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Non - Stop - Lauf 1992 - CJD Homburg

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Müde und glücklich - <strong>Non</strong>-<strong>Stop</strong>-Läufer von Kiew zurückgekehrt<br />

Müde und glücklich sinken sich die Kiewläufer nach ihrer Rückkehr im Jugenddorf<br />

<strong>Homburg</strong>/Saar - Berufsbildungswerk in die Arme; ein kleines Abenteuer findet damit<br />

ein gutes Ende. Ein <strong>Lauf</strong>erlebnis der ganz besonderen Art.<br />

Durch die Vorbereitungen vergingen die letzten Monate wie im Fluge. Während die<br />

Berufsausbildung durch die öffentliche Hand gefördert wird, ist das<br />

Berufsbildungswerk bei sozialpädagogischen Maßnahmen und politischen<br />

Bildungsmaßnahmen insbesondere auf zweckgebundene Spenden angewiesen. Sponsoren<br />

mussten gesucht werden, wer kann eine Sachspende bereitstellen, wo kommt das<br />

nötige Bargeld her, so lauteten einige der vielen Fragen. Etliche Stunden<br />

verbrachte das Planungsteam damit, Kontakte zu Sponsoren, Botschaften,<br />

Bürgermeistern, Zollämtern und Politikern zu schaffen. Ein Baustein nach dem<br />

anderen passte sich in das Gesamtbild "<strong>Non</strong>-<strong>Stop</strong>-<strong>Lauf</strong>" ein.<br />

Als die Läufer in den letzten Monaten vom <strong>Non</strong>-<strong>Stop</strong>-<strong>Lauf</strong> erzählten, ernteten sie<br />

oft Lächeln und Spott bis hin zu Unverständnis. Manchmal wollten sie schon alles<br />

hinschmeißen, je näher aber der Tag des Startes kam, je mehr wuchs die innere<br />

Anspannung. Klappt alles, hatten sie nichts vergessen, sind alle Formalitäten<br />

erledigt, sind alle Läufer fit? Fragen über Fragen. Leona Tiliu hatte große<br />

Sorgen, wie sie über acht Tage hinweg mit den anderen Läufern auf ca. 10 qm<br />

auskommen wird. Es war Angst, die sie über mehrere Wochen vor dem <strong>Lauf</strong><br />

begleitete. Aber am Ende war auch dies ein Erlebnis, wie sie erzählte.<br />

Mittwoch, 19.08.<strong>1992</strong><br />

Zum wiederholten Male rufen Medienvertreter an und wollen Informationen über den<br />

<strong>Non</strong>-<strong>Stop</strong>-<strong>Lauf</strong> von <strong>Homburg</strong>/Saar über Prag, Krakau nach Kiew in der Ukraine. Helmut<br />

Volz, Peter Schäfer und Rainer Satzky geben bereitwillig Auskunft zu den Fragen,<br />

wie z.B. "welche Idee lag wohl zugrunde?, wieviel Teilnehmer sind es?, warum wird<br />

gelaufen? und viele, viele andere Fragen. Die Reporter sind sehr neugierig und<br />

wollen jede Kleinigkeit erfahren. Als ob die Gruppe zu diesem Zeitpunkt nichts<br />

besseres zu tun hätte. Die zwei Wohnmobile und der Transporter müssen beladen<br />

werden, Verpflegung, Gastgeschenke und Kleidung müssen verstaut werden, nichts<br />

darf vergessen werden.<br />

Und dann kommt der Tag des Starts<br />

Donnerstag, 20.08.<strong>1992</strong><br />

Es ist ein Riesenwirbel im Jugenddorf. Die Presseleute, Rundfunkleute und<br />

Fernsehleute drängen sich um die Läufergruppe und wollen Informationen,<br />

Interviews, so fast alles mögliche oder unmögliche von ihnen wissen. Pünktlich um<br />

16.15 Uhr starten die 17 Auszubildenden und Mitarbeiter unter der<br />

Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten des Saarlandes, Oskar Lafontaine, zu<br />

ihrem <strong>Non</strong>-<strong>Stop</strong>-<strong>Lauf</strong> von <strong>Homburg</strong>/Saar nach Kiew in die Ukraine. Staatssekretärin,<br />

Barbara Wackernagel-Jacobs, gibt den Startschuß zu diesem <strong>Lauf</strong>. Bei herrlichem<br />

Sonnenschein und dem Beifall aller Auszubildenden, Mitarbeiter und den<br />

Ehrengästen verlassen die Läufer das Berufsbildungswerk in <strong>Homburg</strong>-Schwarzenbach<br />

und laufen Richtung Rheinland-Pfalz. Von nun an ist die Gruppe auf sich allein<br />

gestellt. Nun muß sich zeigen, was die Vorbereitung wert ist. Bereits in<br />

Zweibrücken überrascht sie ein fürchterliches Gewitter und sie überlegen, ob sie<br />

den Läufer, der zu diesem Zeitpunkt am <strong>Lauf</strong>en ist, zum Schutz in das Fahrzeug<br />

nehmen sollen. Die Verantwortlichen entscheiden dann aber, den Läufer durch den<br />

niederprasselnden Regen laufen zu lassen; dabei muß er den umherfliegenden<br />

Dachziegeln, Blumenkästen und Mülltonnen ausweichen. Nach zehn Minuten ist der<br />

Spuk vorbei. In Landau ist der erste Höhepunkt für die Läufer. Am Bahnhof wartet<br />

bereits der Südwestfunk und interviewt die 1. Gruppe von Peter Schäfer.


Freitag, 21.08.<strong>1992</strong><br />

In der Nacht um 2.00 Uhr laufen sie in Germersheim über den Rhein, der<br />

aufgehenden Sonne entgegen. Vor Heilbronn wird unterwegs das erste Frühstück<br />

eingenommen. Bei Tempo 100 km/h ist Kaffee kochen schon eine Kunst. Aber<br />

Chefköchin Petra Klingels beherrscht dies hervorragend und dementsprechend gut<br />

ist auch die Stimmung. Immer weiter geht es auf der Deutschlandreise zu Fuß.<br />

Nesselbronn, Crailsheim, Bergnerzell, Orte die keiner vorher kannte. Während des<br />

<strong>Lauf</strong>es in Deutschland haben die Läufer einen ganz besonderen Fan und Begleiter.<br />

Hans Schöffel, Erlebnissportbeauftragter des Christlichen Jugenddorfwerkes<br />

Deutschlands e.V. (<strong>CJD</strong>), begleitet sie und dreht einen Film. In der Nacht<br />

durchläuft die Gruppe Nürnberg, hier erwischt es ausgerechnet Jennifer Lang. Sie<br />

muß ihren Teil in der "Zeit der Nachtschattengewächse“ laufen. Aber das Wohnmobil<br />

bleibt immer eng bei ihr.<br />

Samstag, 22.Augunt <strong>1992</strong>.<br />

Die Läufergruppe ist im Frankenland angelangt und genießt bei Sonnenaufgang die<br />

herrliche Landschaft, bevor es zum Grenzübergang in die CSFR nach Waidbaus geht.<br />

Vorher wird nochmals Frischwasser gebunkert und so geht es über den Zoll mit<br />

Jennifer Lang und Peter Schäfer. Ein gutes Gefühl, wie die beiden berichten. Dann<br />

nehmen sie die Nebenstrecke bis nach Pilsen. In Pilsen angekommen sind sie etwas<br />

enttäuscht über die schmutzige und graue Stadt. Die Plattenbauart der Häuser,<br />

ähnlich wie in der ehemaligen DDR, und viel Staub gilt als Abschreckung für<br />

Touristen. Selbst als sie an der Pilsener Urquell-Brauerei vorbeilaufen, wirkt<br />

alles grau in grau.<br />

Sonntag, 23. August <strong>1992</strong><br />

Die innere Anspannung der Läufer wächst mit jedem Kilometer, die sie sich Prag<br />

nähern. Nach dem Wechsel geht es am Morgen von Lodenice nach Prag. Plötzlich, ein<br />

schnelles Auto fährt an ihnen vorbei nach vorne, stoppt die Gruppe und ein<br />

Polizist zückt seine Dienstmarke. Er meldet: "Die Eskorte ist bereit". Die<br />

<strong>Non</strong>-<strong>Stop</strong>-Läufer werden von zwei Polizeifahrzeugen mit Blaulicht und Martinshorn<br />

bis in die Innenstadt von Prag begleitet. Mit herrschenden Gesten stoppen die<br />

Polizisten alles, was die Läufer stören will. Olaf Husemann und Christian Fechter<br />

bestimmen das Tempo bis in die Innenstadt.<br />

Prag, die goldene Stadt an der Moldau, begrüßt die <strong>Non</strong>-<strong>Stop</strong>-Läufer wie<br />

<strong>Lauf</strong>könige. Auf dem Platz vor dem Altstätter Rathaus, direkt unter dem<br />

Glockenturm, gibt es einen kleinen Empfang durch die Vertreter der Stadt Prag.<br />

Nach einem einstündigen Stadtrundgang bis hin zur Karlsbrücke müssen sich die<br />

Läufer leider von dieser eindrucksvollen Stadt verabschieden. Es geht weiter über<br />

Kopfsteinpflaster und Nebenstraßen, immer nach Osten. Die Landschaft ist recht<br />

abwechslungsreich. Einmal lange, schnurgerade Straßen, dann rundherum Berge. Sie<br />

sind jetzt bei Tebova und die Straße steigt an. Früher hieß diese Stadt<br />

Mährisch-Trüban, es ist eine Bergwerksgegend.


Montag, 24.August <strong>1992</strong>.<br />

Langsam wird es hell, Nebelschwaden verziehen sich und die Sonne bricht durch.<br />

Olaf Husemann läuft zehn Kilometer in 45 Minuten. Er sei heute besonders toll<br />

drauf, meint er später. Die Stimmung der Gruppe ist gut. Bei Roswadowitz steht<br />

das zweite Wohnmobil von Rainer Satzky und die Mannschaften wechseln.<br />

Von Roswadowitz bis Mährisch-Weiskirchen läuft jetzt die 2. Gruppe von Rainer<br />

Satzky, die 1. Gruppe von Peter Schäfer kann bis dorthin mit ihrem Wohnmobil<br />

durchfahren und ausruhen. Am Ortsausgang von Mährisch-Weiskirchen wollen sich<br />

beide Teams wieder treffen. Doch es gibt eine parallel verlaufende Schnellstraße<br />

und der Wechsel klappt nicht. Das Team von Rainer Satzky läuft vorbei. Nach ein<br />

paar Minuten kehrt Rainer Satzky um und findet die zweite Gruppe.<br />

An diesem Tage wollen sie die Eltern von Leona Tiliu besuchen. Die Ausläufer des<br />

Jablunka-Gebirges lassen die fast schnurgerade Straße immer wieder steil<br />

ansteigen. Die härteste Strecke erreichen sie zwischen 13.00 und 14.00 Uhr. Es<br />

ist ein steiler Anstieg und eine lange Baustelle erschwert das <strong>Lauf</strong>en. Der<br />

beißende Gestank des Teeres, die Straße wird gerade geteert, setzt sich bei der<br />

stehenden Luft der Mittagshitze auf die Atemwege. Martin Edinger gerät ins<br />

Straucheln. Er hat erstmals Schwindelgefühle und wird abgelöst. Es ist für die<br />

Läufer eine Qual. Kirsten Hegenauer, Olaf Husemann und Christian Fechter bilden<br />

den Schluß und trotz aller Unwegsamkeiten schaffen sie es doch pünktlich, bei den<br />

Tilius anzukommen. Die Familie Tiliu hat für die Läufergruppe eine echt Böhmische<br />

Gulaschsuppe gekocht und Pflaumenkuchen gebacken, damit sich die Gruppe einmal<br />

richtig stärken kann. Es wird munter erzählt und geplaudert. Doch der Aufenthalt<br />

ist nur von kurzer Dauer, denn es muß weitergehen. Die tschechisch-polnische<br />

Grenze wartet. In Erinnerung bleibt ein tolles Essen und die Eisdusche auf dem<br />

Campingplatz in Friedk-Mistek.<br />

Die Läufergruppe ist jetzt schon kurz vor Polen. An der polnischen Grenze wartet<br />

Helmut Volz mit dem Transporter. Er war vorausgefahren, um die Formalitäten mit<br />

dem Zoll zu erledigen. Hier tauchen die ersten Fragen nach Westgeld auf. Die<br />

Grenzer sind sehr neugierig, und es dauert recht lange bis alle Läufer über die<br />

Grenze kommen. Ab diesem Zeitpunkt sind sie auch vorsichtiger. Das Wohnmobil<br />

fährt immer direkt hinter dem Läufer. Wie Andreas Schneider betont, sind die<br />

Straßen hier recht schmal und so schlecht, daß beim <strong>Lauf</strong>en jeder aufpassen muß,<br />

daß er nicht umknickt. An vielen Stellen sind in den Straßen sehr tiefe<br />

Schlaglöcher, und vor allen Dingen ist es nachts sehr schwer zu laufen, da einige<br />

Fahrzeuge mit aufgeblendetem Licht fahren, und er so fast nicht sehen kann, wohin<br />

er läuft.<br />

In Polen gerät die Läufergruppe acht Stunden im Zeitplan zurück. Dies war bedingt<br />

durch die Wartezeit an der Grenze und die Mehrkilometer. Im Vorbereich wurde<br />

errechnet, daß es bis Kiew 1.860 km seien. Tatsächlich sind es aber 2.017 km. Aus<br />

diesem Grunde wird die Besichtigung des Konzentrationslagers Auschwitz<br />

ausgelassen und beschlossen, sich die Gedenkstätten auf der Rückfahrt anzusehen.<br />

Dadurch können die Läufer auf einen Schlag drei Stunden aufholen, und sie hoffen<br />

zu diesem Zeitpunkt, die andere Minuszeit durch schnelleres Tempo und schnellere<br />

Wechsel der Läufer herauszulaufen.<br />

Dienstag, 25.August <strong>1992</strong>.<br />

Am Morgen erreichen sie Mysenice, eine lebhafte Stadt und auch sonst mit viel<br />

Interessantem. Gegen Mittag durchläuft Michael Rösch eine reizvolle Landschaft<br />

mit vielen Stauseen. Die Gegend macht den Eindruck wie die Landschaft der<br />

Vorderpfalz. Es gibt Felder mit Kohl und Karotten, Kartoffeln und Mais,<br />

Pferdepflüge ersetzen noch den Traktor. Hier ist alles viel sauberer als in der<br />

Grenzregion. Die Straße verläuft immer schnurgeradeaus nach Osten. Laute und<br />

rasende Autos wirbeln Staub auf und belästigen die Läufer.


Mittwoch, 26.August <strong>1992</strong>.<br />

Die <strong>Non</strong>-<strong>Stop</strong>-Läufer nähern sich der ukrainischen Grenze bei Shegini. Lastwagen an<br />

Lastwagen stehen auf der Straße, und sie fragen sich: Ist das etwa schon die<br />

Grenze? Sie fahren zögernd heran und an den LKW's vorbei. Die LKW's stauen sich<br />

mehr als drei Kilometer bis hin zum Grenzbaum. Die PKW's aber werden schneller<br />

abgefertigt. Im Grenzbereich herrscht die reinste Jahrmarktsstimmung. In<br />

Verkaufsbuden und Imbißbuden werden Souvenirs sowie alles Mögliche zum Kauf<br />

angeboten. Als die Grenzsoldaten den Inhalt des Transporters von Helmut Volz<br />

sehen, gibt es ein großes Hallo. Sie meinen ein "Globus-VW-Transporter“ steht an<br />

der ukrainischen Grenze. Es wird alles begutachtet, selbst "Karlsberg Gründels“<br />

wird besonders in Augenschein genommen. Die Zöllner und Grenzer interessieren<br />

sich für den <strong>Lauf</strong> und sind anscheinend so begeistert, daß die Läufergruppe sofort<br />

abgefertigt wird. Andere Lastwagenfahrer berichten, daß sie bereits eineinhalb<br />

Tage vor der Grenze gewartet haben, und wieder einer bemerkt, er brauche fünf bis<br />

sechs Tage von Berlin bis Kiew. Die Läufergruppe schafft dies fast zu Fuß in der<br />

gleichen Zeit.<br />

Nach der Grenze das gleiche Spiel - die Lastwagen stauen sich in Kilometerlänge.<br />

In der Ukraine angekommen wachsen die Eindrücke mit den schlechten<br />

Straßenverhältnissen. Festgefahrene Sandpisten mit flüssigem Teer bespritzt und<br />

mit Steinschlacke festgewalzt. Das sind ukrainische Bundesstraßen, aber auch<br />

Autobahnen. "Beim <strong>Lauf</strong>en spürst du jeden Stein", so Peter Schäfer. Aber es muß<br />

weitergehen, denn alle wollen ja Kiew erreichen.<br />

Donnerstag, 27.08.<strong>1992</strong><br />

Am Morgen läuft Kirsten Hegenauer in den Sonnenaufgang hinein, entlang der langen<br />

Straße wächst Hopfen. An einem Intertouristplatz wird geduscht - dies ist aber<br />

nur möglich für Westgeld, nur eiskaltes Wasser fließt aus der Dusche. Mit<br />

angenehmer Frische wird die Stadt Lvov erreicht. In die Stadt hinein geht es<br />

einfach, doch rauskommen ist die große Kunst. Keine Schilder, keine Hinweise oder<br />

irgend etwas, was die: Richtung nach Kiew auch nur andeuten könnte. Die Gruppe<br />

fragt Passanten und Polizisten, mit Händen und Füßen wird gerungen, Zeichnungen<br />

auf die Straße gemalt, wo geht es nach Kiew (Kneb), wo stehen die<br />

Hinweisschilder? Aber überall erhalten sie nur Achselzucken. Erst nach einer<br />

Stunde finden sie den Weg nach Kiew. Alle sind erleichtert, dem "Bermudadreieck"<br />

entronnen zu sein. Am Nachmittag wird die Stadt Rovno erreicht. Die<br />

Straßenverhältnisse sind hier noch katastrophaler als bisher, und in der Hitze<br />

immer wieder Fliegen. Christian Fechter und Olaf Husemann sind auf der Jagd nach<br />

Fliegen, aber es nutzt nur wenig. Der verschwitzte Läufer wird sofort das Opfer<br />

dieser Schmeißfliegen. Auf diesem Streckenabschnitt gibt es keine Abwechslung,<br />

nur Teer und Lastwagen. Keine Häuser sind zu sehen und kein einziger Baum rechts<br />

und links der Straße, immer nur schnurgeradeaus nach Osten. Die Menschen am Rande<br />

der Straße wirken gleichgültig. Die Läufer treffen einen Radfahrer, der früher<br />

als Angestell-ter beim Staatszirkus im Ausland etwas englisch gelernt hatte. Sie<br />

füllen seine Marschverpflegung auf, und beim Abschied hatte er Tränen in den<br />

Augen und bedankt sich vielmals. Was haben sie ihm gegeben?, doch nur etwas zum<br />

Essen und Trinken, für Westdeutsche doch nichts besonderes. In der Nacht wird das<br />

Schlafen zur Last, falls einer bei der Schaukelei der Wohnmobile überhaupt im<br />

Bett liegen kann. Gegen Mitternacht wird die Stadt Zitomir erreicht.


Freitag, 28.August <strong>1992</strong>:<br />

Die <strong>Non</strong>-<strong>Stop</strong>-Läufer befinden sich noch ca. 130 km vor Kiew. Noch dreizehn<br />

Stunden, dann ist das Ziel endlich erreicht. Vor Kiew wechseln sich endlose<br />

Kiefernwälder mit landschaftlicher Nutzfläche ab. Am Nachmittag wird das Ziel<br />

Kiew erreicht. An der Stadtgrenze von Kiew steht ein überdimensionales Schild<br />

"KNEB" Es ist geschafft. Der Direktor der Schule Nr. 16 und Tanja, die<br />

Dolmetscherin, erwarten die <strong>Non</strong>-<strong>Stop</strong>-Läufer bereits. Mehr als zweitausend<br />

Kilometer europäische Straßen liegen hinter den Läufern. Und trotzdem, sie können<br />

es kaum glauben, so weit gelaufen zu sein. Glücklich und müde sinken sie*sich in<br />

die Arme. Stolz werden Gruppenfotos gemacht und erste Gedanken ausgetauscht. Die<br />

Läufer berichten von dem <strong>Lauf</strong> und können es immer noch nicht fassen, in Kiew zu<br />

sein. In Kiew sind die <strong>Non</strong>-<strong>Stop</strong>-Läufer in einem Sanatorium außerhalb der Stadt<br />

untergebracht. Es liegt in einem Kiefernwald und hat auch schon,bessere Tage<br />

gesehen. Doch alle sind froh, endlich wieder in einem feststehenden Bett zu<br />

schlafen. "Wir haben es geschafft ....“ mit diesen Worten auf den Lippen schläft<br />

mancher von ihnen ein.<br />

Samstag, 29.August <strong>1992</strong>:<br />

Für Samstagmorgen ist der offizielle Empfang durch die Stadt Kiew angesagt. Vom<br />

Besarabischen Markt aus laufen die <strong>Non</strong>-<strong>Stop</strong>-Läufer die Hauptgeschäftsstraße<br />

(Kreschiatik) entlang, bis hin zum Platz der Unabhängigkeit. Die Bürger von Kiew<br />

sind eingeladen, auf dieser Strecke mitzulaufen, einige machen davon auch<br />

Gebrauch. Junge Sportlerinnen und Sportler von Dynamo Kiew begleiten die<br />

<strong>Non</strong>-<strong>Stop</strong>-Läufer auf der abgesperrten Strecke bis zum Platz der Unabhängigkeit.<br />

Rund um den Platz haben sich viele Bürger versammelt, um die Läufergruppe zu<br />

empfangen. Beim Empfang werden sie vom Vorsitzenden des Nationalen Olympischen<br />

Komitees der Ukraine, vom Vorsitzenden des Olympischen Komitees der Stadt Kiew<br />

und von der Vorsitzenden des Behindertensportverbandes der Stadt Kiew empfangen.<br />

Junge Mädchen legen den Läufern Medaillen um, überreichen ihnen einen Wimpel und<br />

symbolisch eine Blume. Es wird Brot und Salz gereicht als Geste des Willkommens.<br />

Es ist ein sehr herzlicher Empfang. Das ukrainische Fernsehen, der Rundfunk und<br />

die Zeitungen berichten mit großem Interesse darüber.<br />

Beim Empfang unterstreicht der Leiter der Läufergruppe, Helmut Volz, die<br />

Wichtigkeit dieses <strong>Lauf</strong>es für die Verständigung der Völker in der Welt und für<br />

den Frieden. Er übergibt eine Grußbotschaft mit diesem Inhalt. Die Partnerschule<br />

in Kiew hat für den Samstagnachmittag, Sonntag, Montag und Dienstag ein<br />

reichhaltiges kulturelles Programm organisiert. "Kiew ist“, so Peter Schäfer,<br />

"eine eindrucksvolle Stadt mit Kirchen und Klöstern, mit goldenen Kuppeln, mit<br />

jahrhundertealter Geschichte". Am Nachmittag wird Kiew besichtigt. Am Abend kommt<br />

Olga A. Logvinova aus Minsk mit ihrem Mann. Olga ist Ärztin und war Mitglied der<br />

russischen Delegation die vor zweieinhalb Jahren im Jugenddorf <strong>Homburg</strong><br />

hospitierte. Für ihre Klinik in Minsk hatte die Läufer-Gruppe Medikamente aus<br />

<strong>Homburg</strong> mitgenommen, die sie nun Olga überreichen. Sie ist so glücklich über das<br />

Wiedersehen mit den Jugenddörflern, aber auch sehr dankbar für die Medikamente,<br />

die in ihrer Klinik dringend benötigt werden.


Sonntag, 30.08.<strong>1992</strong>:<br />

Die <strong>Non</strong>-<strong>Stop</strong>-Läufer fahren zu einem Freilichtmuseum in der Nähe von Kiew. Auf dem<br />

Weg dorthin fährt Rainer Satzky auf einer ausnahmsweise guten Straße 87 km/h,<br />

anstelle der erlaubten 60 km/h. Und prompt bekommt er Probleme. Die Polizei hält<br />

ihn an, und er muß seinen Führerschein abgeben. Nach zähen Verhandlungen von<br />

Tanja, der Dolmetscherin, bekommt er seinen Führerschein gegen fünf Dollar wieder<br />

zurück und kann weiterfahren. Daraufhin meint er: "Diese Erfahrung zeigt, daß<br />

jeder in den östlichen Ländern immer genügend westliche Währung in der Tasche<br />

haben sollte, um solche Situationen zu meistern". Das Freilichtmuseum ist riesig.<br />

Sechs komplette Dörfer aus den sechs verschiedenen Regionen der Ukraine sind hier<br />

nachgebaut. Für Zahlungskräftige mit Westgeld werden Hubschrauberrundflüge<br />

angeboten. In den Häusern, die besichtigt werden können, wird Auskunft gegeben zu<br />

den Lebensgewohnheiten der früheren Besitzer. Am Abend besucht die Gruppe noch<br />

ein Fußballspiel der 1. Ukrainischen Liga "Dynamo Kiew -Djeprpetrowsk". Dynamo<br />

Kiew gewinnt mit 2:1 vor 4.800 Zuschauern in einem 120.000 Zuschauer fassenden<br />

Stadion.<br />

Montag, 31.08.<strong>1992</strong>:<br />

An diesem Tage wird Kiew ausschließlich zu Fuß besichtigt. Die Altstadt Kiews ist<br />

mit goldenen Zwiebeltürmen der Kirchen und Klöstern, Museen und historischen<br />

Bauten regelrecht übersät. Der Nachmittag steht allen zur freien Verfügung. Jeder<br />

kann tun und lassen was er will, entweder einen Einkaufsbummel rund um die<br />

Hauptgeschäftsstraße oder, wie Uwe Armbruster, der zum Frisör geht. Mit Händen<br />

und Füßen handelt er den Preis aus und zahlt umgerechnet 10,00 DM für einen<br />

Superhaarschnitt, was er im nachhinein als zu teuer empfindet. Seine Mitläufer<br />

aber sind von seinem Haarschnitt begeistert. Die Läufer schnuppern in Läden, auf<br />

den Märkten und in den großen Einkaufszentren, was es in Kiew so alles zu kaufen<br />

gibt. Schnell merken sie, daß es ganz schön schwer ist, ihr Geld auszugeben. Ein<br />

Stadtplan z.B. kostet nur fünf Kouponies, das sind ca. 3<br />

Pfennige. Ein Eis, in der besten Eisdiele der Stadt, mit drei großen Bällchen<br />

kostet umgerechnet 12 Pfennig. Auf den Märkten wird alles Mögliche angeboten. So<br />

können für ein paar Mark alte Musikinstrumente, alte Möbel und vor allen Dingen<br />

Militärklamotten erstanden werden.<br />

Dienstag, 01.09.<strong>1992</strong>:<br />

An diesem Morgen fahren sie mit Tanja, der Dolmetscherin, zu deren ehemaliger<br />

Grundschule und erleben dort als Ehrengäste die Einschulungszeremonie. Sie spüren<br />

bei der Besichtigung die Herzlichkeit der Kinder, aber auch des Lehrpersonals. Ab<br />

der 5. Klasse wird an dieser Schule als zweite Fremdsprache Deutsch unterrichtet.<br />

So können sie recht gut Fragen nach dem ukrainischen Schulsystem stellen. Am<br />

Nachmittag werden die letzten Kouponies in Souvenirs umgesetzt. Rainer Satzky,<br />

als Folklorefreak, kauft Hemden für seine Folkloregruppe. Auch eine deutsche<br />

Zeitung aus dem ersten Hotel am Platz wird erstanden, um den Informationsmangel<br />

zu decken, vor allen Dingen, um die Bundesligaergebnisse zu erfahren. Aber alles<br />

was sie kaufen, erhalten sie nur gegen Westgeld. Westgeld, Westprodukte, das sind<br />

die Renner in Kiew und in der Ukraine. Bei den roten Coca-Cola-Boxen stehen die<br />

Leute Schlange und fliegende Händler verkaufen alles, was aus dem Westen kommt.<br />

Für den Abend ist der Abschied im Sanatorium geplant. Mit den Lehrern der<br />

Partnerschule wird gefachsimpelt, aber auch gelacht und viel gesungen.


Mittwoch, 02.09.<strong>1992</strong>:<br />

Am Tag des Abschieds regnet es in Strömen. Die Gruppe fährt zur Besichtigung der<br />

Partnerschule Nr. 16. Das geplante Spielfest musste wegen des schlechten Wetters<br />

ausfallen, deshalb verteilen die Läufer die Gastgeschenke und die vielen<br />

Kleinigkeiten direkt in den Klassen.<br />

Der Sportlehrer bekommt direkt eine Demonstration der mitgebrachten Sportgeräte<br />

von den Fachleuten Regina Raskopp und Rainer Satzky vorgeführt. Auch die<br />

mitgebrachte Torwand steht nun auf dem Hof der Schule. Am späten Nachmittag<br />

verabschieden sich die Läufer von der Partnerschule und fahren Richtung Heimat.<br />

Sie einigen sich, durchzufahren bis zur ukrainisch-polnischen Grenze. Nun erleben<br />

sie ihre <strong>Lauf</strong>strecke noch einmal. Schlagloch an Schlagloch, Welle an Welle und ab<br />

und zu müssen auch umherliegende Gegenstände umkurvt werden. Die<br />

Spitzengeschwindigkeiten, die sie fahren können, liegen so zwischen 40 km/h und<br />

50 km/h.<br />

Donnerstag, 03.09.<strong>1992</strong>:<br />

Der Morgen beginnt nicht vielversprechend. Zum x-ten Mal fällt die Kaffeekanne zu<br />

Boden, diesmal bekommt sie den Rest. Am Mittag erreichen sie das<br />

Konzentrationslager in Auschwitz 1, das sie wegen des großen Zeitrückstandes auf<br />

dem Hinweg nicht besichtigen konnten. Die Besichtigung ist sowohl für die Jugend<br />

als auch für die Mitarbeiter ein trauriges Erlebnis, das sie so schnell nicht<br />

vergessen werden. Es wird ihnen dort demonstriert, zu welcher Grausamkeit<br />

Menschen in der Lage sind. Bertram Knapp berichtet: "Es war erschütternd<br />

anzusehen, was die Menschen damals in der Zeit für Greueltaten begangen haben.<br />

Wir haben dort viel gesehen. Berge von Haaren, Berge von Schuhen, Zahnbürsten,<br />

Brillen; vor allen Dingen die Gaskammer des Konzentrationslagers war<br />

fürchterlich. Diese Eindrücke werde ich niemals vergessen!" Das Fazit der jungen<br />

Leute lautet. "Wenn man so etwas sieht, kann es einem ganz schlecht werden - so<br />

etwas darf nie wieder geschehen". Von Auschwitz aus fährt die Gruppe dann in<br />

Richtung <strong>Homburg</strong>. Die Zollkontrollen auf dem Rückweg verlaufen diesmal<br />

problemlos. Prag die goldene Stadt an der Moldau - wird von Südosten her, über<br />

eine Bergkette kommend, angefahren. Die Lichter der Stadt erleuchten den<br />

Nachthimmel, doch die Heimat ruft. Die einzigen <strong>Stop</strong>s sind die Tankstellen, an<br />

denen die Fahrzeuge wieder aufgetankt werden.<br />

Freitag, 04.09.<strong>1992</strong><br />

Gegen Mittag sind alle <strong>Non</strong>-<strong>Stop</strong>-Läufer total erschöpft, aber gesund, glücklich<br />

und zufrieden wieder in <strong>Homburg</strong> zurück.<br />

In allen vier Ländern, die die Läufergruppe durchlief, hat sie in Zeiten, während<br />

ein Fahrzeug stand, sehr viele Kontakte mit der Bevölkerung dieser Länder gehabt.<br />

Wenn auch die Verständigung manchmal nur mit Händen und Füßen möglich war, so<br />

haben sie doch ihr Ziel erreicht, den Leuten klar zu machen, daß sie für die<br />

Völkerverständigung und für Frieden in Europa unterwegs waren. Es waren einige<br />

hundert und die Gruppe glaubt, die meisten haben verstanden, welches Ziel die<br />

Läufer mit diesem <strong>Non</strong>-<strong>Stop</strong>-<strong>Lauf</strong> nach Kiew verfolgten. Dieser <strong>Lauf</strong> war ein<br />

pädagogischer und sportlicher Erfolg für die Jugendlichen und die begleitenden<br />

Mitarbeiter des Jugenddorfes <strong>Homburg</strong>/Saar -Berufsbildungswerk.<br />

Die Mannschaft:<br />

Hegenauer Kirsten<br />

Klingels Petra<br />

Fechter Christian<br />

Schäfer Peter<br />

Husemann Olaf<br />

Schneider Andreas<br />

Wemhöner Petra<br />

Rösch Michael<br />

Satzky Rainer<br />

Raskopp Regina<br />

Armbruster Uwe<br />

Tiliu Leona<br />

Lang Jennifer<br />

Frey Günter<br />

Edinger Martin<br />

Volz Helmut<br />

Knapp Bertram<br />

Bahns Martin<br />

Dittke Frank<br />

©Peter Schäfer/92<br />

©<strong>CJD</strong> <strong>Homburg</strong>/MR-02

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