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DEr FoTokünsTlEr<br />

Lars Tunbjoerk<br />

Die Fotos für die Titelstrecke<br />

stammen aus dem Werk des<br />

schwedischen Fotografen Lars<br />

Tunbjörk. Für die Serie „Office“<br />

fotografierte der 57-Jährige<br />

Büros weltweit. Er publiziert vor<br />

allem im Magazin der New York<br />

Times, 2004 erhielt er mit dem<br />

World Press Photo Award den<br />

renommiertesten Fotografenpreis<br />

der Welt.<br />

Seite 18<br />

Titel<br />

Das Frauengefängnis auf der Insel<br />

Hahnöfersand im Westen Hamburgs<br />

ist ein ungewöhnlicher Ort, um sich<br />

frei zu fühlen. Doch hier, in dem von<br />

Metallzäunen und den Fluten der Elbe<br />

doppelt umschlossenen Backsteingebäude, hat<br />

Manuela Maurer etwas gefunden, was ihr immer<br />

schmerzlicher gefehlt hat: eine Arbeit, in der ihre Fähigkeiten<br />

voll zum Tragen kommen; für die sie sich<br />

nicht nur interessiert, sondern brennt; mit der sie das<br />

Gefühl hat, etwas für die Menschen und die Gesellschaft<br />

zu tun – eine Arbeit, die ihrem Leben Sinn gibt.<br />

Seit gut zwei Jahren bringt Manuela Maurer inhaftierte<br />

Frauen mit Welpen zusammen, die sie zu Blindenhunden<br />

ausbilden sollen. Das bedeutet, dass ein<br />

Hund seine Ausbilderin neun Monate lang auf Schritt<br />

und Tritt begleitet. Er muss das gewohnt und außerdem<br />

bestens erzogen sein, um später blinden Menschen<br />

den Alltag zu erleichtern. Unter Anleitung<br />

einer Hundetrainerin schulen und pflegen die Frauen<br />

die Hunde – ohne Pause. Viele lernen wieder oder<br />

zum ersten Mal, was es heißt, für ein anderes Lebewesen<br />

verantwortlich zu sein. Aber auch, wie es sich<br />

anfühlt, bedingungslos geliebt zu werden. Nach den<br />

neun Monaten sollen die Hunde Menschen helfen,<br />

deren Freiheit auf andere Art eingeschränkt ist. Viele<br />

Blinde könnten ohne einen speziell geschulten Hund<br />

so gut wie nie aus der eigenen Wohnung.<br />

„Hundebande“ hat Manuela Maurer, eine große,<br />

schlanke Frau, die ihr langes, kastanienbraunes Haar<br />

stets offen trägt, das Projekt genannt. Dass ihre<br />

Suche nach dem Sinn bei Hunden enden würde, wundert<br />

die 44-Jährige noch heute ein wenig. „Ich habe<br />

ja nie einen gehabt.“ Doch die Idee mit den Welpen<br />

und den Frauen in Gefängnissen hatte sich irgendwie<br />

festgesetzt in ihr, seit sie vor Jahren in New<br />

York<br />

gesehen hatte, wie gut das funktionieren kann.<br />

Damit sie als Leiterin des Projekts genau weiß,<br />

worauf es dabei ankommt, bildet sie gerade<br />

selbst einen Hund aus. Die Labrador-Hündin<br />

Cäthe weicht nicht mehr von ihrer Seite. Das<br />

erinnert Maurer ständig daran, warum sie<br />

macht, was sie macht. Warum sie vor zwei<br />

Jahren den sicheren, gut bezahlten Job in der<br />

renommierten Werbeagentur Kolle-Rebbe gekündigt<br />

hat. Und warum sie sich stattdessen<br />

mit allem, was sie hat, in diese Idee geschmissen<br />

hat.<br />

Dabei ging es ihr in der Agentur, in der sie<br />

sechs Jahre lang arbeitete, gar nicht so schlecht.<br />

Ein bisschen zufällig ist die gelernte Sozialpädagogin<br />

da hineingeraten. Am Empfang fing sie an. Bald<br />

wurde ihr Talent entdeckt und gefördert, aus dem<br />

Nebenjob wurde eine Karriere. Statt in ihrem jetzigen<br />

kleinen Büro am Fernsehturm saß sie in den mondänen<br />

Räumen der Agentur in der Speicherstadt. Statt<br />

sich um Hundefutter und die Probleme von aus der<br />

Bahn geratenen Frauen zu kümmern, hantierte sie<br />

mit Millionenetats. Mit ihren Vorgesetzten und ihren<br />

Kollegen verstand sie sich gut. Doch etwas fehlte<br />

immer. „Ich hatte das Gefühl, dass ich so etwas wie<br />

einen Topf mit Sinn in mir trage. Davon schwappte<br />

immer mehr heraus, und irgendwann war der Bodensatz<br />

sichtbar“, sagt Maurer. Gekämpft hätten die Agenturchefs<br />

um sie, als ihre Zweifel immer deutlicher<br />

hervortraten. Aber irgendwann ging es nicht mehr:<br />

„Werbung macht die Welt nicht unbedingt schlechter.<br />

Aber auch nicht besser. Das kann es doch nicht<br />

sein“, sagte sie sich. Und ging.<br />

Aussteigerinnen wie Manuela Maurer galten lange<br />

wahlweise als „idealistische Spinner“ oder als „zu<br />

weich“ für die deutsche Arbeitswelt, auch wenn einige<br />

Kollegen sie vielleicht insgeheim bewundert<br />

haben. Die Unternehmen machten sich keine großen<br />

Sorgen. Die Mehrheit der Mitarbeiter hatte man ja<br />

unter Kontrolle. Meist mit mehr oder weniger zivi-<br />

lisierteren Formen der seit jeher bewährten „Zuckerbrot<br />

und Peitsche“-Methode. Politisch hieß das dann<br />

„Leistung muss sich lohnen“. Wer viel und produktiv<br />

arbeitete, bekam mehr Geld, größere Büros, tiefere<br />

Teppiche. Wer nicht mitzog, wurde von autoritären<br />

Führungskräften auf Linie gebracht.<br />

Mehr dazu im<br />

neuen Heft 1 / 2013<br />

========================<br />

Seite 24<br />

Titel<br />

Fehlzeit aufgrund von Krankheit oder<br />

Unwohlsein (2011)* nach dem Grad der<br />

emotionalen Bindung<br />

Fragestellung:<br />

„Ungefähr wie viele Tage haben<br />

5,0<br />

Sie im vergangenen Jahr bei Ihrer<br />

Arbeit gefehlt, weil Sie sich krank<br />

oder nicht gut fühlten?“<br />

5,4<br />

hohe Bindung<br />

8,5<br />

geringe Bindung<br />

keine Bindung<br />

Arbeitstage: 2 4 6 8<br />

Quelle: Gallup Institut<br />

Seite 25<br />

Titel<br />

Deutschland. Sein Job ist es herauszufinden, wie die tremfall handele es sich um eine besonders<br />

Generation tickt, wie man Nachwuchskräfte findet, perfide Form der Ausbeutung. Die Mitar-<br />

umwirbt und ans Unternehmen bindet. Das fällt ihm beiter sollten gar nicht merken, wie sie aus-<br />

vielleicht leichter als anderen, schließlich muss er gepresst würden. „Wenn ich mich aber gut<br />

bloß seine Kinder, 23 und 25 Jahre alt, fragen. „Und behandelt fühle, wenn der Arbeitsprozess<br />

die haben mir gesagt, so einen Job wie den meinen, so gestaltet ist, das ich mein Bestes geben<br />

wo man immer so spät nach Hause kommt, würden kann, wenn ich nicht so viel arbeiten muss,<br />

sie nicht haben wollen“, sagt Kugoth. Deswegen weiß dass es mich krank macht, dann ist es mir<br />

er, was zu tun ist. „Wir müssen Bedingungen schaf- auch egal, wenn ich auf einem hässlichen,<br />

fen, die es ermöglichen, dass auch die jungen Leute harten Stuhl sitze“, sagt Voß. Außerdem<br />

g. günTEr voss<br />

ihre Arbeit gern machen und dass sie das Gefühl ha- würde er den Verdacht nicht los, dass es<br />

ben, eine gute Work-Life-Balance hinzubekommen.“ sich bei den im Film beschriebenen Maß- Der Wissenschaftler ist Professor<br />

für Industrie- und Techniksoziologie<br />

Hört sich einfach an, aber wie schafft man das? Vienahmen häufig um Kosmetik handele, um an der Technischen Universität<br />

le Unternehmen versuchen es da, wo es am schnells- wahre Missstände zu kaschieren.<br />

Chemnitz. Er beschäftigt sich vor<br />

ten geht – und gestalten ihre Büros neu. Arbeitsplät- Einen ähnlichen Verdacht hegt Berater allem mit dem Wandel der<br />

kapitalistischen Arbeitsgesellschaft<br />

ze werden zu Erlebniswelten, Einzelzimmer werden Jörg Pannenbäcker, wenn es um Leitbilder<br />

durch Großbüros ersetzt und Wände durch Glasschei- und Wertekodexe geht. Umso aufwendiger<br />

ben. Hinzu kommt eine endlose Kette an Maßnah- diese mit teuren Hochglanzbroschüren dargestellt<br />

men vom gemeinsamem Frühstück über Firmenyoga würden, umso weniger stecke dahinter. „Da gibt es<br />

bis hin zum Ausflug in den Wald zwecks Outdoortrai- oft einen Riesenclash zwischen dem, was das Unterning.<br />

Dadurch sollen die Mitarbeiter sich deutlich nehmen nach außen zeigen will, und was die Perso-<br />

wohler fühlen. Oder soll vielleicht doch nur die Pronen innen erleben.“ Die Unternehmen machten, so<br />

duktivität gesteigert werden?<br />

Pannenbäcker, einen Grundfehler: Die Organisation<br />

an sich könne gar keinen Sinn stiften, der könne nur<br />

BEsondErs PErFidE Form dEr ausBEuTung aus den dort arbeitenden Menschen selbst herauskommen.<br />

Wenn das nicht passiere, sei jeder Werte-<br />

Carmen Losmann hat sich für ihren Doku-Film „Work kodex nicht mehr als eine Hülle. Der Vorstand oder<br />

Hard – Play Hard“ in „modernen“ deutschen Büros der Unternehmer habe die Aufgabe, Rahmenbedin-<br />

umgeschaut – es ist eine Reise in die Endlosschleife gungen zu schaffen, die es ermöglichen, dass der Mit-<br />

des Optimierungs- und Nachhaltigkeitsgequatsches, arbeiter Sinn findet.<br />

die erschaudern lässt. Der Mensch, so der Tenor des Joachim Kugoth und Telefónica scheinen da ein-<br />

Films, ist am Ende nur noch ein Diagramm in einer iges richtig zu machen. In der Rangliste von Great<br />

Software namens „Human Capital Management“. Das Place to Work – einer unabhängigen Einrichtung, die<br />

sieht im Film dann so aus: Männer, die sich aus Bäu- jährlich die Mitarbeiterzufriedenheit in deutschen<br />

men abseilen und mit verbundenen Augen durch ei- Unternehmen untersucht – landet der Konzern regelnen<br />

unterirdischen Gang krabbeln. Die erst in eine mäßig auf den vorderen Plätzen. Vielleicht vor allem<br />

Tröte pusten müssen, bevor sie Sätze sagen dürfen deshalb, weil Kugoth medienwirksam in zwei Sätzen<br />

wie „Ich werde demnächst noch mehr und besser und sagen kann, worum es Telefónica geht. „Als Telekom-<br />

verstärkt kommunizieren, um Prozesse und Aufgamunikationsunternehmen erreichen wir zahlreiche<br />

ben schneller und zielführender erledigen zu können, Menschen. Zum gesellschaftlichen Fortschritt kön-<br />

was am Ende heißt: mehr Umsatz.“<br />

nen wir deshalb auch viel beitragen.“<br />

Aus Büros werden „nonterritoriale“ Arbeitsplätze, Diese Klarheit setzt sich beim sozialen Engagement<br />

an denen weder private Fotos noch die eigene Kaf- fort. Einige Unternehmen schicken die Belegschaft<br />

feetasse gestattet sind. Zur neuen Office-Philosophie im Rahmen von sogenannten Corporate-Voluntee-<br />

gehört neben der totalen Transparenz auch der Zwang ring-Programmen einmal im Jahr in Kindergärten,<br />

zum informellen Gespräch. Denn „zufällige, unge- um dort die Wände zu streichen. Auch wenn die Firplante<br />

Kommunikation“, so ein Designer, „sei für 80 ma weder Farbe produziert, noch die Mitarbeiter als<br />

Prozent der Kreativität eines Unternehmens verant- gute Maler bekannt sind. Telefónica hat die Initiatiwortlich.“<br />

Also plant man eben das Unplanbare. Man ve Think Big gestartet. Dadurch haben die Mitarbei-<br />

muss nur in die Gesichter der Mitarbeiter schauen, ter die freiwillige Möglichkeit, mit ihrem technischen<br />

die auf ihren orangefarbenen Stühlen herumsitzen, Know-how Jugendliche bei Projekten zu unterstüt-<br />

um diese Erlebniswelten in Zweifel zu ziehen. zen und mithilfe von digitalen Medien bekannter zu<br />

Für den Chemnitzer Soziologen G. Günter Voß sind machen. Das trägt wiederum dazu bei, dass die Mit-<br />

solche Konzepte „zum großen Teil Firlefanz“. Im Exarbeiter sich ihrer Aufgabe immer stärker bewusst<br />

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