ruht<br />
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Wie effektiv sind Gewichtsreduktionsprogramme?<br />
1. Ernährungstherapie und Bewegungstherapie bei adipösen<br />
Erwachsenen führen zu einem Gewichtsverlust von<br />
durchschnittlich 3-5 kg.<br />
2. Medikamentöse Therapien führen ebenfalls zu einem<br />
Gewichtsverlust von durchschnittlich 3-5 kg, der Effekt hält<br />
nach Absetzen des Medikaments nicht an.<br />
3. In den meisten Langzeitstudien zeigte sich, dass das Gewicht<br />
wieder zugenommen wird (Jojo).<br />
4. In der Therapie von Kindern haben sich bisher keine<br />
Programme als langfristig erfolgreich erwiesen.<br />
5. Für Patienten mit Adipositas Grad III ist die chirurgische<br />
Therapie effektiv.<br />
Jain, BMJ, 2005<br />
What works for obesity? www.unitedhealthfoundation.org/obesity.pdf<br />
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Orlistat (Xenical ® )<br />
� Lipase-Hemmer<br />
� Lokale Wirkung im Darm<br />
� Blockiert ~ 30% der Fettaufnahme in<br />
therapeutischer Dosis<br />
� Nebenwirkung: diverse gastrointestinal<br />
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Rimonabant (Accomplia ® )<br />
� CB1 (Cannabinoid) Rezeptor Antagonist<br />
� Belohnungssystem<br />
� Depression bei 20% (Zulassung ruht)<br />
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Therapieziel anpassen<br />
� Deutliche Verbesserung von Stoffwechselparametern<br />
nach nur geringem Gewichtsverlust von 5% bis 10%,<br />
auch wenn noch Übergewicht besteht.<br />
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© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
� Übergewichtige Frauen streben aber eine Gewichtsverlust<br />
von durchschnittlich 32% an.<br />
Foster et al., J Consul Clin Psychol, 1997<br />
95
Adipositas<br />
Änderung der Umweltbedingungen<br />
Strategie<br />
Ernährungserziehung<br />
Individuelle Beratung<br />
Ernährungsinformation<br />
Lebensmittelkennzeichnung<br />
food claims<br />
Einschränkung des Marketings<br />
Fiskalische Maßnahmen<br />
Kommunale Strategien<br />
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Wirksame Public Health-Strategien<br />
gegen das Übergewicht?<br />
Effektivität<br />
geringe, selektive Effekte<br />
nicht nachhaltig<br />
nein<br />
nein, selektiv?<br />
nein, selektiv?<br />
ja?<br />
ja?<br />
??<br />
Magen-Bypass Magenband<br />
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Umwelt<br />
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© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
� Die Forschung konzentriert sich auf das Individuum<br />
betreffende Therapieansätze, die zu nur geringen<br />
Gewichtsverlusten führen und keinen Effekt auf die<br />
Epidemie der Adipositas zeigen.<br />
� Die epidemische Zunahme der Adipositas beruht auf<br />
Umweltfaktoren, individuelle Ansätze müssen zu<br />
kurz greifen.<br />
Jain: „Treating obesity in individuals and populations“, BMJ, 2005<br />
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Chirurgische Therapie<br />
Kriterien für eine OP<br />
Voraussetzungen nach Leitlinie der Deutschen Adipositas<br />
Gesellschaft :<br />
� BMI ≥ 40 kg/m 2 oder ≥ 35 kg/m 2 mit erheblicher organischer<br />
Komorbidität bzw. Risikofaktoren.<br />
� Konservative Behandlungsmöglichkeiten unter ärztlicher<br />
Aufsicht müssen ausgeschöpft sein.<br />
� Das Operationsrisiko darf nicht inakzeptabel hoch sein.<br />
� Die Patienten müssen ausreichend motiviert und vollständig<br />
aufgeklärt sein sowie<br />
� ihr Einverständnis gegeben haben.<br />
96
Adipositas<br />
Gewichtsverlust nach chirurgischer<br />
Adipositastherapie<br />
� Magenbypass effizienter als Magenband, aber höheres<br />
Komplikationsrisiko und nicht reversibel<br />
� Verlust von maximal 60-80% des Übergewichtes<br />
� Maximaler Gewichtsverlust nach 1 bis 2 Jahren (“honeymoon<br />
Phase”)<br />
� Plateau bzw. Gewichtszunahme danach<br />
� Nicht alle Pat. verlieren an Gewicht (Rolle zuckerhaltiger<br />
Getränke/ Alkohol)<br />
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Mortalität<br />
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Essstörungen nach DSM IV<br />
restriktiv<br />
bulimisch<br />
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Sjöström et al. N Engl J Med 2007<br />
Essstörungen<br />
Anorexie Bulimie NNB<br />
purging<br />
non-purging<br />
Binge Eating<br />
Störung<br />
subsyndromal<br />
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Gewichtsverlauf über 15 Jahre in der Swedish Obese Subjects (SOS) Studie<br />
Sjöström et al. N Engl J Med 2007<br />
Behandlung einer Essstörung<br />
Binge-Eating-Störung<br />
„Binge-Eating“-Störung<br />
Forschungskriterien nach DSM-IV-TR 307.50<br />
A. Wiederkehrende Essanfälle<br />
B. Mindestens 3 Verhaltensmerkmale<br />
1. wesentlich schneller essen als normal<br />
2. essen bis unangenehm voll<br />
3. essen, ohne hungrig zu sein<br />
4. allein essen aus Verlegenheit<br />
5. Negativer Affekt nach übermäßigem Essen<br />
C. Deutliches Leiden wegen der Essanfälle<br />
D. Essanfälle an mindestens 2 Tagen pro Woche für 6 Monate<br />
E. Keine unangemessenen kompensatorischen<br />
Verhaltensweisen/nicht nur im Verlauf von Anorexia od.<br />
Bulimia Nervosa<br />
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97
Adipositas<br />
BES - Epidemiologie<br />
Allgemeinbevölkerung 0,7-3,3%<br />
� Geschlechtsverteilung (w:m) 3:2<br />
� Prozent übergewichtig 50%<br />
Teilnehmerinnen an Gewichtsreduktionsprogrammen<br />
9-30%<br />
� Overeaters Anonymous 70%<br />
� vor chirurgischer Therapie 12-47%<br />
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BES - Essverhalten<br />
� Essanfälle an 2,5 bis 5 Tagen/Woche;<br />
� Als Essanfall kann auch ständige Nahrungsaufnahme<br />
(„grazing“, „picking“, „nibbling“) ohne geplante Mahlzeiten<br />
und ohne längerer Unterbrechung bezeichnet werden;<br />
� 600-3000 kcal/Essanfall (geringer als bei Pat. mit BN);<br />
� hoher Zucker- und Fettanteil;<br />
� Mehr Genuss als bei bulimischen Pat. (Mitchell et al.,<br />
1999);<br />
� Bei 50% Beginn der Essanfälle vor der 1. Diät („binge-first<br />
group“) (bei bulimischen Pat. beginnt die Störung zu 95%<br />
mit einer Diät);<br />
� Beginn der Essanfälle in der Pubertät.<br />
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Auslöser für Essanfälle<br />
� Keine enge Beziehung zwischen Hunger und<br />
Essanfällen (im Gegensatz zu BN)<br />
� Stimmungsstörungen als Auslöser: Wut,<br />
Frustration, Langeweile, Depression, Angst<br />
� Spannungsreduktion<br />
� Dissoziative Qualität (“Betäubung“)<br />
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Binge Eating Störung bei Kindern<br />
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© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Schuleingangsuntersuchung in Aachen: 1979 (97,9%)<br />
der Eltern füllten Fragebogen zum Essverhalten der<br />
Kinder aus:<br />
� Essanfälle bei 2% der Kinder (5-6 Jahre)<br />
� Korreliert mit Übergewicht der Kinder<br />
� Korreliert mit Essstörung der Mütter<br />
� Kein Geschlechtsunterschied<br />
� Korreliert mit Fremdsprachigkeit<br />
Lamerz et al., 2004<br />
BES versus nonBES<br />
Übergewichtige Frauen mit BES im Vergleich zu<br />
übergewichtigen Frauen ohne BES in Gewichtsreduktionsprogrammen:<br />
� früherer Beginn des Übergewichts;<br />
� höheres Gewicht;<br />
� größere Unzufriedenheit mit Gewicht und Körperform;<br />
� geringeres Selbstwertgefühl;<br />
� Häufigere Gewichtsschwankungen;<br />
� Höhere psychiatrische (Ko)Morbidität.<br />
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Psychische Komorbidität<br />
� Mehr essstörungsspezifische Psychopathologie<br />
(mehr Sorgen um Gewicht, Figur, Essen als übergewichtige<br />
ohne BES).<br />
� Mehr allgemeine Psychopathologie (Selbstwert,<br />
Depression, Angst, Substanzmissbrauch)<br />
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98
Adipositas<br />
Therapie der BES<br />
� Übergewicht<br />
� Essstörung<br />
� Komorbide Psychopathologie<br />
� Akuttherapie<br />
� Erhaltungstherapie<br />
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Therapie der Essstörung<br />
KVT<br />
� Reduktion der Essanfälle 48-98%<br />
� Abstinenzraten 28-79%<br />
Warteliste<br />
� Reduktion der Essanfälle 9-34%<br />
� Abstinenzraten 0-9%<br />
Wilfley & Cohen, Psychopharmacology Bulletin, 1997<br />
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Kognitiv-Behaviorale Therapie der BED<br />
Ziel: Behandlung der BED durch Veränderung der<br />
Aufrechterhaltungsfaktoren<br />
Phase 1<br />
(Sitzung 1-8)<br />
Phase 2<br />
(Sitzung 9-22)<br />
Phase 3<br />
(Sitzung 23-25)<br />
n. Hilbert & Tuschen-Caffier<br />
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- Aufbau eines gesunden Essverhaltens<br />
- Modifikation dysfunktionaler Kognitionen<br />
und Kompetenzerwerb zu Körperbild und<br />
Stress<br />
- Aufrechterhaltung des Therapiefortschritts<br />
- Rückfallprävention<br />
Therapie der Essstörung<br />
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© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
� Mit Psychotherapie oder Medikamenten (SSRIs, Topiramat)<br />
kann die Frequenz von Essanfällen erfolgreich reduziert<br />
werden.<br />
� KVT scheint der med. Therapie überlegen zu sein.<br />
� Abbruchraten bei Antidepressiva-Therapie höher als bei<br />
Psychotherapie (32 vs 14%).<br />
� Nach Beendigung der Therapie Neigung zu Rückfällen mit<br />
einer erneuten Zunahme der Essanfälle.<br />
Therapie der Essstörung und Einfluss auf<br />
Gewicht<br />
� Die Therapie der Essstörung führt in der Regel zu nur<br />
geringem Gewichtsverlust.<br />
ABER<br />
� Patientinnen, deren Essstörung in Remission ist,<br />
verlieren mehr an Gewicht und können das Gewicht<br />
besser halten.<br />
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Figurkonfrontation<br />
� Ziel: Behandlung starker figurbezogener Ängste und<br />
Vermeidung<br />
� Realistische Wahrnehmung des eigenen Körpers<br />
� Positive und negative Aspekte identifizieren und akzeptieren<br />
� Dimensionen der Attraktivität alternativ zur Schlankheit<br />
� Auf Ausdruck achten<br />
� Methoden:<br />
� Spiegelexposition, Videoexposition, Gewichtsexposition, Exposition<br />
im Alltag, Exposition bei kontrollierendem und kaschierendem<br />
Verhalten, taktile Exposition<br />
� Variation von Kleidung und Stimmung<br />
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99
Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />
<strong>Psychosomatik</strong> bei Herz-<br />
Kreislauf-Erkrankungen<br />
Stephanie Geidies<br />
Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung<br />
Klassifikation<br />
Klassifikation systolisch diastolisch<br />
optimal < 120 mmHg < 80 mmHg<br />
normal < 129 mmHg < 84 mmHg<br />
hochnormal < 139 mmHg < 89 mmHg<br />
Grad I < 159 mmHg < 99 mmHg<br />
Grad II < 179 mmHg < 109 mmHg<br />
Grad III > 180 mmHg > 110 mmHg<br />
Theorien zur Ätiologie und Pathogenese<br />
� Genetik Zwillings- und Familienuntersuchungen:<br />
RR-Varianz zu 30-40% genetisch bedingt<br />
(Williams et al. 1989)<br />
� Ernährung Gewichtsreduktion von 1 kg bei Übergewichtigen<br />
führt zu RR-Senkung von 2 mmHg systolisch und<br />
1 mmHg diastolisch (Holzgreve 1980)<br />
� sozial Langzeitarbeitslosigkeit, Lärmbelastung,<br />
Schichtarbeit, niedrige Schicht, Migration<br />
� psychologisch Situationshypertonie (Uexküll und Wick 1962) ,<br />
„unspezifischer Konflikt“<br />
Arterielle Hypertonie<br />
Theorien zur Ätiologie und Pathogenese<br />
� primäre vs. sekundäre Hypertonie<br />
� sekundär als Folge von organischen Krankheiten<br />
(z.B. Niere, Nebenniere, Phäochromozytom etc.)<br />
� primär ohne organische Ursache als heterogene<br />
multifaktorielle Erkrankung<br />
(genetische Faktoren, Umwelteinflüsse, soziale Aspekte,<br />
psychologische Faktoren und Verhaltensweisen)<br />
„Situation ist nicht gleich Situation“<br />
5 Anteile des Beziehungsgeflechtes<br />
zwischen dem Individuum und seiner Umwelt:<br />
� physikalisch Außenreize treffen auf Sinnesorgane<br />
� physiologisch Außenreize werden zu Sinnesreizen<br />
� sozial Sinnesreize werden in verständliche Signale<br />
verschlüsselt<br />
� sozialpsychologisch neben verständlicher Bedeutung kommt<br />
spezielle Bedeutung als Stichwort einer<br />
bestimmten Rolle hinzu<br />
� psychisch abhängig von emotionaler Verfassung<br />
zusätzliche individuelle Bedeutung<br />
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100
Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />
Situationskreis nach Uexküll Therapie der Hypertonie<br />
Psychosomatische Grundversorgung<br />
neben der rein medikamentösen Therapie<br />
� (Psycho-)Edukation zum Krankheitsbild und<br />
möglichen Einflussfaktoren<br />
� Motivation zu Lebensstilveränderungen wie<br />
� Gewichtsreduktion<br />
� regelmäßiges körperliches Training<br />
� Entspannungstechniken<br />
� kognitive Stressbewältigungsprogramme<br />
� sozialmedizinische Empfehlungen<br />
� keine Akkord- oder Schichtarbeit<br />
� Arbeit auf Gerüsten, an Maschinen und in Verkehrsmitteln in<br />
Abhängigkeit der beklagten Symptomatik<br />
Kardiovaskuläre Risikofaktoren<br />
� arterielle Hypertonie<br />
� Dyslipoproteinämie<br />
� Diabetes mellitus<br />
� Rauchen<br />
� familiäre Belastung<br />
� Ernährungsgewohnheiten bzw. Übergewicht<br />
� Bewegungsmangel<br />
� männliches Geschlecht (mit deutlichem Anstieg bei den Frauen)<br />
� höheres Alter<br />
� multifaktorielle Erkrankung<br />
� oft ohne für den Patienten spürbare Symptome<br />
� aber mit der Notwendigkeit einer lebenslangen<br />
Medikation<br />
→ häufig compliance-Problem<br />
→ shared decision-making (Deinzer et al. 2006, Danzer et al. 2000)<br />
auf der Basis einer guten Arzt-Patienten-Beziehung<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
KHK<br />
KHK-begünstigende psychosoziale Faktoren<br />
� unvorteilhafte sozioökonomische Bedingungen<br />
� mangelnde soziale Unterstützung<br />
� akuter und/oder chronischer Stress<br />
� Feindseligkeit und/oder inadäquater Ärger<br />
� Depression oder Angst<br />
101
Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />
Niedriger sozioökonomischer Status<br />
� Depressivität in unteren Schichten häufiger (Koster et al. 2006)<br />
� Zusammenhang zwischen Stresserleben und arterieller<br />
Hypertonie v.a. in unteren Schichten (Reiff et al. 2001)<br />
� 3x höheres Risiko bei niedrigem Bildungsstatus für einen durch<br />
Ärger ausgelösten Herzinfarkt (Mittleman et al. 1997)<br />
� Feindseligkeit häufiger in unteren Sozialschichten (Caroll et al. 1997)<br />
→ Indikator für KHK-Risiko<br />
� geringerer Nutzen medizinischer Betreuung<br />
� ungünstiges Gesundheitsverhalten<br />
� erhöhtes Stresserleben<br />
Akuter Stress<br />
� ausgeprägte Reaktion des sympathiko-adreno-medullären<br />
Systems (SAM) und<br />
� Deaktivierung des Parasympathikus (Rozansky et al. 2005)<br />
� führen zu Steigerung von Herzefrequenz und Blutdruck<br />
(Kamarck et al. 1998) und zur<br />
� Erhöhung der Thrombozytenadhäsivität (Camacho und Dimsdale 2000)<br />
� Aktivierung der plasmatischen Gerinnung (Känel und Dimsdale 2003)<br />
� Verminderung der Herzfrequenzvariabilität<br />
� Anstieg der Hämokonzentration<br />
� Verlust der normalen Endothelfunktion mit erhöhtem Risiko<br />
vasospastischer Ereignisse (Rozansky et al. 2005)<br />
Typ A - Persönlichkeit<br />
� Handlungs-Emotionen-Komplex<br />
� Merkmale<br />
� Zeitnot<br />
� Feindseligkeit<br />
� Wettbewerbsorientierung<br />
� Ungeduld und kurze Antwortlatenz<br />
� instabile Befunde, vor allem bei Selbsteinschätz-<br />
Skalen und schon erkrankten Personen<br />
Mangelnde soziale Unterstützung<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
(Untersuchung von Bucher 1994)<br />
� 9 Kohorten- (11.675) und 2 Interventionsstudien (818 Patienten)<br />
� Zusammenhang zwischen sozialer Unterstützung und Prognose<br />
nach Myokardinfarkt<br />
� 1,5 – 5,6fach erhöhte Morbidität und Mortalität bei Mangel an<br />
sozialer Unterstützung<br />
� 5,6faches Risiko für plötzlichen Herztod bei Zusammentreffen von<br />
geringer sozialer Unterstützung und hohem psychosozialen Stress<br />
Chronischer Stress (z.B. am Arbeitsplatz)<br />
� Job-strain-Modell (Karasek 1979)<br />
Missverhältnis zwischen hoher Anforderung (high demand)<br />
und niedriger Kontrolle über Entscheidungsprozesse<br />
(low control)<br />
� berufliche Gratifikationskrise (Siegrist et al. 1990)<br />
Missverhältnis zwischen persönlicher und/oder situativer hoher<br />
Verausgabung und niedriger Belohnung<br />
(effort-reward-imbalance)<br />
Anger/Hostility und KHK<br />
� Diskussion: nicht Typ A, sondern Feindseligkeit bzw.<br />
„inadäquater Ärger“ als Einzelmerkmal relevant<br />
� Befunde:<br />
� Anger/Hostility korreliert mit ersten Anzeichen<br />
ateriosklerotischer Veränderungen (Harris et al., 2003)<br />
� Anger/Hostility sagen Entstehung von Hypertonie und<br />
Apoplex voraus (Yan et al., 2003)<br />
� Hostility korreliert mit Entzündungsmarkern (Suarez et al., 2003)<br />
� Hostility korreliert auch mit schlechterem sozialen<br />
Netzwerk/Unterstützung und erhöhten Raten sozialer<br />
Stressoren<br />
→ Der Effekt ist empirisch nicht gesichert!!!<br />
102
Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />
Typ D - Persönlichkeit<br />
= „negative Affektivität und soziale Hemmung“<br />
� Prädiktor von KHK (Denollet 1996, 2005)<br />
� negative Affektivität: Tendenz zu dysphorischen Emotionen,<br />
Ängstlichkeit und emotionaler Irritierbarkeit<br />
→ korreliert mit somatischen Beschwerden ganz allgemein<br />
� soziale Inhibition: gehemmter Ausdruck von Emotionen,<br />
reduziertes Verhalten in sozialen Interaktionen und Angst vor<br />
der Ablehnung durch andere<br />
Depression und KHK:<br />
biologische Mechanismen<br />
� neuroendokrin (z.B. HHN-System, Kortisol)<br />
� vegetativ (sympathoadrenerges System)<br />
� immunologisch (proinflammatorische Zytokine)<br />
� iatrogen: atypische Neuroleptika, TCA<br />
Depression und KHK: Meta-Analyse<br />
(Barth et al. 2004 Psychosom Med, 66, 802-813)<br />
� Frage: Hat Depression eine prognostischen Einfluss<br />
bei KHK?<br />
� Methode: Integration von 20 prospektiven Studien<br />
� Ergebnisse:<br />
� Depressive haben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer<br />
KHK (OR=1.64; CI=1.3–2.1)<br />
� KHK-Patienten mit Depression haben ein erhöhtes Reinfarkt- und<br />
Sterbensrisiko als Nicht-Depressive, (OR=2.24; CI= 1.4-3.6)<br />
� Die ungünstige Prognose bleibt auch bestehen, wenn andere<br />
Risikofaktoren berücksichtigt werden.<br />
Negative Affektivität und Zustand nach<br />
Herzinfarkt<br />
„Survival rate“<br />
1<br />
0,9<br />
0,8<br />
0,7<br />
0,6<br />
0,5<br />
0,4<br />
0,3<br />
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20<br />
Barefoot et al. 2000, Psychosom Med<br />
Depression und KHK:<br />
psychische Mechanismen<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
High neg. affect<br />
Low neg. affect<br />
Jahre<br />
� ungesündere Lebensführung bei Depression<br />
� verminderte medizinische Compliance/Adherence<br />
� depressive Anpassungsstörung<br />
� geringere soziale Unterstützung<br />
� „Infarktpersönlichkeit“ (Typ D)<br />
� negative Affektivität<br />
� soziale Hemmung<br />
Depression: Prognose 2 Jahre nach<br />
Stent-Implantation (n=536)<br />
� Todesfälle und Myokardinfarkte bei Patienten mit und ohne<br />
Erschöpfung/Müdigkeit und mit und ohne Depression<br />
Pedersen et al. 2007, J Psychosom Res<br />
103
Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />
Depression: Prognose 2 Jahre nach<br />
Stent-Implantation (n=536)<br />
• Todesfälle und Myokardinfarkte bei Patienten mit und ohne<br />
Hoffnungslosigkeit<br />
Pedersen et al. 2007, J Psychosom Res<br />
Depression und KHK:<br />
Diagnostik<br />
Depression und v.a.<br />
Hoffnungslosigkeit<br />
= kardiotoxisch<br />
� Screening-Fragen zu Angst- und Depressionssymptomen<br />
� Wenn eine oder mehrere der folgenden Fragen mit „Ja“<br />
beantwortet werden sollte, deutet dies auf eine Problematik<br />
hin. Als Zeitraum gelten die vergangenen vier Wochen.<br />
� Angst<br />
� Waren Sie besonders ängstlich und nervös?<br />
� Haben Sie sich Sorgen über viele verschiedene Dinge gemacht?<br />
� Hatten Sie eine Panikattacke (d. h. plötzlich auftretende, intensive<br />
Angst)?<br />
� Depression<br />
� Haben Sie Lust und Interesse an Dingen verloren, die Ihnen sonst Freude<br />
gemacht haben?<br />
� Waren Sie niedergeschlagen, deprimiert und hoffnungslos?<br />
Screening auf psychosoziale Risikofaktoren<br />
(Albus und Siegrist 2005, Graham et al. 2007, Gohlke et al. 2007)<br />
� Was sind Sie von Beruf?<br />
Hinweise auf erhöhtes Risiko bei Hauptschulabschluss, ungelernt, Handwerker<br />
� Haben Sie Personen, die Sie unterstützen?<br />
� Fühlen Sie sich Ihren beruflichen Anforderungen gewachsen?<br />
Gibt es Probleme in der Partnerschaft oder Familie?<br />
� Fühlen Sie sich häufig ärgerlich oder angespannt?<br />
� Fühlen Sie sich häufig niedergeschlagen und hoffnungslos?<br />
� Haben Sie das Interesse oder die Freude am Leben verloren?<br />
Depression und KHK:<br />
Fazit<br />
� Auftreten eines Herzinfarkts führt zu vermehrter<br />
Depression (ca. jeder 5. HI-Patient erfüllt Kriterien<br />
für eine depressive Störung)<br />
� Depression korreliert und präjudiziert<br />
Krankheitssymptome, Krankheitsbeeinträchtigung<br />
und Häufigkeit von Arztbesuchen<br />
� Depression erhöht das Risiko von KHK und deren<br />
Komplikationen<br />
Depression und KHK:<br />
Therapie<br />
� Simultane Behandlung der psychischen und der körperlichen<br />
Symptomatik<br />
� Antidepressiva<br />
� Cave: Nebenwirkungen<br />
� Cave: Interaktionen<br />
� SSRIs<br />
� Psychotherapie<br />
� Psychoedukation<br />
� Gesundheitsverhalten<br />
� Integration der Bezugspersonen<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
104
Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />
Übersicht nicht-medikamentöser<br />
Interventionen<br />
� Reduzierung von Risikofaktoren<br />
� Lebensstiländerung: Bewegung, Ernährung, Rauchen<br />
� Stressbewältigung (z.B. MBSR), Zeitmanagement, Problemlösetraining<br />
� Entspannungsverfahren (progressive Muskelentspannung, AT etc.)<br />
� Psychotherapie bei psychischer Komorbidität und zur<br />
Verbesserung der Krankheitsbewältigung<br />
(„adäquate Angst“, Verleugnung)<br />
� Verbesserung der Medikamenten-Compliance/<br />
-Adherence<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
105
Psychotraumatologie<br />
<strong>Psychosomatik</strong><br />
Psychotraumatologie<br />
Dipl.Psych. Hannelore Sinzinger<br />
WiSe <strong>2012</strong>/13<br />
Psychotraumatologie<br />
beschäftigt sich mit<br />
� den Folgen<br />
� dem Verlauf<br />
� den Behandlungsmöglichkeiten<br />
seelischer Verletzungen (= psych.Traumen)<br />
Was ist ein Trauma?<br />
� ICD-10: Kurz oder lang anhaltende belastende Ereignisse oder<br />
Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit<br />
katastrophalem Ausmaß, die nahezu bei jedem tiefgreifende<br />
Verzweiflung auslösen würden (WHO 1993)<br />
� DSM-IV: Potentielle oder reale Todesbedrohungen, ernsthafte<br />
Verletzungen oder eine Bedrohung der körperlichen<br />
Versehrtheit bei sich oder anderen, auf die mit intensiver<br />
Furcht, Hilflosigkeit oder Schrecken reagiert wird (APA<br />
Hauptvorlesung <strong>Psychosomatik</strong> <strong>WS</strong> 12/13<br />
Einstieg<br />
PSYCHOTRAUMATOLOGIE<br />
Dipl.-Psych. Hannelore Sinzinger<br />
� Amoklauf von Erfurt 26.04.2002<br />
� Eschede Zugunglück 1998<br />
Was ist ein psychisches Trauma?<br />
� Beispiele<br />
� Naturkatastrophen<br />
� Kampfhandlungen<br />
� Terrorismus<br />
� Verkehrsunfälle<br />
� Diagnose einer unheilbaren Krankheit<br />
� Aufenthalt auf Intensivstation<br />
� Vergewaltigung<br />
� Gewaltverbrechen<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
106
Psychotraumatologie<br />
Trauma ist ...<br />
� Ein vitales Diskrepanzerleben zwischen bedrohlichen<br />
Situationsfaktoren und individuellen Bewältigungsfaktoren,<br />
� das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und des schutzlosen<br />
Preisgegebenseins einhergeht<br />
� und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und<br />
Weltverständnis bewirkt.<br />
Einteilung nach Dauer<br />
Fischer und Riedesser, 1999<br />
Typ-I-Trauma<br />
Typ-II-Trauma<br />
Einteilung nach Verursachung<br />
Akzidentielles Trauma Intendierte/Interpersonelle<br />
Traumen („man-made“)<br />
o Schwere Verkehrsunfälle<br />
o Berufsbedingte Traumen<br />
(z.B. Polizei, Feuerwehr,<br />
Rettungskräfte)<br />
o Kurz dauernde<br />
Katastrophen (z.B.<br />
Wirbelsturm, Brand)<br />
o Lang dauernde Naturkatastrophen<br />
(z.B. Erdbeben,Überschwemmung)<br />
o Technische Katastrophen<br />
(z.B.<br />
Giftgaskatastrophen) mit<br />
anhaltenden Folgen<br />
o Sexuelle Übergriffe (z.B.<br />
Vergewaltigung)<br />
o Kriminelle bzw. körperliche<br />
Gewalt<br />
o Ziviles Gewalterleben (z.B.<br />
Banküberfall)<br />
o Sexueller und körperlicher<br />
Missbrauch<br />
o Kriegserleben<br />
o Geiselhaft<br />
o Folter, politische<br />
Inhaftierung (z.B. KZ-Haft)<br />
nach Maercker 1998<br />
Akute Belastungsreaktion (ICD-10 F 43.0)<br />
� Eine vorübergehende Störung, die sich bei einem psychisch nicht<br />
manifest gestörten Menschen als Reaktion auf eine außergewöhnliche<br />
physische oder psychische Belastung entwickelt, und die im<br />
allgemeinen innerhalb von Stunden oder Tagen abklingt.<br />
� Die Symptomatik zeigt typischerweise ein gemischtes und<br />
wechselndes Bild, beginnend mit einer Art von "Betäubung", mit einer<br />
gewissen Bewusstseinseinengung und eingeschränkten<br />
Aufmerksamkeit, einer Unfähigkeit, Reize zu verarbeiten und<br />
Desorientiertheit.<br />
� Vegetative Zeichen panischer Angst wie Tachykardie, Schwitzen und<br />
Erröten treten zumeist auf.<br />
� Die Symptome erscheinen im allgemeinen innerhalb von Minuten<br />
nach dem belastenden Ereignis und gehen innerhalb von zwei oder<br />
drei Tagen, oft innerhalb von Stunden zurück.<br />
Trauma Einteilung<br />
� Typ I<br />
� Kurzdauerndes, einmaliges,<br />
plötzliches, überraschendes<br />
traumatisches Ereignis<br />
� Akzidentiell<br />
� Zufällige traumatische<br />
Ereignisse<br />
� Primär<br />
� Selbst erlebt<br />
Erholung/Bewältigung<br />
Integration<br />
Kompensation<br />
modifiziert nach Flatten, 2001<br />
Erholungsphase<br />
T R A U M A<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
� Typ II<br />
� Serie von traumatischen<br />
Einzelereignissen; lang<br />
dauernde, mehrfache<br />
traumatische Ereignisse<br />
� Man-made<br />
� Intendierte, interpersonelle<br />
traumatische Ereignisse<br />
� Sekundär<br />
� beobachtet<br />
Akute Belastungsreaktion<br />
� Nach einiger Zeit lassen Symptome nach<br />
� Entlastung: Symptome sind “normaler Ausdruck” auf eine<br />
“unnormale Situation”<br />
� Allmähliche Rückkehr zum gewohnten Leben<br />
� Es genügen Hilfen aus der sozialen Umgebung:<br />
� - Anwesenheit und Gespräche anbieten<br />
� - Austauschmöglichkeiten mit Mitbetroffenen<br />
� schaffen (bei Bedarf Selbsthilfegruppe,<br />
Trauergruppe)<br />
� - nicht “drängen”, Zeit lassen<br />
� - praktische Unterstützung<br />
107
Psychotraumatologie<br />
T R A U M A<br />
Anpassungsstörung Akute Belastungsreaktion<br />
Bewältigung<br />
Integration<br />
Kompensation<br />
modifiziert nach Flatten, 2001<br />
T R A U M A<br />
Anpassungsstörung Akute Belastungsreaktion<br />
Bewältigung<br />
Integration<br />
Kompensation<br />
modifiziert nach Flatten, 2001<br />
Depression<br />
Angst<br />
Somatisierung<br />
Sucht, Essst.<br />
Dissoziation<br />
Symptomgruppen der PTBS (F43.1) - I<br />
� Wiedererleben des Traumas<br />
� Alpträume, Nachhallerinnerungen (Flash-backs): lebendige<br />
Erinnerungen (Bilder, Gedanken), Affekte, Geräusche,<br />
Geruchsempfindungen<br />
� entspringen unmittelbar dem auslösenden Ereignis<br />
� Wiedererleben wie im Hier-und-Jetzt, „Als-ob-Gefühle“<br />
� der willentlichen Kontrolle nicht zugänglich (Intrusionen)<br />
� Auslöser oft nicht bewusst, sehr rasche Reiz-Reaktions-Verbindung<br />
� Priming für traumaassoziierte Reize<br />
� Vegetative Übererregbarkeit (Hyperarousal)<br />
� erhöhte Schreckhaftigkeit, Reizbarkeit oder Wutausbrüche, Ein- und<br />
Durchschlafstörungen, Konzentrationsschwäche, Hypervigilanz<br />
Anpassungsstörung (ICD-10 F 43.2)<br />
� Auslöser sind belastende Lebensveränderungen, belastende<br />
Lebensereignisse oder schwere körperliche Krankheit.<br />
� Hierbei handelt es sich um Zustände von subjektiver<br />
Bedrängnis und emotionaler Beeinträchtigung, die im<br />
allgemeinen soziale Funktionen und Leistungen behindern und<br />
während des Anpassungsprozesses nach einer entscheidenden<br />
Lebensveränderung oder nach belastenden Lebensereignissen<br />
auftreten.<br />
� Die Störungen bestehen hauptsächlich in Depressivität und<br />
Angst, Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit, Unsicherheit und<br />
Unfähigkeit, eingeschränkter Lebenstüchtigkeit im Alltag.<br />
� Kurze oder längere depressive Reaktion<br />
� Dauer nicht länger als 6 Monate<br />
T R A U M A<br />
Anpassungsstörung Akute Belastungsreaktion<br />
Bewältigung<br />
Integration<br />
Kompensation<br />
modifiziert nach Flatten, 2001<br />
Depression<br />
Angst<br />
Somatisierung<br />
Sucht, Essst.<br />
Dissoziation<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Posttraumatische<br />
Belastungsstörung<br />
PTBS<br />
Komplexe PTBS (DESNOS)<br />
andauernde<br />
Persönlichkeitsveränderung<br />
nach Extrembelastung<br />
Symptomgruppen der PTBS (F43.1) - II<br />
� Vermeidungsverhalten<br />
� Vermeiden traumaassoziierter Stimuli, von Orten und<br />
Situationen, kognitives Vermeiden<br />
� Abflachung der Gefühle, emotionale Taubheit<br />
(„numbness“)<br />
� z.B. Betäubt sein, Gleichgültigkeit, Interesselosigkeit,<br />
Entfremdung von anderen, eingeschränkte<br />
Zukunftsperspektive<br />
� Teilweise oder vollständige Unfähigkeit, einige wichtige<br />
Aspekte der Belastung zu erinnern<br />
� Dissoziative Amnesie<br />
108
Psychotraumatologie<br />
Dissoziative Amnesie (F44.0)<br />
� Meist reversibler Erinnerungsverlust (memory recovery),<br />
� für bestimmte Ereignisse aus der persönlichen Lebensgeschichte,<br />
� meist hochgradig belastende oder traumatisierende Erfahrungen, v.a.<br />
in der Kindheit<br />
� Zeitspanne: Minuten, aber auch einige Jahre<br />
� Akute, klassische Form: große Bereiche der autobiografischen<br />
Erinnerung betroffen<br />
� Chronische, nicht-klassische Form: häufig verdeckt<br />
� Ausgeprägter oder länger anhaltend als normale Vergesslichkeit<br />
� ohne organische Ursache oder Drogeneinfluss<br />
� Symptom anderer Störungen (z.B. PTBS)<br />
Andauernde Persönlichkeitsänderung nach<br />
Extrembelastung (ICD-10 F 62.0)<br />
� Eine andauernde, wenigstens über zwei Jahre bestehende<br />
Persönlichkeitsänderung kann einer Belastung katastrophalen<br />
Ausmaßes folgen.<br />
� Die Belastung muss extrem sein, so dass die Vulnerabilität der<br />
betreffenden Person als Erklärung für die tief greifende<br />
Auswirkung auf die Persönlichkeit nicht in Erwägung gezogen<br />
werden muss.<br />
� Die Störung ist durch eine feindliche oder misstrauische<br />
Haltung gegenüber der Welt, durch sozialen Rückzug, Gefühle<br />
der Leere oder Hoffnungslosigkeit, ein chronisches Gefühl der<br />
Anspannung wie bei ständigem Bedrohtsein und<br />
Entfremdungsgefühl gekennzeichnet.<br />
� Eine PTBS kann dieser Form der Persönlichkeitsänderung<br />
vorausgegangen sein.<br />
DESNOS<br />
Disorder of Extreme Stress Not Otherwise Specified<br />
(Komplexe PTBS)<br />
� Komplexeres Krankheitsbild, das nach vielfachen<br />
Traumatisierungen bzw. infolge schwerer Traumatisierungen<br />
wie körperlicher oder sexueller Missbrauchserfahrungen, aber<br />
auch bei Kriegs- und Foltererfahrungen oder Entführungen,<br />
entsteht<br />
� Breites Spektrum kognitiver, affektiver und psychosozialer<br />
Beeinträchtigungen, die über einen längeren Zeitraum<br />
bestehen bleiben.<br />
� Überschneidung mit Borderline-Persönlichkeitsstörung und<br />
Dissoziativer Störung<br />
� Bisher nur im Anhang des DSM-IV<br />
Sack, 2004<br />
TRAUMA PTBS<br />
� Ungefähr die Hälfte aller Menschen machen im Verlaufe ihres<br />
Lebens mindestens eine traumatische Erfahrung<br />
� Nicht alle entwickeln eine PTBS<br />
PTBS<br />
� Lebenszeitprävalenz 5-10% in USA, 1-2% in D<br />
� Relation Frauen / Männer 2:1<br />
� Subsyndromale Störungsbilder wesentlich häufiger<br />
� Tendenz zur Chronifizierung<br />
� In Risikogruppen deutlich höhere Prävalenz<br />
� Kriminalitätsopfer, Vietnamveteranen, Folteropfer,<br />
Feuerwehrmänner u. a.<br />
� Kinder und Jugendliche besonders vulnerabel<br />
� Hohe Komorbidität mit anderen psychischen Erkrankungen<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
109
Psychotraumatologie<br />
Komorbidität mit psychischen Störungen<br />
Somatoforme<br />
Störungen<br />
Angststörung<br />
Persönlichkeitsstörung<br />
PTBS<br />
Affektive<br />
Störungen<br />
(Perkonigg et al. 2000, Switzer et al. 1999, Davidson & Connor 1999)<br />
Substanzabhängigkeit<br />
Phasengeleitete Therapie bei PTBS<br />
A. Psychotherapie<br />
� Psychoedukation<br />
� Stabilisierungsphase<br />
� Bearbeitungsphase<br />
� Integrationsphase<br />
B. Pharmakotherapie<br />
i. d. R. 2. Wahl<br />
Ziele der Psychotherapie bei PTBS<br />
Essstörung<br />
� Bezüglich der Kernsymptomatik hat die KVT zum Ziel:<br />
� Intrusives Wiedererleben zu reduzieren<br />
� Dysfunktionale Bewertungen und Überzeugungen zu<br />
modifizieren<br />
� Kognitives und offenes Vermeidungsverhalten zu reduzieren<br />
Risikofaktoren für die Entwicklung einer PTBS<br />
(Brewin et al. 2004, Ozer et al. 2003, Watson & Shalev 2005, Maercker 1997, van der Kolk<br />
2000)<br />
prä-traumatisch peri-traumatisch post-traumatisch<br />
Weibliches Geschlecht<br />
Jüngeres Alter<br />
Unterdurchschnittliche<br />
Intelligenz<br />
Niedriger sozioökonomischer<br />
Status<br />
Missbrauch in der<br />
Kindheit<br />
Vorbestehende<br />
psychische Störung<br />
Genetische Aspekte<br />
Neurobiologische<br />
Besonderheiten<br />
Objektiver Schweregrad<br />
des Traumas („Trauma<br />
Dosis“)<br />
Subjektive Bedrohung<br />
Externale Schuldzuschreibung<br />
Peritraumatische Dissoziation<br />
Früh einsetzende Wiedererlebenssymptome<br />
Pharmakotherapie bei PTBS<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Ungenügende soziale<br />
Unterstützung<br />
Traumabedingte<br />
körperliche Funktionseinschränkung<br />
Anhaltende Schmerzen<br />
� Alleinige Pharmakotherapie: obsolet n. AWMF-S3-Leitlinie<br />
� Adjuvante Pharmakotherapie zur Unterstützung der<br />
Symptomkontrolle<br />
� SSRIs<br />
� Venlafaxin<br />
Stabilisierungsphase<br />
-Erste Maßnahmen und Symptomreduktion-<br />
� Sicherheit schaffen, Beziehungsangebot<br />
� Informationsvermittlung<br />
� Abklärung des individuellen Stabilisierungsbedarfs<br />
(u. a. hinreichende Emotionsregulierung vorhanden?)<br />
� Ressourcen-Aktivierung und -Organisation<br />
� Selbstberuhigungsstrategien<br />
� Distanzierungstechniken<br />
� Fertigkeitentraining<br />
110
Psychotraumatologie<br />
Bearbeitungsphase<br />
� Dosiertes Wiedererleben und Verbalisieren des traumatischen<br />
Ereignisses und damit verbundener Gefühle<br />
� Konfrontation/Exposition/Desensibilisierung:<br />
� Imaginativ, detaillierte Narrative<br />
� EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing –<br />
Shapiro), Exposition mit bilateraler Stimulation: schnelle,<br />
rhythmische Augenbewegungen, Berührungsreize, auditive<br />
Reize<br />
Traumabearbeitung<br />
� Pat. soll lernen, das Trauma als einen vergangenen Teil des<br />
eigenen Lebens in die individuelle Biographie einzuordnen<br />
� Fokus auf intrusivem Wiedererleben und dessen Bewältigung<br />
Sekundärprävention - Debriefing<br />
� Methode: 24-72 Stunden nach Trauma Einzel- oder<br />
Gruppensitzung von 1-3 Stunden<br />
� Konzept: Mitchell (1983) „Critical Incident Stress<br />
Management“<br />
� Ziel: Verhindern/Vermindern akuter Stressreaktionen und<br />
psychotraumatischer Belastungsstörungen<br />
� Narrativ des Traumas (Fakten, Kognitionen, Gefühle)<br />
� Normalisierung emotionaler Reaktionen<br />
� Vorbereitung auf spätere Reaktionen<br />
Trauma und Gedächtnis<br />
� Im Rahmen der therapeutischen Interventionen soll sich das<br />
im impliziten Gedächtnis gespeicherte Trauma „enthüllen“,<br />
� so dass Körperempfindung, Affekt, Szenen zusammen<br />
kommen, verbalisiert und in ein Narrativ der Patientin<br />
eingegliedert werden (deklaratives Gedächtnis).<br />
Integrationsphase<br />
� Trauerarbeit<br />
� „Loslassen“ des Traumas<br />
� Soziale Neuorientierung<br />
� Neuer Selbst- und Weltbezug<br />
� Abschied üben (Therapie, bisherige Trauma-Identität)<br />
Sekundärprävention – Debriefing?<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Dr. A. v. Arnim, K. Thiel<br />
Meta-Analyse: van Emmerik et al., Lancet 2002<br />
� Debriefing mindert / verhindert nicht posttraumatische<br />
Belastungssymptome oder andere traumarelevante<br />
Beschwerden<br />
� Debriefing kann natürlichem Verarbeitungsprozess diametral<br />
entgegenwirken<br />
111
Psychotraumatologie<br />
Debriefing<br />
Interferenz mit natürlichen Heilungsprozessen?<br />
“Just wait until patient come.” (E. Foa, 2005)<br />
Empfehlung: Informationen über posttraumatische Symptome<br />
geben<br />
Zusammenfassung<br />
� Traumatisierung ist häufig<br />
� PTBS ist eine häufige Störung<br />
� Traumata Typ II, man-made und primär erlebt führen zu<br />
schwereren Symptomen<br />
� Traumaexposition erst nach Stabilisierung<br />
� AWMF-S3-Leitlinie :<br />
Flatten G, Gast U, Hofmann A, Knaevelsrud Ch, Lampe A, Liebermann<br />
P, Maercker A, Reddemann L, Woller W (2011): S3 - Leitlinie<br />
Posttraumatische Belastungsstörung. Trauma & Gewalt 3: 202-210.<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
112
Psychoonkologie<br />
Hauptvorlesung <strong>Psychosomatik</strong> <strong>WS</strong> 12/13<br />
Psychosomatische und<br />
Psychotherapeutische Abteilung<br />
PSYCHOONKOLOGIE<br />
Dipl.-Psych. Hannelore Sinzinger<br />
Psychologische Psychotherapeutin<br />
Psychoonkologischer Dienst<br />
Psychoonkologie<br />
� Beschäftigt sich mit den seelischen Aspekten von<br />
Krebserkrankungen<br />
� Es geht dabei um psychologische Zusammenhänge hinsichtlich<br />
Entstehung, Prävention, Diagnostik, Therapie, Rehabilitation<br />
� Sie unterstützt die neue Lebensaufgabe, die vielen<br />
Belastungen seelisch auszugleichen und zu meistern<br />
Koch/Weis 1998<br />
� Bietet psychologische/psychotherapeutische Hilfestellungen zur<br />
Krankheitsverarbeitung<br />
Psychoonkologie<br />
3 Hauptfragestellungen:<br />
1. Ist Krebs psychisch verursacht ?<br />
Hat die Psyche Einfluß auf den Krankheitsverlauf ?<br />
Psychoonkologische Betreuung<br />
am Universitätsklinikum Erlangen<br />
Liaison- / Konsiliardienst der Psychosomatischen<br />
seit 1998 und Psychotherapeutischen Abteilung<br />
aktuell 6 Psychologinnen<br />
� Liaisondienst: - Strahlenklinik<br />
- Med.Klinik 5<br />
- Frauenklinik<br />
- Chirurgie<br />
- Hautklinik<br />
- Zahn-/Kieferklinik<br />
� Konsiliardienst: - Med. Klinik 1,4<br />
- HNO<br />
- Neurologie/-chirurgie<br />
- Palliativstation (1 Psychologin)<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
H. Sinzinger<br />
2. Welche psychischen Folgen hat die Krebserkrankung für den<br />
Menschen?<br />
3. Mit welchen Maßnahmen und mit welchen Zielen kann<br />
Krebspatienten psychisch geholfen werden?<br />
H. Sinzinger<br />
Entwicklung der Psychoonkologie<br />
H. Sinzinger<br />
„Die Seele des Patienten braucht ebensoviel Hilfe wie sein Körper“ J.Holland<br />
� Bis in die 70 er Jahre kaum systematische psychoonkologische<br />
Forschung und Versorgung, Selbsthilfeprogramme, Diskussionen über<br />
Diagnosemitteilung, „Wahrheit am Krankenbett“<br />
� Jimmie Holland, 1977 Psychiatrischer Service am Memorial Sloan-<br />
Kettering Cancer Center,<br />
= weltweit die erste Institution, die sich ausschließlich der klinischen<br />
Versorgung, Lehre und Erforschung psychologischer Aspekte und<br />
Probleme bei Krebskranken angenommen hat<br />
� Entwicklung von Meßinstrumenten<br />
� 1974 Gründung der Deutschen Krebshilfe durch Mildred Scheel<br />
� Internationaler Kongress in Heidelberg 1978, Implementierung<br />
zahlreicher psychoonkologischer Forschungsprojekte<br />
Zu 1.: Psychische Genese von Krebs<br />
Laientheorien/Ursachenzuschreibung<br />
H. Sinzinger<br />
Vorstellungen zur Krebsentstehung von 100 Patientinnen mit<br />
Ovarial-Ca:<br />
� Privater Stress 55%<br />
� Beruflicher Stress 36 %<br />
� Genetik 34 %<br />
� Hormone 29 %<br />
� Genitalinfektionen 20 %<br />
� Ernährung 19 %<br />
� Umweltverschmutzung 12 %<br />
� Nikotinkonsum 9 %<br />
� Sich nie nach Ursachen gefragt 4 % Müller et al. 2006 nach Grulke 2007<br />
H. Sinzinger<br />
113
Psychoonkologie<br />
Zu 1.: Psychische Genese von Krebs<br />
Hippokrates : Zusammenhänge zwischen der<br />
psychischen Verfassung “Melancholie” und der Entstehung<br />
von Krebs vermutet.<br />
Vorstellung, dass durch ein Vorherrschen der “schwarzen<br />
Galle” der ganze Organismus und auch die Seele<br />
vergiftet werde.<br />
Zu 1.: Psychische Genese von Krebs<br />
Ätiologie “Lebensumstände”<br />
� Häufung kritischer Lebensereignisse<br />
� inadäquater Umgang mit Stress<br />
� pathologische Verlustreaktionen<br />
� unverarbeitete Trauer<br />
keine gesicherten Ergebnisse !<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
H. Sinzinger<br />
Petticrew et al 1999, Graham et al 2002,<br />
Faller 2001/2004<br />
H. Sinzinger<br />
Zu 2.: Psychische Folgen<br />
Belastungsfaktoren bei einer Krebserkrankung<br />
� Todesdrohung<br />
� Verletzung der körperlichen Unversehrtheit<br />
� Aversiv erlebte Therapie<br />
� Kontrollverlust<br />
� Autonomieverlust<br />
Faller 1998<br />
� Bedrohung der sozialen Identität und des Selbstwertgefühls<br />
� Soziale Isolierung<br />
H. Sinzinger<br />
Zu 1.: Psychische Genese von Krebs<br />
Ätiologie “Krebspersönlichkeit”<br />
“Typus carcinomatosus” (Typ C): ausgeprägte<br />
Freundlichkeit, übertriebene Herzlichkeit, soziale<br />
Angepasstheit, übermäßige Hilfsbereitschaft, Dependenz,<br />
Aggressionshemmung, Neigung zu depressiven Reaktionen,<br />
gehemmter Ausdruck von Bedürfnissen, reduzierte<br />
Aufmerksamkeit gegenüber körperlichen Symptomen<br />
keine gesicherten empirischen Belege, OBSOLET<br />
Zu 1.: Psychische Genese von Krebs<br />
Fazit:<br />
H. Sinzinger<br />
� Insgesamt inkonsistente Studienlage !<br />
� Psychische Faktoren spielen bei der Krebsentstehung<br />
und dem Krankheitsverlauf wahrscheinlich keine bzw. eine<br />
untergeordnete Rolle<br />
aber:<br />
� Vor allem Patienten mit emotional hoher Belastung tendieren<br />
in ihrer eigenen Krankheitstheorie zur psychischen<br />
Ursachenerklärung für ihre Erkrankung<br />
Faller et al 1996, Grulke 2007<br />
H. Sinzinger<br />
Belastungsfaktoren bei einer Krebserkrankung<br />
für die Angehörigen<br />
� Seelische Erschütterung<br />
� Ungewissheit der Zukunft<br />
� Kommunikationsprobleme<br />
� Emotionaler Rückzug, Zunahme von Distanz<br />
� Sterbebegleitung<br />
Angehörige:<br />
41,0% erhöhte Angstwerte; 21,6% erhöhte Depressionswerte<br />
Weibliche Angehörige:<br />
48% erhöhte Angstwerte = hohe psychische Morbidität<br />
Notwendig: mehr Berücksichtigung in der Klinischen Versorgung<br />
Krähenbühl et al. Zürich 2007<br />
H. Sinzinger<br />
114
Psychoonkologie<br />
Patientin<br />
1.<br />
SCHOCK-<br />
PHASE<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
H. Sinzinger<br />
PHASEN DER KRANKHEITSVERARBEITUNG BEI DIAGNOSE KREBS<br />
nach Cullberg / Kast<br />
Nicht-<br />
Wahrhaben-<br />
Wollen<br />
Abwehr<br />
1.<br />
SCHOCK-<br />
PHASE<br />
Schrittweise Anpassung an die Situation<br />
2.<br />
REAKTIONS-<br />
PHASE<br />
Massive<br />
psychische<br />
Belastungssymptomatik<br />
H. Sinzinger<br />
PHASEN DER KRANKHEITSVERARBEITUNG BEI DIAGNOSE KREBS<br />
nach Cullberg / Kast<br />
Nicht-<br />
Wahrhaben-<br />
Wollen<br />
Abwehr<br />
Schrittweise Anpassung an die Situation<br />
2.<br />
REAKTIONS-<br />
PHASE<br />
Massive<br />
psychische<br />
Belastungssymptomatik<br />
3.<br />
REPARATIONS-<br />
PHASE<br />
Allmähliche<br />
Anpassung,<br />
realistische<br />
Einschätzung<br />
H. Sinzinger<br />
Initial/Diagnosestadium<br />
Ausmaß der Belastung<br />
abhängig vom<br />
Stadium der Krebserkrankung<br />
Remission<br />
kurativ<br />
Rezidive<br />
Metastasen<br />
Terminales Stadium<br />
Verarbeitung<br />
Prozess der Auseinandersetzung mit der Krankheit<br />
Bewältigung<br />
Belastungen der Erkrankung seelisch ausgleichen und meistern<br />
Bewältigungsstrategien<br />
Phasenmodell<br />
Bewältigungsstrategien<br />
„Abwehr“-Mechanismen<br />
Regulierungsmechanismen<br />
widersprüchlicher innerer<br />
Prozesse<br />
Herkunft: Psychoanalyse<br />
Ziel: Unbewusstbleiben von<br />
bedrohlichen Gefühlen und<br />
Phantasien<br />
Sichern die Funktionsfähigkeit des Ich<br />
Erfolgen unbewusst<br />
Zeit- und Distanzgewinn,<br />
Kurzfristige Entlastung<br />
Bewältigungsstrategien<br />
„Coping“-Strategien<br />
Überdauernde Stile zur bewussten<br />
Verhaltenssteuerung<br />
Herkunft: Stressforschung<br />
Ziel: Realitätsbewältigung,<br />
aktive Auseinandersetzung<br />
Sichern die Realitätsanpassung<br />
des Individuums<br />
Erfolgen meist bewusst<br />
Langfristige Anpassung<br />
Progredienz<br />
palliativ<br />
H. Sinzinger<br />
� Verleugnung: Die Krankheit nicht wahrhaben<br />
wollen: “Mir geht es gut, ich bin nicht krank, ich habe<br />
keine Angst.”<br />
� Vermeidung: Alles vermeiden, was Angst<br />
macht: “ Ich möchte über meine Krankheit nicht<br />
reden”, ”Ich vermeide, daran zu denken und gehe<br />
nicht zum Arzt.”<br />
� Verdrängung: Aktives Vergessen, Amnesie für<br />
bestimmte angsterregende, unangenehme<br />
Ereignisse/Gefühle. “Der Arzt hat mich nicht<br />
aufgeklärt”.<br />
� Regression: Rückzug auf frühkindliche Wunsch-<br />
Erlebens- und Verhaltensebenen.<br />
”Der Arzt weiß, was gut für mich ist”; “die Frau<br />
entscheidet”. Bedient, gefüttert werden wollen, nicht<br />
aufstehen können.<br />
� Rationalisierung: Die wahren Motive werden<br />
unbewußt verschleiert: “Nicht vor der Krankheit<br />
fürchte ich mich, aber vor den Medikamenten, der<br />
Bestrahlung…”<br />
H. Sinzinger<br />
Aktiv (eher adaptiv)<br />
� Informationssuche<br />
� Sinngebung<br />
� Suche nach sozialer Unterstützung<br />
� “fighting-spirit”<br />
� Ablenkende Aktivitäten<br />
Passiv<br />
� Stoizismus<br />
� Grübeln/Klagen<br />
� Schuldzuschreibungen<br />
� Nicht-Wahrhaben-Wollen<br />
� Sozialer Rückzug<br />
� Non-Compliance<br />
H. Sinzinger<br />
115
Psychoonkologie<br />
PHASEN DER KRANKHEITSVERARBEITUNG BEI DIAGNOSE KREBS<br />
nach Cullberg / Kast<br />
1.<br />
SCHOCK-<br />
PHASE<br />
Nicht-<br />
Wahrhaben-<br />
Wollen<br />
Abwehr<br />
Schrittweise Anpassung an die Situation<br />
2.<br />
REAKTIONS-<br />
PHASE<br />
Massive<br />
psychische<br />
Belastungssymptomatik<br />
3.<br />
REPARATIONS-<br />
PHASE<br />
Allmähliche<br />
Anpassung,<br />
realistische<br />
Einschätzung<br />
Bewältigung und Krankheitsverlauf<br />
� Depressive Bewältigung:<br />
4.<br />
NEU-<br />
ORIENTIERUNG<br />
Integration<br />
Neues Selbst-/Weltverständnis<br />
Annahme<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
H. Sinzinger<br />
Tendenz, dass Depressivität Überlebenszeit negativ beeinflussen kann<br />
z.B. Wulsin et al 2003, Lett et al 2004<br />
Aber: Vermittlung ungeklärt<br />
� „Fighting Spirit“ / Aktives Coping:<br />
Mehrheit der Studien zeigen keinen Zusammenhang<br />
bzgl. längerer Überlebenszeit<br />
z.B. Petticrew et al 1999, Faller 2004<br />
H. Sinzinger<br />
Zusammenfassung:<br />
Einflussgrößen für das Ausmaß der Belastung und den<br />
Prozess der Krankheitsverarbeitung<br />
„Krebs“-Vorerfahrungen<br />
psychische<br />
Disposition<br />
subjektive<br />
Krankheitstheorie<br />
Krankheits-<br />
Stadium<br />
kurativ/palliatv<br />
Prozess<br />
der<br />
Verarbeitung<br />
Bewältig.mechanismen<br />
-Abwehrlage<br />
-Coping-<br />
Strategien<br />
Behandlungsstadium<br />
Nebenwirkungen,<br />
Körperlicher<br />
Zustand<br />
Phase der<br />
Verarbeitung<br />
soziales<br />
Umfeld,<br />
Stützsysteme<br />
seelische<br />
Verfassung,<br />
psych.Vorerkrankung<br />
individuelle Faktoren<br />
krankheitsbedingte Faktoren<br />
Umgebungsbedingungen<br />
Ausmaß der Belastung<br />
Psychischer Befund<br />
Psychische Diagnose<br />
ICD 10<br />
Psychoonkologische<br />
Beratung (25-33%)<br />
Psychotherapeutische<br />
Interventionen (10-20%)<br />
H. Sinzinger<br />
Erfolgreiche Krankheitsbewältigung<br />
Patient<br />
� Emotionales Gleichgewicht<br />
� Optimale Lebensqualität<br />
( somat., psych., soz., Dimension )<br />
Behandlung<br />
� Compliance<br />
Einfluss auf Krankheitsverlauf?<br />
� Ertragen belastender<br />
Eingriffe<br />
� Anpassung an das<br />
Behandlungssetting<br />
Bewältigung und Krankheitsverlauf<br />
� „Positives Denken“ :<br />
keine einzige seriöse Studie<br />
� Fehlende soziale Unterstützung:<br />
wahrscheinlich ein Risikofaktor<br />
Grulke 2007<br />
Fox 1998<br />
� Sozioökonomischer Status:<br />
niedriger sozioökonomischer Status hat Einfluss auf den<br />
Krankheitsverlauf<br />
Krankheitsbelastung<br />
Holland 1998<br />
H. Sinzinger<br />
H. Sinzinger<br />
� Die Mehrheit der Tumorpatienten bewältigt ihre Situation mit<br />
den eigenen Ressourcen Kornblith, 1998<br />
� Behandlungsbedürftige psychische Beeinträchtigungen bei<br />
20-35%<br />
� Angst und Depression bleiben oft unentdeckt<br />
H. Sinzinger<br />
116
Psychoonkologie<br />
Mögliche psychische Beeinträchtigungen bei<br />
Krebspatienten<br />
� Anpassungsstörung 31-47%<br />
� Angst u./o. Depression 15-25%<br />
� PTSD 4-10%<br />
(einzelne Symptome bei 48%<br />
z.B.Nachhallerinnerungen,flashbacks,Vermeidung,Schlaflosigkeit)<br />
� Phänomene der “klassischen Konditionierung”<br />
(antizipatorische Nebenwirkungen z.B. Übelkeit, Erbrechen schon vor der<br />
Chemogabe)<br />
Suizidalität<br />
10 – 20% Krebskranke äußern Suizidgedanken, besonders<br />
in fortgeschrittenen Krankheitsstadien (Breitbert 1998)<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
H. Sinzinger<br />
DD-Problem: unterbewerten überbewerten<br />
Keine Suizidalität: Suizidgedanken sind Strohhalm bei starken<br />
Beschwerden Behandlung der Beschwerden<br />
Präsuizidales Syndrom: sozialer Rückzug, (scheinbare) emotionale<br />
Beruhigung, und (vordergründige) Kooperativität<br />
Akute Suizidalität: ärztliches psychiatr.-psychosomat. Konsil<br />
Prophylaxe, Diagnostik, Therapie: offenes Gespräch mit Patient /<br />
Angehörigen / Team<br />
H. Sinzinger<br />
Zu 3.: Maßnahmen zur psychoonkologischen<br />
Unterstützung<br />
� Beratung / Information<br />
(aktives Zuhören, versuchen zu verstehen)<br />
� Krisenintervention<br />
� Supportive Psychotherapie<br />
(Multimodale Verfahren, keine Überlegenheit einer PT-Methode)<br />
- Unterstützen, Stabilisieren, Gesamtsituation des Patienten verbessern, neue<br />
Möglichkeiten / Lösungen aufzeigen<br />
- Förderung und Vermehrung von allem, was am Patient gesund ist und gut, mit<br />
der „Abwehr“ mitgehen<br />
- “Holding” und “Containing”<br />
Mitteilen und Teilen der Verzweiflung, Ansprechen und Aushalten aller<br />
Gedanken und Gefühle<br />
- Psychoedukation<br />
z. B. Kognitive Umstrukturierung / Fokuslenkung /Gedankenstopp<br />
Therapeut muss aktiv sein, konkrete Ratschläge geben, großen Erfindungs- und Einfallsreichtum haben<br />
H. Sinzinger<br />
Fatigue-Syndrom<br />
- eigenständiges Krankheitsbild bei Krebspatienten (WHO)<br />
= Müdigkeit / Erschöpfung / Antriebslosigkeit Dtsche Fatigue Gesellschaft<br />
� Die Bedeutung von “tumor-related-fatigue” wurde erst in den letzten<br />
Jahren erkannt<br />
� Folge von Tumorerkrankung und –therapie, (Anämie, Nervenschäden,<br />
Mangelernährung, Zytokine) Wirkmechanismus ist nicht vollständig bekannt !<br />
� Psychische Faktoren erklären nur einen Teil der Symptomatik<br />
� Soziale Faktoren (z.B. Erwartungen der Patienten / Angehörigen)<br />
spielen eine Rolle<br />
� Lässt sich durch normale Erholungsmechanismen nicht beheben<br />
� Betroffen sind ca.80% aller Therapiepatienten, fast 40 % leiden noch<br />
Jahre nach Therapieende unter Fatigue<br />
Zu 3.: Zielsetzungen<br />
psychoonkologischer Hilfen<br />
H. Sinzinger<br />
� Reduktion von Angst, Depression, Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit<br />
� Reduktion von krankheits- oder behandlungsbedingten<br />
Symptomen<br />
� Stärkung des Selbsthilfepotentials (Selbstkontrolle,<br />
Selbstverantwortung)<br />
� Verbesserung des Selbstwertgefühls und der mentalen Einstellung<br />
zur Krebserkrankung<br />
� Förderung der verbleibenden Gesundheit und personaler<br />
Ressourcen<br />
� Verbesserung der Kommunikation (Patient, Angehörige,<br />
Behandler)<br />
� Förderung spiritueller Ziele<br />
� Hilfestellung bei der Auseinandersetzung mit Tod und Sterben<br />
H. Sinzinger<br />
Zu 3.: Maßnahmen zur psychoonkologischen<br />
Unterstützung<br />
� Entspannungs- und Imaginationsverfahren<br />
(Einübung innerer und äußerer Ruhe)<br />
� Vorbereiten und Begleiten bei angstauslösenden Situationen<br />
(Platzangst, Erstickungsgefühl unter der Maske bei Strahlentherapue)<br />
� Erlebnisorientierte Methoden<br />
z.B.Kunst, Musik (Fördern von Gefühlsausdruck, auch non-verbal)<br />
� Paar- und Familiengespräche<br />
� Gruppenangebote<br />
H. Sinzinger<br />
117
Psychoonkologie<br />
Studien zu Auswirkungen<br />
psychoonkologischer Interventionen<br />
Effekte bezüglich:<br />
� Krankheitsverarbeitung ++<br />
� Lebensqualität ++<br />
� Stress ++<br />
Effekte nicht eindeutig bezüglich:<br />
� Rezidivrate, rezidivfreie Zeit + -<br />
� Überlebenszeit + -<br />
� Antwort auf immunologische Parameter + -<br />
nach Weis, Vortrag 2004<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
H. Sinzinger<br />
Zusammenfassung<br />
Ärztliche Gesprächführung mit Tumorpatienten:<br />
� „Beziehungsmedizin“ betreiben !<br />
offen begegnen, „aktiv“ zuhören<br />
� Wo steht die/der Betroffene im Krankheitsverlauf ?<br />
� Welche Phase der Krankheitsverarbeitung ?<br />
Können Informationen aufgenommen oder müssen sie abgewehrt werden ?<br />
� Welche (psych.,somat.,sozialen) Belastungsfaktoren ?<br />
� Welche Ressourcen stehen zur Verfügung ?<br />
� In welchen Bereichen braucht er psychologische<br />
Unterstützung bzw. professionelle Hilfe ?<br />
H. Sinzinger<br />
Psychoonkologische Unterstützung für<br />
Behandler<br />
� Supervisionsangebote<br />
� Fortbildungen<br />
� Teambesprechungen<br />
� Einzelgespräche<br />
� Zur Erweiterung der psychosozialen Kompetenz<br />
(z.B. Umgang mit Sterbenden)<br />
� Zur Sensibilisierung für die Gefühls- und Erlebniswelt des Patienten<br />
� Zur emotionalen Entlastung<br />
� Zur Verbesserung der Arbeitszufriedenheit<br />
� Zur Burn-Out-Prophylaxe<br />
H. Sinzinger<br />
118
Gesprächsführung mit Schwerstkranken<br />
Hauptvorlesung <strong>Psychosomatik</strong> <strong>WS</strong> <strong>2012</strong>/13<br />
Psychosomatische und<br />
Psychotherapeutische Abteilung<br />
Gesprächsführung<br />
mit Schwerstkranken<br />
Dipl.-Psych. Hannelore Sinzinger<br />
Psychologische Psychotherapeutin<br />
Psychoonkologischer Dienst<br />
……„schwerstkrank“…..<br />
� Transplantationspatienten<br />
(Herz-, Nieren-, Leber-, Knochenmarkstransplantationen)<br />
� Chronisch Kranke<br />
(irgendwann zum Tode führend z.B. ALS, MS,)<br />
� Krebskranke mit infauster Prognose<br />
- Nach Primärbehandlung – krankheitsfreier Intervall – dann Rezidiv oder<br />
Metastasen<br />
- Primäre Behandlung zeigt keine Wirkung, unter Therapie kommt es zum<br />
Progress oder zu Metastasen<br />
- Schon bei Diagnosestellung ist Erkrankung so weit fortgeschritten, dass<br />
keine Behandlungsmöglichkeit in Richtung Heilung mehr besteht<br />
nach J.Holland 1982<br />
I. Yalom: Die Reise mit Paula<br />
Gesprächsführung mit Schwerstkranken<br />
Inhalt:<br />
� Merkmal „schwerstkrank“<br />
� Wesentliches zur Gesprächsführung<br />
� Die Frage nach dem Sinn<br />
� Das Konzept des Übergangsraums<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
H. Sinzinger<br />
„Was ist nur mit unseren Ärzten los ?<br />
Warum begreifen Sie nicht die Bedeutung ihrer schieren<br />
Gegenwart ? Warum können sie nicht erkennen,<br />
dass gerade der Augenblick, in dem sie sonst nichts<br />
mehr zu bieten haben, der Augenblick ist, in dem<br />
man sie am nötigsten hat ?“<br />
……„schwerstkrank“…..<br />
� Lebensbegrenzung, Endlichkeit, Vergänglichkeit,<br />
Sterben-Müssen steht im Raum<br />
� Entwicklungsprozess:<br />
- Akzeptanz des Unvermeidlichen (??)<br />
- bewusstes Abschiednehmen (??)<br />
Wesentliches zur Gesprächsführung<br />
Aktives Zuhören:<br />
� Nicht nur die Fakten erfassen, sondern auch die Hintergründe,<br />
das Unausgesprochene, die Zwischentöne.<br />
� Voraussetzung ist das Interesse, die Bereitschaft und Fähigkeit,<br />
zuzuhören und dabei völlig präsent zu sein<br />
- Blickkontakt<br />
- Zugewandte Körperhaltung<br />
- Klärende Aussagen<br />
- Offene Fragen S. Roller 2000<br />
119
Gesprächsführung mit Schwerstkranken<br />
Wesentliches zur Gesprächsführung<br />
Empathisches Zuhören:<br />
� Einfühlsames Verstehen<br />
� Wärme<br />
� Sich-berühren-lassen == emotionale Neutralität / Distanz<br />
� Gegenseitiges Akzeptieren<br />
Mitteilen<br />
Schlechter Nachrichten / schwerwiegender Diagnosen<br />
Anwendung von patientenzentrierten Gesprächstechniken<br />
� Sie halten dem Patienten den Raum offen<br />
� Sie berücksichtigen seine Emotionen<br />
� z.B. W<strong>WS</strong>Z:<br />
Warten - Wiederholen - Spiegeln - Zusammenfassen<br />
� z.B. NURSE:<br />
Naming - Understanding - Respect – Support – Exploring [emotion,<br />
concern]<br />
N: Emotionen benennen, U: Verständnis zeigen, R: Respekt zeigen,<br />
S: Unterstützung anbieten, E: Hintergründe erforschen<br />
W.Langewitz, Uni Basel Vortrag 2008 in Jena<br />
„Erkrankung ist so weit fortgeschritten, dass keine<br />
Behandlungsmöglichkeit in Richtung Heilung mehr besteht“.<br />
� Leben ---- Zeitspanne, die bleibt, mit Leben zu füllen ---- Tod<br />
� Der Wert von lebensverlängernden Behandlungen kann von<br />
Patienten oft nicht erkannt werden<br />
� Die antizipierte Zukunft ist der Tod; es wird keine Zeitspanne<br />
gesehen, wo das Leben einen Sinn bekommt<br />
Mitteilen<br />
Schlechter Nachrichten / schwerwiegender Diagnosen<br />
Z.B. SPIKES – Modell: W.Baille et al in The Oncologist 2000,5<br />
- S ituation „SETTING Up The Interview“<br />
– P atienten-Vorwissen „Assessing The Patients PERCEPTION“<br />
– I nformationsbedarf „Obtaining The Patients INVITATION“<br />
– K enntnisse vermitteln „Giving Knowledge and Information“<br />
– E xploration der emotionalen Reaktionen „Adressing The Patients<br />
Emotions With Empathic Responses“<br />
– S trategien und Zusammenfassung „Strategie and Summary“<br />
Ärztliche Mitteilung:<br />
„Wir können Sie nicht mehr heilen ….“<br />
Therapieziel = Symptomkontrolle<br />
(Erhalt/Verbesserung der Lebensqualität)<br />
Palliative Tumorbehandlung Palliative Medizin<br />
Rückgang<br />
Stillstand<br />
Geschenkte Lebenszeit<br />
Zeitgewinn<br />
Illusion „Überleben“<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Endphase der Erkrankung<br />
Symptom-/Schmerzlinderung<br />
Pflege am Ende des Lebens<br />
Zeit rinnt davon<br />
„Sterben“<br />
Sinn als Thema in der Psychotherapie<br />
Auseinandersetzung mit dem Sinn im Leben<br />
Sinnerfahrungen, -konstruktion und -erfüllung sind bedeutsam<br />
für unsere Lebensqualität, unser Wohlbefinden bzw. unsere<br />
Seelische Gesundheit Baumeister 1991, Becker 1985, Tausch 2004<br />
Verschiedene Ansätze, z.B.:<br />
� Humanistischer Ansatz Rogers 1951<br />
� Salutogenetischer Ansatz Antonovsky 1997<br />
� Sinnorientierte Beratung Wong 1998<br />
� Logotherapeutischer Ansatz Frankl 1981, 1986<br />
120
Gesprächsführung mit Schwerstkranken<br />
Auseinandersetzung mit dem Sinn im Leben<br />
Viktor Frankl (1905 – 1997) Arzt/Psychiater, Psychoanalytiker, Psychotherapeut<br />
Existenzanalyse und Logotherapie<br />
� Theorie und Therapie entstanden aus den Erfahrungen im<br />
Konzentrationslager (1942-1945), in dem er sich ansah, wer<br />
überlebte und wer nicht<br />
� Erkenntnis, dass jene, die die Hoffnung aufrecht erhielten, ihre<br />
Familien wieder zu sehen, oder jene, die das Verlangen hatten,<br />
Projekte zu vollenden, oder jene, die großen Glauben hatten, bessere<br />
Chancen hatten, als jene, die alle Hoffnung aufgegeben hatten<br />
(…..und trotzdem „ja“ zum Leben sagen…. z.B.1981, 1986 )<br />
� Überzeugung, dass Sinnorientierung am Leben hält und unter<br />
jeglichen Umständen gefunden werden kann.<br />
Themeninhalte der supportiven Psychotherapie<br />
angesichts der Lebensbegrenzung<br />
� Sinnerfahrungen, Sinnerfüllung schaffen (auch kurz vor dem Sterben)<br />
Teilnahme am sozialen Leben, auch unter veränderten Bedingungen, sich<br />
Wünsche erfüllen, eigene Wohnung, Heirat/Trennung, Projekte durchführen<br />
� Schicksal als Lebensaufgabe annehmen<br />
(vom „warum“ zum „wozu“, „was steht im Moment an ?“)<br />
� „worst-case“- Situation ansprechen<br />
(„was ist das Schlimmste“, „was wäre wenn“)<br />
� Über sich hinauswachsen, nie geahnte Kräfte entwickeln können, ist<br />
möglich<br />
(wie und wo im bisherigen Leben schon erfahren ? Ressourcen !)<br />
� Was läuft im Moment gut (im Hier und Jetzt halten)<br />
„Es hilft niemandem, wenn wir das Heute damit verbringen, uns vor dem Morgen zu fürchten.“ Jai Pausch 2007<br />
Themeninhalte der supportiven Psychotherapie<br />
angesichts der Lebensbegrenzung<br />
� Helfen, sein Selbst zu bewahren<br />
(sich Anerkennen, Wertschätzen lernen)<br />
� „Leben bis zuletzt“ , „neugierig sein“ fördern !<br />
� Verantwortung übernehmen gegenüber Kindern, Partner<br />
(auch der Angehörige)<br />
„Wir können die Realität nicht ändern. Wir können nur bestimmen, wie<br />
wir mit ihr umgehen.<br />
Wir können nichts an den Karten ändern, die wir bekommen, nur an dem<br />
Spiel, das wir mit diesem Blatt spielen.“<br />
Randy PAUSCH 2007<br />
Themeninhalte der supportiven Psychotherapie<br />
angesichts der Lebensbegrenzung<br />
� These: …die verzweifelnden Menschen lehren, dass es eigentlich nie<br />
und nimmer darauf ankommt, was wir vom Leben noch zu erwarten<br />
haben, vielmehr lediglich darauf: was das Leben von uns erwartet….<br />
� Verantwortung übernehmen mit Mut, Würde und Tapferkeit<br />
� Aushalten- und Ertragenlernen als menschliche Größe begreifen<br />
� Der Mensch kann innerlich stärker sein als sein äußeres Schicksal<br />
� Am Leiden können Menschen innerlich reifen und wachsen, Leiden<br />
bedeutet nicht zwangsläufig Unglück<br />
Themeninhalte der supportiven Psychotherapie<br />
angesichts der Lebensbegrenzung<br />
� Entwicklungs-/Veränderungsprozesse ansprechen<br />
(Wünsche/Ziele können sich ändern, irgendwann ist es vielleicht auch gut zu gehen,<br />
nicht soweit vorausplanen)<br />
� In Würde und Vertrauen geschehen lassen<br />
(Ausgang ist immer ungewiss, es liegt in anderer Hand)<br />
� Realisierung kleiner persönlicher Pläne<br />
� Spirituelle Ziele fördern<br />
(z.B. Mut, Dankbarkeit, Loslassen, Vergebungsbereitschaft)<br />
Bei der psychotherapeutischen Begleitung gilt:<br />
� sich nicht in die Illusionen des Patienten hineinziehen lassen<br />
� die unrealistischen Hoffnungen des Patienten nicht bestärken<br />
� die illusionäre Verkennung der Wirklichkeit aushalten können<br />
� sich nicht gemeinsam der unrealistischen Vorstellung verschreiben,<br />
die Krebskrankheit und den Tod besiegen zu können<br />
� mit den Funktionen des „Holding“ und „Containing“ dem Kranken<br />
einen Übergangsraum ermöglichen<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
121
Gesprächsführung mit Schwerstkranken<br />
Das Konzept des „Übergangsraums“<br />
zum Verständnis illusionärer Zukunftsvorstellungen nach Faller 1998, Winnicott 1971)<br />
Übergangsobjekt:<br />
� = Gegenstand (Stofftier), das ein kleines Kind benutzt, um sich zu<br />
besänftigen, wenn die Mutter vorübergehend nicht da ist, z.B. beim<br />
Einschlafen.<br />
� Der Teddybär tröstet das Kind, es verschafft sich damit die Illusion,<br />
nicht allein zu sein.<br />
� Es erscheint dem Kind als etwas, das weder ganz Teil seiner<br />
Phantasie ist, noch ganz zur äußeren Realität gehört.<br />
� Es gehört einem Zwischenbereich des Erlebens an.<br />
� Dieses Zwischenreich der Erfahrung darf für das Kind nicht in Frage<br />
gestellt werden, die Entscheidung, ob die Erfahrung zur „inneren“<br />
oder zur „äußeren“ Realität gehört, muss offen bleiben.<br />
Ziel psychologischer Hilfen<br />
Von der Heilung<br />
� als Reparatur<br />
Wiederherstellung des alten Zustands,<br />
Rückkehr zum status quo ante<br />
Zur Heilung<br />
� als Akzeptierung von Begrenzungen und Einschränkungen<br />
Einwilligung in die Tatsache, daß wir begrenzte, endliche Geschöpfe sind und<br />
mit Behinderungen und Insuffizienzen leben lernen müssen<br />
� als Neuwertung von Beziehungen<br />
Verzicht auf somatische Gesundung mit dem möglichen Gewinn psychischer<br />
und personaler Bereicherung, auch auf dem Weg zum Tode hin<br />
Literatur:<br />
� Angenendt,G./Schütze-Kreilkamp,U./Tschuschke,V.: Praxis<br />
der Psychoonkologie, Stuttgart: Hippokratest 2007<br />
� Bausewein,C./Roller,S./Voltz,R.: Leitfaden Palliativmedizin,<br />
München: Urban&Fischer 2000<br />
� Faller, H: Krankheitsverarbeitung bei Krebskranken,<br />
Verlag für Angewandte Psychologie, Göttingen 1998<br />
� Kappauf, H.: Aufklärung und Hoffnung – ein Widerspruch ?<br />
Z.Palliativmed.2001, 2, S.47-51<br />
� Pausch, R.: The last lecture – die Lehren meines Lebens-<br />
München: Goldmann 2007<br />
� Yalom,I.: Die Reise mit Paula. München: Goldmann 1999<br />
� Frankl, V.: ..… trotzdem Ja zum Leben sagen. München: dtv 1996<br />
RITSCHL 1989<br />
� Holland, J.C (1982) zitiert in Rutsak, G. und Schiebel-Piest, B.<br />
Psychoonkologie für Krankenpflegeberufe. Göttingen:<br />
Vandenhoeck&Ruprecht 1992<br />
Das Konzept des „Übergangsraums“<br />
zum Verständnis illusionärer Zukunftsvorstellungen nach Faller 1998, Winnicott 1971)<br />
Übergangsraum =<br />
� psychischer Raum zwischen Realität und Phantasie<br />
� Raum, in dem sich die Krankheitsbewältigung und<br />
therapeutische Begleitung Todkranker abspielt<br />
� Nebeneinander von Realität und Phantasie,<br />
Wissen und Nicht-Wissen-Wollen<br />
� Oft scheitern Aufklärungsversuche am Widerstand des Patienten,<br />
der sich den Übergangsraum nicht wegnehmen lassen will, der<br />
sich weigert, den Realitätsgehalt seiner Vorstellungen in Frage zu<br />
stellen.<br />
� Aufklärungspflicht, nicht Aufklärungsrecht<br />
„Man sollte dem anderen die Wahrheit wie einen Mantel hinhalten, in den er hineinschlüpfen kann<br />
und sie ihm nicht wie einen nassen Lappen um die Ohren hauen“. Max Frisch<br />
Hoffnung<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
H. Sinzinger<br />
Schwerkranke, deren legitime Hoffnung auf Heilung und Genesung enttäuscht<br />
wird, sind aber nicht notwendigerweise hoffnungslos. In ihrem<br />
Krankheitserleben können andere Hoffnungen an Bedeutung gewinnen.<br />
H.KAPPAUF 2001<br />
„Zuerst ist die Hoffnung, dass sich die Diagnose nicht bestätigt,<br />
so wird es dann die Hoffnung, dass die Therapie Erfolg haben wird<br />
oder dass die Krankheit nicht so schnell fortschreiten wird.<br />
Hoffnung kann zu einem späteren Zeitpunkt sein, dass die Krankheit<br />
nicht von quälenden Schmerzen begleitet sein möge.<br />
Oder zuletzt, dass man in der letzten Stunde nicht allein sein möge.<br />
Und dann die Hoffnung, über den Tod hinaus verbunden zu bleiben.<br />
Die Hoffnung stirbt nicht.“<br />
Pat., zit. in A.Stähli: Emotionen in der Palliativpflege<br />
122
Subjektives Krankheitskonzept<br />
<strong>Psychosomatik</strong><br />
Subjektives Krankheitskonzept und<br />
körperliche Erkrankungen<br />
Dipl.Psych Hannelore Sinzinger<br />
WiSe <strong>2012</strong>/13<br />
19.10.<strong>2012</strong><br />
Folien werden rechtzeitig zur Vorlesung<br />
auf StudON und der Internetseite der<br />
Psychosomatischen Abteilung<br />
veröffentlicht!<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
123
Beispiele für Psychodynamische Therapien bzw. Andere Therapieverfahren<br />
Elemente<br />
Dynamik<br />
1<br />
Psychotherapieverfahren<br />
Psychodynamische und<br />
Psychoanalytische Therapieverfahren<br />
Dr. med Beatrix Vill<br />
Psychosomatische Medizin und<br />
Psychotherapie<br />
Spezielle Schmerztherapie<br />
Übergreifendes bio-psycho-soziales Modell<br />
Klass. Physik Atomphysik Biologie Psyche<br />
Planeten<br />
Gravitation<br />
Fliehkraft<br />
3 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
ein gesundes…<br />
Atome<br />
Elektromagnetismus<br />
Zellen<br />
Organe<br />
…integriert alle psychischen Funktionen<br />
und Dispositionen zu einem Ganzen<br />
Gewissen<br />
Träume<br />
5 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
Über-Ich<br />
Ich<br />
Es<br />
Triebe<br />
1.top. Modell:<br />
BW UB VB<br />
2.top.Modell:<br />
ES, ICH,<br />
Überich<br />
Funktionen Motivation<br />
Selbst<br />
Kontrollinstanz<br />
Summe der seelischen Funktionen,<br />
die eine möglichst gute Anpassung<br />
des Individuums an seine Umwelt<br />
gewährleisten<br />
Unbewusstes<br />
Psychodynamik<br />
…ist die Lehre vom Wirken der innerseelischen Kräfte<br />
…beschreibt Einflüsse auf die Befindlichkeit<br />
und das Verhalten des Menschen<br />
…will Aufschluss geben über die Auslösung seelischer<br />
Vorgänge als Reaktion auf äußere und innere<br />
Ereignisse und Einflüsse<br />
2 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
Das Unbewusste<br />
Entdeckung des Unbewussten durch Freud 1895<br />
Aufgrund seiner Erfahrungen mit<br />
Hysterie, Hypnose, Träumen<br />
Beispiele für unbewusste Prozesse:<br />
Subliminale Wahrnehmung (unterschwellige Reize)<br />
Fehlleistungen<br />
Partnerwahl<br />
Intuition<br />
Nonverbale Kommunikation<br />
4 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
Psychoanalyse<br />
Symptome und Konflikte gehen auf lebensgeschichtlich<br />
frühere Erlebnisse (Frühgenese) zurück, z.B.<br />
•unbewusste Konflikte und Phantasien,<br />
•pathogene Überzeugungen,<br />
•Traumatisierungen,<br />
•Entwicklungsdefizite,<br />
•Hemmung und Einschränkung wichtiger Kompetenzen<br />
•Störungen des Selbstwerterlebens.<br />
Durch die Psychoanalyse ändert sich der Umgang mit<br />
diesen belastenden Lebenserfahrungen und den<br />
daraus resultierenden neurotischen Konsequenzen<br />
erheblich.<br />
6 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
124
Beispiele für Psychodynamische Therapien bzw. Andere Therapieverfahren<br />
Frühgenese…<br />
meint Umweltbedingungen und angeborene<br />
Schwachstellen, meist in der frühen Kindheit, die eine<br />
erhöhte Vulnerabilität für bestimmte Belastungsmomente<br />
und Konflikte sowie eine Disposition für die spätere<br />
neurotische Störung bewirken.<br />
Grundlegende kindliche Bedürfnisse und Triebregungen<br />
können nicht adäquat befriedigt werden, weil angeborene<br />
Behinderungen, äußere (soziales Umfeld) oder innere<br />
(Über-Ich) Faktoren dieses nachhaltig verhindern.<br />
7 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
Übertragung…<br />
ist die unbewusst verursachte Wiederholung alter<br />
Beziehungserlebnisse und –wünsche, die<br />
(unbewusst) den jetzigen Umgang mit neuen<br />
wichtigen Beziehungspersonen färben<br />
Der Analytiker lässt sich in die Übertragung hineinziehen<br />
und wird zum Mitspieler von für den Patienten zunächst<br />
unbewussten lebensgeschichtlichen Szenen!<br />
Er darf dies NICHT auf sich persönlich beziehen,<br />
er muss dies als Arbeitsmaterial sehen.<br />
Übertragung wird gezielt genutzt<br />
für Diagnostik und Therapie.<br />
9 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
Widerstand…<br />
ist das Wirksamwerden von Abwehrmechanismen in<br />
der Therapie, wenn Unbewusstes droht bewusst zu<br />
werden.<br />
Schutz-, Kompensations- und<br />
Abwehrmechanismen…<br />
sind eine für das seelische Überleben notwendige<br />
und kreative Antwort des kindlichen Ich auf die<br />
Bedingungen der Frühgenese und<br />
unbewusste Versuche, Angst zu vermeiden.<br />
11 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
Wirkfaktoren der Psychoanalyse<br />
Eine unteroptimale Konfliktlösung wird durch die<br />
therapeutische Beziehung bearbeitet und aufgelöst<br />
unter besonderer Berücksichtigung von Übertragung,<br />
Gegenübertragung und Widerstand.<br />
Frühere Beziehungen<br />
8 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
10 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
Aktuelle Beziehungen<br />
Gegenübertragung…<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
Therapeutische Beziehung<br />
Übertragungsbeziehung<br />
ist die unbewusste Reaktion des Analytikers auf die<br />
Übertragung des Patienten, die evtl. ihren<br />
Ursprung in eigenen neurotischen Erlebniswelten<br />
hat. (Freud)<br />
Übertragung des Analytikers…<br />
ist nach moderner Auffassung seine generelle<br />
Haltung und spezifische Reaktion im<br />
Zwischenmenschlichen und nicht mit<br />
Gegenübertragung zu verwechseln.<br />
Abwehrmechanismen…<br />
Verdrängung: Vergessen, Amnesie für konflickthafte<br />
und angstbesetzte Inhalte<br />
Rationalisierung: “die Trauben sind zu sauer“<br />
Verschiebung: der Affekt wird von einem Menschen<br />
oder Gegenstand auf einen anderen verschoben oder in<br />
den eigenen Körper z.B. bei hypochondrischen Ängsten<br />
Wendung gegen die eigene Person:“ ich hasse mich<br />
für meine Unfähigkeit Beziehungen halten zu können“<br />
Reaktionsbildung: z.B. besondere Fürsorge für den<br />
gehassten Bruder<br />
12 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
125
Beispiele für Psychodynamische Therapien bzw. Andere Therapieverfahren<br />
Abwehrmechanismen…<br />
(Affekt)Isolierung: das Ereignis ist bewusst, der<br />
dazugehörige Affekt aber nicht mehr erreichbar<br />
Intellektualisierung: „Mir ist Hass unbekannt, aber<br />
mich interessiert das Problem der Gewalt in unserer Welt“<br />
Projektion: eigene Wünsche, Impulse, Gedanken und<br />
Gefühle werden dem anderen unterstellt<br />
projektive Identifizierung: „Bevor du (Therapeut,<br />
Partner) mich verletzt, im Stich lässt oder verachtest,<br />
verletzte ich dich, lasse dich im Sich oder verachte dich.“<br />
typ. für Borderline-Störung<br />
13 <strong>2012</strong>Dr.Beatrix Vill<br />
Der Psychoanalytische Prozess<br />
Das Setting fördert die Regression,<br />
es kommt zur Übertragungsneurose,<br />
welche neben dem Widerstand<br />
Gegenstand der Deutungen ist.<br />
Durch Klarifikation und Konfrontation und<br />
mehrfache Wiederholungen kommt es zu Durcharbeiten.<br />
Unbewusstes wird bewusst,<br />
Einsicht vermittelt,<br />
Hemmungen abgebaut,<br />
Entwicklungsmöglichkeiten erlebt.<br />
15 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
Abstinenz…<br />
ist ein „Nicht-Reagieren“ im Sinne der vom Patienten<br />
erwarteten, befürchteten oder erhofften Reaktion,<br />
wie er es aus Alltagssituationen kennt.<br />
Es ist nicht ein Nicht- Reagieren auf der Verhaltensebene.<br />
Statt neue Beziehungserfahrungen zu machen würde<br />
der Patient ohne Abstinenz des Therapeuten mit<br />
gleichen, ihm bekannten Mustern und Erfahrungen<br />
konfrontiert.<br />
Auf das neurotische Rollenanliegen das<br />
Patienten wird auf einer Metaebene reagiert<br />
und nicht „zwischenmenschlich“.<br />
Keine Befriedigung eigener Bedürfnisse des<br />
Therapeuten!<br />
17 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
Anleitung zum Unglücklichsein…<br />
„behalten Sie doch ihren blöden Hammer“<br />
14 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
Der Psychoanalytische Prozess<br />
Emotionale Erfahrungen werden korrigiert,<br />
der Analytiker wird als neues gutes Objekt verinnerlicht.<br />
SELBSTERFAHRUNG DES THERAPEUTEN !!!!!!<br />
ABSTINENZ !!!!!!<br />
Geschlechtskonstellation im therapeutischen Prozess<br />
???<br />
16 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
Psychoanalytische Schulrichtungen<br />
Das Triebkonflikt-Modell (Freud)<br />
betont die im körperlichen wurzelnde Trieb- und<br />
Affektstruktur des Menschen (psychosexuelle<br />
Entwicklung: orale, anale, genitale Phase).<br />
Das Entwicklungs- Defizit- Modell (Winnicott,<br />
Kohut)<br />
betont den Einfluss pathogener elterlicher Haltungen<br />
und Handlungen.<br />
Das Beziehungskonflikt- Modell (Sullivan, Gill,<br />
Sandler, in Deutschland Ermann, Bauriedl )<br />
betont die Verschränkung von Interpersonellem und<br />
Intrapsychischem.<br />
18 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
126
Beispiele für Psychodynamische Therapien bzw. Andere Therapieverfahren<br />
Persönlichkeitsstruktur<br />
Die spezifischen Anpassungs- und Abwehrmechanismen,<br />
mit denen ein Mensch (sein Ich) auf die meist chronisch<br />
wirksamen Bedingungen der Frühgenese reagiert hat,<br />
verdichten und verfestigen sich zu charakteristischen und<br />
dauerhaften Erlebens- und Verhaltensweisen.<br />
=Neurosenstruktur…<br />
ist der emotionale und gedankliche Hintergrund vor dem<br />
die aktuelle Störung als Reaktion auf die aktuelle<br />
Belastung tiefenpsychologisch verständlich wird.<br />
= keine Krankheit und nicht zu verwechseln mit<br />
Persönlichkeitsstörung<br />
19 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
das Setting der tiefenpsychologisch<br />
fundierten Einzeltherapie…<br />
1 Patient sitzend<br />
1 Therapeut sitzend, Blickrichtung zugewandt<br />
1-2 Sitzungen pro Woche (25-100 Std)<br />
keine Kontakte außerhalb der Therapie<br />
Schweigepflicht und Vertrauen<br />
21 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
23<br />
Somatisierung =<br />
Neigung, körperliche Beschwerden als<br />
Antwort auf psychosoziale<br />
Belastungsfaktoren zu erfahren und zu<br />
vermitteln, und medizinische Hilfe dafür in<br />
Anspruch zu nehmen<br />
Es findet eine Spaltung statt ( unbewusst ):<br />
•der Affekt wird dabei verdrängt ( z.B. Angst )<br />
•das ursprünglich gleichzeitige körperliche<br />
Erscheinungsbild ( z.B. Herzrasen, Schmerz, Schwitzen )<br />
rückt ins Zentrum<br />
das klassische Setting der Psychoanalyse…<br />
1 Patient, liegend „auf der Couch“,<br />
1 Therapeut, sitzend am Kopfende des Patienten<br />
2-5 Sitzungen pro Woche (bis 300Std)<br />
keine Kontakte außerhalb der Therapie<br />
Schweigepflicht und Vertrauen<br />
freie Assoziation des Analysanden und Mitteilung<br />
aller Gedanken, Einfälle und Phantasien<br />
„gleichschwebende Aufmerksamkeit“, Neutralität<br />
und Abstinenz des Analytikers<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
20<br />
<strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
Psychodynamische Psychotherapie<br />
Basierend auf der Psychoanalytischen Schule<br />
wird „kürzer“ gearbeitet,<br />
Symptom- und Fokus-orientierter,<br />
durch das andere Setting wird die Regression begrenzt,<br />
die Übertragungsneurose findet nur eingeschränkt statt,<br />
das Spektrum der Interventionen ist flexibler.<br />
Ziel ist die bessere Lösung für einen aktuellen<br />
Konflikt<br />
statt Veränderung der Charakterstruktur<br />
22 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
wann Psychoanalyse,<br />
wann tiefenpsychologische Therapie?<br />
eindeutiger Auslöser für eine definierte Symptomatik<br />
bei ansonsten guten „Funktionieren“:<br />
Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie<br />
Charakter- bzw. Abwehrstruktur führen chronischrezidivierend<br />
bei alltäglichen Auslösern zur<br />
Dekompensation:<br />
Psychoanalyse<br />
24 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
127
Beispiele für Psychodynamische Therapien bzw. Andere Therapieverfahren<br />
Gruppen-, Familien-, Paartherapie…<br />
werden häufig mit tiefenpsychologisch fundiertem<br />
Hintergrund durchgeführt<br />
Je nach Kompetenz des Therapeuten werden Aspekte<br />
anderer, auch körperorientierter Verfahren oder<br />
Psychodrama oder Gestalttherapie oder… integriert -<br />
häufig ergibt sich besonders dadurch eine besondere<br />
Wirksamkeit (und eine Unmöglichkeit für die Durch-<br />
Führung von Studien).<br />
25 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
Psychodynamische Diagnostik<br />
Operationalisierte ( messbar machen)<br />
Psychodynamische Diagnostik: OPD<br />
5 Achsen:<br />
1.Krankheitserleben und Behandlungserwartung<br />
2.Beziehung<br />
3.Konflikt<br />
4.Struktur<br />
5.Syndromachse (ICD-10)<br />
27 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
2.Beziehung<br />
Interpersonelles Verhalten gilt in allen<br />
psychotherapeutischen Schulen als wesentlicher<br />
Faktor bei der Entstehung und Aufrechterhaltung<br />
seelischer Störungen<br />
Kontrolle (dominant-kontrollierend versus<br />
Subversiv-unterwürfig)<br />
Affilation (liebevoll-zugewandt versus<br />
feindseelig-distanziert)<br />
Wie erlebt der Patient sich selbst?<br />
Wie erleben andere sich gegenüber dem Patienten?<br />
29 2010 Dr.Beatrix Vill<br />
Psychodynamische Diagnostik<br />
Psychoanalytisches Erstinterview<br />
(Argelander)<br />
Biographische Anamnese<br />
(Dührsen)<br />
26 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
1.Krankheitserleben und<br />
Behandlungsvoraussetzung<br />
Schweregrad des somatischen und<br />
psychischen Befundes<br />
Leidensdruck und Beschwerdeerleben<br />
Behandlungserwartung<br />
und Inanspruchnahmebereitschaft<br />
Ressourcen<br />
28 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
3.Grundlegende Konflikte<br />
Zusammentreffen unterschiedlicher Positionen<br />
innerhalb einer Person<br />
•Abhängigkeit versus Autonomie<br />
•Unterwerfung versus Kontrolle<br />
•Versorgung versus Autarkie<br />
•Selbstwertkonflikte<br />
•Schuldkonflikte<br />
•Ödipal-sexuelle Konflikte<br />
•Identitätskonflikte<br />
•Eingeschränkte Konflikt - und Gefühlswahrnehmung<br />
30 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
128
Beispiele für Psychodynamische Therapien bzw. Andere Therapieverfahren<br />
4.Struktur…<br />
ist das für den einzelnen Typische in seinem<br />
Erleben und Verhalten,<br />
ist die Fähigkeit zur:<br />
Selbstwahrnehmung/ Fremdwahrnehmung<br />
Selbststeuerung/ Beziehungsregulierung<br />
Abwehr (gegen innere Triebwünsche und Affekte)<br />
Objektwahrnehmung<br />
Kommunikation nach innen/ nach außen<br />
Bindung nach innen/ nach außen<br />
31 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
z.B.<br />
5.Psychische und Psychosomatische<br />
Störungen nach ICD-10<br />
F3 Affektive Störungen<br />
F4 Neurotische-, Belastungsund<br />
somatoforme Störungen<br />
F6 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen<br />
33 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
Abwehrmechanismen…<br />
sind der Versuch das Bewusstsein von schmerzhaften und<br />
ängstigenden psychischen Inhalten frei zu halten<br />
Verdrängung-Rationalisierung-Verschiebung<br />
gute Integration<br />
Verleugnung-Wendung gegen die eigene Person-<br />
Reaktionsbildung-Isolierung-Projektion<br />
mäßige Integration<br />
Spaltung-projektive Identifizierung<br />
geringe Integration<br />
Verleugnung-psychotische Projektion<br />
Desintegration<br />
32 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
Mark Twain:<br />
34 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />
Vergangenheit<br />
ist,<br />
wenn es nicht mehr<br />
wehtut<br />
© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />
…oder am Ende einer erfolgreichen<br />
Psychotherapie:<br />
129
Praktikum: Ärztliche Kommunikation<br />
ÄRZTLICHE KOMMUNIKATION<br />
Dr. phil. Holmer Graap<br />
Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung<br />
WiSe <strong>2012</strong>/2013<br />
Anwendungsbeispiel<br />
„Compliance“<br />
FAUSTREGEL<br />
� Ein Drittel der Patienten nimmt die verschriebenen<br />
Medikamente fehlerfrei,<br />
� Ein Drittel nimmt sie nicht immer korrekt,<br />
� Das verbleibende Drittel hält sich überhaupt nicht<br />
an die ärztliche Verschreibung.<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Compliance<br />
-Einflüsse-<br />
Merkmale der<br />
Behandlung<br />
Merkmale des<br />
Behandlungssettings<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Charakteristika<br />
der Erkrankung<br />
Compliance<br />
Qualität der<br />
Arzt-Patient-<br />
Beziehung<br />
Universitätsklinikum Erlangen<br />
Merkmale<br />
des Patienten<br />
Einflüsse des<br />
sozialen Umfelds<br />
Arzt-Patient-Beziehung<br />
� Der Arzt führt in seinem Berufsleben bis zu 200.000<br />
Gespräche mit Patienten und Angehörigen.<br />
� In den meisten Fachgebieten entfallen ein Drittel bis die<br />
Hälfte der Arbeitszeit eines Arztes auf Gespräche.<br />
� Die Kooperation des Patienten hängt von der Arzt-Patient-<br />
Beziehung ab.<br />
� „Kommunikationsfähigkeit“ ist eine Schlüsselkompetenz<br />
Fritzsche, Wirsching, 2006<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Compliance<br />
-Einflüsse-<br />
� 76% der Ärzte führen eine mangelnde Therapiemotivation<br />
auf Patientenmerkmale zurück. Motivation wird als<br />
individuelle Eigenschaft der Patienten gesehen, denen bei<br />
Nichterreichen des Therapieziels alle Verantwortung<br />
gegeben wird (“moral blame”).<br />
� Motivation stellt viel eher ein interaktionales Konstrukt dar<br />
und wird bestimmt durch den Behandlungsplan, den Arzt,<br />
den Patienten und die häusliche Umgebung.<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Die Arzt-Patient-Beziehung<br />
� Der Einfluss der Beziehung auf das<br />
Behandlungsergebnis gilt als nachgewiesen.<br />
� Die Förderung einer tragfähigen Beziehung ist also<br />
nicht Luxus, sondern gehört ebenso zur<br />
Professionalität des Arztes wie korrekte Diagnostik<br />
und kontinuierliche Fortbildung.<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
130
Praktikum: Ärztliche Kommunikation<br />
Die Arzt-Patient-Beziehung<br />
� Kann eine große Belastungsquelle für jeden Arzt<br />
darstellen<br />
� Gefühle von Unsicherheit, Unzulänglichkeit, Versagen („Mut zur<br />
eigenen Dummheit“ - Balint)<br />
� Erwartungshaltung des Patienten<br />
� Verschiedene Vorstellungen von der Therapie<br />
� Eigene Lebensgeschichte<br />
� Aktuelle eigene körperliche und seelische Verfassung<br />
� Knappe Zeit<br />
� Hierarchie im Krankenhaus<br />
� Geringer Handlungsspielraum<br />
� Erfordert kommunikative Fähigkeiten<br />
� Gefahr von Burn-out-Symptomen<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
4 Seiten einer Nachricht<br />
Schulz von Thun, 1981<br />
Sender:<br />
spricht mit 4 Schnäbeln<br />
•Das Kommunikationsquadrat beschreibt die<br />
Mehrschichtigkeit einer menschlichen Äußerung<br />
•Selbstoffenbarung und Beziehung: geschieht, ob<br />
ich will oder nicht<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Beispiel<br />
„Du, da vorne ist grün!“<br />
� Sachebene:<br />
� die Ampel steht auf grün<br />
� Selbstoffenbarung:<br />
� Ich habe es eilig<br />
� Beziehungsebene:<br />
� Du brauchst meine Hilfestellung<br />
� Appell:<br />
� fahr schneller, dann schaffen wir es noch bei grün<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Universitätsklinikum Erlangen<br />
Empfänger:<br />
hört mit 4 Ohren<br />
Kommunikationsquadrat<br />
Vier-Ohren-Modell<br />
Friedemann Schulz von Thun<br />
Die 4 Seiten einer Nachricht<br />
Senden mit 4 Zungen/Schnäbeln<br />
� Sachebene: reine Sachaussagen, Daten und Fakten<br />
� Selbstoffenbarungsebene (Selbstkundgabe): der Sender<br />
vermittelt etwas über seine Motive, Werte, Emotionen (gewollt<br />
oder unfreiwillig) - „ICH-Botschaft“<br />
� Beziehungsebene: es wird ausgedrückt, wie der Sender zum<br />
Empfänger steht und was er von ihm hält (Formulierung,<br />
Tonfall, Begleitmimik) – „DU und WIR-Botschaften“<br />
� Appellebene: beinhaltet einen Wunsch, Ratschlag oder eine<br />
Handlungsaufforderung, -anweisung<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Beispiel<br />
„Du, da vorne ist grün!“<br />
� Sachebene:<br />
� die Ampel steht auf grün<br />
� Richtig, wir haben eine grüne Welle<br />
� Selbstoffenbarung:<br />
� Ich habe es eilig<br />
� Wir schaffen es schon rechtzeitig oder sei nicht so ungeduldig<br />
� Beziehungsebene:<br />
� Du brauchst meine Hilfestellung<br />
� Fährst Du oder fahre ich?<br />
� Appell:<br />
� Fahr‘ schneller, dann schaffen wir es noch bei grün<br />
� Hier ist eine 50 km Beschränkung oder aufs Gas steigen<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
131
Praktikum: Ärztliche Kommunikation<br />
Die 4 Seiten einer Nachricht<br />
Empfangen mit 4 Ohren<br />
� „freie Auswahl“ des Empfängers<br />
� Problem: einseitige Empfangsgewohnheiten<br />
� Sachauseinandersetzungen (Männer, Akademiker, „Bitte<br />
bleiben Sie doch sachlich…!“)<br />
� „Beziehungslauer“ (alles auf sich beziehen)<br />
� Selbstoffenbarungsohr in der Kommunikation mit Pat. wichtig<br />
(allerdings Gefahr der „Psychologisierung“)<br />
� „Appell-Sprung“ (es allen Recht machen), aber auch<br />
„Funktionalitätsverdacht“ (in jeder Nachricht eine heimliche<br />
berechnende Absicht sehen)<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Körpersprache<br />
� Wirkung auf andere Menschen:<br />
� 7% Inhalt<br />
� 38% Stimme<br />
� 55% Körpersprache<br />
Watzlawick, 2003<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Bsp.<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Angst vor Medikament<br />
Nebenwirkungen<br />
Halb so wild!<br />
Was denken die anderen?!<br />
Selbstheilung besser<br />
In unserer Familie nimmt keiner Tabletten!<br />
Universitätsklinikum Erlangen<br />
Nonverbale Signale zur Unterstützung des<br />
Gesprächs<br />
� Direkter Blickkontakt, der nicht als Anstarren erlebt wird.<br />
� Sitzt dem Patienten direkt gegenüber<br />
� Setzt sich beim Gespräch neben dem Bett auf einen Stuhl<br />
� Offene Körperhaltung<br />
� Leicht nach vorne gebeugte Haltung<br />
� Freundlicher Gesichtsausdruck<br />
� Angemessene Gestik, die Inhalte unterstreicht<br />
� Angemessene Gesprächsdistanz<br />
� Scheut Berührungen nicht<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Techniken der Gesprächspsychotherapie<br />
-Carl R. Rogers-<br />
1. Empathie<br />
„den inneren Bezugsrahmen des anderen möglichst wahr<br />
zunehmen und verstehen zu wollen, mit all seinen emotionalen<br />
Komponenten und Bedeutungen, gerade so, als ob man die<br />
andere Person wäre, jedoch ohne jemals die „als ob“-Position<br />
aufzugeben“ (Rogers, 1991)<br />
Empathie bedeutet zu begreifen…<br />
� …warum jemand weint<br />
� …warum jemand nicht in eine Operation einwilligt<br />
� …warum jemand lieber alternative Heilverfahren wählen<br />
möchte<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Techniken der Gesprächspsychotherapie<br />
-Carl R. Rogers-<br />
1. Empathie<br />
� Empathie ist nicht Sympathie<br />
� Zuhören heißt noch nicht Zustimmen<br />
� Den Standpunkt einnehmen heißt nicht den<br />
Standpunkt übernehmen<br />
� „Nebenwirkung“ einer empathischen, interessierten<br />
Haltung:<br />
Pat. wird sich im Laufe des Gesprächs seiner wahren<br />
Beweggründe bewusst => Lösung rückt näher<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
132
Praktikum: Ärztliche Kommunikation<br />
Techniken der Gesprächspsychotherapie<br />
-Carl R. Rogers-<br />
2. Echtheit<br />
� Haltung des Arztes in der Beziehung zum Patienten<br />
� Eine professionelle Haltung, die der eigenen Persönlichkeit<br />
gerecht wird<br />
� Im 4-Ohren-Modell entspricht das einer Selbstoffenbarung des<br />
Arztes<br />
� Eigene Regungen aber nicht zur Entscheidungsgrundlage<br />
machen, sondern im richtigen Moment wieder auf die<br />
Behandlungsebene zurückkehren<br />
� Arzt wird als Person erlebbar/ Berufszufriedenheit<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Techniken der Gesprächspsychotherapie<br />
-Carl R. Rogers-<br />
3. Bedingungslose Wertschätzung<br />
� Haltung, andere Menschen zu akzeptieren, wie sie sind<br />
� Akzeptieren/respektieren bedeutet nicht die Meinung zu teilen<br />
oder gut zu heißen<br />
� Oftmals Fokus auf Selbstoffenbarung wichtig, um Gründe zu<br />
verstehen und Verhalten verstehen zu können<br />
� …adipöser Patient<br />
� …Raucher<br />
� …kinderfeindlicher Patient<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Techniken des aktiven Zuhörens<br />
=patientenzentrierte Gesprächsführung<br />
� Ausreden lassen<br />
� Offene Fragen stellen<br />
� Nachfragen<br />
� Abwägen<br />
� Pausen machen<br />
� Verbale und nonverbale Ermutigung zur Weiterrede<br />
� Paraphrasieren (Wiederholen) und Zusammenfassen<br />
des Gesagten<br />
� Spiegeln von Emotionen<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Universitätsklinikum Erlangen<br />
Beispiel<br />
� Ein Patient macht rassistische Äußerungen, die Sie<br />
als Arzt nicht akzeptieren können.<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
AKTIVES ZUHÖREN<br />
� Zuhören heißt auch Selbstoffenbarung, Appell und<br />
Beziehung zu erfassen. Die Interessen und<br />
Beweggründe es anderen werden interessiert<br />
aufgenommen (Empathie).<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Ausreden lassen<br />
� Meist unterbricht der Arzt den Patienten bereits<br />
nach 15-20 Sek. zum ersten Mal<br />
� 78% der Patienten schließen ihren Bericht innerhalb<br />
von 2 Minuten ab. Nur 7 von 335 Patienten<br />
sprachen länger als 5 Minuten (Langewitz et al., BMJ, 2002)<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
133
Praktikum: Ärztliche Kommunikation<br />
Fragetechniken<br />
� Es muss klar sein, welchen Bezug die Frage zu einem Thema<br />
hat.<br />
� Fragen sollten immer nur einen Aspekt ansprechen (keine<br />
Mehrfachfragen).<br />
� Fragen sollten neutral gestellt werden (keine Wertung!)<br />
� Offene Frage<br />
� Wie würden Sie den Schmerz beschrieben?<br />
� Nachfragen<br />
� Was bedeutet für Sie: Er trinkt viel Alkohol?<br />
� Abwägen<br />
� Verständnis für Prioritäten des Pat.<br />
� Ist es Ihnen wichtiger mal wirklich rauszukommen oder in der Nähe Ihrer<br />
Kinder zu bleiben<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Trichterprinzip<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
(Verdachts-)diagnose<br />
Ermutigung zur Weiterrede<br />
� Kopfnicken<br />
� „hm“, „okay“, „ah ja“<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Universitätsklinikum Erlangen<br />
patientengeleitet<br />
offene Fragen<br />
wissensgeleitet<br />
geschlossene Fragen<br />
� Echoing<br />
� Einzelne Wörter wörtlich wiederholen<br />
� P: „… seit März diesen Jahres ist es deutlich schlimmer<br />
geworden. Ich glaube, da spielt auch die Sache mit meiner<br />
Mutter eine große Rolle.“<br />
A: „Die Sache mit ihrer Mutter? Erzählen Sie!“<br />
� „Sie haben gerade Ihre Situation am Arbeitsplatz erwähnt.<br />
Erzählen Sie mir noch etwas darüber, damit ich mir eine<br />
Vorstellung machen kann, wie es Ihnen in dieser Situation<br />
geht.“<br />
Offene Fragen<br />
� Antwort kann frei gestaltet werden<br />
� „Wie würden Sie den Druck beschreiben?“ statt<br />
„War er dumpf oder stechend?“<br />
� Vorteile:<br />
� Regen Pat. zu selbständigen Schilderung an<br />
� Motivieren den Pat., sich aktiv zu beteiligen<br />
� Geben dem Pat. Gelegenheit, sein Erleben zu schildern<br />
� Können in kurzer Zeit viele Informationen liefern<br />
� Bekunden dem Pat. die persönliche Zuwendung des Arztes<br />
� Nachteil<br />
� Impliziert die Möglichkeit einer zu detaillierten Darstellung<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Pausen machen<br />
� Lassen den Arzt nicht inkompetent erscheinen<br />
� Wirken eher entlastend auf Patienten<br />
� 3 Sekunden<br />
� Es fallen den Patienten Dinge ein, die sie bisher<br />
vergessen hatten oder die nur zögernd erzählt<br />
werden => bewusst einsetzbar<br />
� Signalisiert weitererzählen<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Paraphrasieren<br />
� Den Inhalt des Gesagten in eigenen Worten<br />
wiedergeben<br />
� Patientenaussagen mit dem größten<br />
Bedeutungsinhalt<br />
� Es ergeben sich oft neue Bedeutungsinhalte für<br />
den Pat.<br />
� Gesprächsinhalte lassen sich damit lenken<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
134
Praktikum: Ärztliche Kommunikation<br />
Paraphrasieren<br />
Beispiel<br />
� Pat: „Inzwischen habe ich immer mehr<br />
Verantwortung übertragen bekommen, aber<br />
abnehmen tut mir im Gegenzug niemand was. Wie<br />
ich das schaffen soll?“<br />
� A: „Sie machen sich Sorgen, ob sie diese Situation<br />
weiterhin durchhalten?“<br />
� Pat: „Nein… schaffen werde ich das schon. Aber es<br />
macht mich sauer, dass….!“<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Spiegeln von Emotionen<br />
� Dem Paraphrasieren sehr ähnlich<br />
� Bezieht sich vor allem auf emotionale Inhalte<br />
� Gefühle, die der andere ausdrückt – sei es verbal oder<br />
nonverbal – in Worte fassen<br />
� Dem anderen „aus dem Herzen sprechen“,<br />
„Gefühlsvermutung“<br />
� „Sie sind darüber ziemlich ärgerlich“<br />
� „Das macht Sie sehr traurig, wenn Sie daran erinnert werden“<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Wie wirkt das aktive Zuhören?<br />
� Besseres Verständnis<br />
� Selbstklärung<br />
� Keine Ratschläge<br />
� Tempobremse<br />
� Fokussierung bzw. Anregung des Redeflusses<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Universitätsklinikum Erlangen<br />
Zusammenfassen der Inhalte<br />
� Bezieht sich auf längere Gesprächsabschnitte<br />
� Führt zur Abstimmung zwischen Arzt und Patient<br />
� Der Patient kann Informationen ergänzen<br />
� Geeignetes Mittel, um in eine 2. Gesprächsphase<br />
überzuleiten oder das Ende des Termins<br />
anzukündigen.<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Besondere Schwierigkeiten des aktiven<br />
Zuhörens<br />
� Sich zurückhalten und „Lösungslosigkeit“ aushalten<br />
� Die Führung überlassen<br />
� Umgang mit Gefühlen<br />
� Nicht beschwichtigen<br />
� Nicht das Thema wechseln<br />
� Gefühle zulassen auszuhalten, ohne auf Abhilfe zu sinnen. Nach<br />
emotionaler Reaktion nicht sofort beruhigen oder beschwichtigen<br />
oder das Thema wechseln, sondern abwarten und Emotionen<br />
aushalten<br />
� „Peinlichkeit“ überwinden<br />
� Schweigen<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Lösungsweg<br />
Problem Lösung<br />
Gefühl/<br />
Emotionale<br />
Bedeutung<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Werthaltung/<br />
Antrieb/<br />
Wunsch<br />
135
Praktikum: Ärztliche Kommunikation<br />
Beispiel<br />
� Frau R., seit einem Jahr geschieden, kommt zur<br />
Vorsorgeuntersuchung. Es ergeben sich keine<br />
Anzeichen für einen Tumor, der Blutdruck ist jedoch<br />
erhöht.<br />
� A: „Frau R., ich kann Ihnen mitteilen, es ist alles in<br />
Ordnung, kein Tumor. Aber Ihr Blutdruck ist etwas<br />
zu hoch. Sie sollten darauf achten, sich mehr zu<br />
bewegen.“ (Ratschlag)<br />
� Frau R.: „Ja, ich weiß.“ (Gesprächsende)<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
� A: „…für den hohen Blutdruck kann es verschiedene<br />
Möglichkeiten geben: ungesunde Ernährung, zu<br />
wenig Bewegung, aber auch andere Ursachen…<br />
Ärger, Ängste, Sorgen… Wie oft schaffen Sie es<br />
denn beispielsweise mal eine Runde spazieren zu<br />
gehen?...<br />
� Frau R.: „gar nicht, ich trau mich nicht raus. Sie<br />
wissen schon, die Nachbarn finden doch immer<br />
was.“<br />
� A: „…finden immer was? Was meinen Sie?“<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Beispiele<br />
� „Was führt Sie heute zu mir?“<br />
„Was kann ich für Sie tun?“<br />
� „Erzählen Sie mir mehr…<br />
wann waren die Beschwerden<br />
mal besser?“<br />
� „Können Sie mir das noch<br />
etwas genauer erklären?“<br />
� „Das stelle ich mir sehr<br />
belastend vor. Wie haben Sie<br />
das durchgehalten?“<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Universitätsklinikum Erlangen<br />
� „Ich glaube, jetzt kann ich<br />
mir ungefähr vorstellen, wie<br />
ihre Beschwerden aussehen.<br />
Können Sie mir bitte noch<br />
etwas zu ihrer aktuellen<br />
Arbeitssituation berichten.<br />
Wo und wie sind sie tätig?“<br />
� „Ist der Schmerz dumpf oder<br />
stechend?“<br />
� „Wann genau begannen die<br />
Schmerzen?“<br />
� „Was hat schon geholfen, die<br />
Schmerzen zu lindern?“<br />
� Frau R. geht nach Hause, achtet weder auf<br />
Ernährung noch auf Gewicht, geht nicht häufiger vor<br />
die Tür als sonst. Was nicht angesprochen wurde<br />
sind die Ängste vor Reaktionen der Nachbarn und<br />
depressives Rückzugsverhalten.<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Gesprächsführung<br />
-Gleichgewicht zwischen...-<br />
Patientenzentriert,<br />
Gesprächsführung übergeben<br />
� Ausreden lassen<br />
� Offene Fragen stellen<br />
� Warten, Pausen<br />
� Verbale und nonverbale<br />
Ermutigung zur Weiterrede,<br />
konkretisierend nachfragen<br />
� Paraphrasieren: Aufgreifen der<br />
Worte des Patienten<br />
� Spiegeln von Emotionen<br />
� Zusammenfassen in eigenen<br />
Worten<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Anamneseerhebung nach Engel<br />
1. Vorstellen, Begrüßen<br />
2. Schaffen einer günstigen Situation<br />
3. Landkarte der Beschwerden<br />
4. Jetziges Leiden (7 Dimensionen)<br />
5. Persönliche Anamnese<br />
6. Familienanamnese<br />
7. Psychische Entwicklung<br />
8. Soziales<br />
9. Systemanamnese ergänzen<br />
10.Fragen/Pläne<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Arztzentriert, Gesprächsführung<br />
übernehmen<br />
� Zeitrahmen benennen<br />
� Eigene Themen einbringen<br />
� Übergänge in der<br />
Gesprächsführung ankündigen<br />
� Unterbrechen<br />
� Geschlossene Fragen<br />
� Vereinbarungen treffen<br />
� Gesprächsende ankündigen<br />
136
Praktikum: Ärztliche Kommunikation<br />
7 Dimensionen der Symptomatik<br />
� Zeitlicher Verlauf (Beginn, Dauer, Reihenfolge,<br />
freie Intervalle)<br />
� Qualität (ggf. Vorschläge machen.<br />
Cave:Suggestivfragen)<br />
� Intensität (Funktionseinbuße, Menge, Stärke 0-10)<br />
� Lokalisation (z.B. Kleidungsschema)<br />
� Begleitzeichen<br />
� Intensivierende/lindernde Faktoren<br />
� Umstände<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Balint-Gruppen<br />
� Michael Balint, Psychiater und Psychoanalytiker<br />
� entwickelt eine Methode der ärztlichen Weiterbildung (1954, BMJ)<br />
� um Hausärzte in ihrer täglichen Praxis zu befähigen, ihre<br />
Patienten – besonders die “Schwierigen” - besser verstehen und<br />
behandeln zu können.<br />
� 8-12 Teilnehmer, von Psychotherapeuten geleitet, ein Teilnehmer<br />
beschreibt eine für ihn schwierige Arzt-Patient-Interaktion, die<br />
anderen Teilnehmer geben ihre bei der Schilderung des Falles<br />
aufgetretene Gedanken, Gefühle, Phantasien wieder. Hieraus<br />
entsteht ein komplexes Bild der Arzt-Patient-Beziehung, konkrete<br />
neue Ideen für eine veränderte Gestaltung der Arzt-Patient-<br />
Interaktion<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Balint-Gruppen<br />
� Bewusstmachung von Gegenübertragungen des Arztes<br />
� Unbewusstes Reagieren auf die Beziehungsangebote des<br />
Patienten.<br />
� Wenn Sie Übertragungen durch den Patienten erkennen,<br />
hilft Ihnen das, den eigenen Ärger im Zaum zu halten und<br />
besonnen zu bleiben.<br />
� Was macht der Patient mit mir? Welche Gefühle und<br />
Reaktionen löst er in mir aus?<br />
� Übertragungen werden am besten durch die eigene<br />
Gegenübertragung erkannt, d.h. wenn man sich anders<br />
verhält wie man es sonst von sich gewohnt ist.<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Universitätsklinikum Erlangen<br />
Themenwechsel<br />
� „Jetzt habe ich Ihnen Löcher über Ihre Beschwerden in den<br />
Bauch gefragt und weiß noch gar nichts darüber, wie Sie sonst<br />
leben, was Sie beruflich machen, ob sie eine Familie haben?“<br />
� „Ich würde gerne nochmal auf ihre persönliche Situation<br />
zurückkommen… wie geht es Ihnen übrigens mit all diesen<br />
Fragen?“<br />
� „Wie haben sich denn die Beschwerden auf Ihr<br />
Zusammenleben mit der Familie oder mit Freunden<br />
ausgewirkt?“<br />
� „Wenn es für Sie in Ordnung ist, würde ich Sie gerne noch was<br />
anderes fragen…“<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Balint-Gruppen<br />
� Bewusstmachung von Übertragungen des Patienten<br />
� Verschiebung von Gefühlen, Einstellungen und Verhaltensweisen<br />
des Pat. gegenüber früheren Bezugspersonen auf den Arzt =<br />
allgemein sozial-psychologisches Phänomen,<br />
“Wiederholungszwang”<br />
� Der Patient wiederholt eine zurückliegende, konfliktbehaftete<br />
Beziehung<br />
� In der Regel „inszeniert“ der Patient sein zentrales<br />
Beziehungsmuster und weist dem Arzt eine bestimmte<br />
Übertragungsrolle zu - bewusste und unbewusst Erwartungen an<br />
die Person des Arztes.<br />
� Verschärft durch das Phänomen der psychischen Regression, die<br />
der Krankenrolle eigen ist (Abhängigkeit, Hilfebedürftigkeit).<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Balint-Gruppen<br />
� Bewusstmachung von Übertragungen und<br />
Gegenübertragungen des Arztes<br />
� Natürlich auch abhängig auch von der Lebensgeschichte<br />
des Arztes.<br />
� Unterscheidung zwischen eigenen Anteilen der<br />
Übertragung und der vom Patienten induzierten<br />
Gegenübertragung.<br />
� Der Arzt muss bei sich subtrahieren können!<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
137
Praktikum: Ärztliche Kommunikation<br />
Typische Gegenübertragungsreaktionen des<br />
Arztes sind<br />
� Unruhe<br />
� Müdigkeit<br />
� Ärger<br />
� Sich-kontrolliert-Fühlen<br />
� Abbruch der Behandlung<br />
� Attackieren des Patienten<br />
� Gefühl, vom Patient abgelehnt zu werden<br />
� Übernahme von Verantwortung für den Patienten<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
Universitätsklinikum Erlangen<br />
Balint-Gruppe<br />
� Bewährtes Modell der Selbstreflexion<br />
� Hilft dem einzelnen Arzt seinen eigenen Anteil an<br />
schwierigen Patienteninteraktionen zu klären<br />
� z.B. ist das, was er medizinisch tut, mehr rational und<br />
wissenschaftlich begründet oder in seinen halbbewussten<br />
Gegenübertragungsgefühlen begründet.<br />
© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />
138
Sollten Sie Ihre Praktikumsbescheinigung verloren haben, bitte dieses Musterexemplar ersatzweise ausfüllen und fehlende Unterschriften einholen!<br />
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -<br />
Praktikum WiSe <strong>2012</strong>/13<br />
Name: _______________________<br />
Vorname: _______________________ Zeit:<br />
Geb. am: _______________________ Dienstag: 14 - 17 Uhr<br />
Geb.-Ort: _______________________ Donnerstag: 15 - 18 Uhr<br />
Matrikel-Nr.: _______________________ □ Psychologie-Studentin/-Student<br />
Datum: Unterschrift:<br />
_______ ______________ = Einführungsveranstaltung, Kleiner Hörsaal<br />
_______ ______________ Kleiner Hörsaal<br />
_______ __________ □ P22 □ Tagesklinik,Hartm.str.14 □ Chir. Pforte □ Strahlenkl. EG Sem.Raum □ Hautkl. Pforte □ KC Pforte □ Forsch. Ulmenweg 19<br />
_______ __________ □ P22 □ Psychos.TK,Hartm.str.14 □ Chir. Pforte □ Strahlenkl. EG Sem.Raum □ Hautkl. Pforte □ KC Pforte □ Forsch. Ulmenweg 19<br />
_______ __________ □ P22 □ Psychos.TK,Hartm.str.14 □ Chir. Pforte □ Strahlenkl. EG Sem.Raum □ Hautkl. Pforte □ KC Pforte □ Forsch. Ulmenweg 19<br />
Bitte geben Sie nach dem letzten Praktikumstermin diese Bescheinigung bei Ihrem Dozenten ab!<br />
Nach diesem Termin besteht auch die Abgabemöglichkeit im Sekretariat II der Psychosomatischen und Psychotherapeutischen Abteilung,<br />
Tel. 09131/85 44596, Z.-Nr. 3.715, 3. Stock, Schwabachanlage 6, 91054 Erlangen.<br />
Bitte vergessen Sie die Online-Evaluation am Ende des Praktikums nicht!<br />
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -<br />
Station P 22<br />
Chirurgie, Pforte<br />
Hautklinik im INZ, Pforte<br />
Forschung, Ulmenweg 19<br />
Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, Pforte<br />
Strahlenklinik, EG, Seminarraum<br />
Tagesklinik, Hartmannstraße 14<br />
139
PRAKTIKUM Wintersemester <strong>2012</strong>/13<br />
Zum Ablauf:<br />
Das Praktikum findet statt für Studierende des 8. Fachsemesters sowie nach Möglichkeit auch für Studierende der<br />
Psychologie auf Masterstudiengang. Es handelt sich um ein Blockpraktikum mit jeweils 5 aufeinander folgenden<br />
Terminen. Die Teilnahme an allen fünf Terminen ist verpflichtend. Es ist nicht möglich, einzelne Termine zu tauschen<br />
oder nachzuholen. Es besteht allerdings die Möglichkeit, den gesamten Block zu tauschen, sofern noch Plätze in<br />
anderen Praktikumsblöcken verfügbar sind oder Sie selbst einen Tauschpartner organisieren.<br />
Anmeldung:<br />
Für Medizin-Studierende:<br />
Ausschließlich über das Online-Kursbuchungssystem des Studiendekanats vom 19.9.12 bis 17.10.<strong>2012</strong>. Die<br />
Anmeldung erfolgt für eine spezifische Kleingruppe. Wann der Block der jeweiligen Kleingruppe stattfindet, ist im<br />
Online-Kursbuchungssystem ersichtlich. Bitte beachten Sie im Kursbuchungssystem die Zusatzinfos!<br />
Für Psychologie-Studierende:<br />
Per E-Mail an psom-lehre@uk-erlangen.de<br />
Die E-Mail muss neben dem vollständigen Namen auch Matrikelnummer, Geburtsdatum und –ort sowie einen Hinweis<br />
auf die Art des Studiengangs (Masterstudiengang) enthalten. Sie erhalten dann zum weiteren Procedere (Kurse,<br />
Einteilung etc.) schnellstmöglich per E-Mail eine Antwort.<br />
Zeit:<br />
Blöcke während des Semesters: jeweils Dienstag 14:00 bis 17:00 und Donnerstag 15:00 bis 18:00 Uhr (Beginn<br />
jeweils s.t.!)<br />
Ferienblöcke: in der jeweiligen Woche täglich von 14:00 bis 17:00 Uhr (Mo, Di, Mi, Fr) bzw. von 15:00 bis 18:00 Uhr<br />
(Do)<br />
Ort:<br />
Kleiner Hörsaal des Kopfklinikums und Räume der Psychosomatischen Abteilung in der Psychiatrischen Klinik, der<br />
Frauenklinik, der Strahlenklinik, der Chirurgischen Klinik, der Hautklinik sowie der Psychosomatischen Tagesklinik<br />
(Hartmannstraße 14).<br />
Treffpunkt:<br />
1. und 2. Kursstunde (1. Dienstag und Donnerstag eines jeden Blocks): kleiner Hörsaal, Kopfklinikum<br />
weitere Kursstunden: vor Station P22 in der Psychiatrischen Klinik bzw. nach Absprache mit der Kursleiterin / dem<br />
Kursleiter.<br />
Praktikumsbeginn:<br />
Dienstag, 23.10.<strong>2012</strong> (Block 1)<br />
Ferienblock 1:<br />
08.10.<strong>2012</strong> bis 12.10.<strong>2012</strong><br />
Ferienblock 2:<br />
18.02.2013 bis 22.02.2013<br />
HINWEIS für Studierende der MEDIZIN:<br />
Die Bescheinigung ist am letzten Kurstag beim Dozenten abzugeben.<br />
Wenn die Praktikumsbescheinigung nicht abgegeben wurde, kann im Studiendekanat Medizin keine Ausgabe des<br />
Fachscheins der <strong>Psychosomatik</strong> erfolgen.<br />
HINWEIS für Studierende der PSYCHOLOGIE:<br />
Der Schein für das Nebenfach <strong>Psychosomatik</strong> kann ca. 6 Wochen nach dem Klausurtermin im Sekretariat II der<br />
Psychosomatischen und Psychotherapeutischen Abteilung (Z. Nr. 3.715, 3. Stock, vormittags) gegen Abgabe der<br />
Praktikumsbescheinigung, falls noch nicht beim letzten Praktikumstermin geschehen, abgeholt werden.<br />
Universitätsklinikum Erlangen<br />
Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung<br />
Schwabachanlage 6<br />
91054 Erlangen<br />
Telefon: 09131 85-34596 (Sekretariat für Studentenangelegenheiten)<br />
E-Mail: psychosomatik@uk-erlangen.de<br />
Internet: www.psychosomatik.uk-erlangen.de Rubrik „Lehre“<br />
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