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“...leidenschaftlich neugierig.“ Die Welt erforschen mit Kunst und Kultur

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Seite: 20<br />

K o n g r e s s d o k u m e n t a t i o n<br />

<strong>“</strong>...LEIDENSCHAFTLICH NEUGIERIG.<strong>“</strong> DIE WELT ERFORSCHEN MIT KUNST UND KULTUR<br />

vität auf. Und wer sich ihr annimmt, wird bald bemerken,<br />

dass da sehr einseitig geurteilt wird. Nur Künstler scheinen<br />

kreativ zu sein <strong>und</strong> schöpferische Momente zu erfahren,<br />

während die Forscher bestenfalls systematisch vorgehen<br />

<strong>und</strong> Glücksmomente kennen. <strong>Die</strong>se Einseitigkeit<br />

hat aber vor allem da<strong>mit</strong> zu tun, dass sich weder modische<br />

Kreativitätsforscher noch ernsthafte Geisteswissenschaftler<br />

ausreichend <strong>mit</strong> den Hervorbringungen der Naturforscher<br />

befasst haben. Natürlich sind Physiker kreativ<br />

<strong>und</strong> das eindrucksvollste Beispiel liefert Heisenberg, dessen<br />

wichtige Aufforderung zum Dialog erneut zitiert werden<br />

soll, um die Betonung diesmal anders zu setzen:<br />

"Worüber man nicht reden kann, darüber muss man sich<br />

verständigen, darüber muss man einen Dialog führen, <strong>und</strong><br />

es ist die Aufgabe des Wissenschaftlers, da<strong>mit</strong> zu beginnen,<br />

um den Weg zu der <strong>Welt</strong> zu bereiten, die zu finden er<br />

in der Lage <strong>und</strong> die zu kennen sein Privileg ist." Heisenberg<br />

stellt in seiner Autobiografie "Der Teil <strong>und</strong> das Ganze"<br />

(1969) den Mut dar, den es braucht, einen neuen Weg<br />

wirklich zu gehen – was anders ist denn Kreativität, als einen<br />

neuen Weg zu finden? -, <strong>und</strong> er stellt sein Erleben im<br />

entscheidenden Moment dar: „Ich hatte das Gefühl, durch<br />

die Oberfläche der atomaren Erscheinungen hindurch auf<br />

einen tief darunter liegenden Gr<strong>und</strong> von merkwürdiger innerer<br />

Schönheit zu schauen <strong>und</strong> es wurde mir fast<br />

schwindlig bei dem Gedanken, dass ich nun dieser Fülle<br />

von mathematischen Strukturen nachgehen sollte, die die<br />

Natur dort unten vor mir ausgebreitet hatte.<strong>“</strong><br />

Was Heisenberg in seinen Erinnerungen beschreibt, kann<br />

als mystisches Einheitserlebnis verstanden werden, das<br />

durch mathematische Symbole ver<strong>mit</strong>telt wird. Wir lesen<br />

von der un<strong>mit</strong>telbaren Erfahrung einer anderen Wirklichkeit,<br />

die allerdings nicht – als etwas Göttliches – höher,<br />

sondern – als etwas Ästhetisches – tiefer liegt <strong>und</strong> so<strong>mit</strong><br />

der humanen Sphäre verhaftet bleibt. Das visionäre Erleben<br />

lässt Heisenberg erglühen <strong>und</strong> erzeugt in ihm eine<br />

Hochstimmung, die ihn sein Leben riskieren lässt, wie seine<br />

Autobiografie nicht explizit ausdrückt, aber implizit erkennen<br />

lässt. Es ist unbegreiflich <strong>und</strong> für die Zunft beschämend,<br />

dass diese Passagen aus Heisenbergs Werk<br />

nicht das geringste Interesse auf Seiten der Geisteswissenschaftler<br />

gef<strong>und</strong>en haben. Dabei schildert Heisenberg<br />

die Entdeckung einer völlig neuen <strong>Welt</strong> – man könnte es<br />

sein inneres Amerika nennen, weil er sich wie Kolumbus<br />

fühlt, der weiß, dass von einem gewissen Punkt eine Rückkehr<br />

ausgeschlossen ist -, deren wesentliche Dimension<br />

den merkwürdig schönen Namen „imaginär<strong>“</strong> führt. Heisenbergs<br />

Weg führt zu der Einsicht, dass die Realität nicht<br />

durch Funktionen <strong>mit</strong> der gleichen Qualität erfasst werden<br />

kann. <strong>Die</strong> neue Physik zeigt, dass imaginäre – imagina-<br />

tive? – Dimensionen nötig sind, um die wirkliche <strong>Welt</strong> daraus<br />

beleiten zu können, <strong>und</strong> jede Determiniertheit geht bei<br />

dem Versuch verloren, in die Wirklichkeit zu gelangen.<br />

Am Ausgangspunkt von Heisenbergs Aufbruch in das neue<br />

Land der Physik stand ein Satz, der deutlicher als viele andere<br />

ausdrückt, welche Form der Physik <strong>mit</strong> ihm <strong>und</strong> seiner<br />

Zeit zu Ende gegangen ist. Heisenberg gelingt die zutreffende<br />

Beschreibung des atomaren Verhaltens von dem<br />

Augenblick an, in dem er sich zu der Sicht entscheidet, die<br />

in seinen Worten so lautet: „<strong>Die</strong> Bahn des Elektrons entsteht<br />

erst dadurch, dass wir sie beobachten.<strong>“</strong><br />

Es ist klar, dass <strong>mit</strong> dem Erfolg dieses Ansatzes die Rückkehr<br />

des Subjekts in die unbarmherzig objektive <strong>Welt</strong> der<br />

Physik unvermeidlich wird, was Einstein so ausgedrückt<br />

hat: „Physikalische Theorien sind freie Erfindungen des<br />

menschlichen Geistes<strong>“</strong>. Wenn man will, kann man der modernen<br />

Physik hier einen alten <strong>Kultur</strong>begriff unterschieben<br />

<strong>und</strong> zwar den der Romantik. Ihre Vertreter verstehen<br />

die Natur bekanntlich „im Modell der <strong>Kunst</strong><strong>“</strong>, wie es der<br />

Ideenhistoriker Isaiah Berlin einmal ausgedrückt hat. Romantiker<br />

finden die Natur nicht, sie erfinden sie; sie entdecken<br />

nichts, sie erschaffen <strong>und</strong> entwerfen. In der Romantik<br />

ist die Natur nicht mehr nur „Mutter Natur<strong>“</strong> (natura<br />

naturans), sondern „etwas, dem ich meinen Willen aufzwinge,<br />

eine Sache, der ich Form gebe<strong>“</strong> (natura naturata)<br />

<strong>und</strong> es braucht nicht betont zu werden, dass die Gr<strong>und</strong>haltung<br />

der Komplementarität <strong>mit</strong> nichts anderen gerechnet<br />

hat.<br />

<strong>Die</strong>se Denkform hat auch der Literaturwissenschaftler<br />

Peter von Matt in seiner Abschiedsvorlesung erkannt, die<br />

in dem Band „Öffentliche Verehrung für Luftgeister<strong>“</strong> (2003)<br />

enthalten ist <strong>und</strong> "Hoffmanns Nacht <strong>und</strong> Newtons Licht"<br />

nebeneinander stellt. Newtons Entdeckungen zeigen eine<br />

geordnete <strong>Welt</strong>, in der alles am Himmel <strong>und</strong> auf Erden<br />

nach festen Regeln zugeht. Für von Matt stellen nun E.T.A.<br />

Hoffmanns fantastische Helden die Kinder des Gegenlichts<br />

dar. Seine Figuren gehören zur „schwarzen Sonne<br />

der Nacht<strong>“</strong>, wie es Novalis einmal ausgedrückt hat. Hoffmanns<br />

Geschichten setzen Newton voraus, der die <strong>Welt</strong><br />

als geschlossenes Ganzes ohne Schwelle zu einem Geisterreich<br />

zeigt. Und auf diesen Totalitätsanspruch möchte<br />

die Poesie, möchten Hoffmann <strong>und</strong> andere Autoren antworten.<br />

Sie entwerfen, wenn man so will, einen Gegenhimmel<br />

der Literatur <strong>und</strong> er muss in der anderen Richtung gesucht<br />

werden, in der Newton fündig wurde, als er die<br />

universalen Gesetze des Kosmos fand. <strong>Die</strong> „schwarze Sonne<br />

der Nacht<strong>“</strong> schwebt im Inneren der Menschen. Novalis<br />

spricht von einem „inneren Universum<strong>“</strong>, Jean Paul nennt

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