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Kerstin Hübner Bundestutorin des FSJ Kultur Das FSJ Kultur als ...

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<strong>Kerstin</strong> <strong>Hübner</strong><br />

<strong>Bun<strong>des</strong>tutorin</strong> <strong>des</strong> <strong>FSJ</strong> <strong>Kultur</strong><br />

<strong>Das</strong> <strong>FSJ</strong> <strong>Kultur</strong> <strong>als</strong> Form <strong>des</strong> bürgerschaftlichen Engagements<br />

Die Erfahrung im <strong>FSJ</strong> <strong>Kultur</strong> zeigt, dass junge Leute sich engagieren:<br />

- gern und bereitwillig,<br />

wenn ihnen sinnstiftende Angebote eröffnet werden und sie hautnah die konkreten<br />

Ergebnisse ihres Tuns erfahren können,<br />

- unvoreingenommen und neugierig,<br />

denn sie machen sich schnell – natürlich nach kritischer Prüfung – Ziele und Inhalte<br />

vorurteilsfrei zu eigen und vertreten diese;<br />

- mit ganzem Herzen,<br />

denn sie werden gern für die eigene, ihnen nahestehende Altersgruppe aktiv<br />

- mit einer großen Portion Verantwortung,<br />

weil sie ein ausgeprägtes Bewusstsein für die anstehenden gesellschaftlichen und sozialen<br />

Aufgaben haben und darin unterstützt und begleitet werden<br />

- mit dem Willen zur Veränderung,<br />

indem sie Verhärtetes frisch hinterfragen und im Bestehenden neue Wege suchen.<br />

Bürgerschaftliches Engagement muss in Gelegenheitsstrukturen gelernt und reflektiert werden.<br />

Eine dieser Gelegenheitsstrukturen ist das <strong>FSJ</strong>. <strong>Das</strong> <strong>FSJ</strong> ist eine besondere Form <strong>des</strong><br />

bürgerschaftlichen Engagements, aber es ist kein bürgerschaftliches Engagement per se.<br />

Denn: Bürgerschaftliches Engagement ist nicht einfach da, sondern macht sich immer an den<br />

konkret handelnden, sich engagierenden Subjekten in spezifischen Handlungs- und<br />

Engagement-Situationen mit den darin verankerten Zielgruppen, Aktivitäten und Ergebnissen<br />

fest.<br />

Für diese Lern- und Reflexionsprozessen bedarf es der Umsetzung von Bildungskonzeptionen,<br />

welche den „doppelten Charakter“ von Freiwilligendiensten (Gisela Jakob) beachten. <strong>Das</strong> heißt,<br />

das Bildungs- und Orientierungsjahr <strong>FSJ</strong> nicht nur auf der individuellen Subjektebene <strong>als</strong><br />

persönlichkeitsbildend und berufsorientierend etc. zu verankern, sondern sehr wohl die<br />

gesellschaftliche Relevanz einer Aus-Bildung sozial und gesellschaftlich verantwortlich<br />

denkender und handelnder Menschen zu beachten.<br />

Im Folgenden ist es Ziel zu beschreiben, in welche Zusammenhänge sich der Prozess hin zu<br />

einem Bewusst- und Sichtbarmachen bürgerschaftlichen Engagements im <strong>FSJ</strong> <strong>Kultur</strong> einbettet.<br />

Dabei gilt es zunächst von der individuellen Ebene – der/dem Freiwilligen und der Einsatzstelle<br />

– auszugehen, die ihre jeweiligen Wünsche und Angebote miteinander aushandeln und ihr<br />

jeweiliges Engagementverständnis und –potenzial formulieren. Da sie dies im Rahmen<br />

kultureller Arbeit tun, passiert dieses Aushandeln auf der Basis von in die Öffentlichkeit<br />

gerichteter, gemeinwesenorientierter Aktivitäten. Die nachhaltige Wirkung dieser engagierten<br />

<strong>Kultur</strong>arbeit im <strong>FSJ</strong> <strong>Kultur</strong> entfaltet sich nur durch den partizipativen und integrierenden<br />

Charakter <strong>des</strong> <strong>FSJ</strong> <strong>Kultur</strong> und die Umsetzung eines „heimlichen Lehrplans“ für<br />

bürgerschaftliches Engagement im Konzept <strong>des</strong> <strong>FSJ</strong> <strong>Kultur</strong>.<br />

<strong>Das</strong> Eigene: Freiwillige, Einsatzstellen und Engagement sind individuell<br />

Jugendliche brauchen Freiräume, um ihre Identität zu erproben. Sie wollen ihre Kompetenzen<br />

erweitern. Sie haben Spaß daran, Ziele zu formulieren, Ideen, Projekte, Strategien zu<br />

entwickeln und Entscheidungen zu treffen. Freiwillige müssen zuallererst <strong>als</strong> Individuen<br />

begriffen werden, sie handeln ihren spezifischen Interessen und ihren jeweiligen Fähigkeiten<br />

entsprechend. Prototypische Freiwillige gibt es demnach nicht.<br />

1


Bildung im <strong>FSJ</strong> (<strong>Kultur</strong>) heißt, um diese Individualisierungsprozesse zu wissen und sie nicht nur<br />

zuzulassen, sondern sogar zu befördern – auch wenn dies mit sich bringt, dass sich Freiwillige<br />

die Fähigkeit <strong>des</strong> Nein-Sagens und Protestierens aneignen, nicht passfähig oder berechenbar<br />

und damit vielleicht unbequem sind. Einsatzstellen lernen dies zu akzeptieren und den<br />

Freiwilligen Vertrauen entgegen bringen. <strong>Das</strong> Potenzial dazu ist vorhanden, denn <strong>Kultur</strong>arbeit<br />

und die kulturellen Strukturen bauen im Besonderen auf die Fähigkeiten <strong>des</strong> Einzelnen, sind<br />

offen, flexibel, neugierig.<br />

Durch Dialog ist es möglich, auf die Individualität der Freiwilligen einzugehen und sie <strong>als</strong> Stärke<br />

nutzbar zu machen. Dialog heißt hierbei die kontinuierliche und größtmögliche Partizipation von<br />

Freiwilligen in der Bildungs- und Begleitkonzeption sowie im Team und Arbeitsfeld der<br />

Einsatzstelle und heißt natürlich auch, Freiwilligen einen klaren Rahmen zu setzen. Wie die<br />

Freiwilligen formulieren in diesem Dialog die Einsatzstellen und Träger ihre Ziele, ihre<br />

Möglichkeiten, ihre Grenzen. Erst durch diese Teilhabe wird der Freiwilligendienst<br />

individualisiert und damit für alle Seiten erfolgreich.<br />

Auch bürgerschaftliches Engagement ist ein individueller, kein prototypischer Prozess. Es ist<br />

nicht generalisierbar mit Blick auf Zugangswege, Formen, Ausprägung und Ergebnisse. Aktives<br />

gesellschaftliches Interesse oder Handeln liegt in einer Vielzahl von – zumeist biografischen –<br />

Motiven begründet: von der Sozialkontaktsuche und dem Wunsch nach Weiterbildung über<br />

persönliche Betroffenheit und die Verbesserung von Berufseinstiegschancen bis hin zu<br />

Ausstieg aus dem Alltag und Spaßerwartung.<br />

Individualität setzt sich fort auf der Ebene der Organisationen: Auch jede Einsatzstelle muss die<br />

ihr spezifischen Engagementmöglichkeiten finden. Sie muss klären, unter welchen<br />

Bedingungen und in welchem Rahmen sie welche Bürger/innen mit welchen Zielen und in<br />

welcher Form integrieren kann.<br />

Es gilt <strong>als</strong>o, die bestmögliche Engagementform zu finden, Passgenauigkeit zwischen Mensch<br />

und Institution herzustellen, indem Wunsch und Möglichkeit verglichen, Angebot und Nachfrage<br />

geprüft werden.<br />

<strong>Das</strong>/Der/Die Andere: <strong>Kultur</strong>arbeit (wird) inspiriert<br />

<strong>Kultur</strong>arbeit zieht ihre Inspiration aus dem Fremden. <strong>Kultur</strong> überschreitet Grenzen. <strong>Kultur</strong> ist<br />

keine l’art pour l’art. Egal ob künstlerische, kreative, kulturpädagogische Methoden angewandt<br />

oder Ergebnisse dieser Prozesse gezeigt werden: Immer regt <strong>Kultur</strong>arbeit zur<br />

Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenssituation und der anderer an, werden Themen<br />

transportiert, die sich entweder aus der eigenen Identität und der eigenen Verortung in der<br />

Gemeinschaft speisen oder eine Beschäftigung mit dem Anderen, mit übergreifenden –<br />

sozialen, politischen, gesellschaftlichen – Fragen darstellen. Damit mischt sich <strong>Kultur</strong> in die<br />

Gestaltung <strong>des</strong> Alltags ein. Die besondere Querschnittsleistung der <strong>Kultur</strong>arbeit ist es somit,<br />

das Soziale mit dem Sinnlich-Ästhetischen, dem Offen-Kreativen, dem vielleicht auch<br />

Unbequem-Fragenden zu verknüpfen.<br />

<strong>Kultur</strong>arbeit zielt auf ein Außen. Prozesse und Ergebnisse von <strong>Kultur</strong>arbeit streben nach<br />

öffentlicher Präsentation, nach Publikum, nach Nutzer/innen. Sie können nicht zuletzt durch den<br />

assoziativen und emotionalen Zugang und Identifikationsraum Menschen interessieren, öffnen,<br />

binden. Und: <strong>Kultur</strong>arbeit will nicht nur, sondern muss offen sein und darf sich nicht hermetisch<br />

verriegeln, denn über diese Ausrichtung in die Öffentlichkeit kann sie sich legitimieren.<br />

Dieses Feld nutzt das <strong>FSJ</strong> <strong>Kultur</strong> für die Entwicklung von Engagementräumen. Wenn Freiwillige<br />

für sich selbst Probleme erkannt, begriffen und Fragen oder gar Lösungen gefunden haben,<br />

erwächst ein Mitteilungswille. Sie werden zu Botschafter/innen ihrer Erkenntnisse und<br />

benötigen dafür ein Medium – dieses Medium ist ihre konkrete (<strong>Kultur</strong>)Arbeit. Die Orientierung<br />

auf ein/e/n „Andere/s/n“ macht ihr Tun sinnvoll und integrierend. Aktive Beobachtung und<br />

2


Auseinandersetzung mit der Gesellschaft fließt demzufolge <strong>als</strong> Handlung und Verantwortung<br />

zurück in selbige.<br />

<strong>Das</strong> miteinander Verbindende: Integration schafft Partizipation<br />

Jugendliche kommen ins <strong>FSJ</strong> (<strong>Kultur</strong>) und bringen vieles mit: Kraft und Erwartung, Erfahrung<br />

und Unvoreingenommenheit und Angst. Sie wollen etwas: Sie wünschen sich Orientierung und<br />

Entwicklung, Schnuppern und „Gestaltenkönnen“, Raum und Verständnis.<br />

Wenn sich das <strong>FSJ</strong> <strong>Kultur</strong> dem Ziel verschrieben hat, diese Energie nutzbar zu machen, um<br />

über die persönlichen Zielstellungen hinaus bei den Jugendlichen den Gedanken <strong>des</strong><br />

gesellschaftlichen Mehrwerts von Freiwilligendiensten zu wecken, zu entwickeln und schließlich<br />

nachhaltig zu verankern, braucht es für eine solche „Transformation“ stete Begleitung und<br />

Steuerung – im Sinne von „Aufmerksammachen“, Anregen, Involvieren.<br />

Dazu ist es zunächst wichtig, Freiwillige ernst zu nehmen und sie in die Einsatzstellen und in<br />

die „<strong>FSJ</strong>-<strong>Kultur</strong>-Gemeinschaft“ einzubinden. „Gemeinschaft“ wird zwischen den<br />

unterschiedlichsten Akteuren in der Arbeit und in der Seminargruppe stetig neu ausgehandelt,<br />

Freiwillige erhalten Einblick in gesellschaftliche und soziale Zusammenhänge und<br />

Entscheidungsprozesse und die Möglichkeit zur konkreten Mitgestaltung, indem sie angeregt<br />

werden, sich von der eigenen Perspektive zu lösen und sich mit ihrer Arbeit auf und an andere<br />

Menschen zu richten. Diese Integration macht die interkulturelle und toleranzfördernde, soziale<br />

und sozialisierende sowie politische und aktivierende Dimension <strong>des</strong> <strong>FSJ</strong> (<strong>Kultur</strong>) erfahrbar,<br />

<strong>Das</strong> heimlich Wirkende: Engagement muss Lehrplan sein<br />

Der Auftrag, Freiwillige über die gesellschaftliche Relevanz ihres Tuns an bürgerschaftliches<br />

Engagement heranzuführen, zieht die Notwendigkeit nach sich, diese Idee kontinuierlich in die<br />

<strong>FSJ</strong>-<strong>Kultur</strong>-Jahresdramaturgie einzubauen. Dies geschieht im Rahmen der pädagogischen<br />

Begleitung der Jugendlichen, der fachlichen Diskussion mit den Einsatzstellen und der<br />

Konzeption der zielgruppenorientierten eigenverantwortlichen Projektarbeit von Freiwilligen im<br />

<strong>FSJ</strong> <strong>Kultur</strong>. Auf diesen Ebenen darf dabei kein Druck entstehen.<br />

Zunächst hat der grundsätzliche Charakter von Freiwilligendiensten entscheidenden Einfluss<br />

auf die Wirksamkeit eines <strong>FSJ</strong> <strong>Kultur</strong>: das tägliche Erleben einer für eine/n selbst, für die<br />

Mitarbeiter/innen der Einsatzstelle und für die Gemeinschaft der Nutzer/innen sinnhaften<br />

Tätigkeit.<br />

Freiwillige öffnen sich dem Anderen und gehen mit ihren eigenverantwortlichen <strong>FSJ</strong>-<strong>Kultur</strong>-<br />

Projekten in den sozialen Raum (Gemeinwesen), indem sie neue Zielgruppen ansprechen bzw.<br />

zusätzliche Angebote für diese bereit halten: ein Hörfunk-Projekt mit Migrant/innen, eine<br />

Homepage für die Vernetzung behinderter Musiker/innen, eine Theateraufführung für<br />

Taubstumme, Poetry Slam in Sozi<strong>als</strong>iedlungen. Hier hat ihre Arbeit nicht nur für die Menschen<br />

Bedeutung, für die und mit denen sie arbeiten, sondern auch für eine viel größere Allgemeinheit<br />

und Öffentlichkeit, denn sie machen auf diese Zielgruppen und auf deren Themen aufmerksam.<br />

Sie wecken damit zunächst das Bewusstsein, verändern später vielleicht die Haltung und<br />

beeinflussen letztlich sogar das Handeln. Dies hat einen hohen emotionalen Faktor.<br />

Einsatzstellen müssen diese Energien aufgreifen und verstärken. Zudem haben sie die<br />

Möglichkeit, Jugendliche langfristiger an sich zu binden, ihnen Lebens- und Engagementwege<br />

aufzuzeigen, Zusammenarbeit mit bürgerschaftlich Engagierten (Mentor/innen) anzustreben<br />

und über die <strong>Kultur</strong>arbeit (neue) Kooperationen und Netzwerke für bürgerschaftliches<br />

Engagement im lokalen Raum aufzubauen.<br />

Die Träger im <strong>FSJ</strong> <strong>Kultur</strong> sind darüber hinaus gehalten, die in dieser sinnhaften Arbeit implizite<br />

gesellschaftliche Wirkung und die daraus resultierende Verantwortung zu thematisieren – <strong>als</strong><br />

inhaltlichen Input in den Seminaren, <strong>als</strong> verbindliches Thema der Einsatzstellenbesuche, <strong>als</strong><br />

Fragen in den Einzelgesprächen. Freiwillige und Einsatzstellen werden darauf aufmerksam<br />

3


gemacht, was sie machen (können) und mit welcher Wirkung, welchen Konsequenzen sie dies<br />

tun (können). Erst diese „rationale Sensibilisierung“ macht es möglich, die emotional geprägten<br />

Prozesse zu nachhaltigen Erkenntnissen zu führen.<br />

Den Freiwilligendienst in diesem Sinne <strong>als</strong> bürgerschaftliches Engagement zu verstehen, stellt<br />

umfassende neue Anforderungen an die Organisations- und Personalentwicklung von Trägern<br />

und Einrichtungen. Sie müssen sich <strong>als</strong> eine mit den Freiwilligen mit-lernende, der Gesellschaft<br />

gegenüber offene Organisationen begreifen, die Verantwortung für bürgerschaftliches<br />

Engagement in den Leitbildern und fachlichen Konzepten <strong>des</strong> Freiwilligendienstes verankern<br />

und Jugendlichen ein Selbstverständnis von Verantwortung vorleben.<br />

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