08.02.2013 Aufrufe

Psychosomatik Skript WS 2012/2013.pdf

Psychosomatik Skript WS 2012/2013.pdf

Psychosomatik Skript WS 2012/2013.pdf

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Universitätsklinikum Erlangen<br />

Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung<br />

Komm. Leiter der Abteilung: Prof. Dr. med. Johannes Kornhuber<br />

Schwabachanlage 6<br />

91054 Erlangen<br />

Telefon: 09131 85-34596 (Sekretariat für Studentenangelegenheiten)<br />

E-Mail: psom-lehre@uk-erlangen.de<br />

Internet: www.psychosomatik.uk-erlangen.de Rubrik „Lehre“<br />

<strong>Skript</strong><br />

zur Hauptvorlesung<br />

<strong>Psychosomatik</strong><br />

mit Anhang zum Praktikum<br />

Wintersemester<br />

<strong>2012</strong>/2013<br />

1


Einführung in die <strong>Psychosomatik</strong><br />

Einführung in die <strong>Psychosomatik</strong><br />

Dr. Beatrix Vill<br />

WiSe <strong>2012</strong>/2013<br />

Ltd. Oberärztin<br />

Fachärztin Psychosomatische Medizin<br />

und Psychotherapie<br />

Psychosomatische Medizin<br />

Niemand bezweifelt, dass medizinische Fachkompetenz<br />

Voraussetzung für eine verantwortungsvolle und qualifizierte<br />

ärztliche Tätigkeit ist………. Aber die Einsicht, dass über<br />

fachmedizinische Kompetenz hinaus auch psychosoziale<br />

Kompetenz erforderlich ist, die ebenfalls im Verlauf einer<br />

Ausbildung erworben werden muss, um mit kranken Menschen<br />

verantwortungsvoll und qualifiziert umgehen zu können, hat<br />

sich noch keineswegs allgemein durchgesetzt.<br />

Thure von Uexküll (<strong>Psychosomatik</strong>er, † 2004)<br />

Somato…<br />

…psyche<br />

Universitätsklinikum Erlangen<br />

Psycho…<br />

…somatik<br />

Psychosomatische Medizin<br />

Unsere westliche Medizin definiert den Körper als Maschine<br />

und versteht ihre Aufgabe als Reparaturbetrieb<br />

(“High-tech”-Medizin).<br />

Ihr Gesundheitsbegriff lässt es nicht zu, dass psychosoziale<br />

Faktoren für die Gesundheit und Krankheit eines Menschen<br />

gleiches Gewicht haben können wie physikalische, chemische<br />

oder mikrobiologische Faktoren.<br />

Thure von Uexküll (<strong>Psychosomatik</strong>er, † 2004)<br />

Handwerkszeug des <strong>Psychosomatik</strong>ers…<br />

…muss erlernt werden<br />

ist etwas anderes als ein Gespräch unter Freunden<br />

…Abstinenz<br />

…Selbsterfahrung<br />

2


Einführung in die <strong>Psychosomatik</strong><br />

Ausbildung<br />

“Psychosomatische Medizin und<br />

Psychotherapie”<br />

ist seit der Ärztlichen Approbationsordnung 1970<br />

ein scheinpflichtiges Unterrichtsfach im<br />

Medizinstudium.<br />

Pflichtunterricht (curriculare Lehre)<br />

� Klausur am 14.02.12, 15.45–16.30 Uhr im Gr.<br />

Hörsaal des Hörsaalgebäudes Ulmenweg<br />

� Bekanntgabe der <strong>Psychosomatik</strong>-Ergebnisse in<br />

Medikurs<br />

� Nachklausur vorauss. am 11.04.13 von 15.15-16.00<br />

Uhr im Kl. Hörsaal des KK<br />

� <strong>Skript</strong>um<br />

� www.psychosomatik.uk-erlangen.de<br />

� <strong>Skript</strong>um (Vergabe bei den Vorlesungen)<br />

BASICS <strong>Psychosomatik</strong> und<br />

Psychotherapie<br />

19,95 € inkl. MwSt<br />

Jette Hänel, Annalisa Enders, Svenja Davi<br />

Urban & Fischer in Elsevier<br />

Jahr: 2008<br />

X, 118 Seiten<br />

ISBN/EAN:978-3-437-42356-7<br />

Universitätsklinikum Erlangen<br />

Pflichtunterricht (curriculare Lehre)<br />

neue ÄAppO<br />

� Hauptvorlesung (2 S<strong>WS</strong>)<br />

� Mi, Do 9.15-10.00 Uhr<br />

� Großer Hörsaal des Kopfklinikums<br />

� Verschiedene Dozenten/innen, Patienten/innen<br />

� EVALUNA<br />

� Praktikum (2 S<strong>WS</strong>)<br />

� Gruppen zu 6 Studierenden, Di 14-17 Uhr, Do 15-18 Uhr<br />

� Fragen an psom-lehre@uk-erlangen.de<br />

� 5 Termine<br />

� Die ersten beiden Termine finden für alle Gruppen gemeinsam im<br />

kleinen Hörsaal statt (Kommunikation).<br />

Literatur<br />

Kompaktlehrbücher:<br />

� Fritzsche, Wirsching. Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Springer<br />

Verlag, 2006<br />

� Hoffmann, Hochapfel. Neurotische Störungen und Psychosomatische Medizin.<br />

Schattauer, 8. Auflage,. 2009<br />

� Ehrmann, Frick, Kinzel, Seidl. Einführung in die <strong>Psychosomatik</strong> und<br />

Psychotherapie. Kohlhammer, 2.Auflage, 2009<br />

-------------------------------------------------------------------------------------------<br />

� Stephan Ahrens, Wolfgang Schneider (Hrsg.) Lehrbuch der Psychotherapie<br />

und Psychosomatischen Medizin. 2. Auflage, Schattauer, 2002<br />

� Herpertz, Caspar & Mundt (Hrsg.). Störungsorientierte Psychotherapie.<br />

Elsevier, 2008<br />

� Thure von Uexküll u.a. (Hrsg.) Psychosomatische Medizin, 7. Auflage, Urban<br />

& Fischer, 2010<br />

Für Studierende der Psychologie (aber natürlich nicht nur):<br />

� Ulrike Ehlert (Hrsg.) Verhaltensmedizin, Springer Verlag, 2003<br />

Praxis der Psychosomatischen<br />

Grundversorgung<br />

Die Beziehung zwischen Arzt und<br />

Patient<br />

29,90 € inkl. MwSt<br />

Iris Veit<br />

Kohlhammer<br />

Jahr: 2010<br />

280 Seiten<br />

978-3-17-020832-2<br />

3


Einführung in die <strong>Psychosomatik</strong><br />

Universitätsklinikum Erlangen<br />

Kompendium Psychiatrie,<br />

Psychotherapie,<br />

Psychosomatische Medizin<br />

39,95 € inkl. MwSt<br />

Harald J Freyberger, Wolfgang<br />

Schneider, Rolf-Dieter Stieglitz<br />

Verlag Hans Huber<br />

Jahr:2011 (12. Auflage)<br />

920 Seiten<br />

ISBN/EAN: 978-3-456-84977-5<br />

Neurotische Störungen und<br />

Psychosomatische Medizin<br />

Mit einer Einführung in<br />

Psychodiagnostik und Psychotherapie<br />

29,95 € inkl. MwSt<br />

Sven Olaf Hoffmann, Frank R<br />

Hochapfel, Annegret Eckhardt-Henn,<br />

Gereon Heuft<br />

Schattauer<br />

2009 (8. Auflage)<br />

ISBN/EAN: 978-3-7945-2619-2<br />

eBooks / eBook Download 29,95 € inkl. MwSt<br />

Format:<br />

PDF (Adobe DRM)<br />

978-3-7945-6376-0<br />

Praxis schnuppern…<br />

� Famulatur (mind. 4 Wochen)<br />

beatrix.vill@uk-erlangen.de<br />

� Wahlfach im PJ<br />

beatrix.vill@uk-erlangen.de<br />

Uexküll, Psychosomatische<br />

Medizin<br />

Theoretische Modelle und<br />

klinische Praxis - mit Zugang zum<br />

Elsevier-Portal<br />

Preis: 176,00 € inkl. MwSt<br />

Verlag:Urban & Fischer in Elsevier<br />

Jahr: 2010 (7. Auflage)<br />

Seiten: XXIV, 1352 Seiten<br />

ISBN/EAN:978-3-437-21831-6<br />

Einführung in die<br />

<strong>Psychosomatik</strong> und<br />

Psychotherapie<br />

Ein Arbeitsbuch für Unterricht und<br />

Eigenstudium<br />

12,90 € inkl. MwSt<br />

Michael Ermann, Eckhard<br />

Frick, Christian Kinzel, Otmar<br />

Seidl<br />

Verlag: Kohlhammer<br />

Jahr: 2009 (2. Auflage)<br />

Seiten: 112 Seiten<br />

ISBN/EAN:978-3-17-020675-5<br />

Wissenschaftliche Mitarbeit<br />

� Wissenschaftliche Hilfskraftstellen, Tutoren<br />

� Doktorarbeiten, Diplomarbeiten, Masterarbeiten<br />

� Ankündigungen unter:<br />

www.psychosomatik.uk-erlangen.de<br />

4


Einführung in die <strong>Psychosomatik</strong><br />

Weiterbildung<br />

� Gebietsbezeichnung<br />

� 95. Ärztetag 1992: Facharzt für<br />

“Psychotherapeutische Medizin”<br />

� Ärztetag 2003: Facharzt für<br />

“Psychosomatische Medizin und Psychotherapie”<br />

� 1 Jahr Innere<br />

� 1 Jahr Psychiatrie<br />

� 3 Jahre <strong>Psychosomatik</strong><br />

Psychosomatische Grundversorgung<br />

(80 Stunden)<br />

Kenntnisse Theorie, Krankheitslehre 20 Stunden<br />

Erfahrungen Reflexion der Arzt-Patient-<br />

Beziehung, Balint-Gruppe<br />

Fertigkeiten Verbale Intervention,<br />

Training<br />

Geschichte der <strong>Psychosomatik</strong><br />

Universitätsklinikum Erlangen<br />

15 Doppelstunden<br />

15 Doppelstunden<br />

� Tradition bis in die Antike<br />

� Somatopsychische Konzepte<br />

� Säfte-/Temperamentenlehre von Hippokrates<br />

� “Hysterie”<br />

� Somatogenese psychischer Erkrankungen<br />

� Groddeck, 1917: “Psychische Bedingtheit und<br />

psychoanalytische Behandlung organischer Leiden”.<br />

� Psychogenese organischer Erkrankungen<br />

Fortbildung<br />

1. Fortbildung: Psychosomatische Grundversorgung:<br />

berechtigt zur Abrechnung spezieller Ziffern der BMÄ, E-GO;<br />

Pflichtkurs für die neuen Fachärzte für Innere Medizin,<br />

Allgemeinmedizin und Frauenheilkunde.<br />

2. Bereichs(zusatz)bezeichnung:<br />

Psychotherapie oder Psychoanalyse:<br />

mit gewissen Gebietsbezeichnungen kombinierbar.<br />

Psychosomatische Grundversorgung<br />

� In der Hausarztpraxis leiden durchschnittlich 35% aller<br />

Patienten an einer behandlungsbedürftigen psychischen oder<br />

psychosomatischen Symptomatik.<br />

� Zintl-Wiegand et al., 1980; Dilling et al., 1978; Linden et al.,<br />

1996; Kruse et al., 1999<br />

� Die Identifikationsrate beträgt beim Hausarzt nur ca. 30-50%.<br />

� nach Kruse und Tress, 2001<br />

� “Gatekeeperfunktion” des Hausarztes<br />

Historische Entwicklung in Deutschland<br />

� Anwendung von psychoanalytischer Therapie auf<br />

Körperkrankheiten (Psychogenese von Erkrankungen).<br />

� Die Psychoanalyse findet in der Inneren Medizin mehr<br />

Aufnahmebereitschaft als in der Psychiatrie<br />

(von Weizsäcker).<br />

� Felix Deutsch, 1922: “Über das Anwendungsgebiet der<br />

Psychotherapie in der inneren Medizin”.<br />

� Edoardo Weiss, 1922: Psychoanalyse eines Falles von<br />

nervösem Asthma. Int Z Psychoanalyse, 8: 440-455.<br />

5


Einführung in die <strong>Psychosomatik</strong><br />

Die Heiligen Chicago Sieben<br />

Franz Alexander: Psychosomatic Medicine. New York: Norton, 1950<br />

� “Spezifischer” unbewusster Konflikt bei sieben<br />

Körperkrankheiten (“Spezifitätshypothese”):<br />

z.B.<br />

� Ulcus duodeni: unbewusster Wunsch nach Nährendversorgt-Werden<br />

führt zur “Scheinfütterungs”-Physiologie<br />

des Magens.<br />

� Hypertonie: unbewusste Erwartung, sich gegen einen<br />

Angriff körperlich wehren zu müssen, “Bereitstellungs-<br />

Krankheit” (Thure von Uexküll, † 2004).<br />

OBSOLET<br />

<strong>Psychosomatik</strong> heute<br />

� Psychobiologisches Modell<br />

� Bedeutung des Neuro-Imaging<br />

Psychische und soziale Faktoren können …<br />

� zum Entstehen einer<br />

Krankheit beitragen,<br />

� den Zeitpunkt des Auftretens<br />

mitbestimmen,<br />

� den Moment, in dem der Arzt<br />

aufgesucht wird bestimmen.<br />

Universitätsklinikum Erlangen<br />

� die Reaktion des Menschen<br />

auf körperliche<br />

Veränderungen beeinflussen<br />

(„coping“),<br />

� das Verhalten während des<br />

Krankseins färben (z.B.<br />

compliance/adherence),<br />

� das Ausmaß und die<br />

Geschwindigkeit der<br />

Genesung modifizieren.<br />

<strong>Psychosomatik</strong> heute<br />

� Bio-psycho-soziales Modell<br />

� Psychosomatische Medizin beschäftigt sich mit den<br />

Wechselwirkungen zwischen körperlichen,<br />

seelischen und sozialen Prozessen in der<br />

Entstehung, im Verlauf und in der Bewältigung von<br />

Krankheiten und Leidenszuständen.<br />

Psychische und soziale Faktoren können ...<br />

VORHER<br />

� zum Entstehen einer<br />

Krankheit beitragen,<br />

� den Zeitpunkt des<br />

Auftretens mitbestimmen,<br />

� den Moment, in dem der<br />

Arzt aufgesucht wird<br />

bestimmen.<br />

NACHHER<br />

� die Reaktion des Menschen auf<br />

körperliche Veränderungen<br />

beeinflussen („coping“)<br />

� das Verhalten während des<br />

Krankseins färben (z.B.<br />

Compliance),<br />

� das Ausmaß und die<br />

Geschwindigkeit der Genesung<br />

modifizieren.<br />

Entstehung<br />

Bsp. Stress hemmt das Immunsystem<br />

� Psychoneuroimmunologie<br />

� Stressforschung<br />

� Stress: kein objektiv feststehender Wert, sondern abhängig von<br />

der subjektiven Bedeutung.<br />

� Virenprovokationsstudie (Cohen et al., 1993)<br />

� 394 gesunde Probanden infiziert.<br />

� Höhere Wahrscheinlichkeit eine Erkältungskrankheit zu<br />

entwickeln, wenn im Vorjahr chronische oder kritische<br />

Lebensereignisse („life events“) erlebt wurden.<br />

� Von Außen kommende Belastungen, die starke emotionelle<br />

Bedeutung haben, wirken über das ZNS und die NNR auf das<br />

Immunsystem ein.<br />

6


Einführung in die <strong>Psychosomatik</strong><br />

Prävalenz depressiver Störungen<br />

(Katon, 2003)<br />

� Allgemeinbevölkerung 3-5%<br />

� Primary Care 5-10%<br />

� Stationäre internistische Patienten 10-14%<br />

� Diabetes mellitus 11-14%<br />

(Andersen, 2001, Diabetes Care)<br />

� KHK, MI 15-23%<br />

� HIV 4-23%<br />

Psychosoziale Belastungen durch eine<br />

Krebserkrankung (Faller, 1998)<br />

� Todesdrohung<br />

� Verletzung der körperlichen Integrität (Amputation,<br />

Kolostomie)<br />

� Bedrohung der Selbständigkeit bis hin zur Hilflosigkeit<br />

(Autonomieverlust)<br />

� Verlust von Aktivitäten<br />

� Bedrohung des körperlichen Wohlbefindens bis hin zu<br />

chronischen Schmerzen<br />

� Bedrohung der sozialen Identität und des<br />

Selbstwertgefühls<br />

� Soziale Isolierung, Stigmatisierungsangst<br />

Zusammenhang zwischen depressiver Symptomatik<br />

und Überlebenswahrscheinlichkeit (10 Jahre)<br />

N=205 Pat. Brust-, Lungen-, Kolon-, Gehirn-, Prostata-,<br />

Uterus- , Ovarialtumore (Brown et at. 2003)<br />

Überlebenswahrscheinlichkeit<br />

1<br />

0,9<br />

0,8<br />

0,7<br />

0,6<br />

0,5<br />

0,4<br />

0 20 60 120 140<br />

Monate nach Diagnosestellung<br />

Universitätsklinikum Erlangen<br />

niedrige<br />

Depressionswerte<br />

hohe<br />

Depressionswerte<br />

Depression und internistische Erkrankungen<br />

� Eine depressive Störung in der Anamnese erhöht das relative<br />

Risiko an einer KHK zu erkranken auf 1.64<br />

(Meta-Analyse, Wulsin & Singal, 2003).<br />

� Depression ist ein eigenständiger Risikofaktor sowohl für<br />

die Entwicklung eines Herzinfarkts als auch für die erhöhte<br />

Mortalität nach Herzinfarkt<br />

� Eine depressive Störung in der Anamnese verdoppelt das<br />

Risiko an Typ 2 Diabetes mellitus zu erkranken<br />

(Eaton et al., 1996; Kawakami et al., 1999 – Diabetes Care).<br />

Einfluss depressiver Störungen<br />

(Katon, 2003)<br />

� Ungesunde Lebensführung<br />

� Rauchen<br />

� Alkohol<br />

� Bewegungsarmut<br />

� Symptomkontrolle verschlechtert<br />

� Compliance, Adhärenz<br />

� Inanspruchnahmeverhalten, Liegedauer erhöht<br />

� Symptompräsentation verstärkt<br />

� Arzt-Patient-Beziehung erschwert<br />

Die Struktur einer <strong>Psychosomatik</strong><br />

� Konsiliar – Liaisondienst<br />

� Psychoonkologie<br />

� Interdisziplinäre Schmerztherapie<br />

� Psychosomatische Frauenheilkunde<br />

� Psychokardiologie<br />

� Psychodermatologie<br />

� Psychoophthalmologie<br />

� ……….<br />

� Stationäre – teilstationäre – ambulante Psychotherapie<br />

� Hohe Kompetenz der <strong>Psychosomatik</strong><br />

7


Einführung in die <strong>Psychosomatik</strong><br />

<strong>Psychosomatik</strong> - stationär<br />

� Psychotherapie als Therapie erster Wahl<br />

� Essstörungen<br />

� Somatoforme Störungen<br />

� Persönlichkeitsstörungen<br />

� Zwangsstörungen<br />

� Angststörungen<br />

� Posttraumatische Belastungsstörung<br />

� Impulskontrollstörungen<br />

� Störungsspezifische und störungsübergreifende<br />

(‚transdiagnostische‘) Therapien, Interventionen<br />

Wissenschaftlich anerkannte Psychotherapie<br />

in Deutschland<br />

� Psychotherapeutische Verfahren müssen den Nachweis über<br />

ihre empirisch bestätigte Wirksamkeit erbringen<br />

� In mindestens 5 von 12 ICD-10 Störungsbildern mind. 2<br />

kontrollierte Studien.<br />

� Standards der “evidence based medicine” (EBM) auch in der<br />

Psychotherapie.<br />

� Tiefenpsychologisch fundierte Verfahren<br />

� Psychoanalyse<br />

� Verhaltenstherapie<br />

� Gesprächspsychotherapie (aber: noch nicht von Kassen<br />

finanziert)<br />

Für alle anderen Psychotherapieverfahren fehlen bisher<br />

notwendige Wirksamkeitsnachweise!<br />

Wirksamkeit von Psychotherapie<br />

� Psychotherapie ist hoch wirksam und empirisch gut überprüft.<br />

� Nur wissenschaftlich anerkannte psychotherapeutische<br />

Verfahren werden von den Krankenkassen finanziert<br />

� Um als wissenschaftlich anerkannt zu gelten, müssen<br />

Wirksamkeitsnachweise erbracht werden.<br />

� Zentral Institution zur Festlegung der Wirksamkeit ist der<br />

„Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie“.<br />

� In Vergleichsstudien finden sich meist keine Unterschiede<br />

zwischen verschiedenen Therapieverfahren,<br />

Leichsenring, Z Psychosom Med Psychother, 2002 (48):139-162<br />

Forum der Psychoanalyse, Band 20, Heft 1, 2004<br />

Universitätsklinikum Erlangen<br />

Psychotherapie<br />

Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)<br />

� Psychotherapie dient dazu eine Krankheit zu erkennen, zu<br />

heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder<br />

Krankheitsbeschwerden zu lindern.<br />

� Was ist nicht Psychotherapie?<br />

� Beratung bei Gesunden: Berufsberatung, Erziehungsberatung,<br />

Sexualberatung, körperbezogene Therapieverfahren, darstellende<br />

Gestaltungstherapie sowie heilpädagogische oder ähnliche Maßnahmen.<br />

� Beratung bei Kranken: vorbeugende und diätetische Maßnahmen wie auch<br />

die Erläuterungen und Empfehlungen von übenden, therapiefördernden<br />

Begleitmaßnahmen, Beratung von Angehörigen.<br />

Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Durchführung der Psychotherapie<br />

(Psychotherapie-Richtlinie) 18.4.2009<br />

Psychotherapie<br />

Was ist das?<br />

� Ein bewusster und geplanter interaktionaler Prozess,<br />

� zur Beeinflussung von Verhaltensstörungen und Leidenszuständen,<br />

die behandlungsbedürftig sind,<br />

� mit psychosozialen Mitteln (Kommunikation, verbal/averbal),<br />

� in Richtung auf ein definiertes, gemeinsam erarbeitetes Ziel<br />

(Symptomminimierung, Änderung der Persönlichkeitsstruktur), mit a<br />

priori formulierten und a posteriori evaluierten Therapiezielen,<br />

� mittels lehrbarer Techniken,<br />

� auf der Basis einer Theorie von normalem/pathologischem Verhalten.<br />

� In der Regel ist dazu eine tragfähige emotionale Bindung notwendig.<br />

Strotzka, 1975<br />

Settings in der Psychotherapie<br />

Einzeltherapie<br />

Gruppentherapie<br />

Paartherapie<br />

Familientherapie<br />

Stationäre, teilstationäre und ambulante Therapie<br />

Stationäre Psychotherapie<br />

Multimodales Vorgehen, d.h. Kombination von Einzel-,<br />

Gruppen-, meist mit Bewegungstherapie, Kunsttherapie, etc.<br />

8


Einführung in die <strong>Psychosomatik</strong><br />

‚Unspezifische‘ Wirkfaktoren der<br />

Psychotherapie<br />

� Intensive emotionale Beziehung<br />

� Vermittlung von Support (Verständnis, Ermutigung, Stützung)<br />

� Suggestion<br />

� Mobilisieren von Zuversicht<br />

� „Auftauen“ verfestigter Erlebnis- und Verhaltensmuster<br />

� Vermittlung von Erfolgserlebnissen<br />

Psychotherapie<br />

Welcher Umfang in der GKV<br />

� Die Durchführung der Psychotherapie im Rahmen der GKV<br />

(und zumeist auch der PKV) ist eine antragspflichtige Leistung.<br />

Kurzzeit Langzeit Maximum<br />

Verhaltenstherapie<br />

Tiefenpsychologisch<br />

25h 45h 80h<br />

Fundierte PT 25h 50h 100h<br />

Psychoanalyse --- 160h 300h<br />

Psychotherapeuten in der vertragsärztlichen<br />

Versorgung 2001<br />

analytisch tiefenpsychologisch + analytisch<br />

tiefenpsychologisch Verhaltenstherapie<br />

14000<br />

12000<br />

10000<br />

8000<br />

6000<br />

4000<br />

2000<br />

0<br />

Psychologische PT Ärztliche PT* Kinder/Jugendlichen<br />

PT<br />

Koch, Schulz: Psychotherapeutische Versorgung in Deutschland, 2003<br />

Deutsches Ärzteblatt, 17. Oktober 2003<br />

* Weitere 5 891 niedergelassene Ärzte arbeiten nur zum Teil psychotherapeutisch<br />

Universitätsklinikum Erlangen<br />

Mögliche negative Effekte einer Psychotherapie<br />

� Exazerbation vorhandener Symptome<br />

� Auftreten neuer Symptome (maligne Regression, Suizidalität,<br />

psychotische Dekompensation)<br />

� Abhängigkeit vom Therapeuten<br />

� Psychotherapie als Surrogat für tätiges Handeln im Alltag<br />

(Suchen nach unbewussten Motiven blockiert konstruktives<br />

Handeln)<br />

� Setzen unrealistischer Lebensziele<br />

� Egozentrismus<br />

Niedergelassene Psychotherapeuten mit<br />

Kassenzulassung<br />

12728<br />

74%<br />

Quelle: KBV, Stand 31.12.2006<br />

4484<br />

26%<br />

Ärzte<br />

Psychologen<br />

1999: Einführung des neuen Heilberufs<br />

„Psychologischer Psychotherapeut“<br />

mit eigener Approbation (PThG).<br />

9


Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />

<strong>Psychosomatik</strong><br />

Beispiele für verhaltenstherapeutische<br />

Therapieverfahren<br />

Dr. Barbara Gruß<br />

Allgemeine Psychotherapie-Wirkfaktoren<br />

nach Grawe (1995)<br />

Ressourcenaktivierung<br />

� Anknüpfen an die Ressourcen,<br />

Eigenarten und Fähigkeiten des<br />

Patienten<br />

Problemaktualisierung<br />

� „Prinzip der realen Erfahrung“<br />

= Veränderung durch „reales<br />

Erleben von Bedeutungsveränderungen<br />

im Therapieprozess“<br />

Aktive Hilfe zur<br />

Problembewältigung<br />

� Einsatz geeigneter Maßnahmen<br />

(störungsspezifisch)<br />

Motivationale Klärung<br />

� Klärung der Bedeutungen des<br />

Patientenerlebens und -verhaltens<br />

im Hinblick auf bewusste und unbewusste<br />

Ziele und Werte<br />

„Therapeuten unterschiedlicher Zugehörigkeit unterscheiden sich sehr wohl<br />

voneinander, wobei sie aber in höherem Maße Vergleichbares machen, als sie<br />

möglicherweise selbst wahrhaben wollen und als ihre Lehrbücher vermuten<br />

lassen“ (Czogalik 1990, S. 11).<br />

Allgemeine Merkmale<br />

Verhaltenstherapie …<br />

� … orientiert sich an der empirischen Psychologie.<br />

� „Nahverhältnis zur Forschung“ (Reinecker, 2009, S. 84)<br />

� Dadurch bedingte mehrfache Erweiterung des<br />

verhaltenstherapeutischen Paradigmas (ursprünglicher<br />

Ursprung in den Lerntheorien)!<br />

� … setzt an den prädisponierenden, auslösenden und<br />

aufrechterhaltenden Problembedingungen an.<br />

� … ist eine psychotherapeutische Grundorientierung, die ein<br />

Spektrum an therapeutischen Techniken nutzt.<br />

� Basis: störungsspezifische Behandlungskonzepte<br />

� Durch individuelle Verhaltensanalyse werden die<br />

Behandlungspläne aber stets individuell angepasst.<br />

Übersicht<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

� Überblick – Verhaltenstherapie<br />

� Lerntheorien und daraus abgeleitete<br />

Therapietechniken<br />

� Der kognitive Ansatz<br />

� Weitere Ansätze – Beispiel Achtsamkeit<br />

� Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />

Überblick – Verhaltenstherapie<br />

Allgemeine Merkmale<br />

Verhaltenstherapie …<br />

� … ist problem-, ziel- und handlungsorientiert.<br />

� Aktivierung zur eigenverantwortlichen Mitarbeit beim<br />

Veränderungsprozess<br />

� … ist nicht auf das therapeutische Setting begrenzt.<br />

� Die Zeit zwischen den Sitzungen ist relevant (zum üben,<br />

ausprobieren, …).<br />

� … ist transparent.<br />

� Durch eine vom Therapeuten angeleitete Problemanalyse wird der<br />

Patient zum Experten der eigenen Symptomatik.<br />

� … stellt die Hilfe zur Selbsthilfe in den Mittelpunkt.<br />

� … bemüht sich um ständige Weiterentwicklung.<br />

10


Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />

Erweiterung des verhaltenstherapeutischen<br />

Paradigmas<br />

Behaviorismus<br />

Äußere Verhaltensänderung<br />

Kognitive Wende<br />

Veränderung gedanklicher Schemata<br />

Emotionale Wende<br />

Einfluss von Emotionen,<br />

sprachunabhängigen Phänomenen,<br />

Spiritualität, Achtsamkeit, Akzeptanz<br />

Lerntheorien<br />

� Können Lernprozesse die Entstehung und<br />

Aufrechterhaltung problematischen Verhaltens<br />

und Erlebens erklären?<br />

� Klassisches Konditionieren<br />

� Operantes Konditionieren<br />

� Lernen am Modell<br />

Lerntheorien<br />

Klassisches Konditionieren – „Little Albert“ (Watson & Rayner, 1920)<br />

UCS: Lärm<br />

Wiederholte gemeinsame Darbietung<br />

Kopplung, Assoziation<br />

ursprünglich<br />

neutraler<br />

Reiz<br />

CS: Ratte<br />

UCR: Schreckreaktion,<br />

Herzklopfen, Angst,<br />

Weglaufen<br />

CR: Herzklopfen, Angst,<br />

Weglaufen<br />

� Unkonditionierter (biologisch bedingter) Stimulus (UCR) löst<br />

unkonditionierte Reaktion aus (UCR)<br />

� Konditionierter Stimulus (CR, mit UCR gemeinsam angeboten)<br />

löst konditionierte Reaktion aus (CR) (ähnelt UCR)<br />

� Assoziation zweier Reize durch das lernende Individuum<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Lerntheorien und daraus<br />

abgeleitete Therapietechniken<br />

Lerntheorien<br />

Klassisches Konditionieren<br />

ursprünglich<br />

neutraler<br />

Reiz<br />

UCS: unkonditionierter<br />

Stimulus: Futter<br />

Wiederholte gemeinsame Darbietung<br />

CS: konditionierter<br />

Stimulus: Glocke<br />

Lerntheorien<br />

Klassisches Konditionieren …<br />

UCR: unkonditionierte<br />

Reaktion: Speichelfluss<br />

CR: konditionierte<br />

Reaktion: Speichelfluss<br />

… in der Medizin<br />

Beispiele:<br />

� Angst vor den weißen Kitteln der Ärzte<br />

� Allergischer Schnupfen beim Anschauen eines Fotos mit Rosen<br />

� Krebspatient, dem beim Anblick der Infusionsflasche übel wird<br />

11


Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />

Lerntheorien<br />

Klassisches Konditionieren …<br />

… in der Medizin<br />

ursprünglich<br />

neutraler<br />

Reiz<br />

UCS: Infusion mit<br />

Chemotherapie<br />

Wiederholte gemeinsame Darbietung<br />

Kopplung, Assoziation<br />

CS: Anblick der Infusions-<br />

Flasche, Annäherung an<br />

Krankenhaus<br />

Lerntheorien<br />

Operantes Konditionieren<br />

UCR: Übelkeit, Erbrechen<br />

CR: Übelkeit, Erbrechen<br />

Kontingenzschema: Konsequenzen und ihre Wirkung<br />

Positiver<br />

Stimulus<br />

Aversiver<br />

Stimulus<br />

Darbietung Entfernung<br />

Positive Verstärkung<br />

Belohnung<br />

R� C +<br />

Direkte Bestrafung<br />

R� C -<br />

Indirekte Bestrafung<br />

Löschung<br />

R� C +<br />

Negative Verstärkung<br />

Erleichterung<br />

R� C -<br />

Lerntheorien<br />

Klassisches & operantes Konditionieren<br />

2-Faktoren-Theorie (Mowrer, 1945) zur Angst und Vermeidung<br />

UCS: volle U-Bahn UCR: Herzklopfen, Schwindel<br />

CS: enger, voller, heißer<br />

Raum<br />

R1: Flucht, Vermeidung<br />

R2: Krankheitsverhalten<br />

CR: somatische Reaktion<br />

K-: Angstreduktion<br />

= negative Verstärkung<br />

K+: Aufmerksamkeit<br />

= positive Verstärkung<br />

� Selbst im einfachsten Fall der klassischen Konditionierung folgen auf<br />

die konditionierte Reaktion bestimmte Konsequenzen!<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Lerntheorien<br />

Operantes Konditionieren<br />

= Lernen am Erfolg/ durch Verstärkung<br />

� Verstärker = Ereignisse, die dazu führen, dass ein Verhalten<br />

häufiger auftritt<br />

� Die Konsequenz bestimmt die Auftritt-Wahrscheinlichkeit der<br />

Reaktion<br />

R K<br />

Reaktion Konsequenz<br />

C<br />

Lerntheorien<br />

Operantes Konditionieren<br />

Kontingenz<br />

= die Tatsache, dass dem<br />

Verhalten eine bestimmte<br />

Konsequenz folgt<br />

Konsequenzen und ihre Wirkung<br />

Positive Verstärkung<br />

Negative Verstärkung<br />

Löschung<br />

Bestrafung<br />

Steigert Verhalten durch Belohnung (z.B.<br />

Lob, Geschenk)<br />

Steigert Verhalten durch Wegnahme einer<br />

unangenehmen Konsequenz (z.B.<br />

Erbrechen verhindert Gewichtszunahme)<br />

Verringert Verhalten indem dieses nicht<br />

verstärkt wird (z.B. Konfrontation und<br />

Reaktionsverhinderung bei Zwängen)<br />

Lerntheorien � VT Techniken<br />

Konfrontationstherapie<br />

Verringert unerwünschtes Verhalten<br />

durch unangenehme Konsequenzen (z.B.<br />

kein Schein bei zu spät kommen)<br />

„… Besonders aber ängstigte mich ein Schwindel, der<br />

mich jedes Mal befiel, wenn ich von der Höhe<br />

herunterblickte. Allen diesen Mängeln suchte ich<br />

abzuhelfen, und zwar, weil ich keine Zeit verlieren wollte,<br />

auf eine etwas heftige Weise. … Ich erstieg ganz allein<br />

den höchsten Gipfel des Münsterturms und saß in dem<br />

sogenannten Hals, wohl eine viertel Stunde lang, bis ich<br />

es wagte, wieder heraus in die freie Luft zu treten, wo<br />

man auf einer Platte … stehend das unendliche Land vor<br />

sich sieht … Dergleichen Angst und Qual wiederholte ich<br />

so oft, bis der Eindruck mir ganz gleichgültig war. …“<br />

Goethe 1811, S. 337-338<br />

12


Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />

Lerntheorien � VT Techniken<br />

Konfrontationstherapie<br />

Exposition & Reaktionsverhinderung/-management<br />

� Darbieten bzw. Aufsuchen einer vom Patient gefürchteten<br />

Situation.<br />

� Der Patient sollte so lange in einer belastenden Situation<br />

bleiben, bis es zu einer deutlichen Reduktion von Angst und<br />

Unruhe gekommen ist.<br />

� Durch Reaktionsverhinderung erlebt der Patient, dass die<br />

von ihm befürchteten Erwartungen (z.B. Umfallen, Sterben,<br />

Blamieren) nicht eintreten.<br />

� Es wurden mehrere Varianten der Reizkonfrontation<br />

entwickelt.<br />

Lerntheorien � VT Techniken<br />

Konfrontationstherapie<br />

Systematische<br />

Desensibilisierung<br />

Die aversiven Stimuli werden in<br />

der Vorstellung, in voller Intensität<br />

und z.T. bis ins Unrealistische<br />

übersteigert, dargeboten.<br />

Graduierte in-vivo-Konfrontation<br />

Die aversiven Stimuli werden<br />

unmittelbar in der Realität in<br />

höchster Intensität dargeboten.<br />

Die Stimuli werden hierarchisch<br />

geordnet & in der Vorstellung in<br />

einem entspannten Zustand<br />

dargeboten. Einstieg mit dem<br />

am wenigsten aversiven Reiz.<br />

Implosion<br />

Schrittweise, systematische<br />

Darbietung der aversiven<br />

Situationen in der Realität.<br />

Beginn mit „schwachen“ Reizen.<br />

Flooding<br />

Lerntheorien � VT Techniken<br />

Konfrontationstherapie<br />

Spiegelexposition bei einer Essstörung<br />

„Ich möchte Sie jetzt bitten, sich selbst möglichst genau in<br />

diesem Spiegel anzuschauen. Beschreiben Sie mir bitte so<br />

objektiv und so neutral wie möglich, wie Sie aussehen. Stellen<br />

Sie sich dabei vor, ich wäre eine Malerin und möchte Sie malen,<br />

kann Sie jedoch nicht sehen. Ich brauche also eine genaue<br />

Beschreibung in allen Einzelheiten von Ihnen. Zu den einzelnen<br />

Körperbereichen stelle ich Ihnen Fragen. Fangen wir z.B. mit<br />

Ihren Augen an: Wie sehen Ihre Augen aus? Sind Ihre Augen<br />

geschminkt? Was strahlen Ihre Augen insgesamt aus? Sehen sie<br />

wach oder müde aus? Haben Sie einen offenen oder verschlossenen<br />

Blick? …“ Quelle: Hilbert & Tuschen-Caffier, 2010<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Lerntheorien � VT Techniken<br />

Konfrontationstherapie<br />

Art der<br />

Exposition<br />

in sensu<br />

(in der Vorstellung)<br />

in vivo<br />

(im „Feld“)<br />

Graduiert<br />

Systematische<br />

Desensibilisierung<br />

Graduierte in-vivo<br />

Konfrontation<br />

Lerntheorien � VT Techniken<br />

Konfrontationstherapie<br />

massiert<br />

(Reizüberflutung)<br />

Implosion<br />

Flooding<br />

Flooding-Übungen bei Agoraphobie (Beispiel)<br />

� Zugfahrt in Begleitung des Therapeuten nach Nürnberg<br />

� Bummel durch Fußgängerzone, Besuch mehrerer Kaufhäuser<br />

� Mittagessen in einem Kaufhaus<br />

� U-Bahn-Fahrten durch Nürnberg (teils ohne Therapeut)<br />

� Zugfahrt nach München (allein)<br />

� …<br />

� Die direkte Konfrontation führt zu einer umfassenden und<br />

intensiven Aktivierung der Angstreaktion & verringert<br />

Erwartungsängste und damit einhergehendes<br />

Vermeidungsverhalten.<br />

� Begünstigung eines schnelleren Behandlungserfolges!<br />

Lerntheorien � VT Techniken<br />

Konfrontationstherapie<br />

Stress- und Angstreaktion im Alltag<br />

hoch<br />

Erregung<br />

Angstschwelle<br />

Stark schwach sehr stark<br />

niedrig<br />

Belastungssituation<br />

Allgemeine Anspannung niedrig<br />

Stark schwach sehr stark<br />

Belastungssituation<br />

Allgemeine Anspannung hoch<br />

13


Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />

Lerntheorien � VT Techniken<br />

Konfrontationstherapie<br />

Der Angst-(Teufels-)Kreis<br />

Körperliche<br />

Symptome<br />

Physiologische<br />

Veränderungen<br />

„Angst“<br />

Flucht/Vermeidung<br />

Wahrnehmung<br />

Lerntheorien � VT Techniken<br />

Konfrontationstherapie<br />

Gedanken<br />

„Gefahr!!!“<br />

Angstverlauf bei Konfrontation mit Angstreizen<br />

10<br />

Angst<br />

0 Zeit<br />

Lerntheorien � VT Techniken<br />

Operante Ansätze im Rahmen komplexer Programme<br />

Essstörungsspezifische Therapiemodule (P22)<br />

Programm C (BMI 16,5 bis 18,9)<br />

� 700 g Gewichtszunahme; 100% Essen (Suppe, Nachtisch); freier<br />

Ausgang; Besuch/ Außenkontakt möglich; jedes 2. WE Übernachtung<br />

zuhause (= Belastungserprobung); Wäsche waschen frei; Teilnahme<br />

an allen Therapien; Gewichtskontrolle Mo & Do; Übernahme von<br />

Stationsdiensten<br />

Programm 0 (BMI ab 19)<br />

� Gewicht halten; „ausreichend“ Essen; freier Ausgang; Besuch/<br />

Außenkontakt möglich; jedes WE Übernachtung zuhause (=<br />

Belastungserprobung); Wäsche waschen frei; Teilnahme an allen<br />

Therapien; Gewichtskontrolle Mo (Do freiwillig); Übernahme von<br />

Stationsdiensten<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Lerntheorien � VT Techniken<br />

Konfrontationstherapie<br />

Angstverlauf bei Konfrontation mit Angstreizen<br />

10<br />

Angst<br />

Erwartung<br />

Vermeidung<br />

0 Zeit<br />

Erwartung<br />

Habituation<br />

= Abnahme in der Reaktionsstärke nach<br />

wiederholter Präsentation des Stimulus<br />

Lerntheorien � VT Techniken<br />

Operante Ansätze im Rahmen komplexer Programme<br />

Essstörungsspezifische Therapiemodule (P22)<br />

Programm A (BMI < 14)<br />

� 400 g Gewichtszunahme; 100% Essen (incl. Salat); kein (Einzel-,<br />

Gruppen-, Tages-, WE-)Ausgang; kein Außenkontakt; keine<br />

Bewegungstherapie, kein Yoga, keine Kunst- und Ausdruckstherapie,<br />

keine Kochgruppe; Wäsche waschen 1x wöchentlich;<br />

Gewichtskontrolle Mo & Do; keine Stationsdienste<br />

Programm B (BMI 14 bis 16,4)<br />

� 700 g Gewichtszunahme; 100% Essen (Suppe, Nachtisch); ½ h pro<br />

Tag Ausgang; Gruppenausgang; 1x pro Woche 4h Besuch in Klinik<br />

möglich; Wäsche waschen frei; Teilnahme an allen Therapien;<br />

Gewichtskontrolle Mo & Do; Übernahme von Stationsdiensten<br />

Lerntheorien � VT Techniken<br />

Operante Ansätze im Rahmen komplexer Programme<br />

Therapievertrag für PatientInnen, bei denen eine<br />

Gewichtszunahme angezeigt ist (P22)<br />

„Sie werden je nach Aufnahmegewicht oder Schwere der Essproblematik<br />

einem der Programme zugewiesen. Können Sie die Vereinbarungen in<br />

dieser Zeit gut einhalten (Gewichtsentwicklung, Essverhalten, Regeln<br />

einhalten, Bewegungsdrang selbständig oder mit leichter Unterstützung<br />

kontrollierbar), so steigen Sie in das nächst höhere Programm auf. …<br />

… Wenn die in den Programmen B und C vereinbarten Gewichts- und<br />

Ernährungsvorgaben nicht eingehalten werden können, werden Sie in ein<br />

niedrigeres Programm zurückgestuft.“<br />

� Operante Verfahren kommen als alleinige Therapieverfahren selten<br />

zum Einsatz, werden aber in Teilbereichen oft eingesetzt (z.B. auch<br />

bei kindlicher Verhaltensstörung, geistiger Behinderung).<br />

14


Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />

Lerntheorien � VT Techniken<br />

Stimuluskontrolle<br />

� Ein gewünschtes Verhalten gezielt fördern, indem man<br />

situative Bedingungen herstellt, unter denen nur das<br />

gewünschte Verhalten auftritt.<br />

oder<br />

� Ein unerwünschtes Verhalten reduzieren, indem die situativen<br />

Bedingungen seines Auftretens beseitigt werden<br />

Stimuluskontrolle – Bsp. Schlafstörung<br />

� Sich nur schlafen legen, wenn man müde ist.<br />

� Das Bett ausschließlich zum Schlafen benutzen (und ggf. zu<br />

sexuellen Aktivitäten).<br />

� Wenn man innerhalb von 10 Minuten nicht einschlafen kann, soll<br />

man aufstehen und in ein anderes Zimmer gehen. Rückkehr ins<br />

Schlafzimmer sollte erst dann erfolgen, wenn man sich wieder<br />

bereit fühlt, einzuschlafen. Während man auf ist, kann man lesen,<br />

fernsehen, … . Diese Aktivitäten muss man im Bett grundsätzlich<br />

vermeiden.<br />

� Wenn man nach Rückkehr ins Bett nach ca. 10 min noch nicht<br />

eingeschlafen ist, wird letztgenannte Regel wiederholt (so oft wie<br />

nötig).<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Lerntheorien � VT Techniken<br />

Stimuluskontrolle – Bsp. Gewichtsreduktion<br />

� Nahrungsvorräte nur für den nächsten Tag einkaufen<br />

� Nahrungsmittel dürfen nicht frei herumliegen<br />

� Von kleinem Teller essen<br />

� 20x kauen<br />

Lerntheorien � VT Techniken Lerntheorien – Zusammenfassung<br />

Grenzen der klassischen Konditionierung<br />

Lerntheorien – Zusammenfassung<br />

Modelllernen am Beispiel der Angst<br />

� Die Beobachtung von angstvoll reagierenden Affen (in vivo/<br />

Video) führte zur eigenen Angstreaktion.<br />

� Eine ein- bis zweimalige Beobachtung ist ausreichend.<br />

� Belege für „preparedness“-Annahme: Angsterwerb erfolgte bei<br />

Schlangen, nicht aber bei Blumen<br />

� Immunisierung: Eine vorangegangene Beobachtung nichtängstlicher<br />

Affen reduzierte das Risiko, eine Angstreaktion<br />

durch Beobachtung zu erwerben.<br />

Tierexperimentalreihe von Mineka, Cook et al (1980):<br />

Rhesusaffen und Erwerb von Angst vor Schlangen<br />

Am Beispiel der Angst<br />

� Die meisten Patienten können sich nicht an ein traumatisches<br />

(auslösendes) Ereignis erinnern.<br />

� Es muss weitere Wege geben, eine Phobie zu entwickeln!<br />

� Versuche, Phobien beim Menschen (experimentell) zu<br />

konditionieren, scheitern überwiegend.<br />

� „Preparedness“-Annahme (Seligman, 1971; Marks, 1987)<br />

Bestimmte Reiz-Reaktions-Verbindungen werden aufgrund<br />

biologischer Vorbereitung leichter gelernt.<br />

� Vorerfahrung beeinflusst die Konditionierung der Angstreaktion:<br />

„Inflationseffekt“ (frühere intensive Angstreaktion �) und<br />

„Latent inhibition“ (frühere positive Erfahrung �)<br />

Lerntheorien – Zusammenfassung<br />

Modelllernen<br />

� Änderung des eigenen Verhaltens aufgrund der Beobachtung<br />

des Verhaltens einer anderen Person (= dem Modell).<br />

� Ist am effektivsten, wenn der Beobachter anschließend das<br />

Verhalten selbst ausführt; dies ist aber keine unabdingbare<br />

Voraussetzung.<br />

� Grundlage dieses Ansatzes sind kognitive Prozesse!<br />

� Modelllernen als ein Ursprung der kognitiven Wende in der<br />

Verhaltenstherapie.<br />

15


Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />

Lerntheorien – Zusammenfassung<br />

� Elementare Lernprozesse laufen unbewusst ab und bestimmen<br />

einen Teil unseres Verhaltens und Erlebens.<br />

� Verstärkerwirkungen sind allgegenwärtig.<br />

� Viele Lernprozesse bilden zusammen Verhaltens- und<br />

Erlebensketten.<br />

� Auch beim einfachen Lernen spielen kognitive, emotionale und<br />

motivationale Prozesse eine Rolle.<br />

� Weiterentwicklung: kognitive Verhaltenstherapie<br />

Der kognitive Ansatz<br />

Der kognitive Ansatz<br />

� Berücksichtigung von „inneren", nicht-beobachtbaren<br />

Ereignissen/ kognitiven Prozessen (Gedanken, innere Bilder,<br />

Wahrnehmungen, Selbstaussagen, Einstellungen etc.)<br />

� Hauptintervention:<br />

kognitive Umstrukturierung = Veränderung dieser Prozesse<br />

� Unterschiede zur psychoanalytischen Therapie<br />

� Fokus auf das „hier und jetzt“<br />

� Therapeut liefert keine Interpretationen unbewusster Vorgänge<br />

� Unterschiede zur „reinen“ Verhaltenstherapie<br />

� Betonung innerer Vorgänge<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

3 Phasen der Verhaltenstherapie<br />

Behaviorismus<br />

Äußere Verhaltensänderung<br />

Kognitive Wende<br />

Veränderung gedanklicher Schemata<br />

Der kognitive Ansatz<br />

„Menschen werden nicht durch die Dinge an sich<br />

beunruhigt, sondern durch die Meinungen, die sie<br />

darüber haben.“<br />

Epiktet, 60 v. Chr.<br />

Kognitionen<br />

= Gedanken oder Vorstellungen, die uns nicht<br />

eindeutig bewusst sind, außer wir richten unsere<br />

Aufmerksamkeit gezielt darauf.<br />

nach Beck et al., 1986<br />

Der kognitive Ansatz<br />

Rational der kognitiven Therapie<br />

� Emotionen hängen mit bestimmten Kognitionen zusammen.<br />

� Eine Situation wird im Lichte dessen, was in der Vergangenheit<br />

schon erworben wurde, bewusst und aktiv interpretiert.<br />

� Neue Information wird in ein organisiertes Netzwerk<br />

vorhandenen Wissens (=Schema) eingepasst.<br />

� Widerspricht die neue Information dem Schema, wird dieses in<br />

dem erforderlichen Ausmaß neu organisiert.<br />

16


Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />

Der kognitive Ansatz<br />

Kognitive Verhaltenstherapie bei Depressionen<br />

Kognitive Triade der Depression nach Beck …<br />

Negative<br />

Sicht der<br />

Umwelt<br />

Negatives<br />

Selbstbild<br />

Depression<br />

Negative<br />

Zukunftsperspektive<br />

… führt zu ungünstigen<br />

Verhaltensweisen,<br />

… behindert effektive<br />

Problemlösestrategien<br />

und<br />

… stabilisiert die<br />

depressive Stimmung!<br />

Der kognitive Ansatz<br />

KVT bei Depressionen<br />

Aufbau positiver Aktivitäten<br />

� Ziel<br />

� Schaffung einer Balance zwischen angenehmen,<br />

verstärkenden Aktivitäten sowie Pflichten und aversiven<br />

Aktivitäten<br />

� Steigerung positiv erlebter Erfahrungen<br />

� Methode/ Interventionen<br />

� Bewältigung graduierter Aufgaben und Planung von<br />

Aktivitäten<br />

� Aufbau angenehmer/ Abbau aversiver Aktivitäten<br />

� Tages-/ Wochenprotokolle<br />

� Gestuftes Vorgehen bei der Umsetzung<br />

Der kognitive Ansatz<br />

KVT bei Depressionen<br />

Kognitive Umstrukturierung<br />

Beispiele für irrationale Denkmuster<br />

� Voreiliges Schlussfolgern<br />

� „Ich spüre keine Wirkung des Medikaments. Medikamente helfen mir nicht.“<br />

� Generalisieren<br />

� „Ich habe einen Korb bekommen. Ich bin einfach nicht attraktiv.“<br />

� Schwarz-Weiß-Malen/ Alles-oder-nichts-Denken<br />

� „Ich mache immer alles falsch.“<br />

� Abwehr des Positiven<br />

� „Das ist doch nichts Besonderes, das kann doch jeder.“<br />

� Emotionale Beweisführung<br />

� „Ich fühle mich minderwertig, also bin ich minderwertig.“<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Der kognitive Ansatz<br />

KVT bei Depressionen<br />

Vorgehen (nach Hautzinger, 2000)<br />

Aufbau positiver Aktivitäten<br />

Kognitive Umstrukturierung<br />

Verbesserung sozialer Fertigkeiten<br />

Der kognitive Ansatz<br />

KVT bei Depressionen<br />

Kognitive Umstrukturierung<br />

Vorgehen<br />

� Erfassung von negativen automatischen Gedanken und<br />

Überzeugungen (irrationalen Denkmustern)<br />

� Verdeutlichung des Zusammenhangs von negativen<br />

Gedanken und Gefühlen<br />

� Kognitionen als Hypothesen erfahren, nicht als Fakten<br />

� Alternative Erklärungen finden und reattribuieren<br />

(z.B. anhand von Spaltenprotokolle)<br />

� Realitätstesten, Validieren<br />

Der kognitive Ansatz<br />

KVT bei Depressionen<br />

Kognitive Umstrukturierung<br />

Beispiele für irrationale Denkmuster<br />

� Katastrophisieren<br />

� „Ich werde sicher der Erste sein, der entlassen wird.“<br />

� Über-/ Untertreibung<br />

� „Andere sind immer so gut drauf, nur ich bin ein Miesepeter.“<br />

� Dinge persönlich nehmen<br />

� „Ich vermiese den anderen nur die Stimmung. Ich bleibe besser zuhause.“<br />

� Muss-Aussagen<br />

� „Man muss mit allem alleine fertig werden.“<br />

17


Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />

Der kognitive Ansatz<br />

KVT bei Depressionen<br />

Kognitive Umstrukturierung<br />

Gedankliche Verzerrung<br />

Situation<br />

Ein potentieller<br />

Kunde am<br />

Telefon legt auf,<br />

als ich gerade<br />

das Produkt<br />

beschreibe.<br />

Gefühl<br />

0-100%<br />

ärgerlich<br />

(90)<br />

traurig<br />

(50)<br />

Automatischer<br />

Gedanke<br />

• Ich muss etwas<br />

Falsches gesagt<br />

haben.<br />

• Ich kann nichts<br />

richtig.<br />

• Ich werde nie<br />

etwas verkaufen.<br />

Gedankliche<br />

Verzerrung<br />

• Voreilige<br />

Schlussfolgerung<br />

• Schwarz-Weiß-<br />

Malen<br />

• Generalisieren<br />

Der kognitive Ansatz<br />

KVT bei Depressionen<br />

Kognitive Umstrukturierung<br />

Gefühle und negative Gedanken<br />

Auslöser<br />

Situation<br />

Ich denke an<br />

alles, was ich<br />

noch erledigen<br />

muss: Haushalt,<br />

Kinder,<br />

Arbeit, … .<br />

Gefühle<br />

1-100<br />

%<br />

hoffnungs<br />

-los,<br />

niedergeschlagen<br />

(85%)<br />

Automat.<br />

Gedanken<br />

Das schaffe<br />

ich nie.<br />

Sicher läuft<br />

wieder alles<br />

schief.<br />

Alternativgedanken<br />

Ich habe das<br />

früher auch<br />

gekonnt.<br />

Immer der<br />

Reihe nach.<br />

Ergebnis<br />

(Gefühl)<br />

Noch etwas<br />

verzweifelt<br />

und ausweglos<br />

Der kognitive Ansatz<br />

KVT bei Depressionen<br />

Soziales Kompetenztraining<br />

(30%)<br />

Soziale Kompetenz – Definition<br />

� Verfügbarkeit und Anwendung von kognitiven, emotionalen<br />

und motorischen Verhaltensweisen, die in bestimmten<br />

Situationen zu einem langfristig günstigen Verhältnis von<br />

positiven und negativen Konsequenzen für den Handelnden<br />

führen.<br />

(Hinsch & Pfingsten, 1982, 2007)<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Der kognitive Ansatz<br />

KVT bei Depressionen<br />

Kognitive Umstrukturierung<br />

3-Spalten-Technik (Beck)<br />

Situation Interpretation<br />

Mein Chef hat mich<br />

heute morgen nicht<br />

gegrüßt.<br />

Er ist bestimmt mit<br />

meiner Arbeit<br />

unzufrieden. Ich habe<br />

mal wieder versagt.<br />

Alternative<br />

Sichtweise<br />

Der Chef ist heute<br />

wieder mal schlecht<br />

gelaunt.<br />

Wahrscheinlich hat er<br />

Krach mit einem<br />

Kunden.<br />

Der kognitive Ansatz<br />

KVT bei Depressionen<br />

Soziales Kompetenztraining<br />

Selbstsicherheit/soziale Kompetenz – Begriffsbestimmung<br />

� Mit dem Begriff Selbstsicherheit ist die Fähigkeit eines<br />

Individuums gemeint, in Relation zu seiner Umgebung eigene<br />

Ansprüche zu stellen und sie auch verwirklichen zu können.<br />

� Dazu gehört also, sich zu erlauben, eigene Ansprüche zu<br />

haben, sich zu trauen, sie auch zu äußern und die Fähigkeit zu<br />

besitzen, sie auch durchzusetzen.<br />

(Ullrich & Ullrich de Muynk, 1971)<br />

Der kognitive Ansatz<br />

KVT bei Depressionen<br />

Soziales Kompetenztraining<br />

Indikation<br />

� Zusammenhang zwischen sozialen Kompetenzproblemen und<br />

psychischen Störungen:<br />

1. (Mit-)Ursache<br />

2. Folge<br />

3. Hindernis bei der Bewältigung von Symptomen od Störungsfolgen<br />

� Beispiele: Soziale Phobie, ängstlich (vermeidende)<br />

Persönlichkeitsstörung, Depression, Schizophrenie,<br />

Substanzmissbrauch, psychosomatische Störungen<br />

(Hinsch & Pfingsten, 1982, 2007)<br />

� Allgemeiner: Überdauernde Schwierigkeiten beim Bewältigen<br />

sozialer Alltagssituationen, die das Berufs-/ Privatleben des<br />

Klienten/ Patienten beeinträchtigen.<br />

18


Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />

Der kognitive Ansatz<br />

KVT bei Depressionen<br />

Soziales Kompetenztraining<br />

GSK = Gruppentraining sozialer Kompetenzen<br />

Einführungsveranstaltung + 7 Sitzungen:<br />

� Instruktion und Modellverhalten (zu Zielverhalten und<br />

Vorgehensweisen)<br />

� Rollenspiel (Verhaltensübung, Reizkonfrontation)<br />

� Rückmeldung, Verstärkung, Video-Feedback<br />

� Transfertechniken und in-vivo-Konfrontation<br />

� Techniken der kognitiven Verhaltensmodifikation<br />

� Entspannungstechniken<br />

Der kognitive Ansatz<br />

Störungsspezifische kognitive Therapie<br />

� Depression<br />

� Panikstörung<br />

� Soziale Phobie<br />

� Generalisierte Angststörung<br />

� Somatoforme Störungen<br />

� Sucht<br />

� Persönlichkeitsstörungen<br />

Weitere Ansätze<br />

- Beispiel Achtsamkeit<br />

Hinsch & Pfingsten (1982, 2007)<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Der kognitive Ansatz<br />

KVT bei Depressionen Soziales Kompetenztraining<br />

Erweiterung des verhaltenstherapeutischen<br />

Paradigmas<br />

Behaviorismus<br />

Äußere Verhaltensänderung<br />

Kognitive Wende<br />

Veränderung gedanklicher Schemata<br />

Emotionale Wende<br />

Einfluss von Emotionen,<br />

sprachunabhängigen Phänomenen,<br />

Spiritualität, Achtsamkeit, Akzeptanz<br />

Weitere Ansätze<br />

Beispiel Achtsamkeit<br />

Achtsamkeit<br />

� = wesentliches Element von Meditation; allerdings nicht<br />

an einen bestimmten (kulturellen/ spirituellen) Kontext<br />

gebunden<br />

� bedeutet auf eine bestimmte Art aufmerksam zu sein<br />

Aufmerksam<br />

im jetzigen Moment<br />

und ohne vorschnell zu bewer<br />

19


Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />

Weitere Ansätze<br />

Beispiel Achtsamkeit<br />

Achtsamkeitsbasierte Ansätze<br />

� MBSR – Mindfulness Based Stress Reduction (Kabat-<br />

Zinn, 1990) = Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion<br />

� MBCT – Mindfulness Based cognitive therapy (Segal et<br />

al., 2002) = Achtsamkeitsbasierte kognitive<br />

Rückfallprophylaxe bei Depressionen<br />

Weitere Ansätze<br />

Beispiel Achtsamkeit<br />

Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR)<br />

Innere Haltung<br />

� Nicht bewerten<br />

� Geduld<br />

� Den Geist des Anfängers bewahren<br />

� Vertrauen<br />

� Nicht greifen<br />

� Akzeptanz<br />

� Loslassen<br />

Weitere Ansätze<br />

Beispiel Achtsamkeit<br />

Achtsamkeitsbasierte<br />

Stressreduktion<br />

(MBSR)<br />

Praktische Umsetzung<br />

in der<br />

Psychosomatischen<br />

Tagesklinik<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Weitere Ansätze<br />

Beispiel Achtsamkeit<br />

Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR)<br />

� (Infoveranstaltung oder Vorgespräch)<br />

� 8 Wochen à 2,5 Stunden<br />

� Achtsamkeitstag nach 6. Termin<br />

� Arbeitsheft<br />

� 3 CDs<br />

� Hausaufgaben<br />

� Tägliche Übungszeit ca. 45min<br />

� (Nachgespräch und ggf. Auffrischungstage)<br />

Weitere Ansätze<br />

Beispiel Achtsamkeit<br />

Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR)<br />

Formale Achtsamkeitsübungen stehen im Mittelpunkt<br />

� Body scan<br />

� Sitzmeditation<br />

� Sanfte Körperübungen aus dem Yoga<br />

� Achtsamkeit im Gehen /beim Sehen<br />

� Achtsamkeit bei Alltagstätigkeiten<br />

Verhaltenstherapeutisches<br />

Vorgehen<br />

20


Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />

Verhaltenstherapie-Prozess<br />

Orientierungs- & Planungsphase<br />

� Therapeutische Beziehung<br />

� Vorliegende Störung (Diagnose/ Problemanalyse)<br />

� Ziel- & Behandlungsplanung<br />

Interventionsphase<br />

� Zielführende Interventionen (Methoden- &<br />

Beziehungsgestaltung)<br />

� Ergebnis- und Prozessevaluation<br />

� Aktivierung des Patienten zur Problemlösung<br />

Integrationsphase<br />

� Überführung der Kompetenzen ins<br />

Selbstmanagement des Patienten<br />

� Rückfallprophylaxe<br />

� Expliziter Transfer<br />

Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />

Therapiephasen<br />

7-Phasen-Modell (nach Kanfer)<br />

5. Planung, Auswahl und Durchführung spezieller<br />

Methoden<br />

6. Evaluation therapeutischer Fortschritte<br />

7. Endphase: Erfolgsoptimierung und Abschluss der<br />

Therapie<br />

Follow-up/Katamnese<br />

Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />

Therapiephasen – zu 2: Änderungsmotivation<br />

Extrinsische – intrinsische Motivation<br />

Der Mensch ist immer motiviert, die Frage ist nur wozu.<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />

Therapiephasen<br />

7-Phasen-Modell (nach Kanfer)<br />

1. Eingangsphase: Schaffung günstiger<br />

Ausgangsbedingungen<br />

2. Aufbau von Änderungsmotivation und vorläufige<br />

Auswahl von Änderungsbereichen<br />

3. Verhaltensanalyse und funktionales Bedingungsmodell<br />

4. Vereinbaren therapeutischer Ziele<br />

Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />

Therapiephasen – zu 1: Eingangsphase<br />

� Bildung einer kooperativen Therapeut-Klient-Beziehung<br />

� Rollenstrukturierung: Therapeut als professioneller Helfer<br />

– aktive Mitarbeit & Verantwortungsübernahme durch<br />

den Patienten<br />

� Beginn der problembezogenen Informationssammlung<br />

� Günstige Gestaltung der äußeren Therapiesituation<br />

Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />

Therapiephasen – zu 2: Änderungsmotivation<br />

Motivierende Gesprächsführung (z.B. nach Miller & Rollnick, 2005)<br />

� Unterstützung der Patienten durch eine wertschätzende<br />

Haltung, aktives Zuhören und offene Fragen.<br />

� Unterstützung beim Erkunden von Widersprüchen und<br />

Ambivalenzen, aber auch von Ressourcen.<br />

� Häufig: Thematisierung von Vor- und Nachteilen der<br />

gewünschten Verhaltensänderung.<br />

21


Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />

Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />

Therapiephasen – zu 2: Änderungsmotivation<br />

Vor- und Nachteile einer Veränderung am Bsp. der<br />

Gewichtszunahme bei Anorexie<br />

Vorteile<br />

Nachteile<br />

� Ich brauche mich nicht mehr � Ich nehme zu!<br />

zu verstellen.<br />

� Ich bin nicht mehr<br />

� Ich habe mehr Zeit für<br />

bemitleidenswert.<br />

andere Dinge.<br />

� Ich kann nicht so stolz auf<br />

� Ich kann mich besser<br />

mich und meine Figur sein.<br />

konzentrieren.<br />

� Ich muss mich dann mit<br />

� Mir ist nicht mehr ständig anderen Problemen<br />

kalt.<br />

auseinandersetzen.<br />

� Ich mag mich selbst mehr.<br />

Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />

Therapiephasen – zu 3: Verhaltensanalyse/Bedingungsmodell<br />

� Unter welchen Bedingungen wurde das Verhalten erworben,<br />

und welche Faktoren halten es momentan aufrecht?<br />

� Präzise Beschreibung des Problems<br />

� Erhebung situationaler Bedingungen des Verhaltens<br />

� Erfassung von Einstellungen, Regeln und Normen bezüglich des<br />

Problemverhaltens<br />

� Bisheriger Umgang mit dem Problem und dem Grad der<br />

Beeinträchtigung<br />

� Verhalten der Umgebung bezüglich des Problemverhaltens<br />

� Genese und Entwicklung des Problems<br />

� Erstellung eines hypothetischen Bedingungsmodells für das Modell<br />

Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />

Therapiephasen – zu 3: Verhaltensanalyse/ Bedingungsmodell<br />

Mikroanalyse<br />

S<br />

Auslösende<br />

Situation<br />

-Externe Reize<br />

z.B. situative<br />

Außenbedingungen<br />

- Interne Reize<br />

z.B. körperliche<br />

Wahrnehmung,<br />

Gedanken<br />

O<br />

Organismusvariable<br />

Stabile<br />

biologische &<br />

psychische<br />

Merkmale<br />

der Person<br />

R<br />

Reaktion<br />

= Problemverhalten<br />

- Emotionale Ebene<br />

- Körperliche Ebene<br />

-Kognitive Ebene<br />

- Verhaltensebene<br />

K<br />

Konsequenzen<br />

Kurz-, mittel-, langfristig<br />

� wodurch<br />

wird die Auftretenswahrscheinlichkeit<br />

des<br />

Symptoms verstärkt?<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />

Therapiephasen – zu 2: Änderungsmotivation<br />

Vor- und Nachteile einer Veränderung am Bsp. der<br />

Normalisierung eines pathologischen Kaufverhaltens<br />

Vorteile<br />

� Das Geld reicht nicht,<br />

obwohl ich gut verdiene.<br />

� Es droht eine Anzeige wegen<br />

Betrugs.<br />

� Ich lüge die anderen an<br />

wegen der Einkäufe.<br />

� Mein Mann und ich streiten<br />

ständig wegen des<br />

fehlenden Geldes.<br />

Nachteile<br />

� Jetzt fühle ich mich frei.<br />

Dieses Freiheitsgefühl<br />

werde ich verlieren.<br />

� Wie soll ich mir denn sonst<br />

etwas Gutes tun?<br />

� Wenn ich nicht mehr<br />

shoppen gehe, wird mir<br />

langweilig sein.<br />

� Die Verkäuferin wird nicht<br />

mehr so nett zu mir sein.<br />

Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />

Therapiephasen – zu 3: Verhaltensanalyse/ Bedingungsmodell<br />

Bestandteile einer Verhaltensanalyse<br />

� Mikroanalyse<br />

� aktuelle Bedingungsanalyse des Problems<br />

� Makroanalyse<br />

� Wie ist das Problem entstanden?<br />

� Funktionsanalyse<br />

� Welche Funktion erfüllt das Symptom?<br />

� Was bewirkt das Symptom?<br />

� Bedeutung des Symptoms im Systemkontext<br />

� Analyse der Verhaltensaktiva und Ressourcen<br />

Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />

Therapiephasen – zu 3: Verhaltensanalyse/ Bedingungsmodell<br />

Mikroanalyse – Pat. mit Bulimie<br />

S = auslösende Situation<br />

Extern: Die Pat. befindet sich nach einem Streit alleine zuhause.<br />

Intern: Gefühl von Leere und innerer Anspannung, Selbstvorwürfe.<br />

O = Organismusvariable<br />

Dysfunktionale Grundannahmen („Ich bin nichts wert.“, „Ich muss es<br />

anderen immer Recht machen.“)<br />

Emotionsregulation: Schwierigkeiten im Umgang mit Ärger<br />

22


Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />

Beispiel – Essprotokoll<br />

Beispiel – Kaufprotokoll<br />

Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />

Therapiephasen – zu 3: Verhaltensanalyse/ Bedingungsmodell<br />

Mikroanalyse – Pat. mit Bulimie<br />

R = Reaktion<br />

Kognition: „Ich bin hässlich.“; „Ich mache nichts richtig.“<br />

Emotion: Niedergeschlagenheit, Wut, Unsicherheit<br />

Physiologie: Anspannung, Übelkeit<br />

Motorik/Verhalten: Pat. erbricht infolge eines Essanfalls; zieht sich<br />

danach zurück in ihr Zimmer.<br />

K = Konsequenz<br />

Kurzfristig: C- Spannungsreduktion durch Erbrechen, C- Entlastung<br />

durch Rückzug<br />

Langfristig: C+ Reduktion sozialer Aktivitäten, C- Verschlechterung des<br />

Selbstbildes, C- depressive Symptome<br />

Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />

Therapiephasen – zu 3: Verhaltensanalyse/ Bedingungsmodell<br />

Datum/<br />

Uhrzeit/<br />

Ort<br />

6:30 Küche<br />

9:45 Schule<br />

10:00-16:20<br />

Schule<br />

17:10 Bahnhof<br />

17:40 Zimmer<br />

Situation/Anlass<br />

(vorangehende<br />

Gedanken/ Gefühle und<br />

Empfindungen)<br />

Frühstück<br />

---<br />

---<br />

Eine Freundin hat mir<br />

ein Stück angeboten.<br />

Ich konnte nicht nein<br />

sagen<br />

H/E/BH/BE<br />

/GE/R/Lax<br />

/S/Sü/Diu<br />

(Was trifft für<br />

Sie zu?)<br />

---<br />

---<br />

---<br />

---<br />

H/E<br />

Nahrung/Getränke<br />

(Was wurde gegessen/<br />

getrunken?)<br />

1 Tasse Tee<br />

½ l Buttermilch<br />

1 l Mineralwasser<br />

1 Stück<br />

Mannerschnitte<br />

1 Mars, 1 Tafel<br />

Schokolade, 2 Stk<br />

Milchrahmstrudel, 1<br />

Käsekornweckerl, 2<br />

Bounties, 4 Topfenbissen,<br />

500 g Landliebejoghurt,<br />

200g<br />

Marzipan, 100g<br />

Nougat, ½ l Milch,<br />

viel Wasser<br />

Konsequenzen<br />

(nachfolgende<br />

Gedanken/Gefühle und<br />

Empfindungen)<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

---<br />

---<br />

---<br />

Das eine Stück hat mich<br />

ganz nervös gemacht<br />

Mist, es ist einfach über<br />

mich gekommen. Ich<br />

habe mich nicht mehr<br />

unter Kontrolle gehabt<br />

nach dem einen Stück<br />

Schnitte. Bin jetzt total<br />

fertig und müde, aber<br />

ich glaube, ich habe das<br />

meiste wieder erbrochen<br />

Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />

Therapiephasen – zu 3: Verhaltensanalyse/ Bedingungsmodell<br />

Datum<br />

Uhrzeit<br />

Ware/n<br />

(einschl. TV und<br />

online-shopping)<br />

€ Gedanken Gefühle<br />

05.12. 16:00 Schuhe für Sohn 100,- Ganz schön teuer für<br />

Kinderschuhe, aber er braucht sie.<br />

08.12. 15:00 Kosmetik und ein<br />

Brotkasten<br />

100,- Die Kosmetik ist nötig. Der<br />

Brotkasten hat mir schon seit<br />

langem gefallen und war<br />

supergünstig.<br />

09.12. 18:00 2 Schlafanzüge 90,- Schnäppchen. Wollte ich schon<br />

lange haben. Brauche ich.<br />

10.12. 16:00 4 Paar Schuhe 250,- Wollte ich schon lange haben. Sind<br />

sehr schick und preisgünstig, da<br />

kann ich 4 Paar kaufen.<br />

11.12. 14:00 2 Jeans für mich<br />

2 Jeans für Tochter<br />

1 Mantel für mich<br />

1 Parfüm<br />

170,-<br />

160,-<br />

700,-<br />

50,-<br />

Kann mich nicht entscheiden,<br />

welche Jeans ich nehmen soll. Der<br />

Mantel ist so schön. Ich liebe<br />

diesen Duft.<br />

12.12. 22:00 Jacke (online) 440,- Muss ich haben! Kann ich mir<br />

eigentlich nicht leisten.<br />

Gutes Gefühl, bin stolz.<br />

?<br />

Freude<br />

Zuerst schönes Gefühl,<br />

dann mulmig, genervt.<br />

Bin aufgeregt, ein<br />

bisschen hektisch,<br />

freue mich, bin aber<br />

auch ängstlich, wenn<br />

ich an meine Schulden<br />

denke.<br />

Freude, später total<br />

schlechtes Gewissen<br />

Beispiel – Essprotokoll<br />

Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />

Therapiephasen – zu 3: Verhaltensanalyse/ Bedingungsmodell<br />

Selbstbeobachtungsprotokolle<br />

Ziel/Funktion:<br />

� Verhalten, Gefühle und Gedanken werden bewusster und<br />

sichtbarer<br />

� Dem Symptom wird sein automatischer Charakter genommen<br />

� = Grundlage für das funktionale Bedingungsmodell und liefert<br />

Anhaltspunkte für therapeutische Interventionen<br />

� Förderung der aktiven Mitarbeit und Übernahme von<br />

Selbstverantwortung<br />

� Distanzierung vom Symptom: Methode der Selbstkontrolle<br />

� Erfolgskontrolle und Strukturaufbau<br />

Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />

Therapiephasen – zu 3: Verhaltensanalyse/ Bedingungsmodell<br />

Datum/<br />

Uhrzeit/<br />

Ort<br />

6:45 Küche<br />

8:00 Schule<br />

10:40 Schule<br />

11:00 Schule<br />

14:50 Kantine<br />

19:00 daheim<br />

19:15 Esszimmer<br />

Situation/Anlass<br />

(vorangehende<br />

Gedanken/ Gefühle und<br />

Empfindungen)<br />

Frühstück<br />

---<br />

---<br />

---<br />

Mittagessen<br />

---<br />

---<br />

H/E/BH/BE<br />

/GE/R/Lax<br />

/S/Sü/Diu<br />

(Was trifft für<br />

Sie zu?)<br />

---<br />

---<br />

---<br />

---<br />

---<br />

---<br />

---<br />

Nahrung/Getränke<br />

(Was wurde gegessen/<br />

getrunken?)<br />

Konsequenzen<br />

(nachfolgende<br />

Gedanken/Gefühle und<br />

Empfindungen)<br />

1 Tasse Tee<br />

---<br />

1 Käsecroissant ---<br />

½ l Buttermilch ---<br />

1 Apfel<br />

---<br />

2 Gemüselaibchen --mit<br />

1 Kartoffel und<br />

Salat, ½ l Mineralwasser<br />

½ l Mineralwasser ---<br />

200 g Jogurt, 2 kleine Ich bin mit dem, was ich<br />

Äpfel<br />

heute gegessen habe<br />

zufrieden und bin fast<br />

ein wenig stolz auf<br />

mich, weil ich nicht<br />

bereue was ich<br />

gegessen habe.<br />

Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />

Therapiephasen – zu 3: Verhaltensanalyse/ Bedingungsmodell<br />

Makroanalyse<br />

� Lebensgeschichtliche Entwicklung/ Krankheitsanamnese<br />

� Ableitung eines hypothetischen Bedingungsmodell<br />

� Bsp. – Pat. mit Bulimie:<br />

� Elterliches Modell ohne konstruktive Auseinandersetzungen und mit<br />

�<br />

stetiger Vermeidung von Gefühls- und Bedürfnisäußerungen � Pat. hat<br />

keine Problemlösestrategien in Konfliktsituationen kennen gelernt und ist<br />

für ihre Denk- & Verhaltensmuster (z.B. „Ich muss es anderen immer<br />

recht machen, um gemocht zu werden.“) stets positiv verstärkt worden.<br />

Der Fokus auf Figur und Gewicht in Familie und Sport (Leistungsturnen)<br />

führten zu einem nicht erreichbaren Schlankheitsideal.<br />

� …<br />

23


Beispiele für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren<br />

Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />

Therapiephasen – zu 4: Vereinbarung von Zielen<br />

Genaue Beschreibung des SOLL-Zustandes:<br />

Ziel- und Wertklärung<br />

Rucksackmetapher<br />

Gute Fee<br />

3-Jahres-Frage in die Zukunft<br />

Lottogewinn<br />

u. a.<br />

Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />

Therapiephasen – zu 4: Vereinbarung von Zielen<br />

Fallbeispiel Pat. mit sozialer Phobie<br />

Die Pat. selbst strebt einen besseren Umgang mit<br />

ihrer Angst und Unsicherheit an und will ihr<br />

Vertrauen in sich selbst und andere stärken.<br />

Folgende Therapieziele wurden abgeleitet:<br />

1. Aufbau von Psychogeneseverständnis<br />

2. Abbau des Vermeidungsverhaltens und Stärkung der<br />

Selbstmanagementfähigkeit<br />

3. Aufbau einer realistischeren und positiveren Selbstwahrnehmung<br />

und Modifikation dysfunktionaler Gedanken und Schemata<br />

4. Rückfallprophylaxe<br />

Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />

Therapiephasen – zu 5: Methodeneinsatz<br />

Fallbeispiel Pat. mit sozialer Phobie<br />

� Identifikation relevanter sozialphobischer bzw. dysfunktionaler<br />

Gedanken und Infragestellen dieser Gedanken mit Hilfe von<br />

Disputationsstrategien, Sokratischem Dialog und<br />

Verhaltensexperimenten<br />

� Erarbeitung situationsangemessener hilfreicher Gedanken und<br />

Stabilisierung der günstigen Selbstverbalisationen (Üben in der<br />

Vorstellung und in der Realität)<br />

� Rekapitulation des Erreichten bzw. der positiven Veränderungen<br />

� Erarbeitung von Risikosituationen und Zusammenfassung der<br />

hilfreichsten Maßnahmen<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />

Therapiephasen – zu 4: Vereinbarung von Zielen<br />

Ungenaue Zielformulierung<br />

� Essen Sie lieber Obst statt Süßigkeiten<br />

� Sehr unkonkret, gibt es Lieblingsobstsorten?<br />

� Halten Sie Ihr Bein während des Tages meistens hoch<br />

� Was heißt „hoch“ und „meistens“?<br />

� Nehmen Sie häufig Bäder<br />

� Heißt dies ein- oder viermal am Tag?<br />

� Nehmen Sie diese Tabletten nur, wenn Sie die Schmerzen<br />

nicht mehr aushalten können<br />

� Was heißt nicht aushalten können? Wie lange soll der Patient warten?<br />

Wenn er die Tablette nimmt, ist er dann eine schwache Person?<br />

Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />

Therapiephasen – zu 5: Methodeneinsatz<br />

Fallbeispiel Pat. mit sozialer Phobie<br />

� Informationsvermittlung und Erarbeitung eines individuellen<br />

Erklärungsmodells zur Entstehung und Aufrechterhaltung der<br />

Symptomatik<br />

� Durchführung erster Verhaltensexperimente zur Vertiefung des<br />

Symptomverständnisses, zum Abbau von Vermeidungsverhalten und<br />

zum Aufbau von Selbstwirksamkeitserfahrungen<br />

� Tagesstrukturierung und Aktivitätsaufbau, Förderung von<br />

Entspannung (z.B. durch Progressive Muskelrelaxation)<br />

� Ziel- und Teilzielformulierung; bewusstes Erleben kleiner Erfolge und<br />

Verhaltensänderungen; Selbstverstärkung durch positive<br />

Selbstverbalisation<br />

Verhaltenstherapeutisches Vorgehen<br />

Therapiephasen – zu 6/7: Evaluation/Abschluss & Optimierung<br />

Evaluation<br />

� Einschätzung der Zielerreichung durch Patienten selbst<br />

� Einsatz von Testverfahren (prä & post)<br />

� Erfolg in Selbstbeobachtungsprotokollen ersichtlich?<br />

Abschluss & Optimierung<br />

� Reflexion des Therapieverlaufs hinsichtlich des Nutzens und<br />

der Fortschritte � Stabilisierung der Erfolge + Vorbereitung<br />

auf Risikosituationen<br />

� Katamnese-/ Booster-Sitzungen � Überprüfung des<br />

Therapieerfolges/ konzentrierte Wiederholung von<br />

Therapieinhalten<br />

24


Somatoforme Störungen<br />

Somatoforme Störungen<br />

Dr. phil. Holmer Graap<br />

Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung<br />

Körperliche Beschwerden im 3-Jahresverlauf<br />

3-Jahres-Inzidenz<br />

12<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

Brustschmerz<br />

Erschöpfung<br />

Schwindel<br />

Kopfschmerz<br />

Ödem<br />

Rückenschmerz<br />

Atemnot<br />

Schlafstörung<br />

Bauchschmerz<br />

Kroenke & Mangelsdorff, American Journal of Medicine, 1988<br />

insgesamt<br />

organisch<br />

Somatoforme Störungen nach ICD-10<br />

Multiple Beschwerden<br />

(auch in der Anamnese)<br />

Somatisierungsstörung<br />

Undifferenzierte<br />

Somatisierungsstörung<br />

Somatoforme Autonome<br />

Funktionsstörung<br />

5<br />

Körperliche Beschwerden ohne<br />

organische Grunderkrankung<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

Umschriebene<br />

körperliche Symptomatik<br />

Schmerzstörung<br />

Sonstige Somatoforme<br />

Störung<br />

Günstige Bedingungen:<br />

- organ. Ursache<br />

-Dauer < 4 Monate<br />

- wenig Symptome (


Somatoforme Störungen<br />

Ältere Bezeichnungen, die auf eine<br />

somatoforme Störungen hinweisen…<br />

� Funktionelle Beschwerden<br />

� Psychovegetatives Syndrom<br />

� Psychovegetative Labilität<br />

� Psychosomatischer Beschwerdekomplex<br />

� Globus hystericus<br />

� Somatisierte oder larvierte Depression<br />

� Vegetative Dystonie<br />

� Nervöses Erschöpfungssyndrom<br />

� Chronisches Magen-Darm-Syndrom<br />

Häufig im somatischen Kontext vergeben<br />

7 © <strong>2012</strong> H. Graap<br />

8<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

Somatoforme Störungen<br />

>= 2 Jahre<br />

6 von 14 Symptomen<br />

aus >= 2 Bereichen<br />

Weigerung, die<br />

nichtorganische<br />

Genese zu<br />

akzeptieren.<br />

Beeinträchtigung<br />

familiärer und sozialer<br />

Funktionen<br />

Somatisierungsstörung<br />

Somatoforme Autonome Funktionsstörung<br />

Gastrointestinale Symptome<br />

Kardiovaskuläre Symptome<br />

Respiratorische Symptome<br />

Urogenitale Symptome<br />

Haut-, Schmerz- und<br />

neurologische Symptome<br />

>= 3 vegetative<br />

Symptome<br />

Deutung als<br />

Krankheit und<br />

Zuordnung zu<br />

einem<br />

Organsystem<br />

durch Patient<br />

Ausschluss<br />

organischer<br />

Erkrankungen<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Somatisierungsstörung (ICD-10 F45.0)<br />

A Mindestens seit 2 J. Klagen über multiple Beschwerden, die nicht<br />

(ausreichend) auf organische Ursachen rückführbar sind.<br />

B Symptome führen zu andauerndem Leiden sowie mehrfachen<br />

Arzt-Konsultationen oder Zusatzuntersuchungen.<br />

C Medizinische Feststellung, dass Symptome keine ausreichende<br />

körperliche Ursache haben, wird nicht (anhaltend) akzeptiert.<br />

D Mindestens 6 Symptome aus mind. 2 Gruppen.<br />

E Nicht ausschließlich während Schizophrenie,<br />

affektiver Störung oder Panikstörung.<br />

9 © <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

10<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

Klinische Differentialdiagnose somatoformer<br />

Störungen (nach Henningsen & Rudolf, 1998)<br />

1. Schritt<br />

Abgrenzung von primär<br />

körperlichen Störungen<br />

2. Schritt<br />

Abgrenzung von anderen<br />

psychischen Störungen<br />

3. Schritt<br />

Differenzierung der<br />

somatoformen Störungen<br />

11<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

• Primär körperliche Erkrankung<br />

• Primär körperliche Erkrankung mit<br />

psychosomatischen Faktoren (F54)<br />

• Depressive Störungen<br />

• Angststörungen<br />

• Psychotische Störungen<br />

• Artifizielle Störungen<br />

• Somatisierungsstörung<br />

• Undifferenzierte somatoforme Störung<br />

• Somatoforme autonome Funktionsstörung<br />

• Hypochondrie, Körperdysmorphe Störung<br />

• Somatoforme Schmerzstörung<br />

• Konversionsstörung<br />

• Neurasthenie<br />

Hypochondrische Störung (ICD-10 F45.2)<br />

1. Anhaltende Überzeugung/Angst an wenigstens einer<br />

ernsthaften körperlichen Krankheit zu leiden/zu erkranken<br />

� über mindestens 6 Monate<br />

� Befürchtete Krankheit wird als Ursache für vorhandene Symptome<br />

betrachtet<br />

2. Hartnäckige Weigerung, die medizinische Feststellung zu<br />

akzeptieren, dass keine ausreichende körperliche Ursache<br />

vorliegt (Akzeptanz höchstens kurzfristig).<br />

3. Die Überzeugung bzw. Symptome verursachen Leiden,<br />

Störung des alltäglichen Lebens und veranlasst die<br />

Betroffenen, medizinische Behandlung aufzusuchen.<br />

Differenzialdiagnose<br />

Abgrenzung von anderen Störungen<br />

Depression<br />

Angststörung<br />

Psychose<br />

12<br />

Affektive Symptome,<br />

antriebslos, suizidal<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

klagsam,<br />

passive Haltung,<br />

resigniert,<br />

demoralisiert<br />

Angstgefühle, Angst-<br />

Körperliche Symptome,<br />

attacken, soziale Ängste,<br />

Angst, mit dem Körper<br />

ängstliche Anspannung,<br />

stimme etwas nicht<br />

situationsspezifische Ängste<br />

Wahnideen, Hallunzinationen,<br />

Denkstörungen, extrem<br />

verflachter o. inadäquater<br />

Affekt<br />

beunruhigende Körpersensationen,<br />

Todesängste<br />

SFS<br />

SFS<br />

SFS<br />

26


Somatoforme Störungen<br />

Differentialdiagnose Artifizielle Störung<br />

� F 68.1: artifizielle Störung (absichtliches Vortäuschen<br />

oder Erzeugen von körperl. o. psych. Symptomen oder<br />

Behinderungen)<br />

� Synonym: Münchhausen-Syndrom<br />

� Fehlen einer gesicherten körperlichen oder anderen psychischen<br />

Störung<br />

� Verletzungen, Injektionen<br />

� Viele Untersuchungen oder Operationen<br />

� Motivation häufig unklar, häufig schwer traumatisierte Pat.<br />

� Störung der Beziehung zum eigenen Körper, im Umgang mit<br />

Krankenrolle<br />

� DD: Simulation: äußere Gründe oder offensichtliche<br />

Belastungssituationen (Rente, Bundeswehr o.ä.)<br />

Epidemiologie II<br />

� Prävalenz in der Spezialversorgung (Reid et al., 2001)<br />

� Dermatologie: 1 von 62 (Reid et al., 2001)<br />

38% (Stangier et al., 1996)<br />

� Neurologie: 20 von 40 (Reid et al., 2001)<br />

35%* (Fink et al., 2004)<br />

� Gastroenterologie: 32 von 59 (Reid et al., 2001)<br />

� *Neurologie:<br />

� 42% der Patienten richtig diagnostiziert<br />

� 1,5% davon an Psychiater oder Psychologen verwiesen<br />

� Komorbid häufig Depression, Angst und PS<br />

� Depression: ca. 50% (Leiknes et al., 2008)<br />

� Angststörung: 20-50%<br />

� Persönlichkeitsstör.: bis zu 60% (SS), v.a. selbstunsicher<br />

Folgen intensiver Krankheitsängste<br />

� Hypochondrie (Vollbild) ist zwar in der Allgemeinbevölkerung<br />

selten, jedoch:<br />

� Intensive, anhaltende Krankheitsängste sind häufig<br />

� In der Allgemeinbevölkerung 2 – 6%<br />

� In medizinischen Versorgungseinrichtungen noch häufiger<br />

� Häufung auch bei chronischem Schmerz<br />

� Bereits unterschwellige Ausprägungen der Hypochondrie/<br />

anhaltende Krankheitsängste sind klinisch relevant<br />

� Erhebliche Beeinträchtigungen<br />

� Erhöhtes Inanspruchnahmeverhalten<br />

� Beeinflusst Prognose<br />

17<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Epidemiologie somatoformer Störungen<br />

� Prävalenz in Allgemeinbevölkerung<br />

� Alle somatoformen Störungen:<br />

7,5% (Punktprävalenz);<br />

12,9% (Lebenszeitprävalenz)<br />

� Somatisierungsstörung: 6-fache,<br />

� für ambulante Behandlung > 14-fache Kosten<br />

(Smith et al., 1986)<br />

� Ausgeprägte Tendenz zur Chronifizierung<br />

� Mittlere Erkrankungsdauer z.B. über 20 Jahre (Nanke & Rief,<br />

2000) und 30 Jahre (Smith et al., 1986)<br />

� Chronifizierung der Beschwerden geht einher mit Risiko<br />

iatrogener Schäden und Beeinträchtigungen (LQ, AU)<br />

16<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

Ätiologie: Prädisposition und<br />

Aufrechterhaltung<br />

27


Somatoforme Störungen<br />

Historische Konzepte der Hysterie<br />

� Altertum: Ausdruck eines Gebärmutterleidens<br />

19<br />

� Eine im Körper umher wandernde Gebärmutter (Hippokrates)<br />

� Verbindung zu sexuellen Konflikten, Abstinenz, Kinderlosigkeit<br />

� Mittelalter: Ausdruck von Besessenheit (Hexen/ von bösen<br />

Geistern heim gesucht)<br />

� Neuzeit (17Jh.): Ausdruck einer neurologischen Störung<br />

(Nervenleiden)<br />

� Psychoanalyse (Ende 19Jh.): Ausdruck einer Konversion<br />

� Fall: Anna O. (1894)<br />

� Umsetzung eines Affektbetrages in motorische Innervation bei<br />

gleichzeitiger Verdrängung der konflikthaften Vorstellungsinhalte<br />

� Paul Briquet („Briquet-Syndrom): deskriptive Beschreibung von<br />

Symptomen => Vorläufer somatoforme Störungen DSM-IV<br />

� 20 Jh. Charcot: Konversionssyndrom; P. Janet: dissoziat. Stör.<br />

…<br />

� Attributionen<br />

� Sorgenneigung<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

� Gedächtnisprozesse<br />

� Erwartungseffekte<br />

� Subjektive Krankheitstheorien<br />

� …<br />

� …<br />

Aufrechterhaltung 1: Biologische Merkmale<br />

� Beteiligung physiologischer Prozesse bei somatoformen<br />

Beschwerden naheliegend, jedoch Nachweis bisher<br />

unzureichend und Spezifität für bestimmte Störungsbilder<br />

unklar<br />

� Erhöhte psychophysiologische Erregung<br />

Herzrate (Rief et al., 1998)<br />

Atmungsmuster (Han et al., 1998)<br />

Muskelanspannung (Flor et al., 1985;1991)<br />

� Psychoneuroendokrinologische und<br />

-immunologische Auffälligkeiten<br />

� z.B. veränderter Kortisolspiegel (Rief et al. 1998)<br />

23<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

Aktuelle Modelle<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

� Klassisches psychodynamisches Modell<br />

� (unverarbeitete intrapsychische Affektspannungen aufgrund eines<br />

dahinterliegenden unbewussten Konfliktes)<br />

� „Verdienst“: Zugang zu psychotherapeutischen Behandlungsstrategien<br />

� Nachteil: teils unbestätigt, erschwert Arzt-Pat.-Beziehung<br />

(Invalidierung)<br />

� Interpersonelles Modell (Henningsen, 1998)<br />

� Körperbeziehungsstörung aufgrund maladaptiver Erfahrungen in früher<br />

Entwicklung/Bindungsstörung (Vernachlässigung, Krankheit etc) =><br />

Differenzierung körperlich-emotional gestört, fehlende<br />

Selbstberuhigung, fehlendes/inadäquates Hilfesuchverhalten etc.<br />

Diskrepanz subjektive Erklärung – „gesund“ aus Sicht der Mediziner<br />

=> nicht ernst genommen => Verdeutlichungstendenz<br />

� Somatosensorische Verstärkung (siehe unten)<br />

Ätiologie: Risikobedingungen<br />

22<br />

Neurobiologie<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

� fMRT-Studien: Trauer und sozialer Ausschluss<br />

aktivieren ähnliche/identische Hirnareale, die bei<br />

Schmerz aktiv sind (Insula, ACC, Amygdala etc.)<br />

=> „sozialer Schmerz“ (Eisenberger et al., 2003; Stoeter et al., 2007;<br />

Gündel et al., 2003; O‘Connor et al., 2007)<br />

� Vernachlässigung/sexueller Missbrauch o.ä. =><br />

Veränderung der Emotionsregulation auf<br />

zentralnervöser Ebene => erhöhte Stress- und<br />

Schmerzvulnerabilität (Anda et al., 2006; Sack et al., 2007)<br />

28


Somatoforme Störungen<br />

25<br />

…aber!<br />

„Es gibt keine direkte Beziehung<br />

zwischen körperlicher Pathologie<br />

und der Intensität von Schmerzen“<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

Turk (1993)<br />

� Pat. mit somatoformen Störungen attribuieren nicht<br />

grundsätzlich somatisch, oftmals bio-psycho-sozial<br />

(Groben und Hausteiner, 2011)<br />

� Unzufriedenheit mit dem Gesundheitssystem<br />

deutlich höher => werden psychosoziale Aspekte<br />

vom Arzt überhört ? (Salmon et al., 2004)<br />

� Setting wichtig! (ruhiger Raum, Verständnis,<br />

Akzeptanz=> Pat. berichten psychosoziale<br />

Faktoren) (Risor, 2009)<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Aufrechterhaltung 2: Kognitive Merkmale<br />

� Somatisches/ organmedizinisches Krankheitsmodell<br />

27 © <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

28<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

Aufrechterhaltung 3: „Krankheitsverhalten“<br />

29<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

(Pilowsky 1997)<br />

� Drängen der Patienten auf medizinische<br />

Untersuchungen und „Doctor shopping“<br />

� Suche nach Rückversicherung über Gutartigkeit der<br />

Beschwerden<br />

� Inadäquate Einnahme/ Missbrauch von Medikamenten<br />

� Schonverhalten, Vermeidung körperlicher Belastung<br />

� Checking von Körperteilen<br />

� Individuelle sehr unterschiedlich, je nach „Bedürfnis“, auch<br />

subtile Formen<br />

� Verstärkerlernen begünstigt KV (Schmerzabnahme, Trost)<br />

� Modelllernen (Eltern SS => Fehltage der Kinder)<br />

(Livingston et al., 1995)<br />

� Katastrophisierende Bewertungen von Körperempfindungen,<br />

v.a. in Krisensituationen => „Normalisieren“ wieder lernen<br />

(Sensky et al. 1996)<br />

� Eingeengtes Verständnis von „Gesundheit“<br />

(„Gesundheit = keine körperlichen Missempfindungen“)<br />

� Selektive Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf Körperprozesse<br />

→ Wahrnehmung zahlreicher, normalerweise unbedeutender<br />

Körperempfindungen<br />

� Globales Selbstkonzept als “schwach”, “nicht belastbar”,<br />

geringe subjektive Stresstoleranz<br />

26<br />

Somatosensory<br />

Amplification<br />

30<br />

Aufmerksamkeits-<br />

Fokussierung<br />

Verstärkte<br />

Wahrnehmung<br />

Fehlbewertung<br />

von<br />

Empfindungen<br />

Barsky und Kollegen (1990)<br />

Wirkmechanismus: Operante Konditionierung<br />

(nach Fordyce 1976)<br />

� Krankheitsverhalten wird häufiger gezeigt, wenn es<br />

(kontingent) verstärkt wird<br />

� Beeinflusst Chronifizierung<br />

� Beispiele:<br />

� Humpeln, Stöhnen → Mitgefühl/ Trost (positive<br />

Verstärkung)<br />

� Schmerzmitteleinnahme/ Einstellung körperlicher Aktivität<br />

→ relative Beschwerdereduktion (negative Verstärkung)<br />

� Mangel positiver Verstärkung für „Gesundheitsverhalten“<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

29


Somatoforme Störungen<br />

Pathogenese somatoformer Störungen<br />

Mögliche Auslösebedingungen<br />

� Minimale organische Dysfunktionen (z.B. Darmträgheit,<br />

Erkältung)<br />

� Harmlose Schwellungen/Hautunregelmäßigkeiten<br />

� Autonome oder hormonell bedingte Erregung<br />

� Muskelverspannungen<br />

� Hyperventilation<br />

� Inaktivität (z.B. „Muskelkater“, Herzklopfen)<br />

� Schlechter Schlaf Physiologische Folgen von Speisen und<br />

Getränken<br />

� Nebenwirkungen von Medikamenten<br />

31 © <strong>2012</strong> H. Graap<br />

32Rief<br />

& Hiller, 1998 © <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

Behandlung im medizinischen<br />

Versorgungssystem<br />

Medizinische Diagnostik und<br />

Behandlungsplanung<br />

� Sinnvoll begrenzte Phase der organmedizinischen<br />

Ausschlussdiagnostik<br />

� Danach vorsichtiger Umgang mit diagnostischen Maßnahmen<br />

� Gefahr der Fixierung auf organmedizinische Ursachen bei<br />

Patienten<br />

� Keine Wiederholungen und Eingriffe trotz Klagsamkeit des<br />

Patienten<br />

� Transparenz der Behandlungsschritte<br />

� Koordination der Maßnahmen durch einen behandelnden Arzt<br />

(besonders bei Patienten mit multiplen Beschwerden)<br />

35<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Psychophysiologisches Erklärungsmodell der<br />

somatoformen Störungen.<br />

Körperliche Veränderungen<br />

Körperreaktionen, Missempfindungen, Symptome<br />

Krankheitsverhalten<br />

• Checking<br />

• Gesundheitssorgen<br />

• Doktor-Hopping<br />

• Medikamenteneinnahme<br />

• Schonverhalten<br />

34<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

Auslöser/Trigger<br />

z.B. physiologische Erregung, Krankheit<br />

Symptomverstärkung<br />

• Erhöhte Aufmerksamkeit<br />

auf eigenen Körper<br />

• Physiologische Erregung<br />

Intervention „Stepped Care“<br />

(nach Rief & Nanke 2004)<br />

36<br />

Patient mit<br />

Beschwerden<br />

Hausarzt , FA<br />

Primärversorgung<br />

Psychotherapie<br />

Stationäre Therapie<br />

<strong>Psychosomatik</strong><br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

Wahrnehmung<br />

Fehlinterpretation<br />

als bedrohliche<br />

Krankheitszeichen<br />

Vermittlung von Untersuchungsergebnissen<br />

(Rief, Martin, Rauh et al. 2006 Psychosomatics)<br />

� Frühzeitiges Ansprechen, dass die Ursache für die<br />

Beschwerden keine schwere organische Erkrankung ist.<br />

� Besprechung der vorliegenden Untersuchungsbefunde (auch<br />

bei unauffälligen Befunden!)<br />

� Verzicht auf ‚Bagatelldiagnosen‘, die ein organmedizinisches<br />

Konzept der Patienten verstärken würden.<br />

� Kein organisches Korrelat bedeutet zunächst, dass keine<br />

schnelle kausale Therapie möglich ist, d.h. dass langfristige<br />

Bewältigungsstrategien wichtig sind<br />

� Durch Rückfragen an den Patienten lassen sich<br />

Informationsverzerrungen erkennen.<br />

30


Somatoforme Störungen<br />

Beratungsmodell zur Reattribution körperlicher<br />

Symptome (Goldberg et al. 1989)<br />

37<br />

1. Phase “sich verstanden fühlen”<br />

Verständnis vermitteln, Vertrauen gewinnen<br />

2. Phase “das Thema Verändern”<br />

Untersuchungsbefunde, Anerkennung der Beschwerden,<br />

Hinführung an mögliche Auslösebedingungen<br />

3. Phase “die Verbindung herstellen”<br />

psychophysiologisches Bedingungsmodell<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

Kognitive Verhaltenstherapie<br />

Zieldefinition auf verschiedenen Ebenen<br />

41<br />

Arbeit<br />

- Wieder arbeiten gehen können<br />

- Weniger Krankheitstage haben<br />

- Monotone Sit. am A-Platz<br />

ändern<br />

„Ich möchte gesund sein“<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

Symptome<br />

- Mit Beschwerden besser<br />

zurecht kommen<br />

- Weniger Arztbesuche<br />

machen müssen<br />

- Sorgen um Körper seltener<br />

haben<br />

- Körper weniger beobachten<br />

müssen<br />

- Weniger Medikamente<br />

Privatleben<br />

- Zufriedener leben<br />

- Mich mit Freunden<br />

treffen<br />

- Mit Kindern was<br />

unternehmen<br />

- Mit Frau Tanzkurs<br />

machen<br />

Motivation zur Psychotherapie<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

� Dem Patienten signalisieren, dass „gemeinsame<br />

Weiterbehandlung“ sinnvoll ist (und nicht an „Abschieben“<br />

gedacht ist)<br />

� Information über Ziele und Methoden von Psychotherapie<br />

� Verbindung herstellen zwischen psychosozialen<br />

Einflussfaktoren und körperlichen Beschwerden<br />

� 80% der Pat., denen positive Möglichkeiten eines psycholog.<br />

Konsiliardienstes erläutert wurden nahmen dieses Angebot<br />

auch an (Speckens et al., 1995)<br />

38<br />

40<br />

� Annahme, die Pat. würden sich verweigern!<br />

Therapieziel<br />

42<br />

„Coping not Curing“<br />

The symptom-free existence may not<br />

be a realistic therapeutic goal, but to<br />

help the patient to cope better with<br />

complaints and disability.<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

Ziele einer psychotherapeutischen<br />

Kurzintervention<br />

� Aufbau von Veränderungserwartung und gemeinsame<br />

Zielvereinbarung<br />

� Veränderung eines zu organisch geprägten Krankheitsmodells<br />

und katastrophisierender Bewertungen<br />

� Psychoedukation<br />

� Demonstration der Einflüsse von Stress, Emotionen,<br />

Aufmerksamkeitsfokussierung<br />

� Adäquates Verständnis von „Gesund sein“<br />

� Entwicklung eigener Bewältigungsstrategien, z.B.:<br />

� Erlernen einer Entspannungstechnik<br />

� Ablenkung<br />

� Stressreduktion<br />

� Problemlösestrategien<br />

� Körperliche Aktivierung<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

31


Somatoforme Störungen<br />

Psychoedukation<br />

� Vermittlung von Informationen zum Störungsbild sowie zur<br />

Entstehung und Aufrechtherhaltung (Vortrag, Demonstration,<br />

kurze Übungen, Diskussion)<br />

� Gruppenprogramm: „Coping with Health Anxiety“ (Bouman<br />

2002):<br />

sechs 2-stündige Sitzungen zu den Themen:<br />

1. Das Störungsbild der Hypochondrie<br />

2. Die Rolle der Gedanken (v.a. katastrophisierenden Fehlinterpretationen)<br />

3. Aufmerksamkeit und Krankheitsangst<br />

4. Sicherheitsverhalten und Krankheitsangst<br />

5. Stress und körperliche Beschwerden<br />

6. Der „eigene Teufelskreis“ zu den individuellen Bedingungsfaktoren<br />

43<br />

45<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

Verhaltensebene: Umgang mit inadäquatem<br />

Schonverhalten<br />

� Veränderungen seit Beschwerdebeginn erfragen<br />

� Welche Aktivitäten werden aufgrund der Beschwerden nicht mehr/<br />

seltener wahrgenommen?<br />

� Vor- und Nachteile von Schonverhalten aufzeigen<br />

� Verständnis zeigen für die kurzfristig wohltuende Wirkung von<br />

Schonverhalten<br />

� Ungünstige Langzeitfolgen bei chronischen Beschwerden<br />

herausarbeiten<br />

� Motivation des Patienten zu körperlicher Bewegung<br />

� Gemeinsames Planen eines realistischen gestuften<br />

Aktivierungsplans<br />

� Vorbereiten auf mögliche Symptomintensivierung zu Beginn<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

Evaluation (Review Henningsen et al. 2007; LANCET)<br />

� Positive Wirkung belegt für<br />

47<br />

� Psychotherapie (v. a. kognitive Verhaltenstherapie); ES 0,3 bis 0,6<br />

� Übungsprogramme (gestufte Aktivität)<br />

� Antidepressiva<br />

� Therapieziel/-evaluation<br />

� Fokussierung auf Alltagsfunktion und Lebensqualität<br />

anstelle von Symptomreduktion<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Infoblatt: Wirkung von Schonverhalten<br />

44<br />

46<br />

Häufigere körperliche<br />

Missempfindungen<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

Reduktion der<br />

körperlichen Belastbarkeit<br />

Bewertung als krank<br />

Erhöhung des Schon- und<br />

Vermeidungsverhaltens<br />

Ziele einer integrativen Intensivbehandlung<br />

� Integration organmedizinischer und psychotherapeutischer<br />

Ansätze. Notwendige medizinische Diagnostik zu Beginn, im<br />

Verlauf Schwerpunkt auf Psychotherapie<br />

� Symptomspezifische Psychotherapie (s. Kurzintervention)<br />

� Problemspezifische Psychotherapie<br />

� z.B. Klärung familiärer Konflikte, Trauma-Bearbeitung<br />

� Behandlung von komorbiden Krankheiten (z.B. Depression)<br />

� Aufbau adäquater Belastbarkeit<br />

� z.B. allgemeine Aktivitäten, soziale Kontakte, berufliche<br />

Belastungserprobung<br />

� Aufbau eines positiven Körperempfindens<br />

� z.B. bewegungstherapeutische Maßnahmen<br />

Evaluation: Symptomreduktion in Abhängigkeit von<br />

der Offenheit für Psychotherapie (Rief et al. 2002)<br />

48<br />

SOMS-7 Symptomanzahl<br />

22<br />

20<br />

18<br />

16<br />

14<br />

Aufnahme 1-Jahres-Katamnese<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

GLM:<br />

Time F 1, 159 = 11.8; p


Somatoforme Störungen<br />

Evaluation: Vergleich der prä- und<br />

poststationären Kosten (Hiller et al. 2003)<br />

� Stichprobe: High Utilizer (> 7.500 DM in 2 Jahren; = oberstes<br />

Drittel)<br />

� Intervention: Stationäre psychosomatische Psychotherapie<br />

� Reduktion der ambulanten Behandlungskosten um 37% (von<br />

5.677,-- auf 3.551,--DM)<br />

� Reduktion der stationären Behandlungskosten um 39% (von<br />

17.345,-- auf 10.521,--DM)<br />

� Reduktion der AU-Zeiten um 41 %<br />

� Egalisierung der Index-Behandlungskosten unter<br />

Berücksichtigung der AU-Tage (à 250 DM): 9 Monate<br />

� Anm.: Noch keine Inflationsrate berücksichtigt<br />

49<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin/H. Graap<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Herausforderungen in der Behandlung bei<br />

somatoformen Störungen<br />

� Herstellung einer therapeutischen Beziehung<br />

� Koordination zwischen verschiedenen Behandlern<br />

� Hinführen auf psychosomatisches Krankheitsverständnis<br />

� Übereinstimmende Zielvorstellungen<br />

� Aufbau von Veränderungsmotivation<br />

(Beachte: Gratifikation für Krankheitsverhalten)<br />

50<br />

33


Persönlichkeitsstörungen<br />

<strong>Psychosomatik</strong><br />

Persönlichkeitsstörungen<br />

Dr. Dipl.-Psych. Andrea Silbermann<br />

WiSe <strong>2012</strong>/2013<br />

PERSÖNLICHKEIT<br />

� Ergebnis einer einzigartigen Geschichte von<br />

Wechselwirkungen zwischen konstitutionellen<br />

(genetische Ausstattung) und biographischen<br />

Faktoren (Beziehungs- und Lerngeschichte).<br />

� “NATURE AND NURTURE”<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

ICD-10 Klassifikation<br />

� Das abnorme Verhaltensmuster ist andauernd<br />

und nicht auf Episoden psychischer Krankheit<br />

begrenzt.<br />

� Das abnorme Verhaltensmuster ist tiefgreifend<br />

und in vielen persönlichen und sozialen<br />

Situationen eindeutig unpassend.<br />

� Die Störungen beginnen immer in der Kindheit<br />

oder Jugend und manifestieren sich auf Dauer<br />

im Erwachsenenalter.<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

PERSÖNLICHKEIT<br />

� Summe aller psychischen Eigenschaften und<br />

Verhaltensbereitschaften, die dem einzelnen<br />

seine eigene, unverwechselbare Individualität<br />

verleihen.<br />

� Die dauerhaften Eigenschaften eines Menschen<br />

� Betrifft Wahrnehmen, Denken, Fühlen,<br />

interpersonelle Beziehungsgestaltung.<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG<br />

ICD-10 Klassifikation, F 60.--<br />

� Nur dann, wenn Persönlichkeitszüge unflexibel und<br />

unangepasst sind und zu<br />

� wesentlichen Funktionsbeeinträchtigungen (z.B. sozial,<br />

Scheitern bei den alltäglichen Aufgaben des Lebens) oder<br />

� zu subjektivem Leid führen, manchmal erst im späteren<br />

Verlauf und oft nur durch Probleme, die mit anderen<br />

Menschen entstehen (ich-synton). („Persönlichkeitsstörungen<br />

sind Beziehungsstörungen“).<br />

� Patienten mit Persönlichkeitsstörungen kommen meist mit<br />

anderen Diagnosen, sich bewussten Problemen in die<br />

Behandlung (z.B. Ängste, Depression, „Burnout“, Mobbing,…)<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

ICD-10 Klassifikation<br />

� Man benötigt VIEL Information<br />

Biographische Anamnese, Fremdanamnese,<br />

Verhaltensbeobachtung,<br />

International Personality Disorder Examination (IPDE,<br />

Loranger et al., 1996)<br />

SKID-II<br />

IDCL<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

34


Persönlichkeitsstörungen<br />

DSM-IV<br />

Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders<br />

Einteilung der 10 Persönlichkeitsstörungen in 3 Cluster<br />

� Cluster A = sonderbar, exzentrisch<br />

� Cluster B = emotional instabil, launisch,<br />

dramatisch<br />

� Cluster C = ängstlich, furchtsam, asthenisch<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

CLUSTER B (DSM IV)<br />

- deskriptive Ähnlichkeiten -<br />

Emotional instabil, launisch, dramatisch<br />

� Narzisstisch<br />

� Selbstbezogenheit, mangelnde Empathie, Egoismus<br />

� Histrionisch<br />

� Abhängigkeit von äußerer Aufmerksamkeit, oberflächlicher<br />

Gefühlsausdruck, Suggestibilität<br />

� Borderline<br />

� Störung der Affektregulation, mangelhafte Impulskontrolle,<br />

Identitätsstörung, Dissoziation<br />

� Antisozial, dissozial<br />

� Delinquentes, deviantes Verhalten, fehlendes<br />

Schuldbewusstsein, geringe Frustrationstoleranz<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Die narzisstische PS<br />

mindestens 5 der folgenden Kriterien<br />

� Grandioses Gefühl der eigenen Wichtigkeit<br />

� Stark eingenommen von Phantasien grenzenlosen Erfolgs,<br />

Macht, idealer Liebe<br />

� Glaubt von sich, besonders und einzigartig zu sein und nur<br />

mit besonderen Personen verkehren zu können<br />

� Verlangt nach übermäßiger Bewunderung<br />

� Anspruchsdenken<br />

� Ausbeuterisch in Beziehungen<br />

� Mangel an gezeigter Empathie<br />

� Probleme mit Neid<br />

� Arrogante, überhebliche Verhaltendweisen<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

CLUSTER A (DSM IV)<br />

- deskriptive Ähnlichkeiten -<br />

sonderbar, exzentrisch<br />

� Paranoid<br />

� gekennzeichnet durch Misstrauen (bis hin zur häufigen Annahme von<br />

Verschwörungen, um Ereignisse zu erklären), Streitsucht, dauernden<br />

Groll und starke Selbstbezogenheit. Handlungen oder Äußerungen<br />

anderer Personen werden häufig als feindlich missgedeutet<br />

� Schizoid<br />

� gekennzeichnet durch einen Rückzug von affektiven, sozialen und<br />

anderen Kontakten mit übermäßiger Vorliebe für Phantasie,<br />

einzelgängerisches Verhalten und in sich gekehrte Zurückhaltung;<br />

es besteht nur ein begrenztes Vermögen, Gefühle auszudrücken und<br />

Freude zu erleben<br />

� Schizotypisch<br />

� “Verdünnungsform” schizophrener Erkrankungen<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Die narzisstische Persönlichkeitsstörung<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Narzisstische Persönlichkeitsstörung<br />

� Interaktionelle Ziele � Bevorzugte Images<br />

� Leisten, Erfolg haben<br />

� Ich bin toll, großartig<br />

� Lob, Anerkennung bekommen � Ich habe keine Probleme, alles<br />

� Erfolgs-, Statussymbole<br />

im Griff<br />

�<br />

�<br />

Regeln bestimmen<br />

VIP-Status erlangen<br />

�<br />

�<br />

Ich stehe über allem, bin<br />

souverän<br />

Ich kenne mich aus, blicke<br />

� Abwertung, Kritik vermeiden<br />

durch<br />

�<br />

�<br />

Kontrollverlust vermeiden<br />

Abhängigkeit vermeiden � Bevorzugte Appelle<br />

� Bewundere, akzeptiere,<br />

respektiere, bestätige mich<br />

� Stell mich nicht in Frage<br />

� Akzeptiere mein Territorium<br />

� Gib mir Sonderrechte<br />

� Folge meinen Regeln<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

35


Persönlichkeitsstörungen<br />

Die narzisstische PS<br />

� Sich ärgern über die „Mittelmäßigkeit“ anderer<br />

� Viel von sich und anderen erwarten<br />

� Kritik von anderen abtun oder nicht nachvollziehen können<br />

� Sich bei Misserfolgen wie der absolute Versager ohne<br />

Existenzberechtigung fühlen<br />

� Bei Erfolgen typischerweise denken, alles erreichen zu können<br />

� Bei Enttäuschung alles riskieren, ohne Rücksicht auf<br />

Verluste<br />

� Das Gefühl haben, eigentlich niemandem trauen zu können<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Die histrionische Persönlichkeitsstörung<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Histrionische Persönlichkeitsstörung<br />

� Interaktionelle Ziele<br />

� Erlange Aufmerksamkeit um<br />

jeden Preis<br />

� Sei die Wichtigste, fordere dies<br />

vom Partner<br />

� Gib anderen die<br />

Verantwortung<br />

Kosten der Histrioniker:<br />

� Beziehungspartner fühlen sich<br />

langfristig ausgebeutet, eingespannt,<br />

manipuliert, werden ärgerlich<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

� Bevorzugte Images<br />

� Ich bin attraktiv, sexy, eine<br />

begehrenswerte Frau.<br />

� Ich gehe auf deine Bedürfnisse<br />

ein<br />

� Ich bin arm dran,<br />

hilfsbedürftig, brauche<br />

Fürsorge, kann mir nicht<br />

alleine helfen<br />

� Bevorzugte Appelle<br />

� Nimm mich wahr, begehre<br />

mich, gib mir Aufmerksamkeit<br />

� Sei für mich da!<br />

� Schone mich, lass mich nicht<br />

allein, tröste mich<br />

Die narzisstische PS<br />

Kosten der Narzissten<br />

(veranlassen in Therapie zu gehen):<br />

� kaum Zeit für Hobbys und Interessen<br />

� Patienten fühlen sich immer wieder erschöpft, müde,<br />

ausgelaugt<br />

� oft Stress / Konflikte in Beziehungen<br />

� soziale Isolation<br />

� somatische Beschwerden wie KHK<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Die histrionische PS<br />

mindestens 5 der folgenden Kriterien<br />

� Fühlt sich unwohl, wenn er/sie nicht im Mittelpunkt steht<br />

� Die Interaktion mit anderen ist durch ein unangemessenes<br />

sexuell-verführerisches oder provokantes Verhalten<br />

charakterisiert<br />

� Zeigt rasch wechselnden und oberflächlichen Gefühlsausdruck<br />

� Setzt regelmäßig seine körperliche Erscheinung ein, um die<br />

Aufmerksamkeit auf sich zu lenken<br />

� Übertriebener impressionistischer, wenig detaillierter Sprachstil<br />

� Zeigt Selbstdramatisierung, Theatralik und übertriebenen<br />

Gefühlsausdruck<br />

� Ist suggestibel, d.h. leicht beeinflussbar durch andere Personen<br />

oder Umstände<br />

� Fasst Beziehungen enger auf als sie eigentlich sind<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

CLUSTER C (DSM IV)<br />

- deskriptive Ähnlichkeiten -<br />

Ängstlich, furchtsam, asthenisch<br />

� Vermeidend-selbstunsicher<br />

� Große Angst vor Zurückweisung und Ablehnung<br />

� Dependent, abhängig<br />

� Überzeugung, das eigene Leben nicht selbständig führen<br />

zu können<br />

� Zwanghaft, anankastisch<br />

� Gewissenhaftigkeit, Perfektionismus, Inflexibilität,<br />

Normentreue<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

36


Persönlichkeitsstörungen<br />

Die selbstunsichere Persönlichkeitsstörung<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Die selbstunsichere PS<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Selbst-Schema Beziehungsschemata<br />

Ich bin nicht attraktiv.<br />

Ich bin nicht weiblich/männlich (genug).<br />

Ich kann andere nicht unterhalten.<br />

Ich bin ein Langweiler.<br />

Ich kann andere nicht für mich einnehmen,<br />

nicht beeindrucken, nicht positiv auf mich<br />

aufmerksam machen.<br />

Wenn ich auffalle, dann falle ich negativ auf.<br />

Sobald ich etwas sage, blamiere ich mich.<br />

� Bevorzugte Images<br />

� Ich bin ja so schüchtern, ich traue mich nicht.<br />

� Ich bin schwer aus meiner Höhle herauszulocken.<br />

� Tests<br />

� Finden Sie mich in Ordnung?<br />

� Finden Sie mich langweilig?<br />

� Möchtest Du mich retten und die Initiative übernehmen?<br />

Kriterien der abhängigen PS<br />

Mindestens 5 der folgenden Kriterien<br />

Ich habe anderen nichts zu bieten.<br />

Ich kann eine Frau nicht einmal<br />

unterhalten.<br />

Ich habe keine Eigenschaften, die einen<br />

Partner interessiert.<br />

Ich habe keinen Marktwert.<br />

� Hat Schwierigkeiten, alltägliche Entscheidungen zu treffen, ohne<br />

ausgiebig den Rat und die Bestätigung anderer einzuholen<br />

� Benötigt andere als Verantwortliche für wichtige Lebensbereiche<br />

� Hat Schwierigkeiten, anderen Menschen gegenüber eine eigene Meinung<br />

zu vertreten, aus Angst, Unterstützung und Zuneigung zu verlieren<br />

� Hat Schwierigkeiten, Unternehmungen selbständig zu beginnen oder<br />

Dinge unabhängig durchzuführen<br />

� Tut alles Erdenkliche, um die Versorgung und Zuwendung anderer zu<br />

erhalten bis hin zur freiwilligen Übernahme unangenehmer Tätigkeiten<br />

� Fühlt sich alleine unwohl oder hilflos aus übertriebener Angst, nicht<br />

für sich selbst sorgen zu können<br />

� Sucht dringend eine andere Beziehung als Quelle der Fürsorge und<br />

Unterstützung, wenn eine enge Beziehung endet<br />

� Ist in unrealistischer Weise von Ängsten eingenommen, verlassen zu<br />

werden und für sich selbst sorgen zu müssen<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Die selbstunsichere PS<br />

Mindestens 4 der folgenden Kriterien<br />

� Vermeidet aus Angst vor Kritik, Missbilligung und Zurückweisung<br />

berufliche Aktivitäten, die engere zwischenmenschliche Kontakte mit sich<br />

bringen<br />

� Lässt sich nur widerwillig mit Menschen ein, sofern er nicht sicher ist,<br />

gemocht zu werden<br />

� Zurückhaltung in intimen Beziehungen, aus Angst, beschämt oder<br />

lächerlich gemacht zu werden<br />

� Ist stark davon eingenommen, in sozialen Situationen kritisiert oder<br />

abgelehnt zu werden<br />

� Ist aufgrund von Gefühlen der Unzulänglichkeit in neuen<br />

zwischenmenschlichen Situationen gehemmt<br />

� Hält sich für unbeholfen, unattraktiv und anderen unterlegen<br />

� Nimmt außergewöhnlich ungern persönliche Risiken auf sich oder<br />

irgendwelche neuen Untersuchungen in Angriff, weil dies sich als<br />

beschämend erweisen könnte<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Die abhängige Persönlichkeitsstörung<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Die abhängige Persönlichkeitsstörung<br />

Selbst-Schema Beziehungsschemata<br />

Ich kann nicht alleine leben! Beziehungen sind nicht verlässlich!<br />

Beziehungen sind nicht solidarisch!<br />

Vermeide das Alleinsein und das Verlassen<br />

werden um jeden Preis!<br />

� Bevorzugte Images<br />

� Ich erfülle Dir alle Wünsche!<br />

� Ich bin unentbehrlich für Dich!<br />

� Ich bin klein, mein Herz ist rein, soll niemand drin wohnen<br />

als Du allein!<br />

� Ich bin bedürftig!<br />

� Du kannst Dich voll auf mich verlassen!<br />

� Bevorzugte Appelle<br />

� Verlass mich nicht!<br />

� Kümmere Dich um mich!<br />

� Übernimm Verantwortung für mich!<br />

� Triff Entscheidungen für mich!<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Beziehungen können jederzeit aufgekündigt<br />

werden!<br />

Beziehungen sind nicht belastbar, so dass<br />

jeder Konflikt dazu führen kann, dass diese<br />

beendet wird.<br />

37


Persönlichkeitsstörungen<br />

Die zwanghafte Persönlichkeitsstörung<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Prävalenz bei psychiatrischen Patienten/innen<br />

(WHO, 1988-90)<br />

Paranoid 2,4%<br />

Schizoid 1,8%<br />

Dissozial ♂ 3,2%<br />

Borderline 14,9%<br />

Histrionisch 4,3%<br />

Zwanghaft ♂ 3,6%<br />

Ängstlich 15,2%<br />

Dependent 4,6%<br />

Andere 6,8%<br />

Irgendeine Pers.störung 39,5%<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

kommen seltener<br />

in Therapie<br />

die häufigsten PS<br />

♂ häufiger bei Männern<br />

Problembereiche in der Therapie mit Patienten<br />

mit einer Persönlichkeitsstörung:<br />

� Patienten mit PS weisen meist keine „Änderungsmotivation“, sondern eine<br />

„Stabilisierungsmotivation“ auf: sie kommen in Therapie, um ihr System<br />

(Annahmen, Motive, Ziele, etc.) mit Hilfe des Therapeuten zu stabilisieren.<br />

� Therapeuten haben oft Schwierigkeiten, dies zu erkennen; einerseits, weil es<br />

von den Patienten nicht explizit gemacht wird, und andererseits weil die<br />

Therapeuten häufig gar nicht wissen, wie man die Motive der Patienten im<br />

Prozess analysieren kann.<br />

� Strebt der Therapeut eine Bearbeitung des stabilen Systems des Patienten<br />

an, wird er häufig vom Patienten mit Hilfe vielfältiger Strategien (häufig nicht<br />

bewusst repräsentiert) blockiert.<br />

� Kennt und versteht der Therapeut diese Strategien nicht, fühlt er sich<br />

mattgesetzt, hilflos und reagiert oft ärgerlich auf den Patienten: seine<br />

Interventionen verschlimmern dann in aller Regel noch das Problem.<br />

� Patienten thematisieren ihre Beziehungsprobleme meist nicht; der Therapeut<br />

kann sie daher oft nur schwer erkennen. Er versteht dann nicht, dass das<br />

Problem des Patienten eben nicht nur z.B. in „Panik“ besteht, sondern dass<br />

es sich um ein massives Interaktionsproblem handelt.<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Die zwanghafte PS<br />

mindestens 5 der folgenden Kriterien<br />

� Beschäftigt sich übermäßig mit Details, Regeln, Listen, Ordnung<br />

oder Plänen, sodass der wesentliche Gesichtspunkt der Aktivität verloren<br />

geht<br />

� Zeigt Perfektionismus, der Aufgabenerfüllung behindert<br />

� Verschreibt sich übermäßig der Arbeit und Produktivität unter Ausschluss<br />

von Freizeitaktivitäten und Freundschaften<br />

� Ist übermäßig gewissenhaft, skrupulös und rigide in Fragen der Moral,<br />

Ethik und Werten<br />

� Ist nicht in der Lage, verschlissene oder wertlose Dinge wegzuwerfen,<br />

selbst wenn diese keinen Gefühlswert besitzen<br />

� Delegiert nur widerwillig Aufgaben oder arbeitet nur ungern mit<br />

anderen zusammen, wenn diese nicht genau die eigene Arbeitsweise<br />

übernehmen<br />

� Ist geizig sich selbst und anderen gegenüber<br />

� Zeigt Rigidität und Sturheit<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

� Hauptproblem für den Therapeuten:<br />

� Patienten mit einer PS weisen Beziehungsprobleme auf = Kern<br />

ihrer Störung;<br />

� sie thematisieren oder bearbeiten diese Probleme meist nicht,<br />

sie „leben“ diese Probleme in der Therapie<br />

� damit wird der Therapeut (häufig ohne dass er es direkt<br />

merkt) zum Teil des Problems<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

„aus dem Bauch heraus“ � diagnostisch wichtig<br />

Welche „Interaktionsgefühle“ löst der Patient mit einer<br />

Persönlichkeitsstörung beim Team aus?<br />

� Der Paranoide: Vorsicht<br />

� Der Schizoide: keines<br />

� Der Schizotype: „komisch, strange“<br />

� Der Antisoziale: Aggression<br />

� Der Narzisstische: persönlich angegriffen (z.T. Mitleid)<br />

� Der Histrionische: genervt, gelangweilt<br />

� Der Borderliner: helfen wollen<br />

� Der Selbstunsichere: „Vertrau mir“<br />

� Der Dependente: sagen, wo`s lang geht<br />

� Der Zwanghafte: mühsam<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

38


Persönlichkeitsstörungen<br />

Warum ist therapeutische Beziehung so wichtig?<br />

(verschiedene Untersuchungen)<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Beziehungsgestaltung<br />

durch<br />

Therapeuten<br />

Andere<br />

therapeutische<br />

Interventionen<br />

starker<br />

Einfluss<br />

schwacher Einfluss<br />

Problembearbeitung<br />

durch den<br />

Patienten<br />

Therapieerfolg<br />

Was antworten „Psycho“-Professoren auf die Frage:<br />

Was ist eine Persönlichkeitsstörung?<br />

� Der Paranoide: Das ist eine Fangfrage<br />

� Der Schizoide: Damit will ich nichts zu tun haben<br />

� Der Schizotype: Die wurden von einem UFO eingeschleppt<br />

� Der Antisoziale: Was zahlen Sie für die Antwort?<br />

� Der Narzisstische: Haben Sie meine Veröffentlichungen darüber nicht<br />

gelesen?<br />

� Der Histrionische: Darüber könnte ich Ihnen einen langen, aufregenden<br />

Vortrag halten<br />

� Der Ängstlich-vermeidende: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich die 100%<br />

korrekte Definition weiß<br />

� Der Dependente: Da muss ich erst noch mal bei meinen besser<br />

spezialisierten Kollegen nachfragen.<br />

� Der Zwanghafte: Also, DSM-IV definiert sie so…, was uns allerdings weniger<br />

interessieren sollte, da bei uns das ICD-10 gilt, was die PS wiederum so<br />

definiert<br />

Symptome der Borderline<br />

Persönlichkeitsstörung (F 60.31)<br />

1. Impulsive Verhaltensweisen<br />

2. Affektive Instabilität<br />

3. Beziehungsprobleme<br />

4. Identitätsstörungen<br />

5. Dissoziative oder (pseudo)psychotische Symptome<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Therapeutische Prinzipien bei Patienten mit PS<br />

1. Komplementarität zur Motivebene<br />

� soweit im Rahmen der therapeutischen Regeln möglich und vertretbar,<br />

wesentliche Beziehungsmotive des Patienten befriedigen<br />

� schafft „Beziehungskredit“<br />

� Tests bestehen<br />

2. Explizierung und Bearbeitung der Beziehungsmotive<br />

und der Schemata<br />

� Verminderung von „Alienation“= wenig bewusster Zugang zum eigenen<br />

Bedürfnis- und Motivsystem<br />

� Konfrontation mit Aspekten des problematischen<br />

Interaktionsverhaltens � nicht komplementär verhalten!!<br />

� Biografische Arbeit<br />

� Unterscheide zwischen Therapie bei PS und<br />

Therapie der PS !!<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Borderline Persönlichkeitsstörung<br />

Fallbeispiel Frau K.<br />

� Alter: 27 Jahre<br />

� Gelernte Krankenschwester<br />

� Bulimische Symptomatik<br />

� Mehrere Essanfälle mit anschließendem Erbrechen pro Tag<br />

� Essanfälle dienen der Selbstbestrafung, Spannungsreduktion und Gewichtsregulation<br />

� Flüssigkeitszufuhr ca. 10-12 Liter pro Tag (SVV)<br />

� Extreme Gewichtsschwankungen innerhalb kurzer Zeit (Max.: 120kg, Min: 47kg – Größe 176cm)<br />

� Laxantien-, Diuretika-, Thyroxin-Abusus<br />

� Außerhalb der Essanfälle extrem restriktives Essverhalten (nur Obst und Gemüsesuppe)<br />

� Körperliche Folgen: kritische Kaliumwerte, Herz-Rhythmusstörungen, Wassereinlagerungen,<br />

Nierenfunktionsstörung<br />

� Depressive Symptomatik<br />

� Häufig wechselnde Partner, in Partnerschaften sexuelle Übergriffe<br />

� Sexueller Missbrauch und körperliche Gewalt in der Vergangenheit<br />

� Selbstverletzungen seit der Kindheit (Kopf schlagen, Schneiden)<br />

� 2 Suizidversuche mit 15 und 21 Jahren<br />

� In Jugend Drogenkonsum und Alkoholabusus<br />

� Extremer Selbsthass<br />

� Dissoziative Symptome<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

39


Persönlichkeitsstörungen<br />

1. Impulsive Verhaltensweisen<br />

� Suizidales Verhalten<br />

� Suizidphantasien<br />

� Hochrisikoverhalten<br />

� Selbstverletzung<br />

� Essanfälle<br />

� Episodischer Alkohol- Drogenmissbrauch<br />

� Medikamentenmissbrauch<br />

� Pathologisches Kaufen, Spielen<br />

� Promiskuität<br />

� Rücksichtsloses Autofahren<br />

� Instabile persönliche Beziehungen<br />

� Wutausbrüche, körperliche Auseinandersetzungen<br />

Selbstschädigende Verhaltensweisen bei 80%<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Stress und Schmerz<br />

� Stressinduzierte Analgesie = reduzierte<br />

Schmerzsensitivität<br />

� Schmerzschwelle korreliert positiv mit Dissoziation<br />

und Spannungszuständen<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Selbstverletzung - Verhalten<br />

� Verbergen, verstecken<br />

� Lange Ärmel<br />

� Vermeiden von Sport<br />

� Ausreden finden<br />

� Scham, Schuld, Versagensgefühl<br />

� Schmerzintensität reduziert<br />

� 30% spüren gar keinen Schmerz<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Selbstschädigung<br />

� Spannungsreduktion<br />

� Euphorisierung<br />

� Selbstbestrafung<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Selbstverletzung - Formen<br />

� Ritzen oder Schneiden<br />

� Kratzen<br />

� Schlagen<br />

� Ausreißen von Haaren<br />

� Beißen<br />

� Störung der Wundheilung<br />

� Kopfschlagen<br />

� Nagelbeißen<br />

� Verbrennen<br />

� Durchstechen von Körperteilen<br />

� Stechen mit Nadeln<br />

� Knochen brechen<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Selbstverletzung - Motivation<br />

� i.d. Regel nicht in suizidaler Absicht<br />

� i.d. Regel nicht um demonstrativ Aufmerksamkeit zu erregen<br />

Eine Form der Selbstfürsorge, Form der Emotionsregulation,<br />

„Überlebensstrategie“:<br />

� „sich lebendig fühlen“<br />

� „die schlechten Gedanken hören auf“<br />

� „der Druck lässt nach“<br />

� „damit ich den inneren Schmerz nicht spüre“<br />

� Dissoziative Zustände auflösen, „den Körper wieder spüren“<br />

� individuelle Funktion der Selbstverletzung ist nicht immer bewusst<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

40


Persönlichkeitsstörungen<br />

Offenes selbstverletzendes Verhalten<br />

- DD -<br />

� Artifizielle Störung<br />

� Heimliche Manipulation an Körperteilen und –funktionen<br />

� Motivation: Einnehmen der Krankenrolle<br />

� Münchhausen-Syndrom<br />

� Pseudologia phantastica (Krankengeschichte)<br />

� Wandern von Klinik zu Klinik<br />

� Münchhausen-by-proxy (-Stellvertretersyndrom)<br />

� Manipulationen bei Kindern, ausgestaltet durch die Mütter unter<br />

Täuschung der Ärzte<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

2. Störung der Affektregulation<br />

Psychophysiologisches Defizit der Affektregulation (Linehan, 1993)<br />

� hohe Sensitivität gegenüber schon niedrigschwelligen<br />

Reizen (“emotionale Empfindlichkeit”,<br />

“auf rohen Eiern gehen”)<br />

� Hohe Affektintensität<br />

� Prolongiertes Abklingen der affektiven Erregung<br />

� Schnelle Affektwechsel<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Stiglmayr et al. J Psych Res 2007<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

2. Störung der Affektregulation<br />

- Diagnostisches Leitsymptom -<br />

Einschießende, starke Spannung, die als äußerst<br />

aversiv erlebt wird und keiner klaren, handlungsweisenden<br />

Emotion zugeordnet werden kann.<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Stiglmayr et al. J Psych Res 2007<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

E-mail der Patientin K<br />

Nochmal zu gestern. Als ich heim gekommen bin war ich total down und konnte nur noch<br />

ans fressen denken... Hab dann Mama angerufen und versucht zu schildern was in mir<br />

vorgeht aber das hat irgendwie nicht so funktioniert. Auch heute habe ich noch das<br />

Gefühl, dass mein Kopf vor lauter Gedanken implodiert. Gedanken die nicht in Worte<br />

fassbar sind. Gedanken die mich traurig machen, fühle mich total überfordert und im<br />

Stich gelassen mit all der Arbeit die ich noch nicht kann. Und die mir vor allem nicht<br />

besonders liegt, musste ich feststellen. Am liebsten würde ich da am Montag gar nicht<br />

mehr hingehen so sehr beschäftigt mich das. Aber ich muss da jetzt durch das hilft ja<br />

nicht.<br />

Also gestern dann, hab ich also das 1. mal gefressen dann gekotzt dann hab ich total zu<br />

zittern angefangen und das 2. mal gefressen und zwar riesige Mengen... dann wieder<br />

gekotzt und das zittern war weg. Dann endlich kam Jörg nach Hause und ich hab mir so<br />

sehr gewünscht, dass er mich in den Arm nimmt und tröstet. Meine schrecklichen<br />

Gedanken einfach wegtröstet. Aber er war schlecht drauf und als ich ihm versucht habe<br />

zu sagen wie es mir geht hat er nur gesagt " mir kommt es so vor als hättest du schon<br />

wieder die Schnauze voll davon, was erwartest du eigentlich" oh Mann. Danach ging es<br />

mir noch beschissener am liebsten hätte ich mich zur Strafe auf den Boden gesetzt<br />

und dort gebüßt.<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

41


Persönlichkeitsstörungen<br />

2. Störung der Affektregulation<br />

- neurobiologische Befunde -<br />

� Morphologische und funktionelle Störungen im<br />

fronto-limbischen Regekreis, insbesondere<br />

Amygdala und Hippokampus betreffend.<br />

� Hinweise auf reduzierte zentrale serotonerge<br />

Funktion (v.a. präfrontaler Cortex)<br />

� Ursache:<br />

� Genetischer Faktor?<br />

� Folge psychosozialer traumatischer Erfahrungen?<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Zusammenhang zwischen Störungen der<br />

Affektregulation und der Impulskontrolle<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Impulshandlung Entspannung<br />

bereitliegende Verhaltensmuster<br />

zunehmender Spannungszustand<br />

Intensive negative Affekte<br />

Stressor<br />

3. Beziehungsprobleme<br />

z.B. Angst,<br />

verlassen zu werden<br />

Stimmungsanhebung<br />

negative innere<br />

Verstärkung<br />

negative<br />

Konsequenzen<br />

� Schwierigkeiten in der Regulation von Nähe und<br />

Distanz<br />

� Schlecht ausgeprägte intrapsychische Repräsentanz<br />

wichtiger Bezugspersonen (Abwesenheit =<br />

Verlassen werden)<br />

� Passive Aktivität: Demonstration von Hilflosigkeit<br />

und Leid -> Überlastung der Sozialkontakte<br />

� Dependenz<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Vulnerabilität gg. Stress und Traumata<br />

Genetische Aspekte<br />

Intrusionen und Vermeidungsverhalten bei monozygoten Zwillingen<br />

(True et al., 1993)<br />

Morphologische Besonderheiten<br />

Hippocampale Volumenreduktion prä/postmorbid (Gurvits et al., 1996;<br />

Gilbertson et al., Nature, 2002; Sapolsky et al., 2002)<br />

Unter Provokationsbedingungen Erhöhung des Blutflusses in der re<br />

Amygdala<br />

Humorale Stressreaktion (Ehlert et al., 2001; Brody et al., 2000)<br />

CRF�, Stress - Cortisol�, Glucocorticoid Rezeptor Sensitivität�<br />

Opiatinduzierte Analgesie� (van der Kolk, 1989)<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

3. Beziehungsprobleme<br />

� Ein Muster instabiler, aber intensiver<br />

zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch<br />

einen Wechsel zwischen den Extremen der<br />

Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist.<br />

� Verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder<br />

vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden,<br />

einhergehend mit einem chronischen Gefühl der<br />

Leere.<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Beziehungsprobleme<br />

- typische Pläne und Schemata -<br />

Sichere Nähe! Meide Nähe!<br />

Ohne ein<br />

liebendes<br />

Gegenüber<br />

löse ich<br />

mich auf.<br />

Wenn mir<br />

jemand nahe<br />

kommt,<br />

droht Gefahr.<br />

Wenn jemand<br />

sieht, wie ich<br />

wirklich bin,<br />

wird er mich<br />

verlassen.<br />

Neigung der Borderline PatientInnen zu dichotomem, rigidem<br />

Denken mit der Unfähigkeit, sich auf eine Synthese hinzubewegen<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Wenn mir<br />

jemand nahe<br />

kommt,<br />

werde ich<br />

gefährlich.<br />

42


Persönlichkeitsstörungen<br />

Therapeutische Beziehung<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Therapeutische Beziehung<br />

Radikale Akzeptanz<br />

� Geduld zu haben mit dem oft unerträglich langsamen<br />

Fortschritt und den massiven Schwierigkeiten in der<br />

therapeutischen Beziehung.<br />

� Explizit anerkennen und akzeptieren, dass es der Patientin<br />

schwer fällt, dem Therapeuten zu trauen.<br />

� Hohes Maß an Toleranz gegenüber Zurückweisungen, Kritik<br />

und feindseligen Gefühlen.<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

5. Dissoziative und (pseudo)psychotische<br />

Symptome<br />

� Vorübergehende, durch Belastung ausgelöste<br />

paranoide Vorstellungen (”Minipsychose”)<br />

� Diss. Amnesie<br />

� Depersonalisation, Derealisation<br />

� Bewegungslosigkeit – Freezing (diss. Stupor)<br />

� Dissoziative Phänomene treten vor allem bei<br />

traumatisierten Pat. auf.<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

SMS-Nachrichten einer Patientin<br />

� Das Leben ist zum kotzen. Ich könnte schreien. Warum bin ich bloß<br />

so schlecht. Ich hasse mich!<br />

� Noch lebe ich! Kämpfe ständig gegen meine Gedanken. Mache mich<br />

lächerlich, wenn ich mich umbring! Bin ekelig! Ertrag es nicht mehr!<br />

� Geschafft. Ich war stärker als mein Ungeheuer, ich habe es besiegt!<br />

Viel Spaß auf dem Kongress! Und DANKE für ihre Unterstützung!!!<br />

� Keiner braucht sich um mich zu sorgen, auch sie nicht! Sie kennen<br />

mich doch gar nicht! Will das nicht! Bin schlecht! Will meine Ruhe! Ich<br />

werd sie bekommen.<br />

� Vergessen sie meine letzte sms. Hat sich erledigt. Sorry!<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

4. Identitätsstörung<br />

� ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes<br />

oder der Selbstwahrnehmung:<br />

� Mangelnde Zukunftsorientierung und Lebensplanung<br />

� Wahllose Kontakte zu unterschiedlichen Peer Groups<br />

� Instabile sexuelle Orientierung<br />

� tiefgreifendes Gefühl „Anders“ zu sein<br />

� tiefgreifendes Gefühl der Insuffizienz<br />

� Gefühl des „hohlen Kerns“<br />

� Störung des Körper-Selbst<br />

� Störung des Körper-Bildes<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Ätiologie der BPS<br />

-“Nature and Nurture” -<br />

� 60-70% der Varianz genetisch erklärt<br />

� Konkordanzrate bei Zwillingen<br />

monozygot dizygot<br />

35% 7%<br />

� Vererbbarkeit bestimmter Persönlichkeitszüge (Varianz 47%):<br />

� Emotionale Dysregulation<br />

� Labiler Affekt<br />

� Instabiles Identitätsgefühl<br />

� Instabile Beziehungen<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Torgersen et al., 2000; Lieb et al., Lancet, 2004<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

43


Persönlichkeitsstörungen<br />

Ätiologie der BPS<br />

-“Nature and Nurture” -<br />

� Sexuelle Gewalterfahrung (70%)<br />

� Sehr frühe Erfahrungen, meist im Binnenraum der Familie<br />

� Traumatisierende Erfahrungen (v.a. über längere Zeit) führen zu<br />

Defiziten in der Entwicklung adäquater Affektsteuerung und<br />

Verhaltenskontrolle.<br />

� primäre affektive Vulnerabilität ev. Voraussetzung<br />

� Körperliche Gewalterfahrung (60%)<br />

� schwerwiegende Vernachlässigung (40%)<br />

� Invalidierendes Umfeld<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Neurobehaviorales Entstehungsmodell<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Genetische<br />

Belastung<br />

Neurobiologie<br />

Affektregulationsstörung<br />

Dysfunktionale<br />

Verhaltensmuster<br />

Umweltfaktoren<br />

- Körperliche Misshandlung (bis 14 Jahre) -<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

91<br />

9<br />

76<br />

24<br />

Kontrollen (n=78) somatoforme St.<br />

(n=32)<br />

Umwelt-Faktoren<br />

47<br />

53<br />

BPS (n=185)<br />

Invalidierendes Umfeld bei Borderline<br />

PatientInnen (nach Linehan)<br />

� Unangemessene Reaktion auf das Mitteilen von<br />

persönlichen Erfahrungen und Gefühlen:<br />

� Gefühle und Erfahrungen werden als falsch dargestellt<br />

oder<br />

� auf inakzeptable Eigenschaften oder Wesenszüge<br />

attribuiert<br />

� Selbst-Invalidierung<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Umweltfaktoren<br />

- Gewalt zwischen den Eltern (bis 14 Jahre) -<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

nein<br />

ja<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

90<br />

10<br />

85<br />

15<br />

Kontrollen (n=78) somatoforme St.<br />

(n=32)<br />

Umweltfaktoren<br />

- Sexueller Missbrauch -<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

87 85<br />

5<br />

8 9 6<br />

65<br />

35<br />

BPS (n=185)<br />

nein einmalig mehrfach bis regelhaft<br />

Kontrollen (n=78) somatoforme St.<br />

(n=32)<br />

37<br />

12<br />

51<br />

BPS (n=185)<br />

nein<br />

ja<br />

44


Persönlichkeitsstörungen<br />

Psychotherapie der BPS<br />

- zentrale Ansatzpunkte -<br />

Störungsspezifische Ansätze<br />

� Dialektische Verhaltenstherapie (DVT) nach Marsha Linehan<br />

� Störung der Affektregulation<br />

� Schema-fokussierte Therapie nach Jeffrey Young<br />

� Dysfunktionale Grundannahmen<br />

� Übertragungs-fokusierte Therapie (TFT) nach Otto Kernberg<br />

� Mentalization Based Treatment (MBT) nach Bateman &<br />

Fonagy<br />

� Mangelhafte Ausprägung der Subjekt-Objekt-Differenzierung<br />

� Fragmentiertes Selbst<br />

� Niedriges Strukturniveau (Achse 3 OPD)<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Medikamentöse Therapie der BPS<br />

-einzige PS mit RCT -<br />

� Pharmakotherapie unterstützend, v.a. initial<br />

� Komorbidität<br />

� Symptomorientiert<br />

� Syndromorientiert<br />

Kein Medikament zugelassen<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Spannung<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

70 %<br />

30 %<br />

Skillstraining, Fertigkeitentraining (Marsha Linehan)<br />

-4 Module -<br />

Medikamentöse Therapie der BPS<br />

- Ergebnisse -<br />

© <strong>2012</strong> A. Silbermann<br />

Stresstoleranz<br />

Umgang mit<br />

Gefühlen<br />

Zwischenmenschliche<br />

Fertigkeiten<br />

Achtsamkeit<br />

Kontrollierte Studien:<br />

� SSRIs (Fluoxetin, Fluvoxamin) – Depression, Angst, Zwang,<br />

Selbstverletzung, Impulsivität, Aggressivität<br />

� Mood stabilizer (Valproinsäure, Topiramat) – Aggressivität,<br />

Wut, interpersonelle Schwierigkeiten<br />

� atypische Neuroleptika (Olanzapin) – alle Symptombereiche<br />

Offene Studien:<br />

� Naltrexon - dissoziative Symptomatik? (25-100 mg)<br />

� Clonidin – Spannungszustände? (akut 75-200 ug)<br />

Benzodiazepine und Polypharmakotherapie vermeiden<br />

Zeit<br />

45


Schmerztherapie<br />

1<br />

3<br />

Chronischer Schmerz und<br />

Somatoforme Schmerzstörung –<br />

Grundlagen<br />

der Diagnostik und Therapie<br />

Dr.med Beatrix Vill<br />

Psychosomatische Medizin und<br />

Psychotherapie<br />

Spezielle Schmerztherapie<br />

Was haben diese 3 Begriffe<br />

miteinander zu tun ?<br />

Schmerz Stress<br />

5<br />

Beziehung<br />

Helfer des Schmerzes<br />

Was kann der Betroffene selber tun ?<br />

Selbstwirksamkeit = Ziel<br />

Ressourcen ? Ziele ? Aufmerksamkeitslenkung ?<br />

Teufelskreise durchbrechen<br />

Schmerzbewältigung = Methode<br />

auslösende Situation, Bewertung, Consequenzen –<br />

„sich ein guter Freund sein“<br />

Entspannung<br />

Signal verstehen<br />

Stressoren überdenken<br />

Bindungen und Beziehungen<br />

hinterfragen<br />

Zeit des Schmerzes:<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

2<br />

Unfall<br />

„dazwischen“ ???<br />

Operation<br />

erkennbarer<br />

Zusammenhang<br />

4<br />

6<br />

BEHANDLUNG<br />

COMPLIANCE<br />

AKZEPTANZ<br />

action<br />

desire<br />

VERSTEHEN interest<br />

INFORMATION attention<br />

46


Schmerztherapie<br />

R. Descartes 1644<br />

7<br />

9<br />

CARTESIANISCHES SCHMERZPARADIGMA<br />

Was spricht gegen das Einbahnstraßenmodell?<br />

-situationsabhängiges Schmerzerleben<br />

-Stressanalgesie<br />

-Placebo<br />

-Phantomschmerz<br />

-Fakir etc.<br />

Physiologie des Schmerzes<br />

Strukturen der zentralen Schmerzverarbeitung<br />

� Rückenmark<br />

� Formatio reticularis<br />

� Medulla oblongata<br />

� Thalamus<br />

� Hypothalamus<br />

� Limbisches System<br />

� Großhirnrinde<br />

11<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Nozizeptive Afferenz (Schmerzbahn)<br />

8<br />

10<br />

12<br />

Schmerzwahrnehmung<br />

Haut-<br />

Nozizeptoren<br />

Viszerale<br />

Nozizeptoren<br />

Schmerz<br />

ist<br />

Hinterhorn-<br />

Neuron<br />

lokalisierte<br />

Sorge<br />

Konvergenz-<br />

Neuron<br />

Hauptwirkorte von Analgetika<br />

Schmerzwahrnehmung<br />

NSAR<br />

Haut-<br />

Nozizeptoren<br />

Hinterhorn-<br />

Neuron<br />

Viszerale<br />

Nozizeptoren<br />

Konvergenz-<br />

Neuron<br />

Vorder-<br />

Seitenstrang<br />

Baruch de Spinoza:<br />

1632-1677<br />

Vorder-<br />

Seitenstrang<br />

Opioide<br />

Antidepressiva<br />

/<br />

Antikonvulsiva<br />

47


Schmerztherapie<br />

Zeitgemäße Definition von Schmerz (IASP)<br />

13<br />

15<br />

keine kausale Verknüpfung<br />

�Gewebsschädigung<br />

�Schmerzreaktion<br />

gleichberechtigt<br />

unangenehmes<br />

�emotionale Komponente<br />

Sinnes- und<br />

Gefühlserlebnis -<br />

�sensorische Komponente<br />

aktuelle oder<br />

potentielle Gewebsschädigung<br />

oder<br />

�subjektive Empfindung<br />

�objektivierbare Läsion<br />

als Reizauslösung kann fehlen<br />

mit Begriffen<br />

einer solchen<br />

Schädigung<br />

beschrieben<br />

AKUTER vs . CHRONISCHER SCHMERZ<br />

6<br />

M<br />

o<br />

n<br />

a<br />

t<br />

e<br />

chronisch<br />

akut<br />

somatische<br />

Faktoren<br />

psychosoziale<br />

Faktoren<br />

Chronischer Schmerz als Ausdruck<br />

anderer psychischer (und körperlicher) Erkrankungen<br />

17<br />

Depression<br />

Angst<br />

Zwang<br />

Phobien<br />

Abhängigkeiten<br />

PTSD<br />

Rheumat. Erkrankungen<br />

Bewältigungsprobleme<br />

Einfluß auf das Schmerzerleben<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

bio<br />

14<br />

16<br />

18<br />

sozial<br />

Kulturelle Faktoren<br />

(Couvade-Phänomen)<br />

Ablenkung,<br />

Bewältigungsstrategien<br />

Sekundärer Krankheitsgewinn<br />

DIFFERENTIALDIAGNOSE<br />

BEI CHRONISCHEM SCHMERZ<br />

nozizeptiv<br />

neuropathisch<br />

inadäquate Bewältigung<br />

nozizeptiv/neuropathisch<br />

psychische Komorbidität<br />

Schmerz in Kindheit<br />

und Jugend<br />

dysfunktionelle Störung<br />

psychische Störungen<br />

psycho<br />

Depression<br />

Angst<br />

Somatisierungsstörungen:<br />

•Somatoforme Schmerzstörung<br />

•somatof. autonome Funktionsst.<br />

•Hypochondrische Störung<br />

•PTSD<br />

Interdisziplinäres Schmerzzentrum Erlangen<br />

Kontakt über Frau Gämlich: 8532558<br />

Akutschmerzdienst<br />

Schmerzambulanz<br />

Schmerztagesklinik<br />

Screeningtermine<br />

Gruppen<br />

Schwerpunkt =<br />

Schmerzbewältigung<br />

Auffrischtage/-woche<br />

• für chronische Schmerzpatienten 25 Tg VT<br />

• für Kopfschmerzpatienten 16 Tg VT<br />

• für Senioren 20 Tg VT<br />

• für Patienten mit somatoformen Störungen<br />

und Fibromyalgie 45 Tg TPs<br />

48


Schmerztherapie<br />

19<br />

Psychosomatische und Psychotherapeutische<br />

Abteilung der Universitätsklinik Erlangen<br />

Kontakt über Frau Jüriens 8534899<br />

Ambulante Gruppen: - Achtsamkeit<br />

-Schmerz<br />

Psychosomatische Tagesklink<br />

Psychosomatische Station<br />

21<br />

23<br />

Schwerpunkt =<br />

Psychische Problematik<br />

BINDUNGSTYPOLOGIE (NACH BOWLBY & AINSWORTH)<br />

BILD VOM<br />

ANDEREN<br />

STRESS<br />

Nickel & Egle in Vorb., n=135<br />

Psychosomatische Patientenpopulation<br />

positiv<br />

negativ<br />

Frühe Stresserfahrungen<br />

sicher<br />

vermeidend<br />

(Bindungsstörung, „childhood adversities“)<br />

führen zu einer eingeschränkten Funktion des<br />

Stressverarbeitungssystems mit<br />

lebenslang dysfunktionale Stressverarbeitung<br />

SELBSTBILD<br />

18% positiv negativ<br />

ambivalent<br />

ängstlich<br />

unsicher 82%<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

20<br />

22<br />

24<br />

BINDUNG<br />

Bindungstypologie<br />

Nach Bowlby u. Ainsworth<br />

BILD VOM<br />

ANDEREN<br />

positiv<br />

negativ<br />

sicher<br />

vermeidend<br />

FRÜHE STRESSERFAHRUNGEN<br />

Welche können heute für Langzeitfolgen als gesichert gelten?<br />

� emotionale Vernachlässigung (Unerwünschtheit)<br />

� berufl. Anspannung beider Eltern von klein auf<br />

� chronische familiäre Disharmonie/mit Gewalt<br />

� Altersabstand zu Geschwister < 18 Monate<br />

� häufig geschlagen/misshandelt<br />

� schwerer sexueller Missbrauch<br />

SELBSTBILD<br />

positiv negativ<br />

60 %<br />

� finanz. Situation kärglich/instabil,niedrige Schulbildung<br />

� Scheidung/Trennung der Eltern<br />

� Mutter körperlich krank/behindert<br />

� Mutter psychisch krank/Suchtproblem<br />

� Vater körperlich krank/behindert<br />

� Vater psychisch krank/Suchtproblem<br />

� Tod eines Elternteils<br />

SCHMERZ UND PSYCHE<br />

zentrale<br />

Schmerzverarbeitung<br />

Peripheres System<br />

ambivalent<br />

ängstlich<br />

Umschaltung 1. auf 2. Neuron<br />

unsicher 36%<br />

psychosoz. ? Psyche<br />

Stress<br />

49


Schmerztherapie<br />

25<br />

27<br />

SOMATOFORME SCHMERZSTÖRUNG<br />

PATHOGENETISCHES MODELL (Egle 1997)<br />

psych.<br />

psychosoziale<br />

Belastungen<br />

Gesundheitssystem<br />

"früher Stress"<br />

Beziehungs- und Selbstwertstörung<br />

unreife Konfliktbewältigungsstrategien<br />

Störung der Stressverarbeitung<br />

somatoforme<br />

Schmerzstörung<br />

Chronifizierung<br />

Familie Beruf soziales Umfeld Freizeitverhalten<br />

29<br />

Chronifizierungsfaktoren<br />

Protektive<br />

Faktoren<br />

Charakteristika der somatoformen Schmerzstörungen<br />

� hohe Schmerzintensität meist ohne freie Intervalle<br />

� affektive Schmerzbeschreibung (scheußlich, widerlich)<br />

� gleichzeitig oft geringe emotionale Beteiligung bei Beschwerdeschilderung<br />

� diffuse Lokalisation, v.a. Extremitäten<br />

Gesicht / Zähne<br />

Unterleib<br />

oder multilokulär<br />

� Beginn der Symptomatik oft vor dem 35. LJ<br />

� weiblich - männlich: 3:1<br />

� Häufigkeit im Patientenklientel einer Schmerzambulanz:<br />

30-50%<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

biol.<br />

26<br />

…. und nun?<br />

� Gerade für die Chronifizierung von<br />

Schmerzsyndromen ist sehr gut belegt, dass<br />

verschiedene psychosoziale Variablen entscheidend<br />

dafür sind, ob Schmerzen persistieren oder<br />

remittieren.<br />

� ….. die psychosozialen Interventionen sind in vielen<br />

Fällen die effektivsten Behandlungsoptionen.<br />

28<br />

30<br />

Ein akuter Schmerz hat Signalfunktion auf körperlicher<br />

Ebene.<br />

Ein chronischer Schmerz kann SIGNALFUNKTION<br />

auf<br />

psychischer Ebene (Kränkung, Verlust)<br />

oder auf sozialer Ebene (Beziehungsprobleme)<br />

haben.<br />

.<br />

Charakteristika der somatoformen Schmerzstörungen<br />

� Kein klarer klinischer Befund<br />

� somatische Krankheitsattribuierung<br />

� Vorgeschichte: Psychovegetative Symptome wie Bauchschmerzen<br />

Kloß- und Engegefühl<br />

Mundbrennen<br />

� Verleugnung psychosozialer Einflussfaktoren<br />

� ausgeprägte Abwehr von Affekten/ Emotionen<br />

� Aggression = Destruktion<br />

50


Schmerztherapie<br />

31<br />

33<br />

Charakteristika der somatoformen Schmerzstörungen<br />

� ausgeprägte Abhängigkeits- und Versorgungswünsche<br />

� unsicheres Bindungsverhalten<br />

� Anerkennung und Selbstwert über Leistung und Konformität<br />

� ständige Vertrauensfrage, auch gegenüber dem Therapeuten<br />

� hohe Kränkbarkeit und geringe Frustrationstoleranz<br />

Fibromyalgie ?<br />

Schmerzindex WPI +Symptomschwere (Wolfe 2010)<br />

WPI = Widespread pain index<br />

(nach anamnestischen Angaben) Punktzahl max 19<br />

SS = Symptom severity scale<br />

umfasst die 3 Bereiche:<br />

Schwächegefühl, wenig erholsamer Schlaf, kognitive<br />

Symptome und zusätzlich somatische Symptome<br />

Punktzahl max. je 3, also max. 12<br />

Der Patient erfüllt die diagnostischen Kriterien einer Fibromyalgie wenn:<br />

WPI mind. 7 (3-6) und SS mind. 5 (9)<br />

Die Symptome seit mindestens 3 Monaten bestehen<br />

Keine andere Krankheit die Symptome erklären würde<br />

Biopsychosoziales Modell des FMS<br />

vom Typ der somatoformen Schmerzstörung<br />

Prädisponierende Faktoren<br />

Auslösende Faktoren<br />

Chronifizierende Faktoren<br />

35<br />

• unsichere Bindung, emotionale Vernachlässigung<br />

• frühe Viktimisierung (childhood-adversities)<br />

biologisch: ängstlich, gehemmt<br />

körperliche Schwachstellen<br />

genetische Disposition?<br />

• lang anhaltender Alltagsstress, dessen Wegfall<br />

• belastende Lebensereignisse<br />

biologisch: Traumata<br />

Infektionen<br />

• ängstlich depressive Symptomverarbeitung<br />

• Katastrophisierung<br />

biologisch : Schonung<br />

Dekonditionierung<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

32<br />

Fibromyalgie ICD 10 M 79.0<br />

Chronisch generalisierte Schmerzen im Bereich von Muskeln,<br />

Bändern, Knochen (ACR-Kriterien)<br />

in allen 4 Körperquadranten und <strong>WS</strong><br />

mindestens 3 Monate bestehend<br />

Druckschmerz an 11 von 18 festgelegten Druckpunkten, sog.<br />

Tenderpoints ?<br />

fakultativ Zusatzbefunde wie Müdigkeit, Schlafstörungen,<br />

Parästhesien, andere psychovegetative Symptome<br />

große Schnittmenge mit der Diagnose<br />

Somatoforme Schmerzstörung<br />

ICD 10 F 45.40, F45.41<br />

Somatoform?<br />

-ICD-10-GM Version 2009 -<br />

F45.40 Anhaltende somatoforme Schmerzstörung<br />

� Die vorherrschende Beschwerde ist ein andauernder, schwerer und quälender Schmerz,<br />

der durch einen physiologischen Prozess oder eine körperliche Störung nicht<br />

hinreichend erklärt werden kann. Er tritt in Verbindung mit emotionalen Konflikten<br />

oder psychosozialen Belastungen auf, denen die Hauptrolle für Beginn, Schweregrad,<br />

Exazerbation oder Aufrechterhaltung der Schmerzen zukommt. Die Folge ist meist eine<br />

beträchtlich gesteigerte persönliche oder medizinische Hilfe und Unterstützung.<br />

F45.41 Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen<br />

Faktoren.<br />

� Im Vordergrund des klinischen Bildes stehen seit mindestens 6 Monaten bestehende<br />

Schmerzen in einer oder mehreren anatomischen Regionen, die ihren Ausgangspunkt in<br />

einem physiologischen Prozess oder einer körperlichen Störung haben.<br />

Psychischen Faktoren wird eine wichtige Rolle für Schweregrad, Exazerbation<br />

oder Aufrechterhaltung der Schmerzen beigemessen, jedoch nicht die<br />

ursächliche Rolle für deren Beginn. Der Schmerz verursacht in klinisch bedeutsamer<br />

Weise Leiden und Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen<br />

Funktionsbereichen. Der Schmerz wird nicht absichtlich erzeugt oder vorgetäuscht (wie<br />

bei der vorgetäuschten Störung oder Simulation).<br />

34<br />

36<br />

Somatisierung =<br />

Neigung, körperliche Beschwerden als<br />

Antwort auf psychosoziale<br />

Belastungsfaktoren zu erfahren und zu<br />

vermitteln, und medizinische Hilfe dafür in<br />

Anspruch zu nehmen<br />

Es findet eine Spaltung statt ( unbewusst ):<br />

•der Affekt wird dabei verdrängt ( z.B. Angst )<br />

•das ursprünglich gleichzeitige körperliche<br />

Erscheinungsbild ( z.B. Herzrasen, Schmerz, Schwitzen )<br />

rückt ins Zentrum<br />

51


Schmerztherapie<br />

37<br />

39<br />

41<br />

„REPSYCHISIERUNG“<br />

DER SOMATISIERUNG<br />

Verschiebung des Aufmerksamkeitsfokus<br />

von der Wahrnehmung körperlicher Beschwerden und<br />

ihrer Bewältigung<br />

auf das innere Erleben<br />

sowie auf psychische und soziale Belastungen und<br />

Konflikte<br />

Manualisierte Psychodynamisch - Interaktionelle<br />

Gruppentherapie bei somatoformen Schmerzstörungen<br />

D<br />

Info/<br />

Motiv<br />

40 Sitzungen<br />

Arbeit<br />

Transfer<br />

0 3 10 26 Wo<br />

Informations und Motivationsphase<br />

Abholen des Patienten bei seinem Krankheitsverständnis<br />

Schaffung einer hinreichenden Behandlungsmotivation<br />

dh. Ansprechen von Themen wie:<br />

Beeinträchtigung der Affektwahrnehmung<br />

„somatosensorische Amplifizierung“= erhöhte<br />

physiolog. Reaktionsbereitschaft, Fehlbewertung der<br />

Bedeutung dieser Prozesse<br />

biologische Vulnerabilität<br />

Bindung<br />

Chronifizierungsfaktoren<br />

Funktion der Symptoms ( ich will nicht –ich kann nicht )<br />

Bedeutung der Gruppe<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Tagesklinische Module<br />

bei Patienten mit somatoformer Schmerzstörung<br />

und Fibromylgie<br />

38<br />

40<br />

42<br />

Entspannung<br />

Hypnose<br />

tiefenpsychologischeGruppentherapie<br />

Inhalte der diagnostischen Vorphase<br />

medizinische<br />

Trainingstherapie<br />

ausführliche biographische Anamnese<br />

Fremdanamnese: Kennenlernen wichtiger<br />

Bezugspersonen, Verhalten des Patienten in der Paar-<br />

Familiensituation, Funktion des Symptoms.<br />

Erste Informationen zur Behandlung und Motivationsprüfung.<br />

Erarbeiten des psychodynamischen beziehungsorientierten<br />

Behandlungsfokus mit möglichen Lösungsversuchen in<br />

Gegenwart und Zukunft<br />

explizite Therapieziele<br />

Arbeitsphase<br />

Differenzierung von körperlichem Schmerz und Affekt<br />

Differenzierung zwischen erwünschtem und<br />

unerwünschtem Affekt<br />

Akzeptanz unerwünschter Affekte.<br />

Überprüfung bisheriger Beziehungserfahrungen:<br />

"Opfer-Rolle", Vorleistungen, hohe Anpassung an<br />

Erwartungen Anderer, Unterlegenheits- und<br />

Ohnmachtsgefühle<br />

52


Schmerztherapie<br />

43<br />

45<br />

47<br />

Arbeitsphase<br />

Entwicklung neuer Beziehungsmuster<br />

und reiferer Konfliktbewältigungsstrategien<br />

(z.B.Antizipation, Abgrenzung )<br />

Emotionales Wiedererleben und Ermöglichen<br />

korrigierender Beziehungserfahrungen in der Gruppe<br />

Etablieren einer veränderten Kommunikation:<br />

differenziertes emotionales Erleben statt diffuser<br />

körperlicher Beschwerden<br />

Transferphase<br />

Anwendung neu gewonnener Beziehungserfahrungen im<br />

Alltag<br />

Förderung des „Selbst-Expertentums“<br />

Themen wie Abschied<br />

Austausch !!!<br />

Bilanzierung<br />

Perspektiven<br />

Auffrischsitzungen<br />

Bilanz der Therapie:<br />

Erhöhung der gesundheitsbezogenen<br />

Lebensqualität auf der psychischen Ebene<br />

Veränderung der Schmerzbewertung<br />

mit privater, sozialer und beruflicher Auswirkung<br />

Bei relativ unveränderter Schmerzstärke<br />

ist die Reduktion der Schmerzmedikamente<br />

zu berücksichtigen<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

44<br />

46<br />

Nur<br />

was<br />

mit<br />

Emotionen<br />

gekoppelt<br />

ist<br />

hat<br />

Wirkung !<br />

take home message für Patienten<br />

Schmerz Stress<br />

48<br />

Psychometrie<br />

Beziehung<br />

Im Fragebogen der DGSS enthalten:<br />

• Schmerz-Empfindungs-Skala (Schmerzbeschreibung)<br />

• Pain Disability Index (Beeinträchtigung)<br />

• Allgemeine Depressions Skala (Komorbidität)<br />

• SF-36 (Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität)<br />

Zusätzlich eingesetzt:<br />

•Fragebogen zur Erfassug der Schmerz-Verarbeitung (Bewältigung)<br />

• FF-Stabs ( Fragebogen zur Motivationsprüfung)<br />

53


Schmerztherapie<br />

Änderung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität<br />

in den somatoformen Gruppen 2005 - 2009 (Completeranalyse)<br />

***p


Schmerztherapie<br />

Fragebogen zur Erfassung der Schmerzverarbeitung,<br />

Beeinträchtigung, Completer Analyse (n=34) 2005 - 2009<br />

MW, SD<br />

55<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

***p


Schmerztherapie<br />

Psychosomatischer „Kurzcheck“ Chronischer Schmerz<br />

Fragen an den Patienten (begleitend zur allgemeinen Anamnese):<br />

1. Leben ihre Eltern noch? Gesundheitliche Probleme? Alter? Ehe? Kontakt?<br />

2. Haben Sie Geschwister? (Gesundheitliche) Probleme?<br />

Geschwisterreihenfolge mit Alter? Kontakt?<br />

3. Wie sind sie mit Ihrer aktuellen Lebenssituation zufrieden (außer<br />

Gesundheit): Beruf, Familiensituation bzw. Partnerschaft, Kinder, Freunde,<br />

Freizeit?<br />

4. Schönstes bisher im Leben?<br />

5. Schlimmstes bisher im Leben?<br />

6. Wo stehen Sie innerhalb der erlebten Spannbreite jetzt?<br />

7. Wie reagieren/reagierten Sie bisher auf Stress körperlich und psychisch?<br />

8. Wie war die Lebenssituation zum Zeitpunkt des Schmerzbeginns, der<br />

Schmerzverstärkung?<br />

9. Was sind für Sie typische Sorgen auf der einen, typische Wünsche und<br />

Träume auf der anderen Seite?<br />

61<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Psychosomatischer „Kurzcheck“<br />

Fragen an den Therapeuten (am Ende des Erstgespräches)<br />

1. Habe ich ein Bild vom Leben des Patienten: Herkunftsfamilie, schulische<br />

berufliche und private/soziale Situation betreffend?<br />

2. Was hat der Patient für ein Bild von sich (Selbstwert) und von anderen<br />

(Beziehung)?<br />

3. Was hat der Schmerz für eine Funktion?<br />

4. Passten die Affekte des Patienten zum Inhalt des Gesagten?<br />

5. Empfinde ich diesen Patienten als überdurchschnittlich pessimistisch<br />

oder ängstlich?<br />

6. Habe ich Hinweise auf prädisponierende, auslösende oder<br />

chronifizierende Faktoren nach dem bio-psycho-sozialen Modell<br />

gefunden?<br />

7. Wenn ja, was braucht der Patient dann evtl. noch an Information, damit er<br />

versteht und akzeptiert, dass eine „andere“ (Be)-Handlung nun ansteht ?<br />

62<br />

56


<strong>Psychosomatik</strong> in der Gynäkologie<br />

<strong>Psychosomatik</strong><br />

<strong>Psychosomatik</strong> in der Gynäkologie<br />

Dr. Denise Heinke<br />

WiSe <strong>2012</strong>/2013<br />

Folien werden rechtzeitig zur Vorlesung<br />

auf StudON und der Internetseite der<br />

Psychosomatischen Abteilung<br />

veröffentlicht!<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

57


<strong>Psychosomatik</strong> in der HNO<br />

<strong>Psychosomatik</strong> in der<br />

HNO-Heilkunde<br />

Stephanie Geidies<br />

Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung<br />

Grundüberlegungen<br />

zur Verknüpfung der HNO-Heilkunde mit der <strong>Psychosomatik</strong><br />

� Verknüpfung von auf den HNO-Bereich projizierten<br />

Beschwerden mit negativem seelischem Erleben in<br />

Redewendungen:<br />

� „Ich bin sprachlos.“<br />

� „Ich kann das nicht mehr hören.“<br />

� „Ich hab den Hals voll.“<br />

� selber Wortstamm bei „Stimme“, „stimmig“ und<br />

„Stimmung“<br />

Aspekte der <strong>Psychosomatik</strong> in der HNO<br />

„klassisch“<br />

psychosomatisch<br />

somatische<br />

Disposition und<br />

psychischer<br />

Trigger<br />

nach © <strong>2012</strong> A. Martin<br />

Symptomatik<br />

psychische<br />

Störung<br />

als „Boden“,<br />

grundlegende<br />

Ursache oder<br />

Folge der HNO-<br />

Symptomatik<br />

Belastungsreaktion<br />

psychosoziale Folgen<br />

der HNO-Symptomatik<br />

Grundüberlegungen<br />

zur Verknüpfung der HNO-Heilkunde mit der <strong>Psychosomatik</strong><br />

� vielschichtiges Gebiet<br />

� klinisch oft überwiegender Fokus auf<br />

organbezogenem und ggf. operativem Vorgehen<br />

� v.a. bei Chronifizierung zunehmende Wichtigkeit der<br />

Integration von Körper-, Funktions- und<br />

Erlebensebene im Sinne eines bio-psycho-sozialen<br />

Krankheitsverständnisses<br />

� viele Symptome des HNO-Bereiches mit<br />

psychosozialen Komponenten<br />

Entwicklung der HNO-Heilkunde<br />

Von lebensbedrohlichen Krankheitsbildern wie<br />

otogenem Hirnabszess oder tonsillogener Sepsis …<br />

… zu Zivilisationserkrankungen und<br />

Kommunikationsstörungen wie Lärmschwerhörigkeit<br />

Beispiele<br />

körperliche<br />

Disposition x<br />

psych. Faktoren<br />

Tinnitus<br />

Morbus Menière<br />

funktionelle<br />

Stimmstörung<br />

schlafgebundener<br />

Laryngospasmus<br />

nach © <strong>2012</strong> A. Martin<br />

psychische Störung Belastungsreaktion<br />

somatoforme Störung<br />

Angststörung<br />

Hypochondrie<br />

artifizielle Störung<br />

Ticstörung (Räuspern)<br />

Mutismus<br />

KDS<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Anpassungsstörung<br />

bei Entstellungen z.B.<br />

durch Tumoren<br />

Trauma<br />

58


<strong>Psychosomatik</strong> in der HNO<br />

Sekundärsymptomatik<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin<br />

TINNITUS<br />

� Hörbeeinträchtigung<br />

� Sprachverstehen<br />

� Richtungshören<br />

� emotionale Belastung<br />

� depressive Verstimmung<br />

� Verzweiflung, Mutlosigkeit<br />

� kognitive Belastung<br />

� dysfunktionale Kognitionen<br />

� negative Lebenseinstellung<br />

� Konzentrationsprobleme<br />

� psychosoziale Belastung<br />

� Gefühl fehlender sozialer Unterstützung<br />

� Rückzug<br />

� körperliche Belastung<br />

� Schlafstörungen<br />

� Entspannungsschwierigkeiten<br />

Ursachen<br />

� für die …<br />

� … Auslösung des Tinnitus<br />

� Lärmtraumata, Hörminderung, Hörsturz<br />

� M. Menière<br />

� Funktionsstörungen der H<strong>WS</strong> und des Kiefers<br />

� … Wahrnehmung des Tinnitus als<br />

Beeinträchtigung<br />

� bio-psycho-soziale Interaktion?<br />

� fehlende Habituation?<br />

� emotionale Assoziation?<br />

� kortikale Reorganisation?<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin<br />

Tinnitus<br />

� Hörempfindung ohne Signal- oder Informationsgehalt<br />

� subjektiv vs. objektiv (dann besser „somatosounds“)<br />

� akut vs. chronisch (> 3 Monate)<br />

� kompensiert vs. dekompensiert (z.B. Sekundärsymptomatik)<br />

� Schweregradeinteilung nach Biesinger und Heiden (1998)<br />

1 = kompensiert 3 = dauernde Beeinträchtigung<br />

2 = in Stille und belastend bei Stress 4 = völlige Dekompensation<br />

Epidemiologische Daten<br />

� Prävalenz (Pilgramm et al., 1999 u.a.)<br />

� chronischer Tinnitus: ~ 4%<br />

� chronisch dekompensierter Tinnitus: ≤ 2,0%<br />

� Verlauf und Prognose<br />

� hohe Rate an Spontanremissionen bei akutem Tinnitus<br />

(40-70%) (Rubinstein et al., 1992)<br />

� gute Habituation an den Tinnitus nach 5-10 Jahren<br />

bei ca. 70% der Betroffenen mit chronischem Tinnitus<br />

(Bleich et al., 2001)<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin<br />

Ätiologische Modelle:<br />

biopsychosoziales Modell (Hiller & Goebel 2001)<br />

somatische Faktoren<br />

Schädigung der Cochlea<br />

oder des Hörnervs<br />

z.B. durch Lärmtraumata<br />

muskuläre<br />

Verspannung<br />

(H<strong>WS</strong>, Kiefer)<br />

akuter Tinnitus<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin<br />

psychische Faktoren<br />

z.B. bestehende<br />

psychische Erkrankung<br />

oder Grundhaltungen<br />

chronischer, dekompensierter<br />

Tinnitus<br />

� Aufmerksamkeitslenkung<br />

auf Tinnitus<br />

� Angst vor Krankheit<br />

� Schlaf- und<br />

Konzentrationsstörungen<br />

Umgebungsfaktoren<br />

z.B. starke private oder<br />

berufliche Belastungen,<br />

hoher Lärmpegel<br />

chronischer Tinnitus<br />

� depressive Reaktionen<br />

� psychosoziale Störungen<br />

� erfolglose Behandlungsversuche<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

59


<strong>Psychosomatik</strong> in der HNO<br />

Ätiologische Modelle:<br />

habituationstheoretisches Modell (Hallam 1984;Jastreboff et al.1996 etc)<br />

� Habituationsmodell (Hallam et al. 1984; Hallam 1987)<br />

� Tinnitushabituation = "normale" Reaktion<br />

� bei dekompensierten Patienten: ständige Fokussierung der<br />

Aufmerksamkeit auf das Ohrgeräusch<br />

� Faktoren, die die Habituation beeinträchtigen<br />

können:<br />

� individuelle Personen- und Stimuluscharakteristika<br />

(z.B. vorbestehende Ängstlichkeit bzw. deutlicher Hörverlust)<br />

� Wichtigkeit und negative Bewertung des Tinnitus<br />

� dysfunktionale Aufmerksamkeitsfokussierung<br />

� erhöhtes kortikales Erregungsniveau<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin<br />

Ätiologische Modelle:<br />

Modell der zyklisch-maladaptiven Prozesse (Stobik et al. 2005)<br />

Gesamtmorbidität<br />

(incl. Hypakusis)<br />

Dekompensation<br />

des Tinnitus<br />

Psychophysiologische<br />

Anspannung<br />

negatives Coping<br />

Tinnitusspezifische Diagnostik<br />

ICD-10 F54 psychologische und Verhaltensfaktoren bei andernorts klassifizierten Krankheiten<br />

� Tinnitusanamnese (Dauer, Art, zeitliche Veränderung)<br />

� medizinisch: Ausschluss anderer kausal zu behandelnder<br />

Ursachen (z.B. Tubenkatarrh oder Akustikusneurinom)<br />

� ätiologische Faktoren (Hörsturz, Funktionsstörungen, Lärmschaden)<br />

� psychologische Aspekte (emotionale, psychosoziale und berufliche Beeinträchtigung)<br />

� bisherige Therapieversuche<br />

� Messinstrumente<br />

� Tinnitus-Fragebogen (Goebel & Hiller 1998)<br />

� Strukturiertes Tinnitus-Interview (Hiller et al. 2000)<br />

� Tinnitustagebuch (z.B. Goebel 2003)<br />

nach © <strong>2012</strong> A. Martin<br />

Ätiologische Modelle:<br />

neurophysiologisches Modell (Jastreboff und Hazell 1993)<br />

3. Wahrnehmung und Evaluation<br />

(auditorischer Kortex und andere kortikale Zentren)<br />

2. Entdeckung des<br />

Tinnitus<br />

(Subkortex)<br />

1. Ursprung der<br />

Tinnitusgenerierung<br />

(z.B. Cochlea)<br />

Komorbidität<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin<br />

emotionale<br />

Assoziation<br />

(limbisches System)<br />

Belästigung durch<br />

den Tinnitus<br />

(autonomes NS)<br />

� komorbide psychische Störungen<br />

� affektive Störungen (bei 50 - 80%)<br />

� Angststörungen (ca. 30%)<br />

� Missbrauch oder Abhängigkeit von psychotropen<br />

Substanzen (bei ca. 20%)<br />

� komorbide physische Störungen<br />

� Hyperakusis (ca. 50%)<br />

� Schwindel (bis 10%)<br />

� Schwerhörigkeit (30-70%)<br />

Behandlung<br />

� Behandlungen werden ausgewählt nach<br />

� Dauer des Tinnitus<br />

� Schweregrad des Tinnitus bzw. der Beeinträchtigung<br />

� Vorliegen bzw. Art der komorbiden Störung<br />

� Setting<br />

� ambulant vs. stationär<br />

� Einzel vs. Gruppe<br />

� Ziel ist eine multimodale Therapie<br />

� Berücksichtigung der verschiedenen Problembereiche<br />

nach © <strong>2012</strong> A. Martin<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

60


<strong>Psychosomatik</strong> in der HNO<br />

Behandlungsmöglichkeiten (I)<br />

� medizinische Behandlungen<br />

� durchblutungsfördernde Infusionen<br />

→ Wirksamkeit nur im Akutstadium<br />

� hyperbare Sauerstofftherapie oder Akupunktur<br />

→ Wirksamkeit nicht eindeutig belegt<br />

� orthopädische Behandlung (H<strong>WS</strong> und Kiefer)<br />

→ Zusammenhang zwischen Tinnitus und Funktionsstörung meist nicht eindeutig<br />

nachweisbar<br />

→ Aufwand-Nutzen-Frage<br />

� Ziel: Remission des Tinnitus<br />

nach © <strong>2012</strong> A. Martin<br />

Behandlungsmöglichkeiten (III)<br />

� Tinnitus Retraining Therapie (TRT) (Delb et al. 2002)<br />

� apparative Versorgung (Hörgerät oder Noiser)<br />

� Geräuschtherapie: Exposition an Geräusche<br />

� psychologische Beratung/Counselling: Informationsvermittlung<br />

� Ziel: Habituation an den Tinnitus<br />

→ moderate Wirksamkeit<br />

� Besserung bei ~30% der Betroffenen<br />

� wirksam bei leichter bis mittlerer Tinnitusbelastung<br />

� Counselling führt bei ~11-40% der Patienten zur Besserung<br />

nach © <strong>2012</strong> A. Martin<br />

Behandlungsmöglichkeiten (V)<br />

� kognitiv-behaviorale Ansätze<br />

(z.B. Kröner-Herwig 1997, Martinez-Devesa et al. 2007)<br />

� klassisch verhaltenstherapeutische Strategien wie<br />

� Psychoedukation<br />

� kognitive Umstrukturierung<br />

� Copingstrategien<br />

� Abbau von Vermeidung<br />

� Wirksamkeit<br />

� deutliche Verbesserungen hinsichtlich Tinnitus-Belastung,<br />

Kontrollierbarkeit und Depressivität<br />

� geringe Veränderungen der Tinnituslautheit<br />

� teilweise hohe Dropout-Raten<br />

nach © <strong>2012</strong> A. Martin<br />

Behandlungsmöglichkeiten (II)<br />

� akustisch-apparative Versorgung<br />

� Anpassung eines Hörgerätes bei Hörminderung<br />

� Maskierung des Tinnitus durch Umgebungsgeräusche<br />

� sehr gute Wirksamkeit bei 80% der Patienten<br />

� Anpassung eines Tinnitusnoisers<br />

� Teilmaskierung durch künstliches Rauschgeräusch<br />

� Erfolg bei ca. 30% der Betroffenen<br />

� wenig Studien<br />

� Ziel: Aufmerksamkeit auf Tinnitus reduzieren<br />

nach © <strong>2012</strong> A. Martin<br />

Behandlungsmöglichkeiten (IV)<br />

� Entspannungsverfahren<br />

� Vermittlung von Strategien zur Verbesserung der<br />

Entspannungsfähigkeit<br />

� PMR oder Autogenes Training<br />

� Biofeedbackgestützte Entspannung<br />

� gute Wirksamkeit im Rahmen multimodaler Therapieansätze<br />

� als Monoverfahren nicht erfolgversprechend<br />

� Ziel: Verringerung des erhöhten psychophysiologischen<br />

Arousals und Verbesserung der<br />

Körperwahrnehmung<br />

nach © <strong>2012</strong> A. Martin<br />

Ziele der kognitiv-behavioralen Ansätze<br />

� "Coping not curing."<br />

� bessere Bewältigung statt "Heilung" oder Verschwinden des<br />

Tinnitus<br />

� Entwicklung von Bewältigungsstrategien<br />

� Gewöhnung an den Tinnitus<br />

� Verbesserung der Akzeptanz des Tinnitus<br />

� Steigerung der Lebensqualität<br />

� Tinnitus-Bewältigungs-Therapie<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

61


<strong>Psychosomatik</strong> in der HNO<br />

Wichtige Therapiebausteine der KVT<br />

1. Psychoedukation: Erarbeitung eines Störungsmodells<br />

nach © <strong>2012</strong> A. Martin<br />

Abbau von Ängsten und fehlerhaften Krankheitsmodellen<br />

2. Aufmerksamkeitslenkung auf andere Sinne oder “Hörtraining”<br />

3. kognitive Umstrukturierung<br />

4. Förderung der Entspannungsfähigkeit und<br />

Verbesserung der Körperwahrnehmung<br />

(z.B. durch Entspannungsverfahren, Achtsamkeit)<br />

5. Verringerung von Rückzug und Vermeidung<br />

6. Analyse funktionaler Beziehungen zum Tinnitus<br />

(Stichwort: sekundärer Krankheitsgewinn)<br />

Wichtigkeit der lautsprachlichen Kommunikation<br />

� Störungen im Bereich der lautsprachlichen<br />

Kommunikation (z.B. Stimmstörungen oder<br />

Schwerhörigkeit) können im Einzelfall die<br />

Integration des Individuums in sein Umfeld<br />

tiefgreifend beeinträchtigen<br />

� Entwicklung eines eigenständigen Fachgebietes der<br />

Phoniatrie und Pädaudiologie<br />

Schwindel<br />

� 30-50% der komplexen Schwindelsyndrome sind<br />

somatoforme Schwindelsyndrome.<br />

� Bei ca. 30% der ursprünglich organischen<br />

Schwindelsyndrome entwickelt sich ein sekundäres<br />

somatoformes Schwindelsyndrom.<br />

Zusammenfassung<br />

� viele unterschiedliche Behandlungsansätze<br />

� Infusion, Akupunktur, KVT, TRT, Biofeedback, Counselling etc.<br />

� sehr gute Evidenzbasierung für kognitiv-behaviorale<br />

Verfahren<br />

� gute und langfristig stabile Erfolge hinsichtlich der Verringerung<br />

der Tinnitusbelastung<br />

� Ziel der wirksamen Verfahren<br />

� Verbesserung der Copingstrategien<br />

� bessere Gewöhnung an den Tinnitus<br />

nach © <strong>2012</strong> A. Martin<br />

SCHWINDEL<br />

Wichtige organische Schwindelursachen<br />

� Neuritis vestibularis Dauerschwindel ohne spontane<br />

Drehschwindelattacken<br />

� benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel<br />

� M. Menière Trias mit Tinnitus und Schwerhörigkeit<br />

> 30 min Attacken<br />

� vestibuläre Migräne transiente Funktionsstörungen von<br />

Gleichgewicht und Gehör<br />

� auch: akute vestibuläre Störung, orthostatisch, TIA,<br />

kardial, etc.<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

62


<strong>Psychosomatik</strong> in der HNO<br />

Zugrunde liegende oder assoziierte psychische<br />

Störungsbilder bei Schwindel<br />

� Angst/Phobie Dauerschwindel, Nervosität, innere Anspannung<br />

� Panikstörung scheinbar aus heiterem Himmel,<br />

hypochondrische Ängste<br />

� Depression Schwindel häufig als „Auslöser“ der Depression<br />

� dissoziative Störung zur Lösung eines Konfliktgeschehens<br />

� somatoforme Störung Fixierung auf organische Ursache<br />

Positiv-Kriterien für somatoforme Genese<br />

Störungsmodell somatoformer Störungen Spezifische Diagnostik<br />

Behandlungsmöglichkeiten bei komplexen<br />

Schwindelsyndromen<br />

� organische Diagnostik und ggf. kausale Therapie<br />

� interdisziplinär und multimodal!!!<br />

� Psychoedukation<br />

� psychotherapeutische Verfahren (z.B. Expositionsübungen)<br />

� Entspannungsverfahren / Biofeedback<br />

� Physiotherapie<br />

� Mototherapie<br />

� ggf. Psychopharmakotherapie je nach<br />

zugrundeliegender Störung<br />

� subjektiv deutlicher Drehschwindel ohne gleichzeitige<br />

vestibuläre Zeichen<br />

� keine reproduzierbare Fallneigung<br />

� Diskrepanz zwischen subjektiven Beschwerden und<br />

klinisch-neurologischem Untersuchungsbefund<br />

� Besserung durch Alkohol oder zentral wirksame<br />

Substanzen<br />

� bestimmte Auslösereize, die nicht organisch begründbar<br />

sind<br />

� inadäqutes Vermeidungsverhalten im Hinblick auf<br />

tatsächliche Funktionseinbußen<br />

� Schwindelanamnese (Art, Dauer, Trigger, Begleitsymptome)<br />

� neurologische Untersuchung incl. EEG<br />

� HNO-ärztliche, augenärztliche und internistische<br />

Abklärung<br />

� ggf. Bildgebung<br />

� psychometrische Instrumente<br />

� Vertigo-Symptom-Skala (Eckhardt-Henn et al. 2008)<br />

� Vertigo-Handicap-Skala (Yardley et al. 2001)<br />

� AKV (Fragebogen zu körperbezogenen Ängsten, Kognitionen und<br />

Vermeidung) (Ehlers et al.)<br />

� ergänzend evtl.: SKID-Interview<br />

ANPASSUNGSSTÖRUNG<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

63


<strong>Psychosomatik</strong> in der HNO<br />

a<br />

d<br />

a<br />

p<br />

t<br />

i<br />

v<br />

Modell zur Entstehung von Anpassungsstörung am<br />

Beispiel der Deformität des Ohres (modifiziert n. Stangier 2002)<br />

Unsicherheit<br />

Kontrollverlust<br />

Gute Krankheitsanpassung<br />

Deformität des Ohres nach Unfall / Tumor<br />

Hörstörung sichtbare Deformität der Ohrmuschel<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin<br />

körperliches<br />

Unbehagen<br />

soziale<br />

Ablehnung<br />

Krankheitsbewältigung<br />

maladaptiv<br />

Angst vor soziale<br />

Krankheitsschub Ängste<br />

Anpassungsstörung<br />

unattraktives<br />

Aussehen<br />

negatives<br />

Körperbild<br />

Explorieren bei stigmatisierenden Symptomen<br />

(Verdacht auf Anpassungsstörung)<br />

� negatives Körperkonzept?<br />

� Belastungen durch Sichtbarkeit des Symptoms<br />

� Erleben von Attraktivitätsverlust<br />

� soziale Ängste?<br />

� Gefühl beobachtet oder angestarrt zu werden<br />

� ablehnende Reaktionen anderer auf Erscheinung<br />

� Vermeidung / sozialer Rückzug<br />

� problematische Situationen?<br />

� Beruf<br />

� Freizeit<br />

� Kontakte in Partnerschaft / Freundeskreis / Öffentlichkeit<br />

� Einschränkung der Lebensqualität?<br />

� berufliche / finanzielle / andere Nachteile oder Einschränkungen<br />

Therapie der Anpassungsstörung<br />

� Schwerpunkt bei erlebtem Kontrollverlust<br />

� Vermittlung von Informationen bezüglich Einflussfaktoren der<br />

Krankheit („Patientenschulung“, Psychoedukation)<br />

� Verbesserung der emotionalen Krankheitsbewältigung<br />

(z.B. Therapie depressiver Symptomatik)<br />

� Verbesserung der problembezogenen Bewältigungskompetenzen<br />

(z. B. soziales Kompetenztraining, Kommunikationstraining)<br />

� Schwerpunkt bei Entstellungserleben<br />

� Veränderung dysfunktionaler Überzeugungen bezüglich des<br />

Aussehens<br />

� Aufbau selbstsicheren Verhaltens (z. B. soziales<br />

Kompetenztraining, Kommunikationstraining)<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin<br />

ICD-10 F43.2 Anpassungsstörung<br />

� bei Vorliegen von klinisch bedeutsamen emotionalen oder<br />

verhaltensmäßigen Symptomen als Reaktion auf einen<br />

identifizierbaren Belastungsfaktor<br />

� zum Beispiel: chronische Krankheit oder Verlust eines Angehörigen<br />

� Symptomatik<br />

� depressive Symptome<br />

� Angstsymptome<br />

� Störung des Sozialverhaltens<br />

� Beginn: innerhalb eines Monats nach Belastungseintritt<br />

� Remission: innerhalb von sechs Monaten nach Belastungsende<br />

� prolongierter Verlauf kann bei chronischen Belastungen<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin<br />

Bedingungsanalyse bei Entstellungserleben<br />

© <strong>2012</strong> A. Martin<br />

S<br />

sichtbares Symptom<br />

Entstellung<br />

O<br />

Bedeutung (Überbewertung)<br />

des Aussehens<br />

R<br />

Erwartung von Abwertung<br />

Angst<br />

Rückzug, Vermeidung<br />

C<br />

Entlastung (kurzfristig)<br />

negatives Selbst-/<br />

Körperkonzept<br />

Depression, Isolation<br />

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

64


Impulskontrollstörungen<br />

<strong>Psychosomatik</strong><br />

Impulskontrollstörungen<br />

Dr. Barbara Gruß<br />

F63.0 Pathologisches Glücksspiel<br />

F63.2 Pathologisches Stehlen F63.3 Trichotillomanie<br />

F63.8 Sonstige abnorme<br />

Gewohnheiten und Störungen<br />

der Impulskontrolle<br />

Impulskontrollstörungen<br />

F63.1 Pathologische Brandstiftung<br />

F63.9 Abnorme Gewohnheiten<br />

und Störungen der Impulskontrolle,<br />

nicht näher bezeichnet<br />

u.a. Pathologisches Kaufen,<br />

Pathologischer PC-/Internetgebrauch,<br />

Exzessives Sporttreiben, Dermatillomanie<br />

Diagnose<br />

ICD-10 (Internationale Klassifikation psychischer Störungen)<br />

Abnorme Gewohnheiten & Störungen der Impulskontrolle<br />

� … sind durch wiederholte Handlungen ohne vernünftige<br />

Motivation gekennzeichnet, die nicht kontrolliert werden<br />

können und die meist die Interessen des betroffenen Patienten<br />

oder anderer Menschen schädigen. Der betroffene Patient<br />

berichtet von impulshaftem Verhalten.<br />

� Die Ursachen dieser Störungen sind unklar, sie sind wegen<br />

deskriptiver Ähnlichkeiten gemeinsam aufgeführt, nicht weil sie<br />

andere wichtige Merkmale teilen.<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Impulskontrollstörungen<br />

Überblick – Diagnostik – Differenzierung<br />

Historisches<br />

� Kraepelin (1896):<br />

„impulsives Irresein” = Sammelbegriff für Krankheitsbilder<br />

mit unbezähmbarem Impuls, der bei Ausführung<br />

Befriedigung und Erleichterung verspricht<br />

� Janet (1906):<br />

unwiderstehlicher Handlungsdrang zur Manipulation der<br />

Befindlichkeit bei innerer Leere und Hilflosigkeit<br />

� Chronifizierung<br />

� Jaspers (1913):<br />

ungehemmte, unhemmbare, unkontrollierte Triebregungen<br />

Diagnose<br />

ICD-10 (Internationale Klassifikation psychischer Störungen)<br />

F63.0 Pathologisches Glücksspiel<br />

F63.2 Pathologisches Stehlen F63.3 Trichotillomanie<br />

F63.8 Sonstige abnorme<br />

Gewohnheiten und Störungen<br />

der Impulskontrolle<br />

Abnorme Gewohnheiten &<br />

Störungen der Impulskontrolle<br />

F63.1 Pathologische Brandstiftung<br />

F63.9 Abnorme Gewohnheiten<br />

und Störungen der Impulskontrolle,<br />

nicht näher bezeichnet<br />

u.a. Pathologisches Kaufen,<br />

Pathologischer PC-/Internetgebrauch,<br />

Exzessives Sporttreiben, Dermatillomanie<br />

65


Impulskontrollstörungen<br />

Diagnose<br />

DSM-IV (Diagnostic & Statistical Manual of Mental Disorders)<br />

Störungen der Impulskontrolle nicht andernorts klassifiziert<br />

� Versagen, einem Impuls, einem Trieb oder einer Versuchung<br />

zu widerstehen, eine Handlung auszuführen, die schädlich für<br />

die Person selbst oder andere ist.<br />

� Ansteigendes Gefühl von Spannung oder Erregung vor der<br />

Handlung.<br />

� Erleben von Vergnügen, Befriedigung, Entspannung während<br />

der Handlung.<br />

� Nach der Handlung können Reue, Schuldgefühle, Selbstvorwürfe<br />

auftreten.<br />

Diagnose<br />

Kontroverse Diskussion der Zuordnung<br />

Impulskontrollstörung als<br />

eigenständiges<br />

Störungsbild?<br />

vs.<br />

Unterform anderer Störungsbilder?<br />

� Suchterkrankung (z.B. pathologisches<br />

Spielen als nicht stoffgebundene Sucht)<br />

� Zwangsstörung<br />

� Affektive Störung<br />

Komorbidität<br />

Prävalenz von IKS bei anderen psychische Störungen<br />

ALKOHOL-<br />

ABHÄNGIG-<br />

KEIT 1<br />

N=79<br />

DEPRESSION 2<br />

N=107<br />

ZWÄNGE 3<br />

N=293<br />

1 Lejoyeux et al. 99; 2 Lejoyeux et al., 02; 3 Grant et al., 06; 4 Grant et al., 05 ; 5 Mueller et al., 113<br />

PSYCHIATRISCHE<br />

ERKRANKUNGEN<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

N=204 4<br />

(USA)<br />

N=234 5<br />

(D)<br />

N (%) N (%) N (%) N (%) N (%)<br />

Mindestens 1 IKS* 30 (38.0) 31 (28.9) 34 (11.6) 63 (30.9) 44 (18.8)<br />

Intermittierende Explosive<br />

Störung<br />

19 (24.0) 18 (16.8) n/a n/a 13 (6.4) 8 (3.4)<br />

Kleptomanie 3 (3.8) 4 (3.7) 1 (1.0) 16 (7.8) -<br />

Pyromanie 0 (0) 3 (2.8) 0 (0) 7 (3.4) -<br />

Pathologisches Spielen 7 (8.9) 3 (2.8) 1 (0.3) 14 (6.9) 4 (1.7)<br />

Trichotillomanie 1 (1.3) 3 (2.8) 3 (1.0) 7 (3.4) 2 (0.9)<br />

Pathologisches Kaufen n/a 19 (9.3) 14 (6.0)<br />

Nonparaphiles zwanghaftes<br />

Sexualverhalten<br />

n/a 9 (4.4) 4 (1.7)<br />

Pathologisches Skin Picking n/a 23 (7.8) n/a 16 (6.8)<br />

Pathologischer<br />

Internetgebrauch<br />

n/a 7 (3.9)<br />

Diagnose<br />

DSM-IV (Diagnostic & Statistical Manual of Mental Disorders)<br />

Pathological Gambling<br />

Intermittent Explosive Disorder<br />

Pyromania<br />

Kleptomania<br />

Trichotillomania<br />

DSM-5<br />

DSM-5<br />

Addiction and Related Disorders<br />

(Behavioral Addictions)<br />

www.dsm5.org<br />

Anxiety or Obsessive-<br />

Compulsive and<br />

Related Disorders<br />

Diagnose<br />

Impulskontrollstörung (IKS) als Symptom bei<br />

� Missbrauch von Alkohol/ anderen psychotropen<br />

Substanzen<br />

� Störungen des Essverhaltens (z.B. Bulimie)<br />

� Störungen der Sexualpräferenz (z.B. Fetischismus,<br />

Exhibitionismus)<br />

� Persönlichkeitsstörungen (z.B. Emotional instabile<br />

Persönlichkeitsstörung)<br />

� Eigenständige Diagnose einer Impulskontrollstörung<br />

nur, wenn das Verhalten nicht durch die komorbide<br />

psychische Störung erklärbar ist!<br />

Komorbidität<br />

Prävalenz von IKS bei anderen psychische Störungen<br />

� Depression, Angststörungen, Zwangsstörungen,<br />

Substanzabhängigkeit, Essstörungen, ADHS<br />

� Achtung!<br />

Komorbide IKS wird von den Patienten oft<br />

bagatellisiert oder aus Peinlichkeit verschwiegen<br />

und von den Behandlern häufig nicht diagnostiziert.<br />

66


Impulskontrollstörungen<br />

Komorbidität<br />

Prävalenz von IKS bei anderen psychische Störungen<br />

� IKS bei stationären psychiatrischen Patienten<br />

(USA; n=204; Grant et al., Am J Psychiatry, 2005)<br />

Bei 31% waren die diagnostischen Kriterien für<br />

eine IKS erfüllt<br />

Nur bei 1,5% wurde IKS auch im klinischen Setting diagnostiziert.<br />

Hintergrund<br />

Impulskontrollstörungen (IKS) – „konzeptuelle Klammer“<br />

� Sozial inakzeptable Verhaltensweisen<br />

� z.B. Pyromanie, Kleptomanie<br />

� Entgleistes normales Verhalten � Verhaltensexzess<br />

� z.B. Pathologisches Spielen, Pathologisches Kaufen,<br />

Pathologischer PC-/Internetgebrauch<br />

Hintergrund<br />

Äthiopathogenese<br />

� Impulsivität = “Acting without thinking” (Barrett, 1993)<br />

� Urgency (Dringlichkeit, Druck)<br />

� Handeln ohne Vorsatz<br />

� Mangelnde Berücksichtigung langfristiger Konsequenzen<br />

zugunsten von “Instant-Befriedigung”<br />

� Sensation-Seeking (Sensationslüsternd)<br />

(Whitesyde & Lynam, 2001)<br />

� Impulsivität als Persönlichkeitsmerkmal/-dimension<br />

(Eysenck & Eysenck, 1977; Costa & McCrae, 1990)<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Komorbidität<br />

Prävalenz von IKS bei anderen psychische Störungen<br />

� IKS bei stationären psychiatrischen Patienten<br />

(D; n=234; Mueller et al., Psychiatry Res, 2011)<br />

Bei 19% waren die diagnostischen Kriterien für<br />

eine IKS erfüllt<br />

Nur bei 3,8% wurde IKS auch im klinischen Setting diagnostiziert.<br />

Hintergrund<br />

Spannung<br />

Erregung<br />

Unruhe<br />

IMPULSHANDLUNG<br />

VORHER WÄHREND NACHHER<br />

Hintergrund<br />

Äthiopathogenese<br />

Vergnügen<br />

Befriedigung<br />

Entspannung<br />

Antrieb Hemmung<br />

Reue<br />

Schuldgefühle<br />

Selbstvorwürfe<br />

Handlungsimpulse<br />

Gestörte Impulskontrolle<br />

Impulsivität = Disposition zu<br />

schnellen Reaktionen, Risikofreudigkeit,<br />

“acting without thinking”, Unfähigkeit zur<br />

Planung (Barratt, 1991)<br />

Defizite in Exekutivfunktionen<br />

Direkte Umsetzung von Impulsen in Handlungen<br />

Dysbalance im serotonergen oder im Opiatsystem. Physiologische<br />

Korrelate im mesolimbischen, dopaminergen Belohnungssystem.<br />

Herpertz & Saß, Nervenarzt 1997; Moeller et al., Am J Psychiatry 2001; Reuter et al., Nat Neurosci 2005; Brewer &<br />

Potenza, Biochem Pharmacology 2008; van Holst et al., Neurosci Biobehav Rev 2010; Raab et al., 2010<br />

67


Impulskontrollstörungen<br />

Hintergrund<br />

Äthiopathogenese<br />

� Unterscheidung von zwei biologisch begründeten<br />

Verhaltenssystemen (Gray, 1975; Gray et al., 1983)<br />

Behavioral-Inhibation-System<br />

hemmt Verhalten und ermöglicht<br />

Reflexion bei drohendem Versagen<br />

oder potentieller Bestrafung<br />

� Bei Impulskontrollstörungen: Tonisch erhöhte Aktivität des<br />

BAS-Systems/ erniedrigte Aktivität des BIS-Systems (Gray, 1991;<br />

Bijttebier et al., 2009)<br />

Hintergrund<br />

Äthiopathogenese<br />

Pathologisches Glücksspiel<br />

Varianten<br />

Casino<br />

Sportwetten<br />

Online-Casinos<br />

Geldautomaten<br />

Poker<br />

Online-Wetten<br />

Behavioral-Activation-System<br />

Fördert Verhalten bei Belohnungsreizen<br />

oder drohender Bestrafung<br />

Börse<br />

Karten<br />

Würfel<br />

Lotto<br />

Online-Pokerrooms<br />

Hintergrund<br />

Äthiopathogenese<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

� Enger Zusammenhang mit Belohnungssystem<br />

� Beispiel: Parkinson-Patienten unter dopaminerger<br />

Therapie<br />

„dopaminerge dysregulation syndrom“<br />

Entwicklung eines<br />

süchtigen Musters<br />

mit steigenden Dosen<br />

+<br />

F63.0 Pathologisches Glücksspiel<br />

Stereotype Gedanken und<br />

Verhaltensweisen:<br />

z.B. sinnloses Sortieren, Sammeln<br />

von Gegenständen, pathologisches<br />

Spielen, Hypersexualität, dranghaftes<br />

Einkaufen und Essen<br />

(O’Sullivan et al., 2009)<br />

F63.2 Pathologisches Stehlen F63.3 Trichotillomanie<br />

F63.8 Sonstige abnorme<br />

Gewohnheiten und Störungen<br />

der Impulskontrolle<br />

Impulskontrollstörungen<br />

Pathologisches Glücksspiel<br />

F63.1 Pathologische Brandstiftung<br />

F63.9 Abnorme Gewohnheiten<br />

und Störungen der Impulskontrolle,<br />

nicht näher bezeichnet<br />

u.a. Pathologisches Kaufen,<br />

Pathologischer PC-/Internetgebrauch,<br />

Exzessives Sporttreiben, Dermatillomanie<br />

ICD-10 F63.0<br />

� Wiederholtes, episodenhaftes Glücksspiel<br />

� Glücksspiel beherrscht die Lebensführung und führt zum<br />

Verfall der sozialen, beruflichen, materiellen und<br />

familiären Werte und Verpflichtungen<br />

� Hauptmerkmal: Anhaltendes Glücksspiel trotz negativer<br />

Konsequenzen (z.B. Verarmung, familiäre Zerrüttung)<br />

68


Impulskontrollstörungen<br />

Pathologisches Glücksspiel<br />

ICD-10 F63.0<br />

Differentialdiagnose:<br />

� Exzessives Spielen manischer Patienten<br />

� Spielen bei dissozialer Persönlichkeitsstörung<br />

� Gewohnheitsmäßiges Spielen und Wetten (� in der Regel<br />

Einschränkung bei erheblichen Verlusten und/oder<br />

negativen Auswirkungen)<br />

Häufigkeit<br />

� Prävalenz: 0,6%; m>w<br />

Pathologisches Glücksspiel<br />

Verlauf: 3 Phasen<br />

Einstiegsphase – positives Anfangsstadium<br />

Im Vordergrund stehen die Gewinne sowie erregende,<br />

euphorisierende und selbstwertsteigernde Effekte<br />

Kritische Gewöhnungsphase<br />

Chasing im Vordergrund, Spielintensität steigt,<br />

Lügen werden wegen finanzieller Verluste notwendig,<br />

Toleranzentwicklung, Abstinenzphasen noch möglich<br />

Suchtstadium<br />

Kontroll- und Abstinenzverlust, Schuld- und Panikgefühle,<br />

kognitive Verzerrungen, irrationale Annahmen,<br />

Beschaffungsdelinquenz, Persönlichkeitsveränderung,<br />

sozialer Abstieg, Suizidgefahr<br />

Custer R (1987) The diagnosis and scope of pathological gambling.<br />

In: Galski T (ed) The handbook of pathological gambling, Springfields: Thomas, 3-7<br />

Pathologisches Glücksspiel<br />

Verlauf<br />

Spielabhängigkeit<br />

= operant erlerntes<br />

Fehlverhalten<br />

Integration in<br />

Subgruppen<br />

Soziale<br />

Ausgrenzung<br />

Schuld- und<br />

Schamgefühle<br />

Psychosoziale<br />

Belastungen,<br />

persönliche<br />

Krisen<br />

Flucht durch<br />

Glücksspiel<br />

= intermittierende,<br />

negative Verstärkung<br />

Pathologisches Glücksspiel<br />

CCCC-Fragebogen (Petry, 1996)<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Cannot quit, Chasing, Craving, Consequences<br />

1. Ich kann mit dem Glücksspielen erst aufhören, wenn ich kein Geld mehr<br />

habe!<br />

� Richtig � Falsch<br />

2. Verlieren ist eine persönliche Niederlage, die ich wettmachen möchte!<br />

� Richtig � Falsch<br />

3. Ich denke oft an das Glücksspielen und verspüre einen inneren<br />

Spieldrang!<br />

� Richtig � Falsch<br />

4. Zur Geldbeschaffung habe ich schon andere Menschen belogen und<br />

betrogen.<br />

� Richtig � Falsch<br />

Pathologisches Glücksspiel<br />

Verlauf<br />

Anfangsphase<br />

6 Jahre<br />

Suchtstadium<br />

Pathologisches Glücksspiel<br />

Häufige Folgen<br />

Zeit<br />

� Persönlichkeitsveränderungen<br />

� Sozialer Abstieg (u.a. Jobverlust,<br />

Verschuldung)<br />

� Beschaffungsdelinquenz<br />

� Suizidalität<br />

Grant & Kim, 2001<br />

Symptomverlauf<br />

69


Impulskontrollstörungen<br />

F63.0 Pathologisches Glücksspiel<br />

F63.2 Pathologisches Stehlen F63.3 Trichotillomanie<br />

F63.8 Sonstige abnorme<br />

Gewohnheiten und Störungen<br />

der Impulskontrolle<br />

Impulskontrollstörungen<br />

F63.1 Pathologische Brandstiftung<br />

F63.9 Abnorme Gewohnheiten<br />

und Störungen der Impulskontrolle,<br />

nicht näher bezeichnet<br />

u.a. Pathologisches Kaufen,<br />

Pathologischer PC-/Internetgebrauch,<br />

Exzessives Sporttreiben, Dermatillomanie<br />

Pathologische Brandstiftung<br />

(Pyromanie)<br />

ICD-10 F63.1 - Differentialdiagnose<br />

� Vorsätzliche Brandstiftung (mit Motiv � Rache,<br />

Sabotage, Versicherungsbetrug)<br />

� Brandstiftung bei dissozialer Persönlichkeitsstörung<br />

� Brandstiftung bei Jugendlichen (� Störung des<br />

Sozialverhaltens)<br />

� Brandstiftung bei Psychose, Intoxikation, organischbedingter<br />

psychiatrischer Störung<br />

F63.0 Pathologisches Glücksspiel<br />

F63.2 Pathologisches Stehlen F63.3 Trichotillomanie<br />

F63.8 Sonstige abnorme<br />

Gewohnheiten und Störungen<br />

der Impulskontrolle<br />

Impulskontrollstörungen<br />

F63.1 Pathologische Brandstiftung<br />

F63.9 Abnorme Gewohnheiten<br />

und Störungen der Impulskontrolle,<br />

nicht näher bezeichnet<br />

u.a. Pathologisches Kaufen,<br />

Pathologischer PC-/Internetgebrauch,<br />

Exzessives Sporttreiben, Dermatillomanie<br />

Pathologische Brandstiftung<br />

(Pyromanie)<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

ICD-10 F63.1<br />

� Häufige scheinbar unmotivierte tatsächliche oder<br />

versuchte Brandstiftung an Gebäuden/ anderen Objekten<br />

� Anhaltende Beschäftigung mit Feuer und Brand (z.T.<br />

auch übermäßiges Interesse für Themen mit Bezug zu<br />

Feuer, z.B. Löschfahrzeuge, Gegenstände zur<br />

Brandbekämpfung � alarmieren Feuerwehr)<br />

� Wachsende innere Spannung vor der Handlung und<br />

starke Erregung sofort nach ihrer Ausführung<br />

Pathologische Brandstiftung<br />

(Pyromanie)<br />

Häufigkeit & Verlauf<br />

� selten (bisher in erster Linie Einzelfallschilderungen)<br />

� m>w<br />

� Krankheitsbeginn: Kindheit oder Adoleszenz<br />

� Verlauf: episodisch oder chronisch<br />

Pathologisches Stehlen<br />

(Kleptomanie)<br />

ICD-10 F63.2<br />

(Virkunen et al., 1989)<br />

Photo: Andreas Frücht<br />

Quelle nw-news.de<br />

� Häufiges Nachgeben gegenüber Impulsen, Dinge zu<br />

stehlen, die nicht dem persönlichen Gebrauch oder der<br />

Bereicherung dienen.<br />

� Die Gegenstände werden häufig weggeworfen,<br />

weggegeben oder gehortet.<br />

� Der Diebstahl erfolgt allein; zwischen den Diebstählen<br />

können Angst, Scham- u Schuldgefühle auftreten.<br />

� Wachsende innere Spannung vor der Handlung, Gefühl<br />

von Befriedigung während und sofort nach der Tat.<br />

70


Impulskontrollstörungen<br />

Pathologisches Stehlen<br />

(Kleptomanie)<br />

ICD-10 F63.2 - Differentialdiagnose<br />

Photo: Andreas Frücht<br />

Quelle nw-news.de<br />

� Wiederholter Ladendiebstahl ohne deutliche psychische<br />

Störung (sorgfältiger geplant, ein persönlicher Nutzen ist<br />

offensichtlich)<br />

� Organische psychische Störung<br />

� Mutproben<br />

Häufigkeit und Verlauf<br />

� Ladendiebstahl ist häufig; pathologisches Stehlen macht<br />

nur einen geringen Anteil aus (m<br />

Trichotillomanie<br />

ICD-10 F63.3<br />

� Übermächtige Impulse Haare auszureißen<br />

� Sichtbarer Haarverlust<br />

� Meist Spannung vorab, Entspannung/Genuss beim<br />

Ausreißen oder direkt danach<br />

DD<br />

� Psychose<br />

� Dermatologische Erkrankung<br />

F63.0 Pathologisches Glücksspiel<br />

F63.2 Pathologisches Stehlen<br />

F63.8 Sonstige abnorme<br />

Gewohnheiten und Störungen<br />

der Impulskontrolle<br />

Impulskontrollstörungen<br />

F63.1 Pathologische Brandstiftung<br />

F63.3 Trichotillomanie<br />

F63.9 Abnorme Gewohnheiten<br />

und Störungen der Impulskontrolle,<br />

nicht näher bezeichnet<br />

u.a. Pathologisches Kaufen,<br />

Pathologischer PC-/Internetgebrauch,<br />

Exzessives Sporttreiben, Dermatillomanie<br />

F63.0 Pathologisches Glücksspiel<br />

F63.2 Pathologisches Stehlen<br />

F63.8 Sonstige abnorme<br />

Gewohnheiten und Störungen<br />

der Impulskontrolle<br />

Trichotillomanie<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Impulskontrollstörungen<br />

F63.1 Pathologische Brandstiftung<br />

F63.3 Trichotillomanie<br />

F63.9 Abnorme Gewohnheiten<br />

und Störungen der Impulskontrolle,<br />

nicht näher bezeichnet<br />

u.a. Pathologisches Kaufen,<br />

Pathologischer PC-/Internetgebrauch,<br />

Exzessives Sporttreiben, Dermatillomanie<br />

� Typisch: Kopfhaare, aber auch Haare anderer<br />

Körperregionen (Augenbrauen, -lider, Bart, Achseln)<br />

� Lebenszeitprävalenz bei Erwachsenen: m 1,6%, w 3,5%<br />

(Cristenson et al. 1991)<br />

� Kahle Stellen bei schweren Fällen � Kopfbedeckung,<br />

Schamgefühle, zunehmende Vermeidung sozialer<br />

Kontakte<br />

Sonstige abnorme Gewohnheiten<br />

und Störungen der Impulskontrolle<br />

� Störung mit intermittierend auftretender Reizbarkeit<br />

(ICD-10)<br />

� Intermittierend explosible Störung (DSM-IV)<br />

� Spontaner Kontrollverlust über aggressive Impulse in<br />

umschriebenen Episoden<br />

� Ausmaß der gezeigten Aggressivität steht in keinem Verhältnis<br />

zu den Anlässen<br />

� Reue, Schamgefühl und Selbstvorwürfe danach = auch ein<br />

Indikator zur Abgrenzung ggü. spontaner Gewalt infolge von<br />

Provokationen (z.B. bei Personen mit dissozialer<br />

Persönlichkeitsstörung)<br />

71


Impulskontrollstörungen<br />

F63.0 Pathologisches Glücksspiel<br />

F63.2 Pathologisches Stehlen<br />

F63.8 Sonstige abnorme<br />

Gewohnheiten und Störungen<br />

der Impulskontrolle<br />

Impulskontrollstörungen<br />

Pathologisches Kaufen<br />

Überblick<br />

F63.1 Pathologische Brandstiftung<br />

F63.3 Trichotillomanie<br />

F63.9 Abnorme Gewohnheiten<br />

und Störungen der Impulskontrolle,<br />

nicht näher bezeichnet<br />

u.a. Pathologisches Kaufen,<br />

Pathologischer PC-/Internetgebrauch,<br />

Exzessives Sporttreiben, Dermatillomanie<br />

Konsum vom Bedarf gelöst<br />

Finanzielle, soziale, berufliche, juristische Probleme<br />

Leidensdruck Keine Manie<br />

Pathologisches Kaufen<br />

Häufigkeit<br />

Land Test Stichprobe Geschätzte Prävalenz<br />

[%]<br />

CBS N=2513 5.8<br />

SKSK N=1454 Neue BL: 1<br />

Alte BL: 5<br />

SKSK N=1017 Neue BL: 6<br />

Alte BL: 8<br />

SKSK N=1000 5.6<br />

SKSK N=705 5<br />

CBS-G N=2350 6.9 Neue BL: 4<br />

Alte BL: 8<br />

McElroy et al.,<br />

J Clin Psychiatry 1994<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Quelle<br />

Koran et al. 2006<br />

Neuner et al. 1992<br />

Scherhorn et al. 1996<br />

Neuner et al. 1998<br />

Neuner et al. 2005<br />

Arbeiterkammer Wien 2004<br />

Maag 2004<br />

Mueller et al. 2010<br />

Abnorme Gewohnheiten und Störungen<br />

der Impulskontrolle, nicht näher bezeichnet<br />

ICD-10 F63.9<br />

� Pathologisches Kaufen<br />

� Pathologischer PC-/Internetgebrauch<br />

� Exzessives Sporttreiben<br />

� Dermatillomanie<br />

� Exzessives non-paraphiles Sexualverhalten<br />

Pathologisches Kaufen<br />

Erhebung: Allgemeine Fragen<br />

� Wie viel Zeit verbringen Sie mit Einkaufen?<br />

� Hatten Sie jemals das Gefühl, die Kontrolle über Ihr<br />

Kaufverhalten verloren zu haben?<br />

� Hat Ihr Kaufverhalten jemals zu Problemen geführt?<br />

� Hat sich schon mal jemand darüber beschwert, dass Sie<br />

zu lange oder zu viel eingekauft haben?<br />

� Kam es jemals zu finanziellen Problemen infolge Ihres<br />

Kaufverhaltens?<br />

Pathologisches Kaufen<br />

Häufigkeit<br />

Patienten mit Pathologischem Kaufen (n=171)<br />

� Lebenszeitprävalenz<br />

� Fast 90% hatten mindestens noch eine andere frühere oder<br />

aktuelle psychische Störung; zumeist Depression (74%)<br />

oder Angststörung (57%)<br />

� Derzeitige Prävalenz<br />

� 50% hatten mindestens noch eine weitere aktuelle<br />

psychische Störung, meistens eine Angststörung (40%)<br />

Mueller, Mitchell et al., Psychiatry Research 2010; 178: 348-353<br />

72


Impulskontrollstörungen<br />

Pathologischer PC-/Internetgebrauch<br />

Überblick<br />

� Exzessive Internetnutzung<br />

� Kontrollverlust<br />

� Immenser die Gedanken bestimmender Drang zur<br />

Aufrechterhaltung der persönlichen Internetnutzung<br />

trotz negativer Konsequenzen und hohem Leidensdruck<br />

� Sozialer Rückzug<br />

� Leistungseinbußen<br />

� Abmahnungen<br />

� Soziale, familiäre, finanzielle Probleme<br />

� Verschiebung Schlaf-Wach-Rhythmus<br />

Pathologischer PC-/Internetgebrauch<br />

Online-Rollenspiele<br />

MMORPG<br />

Massive Multiplayer Online Role Play Games<br />

Charakter eines Spielers wird durch die investierte<br />

Zeit immer stärker!<br />

� Intensiv spielen wird belohnt<br />

Pathologischer PC-/Internetgebrauch<br />

Hintergrund<br />

+<br />

- Selbstwirksamkeitserwartung +<br />

Ablehnung durch<br />

Peer-Group<br />

Schulängstlichkeit<br />

Soziale Phobie<br />

Neg. soziale<br />

Lernerfahrungen<br />

Anerkennung durch<br />

Gilde<br />

Virtueller Sozialstatus<br />

Positive (frühe)<br />

Lernerfahrungen<br />

mit Computerspielen<br />

Soziale Inhibition Geringes Leistungsmotiv<br />

Neurotizismus Introversion Boredom Susceptibility<br />

Dispositionelle Vulnerabilitätsfaktoren<br />

Exzessives<br />

Computerspielen<br />

Mediales<br />

Coping<br />

Wölfling & Müller (2009).<br />

Computerspielsucht.<br />

In Batthyany, Pritz (Hrg)<br />

Rausch ohne Drogen.<br />

Wien: Springer, S.301<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Pathologischer PC-/Internetgebrauch<br />

Überblick & Häufigkeit<br />

� Gaming<br />

� Chatting<br />

� Surfing<br />

� Recherchieren<br />

� Online-Shopping<br />

� Online-Sex<br />

� Prävalenz 1-5%<br />

� m:w = 9:1<br />

Fachverband Medienabhängigkeit e.V., 2007;<br />

Wölfling & Müller, Bundesgesundheitsbl 2010<br />

Pathologischer PC-/Internetgebrauch<br />

Klassifikation?<br />

� Nicht näher bezeichnete<br />

Impulskontrollstörung?<br />

� Zwangsspektrumsstörung?<br />

� Sonstige näher bezeichnete<br />

Persönlichkeits- und Verhaltensstörung?<br />

Exzessives Sporttreiben<br />

Überblick<br />

� Extreme sportliche Betätigung<br />

� Toleranzentwicklung, Entzugssymptome<br />

� Intentionalität: wahrgenommener Zwang<br />

� Kontrollverlust: Erfolglose Versuche, sportliche<br />

Betätigung zu reduzieren<br />

� Konflikte: Vernachlässigung sozialer, beruflicher<br />

Aktivitäten; Sport zur Ablenkung von Konflikten<br />

� Kontinuität: Sport trotz persistierender physischer<br />

(Krankheit, Verletzung) und psychischer Beschwerden<br />

Bamber et al., 2003; Hausenblas & Symons Downs, 2002; Veale, 1987, 1995<br />

73


Impulskontrollstörungen<br />

Exzessives Sporttreiben<br />

Erhebung: Sportsucht-Skala 21<br />

� Beantworten Sie bitte die folgenden Fragen so ehrlich<br />

wie möglich. Die Fragen beziehen sich auf Ihre<br />

gegenwärtigen Ansichten und Verhaltensweisen<br />

bezüglich körperlicher Aktivitäten, die Sie in den<br />

vergangenen drei Monaten unternommen haben.<br />

Tragen Sie bitte Ihre Antwort nach jeder Aussage an<br />

der dafür vorgesehenen Stelle ein.<br />

1<br />

Nie<br />

2 3 4 5<br />

Exercise Dependence Scale-21<br />

(Hausenblas & Symons Down, 2002; dt. Mueller et al., <strong>2012</strong>)<br />

Exzessives Sporttreiben<br />

Erhebung: Sportsucht-Skala 21<br />

6<br />

Immer<br />

11. Es gelingt mir nicht, die Häufigkeit meiner sportlichen Aktivitäten zu<br />

reduzieren.<br />

12. Ich denke an Sport, wenn ich mich eigentlich auf die Schule/Arbeit<br />

konzentrieren sollte.<br />

13. Ich verbringe den größten Teil meiner Freizeit mit Sport.<br />

14. Ich treibe länger Sport als erwartet.<br />

15. Ich treibe Sport, um Spannungsgefühle zu vermeiden.<br />

16. Ich bin trotz anhaltender körperlicher Beschwerden sportlich aktiv.<br />

17. Ich verlängere ständig die Dauer meiner sportlichen Aktivitäten, um die<br />

gewünschten Effekte/Vorteile zu erzielen.<br />

18. Es gelingt mir nicht, die Intensität meiner sportlichen Aktivitäten zu<br />

verringern.<br />

19. Ich entscheide mich dafür, Sport zu treiben, damit ich keine Zeit mit der<br />

Familie/mit Freunden verbringen muss.<br />

20. Ich verbringe den Großteil meiner Zeit mit Sport.<br />

21. Ich treibe länger Sport als geplant.<br />

Exzessives Sporttreiben<br />

Auftreten<br />

Begleitphänomen anderer<br />

Störungen, v.a. Essstörungen<br />

primär<br />

sekundär<br />

Bamber et al., 2003; Hausenblas & Symons Downs, 2002; Veale, 1987, 1995<br />

Exzessives Sporttreiben<br />

Erhebung: Sportsucht-Skala 21<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

1. Ich treibe Sport, weil ich das Gefühl der Gereiztheit vermeiden möchte.<br />

2. Ich treibe Sport, obwohl ich immer wieder körperliche Beschwerden<br />

habe.<br />

3. Meine sportlichen Aktivitäten werden immer intensiver, damit ich die<br />

gewünschten Effekte/Vorteile erziele.<br />

4. Es gelingt mir nicht, die Dauer meiner sportlichen Aktivitäten zu<br />

verkürzen.<br />

5. Ich treibe lieber Sport, als Zeit mit meiner Familie/meinen Freunden zu<br />

verbringen.<br />

6. Ich verbringe viel Zeit mit Sport.<br />

7. Ich treibe länger Sport als ich mir vorgenommen habe.<br />

8. Ich treibe Sport, um Angstgefühle zu vermeiden.<br />

9. Ich treibe Sport, wenn ich Verletzungen habe.<br />

10. Ich treibe immer häufiger Sport, um die gewünschten Effekte/Vorteile zu<br />

erzielen.<br />

Exzessives Sporttreiben<br />

Häufigkeit<br />

Prävalenzschätzungen – At risk for exercise dependence<br />

� Repräsentative deutsche Bevölkerungsstichprobe<br />

(n=1611): 3,5%<br />

� Besucher von Fitnessstudios (n=129): 12,4%<br />

� Sportstudenten (n=129): 16,5%<br />

� Medizinstudenten (n=85): 1,6%<br />

(Mueller et al., <strong>2012</strong>)<br />

Dermatillomanie<br />

Überblick<br />

Skin-Picking<br />

� Dauerndes Kratzen, Quetschen, Zupfen an vermeintlichen<br />

Hautunreinheiten, was zu Hautschädigungen führt<br />

� Spannungsbogen<br />

� Hautmanipulation nicht bedingt durch Substanzkonsum,<br />

dermatologische Erkrankung, Psychose<br />

74


Impulskontrollstörungen<br />

Impulskontrollstörungen<br />

Therapie<br />

Psychopharmaka<br />

Opiatantagonisten<br />

� Wirksamkeit von Opiatantagonisten wurde in<br />

kontrollierten Studien bei pathologischem Spielen 1,2<br />

und Kleptomanie 3 nachgewiesen.<br />

� Die Aussagekraft dieser Ergebnisse wird durch geringe<br />

Fallzahlen, hohe Drop-out-Raten und Placeboraten bis<br />

zu 34% limitiert.<br />

1 Grant et al., J Clin Psychiatry, 2008<br />

2 Grant et al., Am J Psychiatry, 2006<br />

3 Grant et al., Biol Psychiatry, 2009<br />

Psychotherapie<br />

Kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen<br />

Hohe<br />

Impulsivität<br />

↕<br />

Versagen der<br />

Selbstkontrolle<br />

Quelle: Müller et al. (2008)<br />

Motivierende Gesprächsführung<br />

Erlernen von<br />

Stimuluskontrolle<br />

Aufbau von<br />

Alternativverhalten<br />

Kognitive<br />

Umstrukturierung<br />

Motivierende Gesprächsführung<br />

Vermeiden<br />

negativer<br />

Befindlichkeit<br />

↕<br />

Aufrechterhaltung<br />

durch<br />

negative<br />

Verstärkung<br />

Psychopharmaka<br />

SSRIs<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

� Wirksamkeitsstudien haben sehr uneinheitliche<br />

Ergebnisse erbracht.<br />

� Nicht in allen Studien konnte eine Überlegenheit des<br />

SSRI gegenüber Placebo nachgewiesen werden.<br />

Ho et al., J Psychopharmacol, 1998<br />

Brewer & Potenza, Biochemical Pharmacology, 2008;<br />

Coccaro et al., J Clin Psychiatry, 2009;<br />

Grant et al., CNS Spect, 2006;<br />

Hollander et al., J Gambl Stud, 2005;<br />

Kozian & Otto , Psychiat Prax, 2003;<br />

Leung & Cottler, Curr Opin Psychiatry, 2009;<br />

Ravindran et al., Can J Psychiatry, 2009;<br />

Grant et al., J Clin Psychiatry, 2007;<br />

Walsh & McDougle, Expert Opin Pharmacother, 2005<br />

Psychotherapie<br />

Voraussetzungen<br />

� Problemwahrnehmung<br />

� Änderungsbereitschaft<br />

Psychotherapie<br />

Kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen<br />

Typische Bausteine<br />

• Problemwahrnehmung und Aufbau von Änderungsmotivation,<br />

Zielklärung<br />

• Psychoedukation, Vermittlung eines Krankheits- und<br />

Behandlungskonzeptes<br />

• Anleitung zur Selbstbeobachtung, Protokollieren von auslösenden<br />

Situationen und begleitenden Emotionen und Kognitionen<br />

(Verhaltensanalysen)<br />

• Erlernen von Techniken der Stimuluskontrolle<br />

• Aufbau bzw. Ausweitung von Alternativverhalten<br />

• Kognitive Interventionen zur Modifikation dysfunktionaler Gedanken und<br />

verzerrter Informationswahrnehmung<br />

• Expositionstraining<br />

• Training zur Verbesserung der Stressbewältigung und des<br />

Problemlöseverhaltens, Vermittlung von Copingstrategien zum Umgang<br />

mit negativen Befindlichkeiten<br />

75


Impulskontrollstörungen<br />

Psychotherapie<br />

Kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen<br />

Verhaltensanalyse<br />

Auslöser/Reize<br />

soziale<br />

emotionale<br />

gedankliche<br />

körperliche<br />

Reaktionen<br />

Gedanken<br />

Gefühle<br />

Verhalten<br />

Folgen<br />

soziale<br />

emotionale<br />

gedankliche<br />

körperliche<br />

Quelle: Müller et al. (2008)<br />

Psychotherapie<br />

Spezifische Interventionen je nach Krankheitsbild<br />

Habit Reverseal Training = Gewohnheitsumkehr<br />

� Andere, der Gewohnheit entgegenwirkende,<br />

Verhaltensweisen werden erlernt<br />

� Vorgehen<br />

� Erlernen adäquater Selbstwahrnehmung<br />

� Aufbau bzw. Stärkung der Veränderungsmotivation<br />

� Einübung einer „competing response“ = motorische<br />

Gegenantwort<br />

� Verhaltensgewohnheit wird durch das Ausführen anderer<br />

Verhaltensweisen unterdrückt<br />

Psychotherapie<br />

Wirksamkeitsnachweise<br />

� Für pathologisches Spielen 1-3 und pathologisches Kaufen 4<br />

� noch keine Langzeitkatamnesen<br />

� Operationalisierung von Remissionsraten schwierig<br />

1 Leung & Cottler, Curr Opin Psychiatry, 2009;<br />

2 Ravindran et al., Can J Psychiatry, 2009;<br />

3 Petry et al., J Consult Clin Psychol, 2006;<br />

4 Mueller et al., J Clin Psychiatry, 2008<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Psychotherapie<br />

Spezifische Interventionen je nach Krankheitsbild<br />

� Geld- und Schuldenmanagement bei pathologischem<br />

Glücksspiel und pathologischem Kaufen<br />

� Materielle Einstellungen bei pathologischem Kaufen<br />

� Berücksichtigung strafrechtlicher Probleme bei<br />

pathologischem Glücksspiel, Kleptomanie, pathologischem<br />

Kaufen<br />

� Unterstützung bei Reintegration in familiäres und berufliches<br />

Umfeld<br />

� Habit Reversal Training zur Unterbrechung von<br />

Verhaltensketten bei Kleptomanie, Trichotillomanie und<br />

pathologischem Skin Picking<br />

Psychotherapie<br />

Spezifische Interventionen je nach Krankheitsbild<br />

Habit Reverseal Training = Gewohnheitsumkehr<br />

� Beispiel Trichotillomanie<br />

� Keine Berührung des Kopfes!<br />

� Competing Response:<br />

Hand zur Faust ballen oder ein Objekt (z.B. Handschmeichler) für<br />

ca. 3 Minuten festhalten<br />

� Vorbeugung/ Pflege:<br />

� Haaredrehen � Kämmen, Glätten, Frisieren<br />

� Auszupfen der Augenbrauen � beruhigende Creme,<br />

Augenbrauenstift zur optischen Korrektur<br />

� Evtl. Handschuhe tragen<br />

Psychotherapie<br />

Am Beispiel der Kaufsucht (Quelle: Müller et al. 2008)<br />

Fokus?<br />

Kaufabstinenz<br />

Angemessenes Kaufverhalten<br />

76


Impulskontrollstörungen<br />

Beispiel – Kaufprotokoll<br />

Psychotherapie<br />

Am Beispiel der Kaufsucht (Quelle: Müller et al. 2008)<br />

Therapieziele<br />

� Unterbrechen des pathologischen Kaufverhaltens und<br />

Reduktion der Kaufattacken,<br />

� erkennen und Modifzieren von dysfunktionalen Gedanken<br />

und negativen Gefühlen, die das pathologische<br />

Kaufverhalten bedingen,<br />

� etablieren von angemessenen, gesunden<br />

Konsummustern.<br />

Psychotherapie<br />

Am Beispiel der Kaufsucht (Quelle: Müller et al. 2008)<br />

Datum<br />

Uhrzeit<br />

Ware/n<br />

(einschl. TV und<br />

online-shopping)<br />

€ Gedanken Gefühle<br />

05.12. 16:00 Schuhe für Sohn 100,- Ganz schön teuer für<br />

Kinderschuhe, aber er braucht sie.<br />

08.12. 15:00 Kosmetik und ein<br />

Brotkasten<br />

100,- Die Kosmetik ist nötig. Der<br />

Brotkasten hat mir schon seit<br />

langem gefallen und war<br />

supergünstig.<br />

09.12. 18:00 2 Schlafanzüge 90,- Schnäppchen. Wollte ich schon<br />

lange haben. Brauche ich.<br />

10.12. 16:00 4 Paar Schuhe 250,- Wollte ich schon lange haben. Sind<br />

sehr schick und preisgünstig, da<br />

kann ich 4 Paar kaufen.<br />

11.12. 14:00 2 Jeans für mich<br />

2 Jeans für Tochter<br />

1 Mantel für mich<br />

1 Parfüm<br />

170,-<br />

160,-<br />

700,-<br />

50,-<br />

Kann mich nicht entscheiden,<br />

welche Jeans ich nehmen soll. Der<br />

Mantel ist so schön. Ich liebe<br />

diesen Duft.<br />

12.12. 22:00 Jacke (online) 440,- Muss ich haben! Kann ich mir<br />

eigentlich nicht leisten.<br />

Psychotherapie<br />

Am Beispiel der Kaufsucht (Quelle: Müller et al. 2008)<br />

Gutes Gefühl, bin stolz.<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

?<br />

Freude<br />

Zuerst schönes Gefühl,<br />

dann mulmig, genervt.<br />

Bin aufgeregt, ein<br />

bisschen hektisch,<br />

freue mich, bin aber<br />

auch ängstlich, wenn<br />

ich an meine Schulden<br />

denke.<br />

Freude, später total<br />

schlechtes Gewissen<br />

Aufbau von Änderungsmotivation<br />

z.B. Thematisieren von Vor- und Nachteilen einer Normalisierung<br />

des Kaufverhaltens:<br />

Vorteile<br />

Nachteile<br />

� Das Geld reicht nicht, obwohl � Jetzt fühle ich mich frei.<br />

ich gut verdiene.<br />

Dieses Freiheitsgefühl werde<br />

� Es droht eine Anzeige wegen ich verlieren.<br />

Betrugs.<br />

� Wie soll ich mir denn sonst<br />

� Ich lüge die anderen an<br />

etwas Gutes tun?<br />

wegen der Einkäufe.<br />

� Wenn ich nicht mehr<br />

� Mein Mann und ich streiten shoppen gehe, wird mir<br />

ständig wegen des fehlenden langweilig sein.<br />

Geldes.<br />

� Die Verkäuferin wird nicht<br />

mehr so nett zu mir sein.<br />

Psychotherapie<br />

Am Beispiel der Kaufsucht (Quelle: Müller et al. 2008)<br />

Selbstbeobachtungsprotokolle<br />

Ziel/Funktion der Kaufprotokolle:<br />

� Verhalten, Gefühle und Gedanken werden bewusster und<br />

sichtbarer<br />

� Dem Symptom wird sein automatischer Charakter genommen<br />

� = Grundlage für das funktionale Bedingungsmodell und gibt<br />

Anhaltspunkte für therapeutische Interventionen<br />

� Förderung der aktiven Mitarbeit und Übernahme von<br />

Selbstverantwortung<br />

� Distanzierung vom Symptom: Methode der Selbstkontrolle<br />

� Erfolgskontrolle und Strukturaufbau<br />

Psychotherapie<br />

Am Beispiel der Kaufsucht (Quelle: Müller et al. 2008)<br />

Selbstbeobachtung<br />

� Im Therapieverlauf: Unterscheidung zwischen<br />

angemessenen und nicht angemessenen Käufen<br />

� Neigung zum Rationalisieren, Bagatellisieren und<br />

Rechtfertigen der Einkäufe<br />

� Vorteil eines Gruppentherapeutischen Settings:<br />

Wirksame gegenseitige Konfrontation<br />

Psychotherapie<br />

Am Beispiel der Kaufsucht (Quelle: Müller et al. 2008)<br />

Verhaltensanalysen<br />

Auslöser/Reize<br />

soziale<br />

emotionale<br />

gedankliche<br />

körperliche<br />

Reaktionen<br />

Gedanken<br />

Gefühle<br />

Verhalten<br />

Folgen<br />

soziale<br />

emotionale<br />

gedankliche<br />

körperliche<br />

77


Impulskontrollstörungen<br />

Beispiel – Kognitive Umstrukturierung<br />

Psychotherapie<br />

Am Beispiel der Kaufsucht (Quelle: Müller et al. 2008)<br />

Verhaltensanalysen – Beispiel<br />

Auslöser<br />

Erledige Einkäufe.<br />

Bin nach einem Streit<br />

mit meinem Partner in<br />

mieser Laune.<br />

Fühle mich abgelehnt.<br />

Sehe das Kosmetikgeschäft<br />

und denke,<br />

dass ich da etwas<br />

gebraucht könnte.<br />

Pathologisches<br />

Kaufverhalten<br />

Was tue ich?<br />

Kaufe viel mehr Kosmetik<br />

ein, als ich benötige; unterhalte<br />

mich mit Verkäuferin.<br />

Was denke ich?<br />

Ich sehe schön damit aus.<br />

Die werden mit morgen auf<br />

der Arbeit bewundern.<br />

Was fühle ich?<br />

Bin aufgeregt, etwas<br />

angespannt und gereizt,<br />

immer noch etwas traurig.<br />

Psychotherapie<br />

Am Beispiel der Kaufsucht (Quelle: Müller et al. 2008)<br />

Folgen<br />

Positiv<br />

Vergesse den Streit. Fühle<br />

mich super. Bekomme<br />

Komplimente von der<br />

Verkäuferin.<br />

Negativ<br />

Schäme mich, dass ich so<br />

viel Geld ausgegeben<br />

habe für unnötigen Kram.<br />

Kriege Angst wegen<br />

meiner Schulden. Fühle<br />

mich als Versagerin<br />

Stimuluskontrolle & Aufbau von Alternativverhalten<br />

Typische Kaufzeiten in der<br />

kommenden Woche<br />

Freitag ab 16:00 Uhr<br />

(Wenn ich die Arbeitswoche<br />

geschafft habe.)<br />

Beispiel: Planung alternativer Aktivitäten<br />

Alternativverhalten, das Sie<br />

umsetzen wollen:<br />

Treffe mich mit einer Freundin<br />

zum Kaffee. Werde sie Anfang der<br />

Woche anrufen und mich mit ihr<br />

verabreden. Überlege mir vorher,<br />

in welches Café wir gehen.<br />

Vielleicht können wir vorher noch<br />

etwas spazieren gehen.<br />

Psychotherapie<br />

Am Beispiel der Kaufsucht (Quelle: Müller et al. 2008)<br />

Auslöser Reaktionen Folgen<br />

Einladung<br />

zu einer<br />

Geburtstagsfeier<br />

Was denke ich?<br />

Da werden nur<br />

Akademiker da sein.<br />

Ich muss<br />

wenigstens gut<br />

aussehen. Ich<br />

brauche unbedingt<br />

was Neues zum<br />

Anziehen.<br />

Was fühle ich?<br />

Unsicherheit, etwas<br />

ängstlich, schäme<br />

mich.<br />

Was tue ich?<br />

Kaufe mir ein<br />

komplett neues<br />

Outfit.<br />

Alternative<br />

Gedanken:<br />

Bin genauso schlau wie<br />

die. Hab lauter schicke<br />

Klamotten, in denen ich<br />

gut aussehe. Brauche<br />

nichts Neues.<br />

Alternative<br />

Gefühle:<br />

Innerlich noch etwas<br />

unsicher, aber ruhig.<br />

Alternatives<br />

Verhalten:<br />

Ziehe etwas Passendes<br />

aus meinem Schrank an.<br />

Kurzfristig:<br />

Froh über diese<br />

Idee. Freude,<br />

dass ich einen<br />

Anlass habe, mir<br />

was Neues zu<br />

kaufen.<br />

Langfristig:<br />

Schon wieder<br />

versagt!<br />

Kreditkarte schon<br />

wieder überzogen.<br />

Ärgere<br />

mich über mich<br />

selbst, bin<br />

verzweifelt.<br />

Alternative<br />

Folgen<br />

Kurzfristig:<br />

Gedanke: Schade,<br />

dass ich mir jetzt<br />

nichts Neues<br />

kaufen kann.<br />

Nachdenken über<br />

Einladung lässt<br />

nach.<br />

Langfristig:<br />

Stolz, es geschafft<br />

zu haben.<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Psychotherapie<br />

Am Beispiel der Kaufsucht (Quelle: Müller et al. 2008)<br />

Stimuluskontrolle & Aufbau von Alternativverhalten<br />

� = Methode der Selbststeuerung<br />

� Auslösereize für Kaufattacken werden systematisch<br />

reduziert; parallel wird „normales“ Kaufverhalten<br />

systematisch ausgebaut und belohnt.<br />

� Vermeidung von Situationen die Kaufattacken auslösen<br />

� Reaktionsverzögerung beim Einkauf (z.B. 2 min � 5 min � 1 Tag)<br />

� Auf- oder Ausbau alternativer Verhaltensweisen (z.B. Aktivitäten)<br />

� Belohnung für erwünschtes Verhalten (unmittelbar z.B. mental:<br />

„Eigenlob“; belohnende Aktivität z.B. Kinobesuch)<br />

Psychotherapie<br />

Am Beispiel der Kaufsucht (Quelle: Müller et al. 2008)<br />

Kognitive Umstrukturierung<br />

� Um sich eigene dysfunktionale Einstellungen und Bewertungen<br />

bewusst zu machen, zu hinterfragen und durch zielführendere<br />

Kognitionen zu ersetzen.<br />

Psychotherapie<br />

Am Beispiel der Kaufsucht (Quelle: Müller et al. 2008)<br />

Expositionsübungen im Therapieverlauf<br />

� Konfrontation mit Situationen, die gewöhnlich eine<br />

Kaufattacke auslösen (z.B. Betreten eines<br />

Kleidungsgeschäftes)<br />

� Exposition und Reaktionsverhinderung (Kaufdrang nicht<br />

nachgeben!)<br />

� Wichtig: Gute Vorbereitung; zu Beginn wenn möglich<br />

begleitetes Vorgehen<br />

78


Impulskontrollstörungen<br />

Psychotherapie<br />

Am Beispiel der Kaufsucht (Quelle: Müller et al. 2008)<br />

Geldmanagement<br />

� Bei Defiziten im Umgang mit Geld und irrationalen<br />

Konsummustern<br />

� Bedeutung von Geldkarten bei der Aufrechterhaltung des<br />

pathologischen Kaufverhaltens (diese begünstigen<br />

Kontrollverluste beim Einkaufen)<br />

� Vorgehen: Übung Pro – Contra Abgabe bzw. Zerschneidung<br />

der EC-Karte; Empfehlungen für gelungenes Geldmanagement<br />

(z.B. 2 Wochen lang jeden ausgegebenen Euro und jeden Cent<br />

notieren, jeden Monat Festbetrag sparen); Überlegungen zu<br />

einem angemessenen Kaufverhalten (z.B. prompte<br />

Begleichung aller Rechnungen)<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

79


Essstörungen<br />

<strong>Psychosomatik</strong><br />

Essstörungen<br />

Dr.phil. Holmer Graap<br />

WiSe <strong>2012</strong>/2013<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

Krankheitsverlauf der Essstörungen<br />

Fairburn u. Harrison, Lancet 2003; 361:407-416<br />

Anorexia nervosa (DSM IV)<br />

Untergruppen:<br />

„Restriktiver Typ“:<br />

Keine Essanfälle, kein Erbrechen, kein Kontrollverlust,<br />

kein Missbrauch von Abführmitteln bzw. Diuretika.<br />

„Bulimischer Typ“:<br />

regelmäßige Essanfälle oder Erbrechen oder Missbrauch<br />

von Abführmitteln bzw. Diuretika.<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

Klassifikation der Essstörungen (DSM IV)<br />

restriktiv<br />

bulimisch<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

Essstörungen<br />

Anorexia nervosa Bulimia nervosa Essstör. NNB<br />

NNB = nicht näher bezeichnet<br />

“purging”<br />

“non-purging”<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Binge Eating<br />

Störung<br />

subsyndromale<br />

AN, BN<br />

Anorexia nervosa (ICD 10: F 50.0)<br />

� Gewichtsverlust oder fehlende Gewichtszunahme.<br />

� BMI von 17,5 kg/m 2 oder weniger.<br />

� Der Gewichtsverlust ist selbst herbeigeführt durch<br />

Vermeidung von “fettmachenden” Speisen.<br />

� Selbstwahrnehmung als “zu fett” verbunden mit einer sich<br />

aufdrängenden Furcht, zu dick zu werden. Die Betroffenen<br />

legen für sich selbst eine sehr niedrige Gewichtsschwelle fest.<br />

� Amenorrhoe bei Frauen, Interesseverlust an Sexualität und<br />

Potenzverlust bei Männern.<br />

� Wachstumshemmung bei Beginn der Erkrankung vor der<br />

Pubertät.<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

Verhaltensweisen bei Anorexie<br />

� Weite Kleidung, mehrere Schichten<br />

� Findet Entschuldigungen für Nicht-Essen<br />

� Ständige körperliche Betätigung (körperliche Hyperaktivität)<br />

� Vermeiden von Situationen, die mit Essen verbunden sind.<br />

� Häufiges Wiegen<br />

� Kocht für andere, ohne selbst zu essen<br />

� Sammelt Rezepte, liest Kochbücher, sieht Koch-Shows<br />

� Herumstochern im Essen u. a. ungewöhnliche Essens-Rituale<br />

� Essen “verschwinden lassen”<br />

� Ständiges Kaugummi-Kauen, Light-Getränke in großen Mengen<br />

� Horten von Nahrungsmitteln.<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

80


Essstörungen<br />

Körperschemastörung<br />

-Diagnostik -<br />

� „Body checking“<br />

� Spiegel<br />

� Schaufenster<br />

� Umfänge messen<br />

� Wiegen<br />

� Vergleichen<br />

� Körperpflege<br />

� Kleidung<br />

� Rückversicherung<br />

� Körperbezogene<br />

Aktivitäten<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap © 2011 M.de Zwaan<br />

Körperliche Folgen der Anorexia<br />

� Kältegefühl, Zyanose der Hände<br />

� Dünnerwerden der Haare, Haarverlust<br />

� Trockene Haut, brüchige Nägel<br />

� Gelbfärbung der Haut<br />

� Lanugo-Behaarung<br />

� Völlegefühl/Magenschmerzen nach dem Essen<br />

(selbst bei kleinen Mahlzeiten)<br />

� Darmträgheit, Obstipation<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

Knochendichte bei Anorexia nervosa<br />

� Osteopenie<br />

� frühzeitig<br />

� bei 54%<br />

� Erhöhtes Risiko für Osteoporose<br />

� bei 21%<br />

� Kein Hinweis, dass Hormonersatztherapie hilfreich ist!!<br />

� Kein Hinweis, dass Biphosphonate hilfreich sind.<br />

� Aber auch kein Hinweis, dass Ca-Vit.D3 hilfreich ist.<br />

� Normalisierung von Essverhalten und Gewicht!<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

Somatische<br />

Aspekte<br />

Körperliche Folgen der Anorexia<br />

ERBRECHEN, LAXANTIEN<br />

� Hypokaliämie<br />

� Herzrhythmusstörungen<br />

� Muskelschwäche<br />

� Nierenversagen<br />

� Hypochlorämie, -natriämie<br />

� Metabolische Alkalose/Acidose<br />

� Knöchelödeme, periorbitale<br />

Ödeme (morgens)<br />

� Hyperamylasämie<br />

� Dehydratation mit Schwindel und<br />

Synkopen<br />

� Schleimhautschädigungen im<br />

Ösophagus, Magen, Colon<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

Bulimia Nervosa<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

UNTERGEWICHT/-ERNÄHRUNG<br />

� Low-T3-Syndrom � Hypercholesterinämie<br />

� Panzytopenie<br />

� Hypoglykämie<br />

� Hypothermie<br />

� Hypotonie<br />

� Bradykardie<br />

� Polyurie<br />

� verminderte Knochendichte<br />

� Zerebrale (“Pseudo”)Atrophie<br />

� Epileptische Anfälle<br />

� Die Selbstbewertung wird übermäßig stark von Gewicht<br />

und Figur abhängig gemacht.<br />

� Wiederholte Essanfälle<br />

� objektiv groß<br />

� Kontrollverlust<br />

� Kompensatorische Verhaltensweisen<br />

� Gezügeltes Essverhalten, Sport (“non-purging”)<br />

� Erbrechen, Laxanzien, Diuretika, Appetitzügler, SD-Präparate<br />

(“purging”)<br />

� Bei Diabetikerinnen: “insulin purging”<br />

� Frequenz 2x/Woche innerhalb von 3 Monaten<br />

� Vorgeschichte einer AN: 15-25%<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

81


Essstörungen<br />

Entzug von Laxanzien und Diuretika<br />

� ABSETZEN<br />

� Flüssigkeitsretention / Gewichtszunahme<br />

� 10 � 30 kg<br />

� 5 � 10 Tagen<br />

� Obstipation<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

Auslösende Bedingungen für Essanfälle II<br />

� Affektregulationsmodell<br />

� Blockieren der Wahrnehmung unangenehmer emotionaler<br />

Zustände<br />

� Spannungsreduktion<br />

� Dissoziative Qualität<br />

� “Verlagerung” in Richtung Affektregulation im Laufe<br />

der Störung<br />

� hohes Maß an Impulsivität, Komorbidität mit<br />

Borderline Persönlichkeitsstörung<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

Hinweise auf Erbrechen<br />

� Hypertrophie der Speicheldrüsen<br />

� meist beidseitig, schmerzlos<br />

� Zahnschäden<br />

� erhöhte Temperaturempfindlichkeit<br />

� Schmelzdefekte (an der Innenseite der oberen<br />

Schneidezähne)<br />

� Kariesentwicklung<br />

� Lockerung von Füllungen<br />

� Mundwinkelrhagaden<br />

� Kallusbildung an der Rückseite der Finger (“Russell sign”)<br />

� Petechien<br />

� Gesicht, weicher Gaumen, Hornhaut<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

Auslösende Bedingungen für Essanfälle I<br />

� Ausgeprägt restriktive Nahrungsaufnahme –<br />

“gezügeltes Essverhalten”<br />

� gepaart mit komplexen und rigiden Diätregeln,<br />

Abstinenzverletzungseffekten, “Gewichtsphobie”<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

Teufelskreis Bulimie<br />

Ärger,<br />

Langeweile,<br />

Alleinsein,<br />

Enttäuschung<br />

Kontrollierte Nahrungsreduktion,<br />

„Gute Vorsätze“<br />

Verzweiflung, Leere,<br />

Scham,<br />

Schuldgefühle,<br />

Selbsthaß<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

Zahnhygiene<br />

Essanfall<br />

Entsetzen, Gewichtsphobie<br />

Erbrechen<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Tortur<br />

Ekel<br />

Übelkeit, Leibschmerzen,<br />

Erschöpfung,<br />

lustvolle<br />

„Erlösung“<br />

Kontrollverlust<br />

Selbstbeobachtung<br />

wie von außen,<br />

machtloses<br />

Zusehen<br />

� Zähneputzen vermeiden<br />

� schonende Zahnputztechnik erlernt werden, um<br />

die Zahnsubstanzdefekte gering zu halten und<br />

nicht durch schädigende Schrubbtechniken zu<br />

begünstigen<br />

� Basische Mundspülung<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

82


Essstörungen<br />

Epidemiologie<br />

- APA 2006 -<br />

Anorexia nervosa<br />

� Prävalenz: 0,3%-3,7% (Frauen)<br />

� Frauen:Männer: 10:1<br />

� 2 Altersgipfel (14 u. 18 J.)<br />

Bulimia nervosa<br />

� Prävalenz: 1%-4,2% (Frauen)<br />

� Frauen:Männer: 20:1<br />

� Altersgipfel 18 Jahre<br />

subsyndromale Essstörungen<br />

� bis zu 13%<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

Psychische Komorbidität<br />

� Affektive Störungen (bis 70% Lebenszeitdg.)<br />

� Angststörungen (Sozialphobie)<br />

� Zwangsstörung (AN)<br />

� Substanzabhängigkeit (bulim. Essst.)<br />

� Zwanghafte Persönlichkeit (restr. AN)<br />

� Ängstlich-vermeidende Persönlichkeit<br />

� Impulsive Persönlichkeit (bulim. Essst.)<br />

� Selbstverletzung (bulim. Essst.)<br />

Prognose<br />

� Anorexia nervosa<br />

� 10-Jahresletalität 5,6% (Sullivan, 1995)<br />

� Standardisierte Mortalitätsrate (Nielsen 2001)<br />

� Im ersten Jahr nach Diagnosestellung: 30 fach<br />

� nach 6-12 Jahren: 9,6<br />

� nach 20-40 Jahren: 3,7<br />

� Bulimia nervosa<br />

� Standardisierte Mortalitätsrate (Nielsen 2001)<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap © <strong>2012</strong> H. Graap<br />

Bedingungsmodell für Anorexia und Bulimia<br />

Interpersonelle<br />

Probleme<br />

Intrapsychische<br />

Faktoren:<br />

Perfektionismus,<br />

Affektintoleranz,…<br />

Soziokulturelle<br />

Faktoren<br />

Biologische und<br />

Genetische<br />

Faktoren<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

Überbetonung von Kontrolle<br />

über Essen, Figur und Gewicht<br />

Essanfälle<br />

Erbrechen,<br />

Laxanzien etc.<br />

Diäthalten, kontrolliertes<br />

Essen<br />

Auswirkungen<br />

des restriktiven<br />

Essens<br />

oder des<br />

Untergewichts<br />

„starvation<br />

syndrom“:<br />

sozialer<br />

Rückzug,<br />

Essen dominiert<br />

alles,<br />

erhöhtes<br />

Völlegefühl,<br />

„Besessenheit<br />

Ernährung“,…<br />

� nach 5-11 Jahren: 1,5-7,4 (noch unklar)<br />

Ätiologie der Essstörungen<br />

� intrapsychische/interpersonelle Faktoren<br />

� Soziokulturelle Faktoren<br />

� biologische und genetische Faktoren<br />

Therapie der Essstörungen<br />

� Früherkennung<br />

� Körperliche Untersuchung und Stabilisierung<br />

� Motivation zur Therapie<br />

� Psychotherapie (Therapie der Wahl)<br />

� Aufbau eines geregelten Essverhaltens<br />

� ambulant - stationär<br />

� Erfahrung in der Behandlung von Essstörungen<br />

� Medikamentöse Therapie (SSRIs bei BN)<br />

� Selbsthilfe<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

83


Essstörungen<br />

Motivation zur Therapie<br />

� Patientinnen mit Essstörungen sind häufig zu<br />

Veränderungen nicht bereit bzw. ambivalent<br />

� Haben keine Krankheitseinsicht und kein Krankheitsgefühl<br />

� Ego-synton, Ich-nahe<br />

� AN: Gewichtsverlust<br />

� BN: restriktives Essverhaltens<br />

THERAPIE IST NUR DANN WIRKUNGSVOLL, WENN DIE<br />

BETROFFENEN BEREIT DAZU SIND. ZIELE MÜSSEN<br />

GEMEINSAME SEIN.<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

Indikationen zur stationären Behandlung<br />

� bei AN initial oft stationär (Gesundheitssystem!)<br />

� Ausgeprägte Symptomatik<br />

� BMI < 13, rascher Gewichtsverlust (AN)<br />

� tägliche Ess-Brech-Attacken (BN)<br />

� Ausgeprägtes Kompensationsverhalten<br />

� Körperlich instabiler Zustand<br />

� Ausgeprägte Komorbidität<br />

� Depression, Suizidalität<br />

� Persönlichkeitsstörung<br />

� Substanzmissbrauch<br />

� Diabetes mellitus Typ I<br />

� Schwangerschaft<br />

� Nicht verfügbare oder erfolglose ambulante Behandlung<br />

� Instabile soziale Situation<br />

Pro und Contra Veränderung<br />

Gründe, zu bleiben wie ich bin Gründe, mich zu verändern<br />

„Ich mag mich selbst wieder“<br />

„ich würde zunehmen!!!!“<br />

„Ich kann mich wieder besser<br />

„ich bin nicht mehr<br />

konzentrieren“<br />

bemitleidenswert!!“<br />

„Ich habe wieder Zeit für<br />

„ich könnte nicht mehr so stolz<br />

interessante Dinge“<br />

auf Figur und Gewicht sein!“<br />

„ED wird bleiben, wenn ich nichts<br />

„ich muß mich mit anderen<br />

tue“<br />

Problemen auseinandersetzen“<br />

„zu 90% fange ich an zu<br />

erbrechen“<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap © 2010 M. de Zwaan<br />

Behandlungsschritte<br />

1. Behandlungsmotivation und Ausblick auf<br />

Veränderung<br />

2. Informationsvermittlung („starvation syndrom“, bulimic<br />

circle, psychobiologische Auswirkungen)<br />

3. Regelmäßiges Essen<br />

4. Gewichtszunahme und/oder –stabilisierung<br />

5. Andere Problembereiche (Selbstwert, Überbetonung von<br />

Figur, Aussehen und Gewicht, Affektintoleranz, interpersonelle<br />

Probleme)<br />

6. Gewichtsstabilisierung selbständig umsetzten<br />

© 2010 M. de Zwaan<br />

Regelmäßige Nahrungsaufnahme<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

„zu 50% entwickle ich eine BN mit<br />

unkontrollierter Gewichtszunahme“<br />

Vorgehen<br />

1. Definierte Zeitintervalle<br />

� 3 Mahlzeiten, 2-3 Zwischenmahlzeiten<br />

� Geplant, “automatisches” Essen<br />

� Gewisse Flexibilität sinnvoll („guideline not a rule“)<br />

� Pausen nicht länger als 4 Stunden<br />

� Patientin wählt Nahrungsmittel selbst aus, versucht jedoch<br />

nicht zu Erbrechen<br />

� große Angst vor unkontrollierter Gewichtszunahme<br />

� Eventuell schritt weises Einführen, z.B. ein strukturierter<br />

Esstag pro Woche, oder die einfachste Mahlzeit am Tag<br />

© 2010 M. de Zwaan<br />

84


Essstörungen<br />

Regelmäßige Nahrungsaufnahme<br />

Vorgehen<br />

2. Nicht zwischen den geplanten Zeiten essen<br />

� Strategien entwickeln<br />

� Alternative Verhaltensweisen<br />

� Hinauszögern<br />

3. Einführen verbotener Nahrungsmittel<br />

� Schwarze Liste<br />

© 2010 M. de Zwaan © <strong>2012</strong> H. Graap<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

Bearbeitung zugrunde liegender Problembereiche<br />

Selbstwert<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

Figur<br />

Gewicht<br />

Selbstwert<br />

? ? ? ? ?<br />

Bearbeitung zugrunde liegender Problembereiche<br />

Selbstwert<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

Selbstwert<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Figur<br />

Antidepressiva bei Bulimia<br />

� THERAPIE DER ZWEITEN WAHL<br />

� KOMBINATIONSTHERAPIE<br />

v.a. zu Beginn der Behandlung<br />

Gewicht<br />

� Bei Bestehen einer depressiven Symptomatik<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

85


Essstörungen<br />

Antidepressiva bei Bulimia<br />

� Serotonerge Antidepressiva (SSRIs)<br />

� günstiges Nebenwirkungsprofil<br />

� keine Gewichtszunahme<br />

� in hoher Dosierung<br />

(drei- bis vierfache antidepressive Dosis)<br />

� über einen Zeitraum von 6 bis 12 Monaten<br />

� bei Nichtansprechen eventuell Umstellung auf<br />

anderes Antidepressivum<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

Zusammenfassung<br />

� Viele der Symptome sind eine Nebenwirkung des<br />

niedrigen Körpergewichtes oder des restriktiven<br />

Essens<br />

� Einige dieser Nebenwirkungen halten die Essstörung<br />

aufrecht und schädigen den Körper<br />

� Viele Betroffene denken, der aktuelle Zustand<br />

entspreche ihrer wirklichen Persönlichkeit<br />

� Eine Lösung der Probleme ohne<br />

Gewichtszunahme/Normalem Essverhalten gibt es<br />

nicht<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

Effektivität antidepressiver Therapie bei<br />

Bulimia nervosa<br />

� Reduktion der Essanfälle um 40-90%<br />

� Signifikant besser als Plazebo<br />

� Spezifische antibulimische Wirkung?<br />

� auch bei nicht depressiven Pat. wirksam<br />

� Signifikante Verbesserung depressiver Symptome<br />

� Wirkung oft bereits nach einer Woche<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

Selbsthilfe bei BN und AN<br />

� Fairburn, C.G. „Essattacken stoppen“. Huber:<br />

Bern. 2.Auflage 2006<br />

� Treasure, J. „Gemeinsam die Magersucht<br />

besiegen“. Beltz: Weinheim. 2001<br />

© <strong>2012</strong> H. Graap<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

86


Adipositas<br />

<strong>Psychosomatik</strong><br />

Adipositas<br />

Dr. Holmer Graap<br />

WiSe <strong>2012</strong><br />

Fettverteilung: Birne oder Apfel?<br />

gynoid<br />

Gluteo-femoral<br />

Hüftbetont<br />

Nur geringfügige<br />

metabolische<br />

Begleiterkrankungen !<br />

Waist-to-hip-<br />

Ratio:<br />

Taille/Hüfte<br />

Kritisch…<br />

Frauen > 0,85<br />

Männer > 1,00<br />

Ebenso gut: Taillenumfang messen!<br />

einfaches Risiko<br />

(keine Gewichtszunahme)<br />

android<br />

abdominal<br />

stammbetont<br />

Deutlich erhöhtes<br />

Gesundheitsrisiko!!<br />

Metabolisch, coronar,<br />

respiratorisch<br />

stark erhöhtes Risiko<br />

(Gewichtsreduktion erforderlich)<br />

Männer 94-102 cm � 102 cm<br />

Frauen 80-88 cm � 88 cm<br />

Taillenumfangsmessung: abdominale Adipositas ab…<br />

Bei Frauen ≥ 88 cm<br />

Bei Männern ≥ 102 cm<br />

(WHO, 2000; EASO, 2002).<br />

Einteilung der Adipositas<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Tabelle: Einteilung nach dem Body Mass Index<br />

BMI = Körpergewicht (kg) / Körperhöhe 2 (m 2 )<br />

1.70 m Einteilung/BMI (kg/m 2 ) 1.80 m<br />

52-72 kg Normalgewicht 18-24.9 58.3-80.7 kg<br />

72-86.5 kg Übergewicht 25-29.9 80.7-97 kg<br />

86.5-101 kg Adipositas Grad I 30-34.9 97-113 kg<br />

101-115 kg Adipositas Grad II 35-39.9 113-129.3 kg<br />

> 115 kg Adipositas Grad III > 40 > 129.3 kg<br />

Geschlechterverteilung<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

"Birne" "Apfel"<br />

Bei Adipositas erhöhtes Risiko für…<br />

� Arterielle Hypertonie (v.a. abdomineller Adipositas)<br />

� Diabetes mell. Typ II (30fach erhöht, wenn BMI > 30 !!!)<br />

� Hyperlipidämie<br />

� Herzinfarkt, Herzinsuffizienz,<br />

� Schlaganfall<br />

� Schlafapnoe-Syndrom<br />

� Schwangerschaftskomplikationen, Fertilitätsstörung<br />

� Krebserkrankungen<br />

� Gicht<br />

� Gallenblasenerkrankungen<br />

� Orthopädische Probleme (Knie, Rücken)<br />

� Katarakte<br />

� Lungenembolie<br />

� Erhöhte Mortalität…<br />

Männer<br />

Frauen<br />

Metabolisches<br />

Syndrom<br />

Deutschland: ca. 35 Mrd.<br />

Euro/Jahr nur für direkte Kosten<br />

der Adipositas!!!<br />

87


Adipositas<br />

Organische Komorbidität bei Adipositas<br />

RR > 3 RR 2-3 RR 1-2<br />

Dyslipidämie KHK Malignome<br />

Diabetes mellitus 2 Hypertonie red. Fertilität<br />

Apoplex Beinvenenthrombose EPH Gestose<br />

Cholezystolithiasis Arthrose PCO Syndrom<br />

Schlafapnoe<br />

RR = relatives Risiko<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Mortalität<br />

• Verdoppelung der Mortalität ab BMI > 35.<br />

• Die Mortalität im Rahmen von Stoffwechselerkrankungen<br />

und Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />

steigt um ein Vielfaches (Sjöström et al., 1992)<br />

• Abdominelle Fettverteilung besserer Sjöström et Prädiktor al., 1992 als<br />

BMI für Mortalität<br />

• V.a. bei frühem Beginn Lebenszeitverkürzung.<br />

Männer 13 Jahre, Frauen 8 Jahre (Fontaine et al., 2003)<br />

Stigmatisierung und Diskriminierung<br />

� „Dicke haben keine Willenskraft“ = Kausalattributionen auf das<br />

individuelle Verhalten und die Kontrollierbarkeit des Verhaltens<br />

� 23,5% einer repräsentativen Stichprobe der Deutschen Bevölkerung<br />

� 50% unentschieden (Hilbert et al., 2008)<br />

� geringerer Bildungsstand, höheres Alter<br />

� Personal im Gesundheitswesen!!<br />

� Soziale Benachteiligung<br />

� Arbeitssuche<br />

� Lohnverhandlungen<br />

� Partnersuche<br />

� Aufnahme ins College<br />

� Finanzielle Unterstützung durch Eltern<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Alle Malignome<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

� Frauen: OR 1,88 (Uterus, Niere, Zervix, Pankreas,<br />

Ösophagus)<br />

� Männer: OR 1,68 (Leber, Pankreas, Magen,<br />

Ösophagus, Colorektal)<br />

Calle, NEJM 2003<br />

2-7% der direkten Kosten im Gesundheitssystem<br />

Anzahl der Krankheitstage in Abhängigkeit<br />

vom BMI (Ford et al, 2001)<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Adipositas (BMI>30)<br />

-derzeit -<br />

USA<br />

England<br />

Deutschland<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

0 5 10 15 20 25 30 35 40<br />

Prozent der Bevölkerung<br />

Frauen<br />

Männer<br />

88


Adipositas<br />

Verbreitung von Adipositas bei 18-79 jährigen<br />

Frauen und Männern nach sozialer Schicht<br />

35<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

Unterschicht Mittelschicht Oberschicht<br />

Robert Koch-Institut, BGS 98<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Prognostische Faktoren für Persistenz<br />

kindlicher Adipositas im Erwachenenalter<br />

� Früher Beginn (vor 6. Lebensjahr)<br />

� Früher „adiposity-rebound“<br />

� Extremes Übergewicht<br />

� Eltern übergewichtig<br />

� Fortdauer der Adipositas bis nach der Pubertät<br />

Prozent Übergewicht und Sozialstatus<br />

16<br />

14<br />

14<br />

12<br />

12<br />

10<br />

9,8<br />

8<br />

7,5<br />

6<br />

4<br />

4,4<br />

3<br />

6,3<br />

3<br />

5,9<br />

3,6<br />

5,2<br />

2<br />

0<br />

1,3<br />

3-6 J. 7-10 J. 11-13 J. 14-17 J.<br />

KIGGS Studie, Bundesgesundheitsblatt, 2007<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Männer<br />

Frauen<br />

niedrig<br />

mittel<br />

hoch<br />

Dicke Kinder - dicke Erwachsene!<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Risiko für Übergewicht als<br />

Erwachsener (%)<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Risiko für Erwachsenen-Adipositas<br />

falls Übergewicht im Kindesalter<br />

www.kiggs.de<br />

(n=17.641, 2006)<br />

1-2 J. 3-5 J. 6-9 J. 10-14 J. 15-17 J.<br />

15% der Kinder und Jugendlichen von 3-17 Jahren haben einen<br />

BMI oberhalb der 90. Perzentile (Übergewicht)<br />

6,3% haben einen BMI oberhalb der 97. Perzentile (Adipositas)<br />

N=14.747<br />

Prozent Übergewicht und BMI der Mutter<br />

24<br />

22<br />

20<br />

18<br />

16<br />

14<br />

12<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

1,7<br />

3,8<br />

9,5<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

3,5<br />

9,6<br />

15<br />

4<br />

6,8<br />

22<br />

5<br />

11<br />

3-6 J. 7-10 J. 11-13 J. 14-17 J.<br />

KIGGS Studie, Bundesgesundheitsblatt, 2007<br />

18<br />

BMI=30<br />

89


Adipositas<br />

Erlanger Einschulungsdaten<br />

� Einschulungsdaten von 2312 Kindern des Jahrgangs 1995/96<br />

und von 2298 Kindern aus 2000/2001<br />

� Insgesamt 4610 Kinder aus Stadt Erlangen und Landkreis<br />

Erlangen-Höchstadt<br />

� Anteil nichtdeutscher Kinder 6,1 bzw. 6,9%<br />

� Mittleres Alter 6,7 Jahre, 49% Mädchen<br />

(Knerr et al., 2005)<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Erlanger Einschulungsdaten<br />

Frühe Einflussfaktoren auf kindliches Übergewicht:<br />

� Ein hohes Geburtsgewicht<br />

� Nichtdeutsche Kinder waren signifikant schwerer als<br />

gleichaltrige deutsche Kinder<br />

� Jungen waren bei der Einschulung schwerer als gleichaltrige<br />

Mädchen<br />

� Die Kinder im Landkreis hatten einen höheren BMI als<br />

diejenigen aus der Stadt Erlangen<br />

(Knerr et al., 2005)<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Take home message<br />

� ÜG/Adipositas nimmt in Industrienationen rasant<br />

zu, aber auch in Schwellenländern (China etc.)<br />

� Deutschland: 50% ÜG, 18% Grad I, ca. 1% Grad III<br />

(800.000 Menschen allein in Deutschland!)<br />

� Kinder und Jugendliche werden immer dicker<br />

(10-20% ÜG in Deutschland, 20-27% in USA)<br />

� Persistenz ins Erwachsenenalter bei ca. 50%<br />

� Adipositas ist das Gesundheitsproblem der<br />

westlichen Industrienationen<br />

� Kosten Dtl.: ca. 35 Mrd.€/Jahr nur direkte Kosten<br />

Erlanger Einschulungsdaten<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Prävalenz [%]<br />

12%<br />

10%<br />

8%<br />

6%<br />

4%<br />

2%<br />

0%<br />

Mädchen<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Jungen<br />

2000/01<br />

1995/96<br />

Entwicklung der Adipositas weltweit<br />

PANDEMIE<br />

International Obesity Task Force,<br />

Nature 404, 2000<br />

Zunahme von<br />

Übergewicht und<br />

Adipositas von<br />

6,3% auf 9,5%<br />

aller Kinder<br />

innerhalb von nur<br />

5 Jahren!<br />

(Knerr et al., 2005)<br />

Ätiologie und Pathogenese<br />

90


Adipositas<br />

Biopsychosoziales Modell zur Genese von Adipositas<br />

Psychosoziale Faktoren<br />

•Individuelle<br />

Lerngeschichte/Elternhaus<br />

•Nahrungsmittelpräferenzen<br />

•Stress/emotionale Befindlichkeit<br />

•Essen als Affektregulation<br />

Essverhalten<br />

(qualitative/quantitative<br />

Nahrungsaufnahme)<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Soziokulturelle Faktoren<br />

•Leichte Verfügbarkeit von<br />

Lebensmitteln mit hoher<br />

Energiedichte/<br />

Überflussgesellschaft<br />

•Geringe körperliche Aktivität in<br />

Beruf und Freizeit<br />

Körperliche<br />

Aktivität<br />

Energieaufnahme Energieverbrauch<br />

Adipositas<br />

Genetische Faktoren<br />

•Anzahl der Fettzellen<br />

•Energieverbrauch<br />

•Geschmackspräferenz<br />

Ruhestoffwechsel<br />

Essprotokoll vs. Doppelisotopenmessung<br />

Platte et al. (1995); (N=24; Frauen)<br />

kcal<br />

Unterschätzung der Kalorienzufuhr !<br />

Essverhalten<br />

qualtitativ<br />

� Konsum fettreicher Nahrungsmittel steigt<br />

� Nahrungsfett hohe Energiedichte<br />

� Leichte Konvertierung in Körperfett<br />

� Adipöse nehmen tendentiell mehr Energie über Fett<br />

als über Kohlenhydrate zu sich (Pudel & Westhöfer, 1992)<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Differenz Energieaufnahme - Energieverbrauch<br />

„underresponding“ bei Adipösen bzgl. Quantität<br />

Essverhalten<br />

quantitativ<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Prentice et al., 1986 Lichtman et al., 1992<br />

� Auch sozial beeinflusst<br />

� Exakte Erfassung schwierig<br />

� Erhöhte Kalorienzufuhr nicht für alle Adipösen<br />

nachgewiesen => andere Faktoren<br />

Warum die Zunahme der Prävalenz der<br />

Adipositas?<br />

� Überflussgesellschaft<br />

SOZIOBIOCHEMISCHE DISSONANZTHEORIE<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

91


Adipositas<br />

Umwelt<br />

� Dieser Überfluss war in unserer evolutionären<br />

Programmierung nicht vorgesehen.<br />

� Der menschliche Organismus ist wesentlich besser<br />

auf Mangel als auf Überfluss eingerichtet.<br />

� Übergewicht heute ist eine ganz normale Reaktion<br />

des Körpers auf eine unnormale Umwelt.<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Teufelskreis<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Gezügeltes Essverhalten<br />

Angst vor Gewichtszunahme<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Zunahme der Störbarkeit/<br />

Essanfälle<br />

Homo McDonalds<br />

Zunahme von Hunger<br />

Grundumsatz interfamiliär sehr unterschiedlich !<br />

Ravussien et al., 1988; Bogardus et al., 1986; N=130 aus 54 Familien<br />

Schönheitsideal<br />

� Hänseleien, Stigmatisierung, Meidung adipöser<br />

Menschen<br />

� Unzufriedenheit mit Körper/Insuffizienzgefühle<br />

� Diät, meist sehr einschränkend<br />

� Kognitive Kontrolle des Essverhaltens<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Risiko für BED steigt !!<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Körperliche Aktivität hat großen Einfluss !!!<br />

Martinez-Gonzales et al., 1999 Europäische Multicenterstudie (N=15.239)<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Aus: Martinez-Gonzales et al., 1999<br />

Genetische Faktoren: 30-70% des Varianzanteils<br />

� Familienuntersuchungen<br />

� beide Eltern übergewichtig: 80% Chance<br />

� beide Eltern schlank: 20% Chance<br />

� Risiko steigt mit zunehmendem BMI<br />

� Zwillingsstudien<br />

� gemeinsam vs getrennt aufgewachsen (70%)<br />

� Überernährung, Unterernährung<br />

� Adoptionsstudien<br />

� Der BMI von Adoptivkindern korreliert stärker mit dem BMI der<br />

leiblichen Eltern als der Adoptiveltern<br />

92


Adipositas<br />

Genetischer Einfluss<br />

� Energieverbrauch<br />

� Anzahl der Adipozyten<br />

� Lipolyse im Fettgewebe<br />

� Muskelzusammensetzung und Oxidationspotenzial<br />

� Freie Fettsäuren, Aktivität der β-Rezeptoren im Fettgewebe<br />

� Fettpräferenz<br />

� Thermogenetischer Effekt der Nahrung<br />

� Insulinsensitivität<br />

� Leptinspiegel<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Psychische Faktoren<br />

� Zusammenhang zwischen Psychopathologie/<br />

psychischer Komorbidität und Übergewicht/Adipositas<br />

in der Bevölkerung<br />

� Untergruppen mit höherer Psychopathologie:<br />

� Menschen, die Behandlung aufsuchen<br />

� Adipositas Grad III<br />

� Lebenszeit Achse I Diagnose 84%<br />

� Persönlichkeitsstörung 40-72%<br />

� Binge-Eating-Störung<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Zusammenfassung<br />

Adipositas....<br />

• Ist nicht primär das Ergebnis von Willensschwäche.<br />

• Ist durch das komplexe Zusammenspiel von<br />

Umweltfaktoren, verhaltensbezogenen Faktoren und von<br />

genetisch-biologischen Grundlagen bedingt.<br />

• Adipositas hat den Stellenwert einer chronischen<br />

Erkrankung.<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Familiäre Einflussfaktoren<br />

� Nahrungsmittel als Belohung/Bestrafung<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

� Ersatz emotionaler Zuwendung durch Süßigkeiten<br />

� Tischsitten<br />

� Starre Vorschriften ohne Berücksichtigung von<br />

Sättigungssignalen<br />

� Imitationsverhalten<br />

Bidirektionale Assoziation zwischen Depression<br />

und Adipositas<br />

� Adipöse Menschen haben ein um 55% erhöhtes<br />

Risiko eine Depression zu entwickeln (OR 1,55).<br />

� Depressive Personen haben ein um 58% erhöhtes<br />

Risiko adipös zu werden (OR 1,58).<br />

� Das gilt gleichermaßen für Frauen und für Männer.<br />

� Der Zusammenhang gilt auch für Übergewicht, ist<br />

aber schwächer.<br />

Luppino et al., Arch Gen Psychiatry, 2010<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Gewichtsreduktionsmaßnahmen<br />

93


Adipositas<br />

Behandlung<br />

Die Behandlung der Adipositas wäre einfach….<br />

� Nahrungsumstellung (Kalorienreduktion)<br />

� Bewegungssteigerung<br />

� Verhaltensänderung („lifestyle“)<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Therapieziele nach DAG S3-Leitlinie Adipositas<br />

� Langfristige Senkung des Körpergewichts<br />

� Verbesserung Adipositas-assoziierter Risikofaktoren und<br />

Krankheiten<br />

� Verbesserung des Gesundheitsverhaltens (energieadäquate<br />

Ernährung, regelmäßige Bewegung)<br />

� Reduktion von Arbeitsunfähigkeit und vorzeitiger Berentung<br />

� Stärkung der Selbstmanagementfähigkeit und<br />

Stressverarbeitung<br />

� Steigerung der Lebensqualität<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Auswirkungen einer vorübergehenden<br />

hypokalorischen Diät auf das Körpergewicht<br />

15<br />

Ursprungsgewicht<br />

10<br />

5<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Hypokalorische Diät<br />

Neues Gewicht, Stabilisierung<br />

Lockerung der Diät<br />

oft überschießen<br />

Jojo-Effekt<br />

Versagen in<br />

> 90% der Fälle<br />

Ernährung Bewegung Verhalten Medikamente<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Adipositas – Therapie nach Leitlinie DAG 2006<br />

Therapieregime<br />

+ + + +<br />

I II III IV<br />

Gardner, JAMA 2007<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Basisprogramm<br />

•BMI ≥ 30<br />

•BMI ≥ 25 + Risikofaktoren<br />

A To Z Weight Loss Study<br />

Sportliche Aktivität - Ziele<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

• BMI ≥ 30<br />

• BMI ≥ 27 + Risikofaktoren<br />

• � 5 kg Gewichtsverlust<br />

in 3 Monaten mit<br />

dem Basisprogramm<br />

Operation<br />

(gastric<br />

banding)<br />

V<br />

•BMI > 40<br />

• BMI > 35<br />

+ Begleiterkrankungen<br />

� Allein - zur Gewichtsabnahme (aber hohe Intensität und<br />

Regelmäßigkeit erforderlich, Reduktion erfolgt langsam)<br />

� In Kombination mit Reduktionskost – begünstigt/ zur<br />

Gewichtsabnahme<br />

� Nach Gewichtsabnahme zur Gewichtsstabilisierung!<br />

� Weitere Effekte:<br />

� reduziert adipositas-assoziierte Begleiterkrankungen<br />

� Steigerung körperlicher Ausdauer/ Leistungsfähigkeit<br />

� Verbesserung Wohlbefinden Erfolgserlebnisse, positive soziale Erfahrungen<br />

94


Adipositas<br />

Medikamentöse Therapie der Adipositas<br />

� Indikation (DAG)<br />

� BMI ≥ 30 ohne ausreichende Gewichtsabnahme im Basisprogramm<br />

� BMI ≥ 27 bei gleichzeitigen gravierenden Risikofaktoren (u.a. Hypertonie,<br />

Diabetes)<br />

� Ziele: Begünstigung der Gewichtsabnahme (kurzfristig) und<br />

der Gewichtsstabilisierung (langfristig)<br />

� Einsatz nur adjuvant, im Rahmen multimodalen Vorgehens<br />

� Ggf. Motivierende Wirkung bei Stagnation der<br />

Gewichtsabnahme über Diät/ Bewegung<br />

� Einschränkungen<br />

� Die Medikamente wirken nur so lange, wie sie genommen werden !<br />

� Nebenwirkungspotenzial!<br />

� Kosten-Nutzen-Abwägung notwendig!<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Sibutramin (Reductil ® )<br />

� Norepinephrin-Wiederaufnahme-Hemmer<br />

� Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer<br />

� � Puls<br />

� � Blutdruck<br />

� Zulassung ruht<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Wie effektiv sind Gewichtsreduktionsprogramme?<br />

1. Ernährungstherapie und Bewegungstherapie bei adipösen<br />

Erwachsenen führen zu einem Gewichtsverlust von<br />

durchschnittlich 3-5 kg.<br />

2. Medikamentöse Therapien führen ebenfalls zu einem<br />

Gewichtsverlust von durchschnittlich 3-5 kg, der Effekt hält<br />

nach Absetzen des Medikaments nicht an.<br />

3. In den meisten Langzeitstudien zeigte sich, dass das Gewicht<br />

wieder zugenommen wird (Jojo).<br />

4. In der Therapie von Kindern haben sich bisher keine<br />

Programme als langfristig erfolgreich erwiesen.<br />

5. Für Patienten mit Adipositas Grad III ist die chirurgische<br />

Therapie effektiv.<br />

Jain, BMJ, 2005<br />

What works for obesity? www.unitedhealthfoundation.org/obesity.pdf<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Orlistat (Xenical ® )<br />

� Lipase-Hemmer<br />

� Lokale Wirkung im Darm<br />

� Blockiert ~ 30% der Fettaufnahme in<br />

therapeutischer Dosis<br />

� Nebenwirkung: diverse gastrointestinal<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Rimonabant (Accomplia ® )<br />

� CB1 (Cannabinoid) Rezeptor Antagonist<br />

� Belohnungssystem<br />

� Depression bei 20% (Zulassung ruht)<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Therapieziel anpassen<br />

� Deutliche Verbesserung von Stoffwechselparametern<br />

nach nur geringem Gewichtsverlust von 5% bis 10%,<br />

auch wenn noch Übergewicht besteht.<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

� Übergewichtige Frauen streben aber eine Gewichtsverlust<br />

von durchschnittlich 32% an.<br />

Foster et al., J Consul Clin Psychol, 1997<br />

95


Adipositas<br />

Änderung der Umweltbedingungen<br />

Strategie<br />

Ernährungserziehung<br />

Individuelle Beratung<br />

Ernährungsinformation<br />

Lebensmittelkennzeichnung<br />

food claims<br />

Einschränkung des Marketings<br />

Fiskalische Maßnahmen<br />

Kommunale Strategien<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Wirksame Public Health-Strategien<br />

gegen das Übergewicht?<br />

Effektivität<br />

geringe, selektive Effekte<br />

nicht nachhaltig<br />

nein<br />

nein, selektiv?<br />

nein, selektiv?<br />

ja?<br />

ja?<br />

??<br />

Magen-Bypass Magenband<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Umwelt<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

� Die Forschung konzentriert sich auf das Individuum<br />

betreffende Therapieansätze, die zu nur geringen<br />

Gewichtsverlusten führen und keinen Effekt auf die<br />

Epidemie der Adipositas zeigen.<br />

� Die epidemische Zunahme der Adipositas beruht auf<br />

Umweltfaktoren, individuelle Ansätze müssen zu<br />

kurz greifen.<br />

Jain: „Treating obesity in individuals and populations“, BMJ, 2005<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Chirurgische Therapie<br />

Kriterien für eine OP<br />

Voraussetzungen nach Leitlinie der Deutschen Adipositas<br />

Gesellschaft :<br />

� BMI ≥ 40 kg/m 2 oder ≥ 35 kg/m 2 mit erheblicher organischer<br />

Komorbidität bzw. Risikofaktoren.<br />

� Konservative Behandlungsmöglichkeiten unter ärztlicher<br />

Aufsicht müssen ausgeschöpft sein.<br />

� Das Operationsrisiko darf nicht inakzeptabel hoch sein.<br />

� Die Patienten müssen ausreichend motiviert und vollständig<br />

aufgeklärt sein sowie<br />

� ihr Einverständnis gegeben haben.<br />

96


Adipositas<br />

Gewichtsverlust nach chirurgischer<br />

Adipositastherapie<br />

� Magenbypass effizienter als Magenband, aber höheres<br />

Komplikationsrisiko und nicht reversibel<br />

� Verlust von maximal 60-80% des Übergewichtes<br />

� Maximaler Gewichtsverlust nach 1 bis 2 Jahren (“honeymoon<br />

Phase”)<br />

� Plateau bzw. Gewichtszunahme danach<br />

� Nicht alle Pat. verlieren an Gewicht (Rolle zuckerhaltiger<br />

Getränke/ Alkohol)<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Mortalität<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Essstörungen nach DSM IV<br />

restriktiv<br />

bulimisch<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Sjöström et al. N Engl J Med 2007<br />

Essstörungen<br />

Anorexie Bulimie NNB<br />

purging<br />

non-purging<br />

Binge Eating<br />

Störung<br />

subsyndromal<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Gewichtsverlauf über 15 Jahre in der Swedish Obese Subjects (SOS) Studie<br />

Sjöström et al. N Engl J Med 2007<br />

Behandlung einer Essstörung<br />

Binge-Eating-Störung<br />

„Binge-Eating“-Störung<br />

Forschungskriterien nach DSM-IV-TR 307.50<br />

A. Wiederkehrende Essanfälle<br />

B. Mindestens 3 Verhaltensmerkmale<br />

1. wesentlich schneller essen als normal<br />

2. essen bis unangenehm voll<br />

3. essen, ohne hungrig zu sein<br />

4. allein essen aus Verlegenheit<br />

5. Negativer Affekt nach übermäßigem Essen<br />

C. Deutliches Leiden wegen der Essanfälle<br />

D. Essanfälle an mindestens 2 Tagen pro Woche für 6 Monate<br />

E. Keine unangemessenen kompensatorischen<br />

Verhaltensweisen/nicht nur im Verlauf von Anorexia od.<br />

Bulimia Nervosa<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

97


Adipositas<br />

BES - Epidemiologie<br />

Allgemeinbevölkerung 0,7-3,3%<br />

� Geschlechtsverteilung (w:m) 3:2<br />

� Prozent übergewichtig 50%<br />

Teilnehmerinnen an Gewichtsreduktionsprogrammen<br />

9-30%<br />

� Overeaters Anonymous 70%<br />

� vor chirurgischer Therapie 12-47%<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

BES - Essverhalten<br />

� Essanfälle an 2,5 bis 5 Tagen/Woche;<br />

� Als Essanfall kann auch ständige Nahrungsaufnahme<br />

(„grazing“, „picking“, „nibbling“) ohne geplante Mahlzeiten<br />

und ohne längerer Unterbrechung bezeichnet werden;<br />

� 600-3000 kcal/Essanfall (geringer als bei Pat. mit BN);<br />

� hoher Zucker- und Fettanteil;<br />

� Mehr Genuss als bei bulimischen Pat. (Mitchell et al.,<br />

1999);<br />

� Bei 50% Beginn der Essanfälle vor der 1. Diät („binge-first<br />

group“) (bei bulimischen Pat. beginnt die Störung zu 95%<br />

mit einer Diät);<br />

� Beginn der Essanfälle in der Pubertät.<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Auslöser für Essanfälle<br />

� Keine enge Beziehung zwischen Hunger und<br />

Essanfällen (im Gegensatz zu BN)<br />

� Stimmungsstörungen als Auslöser: Wut,<br />

Frustration, Langeweile, Depression, Angst<br />

� Spannungsreduktion<br />

� Dissoziative Qualität (“Betäubung“)<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Binge Eating Störung bei Kindern<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Schuleingangsuntersuchung in Aachen: 1979 (97,9%)<br />

der Eltern füllten Fragebogen zum Essverhalten der<br />

Kinder aus:<br />

� Essanfälle bei 2% der Kinder (5-6 Jahre)<br />

� Korreliert mit Übergewicht der Kinder<br />

� Korreliert mit Essstörung der Mütter<br />

� Kein Geschlechtsunterschied<br />

� Korreliert mit Fremdsprachigkeit<br />

Lamerz et al., 2004<br />

BES versus nonBES<br />

Übergewichtige Frauen mit BES im Vergleich zu<br />

übergewichtigen Frauen ohne BES in Gewichtsreduktionsprogrammen:<br />

� früherer Beginn des Übergewichts;<br />

� höheres Gewicht;<br />

� größere Unzufriedenheit mit Gewicht und Körperform;<br />

� geringeres Selbstwertgefühl;<br />

� Häufigere Gewichtsschwankungen;<br />

� Höhere psychiatrische (Ko)Morbidität.<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Psychische Komorbidität<br />

� Mehr essstörungsspezifische Psychopathologie<br />

(mehr Sorgen um Gewicht, Figur, Essen als übergewichtige<br />

ohne BES).<br />

� Mehr allgemeine Psychopathologie (Selbstwert,<br />

Depression, Angst, Substanzmissbrauch)<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

98


Adipositas<br />

Therapie der BES<br />

� Übergewicht<br />

� Essstörung<br />

� Komorbide Psychopathologie<br />

� Akuttherapie<br />

� Erhaltungstherapie<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Therapie der Essstörung<br />

KVT<br />

� Reduktion der Essanfälle 48-98%<br />

� Abstinenzraten 28-79%<br />

Warteliste<br />

� Reduktion der Essanfälle 9-34%<br />

� Abstinenzraten 0-9%<br />

Wilfley & Cohen, Psychopharmacology Bulletin, 1997<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Kognitiv-Behaviorale Therapie der BED<br />

Ziel: Behandlung der BED durch Veränderung der<br />

Aufrechterhaltungsfaktoren<br />

Phase 1<br />

(Sitzung 1-8)<br />

Phase 2<br />

(Sitzung 9-22)<br />

Phase 3<br />

(Sitzung 23-25)<br />

n. Hilbert & Tuschen-Caffier<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

- Aufbau eines gesunden Essverhaltens<br />

- Modifikation dysfunktionaler Kognitionen<br />

und Kompetenzerwerb zu Körperbild und<br />

Stress<br />

- Aufrechterhaltung des Therapiefortschritts<br />

- Rückfallprävention<br />

Therapie der Essstörung<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

� Mit Psychotherapie oder Medikamenten (SSRIs, Topiramat)<br />

kann die Frequenz von Essanfällen erfolgreich reduziert<br />

werden.<br />

� KVT scheint der med. Therapie überlegen zu sein.<br />

� Abbruchraten bei Antidepressiva-Therapie höher als bei<br />

Psychotherapie (32 vs 14%).<br />

� Nach Beendigung der Therapie Neigung zu Rückfällen mit<br />

einer erneuten Zunahme der Essanfälle.<br />

Therapie der Essstörung und Einfluss auf<br />

Gewicht<br />

� Die Therapie der Essstörung führt in der Regel zu nur<br />

geringem Gewichtsverlust.<br />

ABER<br />

� Patientinnen, deren Essstörung in Remission ist,<br />

verlieren mehr an Gewicht und können das Gewicht<br />

besser halten.<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

Figurkonfrontation<br />

� Ziel: Behandlung starker figurbezogener Ängste und<br />

Vermeidung<br />

� Realistische Wahrnehmung des eigenen Körpers<br />

� Positive und negative Aspekte identifizieren und akzeptieren<br />

� Dimensionen der Attraktivität alternativ zur Schlankheit<br />

� Auf Ausdruck achten<br />

� Methoden:<br />

� Spiegelexposition, Videoexposition, Gewichtsexposition, Exposition<br />

im Alltag, Exposition bei kontrollierendem und kaschierendem<br />

Verhalten, taktile Exposition<br />

� Variation von Kleidung und Stimmung<br />

© <strong>2012</strong> M. de Zwaan / H.Graap<br />

99


Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />

<strong>Psychosomatik</strong> bei Herz-<br />

Kreislauf-Erkrankungen<br />

Stephanie Geidies<br />

Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung<br />

Klassifikation<br />

Klassifikation systolisch diastolisch<br />

optimal < 120 mmHg < 80 mmHg<br />

normal < 129 mmHg < 84 mmHg<br />

hochnormal < 139 mmHg < 89 mmHg<br />

Grad I < 159 mmHg < 99 mmHg<br />

Grad II < 179 mmHg < 109 mmHg<br />

Grad III > 180 mmHg > 110 mmHg<br />

Theorien zur Ätiologie und Pathogenese<br />

� Genetik Zwillings- und Familienuntersuchungen:<br />

RR-Varianz zu 30-40% genetisch bedingt<br />

(Williams et al. 1989)<br />

� Ernährung Gewichtsreduktion von 1 kg bei Übergewichtigen<br />

führt zu RR-Senkung von 2 mmHg systolisch und<br />

1 mmHg diastolisch (Holzgreve 1980)<br />

� sozial Langzeitarbeitslosigkeit, Lärmbelastung,<br />

Schichtarbeit, niedrige Schicht, Migration<br />

� psychologisch Situationshypertonie (Uexküll und Wick 1962) ,<br />

„unspezifischer Konflikt“<br />

Arterielle Hypertonie<br />

Theorien zur Ätiologie und Pathogenese<br />

� primäre vs. sekundäre Hypertonie<br />

� sekundär als Folge von organischen Krankheiten<br />

(z.B. Niere, Nebenniere, Phäochromozytom etc.)<br />

� primär ohne organische Ursache als heterogene<br />

multifaktorielle Erkrankung<br />

(genetische Faktoren, Umwelteinflüsse, soziale Aspekte,<br />

psychologische Faktoren und Verhaltensweisen)<br />

„Situation ist nicht gleich Situation“<br />

5 Anteile des Beziehungsgeflechtes<br />

zwischen dem Individuum und seiner Umwelt:<br />

� physikalisch Außenreize treffen auf Sinnesorgane<br />

� physiologisch Außenreize werden zu Sinnesreizen<br />

� sozial Sinnesreize werden in verständliche Signale<br />

verschlüsselt<br />

� sozialpsychologisch neben verständlicher Bedeutung kommt<br />

spezielle Bedeutung als Stichwort einer<br />

bestimmten Rolle hinzu<br />

� psychisch abhängig von emotionaler Verfassung<br />

zusätzliche individuelle Bedeutung<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

100


Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />

Situationskreis nach Uexküll Therapie der Hypertonie<br />

Psychosomatische Grundversorgung<br />

neben der rein medikamentösen Therapie<br />

� (Psycho-)Edukation zum Krankheitsbild und<br />

möglichen Einflussfaktoren<br />

� Motivation zu Lebensstilveränderungen wie<br />

� Gewichtsreduktion<br />

� regelmäßiges körperliches Training<br />

� Entspannungstechniken<br />

� kognitive Stressbewältigungsprogramme<br />

� sozialmedizinische Empfehlungen<br />

� keine Akkord- oder Schichtarbeit<br />

� Arbeit auf Gerüsten, an Maschinen und in Verkehrsmitteln in<br />

Abhängigkeit der beklagten Symptomatik<br />

Kardiovaskuläre Risikofaktoren<br />

� arterielle Hypertonie<br />

� Dyslipoproteinämie<br />

� Diabetes mellitus<br />

� Rauchen<br />

� familiäre Belastung<br />

� Ernährungsgewohnheiten bzw. Übergewicht<br />

� Bewegungsmangel<br />

� männliches Geschlecht (mit deutlichem Anstieg bei den Frauen)<br />

� höheres Alter<br />

� multifaktorielle Erkrankung<br />

� oft ohne für den Patienten spürbare Symptome<br />

� aber mit der Notwendigkeit einer lebenslangen<br />

Medikation<br />

→ häufig compliance-Problem<br />

→ shared decision-making (Deinzer et al. 2006, Danzer et al. 2000)<br />

auf der Basis einer guten Arzt-Patienten-Beziehung<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

KHK<br />

KHK-begünstigende psychosoziale Faktoren<br />

� unvorteilhafte sozioökonomische Bedingungen<br />

� mangelnde soziale Unterstützung<br />

� akuter und/oder chronischer Stress<br />

� Feindseligkeit und/oder inadäquater Ärger<br />

� Depression oder Angst<br />

101


Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />

Niedriger sozioökonomischer Status<br />

� Depressivität in unteren Schichten häufiger (Koster et al. 2006)<br />

� Zusammenhang zwischen Stresserleben und arterieller<br />

Hypertonie v.a. in unteren Schichten (Reiff et al. 2001)<br />

� 3x höheres Risiko bei niedrigem Bildungsstatus für einen durch<br />

Ärger ausgelösten Herzinfarkt (Mittleman et al. 1997)<br />

� Feindseligkeit häufiger in unteren Sozialschichten (Caroll et al. 1997)<br />

→ Indikator für KHK-Risiko<br />

� geringerer Nutzen medizinischer Betreuung<br />

� ungünstiges Gesundheitsverhalten<br />

� erhöhtes Stresserleben<br />

Akuter Stress<br />

� ausgeprägte Reaktion des sympathiko-adreno-medullären<br />

Systems (SAM) und<br />

� Deaktivierung des Parasympathikus (Rozansky et al. 2005)<br />

� führen zu Steigerung von Herzefrequenz und Blutdruck<br />

(Kamarck et al. 1998) und zur<br />

� Erhöhung der Thrombozytenadhäsivität (Camacho und Dimsdale 2000)<br />

� Aktivierung der plasmatischen Gerinnung (Känel und Dimsdale 2003)<br />

� Verminderung der Herzfrequenzvariabilität<br />

� Anstieg der Hämokonzentration<br />

� Verlust der normalen Endothelfunktion mit erhöhtem Risiko<br />

vasospastischer Ereignisse (Rozansky et al. 2005)<br />

Typ A - Persönlichkeit<br />

� Handlungs-Emotionen-Komplex<br />

� Merkmale<br />

� Zeitnot<br />

� Feindseligkeit<br />

� Wettbewerbsorientierung<br />

� Ungeduld und kurze Antwortlatenz<br />

� instabile Befunde, vor allem bei Selbsteinschätz-<br />

Skalen und schon erkrankten Personen<br />

Mangelnde soziale Unterstützung<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

(Untersuchung von Bucher 1994)<br />

� 9 Kohorten- (11.675) und 2 Interventionsstudien (818 Patienten)<br />

� Zusammenhang zwischen sozialer Unterstützung und Prognose<br />

nach Myokardinfarkt<br />

� 1,5 – 5,6fach erhöhte Morbidität und Mortalität bei Mangel an<br />

sozialer Unterstützung<br />

� 5,6faches Risiko für plötzlichen Herztod bei Zusammentreffen von<br />

geringer sozialer Unterstützung und hohem psychosozialen Stress<br />

Chronischer Stress (z.B. am Arbeitsplatz)<br />

� Job-strain-Modell (Karasek 1979)<br />

Missverhältnis zwischen hoher Anforderung (high demand)<br />

und niedriger Kontrolle über Entscheidungsprozesse<br />

(low control)<br />

� berufliche Gratifikationskrise (Siegrist et al. 1990)<br />

Missverhältnis zwischen persönlicher und/oder situativer hoher<br />

Verausgabung und niedriger Belohnung<br />

(effort-reward-imbalance)<br />

Anger/Hostility und KHK<br />

� Diskussion: nicht Typ A, sondern Feindseligkeit bzw.<br />

„inadäquater Ärger“ als Einzelmerkmal relevant<br />

� Befunde:<br />

� Anger/Hostility korreliert mit ersten Anzeichen<br />

ateriosklerotischer Veränderungen (Harris et al., 2003)<br />

� Anger/Hostility sagen Entstehung von Hypertonie und<br />

Apoplex voraus (Yan et al., 2003)<br />

� Hostility korreliert mit Entzündungsmarkern (Suarez et al., 2003)<br />

� Hostility korreliert auch mit schlechterem sozialen<br />

Netzwerk/Unterstützung und erhöhten Raten sozialer<br />

Stressoren<br />

→ Der Effekt ist empirisch nicht gesichert!!!<br />

102


Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />

Typ D - Persönlichkeit<br />

= „negative Affektivität und soziale Hemmung“<br />

� Prädiktor von KHK (Denollet 1996, 2005)<br />

� negative Affektivität: Tendenz zu dysphorischen Emotionen,<br />

Ängstlichkeit und emotionaler Irritierbarkeit<br />

→ korreliert mit somatischen Beschwerden ganz allgemein<br />

� soziale Inhibition: gehemmter Ausdruck von Emotionen,<br />

reduziertes Verhalten in sozialen Interaktionen und Angst vor<br />

der Ablehnung durch andere<br />

Depression und KHK:<br />

biologische Mechanismen<br />

� neuroendokrin (z.B. HHN-System, Kortisol)<br />

� vegetativ (sympathoadrenerges System)<br />

� immunologisch (proinflammatorische Zytokine)<br />

� iatrogen: atypische Neuroleptika, TCA<br />

Depression und KHK: Meta-Analyse<br />

(Barth et al. 2004 Psychosom Med, 66, 802-813)<br />

� Frage: Hat Depression eine prognostischen Einfluss<br />

bei KHK?<br />

� Methode: Integration von 20 prospektiven Studien<br />

� Ergebnisse:<br />

� Depressive haben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer<br />

KHK (OR=1.64; CI=1.3–2.1)<br />

� KHK-Patienten mit Depression haben ein erhöhtes Reinfarkt- und<br />

Sterbensrisiko als Nicht-Depressive, (OR=2.24; CI= 1.4-3.6)<br />

� Die ungünstige Prognose bleibt auch bestehen, wenn andere<br />

Risikofaktoren berücksichtigt werden.<br />

Negative Affektivität und Zustand nach<br />

Herzinfarkt<br />

„Survival rate“<br />

1<br />

0,9<br />

0,8<br />

0,7<br />

0,6<br />

0,5<br />

0,4<br />

0,3<br />

0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20<br />

Barefoot et al. 2000, Psychosom Med<br />

Depression und KHK:<br />

psychische Mechanismen<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

High neg. affect<br />

Low neg. affect<br />

Jahre<br />

� ungesündere Lebensführung bei Depression<br />

� verminderte medizinische Compliance/Adherence<br />

� depressive Anpassungsstörung<br />

� geringere soziale Unterstützung<br />

� „Infarktpersönlichkeit“ (Typ D)<br />

� negative Affektivität<br />

� soziale Hemmung<br />

Depression: Prognose 2 Jahre nach<br />

Stent-Implantation (n=536)<br />

� Todesfälle und Myokardinfarkte bei Patienten mit und ohne<br />

Erschöpfung/Müdigkeit und mit und ohne Depression<br />

Pedersen et al. 2007, J Psychosom Res<br />

103


Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />

Depression: Prognose 2 Jahre nach<br />

Stent-Implantation (n=536)<br />

• Todesfälle und Myokardinfarkte bei Patienten mit und ohne<br />

Hoffnungslosigkeit<br />

Pedersen et al. 2007, J Psychosom Res<br />

Depression und KHK:<br />

Diagnostik<br />

Depression und v.a.<br />

Hoffnungslosigkeit<br />

= kardiotoxisch<br />

� Screening-Fragen zu Angst- und Depressionssymptomen<br />

� Wenn eine oder mehrere der folgenden Fragen mit „Ja“<br />

beantwortet werden sollte, deutet dies auf eine Problematik<br />

hin. Als Zeitraum gelten die vergangenen vier Wochen.<br />

� Angst<br />

� Waren Sie besonders ängstlich und nervös?<br />

� Haben Sie sich Sorgen über viele verschiedene Dinge gemacht?<br />

� Hatten Sie eine Panikattacke (d. h. plötzlich auftretende, intensive<br />

Angst)?<br />

� Depression<br />

� Haben Sie Lust und Interesse an Dingen verloren, die Ihnen sonst Freude<br />

gemacht haben?<br />

� Waren Sie niedergeschlagen, deprimiert und hoffnungslos?<br />

Screening auf psychosoziale Risikofaktoren<br />

(Albus und Siegrist 2005, Graham et al. 2007, Gohlke et al. 2007)<br />

� Was sind Sie von Beruf?<br />

Hinweise auf erhöhtes Risiko bei Hauptschulabschluss, ungelernt, Handwerker<br />

� Haben Sie Personen, die Sie unterstützen?<br />

� Fühlen Sie sich Ihren beruflichen Anforderungen gewachsen?<br />

Gibt es Probleme in der Partnerschaft oder Familie?<br />

� Fühlen Sie sich häufig ärgerlich oder angespannt?<br />

� Fühlen Sie sich häufig niedergeschlagen und hoffnungslos?<br />

� Haben Sie das Interesse oder die Freude am Leben verloren?<br />

Depression und KHK:<br />

Fazit<br />

� Auftreten eines Herzinfarkts führt zu vermehrter<br />

Depression (ca. jeder 5. HI-Patient erfüllt Kriterien<br />

für eine depressive Störung)<br />

� Depression korreliert und präjudiziert<br />

Krankheitssymptome, Krankheitsbeeinträchtigung<br />

und Häufigkeit von Arztbesuchen<br />

� Depression erhöht das Risiko von KHK und deren<br />

Komplikationen<br />

Depression und KHK:<br />

Therapie<br />

� Simultane Behandlung der psychischen und der körperlichen<br />

Symptomatik<br />

� Antidepressiva<br />

� Cave: Nebenwirkungen<br />

� Cave: Interaktionen<br />

� SSRIs<br />

� Psychotherapie<br />

� Psychoedukation<br />

� Gesundheitsverhalten<br />

� Integration der Bezugspersonen<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

104


Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />

Übersicht nicht-medikamentöser<br />

Interventionen<br />

� Reduzierung von Risikofaktoren<br />

� Lebensstiländerung: Bewegung, Ernährung, Rauchen<br />

� Stressbewältigung (z.B. MBSR), Zeitmanagement, Problemlösetraining<br />

� Entspannungsverfahren (progressive Muskelentspannung, AT etc.)<br />

� Psychotherapie bei psychischer Komorbidität und zur<br />

Verbesserung der Krankheitsbewältigung<br />

(„adäquate Angst“, Verleugnung)<br />

� Verbesserung der Medikamenten-Compliance/<br />

-Adherence<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

105


Psychotraumatologie<br />

<strong>Psychosomatik</strong><br />

Psychotraumatologie<br />

Dipl.Psych. Hannelore Sinzinger<br />

WiSe <strong>2012</strong>/13<br />

Psychotraumatologie<br />

beschäftigt sich mit<br />

� den Folgen<br />

� dem Verlauf<br />

� den Behandlungsmöglichkeiten<br />

seelischer Verletzungen (= psych.Traumen)<br />

Was ist ein Trauma?<br />

� ICD-10: Kurz oder lang anhaltende belastende Ereignisse oder<br />

Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit<br />

katastrophalem Ausmaß, die nahezu bei jedem tiefgreifende<br />

Verzweiflung auslösen würden (WHO 1993)<br />

� DSM-IV: Potentielle oder reale Todesbedrohungen, ernsthafte<br />

Verletzungen oder eine Bedrohung der körperlichen<br />

Versehrtheit bei sich oder anderen, auf die mit intensiver<br />

Furcht, Hilflosigkeit oder Schrecken reagiert wird (APA<br />

Hauptvorlesung <strong>Psychosomatik</strong> <strong>WS</strong> 12/13<br />

Einstieg<br />

PSYCHOTRAUMATOLOGIE<br />

Dipl.-Psych. Hannelore Sinzinger<br />

� Amoklauf von Erfurt 26.04.2002<br />

� Eschede Zugunglück 1998<br />

Was ist ein psychisches Trauma?<br />

� Beispiele<br />

� Naturkatastrophen<br />

� Kampfhandlungen<br />

� Terrorismus<br />

� Verkehrsunfälle<br />

� Diagnose einer unheilbaren Krankheit<br />

� Aufenthalt auf Intensivstation<br />

� Vergewaltigung<br />

� Gewaltverbrechen<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

106


Psychotraumatologie<br />

Trauma ist ...<br />

� Ein vitales Diskrepanzerleben zwischen bedrohlichen<br />

Situationsfaktoren und individuellen Bewältigungsfaktoren,<br />

� das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und des schutzlosen<br />

Preisgegebenseins einhergeht<br />

� und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und<br />

Weltverständnis bewirkt.<br />

Einteilung nach Dauer<br />

Fischer und Riedesser, 1999<br />

Typ-I-Trauma<br />

Typ-II-Trauma<br />

Einteilung nach Verursachung<br />

Akzidentielles Trauma Intendierte/Interpersonelle<br />

Traumen („man-made“)<br />

o Schwere Verkehrsunfälle<br />

o Berufsbedingte Traumen<br />

(z.B. Polizei, Feuerwehr,<br />

Rettungskräfte)<br />

o Kurz dauernde<br />

Katastrophen (z.B.<br />

Wirbelsturm, Brand)<br />

o Lang dauernde Naturkatastrophen<br />

(z.B. Erdbeben,Überschwemmung)<br />

o Technische Katastrophen<br />

(z.B.<br />

Giftgaskatastrophen) mit<br />

anhaltenden Folgen<br />

o Sexuelle Übergriffe (z.B.<br />

Vergewaltigung)<br />

o Kriminelle bzw. körperliche<br />

Gewalt<br />

o Ziviles Gewalterleben (z.B.<br />

Banküberfall)<br />

o Sexueller und körperlicher<br />

Missbrauch<br />

o Kriegserleben<br />

o Geiselhaft<br />

o Folter, politische<br />

Inhaftierung (z.B. KZ-Haft)<br />

nach Maercker 1998<br />

Akute Belastungsreaktion (ICD-10 F 43.0)<br />

� Eine vorübergehende Störung, die sich bei einem psychisch nicht<br />

manifest gestörten Menschen als Reaktion auf eine außergewöhnliche<br />

physische oder psychische Belastung entwickelt, und die im<br />

allgemeinen innerhalb von Stunden oder Tagen abklingt.<br />

� Die Symptomatik zeigt typischerweise ein gemischtes und<br />

wechselndes Bild, beginnend mit einer Art von "Betäubung", mit einer<br />

gewissen Bewusstseinseinengung und eingeschränkten<br />

Aufmerksamkeit, einer Unfähigkeit, Reize zu verarbeiten und<br />

Desorientiertheit.<br />

� Vegetative Zeichen panischer Angst wie Tachykardie, Schwitzen und<br />

Erröten treten zumeist auf.<br />

� Die Symptome erscheinen im allgemeinen innerhalb von Minuten<br />

nach dem belastenden Ereignis und gehen innerhalb von zwei oder<br />

drei Tagen, oft innerhalb von Stunden zurück.<br />

Trauma Einteilung<br />

� Typ I<br />

� Kurzdauerndes, einmaliges,<br />

plötzliches, überraschendes<br />

traumatisches Ereignis<br />

� Akzidentiell<br />

� Zufällige traumatische<br />

Ereignisse<br />

� Primär<br />

� Selbst erlebt<br />

Erholung/Bewältigung<br />

Integration<br />

Kompensation<br />

modifiziert nach Flatten, 2001<br />

Erholungsphase<br />

T R A U M A<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

� Typ II<br />

� Serie von traumatischen<br />

Einzelereignissen; lang<br />

dauernde, mehrfache<br />

traumatische Ereignisse<br />

� Man-made<br />

� Intendierte, interpersonelle<br />

traumatische Ereignisse<br />

� Sekundär<br />

� beobachtet<br />

Akute Belastungsreaktion<br />

� Nach einiger Zeit lassen Symptome nach<br />

� Entlastung: Symptome sind “normaler Ausdruck” auf eine<br />

“unnormale Situation”<br />

� Allmähliche Rückkehr zum gewohnten Leben<br />

� Es genügen Hilfen aus der sozialen Umgebung:<br />

� - Anwesenheit und Gespräche anbieten<br />

� - Austauschmöglichkeiten mit Mitbetroffenen<br />

� schaffen (bei Bedarf Selbsthilfegruppe,<br />

Trauergruppe)<br />

� - nicht “drängen”, Zeit lassen<br />

� - praktische Unterstützung<br />

107


Psychotraumatologie<br />

T R A U M A<br />

Anpassungsstörung Akute Belastungsreaktion<br />

Bewältigung<br />

Integration<br />

Kompensation<br />

modifiziert nach Flatten, 2001<br />

T R A U M A<br />

Anpassungsstörung Akute Belastungsreaktion<br />

Bewältigung<br />

Integration<br />

Kompensation<br />

modifiziert nach Flatten, 2001<br />

Depression<br />

Angst<br />

Somatisierung<br />

Sucht, Essst.<br />

Dissoziation<br />

Symptomgruppen der PTBS (F43.1) - I<br />

� Wiedererleben des Traumas<br />

� Alpträume, Nachhallerinnerungen (Flash-backs): lebendige<br />

Erinnerungen (Bilder, Gedanken), Affekte, Geräusche,<br />

Geruchsempfindungen<br />

� entspringen unmittelbar dem auslösenden Ereignis<br />

� Wiedererleben wie im Hier-und-Jetzt, „Als-ob-Gefühle“<br />

� der willentlichen Kontrolle nicht zugänglich (Intrusionen)<br />

� Auslöser oft nicht bewusst, sehr rasche Reiz-Reaktions-Verbindung<br />

� Priming für traumaassoziierte Reize<br />

� Vegetative Übererregbarkeit (Hyperarousal)<br />

� erhöhte Schreckhaftigkeit, Reizbarkeit oder Wutausbrüche, Ein- und<br />

Durchschlafstörungen, Konzentrationsschwäche, Hypervigilanz<br />

Anpassungsstörung (ICD-10 F 43.2)<br />

� Auslöser sind belastende Lebensveränderungen, belastende<br />

Lebensereignisse oder schwere körperliche Krankheit.<br />

� Hierbei handelt es sich um Zustände von subjektiver<br />

Bedrängnis und emotionaler Beeinträchtigung, die im<br />

allgemeinen soziale Funktionen und Leistungen behindern und<br />

während des Anpassungsprozesses nach einer entscheidenden<br />

Lebensveränderung oder nach belastenden Lebensereignissen<br />

auftreten.<br />

� Die Störungen bestehen hauptsächlich in Depressivität und<br />

Angst, Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit, Unsicherheit und<br />

Unfähigkeit, eingeschränkter Lebenstüchtigkeit im Alltag.<br />

� Kurze oder längere depressive Reaktion<br />

� Dauer nicht länger als 6 Monate<br />

T R A U M A<br />

Anpassungsstörung Akute Belastungsreaktion<br />

Bewältigung<br />

Integration<br />

Kompensation<br />

modifiziert nach Flatten, 2001<br />

Depression<br />

Angst<br />

Somatisierung<br />

Sucht, Essst.<br />

Dissoziation<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Posttraumatische<br />

Belastungsstörung<br />

PTBS<br />

Komplexe PTBS (DESNOS)<br />

andauernde<br />

Persönlichkeitsveränderung<br />

nach Extrembelastung<br />

Symptomgruppen der PTBS (F43.1) - II<br />

� Vermeidungsverhalten<br />

� Vermeiden traumaassoziierter Stimuli, von Orten und<br />

Situationen, kognitives Vermeiden<br />

� Abflachung der Gefühle, emotionale Taubheit<br />

(„numbness“)<br />

� z.B. Betäubt sein, Gleichgültigkeit, Interesselosigkeit,<br />

Entfremdung von anderen, eingeschränkte<br />

Zukunftsperspektive<br />

� Teilweise oder vollständige Unfähigkeit, einige wichtige<br />

Aspekte der Belastung zu erinnern<br />

� Dissoziative Amnesie<br />

108


Psychotraumatologie<br />

Dissoziative Amnesie (F44.0)<br />

� Meist reversibler Erinnerungsverlust (memory recovery),<br />

� für bestimmte Ereignisse aus der persönlichen Lebensgeschichte,<br />

� meist hochgradig belastende oder traumatisierende Erfahrungen, v.a.<br />

in der Kindheit<br />

� Zeitspanne: Minuten, aber auch einige Jahre<br />

� Akute, klassische Form: große Bereiche der autobiografischen<br />

Erinnerung betroffen<br />

� Chronische, nicht-klassische Form: häufig verdeckt<br />

� Ausgeprägter oder länger anhaltend als normale Vergesslichkeit<br />

� ohne organische Ursache oder Drogeneinfluss<br />

� Symptom anderer Störungen (z.B. PTBS)<br />

Andauernde Persönlichkeitsänderung nach<br />

Extrembelastung (ICD-10 F 62.0)<br />

� Eine andauernde, wenigstens über zwei Jahre bestehende<br />

Persönlichkeitsänderung kann einer Belastung katastrophalen<br />

Ausmaßes folgen.<br />

� Die Belastung muss extrem sein, so dass die Vulnerabilität der<br />

betreffenden Person als Erklärung für die tief greifende<br />

Auswirkung auf die Persönlichkeit nicht in Erwägung gezogen<br />

werden muss.<br />

� Die Störung ist durch eine feindliche oder misstrauische<br />

Haltung gegenüber der Welt, durch sozialen Rückzug, Gefühle<br />

der Leere oder Hoffnungslosigkeit, ein chronisches Gefühl der<br />

Anspannung wie bei ständigem Bedrohtsein und<br />

Entfremdungsgefühl gekennzeichnet.<br />

� Eine PTBS kann dieser Form der Persönlichkeitsänderung<br />

vorausgegangen sein.<br />

DESNOS<br />

Disorder of Extreme Stress Not Otherwise Specified<br />

(Komplexe PTBS)<br />

� Komplexeres Krankheitsbild, das nach vielfachen<br />

Traumatisierungen bzw. infolge schwerer Traumatisierungen<br />

wie körperlicher oder sexueller Missbrauchserfahrungen, aber<br />

auch bei Kriegs- und Foltererfahrungen oder Entführungen,<br />

entsteht<br />

� Breites Spektrum kognitiver, affektiver und psychosozialer<br />

Beeinträchtigungen, die über einen längeren Zeitraum<br />

bestehen bleiben.<br />

� Überschneidung mit Borderline-Persönlichkeitsstörung und<br />

Dissoziativer Störung<br />

� Bisher nur im Anhang des DSM-IV<br />

Sack, 2004<br />

TRAUMA PTBS<br />

� Ungefähr die Hälfte aller Menschen machen im Verlaufe ihres<br />

Lebens mindestens eine traumatische Erfahrung<br />

� Nicht alle entwickeln eine PTBS<br />

PTBS<br />

� Lebenszeitprävalenz 5-10% in USA, 1-2% in D<br />

� Relation Frauen / Männer 2:1<br />

� Subsyndromale Störungsbilder wesentlich häufiger<br />

� Tendenz zur Chronifizierung<br />

� In Risikogruppen deutlich höhere Prävalenz<br />

� Kriminalitätsopfer, Vietnamveteranen, Folteropfer,<br />

Feuerwehrmänner u. a.<br />

� Kinder und Jugendliche besonders vulnerabel<br />

� Hohe Komorbidität mit anderen psychischen Erkrankungen<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

109


Psychotraumatologie<br />

Komorbidität mit psychischen Störungen<br />

Somatoforme<br />

Störungen<br />

Angststörung<br />

Persönlichkeitsstörung<br />

PTBS<br />

Affektive<br />

Störungen<br />

(Perkonigg et al. 2000, Switzer et al. 1999, Davidson & Connor 1999)<br />

Substanzabhängigkeit<br />

Phasengeleitete Therapie bei PTBS<br />

A. Psychotherapie<br />

� Psychoedukation<br />

� Stabilisierungsphase<br />

� Bearbeitungsphase<br />

� Integrationsphase<br />

B. Pharmakotherapie<br />

i. d. R. 2. Wahl<br />

Ziele der Psychotherapie bei PTBS<br />

Essstörung<br />

� Bezüglich der Kernsymptomatik hat die KVT zum Ziel:<br />

� Intrusives Wiedererleben zu reduzieren<br />

� Dysfunktionale Bewertungen und Überzeugungen zu<br />

modifizieren<br />

� Kognitives und offenes Vermeidungsverhalten zu reduzieren<br />

Risikofaktoren für die Entwicklung einer PTBS<br />

(Brewin et al. 2004, Ozer et al. 2003, Watson & Shalev 2005, Maercker 1997, van der Kolk<br />

2000)<br />

prä-traumatisch peri-traumatisch post-traumatisch<br />

Weibliches Geschlecht<br />

Jüngeres Alter<br />

Unterdurchschnittliche<br />

Intelligenz<br />

Niedriger sozioökonomischer<br />

Status<br />

Missbrauch in der<br />

Kindheit<br />

Vorbestehende<br />

psychische Störung<br />

Genetische Aspekte<br />

Neurobiologische<br />

Besonderheiten<br />

Objektiver Schweregrad<br />

des Traumas („Trauma<br />

Dosis“)<br />

Subjektive Bedrohung<br />

Externale Schuldzuschreibung<br />

Peritraumatische Dissoziation<br />

Früh einsetzende Wiedererlebenssymptome<br />

Pharmakotherapie bei PTBS<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Ungenügende soziale<br />

Unterstützung<br />

Traumabedingte<br />

körperliche Funktionseinschränkung<br />

Anhaltende Schmerzen<br />

� Alleinige Pharmakotherapie: obsolet n. AWMF-S3-Leitlinie<br />

� Adjuvante Pharmakotherapie zur Unterstützung der<br />

Symptomkontrolle<br />

� SSRIs<br />

� Venlafaxin<br />

Stabilisierungsphase<br />

-Erste Maßnahmen und Symptomreduktion-<br />

� Sicherheit schaffen, Beziehungsangebot<br />

� Informationsvermittlung<br />

� Abklärung des individuellen Stabilisierungsbedarfs<br />

(u. a. hinreichende Emotionsregulierung vorhanden?)<br />

� Ressourcen-Aktivierung und -Organisation<br />

� Selbstberuhigungsstrategien<br />

� Distanzierungstechniken<br />

� Fertigkeitentraining<br />

110


Psychotraumatologie<br />

Bearbeitungsphase<br />

� Dosiertes Wiedererleben und Verbalisieren des traumatischen<br />

Ereignisses und damit verbundener Gefühle<br />

� Konfrontation/Exposition/Desensibilisierung:<br />

� Imaginativ, detaillierte Narrative<br />

� EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing –<br />

Shapiro), Exposition mit bilateraler Stimulation: schnelle,<br />

rhythmische Augenbewegungen, Berührungsreize, auditive<br />

Reize<br />

Traumabearbeitung<br />

� Pat. soll lernen, das Trauma als einen vergangenen Teil des<br />

eigenen Lebens in die individuelle Biographie einzuordnen<br />

� Fokus auf intrusivem Wiedererleben und dessen Bewältigung<br />

Sekundärprävention - Debriefing<br />

� Methode: 24-72 Stunden nach Trauma Einzel- oder<br />

Gruppensitzung von 1-3 Stunden<br />

� Konzept: Mitchell (1983) „Critical Incident Stress<br />

Management“<br />

� Ziel: Verhindern/Vermindern akuter Stressreaktionen und<br />

psychotraumatischer Belastungsstörungen<br />

� Narrativ des Traumas (Fakten, Kognitionen, Gefühle)<br />

� Normalisierung emotionaler Reaktionen<br />

� Vorbereitung auf spätere Reaktionen<br />

Trauma und Gedächtnis<br />

� Im Rahmen der therapeutischen Interventionen soll sich das<br />

im impliziten Gedächtnis gespeicherte Trauma „enthüllen“,<br />

� so dass Körperempfindung, Affekt, Szenen zusammen<br />

kommen, verbalisiert und in ein Narrativ der Patientin<br />

eingegliedert werden (deklaratives Gedächtnis).<br />

Integrationsphase<br />

� Trauerarbeit<br />

� „Loslassen“ des Traumas<br />

� Soziale Neuorientierung<br />

� Neuer Selbst- und Weltbezug<br />

� Abschied üben (Therapie, bisherige Trauma-Identität)<br />

Sekundärprävention – Debriefing?<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Dr. A. v. Arnim, K. Thiel<br />

Meta-Analyse: van Emmerik et al., Lancet 2002<br />

� Debriefing mindert / verhindert nicht posttraumatische<br />

Belastungssymptome oder andere traumarelevante<br />

Beschwerden<br />

� Debriefing kann natürlichem Verarbeitungsprozess diametral<br />

entgegenwirken<br />

111


Psychotraumatologie<br />

Debriefing<br />

Interferenz mit natürlichen Heilungsprozessen?<br />

“Just wait until patient come.” (E. Foa, 2005)<br />

Empfehlung: Informationen über posttraumatische Symptome<br />

geben<br />

Zusammenfassung<br />

� Traumatisierung ist häufig<br />

� PTBS ist eine häufige Störung<br />

� Traumata Typ II, man-made und primär erlebt führen zu<br />

schwereren Symptomen<br />

� Traumaexposition erst nach Stabilisierung<br />

� AWMF-S3-Leitlinie :<br />

Flatten G, Gast U, Hofmann A, Knaevelsrud Ch, Lampe A, Liebermann<br />

P, Maercker A, Reddemann L, Woller W (2011): S3 - Leitlinie<br />

Posttraumatische Belastungsstörung. Trauma & Gewalt 3: 202-210.<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

112


Psychoonkologie<br />

Hauptvorlesung <strong>Psychosomatik</strong> <strong>WS</strong> 12/13<br />

Psychosomatische und<br />

Psychotherapeutische Abteilung<br />

PSYCHOONKOLOGIE<br />

Dipl.-Psych. Hannelore Sinzinger<br />

Psychologische Psychotherapeutin<br />

Psychoonkologischer Dienst<br />

Psychoonkologie<br />

� Beschäftigt sich mit den seelischen Aspekten von<br />

Krebserkrankungen<br />

� Es geht dabei um psychologische Zusammenhänge hinsichtlich<br />

Entstehung, Prävention, Diagnostik, Therapie, Rehabilitation<br />

� Sie unterstützt die neue Lebensaufgabe, die vielen<br />

Belastungen seelisch auszugleichen und zu meistern<br />

Koch/Weis 1998<br />

� Bietet psychologische/psychotherapeutische Hilfestellungen zur<br />

Krankheitsverarbeitung<br />

Psychoonkologie<br />

3 Hauptfragestellungen:<br />

1. Ist Krebs psychisch verursacht ?<br />

Hat die Psyche Einfluß auf den Krankheitsverlauf ?<br />

Psychoonkologische Betreuung<br />

am Universitätsklinikum Erlangen<br />

Liaison- / Konsiliardienst der Psychosomatischen<br />

seit 1998 und Psychotherapeutischen Abteilung<br />

aktuell 6 Psychologinnen<br />

� Liaisondienst: - Strahlenklinik<br />

- Med.Klinik 5<br />

- Frauenklinik<br />

- Chirurgie<br />

- Hautklinik<br />

- Zahn-/Kieferklinik<br />

� Konsiliardienst: - Med. Klinik 1,4<br />

- HNO<br />

- Neurologie/-chirurgie<br />

- Palliativstation (1 Psychologin)<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

H. Sinzinger<br />

2. Welche psychischen Folgen hat die Krebserkrankung für den<br />

Menschen?<br />

3. Mit welchen Maßnahmen und mit welchen Zielen kann<br />

Krebspatienten psychisch geholfen werden?<br />

H. Sinzinger<br />

Entwicklung der Psychoonkologie<br />

H. Sinzinger<br />

„Die Seele des Patienten braucht ebensoviel Hilfe wie sein Körper“ J.Holland<br />

� Bis in die 70 er Jahre kaum systematische psychoonkologische<br />

Forschung und Versorgung, Selbsthilfeprogramme, Diskussionen über<br />

Diagnosemitteilung, „Wahrheit am Krankenbett“<br />

� Jimmie Holland, 1977 Psychiatrischer Service am Memorial Sloan-<br />

Kettering Cancer Center,<br />

= weltweit die erste Institution, die sich ausschließlich der klinischen<br />

Versorgung, Lehre und Erforschung psychologischer Aspekte und<br />

Probleme bei Krebskranken angenommen hat<br />

� Entwicklung von Meßinstrumenten<br />

� 1974 Gründung der Deutschen Krebshilfe durch Mildred Scheel<br />

� Internationaler Kongress in Heidelberg 1978, Implementierung<br />

zahlreicher psychoonkologischer Forschungsprojekte<br />

Zu 1.: Psychische Genese von Krebs<br />

Laientheorien/Ursachenzuschreibung<br />

H. Sinzinger<br />

Vorstellungen zur Krebsentstehung von 100 Patientinnen mit<br />

Ovarial-Ca:<br />

� Privater Stress 55%<br />

� Beruflicher Stress 36 %<br />

� Genetik 34 %<br />

� Hormone 29 %<br />

� Genitalinfektionen 20 %<br />

� Ernährung 19 %<br />

� Umweltverschmutzung 12 %<br />

� Nikotinkonsum 9 %<br />

� Sich nie nach Ursachen gefragt 4 % Müller et al. 2006 nach Grulke 2007<br />

H. Sinzinger<br />

113


Psychoonkologie<br />

Zu 1.: Psychische Genese von Krebs<br />

Hippokrates : Zusammenhänge zwischen der<br />

psychischen Verfassung “Melancholie” und der Entstehung<br />

von Krebs vermutet.<br />

Vorstellung, dass durch ein Vorherrschen der “schwarzen<br />

Galle” der ganze Organismus und auch die Seele<br />

vergiftet werde.<br />

Zu 1.: Psychische Genese von Krebs<br />

Ätiologie “Lebensumstände”<br />

� Häufung kritischer Lebensereignisse<br />

� inadäquater Umgang mit Stress<br />

� pathologische Verlustreaktionen<br />

� unverarbeitete Trauer<br />

keine gesicherten Ergebnisse !<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

H. Sinzinger<br />

Petticrew et al 1999, Graham et al 2002,<br />

Faller 2001/2004<br />

H. Sinzinger<br />

Zu 2.: Psychische Folgen<br />

Belastungsfaktoren bei einer Krebserkrankung<br />

� Todesdrohung<br />

� Verletzung der körperlichen Unversehrtheit<br />

� Aversiv erlebte Therapie<br />

� Kontrollverlust<br />

� Autonomieverlust<br />

Faller 1998<br />

� Bedrohung der sozialen Identität und des Selbstwertgefühls<br />

� Soziale Isolierung<br />

H. Sinzinger<br />

Zu 1.: Psychische Genese von Krebs<br />

Ätiologie “Krebspersönlichkeit”<br />

“Typus carcinomatosus” (Typ C): ausgeprägte<br />

Freundlichkeit, übertriebene Herzlichkeit, soziale<br />

Angepasstheit, übermäßige Hilfsbereitschaft, Dependenz,<br />

Aggressionshemmung, Neigung zu depressiven Reaktionen,<br />

gehemmter Ausdruck von Bedürfnissen, reduzierte<br />

Aufmerksamkeit gegenüber körperlichen Symptomen<br />

keine gesicherten empirischen Belege, OBSOLET<br />

Zu 1.: Psychische Genese von Krebs<br />

Fazit:<br />

H. Sinzinger<br />

� Insgesamt inkonsistente Studienlage !<br />

� Psychische Faktoren spielen bei der Krebsentstehung<br />

und dem Krankheitsverlauf wahrscheinlich keine bzw. eine<br />

untergeordnete Rolle<br />

aber:<br />

� Vor allem Patienten mit emotional hoher Belastung tendieren<br />

in ihrer eigenen Krankheitstheorie zur psychischen<br />

Ursachenerklärung für ihre Erkrankung<br />

Faller et al 1996, Grulke 2007<br />

H. Sinzinger<br />

Belastungsfaktoren bei einer Krebserkrankung<br />

für die Angehörigen<br />

� Seelische Erschütterung<br />

� Ungewissheit der Zukunft<br />

� Kommunikationsprobleme<br />

� Emotionaler Rückzug, Zunahme von Distanz<br />

� Sterbebegleitung<br />

Angehörige:<br />

41,0% erhöhte Angstwerte; 21,6% erhöhte Depressionswerte<br />

Weibliche Angehörige:<br />

48% erhöhte Angstwerte = hohe psychische Morbidität<br />

Notwendig: mehr Berücksichtigung in der Klinischen Versorgung<br />

Krähenbühl et al. Zürich 2007<br />

H. Sinzinger<br />

114


Psychoonkologie<br />

Patientin<br />

1.<br />

SCHOCK-<br />

PHASE<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

H. Sinzinger<br />

PHASEN DER KRANKHEITSVERARBEITUNG BEI DIAGNOSE KREBS<br />

nach Cullberg / Kast<br />

Nicht-<br />

Wahrhaben-<br />

Wollen<br />

Abwehr<br />

1.<br />

SCHOCK-<br />

PHASE<br />

Schrittweise Anpassung an die Situation<br />

2.<br />

REAKTIONS-<br />

PHASE<br />

Massive<br />

psychische<br />

Belastungssymptomatik<br />

H. Sinzinger<br />

PHASEN DER KRANKHEITSVERARBEITUNG BEI DIAGNOSE KREBS<br />

nach Cullberg / Kast<br />

Nicht-<br />

Wahrhaben-<br />

Wollen<br />

Abwehr<br />

Schrittweise Anpassung an die Situation<br />

2.<br />

REAKTIONS-<br />

PHASE<br />

Massive<br />

psychische<br />

Belastungssymptomatik<br />

3.<br />

REPARATIONS-<br />

PHASE<br />

Allmähliche<br />

Anpassung,<br />

realistische<br />

Einschätzung<br />

H. Sinzinger<br />

Initial/Diagnosestadium<br />

Ausmaß der Belastung<br />

abhängig vom<br />

Stadium der Krebserkrankung<br />

Remission<br />

kurativ<br />

Rezidive<br />

Metastasen<br />

Terminales Stadium<br />

Verarbeitung<br />

Prozess der Auseinandersetzung mit der Krankheit<br />

Bewältigung<br />

Belastungen der Erkrankung seelisch ausgleichen und meistern<br />

Bewältigungsstrategien<br />

Phasenmodell<br />

Bewältigungsstrategien<br />

„Abwehr“-Mechanismen<br />

Regulierungsmechanismen<br />

widersprüchlicher innerer<br />

Prozesse<br />

Herkunft: Psychoanalyse<br />

Ziel: Unbewusstbleiben von<br />

bedrohlichen Gefühlen und<br />

Phantasien<br />

Sichern die Funktionsfähigkeit des Ich<br />

Erfolgen unbewusst<br />

Zeit- und Distanzgewinn,<br />

Kurzfristige Entlastung<br />

Bewältigungsstrategien<br />

„Coping“-Strategien<br />

Überdauernde Stile zur bewussten<br />

Verhaltenssteuerung<br />

Herkunft: Stressforschung<br />

Ziel: Realitätsbewältigung,<br />

aktive Auseinandersetzung<br />

Sichern die Realitätsanpassung<br />

des Individuums<br />

Erfolgen meist bewusst<br />

Langfristige Anpassung<br />

Progredienz<br />

palliativ<br />

H. Sinzinger<br />

� Verleugnung: Die Krankheit nicht wahrhaben<br />

wollen: “Mir geht es gut, ich bin nicht krank, ich habe<br />

keine Angst.”<br />

� Vermeidung: Alles vermeiden, was Angst<br />

macht: “ Ich möchte über meine Krankheit nicht<br />

reden”, ”Ich vermeide, daran zu denken und gehe<br />

nicht zum Arzt.”<br />

� Verdrängung: Aktives Vergessen, Amnesie für<br />

bestimmte angsterregende, unangenehme<br />

Ereignisse/Gefühle. “Der Arzt hat mich nicht<br />

aufgeklärt”.<br />

� Regression: Rückzug auf frühkindliche Wunsch-<br />

Erlebens- und Verhaltensebenen.<br />

”Der Arzt weiß, was gut für mich ist”; “die Frau<br />

entscheidet”. Bedient, gefüttert werden wollen, nicht<br />

aufstehen können.<br />

� Rationalisierung: Die wahren Motive werden<br />

unbewußt verschleiert: “Nicht vor der Krankheit<br />

fürchte ich mich, aber vor den Medikamenten, der<br />

Bestrahlung…”<br />

H. Sinzinger<br />

Aktiv (eher adaptiv)<br />

� Informationssuche<br />

� Sinngebung<br />

� Suche nach sozialer Unterstützung<br />

� “fighting-spirit”<br />

� Ablenkende Aktivitäten<br />

Passiv<br />

� Stoizismus<br />

� Grübeln/Klagen<br />

� Schuldzuschreibungen<br />

� Nicht-Wahrhaben-Wollen<br />

� Sozialer Rückzug<br />

� Non-Compliance<br />

H. Sinzinger<br />

115


Psychoonkologie<br />

PHASEN DER KRANKHEITSVERARBEITUNG BEI DIAGNOSE KREBS<br />

nach Cullberg / Kast<br />

1.<br />

SCHOCK-<br />

PHASE<br />

Nicht-<br />

Wahrhaben-<br />

Wollen<br />

Abwehr<br />

Schrittweise Anpassung an die Situation<br />

2.<br />

REAKTIONS-<br />

PHASE<br />

Massive<br />

psychische<br />

Belastungssymptomatik<br />

3.<br />

REPARATIONS-<br />

PHASE<br />

Allmähliche<br />

Anpassung,<br />

realistische<br />

Einschätzung<br />

Bewältigung und Krankheitsverlauf<br />

� Depressive Bewältigung:<br />

4.<br />

NEU-<br />

ORIENTIERUNG<br />

Integration<br />

Neues Selbst-/Weltverständnis<br />

Annahme<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

H. Sinzinger<br />

Tendenz, dass Depressivität Überlebenszeit negativ beeinflussen kann<br />

z.B. Wulsin et al 2003, Lett et al 2004<br />

Aber: Vermittlung ungeklärt<br />

� „Fighting Spirit“ / Aktives Coping:<br />

Mehrheit der Studien zeigen keinen Zusammenhang<br />

bzgl. längerer Überlebenszeit<br />

z.B. Petticrew et al 1999, Faller 2004<br />

H. Sinzinger<br />

Zusammenfassung:<br />

Einflussgrößen für das Ausmaß der Belastung und den<br />

Prozess der Krankheitsverarbeitung<br />

„Krebs“-Vorerfahrungen<br />

psychische<br />

Disposition<br />

subjektive<br />

Krankheitstheorie<br />

Krankheits-<br />

Stadium<br />

kurativ/palliatv<br />

Prozess<br />

der<br />

Verarbeitung<br />

Bewältig.mechanismen<br />

-Abwehrlage<br />

-Coping-<br />

Strategien<br />

Behandlungsstadium<br />

Nebenwirkungen,<br />

Körperlicher<br />

Zustand<br />

Phase der<br />

Verarbeitung<br />

soziales<br />

Umfeld,<br />

Stützsysteme<br />

seelische<br />

Verfassung,<br />

psych.Vorerkrankung<br />

individuelle Faktoren<br />

krankheitsbedingte Faktoren<br />

Umgebungsbedingungen<br />

Ausmaß der Belastung<br />

Psychischer Befund<br />

Psychische Diagnose<br />

ICD 10<br />

Psychoonkologische<br />

Beratung (25-33%)<br />

Psychotherapeutische<br />

Interventionen (10-20%)<br />

H. Sinzinger<br />

Erfolgreiche Krankheitsbewältigung<br />

Patient<br />

� Emotionales Gleichgewicht<br />

� Optimale Lebensqualität<br />

( somat., psych., soz., Dimension )<br />

Behandlung<br />

� Compliance<br />

Einfluss auf Krankheitsverlauf?<br />

� Ertragen belastender<br />

Eingriffe<br />

� Anpassung an das<br />

Behandlungssetting<br />

Bewältigung und Krankheitsverlauf<br />

� „Positives Denken“ :<br />

keine einzige seriöse Studie<br />

� Fehlende soziale Unterstützung:<br />

wahrscheinlich ein Risikofaktor<br />

Grulke 2007<br />

Fox 1998<br />

� Sozioökonomischer Status:<br />

niedriger sozioökonomischer Status hat Einfluss auf den<br />

Krankheitsverlauf<br />

Krankheitsbelastung<br />

Holland 1998<br />

H. Sinzinger<br />

H. Sinzinger<br />

� Die Mehrheit der Tumorpatienten bewältigt ihre Situation mit<br />

den eigenen Ressourcen Kornblith, 1998<br />

� Behandlungsbedürftige psychische Beeinträchtigungen bei<br />

20-35%<br />

� Angst und Depression bleiben oft unentdeckt<br />

H. Sinzinger<br />

116


Psychoonkologie<br />

Mögliche psychische Beeinträchtigungen bei<br />

Krebspatienten<br />

� Anpassungsstörung 31-47%<br />

� Angst u./o. Depression 15-25%<br />

� PTSD 4-10%<br />

(einzelne Symptome bei 48%<br />

z.B.Nachhallerinnerungen,flashbacks,Vermeidung,Schlaflosigkeit)<br />

� Phänomene der “klassischen Konditionierung”<br />

(antizipatorische Nebenwirkungen z.B. Übelkeit, Erbrechen schon vor der<br />

Chemogabe)<br />

Suizidalität<br />

10 – 20% Krebskranke äußern Suizidgedanken, besonders<br />

in fortgeschrittenen Krankheitsstadien (Breitbert 1998)<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

H. Sinzinger<br />

DD-Problem: unterbewerten überbewerten<br />

Keine Suizidalität: Suizidgedanken sind Strohhalm bei starken<br />

Beschwerden Behandlung der Beschwerden<br />

Präsuizidales Syndrom: sozialer Rückzug, (scheinbare) emotionale<br />

Beruhigung, und (vordergründige) Kooperativität<br />

Akute Suizidalität: ärztliches psychiatr.-psychosomat. Konsil<br />

Prophylaxe, Diagnostik, Therapie: offenes Gespräch mit Patient /<br />

Angehörigen / Team<br />

H. Sinzinger<br />

Zu 3.: Maßnahmen zur psychoonkologischen<br />

Unterstützung<br />

� Beratung / Information<br />

(aktives Zuhören, versuchen zu verstehen)<br />

� Krisenintervention<br />

� Supportive Psychotherapie<br />

(Multimodale Verfahren, keine Überlegenheit einer PT-Methode)<br />

- Unterstützen, Stabilisieren, Gesamtsituation des Patienten verbessern, neue<br />

Möglichkeiten / Lösungen aufzeigen<br />

- Förderung und Vermehrung von allem, was am Patient gesund ist und gut, mit<br />

der „Abwehr“ mitgehen<br />

- “Holding” und “Containing”<br />

Mitteilen und Teilen der Verzweiflung, Ansprechen und Aushalten aller<br />

Gedanken und Gefühle<br />

- Psychoedukation<br />

z. B. Kognitive Umstrukturierung / Fokuslenkung /Gedankenstopp<br />

Therapeut muss aktiv sein, konkrete Ratschläge geben, großen Erfindungs- und Einfallsreichtum haben<br />

H. Sinzinger<br />

Fatigue-Syndrom<br />

- eigenständiges Krankheitsbild bei Krebspatienten (WHO)<br />

= Müdigkeit / Erschöpfung / Antriebslosigkeit Dtsche Fatigue Gesellschaft<br />

� Die Bedeutung von “tumor-related-fatigue” wurde erst in den letzten<br />

Jahren erkannt<br />

� Folge von Tumorerkrankung und –therapie, (Anämie, Nervenschäden,<br />

Mangelernährung, Zytokine) Wirkmechanismus ist nicht vollständig bekannt !<br />

� Psychische Faktoren erklären nur einen Teil der Symptomatik<br />

� Soziale Faktoren (z.B. Erwartungen der Patienten / Angehörigen)<br />

spielen eine Rolle<br />

� Lässt sich durch normale Erholungsmechanismen nicht beheben<br />

� Betroffen sind ca.80% aller Therapiepatienten, fast 40 % leiden noch<br />

Jahre nach Therapieende unter Fatigue<br />

Zu 3.: Zielsetzungen<br />

psychoonkologischer Hilfen<br />

H. Sinzinger<br />

� Reduktion von Angst, Depression, Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit<br />

� Reduktion von krankheits- oder behandlungsbedingten<br />

Symptomen<br />

� Stärkung des Selbsthilfepotentials (Selbstkontrolle,<br />

Selbstverantwortung)<br />

� Verbesserung des Selbstwertgefühls und der mentalen Einstellung<br />

zur Krebserkrankung<br />

� Förderung der verbleibenden Gesundheit und personaler<br />

Ressourcen<br />

� Verbesserung der Kommunikation (Patient, Angehörige,<br />

Behandler)<br />

� Förderung spiritueller Ziele<br />

� Hilfestellung bei der Auseinandersetzung mit Tod und Sterben<br />

H. Sinzinger<br />

Zu 3.: Maßnahmen zur psychoonkologischen<br />

Unterstützung<br />

� Entspannungs- und Imaginationsverfahren<br />

(Einübung innerer und äußerer Ruhe)<br />

� Vorbereiten und Begleiten bei angstauslösenden Situationen<br />

(Platzangst, Erstickungsgefühl unter der Maske bei Strahlentherapue)<br />

� Erlebnisorientierte Methoden<br />

z.B.Kunst, Musik (Fördern von Gefühlsausdruck, auch non-verbal)<br />

� Paar- und Familiengespräche<br />

� Gruppenangebote<br />

H. Sinzinger<br />

117


Psychoonkologie<br />

Studien zu Auswirkungen<br />

psychoonkologischer Interventionen<br />

Effekte bezüglich:<br />

� Krankheitsverarbeitung ++<br />

� Lebensqualität ++<br />

� Stress ++<br />

Effekte nicht eindeutig bezüglich:<br />

� Rezidivrate, rezidivfreie Zeit + -<br />

� Überlebenszeit + -<br />

� Antwort auf immunologische Parameter + -<br />

nach Weis, Vortrag 2004<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

H. Sinzinger<br />

Zusammenfassung<br />

Ärztliche Gesprächführung mit Tumorpatienten:<br />

� „Beziehungsmedizin“ betreiben !<br />

offen begegnen, „aktiv“ zuhören<br />

� Wo steht die/der Betroffene im Krankheitsverlauf ?<br />

� Welche Phase der Krankheitsverarbeitung ?<br />

Können Informationen aufgenommen oder müssen sie abgewehrt werden ?<br />

� Welche (psych.,somat.,sozialen) Belastungsfaktoren ?<br />

� Welche Ressourcen stehen zur Verfügung ?<br />

� In welchen Bereichen braucht er psychologische<br />

Unterstützung bzw. professionelle Hilfe ?<br />

H. Sinzinger<br />

Psychoonkologische Unterstützung für<br />

Behandler<br />

� Supervisionsangebote<br />

� Fortbildungen<br />

� Teambesprechungen<br />

� Einzelgespräche<br />

� Zur Erweiterung der psychosozialen Kompetenz<br />

(z.B. Umgang mit Sterbenden)<br />

� Zur Sensibilisierung für die Gefühls- und Erlebniswelt des Patienten<br />

� Zur emotionalen Entlastung<br />

� Zur Verbesserung der Arbeitszufriedenheit<br />

� Zur Burn-Out-Prophylaxe<br />

H. Sinzinger<br />

118


Gesprächsführung mit Schwerstkranken<br />

Hauptvorlesung <strong>Psychosomatik</strong> <strong>WS</strong> <strong>2012</strong>/13<br />

Psychosomatische und<br />

Psychotherapeutische Abteilung<br />

Gesprächsführung<br />

mit Schwerstkranken<br />

Dipl.-Psych. Hannelore Sinzinger<br />

Psychologische Psychotherapeutin<br />

Psychoonkologischer Dienst<br />

……„schwerstkrank“…..<br />

� Transplantationspatienten<br />

(Herz-, Nieren-, Leber-, Knochenmarkstransplantationen)<br />

� Chronisch Kranke<br />

(irgendwann zum Tode führend z.B. ALS, MS,)<br />

� Krebskranke mit infauster Prognose<br />

- Nach Primärbehandlung – krankheitsfreier Intervall – dann Rezidiv oder<br />

Metastasen<br />

- Primäre Behandlung zeigt keine Wirkung, unter Therapie kommt es zum<br />

Progress oder zu Metastasen<br />

- Schon bei Diagnosestellung ist Erkrankung so weit fortgeschritten, dass<br />

keine Behandlungsmöglichkeit in Richtung Heilung mehr besteht<br />

nach J.Holland 1982<br />

I. Yalom: Die Reise mit Paula<br />

Gesprächsführung mit Schwerstkranken<br />

Inhalt:<br />

� Merkmal „schwerstkrank“<br />

� Wesentliches zur Gesprächsführung<br />

� Die Frage nach dem Sinn<br />

� Das Konzept des Übergangsraums<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

H. Sinzinger<br />

„Was ist nur mit unseren Ärzten los ?<br />

Warum begreifen Sie nicht die Bedeutung ihrer schieren<br />

Gegenwart ? Warum können sie nicht erkennen,<br />

dass gerade der Augenblick, in dem sie sonst nichts<br />

mehr zu bieten haben, der Augenblick ist, in dem<br />

man sie am nötigsten hat ?“<br />

……„schwerstkrank“…..<br />

� Lebensbegrenzung, Endlichkeit, Vergänglichkeit,<br />

Sterben-Müssen steht im Raum<br />

� Entwicklungsprozess:<br />

- Akzeptanz des Unvermeidlichen (??)<br />

- bewusstes Abschiednehmen (??)<br />

Wesentliches zur Gesprächsführung<br />

Aktives Zuhören:<br />

� Nicht nur die Fakten erfassen, sondern auch die Hintergründe,<br />

das Unausgesprochene, die Zwischentöne.<br />

� Voraussetzung ist das Interesse, die Bereitschaft und Fähigkeit,<br />

zuzuhören und dabei völlig präsent zu sein<br />

- Blickkontakt<br />

- Zugewandte Körperhaltung<br />

- Klärende Aussagen<br />

- Offene Fragen S. Roller 2000<br />

119


Gesprächsführung mit Schwerstkranken<br />

Wesentliches zur Gesprächsführung<br />

Empathisches Zuhören:<br />

� Einfühlsames Verstehen<br />

� Wärme<br />

� Sich-berühren-lassen == emotionale Neutralität / Distanz<br />

� Gegenseitiges Akzeptieren<br />

Mitteilen<br />

Schlechter Nachrichten / schwerwiegender Diagnosen<br />

Anwendung von patientenzentrierten Gesprächstechniken<br />

� Sie halten dem Patienten den Raum offen<br />

� Sie berücksichtigen seine Emotionen<br />

� z.B. W<strong>WS</strong>Z:<br />

Warten - Wiederholen - Spiegeln - Zusammenfassen<br />

� z.B. NURSE:<br />

Naming - Understanding - Respect – Support – Exploring [emotion,<br />

concern]<br />

N: Emotionen benennen, U: Verständnis zeigen, R: Respekt zeigen,<br />

S: Unterstützung anbieten, E: Hintergründe erforschen<br />

W.Langewitz, Uni Basel Vortrag 2008 in Jena<br />

„Erkrankung ist so weit fortgeschritten, dass keine<br />

Behandlungsmöglichkeit in Richtung Heilung mehr besteht“.<br />

� Leben ---- Zeitspanne, die bleibt, mit Leben zu füllen ---- Tod<br />

� Der Wert von lebensverlängernden Behandlungen kann von<br />

Patienten oft nicht erkannt werden<br />

� Die antizipierte Zukunft ist der Tod; es wird keine Zeitspanne<br />

gesehen, wo das Leben einen Sinn bekommt<br />

Mitteilen<br />

Schlechter Nachrichten / schwerwiegender Diagnosen<br />

Z.B. SPIKES – Modell: W.Baille et al in The Oncologist 2000,5<br />

- S ituation „SETTING Up The Interview“<br />

– P atienten-Vorwissen „Assessing The Patients PERCEPTION“<br />

– I nformationsbedarf „Obtaining The Patients INVITATION“<br />

– K enntnisse vermitteln „Giving Knowledge and Information“<br />

– E xploration der emotionalen Reaktionen „Adressing The Patients<br />

Emotions With Empathic Responses“<br />

– S trategien und Zusammenfassung „Strategie and Summary“<br />

Ärztliche Mitteilung:<br />

„Wir können Sie nicht mehr heilen ….“<br />

Therapieziel = Symptomkontrolle<br />

(Erhalt/Verbesserung der Lebensqualität)<br />

Palliative Tumorbehandlung Palliative Medizin<br />

Rückgang<br />

Stillstand<br />

Geschenkte Lebenszeit<br />

Zeitgewinn<br />

Illusion „Überleben“<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Endphase der Erkrankung<br />

Symptom-/Schmerzlinderung<br />

Pflege am Ende des Lebens<br />

Zeit rinnt davon<br />

„Sterben“<br />

Sinn als Thema in der Psychotherapie<br />

Auseinandersetzung mit dem Sinn im Leben<br />

Sinnerfahrungen, -konstruktion und -erfüllung sind bedeutsam<br />

für unsere Lebensqualität, unser Wohlbefinden bzw. unsere<br />

Seelische Gesundheit Baumeister 1991, Becker 1985, Tausch 2004<br />

Verschiedene Ansätze, z.B.:<br />

� Humanistischer Ansatz Rogers 1951<br />

� Salutogenetischer Ansatz Antonovsky 1997<br />

� Sinnorientierte Beratung Wong 1998<br />

� Logotherapeutischer Ansatz Frankl 1981, 1986<br />

120


Gesprächsführung mit Schwerstkranken<br />

Auseinandersetzung mit dem Sinn im Leben<br />

Viktor Frankl (1905 – 1997) Arzt/Psychiater, Psychoanalytiker, Psychotherapeut<br />

Existenzanalyse und Logotherapie<br />

� Theorie und Therapie entstanden aus den Erfahrungen im<br />

Konzentrationslager (1942-1945), in dem er sich ansah, wer<br />

überlebte und wer nicht<br />

� Erkenntnis, dass jene, die die Hoffnung aufrecht erhielten, ihre<br />

Familien wieder zu sehen, oder jene, die das Verlangen hatten,<br />

Projekte zu vollenden, oder jene, die großen Glauben hatten, bessere<br />

Chancen hatten, als jene, die alle Hoffnung aufgegeben hatten<br />

(…..und trotzdem „ja“ zum Leben sagen…. z.B.1981, 1986 )<br />

� Überzeugung, dass Sinnorientierung am Leben hält und unter<br />

jeglichen Umständen gefunden werden kann.<br />

Themeninhalte der supportiven Psychotherapie<br />

angesichts der Lebensbegrenzung<br />

� Sinnerfahrungen, Sinnerfüllung schaffen (auch kurz vor dem Sterben)<br />

Teilnahme am sozialen Leben, auch unter veränderten Bedingungen, sich<br />

Wünsche erfüllen, eigene Wohnung, Heirat/Trennung, Projekte durchführen<br />

� Schicksal als Lebensaufgabe annehmen<br />

(vom „warum“ zum „wozu“, „was steht im Moment an ?“)<br />

� „worst-case“- Situation ansprechen<br />

(„was ist das Schlimmste“, „was wäre wenn“)<br />

� Über sich hinauswachsen, nie geahnte Kräfte entwickeln können, ist<br />

möglich<br />

(wie und wo im bisherigen Leben schon erfahren ? Ressourcen !)<br />

� Was läuft im Moment gut (im Hier und Jetzt halten)<br />

„Es hilft niemandem, wenn wir das Heute damit verbringen, uns vor dem Morgen zu fürchten.“ Jai Pausch 2007<br />

Themeninhalte der supportiven Psychotherapie<br />

angesichts der Lebensbegrenzung<br />

� Helfen, sein Selbst zu bewahren<br />

(sich Anerkennen, Wertschätzen lernen)<br />

� „Leben bis zuletzt“ , „neugierig sein“ fördern !<br />

� Verantwortung übernehmen gegenüber Kindern, Partner<br />

(auch der Angehörige)<br />

„Wir können die Realität nicht ändern. Wir können nur bestimmen, wie<br />

wir mit ihr umgehen.<br />

Wir können nichts an den Karten ändern, die wir bekommen, nur an dem<br />

Spiel, das wir mit diesem Blatt spielen.“<br />

Randy PAUSCH 2007<br />

Themeninhalte der supportiven Psychotherapie<br />

angesichts der Lebensbegrenzung<br />

� These: …die verzweifelnden Menschen lehren, dass es eigentlich nie<br />

und nimmer darauf ankommt, was wir vom Leben noch zu erwarten<br />

haben, vielmehr lediglich darauf: was das Leben von uns erwartet….<br />

� Verantwortung übernehmen mit Mut, Würde und Tapferkeit<br />

� Aushalten- und Ertragenlernen als menschliche Größe begreifen<br />

� Der Mensch kann innerlich stärker sein als sein äußeres Schicksal<br />

� Am Leiden können Menschen innerlich reifen und wachsen, Leiden<br />

bedeutet nicht zwangsläufig Unglück<br />

Themeninhalte der supportiven Psychotherapie<br />

angesichts der Lebensbegrenzung<br />

� Entwicklungs-/Veränderungsprozesse ansprechen<br />

(Wünsche/Ziele können sich ändern, irgendwann ist es vielleicht auch gut zu gehen,<br />

nicht soweit vorausplanen)<br />

� In Würde und Vertrauen geschehen lassen<br />

(Ausgang ist immer ungewiss, es liegt in anderer Hand)<br />

� Realisierung kleiner persönlicher Pläne<br />

� Spirituelle Ziele fördern<br />

(z.B. Mut, Dankbarkeit, Loslassen, Vergebungsbereitschaft)<br />

Bei der psychotherapeutischen Begleitung gilt:<br />

� sich nicht in die Illusionen des Patienten hineinziehen lassen<br />

� die unrealistischen Hoffnungen des Patienten nicht bestärken<br />

� die illusionäre Verkennung der Wirklichkeit aushalten können<br />

� sich nicht gemeinsam der unrealistischen Vorstellung verschreiben,<br />

die Krebskrankheit und den Tod besiegen zu können<br />

� mit den Funktionen des „Holding“ und „Containing“ dem Kranken<br />

einen Übergangsraum ermöglichen<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

121


Gesprächsführung mit Schwerstkranken<br />

Das Konzept des „Übergangsraums“<br />

zum Verständnis illusionärer Zukunftsvorstellungen nach Faller 1998, Winnicott 1971)<br />

Übergangsobjekt:<br />

� = Gegenstand (Stofftier), das ein kleines Kind benutzt, um sich zu<br />

besänftigen, wenn die Mutter vorübergehend nicht da ist, z.B. beim<br />

Einschlafen.<br />

� Der Teddybär tröstet das Kind, es verschafft sich damit die Illusion,<br />

nicht allein zu sein.<br />

� Es erscheint dem Kind als etwas, das weder ganz Teil seiner<br />

Phantasie ist, noch ganz zur äußeren Realität gehört.<br />

� Es gehört einem Zwischenbereich des Erlebens an.<br />

� Dieses Zwischenreich der Erfahrung darf für das Kind nicht in Frage<br />

gestellt werden, die Entscheidung, ob die Erfahrung zur „inneren“<br />

oder zur „äußeren“ Realität gehört, muss offen bleiben.<br />

Ziel psychologischer Hilfen<br />

Von der Heilung<br />

� als Reparatur<br />

Wiederherstellung des alten Zustands,<br />

Rückkehr zum status quo ante<br />

Zur Heilung<br />

� als Akzeptierung von Begrenzungen und Einschränkungen<br />

Einwilligung in die Tatsache, daß wir begrenzte, endliche Geschöpfe sind und<br />

mit Behinderungen und Insuffizienzen leben lernen müssen<br />

� als Neuwertung von Beziehungen<br />

Verzicht auf somatische Gesundung mit dem möglichen Gewinn psychischer<br />

und personaler Bereicherung, auch auf dem Weg zum Tode hin<br />

Literatur:<br />

� Angenendt,G./Schütze-Kreilkamp,U./Tschuschke,V.: Praxis<br />

der Psychoonkologie, Stuttgart: Hippokratest 2007<br />

� Bausewein,C./Roller,S./Voltz,R.: Leitfaden Palliativmedizin,<br />

München: Urban&Fischer 2000<br />

� Faller, H: Krankheitsverarbeitung bei Krebskranken,<br />

Verlag für Angewandte Psychologie, Göttingen 1998<br />

� Kappauf, H.: Aufklärung und Hoffnung – ein Widerspruch ?<br />

Z.Palliativmed.2001, 2, S.47-51<br />

� Pausch, R.: The last lecture – die Lehren meines Lebens-<br />

München: Goldmann 2007<br />

� Yalom,I.: Die Reise mit Paula. München: Goldmann 1999<br />

� Frankl, V.: ..… trotzdem Ja zum Leben sagen. München: dtv 1996<br />

RITSCHL 1989<br />

� Holland, J.C (1982) zitiert in Rutsak, G. und Schiebel-Piest, B.<br />

Psychoonkologie für Krankenpflegeberufe. Göttingen:<br />

Vandenhoeck&Ruprecht 1992<br />

Das Konzept des „Übergangsraums“<br />

zum Verständnis illusionärer Zukunftsvorstellungen nach Faller 1998, Winnicott 1971)<br />

Übergangsraum =<br />

� psychischer Raum zwischen Realität und Phantasie<br />

� Raum, in dem sich die Krankheitsbewältigung und<br />

therapeutische Begleitung Todkranker abspielt<br />

� Nebeneinander von Realität und Phantasie,<br />

Wissen und Nicht-Wissen-Wollen<br />

� Oft scheitern Aufklärungsversuche am Widerstand des Patienten,<br />

der sich den Übergangsraum nicht wegnehmen lassen will, der<br />

sich weigert, den Realitätsgehalt seiner Vorstellungen in Frage zu<br />

stellen.<br />

� Aufklärungspflicht, nicht Aufklärungsrecht<br />

„Man sollte dem anderen die Wahrheit wie einen Mantel hinhalten, in den er hineinschlüpfen kann<br />

und sie ihm nicht wie einen nassen Lappen um die Ohren hauen“. Max Frisch<br />

Hoffnung<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

H. Sinzinger<br />

Schwerkranke, deren legitime Hoffnung auf Heilung und Genesung enttäuscht<br />

wird, sind aber nicht notwendigerweise hoffnungslos. In ihrem<br />

Krankheitserleben können andere Hoffnungen an Bedeutung gewinnen.<br />

H.KAPPAUF 2001<br />

„Zuerst ist die Hoffnung, dass sich die Diagnose nicht bestätigt,<br />

so wird es dann die Hoffnung, dass die Therapie Erfolg haben wird<br />

oder dass die Krankheit nicht so schnell fortschreiten wird.<br />

Hoffnung kann zu einem späteren Zeitpunkt sein, dass die Krankheit<br />

nicht von quälenden Schmerzen begleitet sein möge.<br />

Oder zuletzt, dass man in der letzten Stunde nicht allein sein möge.<br />

Und dann die Hoffnung, über den Tod hinaus verbunden zu bleiben.<br />

Die Hoffnung stirbt nicht.“<br />

Pat., zit. in A.Stähli: Emotionen in der Palliativpflege<br />

122


Subjektives Krankheitskonzept<br />

<strong>Psychosomatik</strong><br />

Subjektives Krankheitskonzept und<br />

körperliche Erkrankungen<br />

Dipl.Psych Hannelore Sinzinger<br />

WiSe <strong>2012</strong>/13<br />

19.10.<strong>2012</strong><br />

Folien werden rechtzeitig zur Vorlesung<br />

auf StudON und der Internetseite der<br />

Psychosomatischen Abteilung<br />

veröffentlicht!<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

123


Beispiele für Psychodynamische Therapien bzw. Andere Therapieverfahren<br />

Elemente<br />

Dynamik<br />

1<br />

Psychotherapieverfahren<br />

Psychodynamische und<br />

Psychoanalytische Therapieverfahren<br />

Dr. med Beatrix Vill<br />

Psychosomatische Medizin und<br />

Psychotherapie<br />

Spezielle Schmerztherapie<br />

Übergreifendes bio-psycho-soziales Modell<br />

Klass. Physik Atomphysik Biologie Psyche<br />

Planeten<br />

Gravitation<br />

Fliehkraft<br />

3 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

ein gesundes…<br />

Atome<br />

Elektromagnetismus<br />

Zellen<br />

Organe<br />

…integriert alle psychischen Funktionen<br />

und Dispositionen zu einem Ganzen<br />

Gewissen<br />

Träume<br />

5 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

Über-Ich<br />

Ich<br />

Es<br />

Triebe<br />

1.top. Modell:<br />

BW UB VB<br />

2.top.Modell:<br />

ES, ICH,<br />

Überich<br />

Funktionen Motivation<br />

Selbst<br />

Kontrollinstanz<br />

Summe der seelischen Funktionen,<br />

die eine möglichst gute Anpassung<br />

des Individuums an seine Umwelt<br />

gewährleisten<br />

Unbewusstes<br />

Psychodynamik<br />

…ist die Lehre vom Wirken der innerseelischen Kräfte<br />

…beschreibt Einflüsse auf die Befindlichkeit<br />

und das Verhalten des Menschen<br />

…will Aufschluss geben über die Auslösung seelischer<br />

Vorgänge als Reaktion auf äußere und innere<br />

Ereignisse und Einflüsse<br />

2 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

Das Unbewusste<br />

Entdeckung des Unbewussten durch Freud 1895<br />

Aufgrund seiner Erfahrungen mit<br />

Hysterie, Hypnose, Träumen<br />

Beispiele für unbewusste Prozesse:<br />

Subliminale Wahrnehmung (unterschwellige Reize)<br />

Fehlleistungen<br />

Partnerwahl<br />

Intuition<br />

Nonverbale Kommunikation<br />

4 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

Psychoanalyse<br />

Symptome und Konflikte gehen auf lebensgeschichtlich<br />

frühere Erlebnisse (Frühgenese) zurück, z.B.<br />

•unbewusste Konflikte und Phantasien,<br />

•pathogene Überzeugungen,<br />

•Traumatisierungen,<br />

•Entwicklungsdefizite,<br />

•Hemmung und Einschränkung wichtiger Kompetenzen<br />

•Störungen des Selbstwerterlebens.<br />

Durch die Psychoanalyse ändert sich der Umgang mit<br />

diesen belastenden Lebenserfahrungen und den<br />

daraus resultierenden neurotischen Konsequenzen<br />

erheblich.<br />

6 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

124


Beispiele für Psychodynamische Therapien bzw. Andere Therapieverfahren<br />

Frühgenese…<br />

meint Umweltbedingungen und angeborene<br />

Schwachstellen, meist in der frühen Kindheit, die eine<br />

erhöhte Vulnerabilität für bestimmte Belastungsmomente<br />

und Konflikte sowie eine Disposition für die spätere<br />

neurotische Störung bewirken.<br />

Grundlegende kindliche Bedürfnisse und Triebregungen<br />

können nicht adäquat befriedigt werden, weil angeborene<br />

Behinderungen, äußere (soziales Umfeld) oder innere<br />

(Über-Ich) Faktoren dieses nachhaltig verhindern.<br />

7 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

Übertragung…<br />

ist die unbewusst verursachte Wiederholung alter<br />

Beziehungserlebnisse und –wünsche, die<br />

(unbewusst) den jetzigen Umgang mit neuen<br />

wichtigen Beziehungspersonen färben<br />

Der Analytiker lässt sich in die Übertragung hineinziehen<br />

und wird zum Mitspieler von für den Patienten zunächst<br />

unbewussten lebensgeschichtlichen Szenen!<br />

Er darf dies NICHT auf sich persönlich beziehen,<br />

er muss dies als Arbeitsmaterial sehen.<br />

Übertragung wird gezielt genutzt<br />

für Diagnostik und Therapie.<br />

9 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

Widerstand…<br />

ist das Wirksamwerden von Abwehrmechanismen in<br />

der Therapie, wenn Unbewusstes droht bewusst zu<br />

werden.<br />

Schutz-, Kompensations- und<br />

Abwehrmechanismen…<br />

sind eine für das seelische Überleben notwendige<br />

und kreative Antwort des kindlichen Ich auf die<br />

Bedingungen der Frühgenese und<br />

unbewusste Versuche, Angst zu vermeiden.<br />

11 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

Wirkfaktoren der Psychoanalyse<br />

Eine unteroptimale Konfliktlösung wird durch die<br />

therapeutische Beziehung bearbeitet und aufgelöst<br />

unter besonderer Berücksichtigung von Übertragung,<br />

Gegenübertragung und Widerstand.<br />

Frühere Beziehungen<br />

8 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

10 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

Aktuelle Beziehungen<br />

Gegenübertragung…<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

Therapeutische Beziehung<br />

Übertragungsbeziehung<br />

ist die unbewusste Reaktion des Analytikers auf die<br />

Übertragung des Patienten, die evtl. ihren<br />

Ursprung in eigenen neurotischen Erlebniswelten<br />

hat. (Freud)<br />

Übertragung des Analytikers…<br />

ist nach moderner Auffassung seine generelle<br />

Haltung und spezifische Reaktion im<br />

Zwischenmenschlichen und nicht mit<br />

Gegenübertragung zu verwechseln.<br />

Abwehrmechanismen…<br />

Verdrängung: Vergessen, Amnesie für konflickthafte<br />

und angstbesetzte Inhalte<br />

Rationalisierung: “die Trauben sind zu sauer“<br />

Verschiebung: der Affekt wird von einem Menschen<br />

oder Gegenstand auf einen anderen verschoben oder in<br />

den eigenen Körper z.B. bei hypochondrischen Ängsten<br />

Wendung gegen die eigene Person:“ ich hasse mich<br />

für meine Unfähigkeit Beziehungen halten zu können“<br />

Reaktionsbildung: z.B. besondere Fürsorge für den<br />

gehassten Bruder<br />

12 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

125


Beispiele für Psychodynamische Therapien bzw. Andere Therapieverfahren<br />

Abwehrmechanismen…<br />

(Affekt)Isolierung: das Ereignis ist bewusst, der<br />

dazugehörige Affekt aber nicht mehr erreichbar<br />

Intellektualisierung: „Mir ist Hass unbekannt, aber<br />

mich interessiert das Problem der Gewalt in unserer Welt“<br />

Projektion: eigene Wünsche, Impulse, Gedanken und<br />

Gefühle werden dem anderen unterstellt<br />

projektive Identifizierung: „Bevor du (Therapeut,<br />

Partner) mich verletzt, im Stich lässt oder verachtest,<br />

verletzte ich dich, lasse dich im Sich oder verachte dich.“<br />

typ. für Borderline-Störung<br />

13 <strong>2012</strong>Dr.Beatrix Vill<br />

Der Psychoanalytische Prozess<br />

Das Setting fördert die Regression,<br />

es kommt zur Übertragungsneurose,<br />

welche neben dem Widerstand<br />

Gegenstand der Deutungen ist.<br />

Durch Klarifikation und Konfrontation und<br />

mehrfache Wiederholungen kommt es zu Durcharbeiten.<br />

Unbewusstes wird bewusst,<br />

Einsicht vermittelt,<br />

Hemmungen abgebaut,<br />

Entwicklungsmöglichkeiten erlebt.<br />

15 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

Abstinenz…<br />

ist ein „Nicht-Reagieren“ im Sinne der vom Patienten<br />

erwarteten, befürchteten oder erhofften Reaktion,<br />

wie er es aus Alltagssituationen kennt.<br />

Es ist nicht ein Nicht- Reagieren auf der Verhaltensebene.<br />

Statt neue Beziehungserfahrungen zu machen würde<br />

der Patient ohne Abstinenz des Therapeuten mit<br />

gleichen, ihm bekannten Mustern und Erfahrungen<br />

konfrontiert.<br />

Auf das neurotische Rollenanliegen das<br />

Patienten wird auf einer Metaebene reagiert<br />

und nicht „zwischenmenschlich“.<br />

Keine Befriedigung eigener Bedürfnisse des<br />

Therapeuten!<br />

17 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

Anleitung zum Unglücklichsein…<br />

„behalten Sie doch ihren blöden Hammer“<br />

14 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

Der Psychoanalytische Prozess<br />

Emotionale Erfahrungen werden korrigiert,<br />

der Analytiker wird als neues gutes Objekt verinnerlicht.<br />

SELBSTERFAHRUNG DES THERAPEUTEN !!!!!!<br />

ABSTINENZ !!!!!!<br />

Geschlechtskonstellation im therapeutischen Prozess<br />

???<br />

16 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

Psychoanalytische Schulrichtungen<br />

Das Triebkonflikt-Modell (Freud)<br />

betont die im körperlichen wurzelnde Trieb- und<br />

Affektstruktur des Menschen (psychosexuelle<br />

Entwicklung: orale, anale, genitale Phase).<br />

Das Entwicklungs- Defizit- Modell (Winnicott,<br />

Kohut)<br />

betont den Einfluss pathogener elterlicher Haltungen<br />

und Handlungen.<br />

Das Beziehungskonflikt- Modell (Sullivan, Gill,<br />

Sandler, in Deutschland Ermann, Bauriedl )<br />

betont die Verschränkung von Interpersonellem und<br />

Intrapsychischem.<br />

18 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

126


Beispiele für Psychodynamische Therapien bzw. Andere Therapieverfahren<br />

Persönlichkeitsstruktur<br />

Die spezifischen Anpassungs- und Abwehrmechanismen,<br />

mit denen ein Mensch (sein Ich) auf die meist chronisch<br />

wirksamen Bedingungen der Frühgenese reagiert hat,<br />

verdichten und verfestigen sich zu charakteristischen und<br />

dauerhaften Erlebens- und Verhaltensweisen.<br />

=Neurosenstruktur…<br />

ist der emotionale und gedankliche Hintergrund vor dem<br />

die aktuelle Störung als Reaktion auf die aktuelle<br />

Belastung tiefenpsychologisch verständlich wird.<br />

= keine Krankheit und nicht zu verwechseln mit<br />

Persönlichkeitsstörung<br />

19 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

das Setting der tiefenpsychologisch<br />

fundierten Einzeltherapie…<br />

1 Patient sitzend<br />

1 Therapeut sitzend, Blickrichtung zugewandt<br />

1-2 Sitzungen pro Woche (25-100 Std)<br />

keine Kontakte außerhalb der Therapie<br />

Schweigepflicht und Vertrauen<br />

21 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

23<br />

Somatisierung =<br />

Neigung, körperliche Beschwerden als<br />

Antwort auf psychosoziale<br />

Belastungsfaktoren zu erfahren und zu<br />

vermitteln, und medizinische Hilfe dafür in<br />

Anspruch zu nehmen<br />

Es findet eine Spaltung statt ( unbewusst ):<br />

•der Affekt wird dabei verdrängt ( z.B. Angst )<br />

•das ursprünglich gleichzeitige körperliche<br />

Erscheinungsbild ( z.B. Herzrasen, Schmerz, Schwitzen )<br />

rückt ins Zentrum<br />

das klassische Setting der Psychoanalyse…<br />

1 Patient, liegend „auf der Couch“,<br />

1 Therapeut, sitzend am Kopfende des Patienten<br />

2-5 Sitzungen pro Woche (bis 300Std)<br />

keine Kontakte außerhalb der Therapie<br />

Schweigepflicht und Vertrauen<br />

freie Assoziation des Analysanden und Mitteilung<br />

aller Gedanken, Einfälle und Phantasien<br />

„gleichschwebende Aufmerksamkeit“, Neutralität<br />

und Abstinenz des Analytikers<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

20<br />

<strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

Psychodynamische Psychotherapie<br />

Basierend auf der Psychoanalytischen Schule<br />

wird „kürzer“ gearbeitet,<br />

Symptom- und Fokus-orientierter,<br />

durch das andere Setting wird die Regression begrenzt,<br />

die Übertragungsneurose findet nur eingeschränkt statt,<br />

das Spektrum der Interventionen ist flexibler.<br />

Ziel ist die bessere Lösung für einen aktuellen<br />

Konflikt<br />

statt Veränderung der Charakterstruktur<br />

22 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

wann Psychoanalyse,<br />

wann tiefenpsychologische Therapie?<br />

eindeutiger Auslöser für eine definierte Symptomatik<br />

bei ansonsten guten „Funktionieren“:<br />

Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie<br />

Charakter- bzw. Abwehrstruktur führen chronischrezidivierend<br />

bei alltäglichen Auslösern zur<br />

Dekompensation:<br />

Psychoanalyse<br />

24 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

127


Beispiele für Psychodynamische Therapien bzw. Andere Therapieverfahren<br />

Gruppen-, Familien-, Paartherapie…<br />

werden häufig mit tiefenpsychologisch fundiertem<br />

Hintergrund durchgeführt<br />

Je nach Kompetenz des Therapeuten werden Aspekte<br />

anderer, auch körperorientierter Verfahren oder<br />

Psychodrama oder Gestalttherapie oder… integriert -<br />

häufig ergibt sich besonders dadurch eine besondere<br />

Wirksamkeit (und eine Unmöglichkeit für die Durch-<br />

Führung von Studien).<br />

25 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

Psychodynamische Diagnostik<br />

Operationalisierte ( messbar machen)<br />

Psychodynamische Diagnostik: OPD<br />

5 Achsen:<br />

1.Krankheitserleben und Behandlungserwartung<br />

2.Beziehung<br />

3.Konflikt<br />

4.Struktur<br />

5.Syndromachse (ICD-10)<br />

27 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

2.Beziehung<br />

Interpersonelles Verhalten gilt in allen<br />

psychotherapeutischen Schulen als wesentlicher<br />

Faktor bei der Entstehung und Aufrechterhaltung<br />

seelischer Störungen<br />

Kontrolle (dominant-kontrollierend versus<br />

Subversiv-unterwürfig)<br />

Affilation (liebevoll-zugewandt versus<br />

feindseelig-distanziert)<br />

Wie erlebt der Patient sich selbst?<br />

Wie erleben andere sich gegenüber dem Patienten?<br />

29 2010 Dr.Beatrix Vill<br />

Psychodynamische Diagnostik<br />

Psychoanalytisches Erstinterview<br />

(Argelander)<br />

Biographische Anamnese<br />

(Dührsen)<br />

26 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

1.Krankheitserleben und<br />

Behandlungsvoraussetzung<br />

Schweregrad des somatischen und<br />

psychischen Befundes<br />

Leidensdruck und Beschwerdeerleben<br />

Behandlungserwartung<br />

und Inanspruchnahmebereitschaft<br />

Ressourcen<br />

28 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

3.Grundlegende Konflikte<br />

Zusammentreffen unterschiedlicher Positionen<br />

innerhalb einer Person<br />

•Abhängigkeit versus Autonomie<br />

•Unterwerfung versus Kontrolle<br />

•Versorgung versus Autarkie<br />

•Selbstwertkonflikte<br />

•Schuldkonflikte<br />

•Ödipal-sexuelle Konflikte<br />

•Identitätskonflikte<br />

•Eingeschränkte Konflikt - und Gefühlswahrnehmung<br />

30 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

128


Beispiele für Psychodynamische Therapien bzw. Andere Therapieverfahren<br />

4.Struktur…<br />

ist das für den einzelnen Typische in seinem<br />

Erleben und Verhalten,<br />

ist die Fähigkeit zur:<br />

Selbstwahrnehmung/ Fremdwahrnehmung<br />

Selbststeuerung/ Beziehungsregulierung<br />

Abwehr (gegen innere Triebwünsche und Affekte)<br />

Objektwahrnehmung<br />

Kommunikation nach innen/ nach außen<br />

Bindung nach innen/ nach außen<br />

31 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

z.B.<br />

5.Psychische und Psychosomatische<br />

Störungen nach ICD-10<br />

F3 Affektive Störungen<br />

F4 Neurotische-, Belastungsund<br />

somatoforme Störungen<br />

F6 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen<br />

33 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

Abwehrmechanismen…<br />

sind der Versuch das Bewusstsein von schmerzhaften und<br />

ängstigenden psychischen Inhalten frei zu halten<br />

Verdrängung-Rationalisierung-Verschiebung<br />

gute Integration<br />

Verleugnung-Wendung gegen die eigene Person-<br />

Reaktionsbildung-Isolierung-Projektion<br />

mäßige Integration<br />

Spaltung-projektive Identifizierung<br />

geringe Integration<br />

Verleugnung-psychotische Projektion<br />

Desintegration<br />

32 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

Mark Twain:<br />

34 <strong>2012</strong> Dr.Beatrix Vill<br />

Vergangenheit<br />

ist,<br />

wenn es nicht mehr<br />

wehtut<br />

© <strong>2012</strong> Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen<br />

…oder am Ende einer erfolgreichen<br />

Psychotherapie:<br />

129


Praktikum: Ärztliche Kommunikation<br />

ÄRZTLICHE KOMMUNIKATION<br />

Dr. phil. Holmer Graap<br />

Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung<br />

WiSe <strong>2012</strong>/2013<br />

Anwendungsbeispiel<br />

„Compliance“<br />

FAUSTREGEL<br />

� Ein Drittel der Patienten nimmt die verschriebenen<br />

Medikamente fehlerfrei,<br />

� Ein Drittel nimmt sie nicht immer korrekt,<br />

� Das verbleibende Drittel hält sich überhaupt nicht<br />

an die ärztliche Verschreibung.<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Compliance<br />

-Einflüsse-<br />

Merkmale der<br />

Behandlung<br />

Merkmale des<br />

Behandlungssettings<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Charakteristika<br />

der Erkrankung<br />

Compliance<br />

Qualität der<br />

Arzt-Patient-<br />

Beziehung<br />

Universitätsklinikum Erlangen<br />

Merkmale<br />

des Patienten<br />

Einflüsse des<br />

sozialen Umfelds<br />

Arzt-Patient-Beziehung<br />

� Der Arzt führt in seinem Berufsleben bis zu 200.000<br />

Gespräche mit Patienten und Angehörigen.<br />

� In den meisten Fachgebieten entfallen ein Drittel bis die<br />

Hälfte der Arbeitszeit eines Arztes auf Gespräche.<br />

� Die Kooperation des Patienten hängt von der Arzt-Patient-<br />

Beziehung ab.<br />

� „Kommunikationsfähigkeit“ ist eine Schlüsselkompetenz<br />

Fritzsche, Wirsching, 2006<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Compliance<br />

-Einflüsse-<br />

� 76% der Ärzte führen eine mangelnde Therapiemotivation<br />

auf Patientenmerkmale zurück. Motivation wird als<br />

individuelle Eigenschaft der Patienten gesehen, denen bei<br />

Nichterreichen des Therapieziels alle Verantwortung<br />

gegeben wird (“moral blame”).<br />

� Motivation stellt viel eher ein interaktionales Konstrukt dar<br />

und wird bestimmt durch den Behandlungsplan, den Arzt,<br />

den Patienten und die häusliche Umgebung.<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Die Arzt-Patient-Beziehung<br />

� Der Einfluss der Beziehung auf das<br />

Behandlungsergebnis gilt als nachgewiesen.<br />

� Die Förderung einer tragfähigen Beziehung ist also<br />

nicht Luxus, sondern gehört ebenso zur<br />

Professionalität des Arztes wie korrekte Diagnostik<br />

und kontinuierliche Fortbildung.<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

130


Praktikum: Ärztliche Kommunikation<br />

Die Arzt-Patient-Beziehung<br />

� Kann eine große Belastungsquelle für jeden Arzt<br />

darstellen<br />

� Gefühle von Unsicherheit, Unzulänglichkeit, Versagen („Mut zur<br />

eigenen Dummheit“ - Balint)<br />

� Erwartungshaltung des Patienten<br />

� Verschiedene Vorstellungen von der Therapie<br />

� Eigene Lebensgeschichte<br />

� Aktuelle eigene körperliche und seelische Verfassung<br />

� Knappe Zeit<br />

� Hierarchie im Krankenhaus<br />

� Geringer Handlungsspielraum<br />

� Erfordert kommunikative Fähigkeiten<br />

� Gefahr von Burn-out-Symptomen<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

4 Seiten einer Nachricht<br />

Schulz von Thun, 1981<br />

Sender:<br />

spricht mit 4 Schnäbeln<br />

•Das Kommunikationsquadrat beschreibt die<br />

Mehrschichtigkeit einer menschlichen Äußerung<br />

•Selbstoffenbarung und Beziehung: geschieht, ob<br />

ich will oder nicht<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Beispiel<br />

„Du, da vorne ist grün!“<br />

� Sachebene:<br />

� die Ampel steht auf grün<br />

� Selbstoffenbarung:<br />

� Ich habe es eilig<br />

� Beziehungsebene:<br />

� Du brauchst meine Hilfestellung<br />

� Appell:<br />

� fahr schneller, dann schaffen wir es noch bei grün<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Universitätsklinikum Erlangen<br />

Empfänger:<br />

hört mit 4 Ohren<br />

Kommunikationsquadrat<br />

Vier-Ohren-Modell<br />

Friedemann Schulz von Thun<br />

Die 4 Seiten einer Nachricht<br />

Senden mit 4 Zungen/Schnäbeln<br />

� Sachebene: reine Sachaussagen, Daten und Fakten<br />

� Selbstoffenbarungsebene (Selbstkundgabe): der Sender<br />

vermittelt etwas über seine Motive, Werte, Emotionen (gewollt<br />

oder unfreiwillig) - „ICH-Botschaft“<br />

� Beziehungsebene: es wird ausgedrückt, wie der Sender zum<br />

Empfänger steht und was er von ihm hält (Formulierung,<br />

Tonfall, Begleitmimik) – „DU und WIR-Botschaften“<br />

� Appellebene: beinhaltet einen Wunsch, Ratschlag oder eine<br />

Handlungsaufforderung, -anweisung<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Beispiel<br />

„Du, da vorne ist grün!“<br />

� Sachebene:<br />

� die Ampel steht auf grün<br />

� Richtig, wir haben eine grüne Welle<br />

� Selbstoffenbarung:<br />

� Ich habe es eilig<br />

� Wir schaffen es schon rechtzeitig oder sei nicht so ungeduldig<br />

� Beziehungsebene:<br />

� Du brauchst meine Hilfestellung<br />

� Fährst Du oder fahre ich?<br />

� Appell:<br />

� Fahr‘ schneller, dann schaffen wir es noch bei grün<br />

� Hier ist eine 50 km Beschränkung oder aufs Gas steigen<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

131


Praktikum: Ärztliche Kommunikation<br />

Die 4 Seiten einer Nachricht<br />

Empfangen mit 4 Ohren<br />

� „freie Auswahl“ des Empfängers<br />

� Problem: einseitige Empfangsgewohnheiten<br />

� Sachauseinandersetzungen (Männer, Akademiker, „Bitte<br />

bleiben Sie doch sachlich…!“)<br />

� „Beziehungslauer“ (alles auf sich beziehen)<br />

� Selbstoffenbarungsohr in der Kommunikation mit Pat. wichtig<br />

(allerdings Gefahr der „Psychologisierung“)<br />

� „Appell-Sprung“ (es allen Recht machen), aber auch<br />

„Funktionalitätsverdacht“ (in jeder Nachricht eine heimliche<br />

berechnende Absicht sehen)<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Körpersprache<br />

� Wirkung auf andere Menschen:<br />

� 7% Inhalt<br />

� 38% Stimme<br />

� 55% Körpersprache<br />

Watzlawick, 2003<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Bsp.<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Angst vor Medikament<br />

Nebenwirkungen<br />

Halb so wild!<br />

Was denken die anderen?!<br />

Selbstheilung besser<br />

In unserer Familie nimmt keiner Tabletten!<br />

Universitätsklinikum Erlangen<br />

Nonverbale Signale zur Unterstützung des<br />

Gesprächs<br />

� Direkter Blickkontakt, der nicht als Anstarren erlebt wird.<br />

� Sitzt dem Patienten direkt gegenüber<br />

� Setzt sich beim Gespräch neben dem Bett auf einen Stuhl<br />

� Offene Körperhaltung<br />

� Leicht nach vorne gebeugte Haltung<br />

� Freundlicher Gesichtsausdruck<br />

� Angemessene Gestik, die Inhalte unterstreicht<br />

� Angemessene Gesprächsdistanz<br />

� Scheut Berührungen nicht<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Techniken der Gesprächspsychotherapie<br />

-Carl R. Rogers-<br />

1. Empathie<br />

„den inneren Bezugsrahmen des anderen möglichst wahr<br />

zunehmen und verstehen zu wollen, mit all seinen emotionalen<br />

Komponenten und Bedeutungen, gerade so, als ob man die<br />

andere Person wäre, jedoch ohne jemals die „als ob“-Position<br />

aufzugeben“ (Rogers, 1991)<br />

Empathie bedeutet zu begreifen…<br />

� …warum jemand weint<br />

� …warum jemand nicht in eine Operation einwilligt<br />

� …warum jemand lieber alternative Heilverfahren wählen<br />

möchte<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Techniken der Gesprächspsychotherapie<br />

-Carl R. Rogers-<br />

1. Empathie<br />

� Empathie ist nicht Sympathie<br />

� Zuhören heißt noch nicht Zustimmen<br />

� Den Standpunkt einnehmen heißt nicht den<br />

Standpunkt übernehmen<br />

� „Nebenwirkung“ einer empathischen, interessierten<br />

Haltung:<br />

Pat. wird sich im Laufe des Gesprächs seiner wahren<br />

Beweggründe bewusst => Lösung rückt näher<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

132


Praktikum: Ärztliche Kommunikation<br />

Techniken der Gesprächspsychotherapie<br />

-Carl R. Rogers-<br />

2. Echtheit<br />

� Haltung des Arztes in der Beziehung zum Patienten<br />

� Eine professionelle Haltung, die der eigenen Persönlichkeit<br />

gerecht wird<br />

� Im 4-Ohren-Modell entspricht das einer Selbstoffenbarung des<br />

Arztes<br />

� Eigene Regungen aber nicht zur Entscheidungsgrundlage<br />

machen, sondern im richtigen Moment wieder auf die<br />

Behandlungsebene zurückkehren<br />

� Arzt wird als Person erlebbar/ Berufszufriedenheit<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Techniken der Gesprächspsychotherapie<br />

-Carl R. Rogers-<br />

3. Bedingungslose Wertschätzung<br />

� Haltung, andere Menschen zu akzeptieren, wie sie sind<br />

� Akzeptieren/respektieren bedeutet nicht die Meinung zu teilen<br />

oder gut zu heißen<br />

� Oftmals Fokus auf Selbstoffenbarung wichtig, um Gründe zu<br />

verstehen und Verhalten verstehen zu können<br />

� …adipöser Patient<br />

� …Raucher<br />

� …kinderfeindlicher Patient<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Techniken des aktiven Zuhörens<br />

=patientenzentrierte Gesprächsführung<br />

� Ausreden lassen<br />

� Offene Fragen stellen<br />

� Nachfragen<br />

� Abwägen<br />

� Pausen machen<br />

� Verbale und nonverbale Ermutigung zur Weiterrede<br />

� Paraphrasieren (Wiederholen) und Zusammenfassen<br />

des Gesagten<br />

� Spiegeln von Emotionen<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Universitätsklinikum Erlangen<br />

Beispiel<br />

� Ein Patient macht rassistische Äußerungen, die Sie<br />

als Arzt nicht akzeptieren können.<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

AKTIVES ZUHÖREN<br />

� Zuhören heißt auch Selbstoffenbarung, Appell und<br />

Beziehung zu erfassen. Die Interessen und<br />

Beweggründe es anderen werden interessiert<br />

aufgenommen (Empathie).<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Ausreden lassen<br />

� Meist unterbricht der Arzt den Patienten bereits<br />

nach 15-20 Sek. zum ersten Mal<br />

� 78% der Patienten schließen ihren Bericht innerhalb<br />

von 2 Minuten ab. Nur 7 von 335 Patienten<br />

sprachen länger als 5 Minuten (Langewitz et al., BMJ, 2002)<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

133


Praktikum: Ärztliche Kommunikation<br />

Fragetechniken<br />

� Es muss klar sein, welchen Bezug die Frage zu einem Thema<br />

hat.<br />

� Fragen sollten immer nur einen Aspekt ansprechen (keine<br />

Mehrfachfragen).<br />

� Fragen sollten neutral gestellt werden (keine Wertung!)<br />

� Offene Frage<br />

� Wie würden Sie den Schmerz beschrieben?<br />

� Nachfragen<br />

� Was bedeutet für Sie: Er trinkt viel Alkohol?<br />

� Abwägen<br />

� Verständnis für Prioritäten des Pat.<br />

� Ist es Ihnen wichtiger mal wirklich rauszukommen oder in der Nähe Ihrer<br />

Kinder zu bleiben<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Trichterprinzip<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

(Verdachts-)diagnose<br />

Ermutigung zur Weiterrede<br />

� Kopfnicken<br />

� „hm“, „okay“, „ah ja“<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Universitätsklinikum Erlangen<br />

patientengeleitet<br />

offene Fragen<br />

wissensgeleitet<br />

geschlossene Fragen<br />

� Echoing<br />

� Einzelne Wörter wörtlich wiederholen<br />

� P: „… seit März diesen Jahres ist es deutlich schlimmer<br />

geworden. Ich glaube, da spielt auch die Sache mit meiner<br />

Mutter eine große Rolle.“<br />

A: „Die Sache mit ihrer Mutter? Erzählen Sie!“<br />

� „Sie haben gerade Ihre Situation am Arbeitsplatz erwähnt.<br />

Erzählen Sie mir noch etwas darüber, damit ich mir eine<br />

Vorstellung machen kann, wie es Ihnen in dieser Situation<br />

geht.“<br />

Offene Fragen<br />

� Antwort kann frei gestaltet werden<br />

� „Wie würden Sie den Druck beschreiben?“ statt<br />

„War er dumpf oder stechend?“<br />

� Vorteile:<br />

� Regen Pat. zu selbständigen Schilderung an<br />

� Motivieren den Pat., sich aktiv zu beteiligen<br />

� Geben dem Pat. Gelegenheit, sein Erleben zu schildern<br />

� Können in kurzer Zeit viele Informationen liefern<br />

� Bekunden dem Pat. die persönliche Zuwendung des Arztes<br />

� Nachteil<br />

� Impliziert die Möglichkeit einer zu detaillierten Darstellung<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Pausen machen<br />

� Lassen den Arzt nicht inkompetent erscheinen<br />

� Wirken eher entlastend auf Patienten<br />

� 3 Sekunden<br />

� Es fallen den Patienten Dinge ein, die sie bisher<br />

vergessen hatten oder die nur zögernd erzählt<br />

werden => bewusst einsetzbar<br />

� Signalisiert weitererzählen<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Paraphrasieren<br />

� Den Inhalt des Gesagten in eigenen Worten<br />

wiedergeben<br />

� Patientenaussagen mit dem größten<br />

Bedeutungsinhalt<br />

� Es ergeben sich oft neue Bedeutungsinhalte für<br />

den Pat.<br />

� Gesprächsinhalte lassen sich damit lenken<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

134


Praktikum: Ärztliche Kommunikation<br />

Paraphrasieren<br />

Beispiel<br />

� Pat: „Inzwischen habe ich immer mehr<br />

Verantwortung übertragen bekommen, aber<br />

abnehmen tut mir im Gegenzug niemand was. Wie<br />

ich das schaffen soll?“<br />

� A: „Sie machen sich Sorgen, ob sie diese Situation<br />

weiterhin durchhalten?“<br />

� Pat: „Nein… schaffen werde ich das schon. Aber es<br />

macht mich sauer, dass….!“<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Spiegeln von Emotionen<br />

� Dem Paraphrasieren sehr ähnlich<br />

� Bezieht sich vor allem auf emotionale Inhalte<br />

� Gefühle, die der andere ausdrückt – sei es verbal oder<br />

nonverbal – in Worte fassen<br />

� Dem anderen „aus dem Herzen sprechen“,<br />

„Gefühlsvermutung“<br />

� „Sie sind darüber ziemlich ärgerlich“<br />

� „Das macht Sie sehr traurig, wenn Sie daran erinnert werden“<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Wie wirkt das aktive Zuhören?<br />

� Besseres Verständnis<br />

� Selbstklärung<br />

� Keine Ratschläge<br />

� Tempobremse<br />

� Fokussierung bzw. Anregung des Redeflusses<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Universitätsklinikum Erlangen<br />

Zusammenfassen der Inhalte<br />

� Bezieht sich auf längere Gesprächsabschnitte<br />

� Führt zur Abstimmung zwischen Arzt und Patient<br />

� Der Patient kann Informationen ergänzen<br />

� Geeignetes Mittel, um in eine 2. Gesprächsphase<br />

überzuleiten oder das Ende des Termins<br />

anzukündigen.<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Besondere Schwierigkeiten des aktiven<br />

Zuhörens<br />

� Sich zurückhalten und „Lösungslosigkeit“ aushalten<br />

� Die Führung überlassen<br />

� Umgang mit Gefühlen<br />

� Nicht beschwichtigen<br />

� Nicht das Thema wechseln<br />

� Gefühle zulassen auszuhalten, ohne auf Abhilfe zu sinnen. Nach<br />

emotionaler Reaktion nicht sofort beruhigen oder beschwichtigen<br />

oder das Thema wechseln, sondern abwarten und Emotionen<br />

aushalten<br />

� „Peinlichkeit“ überwinden<br />

� Schweigen<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Lösungsweg<br />

Problem Lösung<br />

Gefühl/<br />

Emotionale<br />

Bedeutung<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Werthaltung/<br />

Antrieb/<br />

Wunsch<br />

135


Praktikum: Ärztliche Kommunikation<br />

Beispiel<br />

� Frau R., seit einem Jahr geschieden, kommt zur<br />

Vorsorgeuntersuchung. Es ergeben sich keine<br />

Anzeichen für einen Tumor, der Blutdruck ist jedoch<br />

erhöht.<br />

� A: „Frau R., ich kann Ihnen mitteilen, es ist alles in<br />

Ordnung, kein Tumor. Aber Ihr Blutdruck ist etwas<br />

zu hoch. Sie sollten darauf achten, sich mehr zu<br />

bewegen.“ (Ratschlag)<br />

� Frau R.: „Ja, ich weiß.“ (Gesprächsende)<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

� A: „…für den hohen Blutdruck kann es verschiedene<br />

Möglichkeiten geben: ungesunde Ernährung, zu<br />

wenig Bewegung, aber auch andere Ursachen…<br />

Ärger, Ängste, Sorgen… Wie oft schaffen Sie es<br />

denn beispielsweise mal eine Runde spazieren zu<br />

gehen?...<br />

� Frau R.: „gar nicht, ich trau mich nicht raus. Sie<br />

wissen schon, die Nachbarn finden doch immer<br />

was.“<br />

� A: „…finden immer was? Was meinen Sie?“<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Beispiele<br />

� „Was führt Sie heute zu mir?“<br />

„Was kann ich für Sie tun?“<br />

� „Erzählen Sie mir mehr…<br />

wann waren die Beschwerden<br />

mal besser?“<br />

� „Können Sie mir das noch<br />

etwas genauer erklären?“<br />

� „Das stelle ich mir sehr<br />

belastend vor. Wie haben Sie<br />

das durchgehalten?“<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Universitätsklinikum Erlangen<br />

� „Ich glaube, jetzt kann ich<br />

mir ungefähr vorstellen, wie<br />

ihre Beschwerden aussehen.<br />

Können Sie mir bitte noch<br />

etwas zu ihrer aktuellen<br />

Arbeitssituation berichten.<br />

Wo und wie sind sie tätig?“<br />

� „Ist der Schmerz dumpf oder<br />

stechend?“<br />

� „Wann genau begannen die<br />

Schmerzen?“<br />

� „Was hat schon geholfen, die<br />

Schmerzen zu lindern?“<br />

� Frau R. geht nach Hause, achtet weder auf<br />

Ernährung noch auf Gewicht, geht nicht häufiger vor<br />

die Tür als sonst. Was nicht angesprochen wurde<br />

sind die Ängste vor Reaktionen der Nachbarn und<br />

depressives Rückzugsverhalten.<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Gesprächsführung<br />

-Gleichgewicht zwischen...-<br />

Patientenzentriert,<br />

Gesprächsführung übergeben<br />

� Ausreden lassen<br />

� Offene Fragen stellen<br />

� Warten, Pausen<br />

� Verbale und nonverbale<br />

Ermutigung zur Weiterrede,<br />

konkretisierend nachfragen<br />

� Paraphrasieren: Aufgreifen der<br />

Worte des Patienten<br />

� Spiegeln von Emotionen<br />

� Zusammenfassen in eigenen<br />

Worten<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Anamneseerhebung nach Engel<br />

1. Vorstellen, Begrüßen<br />

2. Schaffen einer günstigen Situation<br />

3. Landkarte der Beschwerden<br />

4. Jetziges Leiden (7 Dimensionen)<br />

5. Persönliche Anamnese<br />

6. Familienanamnese<br />

7. Psychische Entwicklung<br />

8. Soziales<br />

9. Systemanamnese ergänzen<br />

10.Fragen/Pläne<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Arztzentriert, Gesprächsführung<br />

übernehmen<br />

� Zeitrahmen benennen<br />

� Eigene Themen einbringen<br />

� Übergänge in der<br />

Gesprächsführung ankündigen<br />

� Unterbrechen<br />

� Geschlossene Fragen<br />

� Vereinbarungen treffen<br />

� Gesprächsende ankündigen<br />

136


Praktikum: Ärztliche Kommunikation<br />

7 Dimensionen der Symptomatik<br />

� Zeitlicher Verlauf (Beginn, Dauer, Reihenfolge,<br />

freie Intervalle)<br />

� Qualität (ggf. Vorschläge machen.<br />

Cave:Suggestivfragen)<br />

� Intensität (Funktionseinbuße, Menge, Stärke 0-10)<br />

� Lokalisation (z.B. Kleidungsschema)<br />

� Begleitzeichen<br />

� Intensivierende/lindernde Faktoren<br />

� Umstände<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Balint-Gruppen<br />

� Michael Balint, Psychiater und Psychoanalytiker<br />

� entwickelt eine Methode der ärztlichen Weiterbildung (1954, BMJ)<br />

� um Hausärzte in ihrer täglichen Praxis zu befähigen, ihre<br />

Patienten – besonders die “Schwierigen” - besser verstehen und<br />

behandeln zu können.<br />

� 8-12 Teilnehmer, von Psychotherapeuten geleitet, ein Teilnehmer<br />

beschreibt eine für ihn schwierige Arzt-Patient-Interaktion, die<br />

anderen Teilnehmer geben ihre bei der Schilderung des Falles<br />

aufgetretene Gedanken, Gefühle, Phantasien wieder. Hieraus<br />

entsteht ein komplexes Bild der Arzt-Patient-Beziehung, konkrete<br />

neue Ideen für eine veränderte Gestaltung der Arzt-Patient-<br />

Interaktion<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Balint-Gruppen<br />

� Bewusstmachung von Gegenübertragungen des Arztes<br />

� Unbewusstes Reagieren auf die Beziehungsangebote des<br />

Patienten.<br />

� Wenn Sie Übertragungen durch den Patienten erkennen,<br />

hilft Ihnen das, den eigenen Ärger im Zaum zu halten und<br />

besonnen zu bleiben.<br />

� Was macht der Patient mit mir? Welche Gefühle und<br />

Reaktionen löst er in mir aus?<br />

� Übertragungen werden am besten durch die eigene<br />

Gegenübertragung erkannt, d.h. wenn man sich anders<br />

verhält wie man es sonst von sich gewohnt ist.<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Universitätsklinikum Erlangen<br />

Themenwechsel<br />

� „Jetzt habe ich Ihnen Löcher über Ihre Beschwerden in den<br />

Bauch gefragt und weiß noch gar nichts darüber, wie Sie sonst<br />

leben, was Sie beruflich machen, ob sie eine Familie haben?“<br />

� „Ich würde gerne nochmal auf ihre persönliche Situation<br />

zurückkommen… wie geht es Ihnen übrigens mit all diesen<br />

Fragen?“<br />

� „Wie haben sich denn die Beschwerden auf Ihr<br />

Zusammenleben mit der Familie oder mit Freunden<br />

ausgewirkt?“<br />

� „Wenn es für Sie in Ordnung ist, würde ich Sie gerne noch was<br />

anderes fragen…“<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Balint-Gruppen<br />

� Bewusstmachung von Übertragungen des Patienten<br />

� Verschiebung von Gefühlen, Einstellungen und Verhaltensweisen<br />

des Pat. gegenüber früheren Bezugspersonen auf den Arzt =<br />

allgemein sozial-psychologisches Phänomen,<br />

“Wiederholungszwang”<br />

� Der Patient wiederholt eine zurückliegende, konfliktbehaftete<br />

Beziehung<br />

� In der Regel „inszeniert“ der Patient sein zentrales<br />

Beziehungsmuster und weist dem Arzt eine bestimmte<br />

Übertragungsrolle zu - bewusste und unbewusst Erwartungen an<br />

die Person des Arztes.<br />

� Verschärft durch das Phänomen der psychischen Regression, die<br />

der Krankenrolle eigen ist (Abhängigkeit, Hilfebedürftigkeit).<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Balint-Gruppen<br />

� Bewusstmachung von Übertragungen und<br />

Gegenübertragungen des Arztes<br />

� Natürlich auch abhängig auch von der Lebensgeschichte<br />

des Arztes.<br />

� Unterscheidung zwischen eigenen Anteilen der<br />

Übertragung und der vom Patienten induzierten<br />

Gegenübertragung.<br />

� Der Arzt muss bei sich subtrahieren können!<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

137


Praktikum: Ärztliche Kommunikation<br />

Typische Gegenübertragungsreaktionen des<br />

Arztes sind<br />

� Unruhe<br />

� Müdigkeit<br />

� Ärger<br />

� Sich-kontrolliert-Fühlen<br />

� Abbruch der Behandlung<br />

� Attackieren des Patienten<br />

� Gefühl, vom Patient abgelehnt zu werden<br />

� Übernahme von Verantwortung für den Patienten<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

Universitätsklinikum Erlangen<br />

Balint-Gruppe<br />

� Bewährtes Modell der Selbstreflexion<br />

� Hilft dem einzelnen Arzt seinen eigenen Anteil an<br />

schwierigen Patienteninteraktionen zu klären<br />

� z.B. ist das, was er medizinisch tut, mehr rational und<br />

wissenschaftlich begründet oder in seinen halbbewussten<br />

Gegenübertragungsgefühlen begründet.<br />

© 2011 M. de Zwaan / H.Graap<br />

138


Sollten Sie Ihre Praktikumsbescheinigung verloren haben, bitte dieses Musterexemplar ersatzweise ausfüllen und fehlende Unterschriften einholen!<br />

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -<br />

Praktikum WiSe <strong>2012</strong>/13<br />

Name: _______________________<br />

Vorname: _______________________ Zeit:<br />

Geb. am: _______________________ Dienstag: 14 - 17 Uhr<br />

Geb.-Ort: _______________________ Donnerstag: 15 - 18 Uhr<br />

Matrikel-Nr.: _______________________ □ Psychologie-Studentin/-Student<br />

Datum: Unterschrift:<br />

_______ ______________ = Einführungsveranstaltung, Kleiner Hörsaal<br />

_______ ______________ Kleiner Hörsaal<br />

_______ __________ □ P22 □ Tagesklinik,Hartm.str.14 □ Chir. Pforte □ Strahlenkl. EG Sem.Raum □ Hautkl. Pforte □ KC Pforte □ Forsch. Ulmenweg 19<br />

_______ __________ □ P22 □ Psychos.TK,Hartm.str.14 □ Chir. Pforte □ Strahlenkl. EG Sem.Raum □ Hautkl. Pforte □ KC Pforte □ Forsch. Ulmenweg 19<br />

_______ __________ □ P22 □ Psychos.TK,Hartm.str.14 □ Chir. Pforte □ Strahlenkl. EG Sem.Raum □ Hautkl. Pforte □ KC Pforte □ Forsch. Ulmenweg 19<br />

Bitte geben Sie nach dem letzten Praktikumstermin diese Bescheinigung bei Ihrem Dozenten ab!<br />

Nach diesem Termin besteht auch die Abgabemöglichkeit im Sekretariat II der Psychosomatischen und Psychotherapeutischen Abteilung,<br />

Tel. 09131/85 44596, Z.-Nr. 3.715, 3. Stock, Schwabachanlage 6, 91054 Erlangen.<br />

Bitte vergessen Sie die Online-Evaluation am Ende des Praktikums nicht!<br />

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -<br />

Station P 22<br />

Chirurgie, Pforte<br />

Hautklinik im INZ, Pforte<br />

Forschung, Ulmenweg 19<br />

Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, Pforte<br />

Strahlenklinik, EG, Seminarraum<br />

Tagesklinik, Hartmannstraße 14<br />

139


PRAKTIKUM Wintersemester <strong>2012</strong>/13<br />

Zum Ablauf:<br />

Das Praktikum findet statt für Studierende des 8. Fachsemesters sowie nach Möglichkeit auch für Studierende der<br />

Psychologie auf Masterstudiengang. Es handelt sich um ein Blockpraktikum mit jeweils 5 aufeinander folgenden<br />

Terminen. Die Teilnahme an allen fünf Terminen ist verpflichtend. Es ist nicht möglich, einzelne Termine zu tauschen<br />

oder nachzuholen. Es besteht allerdings die Möglichkeit, den gesamten Block zu tauschen, sofern noch Plätze in<br />

anderen Praktikumsblöcken verfügbar sind oder Sie selbst einen Tauschpartner organisieren.<br />

Anmeldung:<br />

Für Medizin-Studierende:<br />

Ausschließlich über das Online-Kursbuchungssystem des Studiendekanats vom 19.9.12 bis 17.10.<strong>2012</strong>. Die<br />

Anmeldung erfolgt für eine spezifische Kleingruppe. Wann der Block der jeweiligen Kleingruppe stattfindet, ist im<br />

Online-Kursbuchungssystem ersichtlich. Bitte beachten Sie im Kursbuchungssystem die Zusatzinfos!<br />

Für Psychologie-Studierende:<br />

Per E-Mail an psom-lehre@uk-erlangen.de<br />

Die E-Mail muss neben dem vollständigen Namen auch Matrikelnummer, Geburtsdatum und –ort sowie einen Hinweis<br />

auf die Art des Studiengangs (Masterstudiengang) enthalten. Sie erhalten dann zum weiteren Procedere (Kurse,<br />

Einteilung etc.) schnellstmöglich per E-Mail eine Antwort.<br />

Zeit:<br />

Blöcke während des Semesters: jeweils Dienstag 14:00 bis 17:00 und Donnerstag 15:00 bis 18:00 Uhr (Beginn<br />

jeweils s.t.!)<br />

Ferienblöcke: in der jeweiligen Woche täglich von 14:00 bis 17:00 Uhr (Mo, Di, Mi, Fr) bzw. von 15:00 bis 18:00 Uhr<br />

(Do)<br />

Ort:<br />

Kleiner Hörsaal des Kopfklinikums und Räume der Psychosomatischen Abteilung in der Psychiatrischen Klinik, der<br />

Frauenklinik, der Strahlenklinik, der Chirurgischen Klinik, der Hautklinik sowie der Psychosomatischen Tagesklinik<br />

(Hartmannstraße 14).<br />

Treffpunkt:<br />

1. und 2. Kursstunde (1. Dienstag und Donnerstag eines jeden Blocks): kleiner Hörsaal, Kopfklinikum<br />

weitere Kursstunden: vor Station P22 in der Psychiatrischen Klinik bzw. nach Absprache mit der Kursleiterin / dem<br />

Kursleiter.<br />

Praktikumsbeginn:<br />

Dienstag, 23.10.<strong>2012</strong> (Block 1)<br />

Ferienblock 1:<br />

08.10.<strong>2012</strong> bis 12.10.<strong>2012</strong><br />

Ferienblock 2:<br />

18.02.2013 bis 22.02.2013<br />

HINWEIS für Studierende der MEDIZIN:<br />

Die Bescheinigung ist am letzten Kurstag beim Dozenten abzugeben.<br />

Wenn die Praktikumsbescheinigung nicht abgegeben wurde, kann im Studiendekanat Medizin keine Ausgabe des<br />

Fachscheins der <strong>Psychosomatik</strong> erfolgen.<br />

HINWEIS für Studierende der PSYCHOLOGIE:<br />

Der Schein für das Nebenfach <strong>Psychosomatik</strong> kann ca. 6 Wochen nach dem Klausurtermin im Sekretariat II der<br />

Psychosomatischen und Psychotherapeutischen Abteilung (Z. Nr. 3.715, 3. Stock, vormittags) gegen Abgabe der<br />

Praktikumsbescheinigung, falls noch nicht beim letzten Praktikumstermin geschehen, abgeholt werden.<br />

Universitätsklinikum Erlangen<br />

Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung<br />

Schwabachanlage 6<br />

91054 Erlangen<br />

Telefon: 09131 85-34596 (Sekretariat für Studentenangelegenheiten)<br />

E-Mail: psychosomatik@uk-erlangen.de<br />

Internet: www.psychosomatik.uk-erlangen.de Rubrik „Lehre“<br />

140

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!