Alexander Dominicus – Vorsitzender der Deutschen Turnerschaft ...
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Die Turnbewegung hat ihm viel zu verdanken:<br />
<strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong> <strong>–</strong> <strong>Vorsitzen<strong>der</strong></strong> <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> <strong>Turnerschaft</strong> bis 1933<br />
Von Gernot Horn<br />
DTB-Präsident Rainer Brechtken hat<br />
kürzlich in einem Grundsatzbeitrag völlig<br />
rechtens betont, dass sich die<br />
Turnbewegung ihrer wechselvollen und<br />
nicht immer nur hell erstrahlenden<br />
Geschichte stellen muss. Ein dunkles<br />
Kapitel deutscher Turngeschichte ist<br />
fraglos das ereignisreiche Jahr 1933. Die<br />
beschämende Rolle <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong><br />
<strong>Turnerschaft</strong> (DT), personifiziert durch<br />
ihren charismatischen Jugendwart und 2.<br />
Vorsitzenden, Edmund Neuendorff, bei<br />
<strong>der</strong> Gleichschaltung <strong>der</strong> Turn- und<br />
Sportorganisationen gleich zu Beginn <strong>der</strong><br />
NS-Zeit, kann aus heutiger Sicht nur mit<br />
Bedauern und Unverständnis betrachtet<br />
werden. Sichtbares Zeichen des nicht nur<br />
personellen Umbruchs <strong>der</strong> DT war <strong>der</strong> am<br />
6. April 1933 verkündete Rücktritt des<br />
verdienstvollen DT-Vorsitzenden<br />
<strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong>.<br />
Wer war dieser nahezu vergessene<br />
<strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong>? Er leitete die DT<br />
<strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong> (1873 <strong>–</strong> 1945)<br />
erfolgreich in einer gesellschaftspolitisch<br />
und wirtschaftlich schwierigen Zeit, was<br />
Edmund Neuendorff, <strong>der</strong> an seinem Rücktritt sicherlich nicht unbeteiligt war und für kurze<br />
Zeit sein kommissarischer Nachfolger wurde, vorbehaltlos anerkannte und folgerichtig<br />
<strong>Dominicus</strong> Amtsverzicht „für das innere Leben <strong>der</strong> <strong>Turnerschaft</strong> als einen ganz großen<br />
Verlust“ bezeichnete. Es lohnt sich zweifelsohne, das Lebensbild dieses außergewöhnlichen<br />
Mannes nachzuzeichnen, zumal er sich von seinem Herkommen und seinem beruflichen<br />
Wirken dem deutschen Südwesten beson<strong>der</strong>s verbunden fühlte. Hinzu kommt, dass ihm <strong>der</strong> in<br />
Turnerkreisen einst bekannte und weithin geachtete Karlsruher Pädagoge, Karl Broßmer, von<br />
1921 <strong>–</strong> 1933 <strong>Vorsitzen<strong>der</strong></strong> des traditionsreichen MTV Karlsruhe, nachmaliges Ehrenmitglied<br />
des ehemaligen Badischen Turner-Bundes-Nord, mit seiner 1952 erschienenen Schrift<br />
„<strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong> <strong>–</strong> Oberbürgermeister, Vorkämpfer <strong>der</strong> Leibesübungen, Staatsminister“<br />
ein literarisches Denkmal setzte. Diese Schrift widmete <strong>der</strong> Autor dem „<strong>Deutschen</strong> Turner-<br />
Bund“! Karl Broßmer war ein Weggefährte von <strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong> und hat beim<br />
<strong>Deutschen</strong> Turntag 1926 in Bremen ein begeistert aufgenommenes Referat „Führertum in <strong>der</strong><br />
<strong>Turnerschaft</strong>“ gehalten. Er hat übrigens mit <strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong>, was das Vergessen<br />
anbelangt, etwas gemeinsam: Seine Ehrenmitgliedschaft ist in den Annalen nahezu nirgends<br />
vermerkt, sein Tod am 3. April 1966 wurde im turnerischen Schrifttum kaum registriert.<br />
<strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong> wurde am 19. April 1873 als Spross einer bürgerlichen Familie mit<br />
insgesamt vier Kin<strong>der</strong>n in Straßburg/Elsass geboren. Der Vater, im höheren
Verwaltungsdienst tätig, wurde zeitweilig ins lothringische Metz versetzt, sodass <strong>der</strong> junge<br />
<strong>Alexan<strong>der</strong></strong> in beiden Städten einen Teil seiner Kindheit verbrachte. 1884 kehrte die Familie<br />
endgültig nach Straßburg zurück. Die Familie hatte im benachbarten Schwarzwald ein kleines<br />
Haus erworben und verbrachte dort häufig die Ferien. Von Jugend an empfand deshalb<br />
<strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong> eine ausgeprägte Sympathie für das südliche Baden. Nach dem Abitur<br />
studierte er in Berlin, München und Straßburg Jura. Die Semester-Ferien nutzte er immer<br />
wie<strong>der</strong> für ausgedehnte Schwarzwald-Wan<strong>der</strong>ungen. In Berlin und München war <strong>Alexan<strong>der</strong></strong><br />
<strong>Dominicus</strong> Mitglied in akademischen Turnvereinen, in Straßburg gründete er selbst den<br />
Studenten-Turnverein „Burgund“. Nach dem erfolgreichen Assessor-Examen sorgte er durch<br />
die zusätzliche Ablegung <strong>der</strong> staatlichen Turnlehrerprüfung für ein Novum in den damaligen<br />
Akademiker-Kreisen. Mit seinem Verein „Burgund“ suchte <strong>der</strong> junge Jurist die Nähe zum<br />
allgemeinen Turngeschehen, beteiligte sich an zahlreichen Turnfesten in <strong>der</strong> Region und<br />
erlebte so frühzeitig und unmittelbar den spezifischen turnerischen Gemeinschaftssinn.<br />
Vom Beigeordneten in Straßburg zum Oberbürgermeister von Schöneberg<br />
Nach einer kurzen Tätigkeit im Staatsdienst wechselte <strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong> 1900 zur<br />
Verwaltung seiner Heimatstadt Straßburg. 1902 wurde er zum Beigeordneten (Bürgermeister)<br />
berufen, ein Amt, das er bis zu seiner Wahl 1911 zum Oberbürgermeister <strong>der</strong> Stadt<br />
Schöneberg erfolgreich ausübte. Er setzte in dieser Zeit eine Vielzahl von Akzenten in<br />
sozialer Hinsicht (Arbeits- und Jugendfürsorge) sowie im Schulwesen. Das von ihm<br />
entwickelte sogenannte „Straßburger Modell“ wurde später zum Vorbild <strong>der</strong> deutschen<br />
Reichsgesetze über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Mit <strong>der</strong> Einführung des<br />
Pflichtturnunterrichtes an allen Fortbildungsschulen war er in Straßburg ebenfalls seiner Zeit<br />
weit voraus. Bezeichnend für seine Einstellung ist das Kuriosum, dass er, als Beigeordneter<br />
einer <strong>der</strong> höchsten Repräsentanten <strong>der</strong> Stadtverwaltung, den Turnunterricht für die<br />
Schnei<strong>der</strong>lehrlinge, die wegen ihrer ungesund sitzenden Tätigkeit vielfach schon in jungen<br />
Jahren in ihrer Bewegungsfähigkeit eingeschränkt waren, zunächst selbst erteilte. 1903<br />
heiratete <strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong> Helene Fehling, Tochter eines bekannten Hochschullehrers<br />
für Medizin. Seine junge Frau war übrigens die beste Freundin von Elly Knapp, <strong>der</strong> späteren<br />
Gattin des ersten Bundespräsidenten und DTB-Ehrenmitgliedes Theodor Heuss.<br />
Politisch war <strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong> ein Liberaler und zählte zum Freundeskreis des großen<br />
Friedrich Naumann. Durch diese gleichsam politische und persönliche Konstellation angeregt,<br />
bewarb er sich um die durch den Tod des Amtsinhabers frei gewordene Stelle des<br />
Oberbürgermeister von Schöneberg, <strong>der</strong> damaligen Nachbarstadt von Berlin. Mehrheitlich<br />
wurde er am 13. Februar 1911 gewählt, sein Amt trat er bereits am 29. März 1911 an. Auch<br />
während seiner Amtszeit als Schöneberger Oberbürgermeister konnte er, trotz aller<br />
Schwierigkeiten und Beeinträchtigungen durch den 1. Weltkrieg, in sozialer Hinsicht, aber<br />
auch auf dem Gebiet <strong>der</strong> Leibesübungen, eine Vielzahl von Reformen und Verbesserungen<br />
erreichen. Seiner Initiative war es beispielsweise zu verdanken, dass in Schöneberg zahlreiche<br />
Spielplätze entstanden, in Schulhöfen Laufspiele veranstaltet werden konnten, Ru<strong>der</strong>-, Turn-<br />
und Sportvereine für Schüler sich gründeten, Landheime gebaut und <strong>der</strong> Turnunterricht<br />
verbindlich in den Berufsschulen eingeführt wurden.<br />
Obwohl er wusste, dass er dadurch sein Amt als Oberbürgermeister von Schöneberg verlieren<br />
würde, kämpfte <strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong> unermüdlich für ein Groß-Berlin. 1919 war er<br />
zusammen mit Theodor Heuss <strong>der</strong> von Friedrich Naumann geführten liberalen <strong>Deutschen</strong><br />
Demokratischen Partei beigetreten. Für diese Partei wurde er in die verfassungsgebende<br />
Preußische Landesversammlung gewählt. Diese parlamentarische Institution ermöglichte es<br />
ihm, seine Bemühungen für die Schaffung eines Groß-Berlin zu intensivieren. Am 27. April<br />
1920 war es dann soweit: Die Landesversammlung beschloss mit Mehrheit das Gesetz über<br />
die Bildung <strong>der</strong> neuen Stadtgemeinde Berlin. 86 Landgemeinden und Gutsbezirke wurden mit
Alt-Berlin zu Groß-Berlin vereint. Die Zahl <strong>der</strong> Einwohner stieg von 1,9 Millionen auf 3,8<br />
Millionen. Schöneberg bildete fortan mit Friedenau einen Berliner Bezirk. In gewohnt<br />
souveräner Art sorgte <strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong> für einen reibungslosen Übergang <strong>der</strong><br />
Schöneberger Verwaltung auf die nunmehr wesentlich größere kommunale Einheit.<br />
Im Frühjahr 1921 wurde <strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong> für die Deutsche Demokratische Partei als<br />
Abgeordneter in den ersten Preußischen Landtag gewählt. Auch in dieser Eigenschaft<br />
widmete er sich vordringlich sozialen Angelegenheiten und <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />
Leibesübungen. Im Kabinett des Zentrumsmannes Stegerwald wurde er am 23. April 1921<br />
Preußischer Innenminister. Die unsicheren Mehrheitsverhältnisse im Landtag bewirkten, dass<br />
er bereits ein halbes Jahr später als Innenminister von dem Sozialdemokraten Carl Severing<br />
abgelöst wurde. 1924 verzichtete <strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong>, enttäuscht vom politischen<br />
Geschehen, auf eine weitere Mitwirkung als Landtagsabgeordneter. Auch seiner Partei<br />
erklärte er, zum Unverständnis seiner engsten Freunde, den Austritt.<br />
Durch familiäre Verbindungen hatte <strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong> seit vielen Jahren enge<br />
Beziehungen zu einer Wohlfahrtseinrichtung auf dem Heuberg auf <strong>der</strong> Alb in <strong>der</strong> Nähe von<br />
Stetten am kalten Markt. Nach Beendigung seines politischen Wirkens leitete er fortan mit<br />
hohem sozialem Engagement diese Einrichtung, die insgesamt 70 Häuser umfasste und<br />
mehrere hun<strong>der</strong>t Angestellte beschäftigte. Dort verweilte <strong>der</strong> Großstadtmüde zusammen mit<br />
seiner Frau nunmehr häufig. Hier, weitab vom geschäftigen und politisch geprägten Berlin,<br />
hatte er ein erfüllendes Betätigungsfeld gefunden.<br />
In <strong>der</strong> Führungsriege <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> <strong>Turnerschaft</strong><br />
Die Turnerei war für <strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong> von frühester Jugend wesentlicher Bestandteil<br />
seiner Lebensgestaltung. Daraus resultierte auch seine Bereitschaft, in <strong>der</strong> DT Ämter und<br />
damit Verantwortung zu übernehmen. Vom Wahlausschuss <strong>der</strong> DT wurde er beim<br />
richtungweisenden ersten Nachkriegsturntag am 15./16.10.1919 in Erfurt als DT-<strong>Vorsitzen<strong>der</strong></strong><br />
vorgeschlagen. Auf Grund seiner parteipolitischen Bindung gab es gegen diesen Vorschlag<br />
beträchtliche Wi<strong>der</strong>stände. Der stimmstarke sächsische Kreis schlug als Gegenkandidat den<br />
im sächsischen Torgau geborenen Vorsitzenden des Turnkreises III c (Provinz Sachsen und<br />
Anhalt), Oberstudiendirektor Dr. Oskar Berger aus Aschersleben, vor. Denkbar knapp<br />
gewann Berger diese Wahl. Neuendorff hat in seinem später erschienenen Buch „Die<br />
Deutsche <strong>Turnerschaft</strong>“ angemerkt, die Wahl von <strong>Dominicus</strong> wäre für die „nationalpolitische<br />
Haltung <strong>der</strong> <strong>Turnerschaft</strong> verhängnisvoll gewesen“, da sich diese auf das Volk, nicht auf eine<br />
Partei ausrichtete. Überhaupt passte dieser Turntag in <strong>der</strong> Rückschau Neuendorff nicht. Denn<br />
an Stelle des „Führertums“ gab sich die DT eine demokratisch orientierte Satzung mit klar<br />
geglie<strong>der</strong>ten Zuständigkeiten <strong>der</strong> einzelnen Organe. Verantwortlich für diese „unmögliche“<br />
Satzung machte Neuendorff den „radikaldemokratischen Turner“ Wolfhard. Bei dem so<br />
Gescholtenen handelte es sich um das angesehene Mitglied <strong>der</strong> DT-Satzungskommission, Dr.<br />
Johann Wolfhard, Amtsgerichtsdirektor aus Mannheim, badischer Landtagsabgeordneter,<br />
Mitglied des badischen Kreisturnrates (Vorstandes) und bis 1933 Rechtsberater des Kreises X<br />
(Baden).<br />
<strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong> wurde nach seiner knappen Wahlnie<strong>der</strong>lage für den DT-Vorsitz als<br />
Beisitzer in den neu gebildeten Hauptausschuss gewählt. In <strong>der</strong> Folgezeit war er im Rahmen<br />
seiner politischen Einflussmöglichkeiten fortwährend bemüht, eine verstärkte För<strong>der</strong>ung von<br />
Turnen und Sport durch Kommunen und Staat zu erreichen. In zahlreichen Denkschriften,<br />
Eingaben, Beiträgen für Fach- und Tageszeitungen arbeitete er auf diese Ziele hin. Auch auf<br />
die Verbandspolitik <strong>der</strong> DT nahm er Einfluss. Durch seine Befürwortung <strong>der</strong> Teilnahme an<br />
den Olympischen Spielen polarisierte er innerhalb <strong>der</strong> DT und musste manche<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzung mit Edmund Neuendorff austragen, <strong>der</strong> <strong>der</strong> Wortführer <strong>der</strong> national
eingestellten Turner war; für diese Gruppierung bedeutete eine Mitwirkung bei <strong>der</strong><br />
Olympiade nach dem „Versailler Schandvertrag“ schlechthin einen Frevel. Auch bei den<br />
scharfen Auseinan<strong>der</strong>setzungen <strong>der</strong> DT mit den Sportverbänden in jenen Jahren war er<br />
bestrebt, zu vermitteln und Gemeinsamkeiten aufzuzeigen, zumal er Vorstandsmitglied des<br />
sich als Dachorganisation verstehenden <strong>Deutschen</strong> Reichsausschusses für Leibesübungen war.<br />
Allgemein als Novum wurde in <strong>der</strong> Öffentlichkeit seine Wahl 1927 zum Vorsitzenden des<br />
<strong>Deutschen</strong> Luftfahrtverbandes empfunden. Erstmals wählte dieser 1906 entstandene Verband,<br />
<strong>der</strong> seine Ziele gleichermaßen im Sport und <strong>der</strong> wissenschaftlichen Forschung sah und dessen<br />
Mitgliedszahlen nach dem ersten Weltkrieg rapide geschmolzen waren, einen<br />
Außenstehenden zum Vorsitzenden. <strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong> hatte seine Begeisterung für die<br />
Luftfahrt Anfang <strong>der</strong> zwanziger Jahre bei den Segelfliegern auf <strong>der</strong> Rhön entdeckt. Er leitete<br />
diesen Verband bis zum Frühjahr 1933 mit anerkannter Umsicht und großem Geschick, ehe er<br />
dem Druck <strong>der</strong> neuen Machthaber, an <strong>der</strong>en Spitze <strong>der</strong> die Luftfahrt als seine ureigene<br />
Domäne betrachtende Hermann Göring agierte, weichen musste.<br />
Beim 19. <strong>Deutschen</strong> Turntag am 27./28. August 1926 in Bremen wurde <strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong><br />
in einer Kampfabstimmung gegen den sächsischen Kreisvertreter Dr. Johannes Thiemer<br />
(Dresden) mit 310 zu 61 Stimmen zum dritten Vorsitzenden <strong>der</strong> DT gewählt. Zweiter<br />
<strong>Vorsitzen<strong>der</strong></strong> wurde bei diesem Turntag <strong>der</strong> DT-Jugendwart Dr. Edmund Neuendorff, sein in<br />
mancherlei Hinsicht ideologischer Gegner. Als Nachfolger von Arno Kunath wurde Max<br />
Schwarze zum DT-Oberturnwart gewählt, dessen früher Tod am 2. Januar 1928 eine fachlich<br />
hoffnungsvoll erscheinende Ära jäh beendete. <strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong> verstand sich im neuen<br />
Amt vor allen Dingen als „Außenminister“ <strong>der</strong> DT. Als erfahrener Verwaltungsjurist und<br />
Kommunalpolitiker veröffentlichte er 1927 im Auftrag <strong>der</strong> DT eine Art Grundsatzprogramm<br />
mit dem Titel „Was können und sollen die deutschen Verwaltungsbehörden zur planmäßigen<br />
För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Leibesübungen tun?“. Die Zusammenarbeit im Vorstand <strong>der</strong> DT schien indes<br />
nicht ungetrübt gewesen zu sein. DT-<strong>Vorsitzen<strong>der</strong></strong> Dr. Oskar Berger merkte in einem mit dem<br />
Titel „Aufgaben des 20. <strong>Deutschen</strong> Turntages 1929“ überschrieben Beitrag im „Jahrbuch <strong>der</strong><br />
Turnkunst 1929“ an, „die Vorstandswahlen von 1926 erschienen mir von vornherein<br />
bedenklich, ich hielt es jedoch damals für meine Pflicht, im Amt zu bleiben.“ Er beklagt<br />
weiter, dass sich die vom seinerzeitigen Wahlausschuss vorgegebenen Voraussetzungen,<br />
wonach Neuendorff seinen Posten als Jugendwart aufgeben, <strong>Dominicus</strong> sein Amt auf dem<br />
Heuberg nie<strong>der</strong>legen würde, als falsch herausstellten. Beide hätten deshalb nicht die<br />
erfor<strong>der</strong>liche Zeit für eine ersprießliche Vorstandsarbeit aufbringen können. Hinzu kamen, so<br />
<strong>der</strong> DT-Vorsitzende, die oftmaligen Meinungsverschiedenheiten im Vorstand, für <strong>der</strong>en<br />
Bereinigung häufigere Aussprachen und Abstimmungen notwendig gewesen wären. In dem<br />
Beitrag kündigte Dr. Oskar Berger weiter an, dass er nach zehnjähriger Amtszeit und im Alter<br />
von 67 Jahren bei den gegebenen Verhältnissen für den DT-Vorsitz nicht mehr zur Verfügung<br />
stehe.<br />
Wahl zum Vorsitzenden <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> <strong>Turnerschaft</strong><br />
Der 20. Deutsche Turntag am 4./5. Oktober 1929 in Berlin hatte einen beson<strong>der</strong>en äußeren<br />
Rahmen, denn er fand im <strong>Deutschen</strong> Reichstag statt. Als Nachfolger des nicht wie<strong>der</strong><br />
kandierenden Dr. Oskar Berger wählten die Abgeordneten <strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong> zum<br />
Vorsitzenden <strong>der</strong> DT. Zweiter bzw. dritter <strong>Vorsitzen<strong>der</strong></strong> wurden Dr. Edmund Neuendorff<br />
(Berlin) und Dr. Johannes Thiemer (Dresden). Wie<strong>der</strong>gewählt als Kassenwart wurde Carl<br />
Schill (Osthofen) und als Oberturnwart erhielt <strong>der</strong> Bremer Carl Steding das Vertrauen des<br />
Turntages, <strong>der</strong> nach dem Tod von Max Schwarze dieses Amt bereits kommissarisch ausgeübt<br />
hatte. Bemerkenswert bei diesem Turntag war, dass mit Els Schrö<strong>der</strong> aus Kaiserslautern<br />
erstmals eine Frau für das Frauenturnen gewählt wurde. In seinem Rückblick auf diesen<br />
Turntag hat <strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong> ausdrücklich diese Wahl begrüßt und hierzu festgestellt:
„Wer sich vergegenwärtigt, wie stark die prozentuale Zunahme des weiblichen Geschlechts in<br />
<strong>der</strong> DT in den letzten Jahren geworden ist, <strong>der</strong> kann sich <strong>der</strong> Erkenntnis nicht verschließen,<br />
dass diese Wahl einer Frau ein notwendiger und glücklicher Schritt in <strong>der</strong> Anpassung an die<br />
Zeitverhältnisse gewesen ist.“ Schon 1927 hatte <strong>der</strong> DT-Vorstand eine Entschließung gefasst,<br />
in <strong>der</strong> es hieß, „…dass das Bestreben <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> <strong>Turnerschaft</strong> dahin gehen muss, so bald<br />
und so weit als möglich die Leitung des Frauenturnens in die Hände von Frauen zu legen“.<br />
Als Persönlichkeit unterschied sich <strong>der</strong> neue DT-Vorsitzende beträchtlich von seinem<br />
Vorgänger. Dr. Oskar Berger war mit seiner hemdsärmeligen Art und seinen zuweilen <strong>der</strong>ben<br />
Manieren beim Turnervolk beliebt, zumal ihm taktische und diplomatische Winkelzüge<br />
wesensfremd waren. <strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong> war hingegen ein Mann, <strong>der</strong> eine gewisse Kühle<br />
und Distanz ausstrahlte. Während sein Vorgänger oftmals sein Herz auf <strong>der</strong> Zunge trug, war<br />
es <strong>Dominicus</strong> gewohnt, jedes Wort abzuwägen und notfalls auch durch Schweigen Positionen<br />
zu behaupten. Nach <strong>der</strong> Einschätzung von Neuendoff hätten „die Turner Berger geliebt,<br />
<strong>Dominicus</strong> hingegen geachtet, aber er blieb ihnen immer fremd, sie fühlten ihn über sich“.<br />
In dieser wirtschaftlich äußerst schwierigen und politisch unruhigen Zeit stellte sich bald<br />
heraus, dass die Wahl von <strong>Dominicus</strong> ein Glücksgriff war. Politisch galt er als<br />
Nationalliberaler mit „vaterländischer Gesinnung“, parteipolitisch war er nicht mehr<br />
gebunden, sodass er vielerlei Strömungen <strong>der</strong> DT aufnehmen konnte. Er war ein glänzen<strong>der</strong><br />
Verwaltungsmann, ein in je<strong>der</strong> Hinsicht besonnener sowie strategisch denken<strong>der</strong> Mann, ein<br />
vorzüglicher Verhandlungspartner und ein unübertroffener verbandspolitischer Vordenker. Er<br />
war genau die Persönlichkeit, die die DT in jenen Jahren brauchte, um diesen riesigen und<br />
vielschichtigen Verband auf Kurs zu halten. <strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong> gelang es, den lang<br />
anhaltenden Streit mit den Sportverbänden durch Abkommen mit dem <strong>Deutschen</strong> Schwimm-<br />
Verband, <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> Sportbehörde für Leichtathletik und dem <strong>Deutschen</strong> Fußball-Bund zu<br />
beenden. Bahnbrechend war seine Initiative, innerhalb <strong>der</strong> DT-Vereine einen freiwilligen<br />
Arbeitsdienst für Erwerbslose, insbeson<strong>der</strong>e für jugendliche Turner einzuführen. Durch seinen<br />
wirtschaftlichen Sachverstand war es möglich, die finanziellen Rahmenbedingungen für die<br />
Deutsche Turnschule in Berlin entscheidend zu verbessern und dadurch die<br />
Lehrgangsteilnahme kostenfrei zu gestalten. Immer wie<strong>der</strong> angestrengte Bestrebungen,<br />
insbeson<strong>der</strong>e von <strong>der</strong> Turnerjugend unter <strong>der</strong> Führung von Neuendorff, den § 2 <strong>der</strong> DT-<br />
Satzung, <strong>der</strong> die parteipolitische Neutralität festschrieb, zu än<strong>der</strong>n, lehnte er strikt ab. Seine<br />
demokratische Grundüberzeugung machte es ihm leicht, solchen Bemühungen zu<br />
wi<strong>der</strong>stehen. <strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong> nahm in vielerlei Publikationen sowie in zahlreichen<br />
Vorträgen zu turnerischen Grundsatz- und Tagesfragen Stellung und vermittelte so nach innen<br />
und außen die Ziele und Aufgaben <strong>der</strong> DT.<br />
Schicksalsjahr 1933<br />
Als durch die Ernennung von Adolf Hitler zum Reichskanzler Anfang 1933 die Nazis an die<br />
Macht kamen, begann <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>gang <strong>der</strong> DT. Die Nationalsozialisten innerhalb <strong>der</strong> DT<br />
machten bald deutlich, dass die Tage von <strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong> als <strong>Vorsitzen<strong>der</strong></strong> <strong>der</strong> DT<br />
gezählt waren. Es ist in <strong>der</strong> Literatur strittig, ob er freiwillig o<strong>der</strong> von seinen<br />
Vorstandskollegen „gedrängt“ seinen Rücktritt erklärte. Neuendoff berichtete, allerdings nach<br />
1945, maßgebliche Nazi-Führer hätten verlangt, die DT müsse sich von ihm trennen, um ihre<br />
Selbständigkeit zu bewahren. Wie dem auch sei, am 6. April 1933 verkündete die DT den<br />
Rücktritt ihres verdienstvollen Vorsitzenden <strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong>. Bei <strong>der</strong> Hauptausschuss-<br />
Sitzung <strong>der</strong> DT zwei Tage später in Stuttgart wurde Edmund Neuendorff zum neuen<br />
Vorsitzenden berufen. Die DT bekannte sich nunmehr zum „Führergrundsatz“ und beschloss,<br />
„alle Nichtarier aus ihren Reihen auszuschließen und keine neuen aufzunehmen“. In seinem<br />
im „Jahrbuch <strong>der</strong> Turnkunst 1934“ veröffentlichten Beitrag „Rückblick auf Jahr 1933“,<br />
würdigte Neuendorff das Wirken und die außergewöhnlichen Verdienste von <strong>Alexan<strong>der</strong></strong>
<strong>Dominicus</strong>. Seine weitere Charakterisierung durch Neuendorff wurde diesem Mann jedenfalls<br />
mit Sicherheit nicht gerecht: „...Das Schicksal führte ihn in leitende Stellen nach Berlin und<br />
verstrickte ihn da enger, als es seinem Wesen entsprach und auch wohl als es ihm lieb war, in<br />
die Netze <strong>der</strong> Berliner Asphaltdemokratie. Ihre Sünden an <strong>der</strong> Nation blieben an seinem<br />
Namen haften. Zu spät erkannte er es und löste sich von <strong>der</strong> Demokratischen Partei. Beim<br />
Anbruch <strong>der</strong> neuen Zeit sah er bald ein, dass er mit seiner politischen Vergangenheit eine<br />
Belastung für die <strong>Turnerschaft</strong> bedeutete, die ihr gefährlich werden konnte. So trat er aus<br />
freiem Willen zurück.“<br />
Beim 15. <strong>Deutschen</strong> Turnfest im Juli 1933 in Stuttgart, an dessen Vorbereitung und<br />
Gestaltung er maßgeblich beteiligt war, wurde <strong>der</strong>weil <strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong> zum stillen<br />
Beobachter. Wenn auch offiziell wenig beachtet, seiner Freude und Genugtuung über die<br />
gezeigten turnerischen Leistungen tat dies keinen Abbruch. Über die zumindest teilweise<br />
Instrumentalisierung dieser bedeutsamen Großveranstaltung durch die neuen politischen<br />
Machthaber mag sich <strong>der</strong> „abgetretene Asphaltdemokrat“ seine eigenen Gedanken gemacht<br />
haben!<br />
Im Herbst 1933 verließ das kin<strong>der</strong>los gebliebene Ehepaar Helene und <strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong><br />
für immer Berlin und nahm seinen Wohnsitz in Freiburg/Breisgau. Im geliebten Südbaden,<br />
nahe <strong>der</strong> elsässischen Heimat, fühlten sie sich geborgen und zuhause. <strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong><br />
widmete sich u.a. <strong>der</strong> Schriftstellerei und setzte mit dem Buch „Straßburgs deutsche<br />
Bürgermeister Back und Schwan<strong>der</strong> 1873 <strong>–</strong> 1918“ ehemaligen Kollegen ein literarisches<br />
Denkmal. Zusammen mit seiner Frau unternahm er zahlreiche Reisen, vor allen Dingen nach<br />
Südtirol und nach Rumänien zu den dort bedrängten Siebenbürger Sachsen. 1939 zog er<br />
nochmals den Uniformrock an, um für zwei Jahre die Geschäftsführung des Flugtechnischen<br />
Instituts Ruit bei Stuttgart zu übernehmen. Der durch den Krieg und dessen Ende einsetzende<br />
Nie<strong>der</strong>gang Deutschlands belastete ihn seelisch, hinzu kamen durch die Mangelernährung<br />
körperliche Beschwerden. Am 18. Oktober 1945 verstarb er, dennoch unerwartet, in seiner<br />
Wahlheimat Freiburg/Breisgau. Seine Frau Helene, mit <strong>der</strong> er über vier Jahrzehnte eine<br />
glückliche Ehe führte, überlebte ihn um annährend 18 Jahre. Sie verstarb am 7. Februar 1963.<br />
Beide wurden in Freiburg-Günterstal begraben.<br />
In Berlin-Schöneberg erinnert die zum Rathaus führende „<strong>Dominicus</strong>straße“ an den<br />
bedeutsamen Kommunal- und Staatspolitiker <strong>Alexan<strong>der</strong></strong> <strong>Dominicus</strong>. Im 1952 erschienenen<br />
ersten DTB-Jahrbuch nach dem zweiten Weltkrieg wurde ihm zum ehrenden Gedenken<br />
immerhin ein warmherzig gehaltener Nachruf veröffentlicht. Mittlerweile ist <strong>Alexan<strong>der</strong></strong><br />
<strong>Dominicus</strong> jedoch im Bereich des Turnens nahezu vergessen. Allerdings zu Unrecht, wie ein<br />
Blick auf die jüngere Turngeschichte zeigt.<br />
Dieser Aufsatz wurde mit <strong>der</strong> freundlichen Genehmigung des Verfassers in die Jahn-Bibliothek eingestellt. Der<br />
Erstabdruck erfolgte im Juli und im August 2008 in <strong>der</strong> Badischen Turnzeitung.