LUNZENAUER Heimatblatt
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Aufgewachsen bin ich, Jahrgang 1926, auf der „Froschweede“, dem<br />
„Nassen Hader“, der „Heiserreihe“, kurz: auf dem Schäfereiweg.<br />
1956 zog ich mit meiner Familie von Lunzenau weg. Nach einem Zusatzstudium<br />
trat ich 1958 in den Schuldienst des Bundeslandes Baden-Württemberg<br />
ein. Meine erste Dienststelle war eine vierklassige Schule in einem<br />
Dorf bei Schwäbisch Gmünd. Von 1962 bis 1987 war ich als Ausbildungslehrer<br />
des Pädagogischen Instituts und später der Pädagogischen Hochschule<br />
Schwäbisch Gmünd tätig. 1966 erfolgte meine Versetzung als<br />
Konrektor an die Klösterleschule Schwäbisch Gmünd. 1987 trat ich in den<br />
Ruhestand. Der Neubeginn im Schwabenland verlief problemlos, wenn<br />
auch einige sprachliche Besonderheiten mir anfangs etwas seltsam vorkamen.<br />
So schien es keine Arbeiter zu geben. Alle Leute gingen „ins<br />
Geschäft“. Ich kam aber sehr schnell dahinter, dass damit allgemein die<br />
Arbeitsstelle gemeint war. Und dass „Bühne“ nicht nur der Aufführungsort<br />
für Theaterstücke war, merkten wir auch sehr bald. Als wir erfuhren, dass<br />
zur Dienstwohnung auch eine Bühne gehöre, waren wir verwundert und<br />
sagten, wir wollten eigentlich die Wohnung nicht für Theateraufführungen<br />
benutzen. Wir wurden rasch aufgeklärt, die Bühne sei der Raum unter dem<br />
Dach, für unsere Begriffe also der Dachboden.<br />
Als Kartoffelesser hatten wir es anfangs nicht einfach. Im Herbst des<br />
ersten Jahres gingen wir zum Bauern und wollten Kartoffeln holen. Frage:<br />
„Salatkartoffeln oder andere?“ Er gab uns von jeder Sorte Kartoffeln zum<br />
Kosten mit. Die Salatkartoffeln waren uns zu fest. Die anderen waren zwar<br />
mehlig, aber nicht in der Art, wie wir sie gewohnt waren. Ich erinnerte mich<br />
an den Geschmack der Kartoffeln, die mein Vater und ich jeden Herbst mit<br />
dem Handwagen von Lüpferts in Niederelsdorf geholt hatten. Auf die<br />
Frage, ob er nicht noch mehligere Kartoffeln habe, erwiderte der Bauer: „I<br />
han noch Krombiere für d’Säue im Keller.“ Wir nahmen einige mit nach<br />
Hause, sie waren mehlig und schmeckten wie die „dorheeme“. Und so<br />
kellerten wir sechs Zentner der „Krombiere für d’Säue“ ein. Meine schwäbischen<br />
Kollegen schüttelten die Köpfe: „Sechs Zentner! Uns reicht oi<br />
Bügelkorb Kartoffle fürs ganze Jahr.“ Irgendwie stimmt die Redensart<br />
schon, dass der Schwabe Kartoffeln nur so richtig mag, wenn sie vorher<br />
den Umweg durch den Magen einer Sau genommen haben. Im Laufe der<br />
Jahre gewöhnten wir uns an Spätzle und Nudle. Heute holen wir die Kartoffeln<br />
in 2- oder 3-kg-Beuteln auf dem Wochenmarkt.<br />
Am 24. Dezember 1936 wurde ich in Hohenkirchen geboren. Ich besuchte<br />
die Grundschule in Oberhohenkirchen bis zum 6. Schuljahr. Das 7. und 8.<br />
Schuljahr wurde in der Lunzenauer Grundschule vervollständigt und mit<br />
dem Abschlusszeugnis 1951 beendet.<br />
Im Frühjahr 1945 erinnere ich mich an den Einzug der amerikanischen<br />
Armee, die für 2 Tage mit dem Panzer an unserem Haus vorbei rollten. Nach<br />
kurzer Zeit übernahmen sowjetische Truppen Hohenkirchen, die Muldenbrücke<br />
wurde zur Grenze.<br />
Nach der Schulentlassung begann ich die Lehre als Gärtner bei Arthur<br />
Mende in Lunzenau, besuchte die Berufsschule in Chemnitz bis zu meiner<br />
Flucht im Mai 1953 nach Westfalen zu meinen Großeltern. Die Gärtnerlehre<br />
beendete ich in Dortmund und fand eine Arbeitsstelle als Gartengestalter in<br />
der Schweiz. Dort war ich 4 Jahre tätig. Der ereignisreichste Tag meines<br />
Lebens begab sich an einem Sonntag an der Züricher Bahnhofstraße, als<br />
ein Amerikaner mich ansprach und nach einer Adresse fragte. Ich war gerne<br />
bereit meine wenigen englischen Sprachkenntnisse zu üben und so<br />
befreundeten wir uns an. Er war ein sehr wohlhabender Mann. Er lud mich<br />
zu seiner Familie nach Gstaad ein. Wenn er nach Zürich kam, war ich sein<br />
Dolmetscher und Chauffeur. Mein Interesse an Amerika war immer groß. Mr<br />
Kuhn hatte einen Wohnsitz in Boise/ Idaho, welche die Familie nur einige<br />
Wochen im Sommer benutzte. Er machte mir ein Angebot in die USA einzuwandern<br />
und gab mir den Job für den Gartenunterhalt seiner Villa. So landete<br />
ich am 10. Mai 1960 in New York und begann eine 10tägige Busfahrt nach<br />
Boise.<br />
Boise ist der Regierungssitz von Idaho und hatte 1960 45.000 Einwohner.<br />
Die nächst größere Stadt ist Portland/ Oregon oder Salt Lake City/ Utah.<br />
–Alle eine Tagesfahrt entfernt. Südlich von Boise ist Wüste, nördlich herrliche<br />
Berglandschaft und Seen. Der erste Sommer in Boise brachte eine<br />
Rekordhitze von 45°C und viele Waldbrände. Ich wollte hier nicht bleiben<br />
und weiter nach Kalifornien. Wegen Geldmangel musste ich die Idee aufgeben<br />
und heute, nach 43 Jahren, bin ich immer noch hier. Es sprach sich<br />
schnell herum, dass ich Gartengestaltung machte und Aufträge für neue<br />
Anlagen häuften sich. Nach kurzer Zeit kaufte ich Fahrzeuge und mein eigenes<br />
Haus mit Grundstück für eine kleine Baumschule.<br />
Im Frühjahr 1962 kam meine Freundin aus Westfalen, wir heirateten in Boise<br />
und haben jetzt einen Sohn (33) und eine Tochter (30), welche jetzt in Boise<br />
Lunzenauer in aller Welt<br />
Gerhard Sittner berichtet:<br />
Herr Wiesemann berichtet:<br />
<strong>LUNZENAUER</strong> HEIMATBLATT 2003<br />
Irgendwann wurde uns die Frage gestellt: Hän Se baut?“ Nein, gebaut<br />
hatten wir noch nicht, aber wir hatten bereits einen Bausparvertrag abgeschlossen,<br />
und das war doch schon etwas in den Augen der Schwaben!<br />
Der Bazillus „Schaffe, spare, Häusle baue“ hatte uns befallen. Seit 31<br />
Jahren wohnen wir in den eigenen vier Wänden, und so schließt sich der<br />
Kreis von der „Heiserreihe“ in Lunzenau zum Reihenhaus in Schwäbisch<br />
Gmünd.<br />
In der Freizeit tun wir einiges für die Gesundheit. Wir freuen uns immer auf<br />
den Sommer. Da schwimmen wir jeden Tag im beheizten Freibad. Zur Pflege<br />
der kleinen grauen Zellen gehört das tägliche Romméspiel. Das Internet<br />
verbindet uns mit der weiten Welt. Zur Pflichtlektüre auf dem Bildschirm<br />
gehören das Amtsblatt der Stadt Lunzenau und die Rochlitz-Seite der Onlineausgabe<br />
der Freien Presse. Für weitere Abwechslung sorgen fünf Enkelkinder.<br />
Gerhard Sittner , wohnhaft Schwäbisch-Gmünd<br />
verheiratet leben. Boise hat sich inzwischen zu einer schönen Stadt mit ca.<br />
200.000 Einwohnern entwickelt. Viele neue Industrien, Banken und Versicherungen<br />
haben hier ihr Hauptquartier. In meiner Berufsbranche ist viel<br />
Nachfrage. Ich verkaufte mein Gartengestaltungs-Unternehmen und eröffnete<br />
ein Garten-Center. Meine Frau Celia und ich managen das Geschäft<br />
mit 12 Vollangestellten und 8 Saisonhelfern.<br />
In meiner Freizeit baute ich ein Ferienhaus nach Alpenstil an einem Stausee<br />
100 Meilen nördlich von Boise. Dort verbringen wir viel Zeit, unsere Hobbies<br />
sind Ein-Mann-Regattaboot-fahren, Ski- und Schneeschuhlaufen.<br />
Zu meiner Einwanderung gab es noch Militärpflicht. Ich meldete mich zur<br />
Idaho Air National Guard und war im Winter 1960/ 61 zur Grundausbildung<br />
in Texas. Danach hatte ich 6 Jahre für ein Wochenende im Monat Dienst.<br />
Die amerikanische Staatsbürgerschaft bekam ich im Mai 1964.<br />
Ich informiere mich oft über Lunzenau. –Durch die Freie Presse online oder<br />
das Amtsblatt auf der Lunzenauer Webside.<br />
Dieter Wiesemann, wohnhaft Boise/Idaho<br />
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