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einem gängigen Klischee folgend – ein völlig anderer<br />
Kontext in Sachen Fischgeruch. Natürlich durfte diese<br />
indirekte Charakterisierung von Ungarns Hauptstadt<br />
wohl als ein wenig überzogen gelten und waren<br />
geschmacklose bis dreiste Anmachsprüche auch in<br />
„Spy Guides“ zu anderen europäischen Metropolen<br />
enthalten, wie meine Recherchen diesbezüglich<br />
ergaben. So ist dieser immerhin auch ausdrücklich<br />
per Selbstdefinition für die „18- bis 35-Jährigen“<br />
und damit vermeintlich Umtriebigeren unter den<br />
Reisenden konzipiert. Derart eindeutig auf Käuflichkeit<br />
hin gepolt wie das Vokabular zu Budapest waren<br />
sie sonst aber nirgendwo, nicht im einmal im „Spy<br />
Guide“ Amsterdam.<br />
Nun, was konnte ich daraus schließen? Der Lonely<br />
Planet hatte nicht gelogen. Budapest war also spitze<br />
auch dahingehend, eine der „heißesten“ Hauptstädte<br />
Europas zu sein. Und mit heiß meine ich nicht<br />
die verhältnismäßig vielen Sonnenstunden pro Jahr,<br />
die der Budapester tatsächlich genießen kann und<br />
die auch mir einen goldenen Altweibersommer und<br />
leichten Sonnenbrand noch im November bescherten;<br />
sondern: dass seit dem Fall des Eisernen Vorhangs<br />
hier vor allem die Sexindustrie boomt. Bereits 2008<br />
erklärte Ágnes Földi, die Leiterin der Organisation<br />
für den Interessenschutz der Ungarischen Prostituierten<br />
(MPéE) in einem Artikel des Europamagazins<br />
Café Babel.com, dass Ungarn gar zum „Eldorado<br />
für Sextourismus“ geworden sei. Prostituierte seien<br />
entsprechend einer Studie des Instituts SEXES hier<br />
europaweit die im wörtlichen Sinne billigsten.<br />
„Es gibt einfach ein überangebot (…). Zu viele Frauen<br />
versuchen ihr Geld auf diese Weise zu verdienen,<br />
dem wird die Nachfrage nicht gerecht“, erklärte sie.<br />
Darüber hinaus sei es auch kostengünstig, hier zu<br />
filmen und zu produzieren, biete Ungarn doch<br />
„die perfekte Infrastruktur für Porno-Drehs“, erklärte<br />
auch der Besitzer der größten Porno-Produktionsfirma<br />
Ungarns, István Kovács. Der „Porn-Export“<br />
mache Budapest gar zum „europaweiten Zentrum<br />
curt im ausland .75<br />
für Erotikfilme“. Kein Wunder, ist doch die Arbeitslosigkeit<br />
hoch und sind die durchschnittlichen Löhne<br />
im Vergleich zu den seit EU-Beitritt rapide gestiegenen<br />
Preisen sehr niedrig.<br />
Traurig, dass einige Besucher der Stadt also nicht<br />
in erster Linie wegen ihrer kulturellen Vielfalt und<br />
Lebendigkeit kommen. Nicht wegen ihrer gleich drei<br />
Weltkulturerbe – neben Donaupanorama noch die<br />
schnuckelige Földalatti-U-Bahn Linie 1, erste Untergrundbahn<br />
des europäischen Festlandes, und die<br />
darüber verlaufende alten Prachtstraße Andrássy út<br />
mit dem monumentalen Heldenplatz an ihrem Ende.<br />
Nicht wegen der dekadenten alten Kavéház, wie das<br />
Gerbeaud am Vörösmarty tér, wo traditionelle Wiener<br />
Kaffeehauskultur zelebriert wird und die Zeit fast<br />
stehengeblieben scheint oder zumindest angenehm<br />
langsam dahinplätschert. Nicht wegen der vielen<br />
alten Thermalbäder, die teils – so zum Beispiel das<br />
Rudas-Bad – noch aus der Türkenzeit stammen und<br />
auf den heißen Quellen Budapests errichtet sind, die<br />
sich der Lage auf einer geotektonischen Bruchstelle<br />
verdanken. Konnte es überhaupt etwas Gemütlicheres<br />
geben, fragte ich mich, als alte Männer, die im 38 Grad<br />
warmen Wasser unter freiem Himmel Schach spielen,<br />
während ältere Damen untereinander um das außergewöhnlichste<br />
Badehauben-Design konkurrieren, wie<br />
tagtäglich im Széchenyi-Bad zu beobachten ist? Doch,<br />
vielleicht gab es das. Vielleicht die etwas gammligen<br />
und herrlich ungezwungenen Ruinenbars in verfallenen<br />
Hinterhöfen und alten Lagerhäusern, an die<br />
nicht selten gleich noch im modrigen Kellergewölbe<br />
ein angesagter Club mit angeschlossen ist. Oder die<br />
improvisierten „Kerts“, Gärten, wo sich die Budapester<br />
in der freundlichen Jahreszeit unter freiem<br />
Himmel in ihrer Freizeit tummeln; überhaupt die tolle,<br />
alternative Café- und Barszene.<br />
All das schon Grund genug für einen Besuch. Und<br />
dafür, wiederkommen zu müssen. Vielleicht sollte der<br />
Lonely Planet auch davor warnen.