Skript des letzten Jahres (Niedrige Auflösung) - EMPA Media ...
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t e c h n i k · · · d e s · · ·<br />
k l a u s s i m o n<br />
d i g i t a l e n<br />
p u b l i z i e r e n s<br />
Theory without practice is empty,<br />
practice without theory is blind.<br />
John Dewey<br />
empa dübendorf — medientechnik
Buch zum Thema<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
1<br />
motivation
Inhaltsverzeichnis<br />
1 Motivation 3<br />
2 Drucken: Gestern, Heute, Morgen 7<br />
2.1 Entstehen der Schwarzen Kunst . . . . . . . . . . . . . 7<br />
2.2 Industrialisierung <strong>des</strong> Druckens . . . . . . . . . . . . . 9<br />
2.2.1 Papiererzeugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />
2.2.2 Weiterentwicklung der Druckmaschinen . . . . 11<br />
2.2.3 Mechanisierung der Schreib- und Satztechnik . 14<br />
2.3 Druck wird Massenmedium . . . . . . . . . . . . . . . . 17<br />
2.4 Entwicklung der Bildreproduktion . . . . . . . . . . . . 19<br />
2.4.1 Holzschnitte und Kupferstiche . . . . . . . . . . 19<br />
2.4.2 Steindruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24<br />
2.4.3 Fotomechanische Bildreproduktion . . . . . . . . 28<br />
2.4.4 Entwicklung der Fotografie . . . . . . . . . . . . 29<br />
2.4.5 Halftoning . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33<br />
2.4.6 Der fotografische Schwarzweissprozess . . . . . 39<br />
2.4.7 Fotomechanische Rasterung . . . . . . . . . . . . 43<br />
2.4.8 Offsetdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45<br />
2.4.9 Fotosatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48<br />
2.5 Die Druckvorstufe zwischen 1970 – 90 . . . . . . . . . . 50<br />
2.6 Digitale Druckvorstufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52<br />
2.6.1 Camera Ready und Wissenschaft . . . . . . . . . 52<br />
2.6.2 Desktop Publishing . . . . . . . . . . . . . . . . . 54<br />
2.6.3 Digitale Bogenmontage . . . . . . . . . . . . . . . 57<br />
2.7 Computer-to-Techniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58<br />
2.8 Cross <strong>Media</strong> Publishing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60<br />
2.9 Konventionelle Druckverfahren . . . . . . . . . . . . . . 63<br />
2.9.1 Buchdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64<br />
2.9.2 Flexodruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65<br />
2.9.3 Tiefdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66<br />
2.9.4 Siebdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66<br />
2.10 Non-Impact-Printing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67<br />
1<br />
2.10.1 Elektrofotografie (Laserdruck) . . . . . . . . . . 68<br />
2.10.2 Inkjets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69<br />
2.10.3 Thermographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70<br />
2.11 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71<br />
3 Proofing 73<br />
3.1 Proof-Arten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74<br />
3.2 Rahmenbedingungen <strong>des</strong> Kontraktproofs . . . . . . . . 75<br />
3.3 Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78<br />
3.3.1 Rasterproof (True Proof) . . . . . . . . . . . . . . 80<br />
3.3.2 Softproof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80<br />
3.3.3 Remote Proofing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81<br />
3.4 Tendenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82<br />
3.5 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82<br />
4 Typographie und Schrift 83<br />
4.1 Ursprung der lateinischen Schriften . . . . . . . . . . . 83<br />
4.2 Attribute lateinischer Druckschriften . . . . . . . . . . 85<br />
4.3 Grössenangaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87<br />
4.4 Schriftnotation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89<br />
4.5 Klassifikation lateinischer Schriften . . . . . . . . . . . 90<br />
4.6 Seitenformat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94<br />
4.7 Seitenaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97<br />
4.8 Der Leseprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99<br />
4.9 Textsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100<br />
4.10 Schriftauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103<br />
4.11 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
5 Textformatierung 105<br />
5.1 Wortaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105<br />
5.2 Zeilenumbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107<br />
5.2.1 Die Menge aller akzeptablen Zeilenumbrüche . 109<br />
5.2.2 Zeilenumbruch als Optimierungsproblem . . . . 111<br />
5.2.3 Interaktivität und Zeilenumbruch . . . . . . . . 113<br />
5.2.4 Worttrennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115<br />
5.3 Seitenumbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119<br />
5.4 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120<br />
6 Computerfonts 121<br />
6.1 Text in digitalen Ausgabesystemen . . . . . . . . . . . . 121<br />
6.2 Bitmaps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123<br />
6.3 Outline-Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124<br />
6.4 Fonts in PostScript- bzw. PDF-Druckern . . . . . . . . . 125<br />
6.5 PostScript-Fonts auf dem Bildschirm . . . . . . . . . . . 128<br />
6.6 Fontformate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130<br />
6.7 Type1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131<br />
6.8 TrueType . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132<br />
6.9 Andere Formate <strong>des</strong> Desktop Publishings . . . . . . . . 133<br />
6.10 Kodierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134<br />
6.10.1 Morsekode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135<br />
6.10.2 Baudot- und Murraykode . . . . . . . . . . . . . . 136<br />
6.10.3 Ascii, Latin-1 und Unicode . . . . . . . . . . . . . 137<br />
6.11 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139<br />
2
K a p i t e l<br />
1<br />
Motivation<br />
Die hier präsentierte Sichtweise <strong>des</strong> Themas ≪Publizieren ≫ ist geprägt<br />
durch die berufliche Tätigkeit <strong>des</strong> Autors an der Empa 1 bzw.<br />
der Ugra 2 , die bis 2005 dort organisatorisch integriert war. Auf<br />
Grund der dadurch bedingten Konzentration auf branchenweite<br />
Veränderungen bzw. Vorgänge ist es naheliegend das Thema ≪Publizieren<br />
≫ vor dem Hintergrund der aktuellen Workflow-Szenarien<br />
darzustellen.<br />
Da bis heute — trotz harter Konkurrenz — der Druck das dominante<br />
Medium ist, beschäftigen wir uns hier mit den typischen Techniken<br />
und Arbeitsabläufen zur Erstellung eines Druckerzeugnisses.<br />
Die Kenntnis der Verfahren und ihrer Hintergründe unterstützt einerseits<br />
die Orientierung im Publishing-Alltag und ist andererseits<br />
hilfreich bei der Bewertung aktueller Tendenzen wie dem Cross <strong>Media</strong><br />
Publishing, das sich im Wesentlichen als eine Ausweitung der<br />
Zielsysteme digitaler Layoutdaten begreifen lässt.<br />
Die Publikationstechnik vor 1990 war durch die fotomechanische<br />
Bildreproduktion geprägt. Sie zeichnete sich durch feststehende industrielle<br />
Arbeitsabläufe aus, die durch Spezialisten der Druckvorstufe<br />
ausgeführt wurden. Farbe war gerätespezifisch. Der Umgang<br />
mit Farbe beschränkte sich auf die Bedienung der entsprechenden<br />
Geräte, z.B. einer Kamera, welche in den vielen einschlägigen Ausbildungsgängen<br />
der graphischen Industrie erlernt wurde.<br />
Im digitalen Publizieren besteht das Produkt aus einer abstrakten<br />
Layoutbeschreibung. Die festgefügten Arbeitsabläufe der<br />
Druckvorstufe sind durch offene Kommunikationsstandards ersetzt<br />
1 Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt<br />
2 Verein zur Förderung wissenschaftlicher Untersuchungen in der grafischen<br />
Industrie, dem schweizer Pendant zur deutschen Fogra<br />
3<br />
Drucken: Gestern — Heute — Morgen<br />
✧ Medienmarkt im Umbruch (Cross <strong>Media</strong> Publishing)<br />
➙ Druck bis anhin dominant im Medienmarkt (ca. 70 %)<br />
➙ Druckerzeugnisse sind prototypisch fürs Publizieren<br />
✧ Druckvorstufe: Produktionskette bis zur Druckformerstellung<br />
➙ strukturell an den digitalen Fotosatz (ab 1970) angepasst<br />
✛ Reprofilme, Filmmontage, fotomechanische Kopierverfahren<br />
➙ neuinterpretiert durch Desktop Publishing (ab ca. 1990)<br />
✛ Layoutsprachen, Computer-to-Plate, elekt. Datenaustausch<br />
➙ heutige Strukturen und aktuelle Veränderungen . . .<br />
✛ haben oftmals historische Gründe oder . . .<br />
✛ sind begründet in der Funktion als Massenmedium<br />
klaus simon<br />
Bildreproduktion im Digitalen Publizieren<br />
... wie gesehen ...<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
... für bzw. mit aktuellen Industriestandards ...<br />
Mess- und<br />
Sensortechnik Software<br />
Farbmetrik<br />
klaus simon<br />
XYZ = / Empfinden<br />
Materialeigenschaften<br />
visuelle Akzeptanz<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
3<br />
motivation<br />
4<br />
motivation
m a n u e l l e r f o t o s a t z<br />
Arbeitsabläufe bei Druckerzeugnissen<br />
text — bilder — graphik<br />
|<br />
reprofilme<br />
|<br />
seitenmontage (filme)<br />
|<br />
bogenmontage (filme)<br />
|<br />
druckform<br />
|<br />
drucken<br />
|<br />
weiterverarbeitung<br />
✧ Workflow <strong>des</strong><br />
✧ aus Sicht eines<br />
text — bilder — graphik<br />
|<br />
seitenlayout (pdf)<br />
|<br />
bogenlayout (pdf)<br />
|<br />
rasterdaten (rip)<br />
|<br />
|<br />
film<br />
|<br />
CtP<br />
druckform<br />
|<br />
|<br />
drucken<br />
|<br />
weiterverarbeitung<br />
klaus simon<br />
Ziele der Vorlesung<br />
✧ Konzepte, Tools, Hintergründe im<br />
Digitalen Publizierens<br />
Autors<br />
cross media publishing<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
d e s k t o p p u b l i s h i n g<br />
5<br />
motivation<br />
6<br />
motivation<br />
4<br />
worden. Die abstrakten Farbspezifikationen der digitalen Daten<br />
sind geräteneutral. Gerätespezifische Anpassungen müssen explizit,<br />
z.B. durch ein Color Management System, vorgenommen werden.<br />
Der sichere Umgang mit digitalen Farbdaten, der zentralen<br />
Herausforderung <strong>des</strong> digitalen Publizierens, erfordert ein konzeptionelles<br />
Wissen über Farbe, Farbmessung oder Farbräume. Das<br />
operative Farbverständnis der fotomechanischen Bildreproduktion<br />
tritt in den Hintergrund.<br />
Die auf der linken Seite von Folie 5 illustrierte Gliederung einer<br />
Druckproduktion ist typisch für den digitalen Fotosatz, wie er sich<br />
seit 1970 etabliert hat. Die Eingaben bestehen aus unformatiertem<br />
Text, Bildern und Grafiken. Bilder oder fotografierte Grafiken wurden<br />
durch die ≪ Repro ≫ — auch ≪ Litho ≫ genannt — in Form von<br />
gerasterten Filmen zur Verfügung gestellt. Dabei leitet sich die Abkürzung<br />
≪ Repro ≫ aus der fotomechanischen Reproduktionstechnik<br />
ab, bzw. ≪ Litho ≫ aus der Lithographie, dem ersten erfolgreichen<br />
Druckverfahren zur Bildreproduktion mit Halbtönen. Der Text und<br />
Teile der Grafik wurden im Satz formatiert und gleichfalls als gerasterte<br />
Filme weitergereicht.<br />
Die Seitenmontage fügte dann die einzelnen Filmteile gemäss<br />
Kundenauftrag zu einer Seite zusammen. Eine typische Seitengrösse<br />
wie A4 ist wesentlich kleiner als ein üblicher Druckbogen. Der<br />
nächste Schritt bestand <strong>des</strong>halb in der Zusammenfassung von Seitenlayouts<br />
zu einem Druckbogen, der Bogenmontage. In sie flossen<br />
druckereispezifische Aspekte wie die vorgesehene Weiterverarbeitung<br />
ein. Der in der Bogenmontage erstellte Film diente dann<br />
als Kopiervorlage für die Erzeugung der Druckplatte. Der Fortdruck<br />
mit anschliessender Weiterverarbeitung schliesst die Produktionskette<br />
ab. Die Tätigkeiten bis einschliesslich der Druckformerstellung<br />
sind als Druckvorstufe bekannt. Sie wurden traditionell durch<br />
Fachpersonal in eigenständigen Abteilungen oder selbstständigen<br />
Unternehmen wahrgenommen.<br />
Die Veränderungen, die das Desktop Publishing in den 90er Jahren<br />
auslöste, siehe Folie 5 (rechts), bewirkten zwar keine grundsätzliche<br />
Änderungen in der Struktur der Arbeitsabläufe, jedoch wurden
die Zwischenresultate der Produktionskette nun in Form von digitalen<br />
Daten anstatt von Reprofilmen verwaltet. Dadurch wurde der<br />
Einsatz von Filmen immer näher an die Druckformerstellung verschoben<br />
und entfällt heute zunehmend gänzlich. Organisatorisch<br />
hat das die Konsequenz, dass ehemals typische Druckvorstufentätigkeiten<br />
wie z.B. die Layoutgestaltung heute überwiegend durch<br />
externe Personengruppen wie Werbeagenturen oder Autoren wahrgenommen<br />
werden.<br />
Der Gegenstand der Vorlesung sind die Konzepte und Arbeitsabläufe<br />
<strong>des</strong> heutigen Publizierens. Dabei wird die Sichtweise eines Autors<br />
eingenommen. Ihm soll das technische Wissen vermittelt werden,<br />
um als kompetenter Partner im Publikationsprozess auftreten<br />
zu können.<br />
5<br />
✧ Motivation<br />
Vorlesungsplanung<br />
✧ Bildreproduktion: Gestern — Heute — Morgen<br />
➙ historische Entwicklung und gesellschaftliches Umfeld<br />
➙ Desktop Publishing und Workflow<br />
➙ Druckverfahren<br />
✧ Proof und Qualitätskontrolle<br />
✧ Typographie und Schrift<br />
✧ Textformatierung<br />
✧ Computerfonts<br />
✧ Bild und Fotografie<br />
✧ Computergraphik<br />
Literatur<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
✧ J. Böhringer et al., Mediengestaltung, Springer, 2006.<br />
✧ M. Bollwage, Typografie kompakt, Springer, 2005.<br />
✧ M. Fairchild, Color Appearance Models, Wiley 2005.<br />
✧ H. Kipphan, Handbuch der Printmedien, Springer 2001.<br />
✧ PDF Reference, 7 th Edition (Acrobat 9), Adobe 2008.<br />
✧ R. Wilhelm, R. Heckmann, Grundlagen der<br />
Dokumentenverarbeitung, Addison-Wesley 1996.<br />
✧ A. Brüggemann-Klein, Einführung in die<br />
Dokumentenverarbeitung, Teubner 1989.<br />
✧ H. Voss, PSTricks, Lehmanns Fachbuchhandlung, 2006.<br />
✧ H. Kraus, Digitales Fotografieren, Addison-Wesley 1998.<br />
✧ Böhringer, Bühler, Schlaich, Präsentieren, Springer 2007.<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
7<br />
motivation<br />
8<br />
motivation
K a p i t e l<br />
2<br />
Drucken: Gestern, Heute, Morgen<br />
Für die Beschreibung der technischen Prozesse in diesem Kapitel<br />
wurde ein historischer Zugang gewählt. Dies ist naheliegend, da gewisse<br />
Strukturen wie die Unterscheidung zwischen Text- und Bildreproduktion<br />
nicht nur technisch bedingt sind, sondern auch unterschiedliche<br />
Entwicklungsgeschichten aufweisen. Des Weiteren lassen<br />
sich die aktuellen Veränderungen <strong>des</strong> Publizierens nur anhand<br />
der historischen Gründe der gegenwärtigen Situation korrekt beurteilen.<br />
So ist das in der Motivation angesprochene Vordringen<br />
<strong>des</strong> Designs in den Produktionsprozess <strong>des</strong> Druckens lediglich eine<br />
Rückkehr zu vorindustriellen Verhältnissen. Erst die Industrialisierung<br />
<strong>des</strong> Druckens führte zu einer Abtrennung der Gestaltung.<br />
2.1 Entstehen der Schwarzen Kunst<br />
Unter Drucken versteht man die Erzeugung eines Bil<strong>des</strong> durch Anpressen<br />
eines Bedruckstoffes (Papier) an eine eingefärbte Druckform.<br />
Das Konzept ist recht einleuchtend wie man sich anhand eines<br />
Stempels verdeutlichen kann. Obwohl Johannes Gutenberg, 1<br />
(1400 ± 5 – 1468) nicht der Erste war, der mit Metalllettern druckte,<br />
2 gilt er zumin<strong>des</strong>t den Europäern als der Erfinder <strong>des</strong> Buchdrucks<br />
mit beweglichen Metalllettern. Diese Anerkennung basiert<br />
auf Gutenbergs Nachweis, dass das von ihm um 1440 erschaffene<br />
Drucksystem, die ≪nova forma scribendi ≫, den damals in Blüte<br />
stehenden Handschriften ästhetisch gleichwertig und in der Effizienz<br />
überlegen war, d.h. er war derjenige, der dem Buchdruck den<br />
1 siehe Folie 2<br />
2 in Korea wurde diese Technik schon etwa 100 Jahre früher eingesetzt<br />
7<br />
Entstehung der s c h w a r z e n K u n s t<br />
✧ Buchdruck mit beweglichen Metalllettern<br />
➙ Farbe haftet an erhöhten Stellen der Druckform<br />
➙ Bildübertragung durch Anpressen <strong>des</strong> Bedruckstoffes (Papier)<br />
✛ durch ein Gegendruckelement (Tiegel, Rollen)<br />
✧ Prinzip von Johannes Gutenberg (etwa 1440, Mainz)<br />
➙ Systemkonzept: Optimierung bekannter Einzeltechniken<br />
✛ Druckschriftensystem (Typographie, 290 Letter pro Font)<br />
✛ Buchstabenguss (Blei + Antimon + Zink, Handgiessgerät)<br />
✛ Montagesystem der Druckform (Handsatz)<br />
✛ Tiegelpresse (Fläche-Fläche, Adaption einer Weinpresse)<br />
✛ Druckerschwärze aus Wachs, Seife und Kienruss<br />
✛ mehrere Hundert Seiten pro Tag<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
J o h a n n e s G u t e n b e r g 13 9 7 ? – 14 6 8<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
1<br />
drucken<br />
2<br />
frühe Pressen<br />
klaus simon<br />
aus den G u t e n b e r g - B i b e l n<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
3<br />
drucken<br />
4<br />
drucken<br />
8<br />
technologischen Durchbruch brachte.<br />
Gutenberg optimierte für sein Druckkonzept verschiedene bekannte<br />
Techniken und fügte sie zu einer neuen Einheit zusammen,<br />
die für Jahrhunderte die vorherrschende Drucktechnik bleiben sollte.<br />
Sein zentraler Verdienst ist das Montagesystem für die Druckform,<br />
die aus einzelnen gegossenen Metallteilen, genannt Lettern<br />
oder Drucktypen, zusammengesetzt wurde. Die Lettern wurden aus<br />
einer Mischung aus Blei, Antimon und Zink mit Hilfe eines speziellen<br />
Handgussgerätes angefertigt. Die leichte Produzierbarkeit der<br />
Lettern war eine entscheidende Voraussetzung für Gutenbergs Erfolg.<br />
Die funktionsgerechte Druckpresse, rechts in Folie 5, war wohl<br />
eine umgebaute Weinpresse. In heutigen Bezeichnungen ist es eine<br />
Tiegelpresse. Sowohl die Druckform als auch das Gegendruckelement<br />
sind flach. Auch dieses Konzept blieb jahrhundertelang unverändert.<br />
Gutenbergs Druckerschwärze bestand aus Wachs, Seife und<br />
Kienruss.<br />
Ein Blick auf Gutenbergs Meisterwerk, die 42zeilige Bibel bzw.<br />
<strong>des</strong> Johannes Evangeliums (Folie 4) offenbart jedoch noch weitere<br />
nichttechnische Aspekte, die in der heutigen industrialisierten Medienwelt<br />
leicht übersehen werden. Gutenberg verstand sein Schaffen<br />
als Kunst, noch heute spricht man von der<br />
S c h w a r z e n K u n s t .<br />
Er wollte nicht einfach einen Text produzieren, sondern er versuchte<br />
die Kalligrafie technisch nachzuahmen indem er pro Schriftart etwa<br />
290 einzelne Lettern anfertigte, d.h. jeder Buchstabe war in mehr<br />
als 10 verschiedenen Formen verfügbar. Das Resultat ist auch heute<br />
noch bemerkenswert. Bis anhin gilt die 42zeilige Bibel als eine<br />
Meisterleistung der Typographie. Der damit verbundene Aufwand<br />
war seinerzeit selbstverständlich, denn Bücher waren Luxusobjekte,<br />
die nur dann konkurrenzfähig waren, wenn sie die ästhetischen<br />
Erwartungen erfüllten oder übertrafen. So erklären sich auch die<br />
farbigen Initialen und Verzierungen, die nachträglich von Illuminatoren<br />
bzw. Rubrikatoren hinzugefügt wurden.
Die bereits vor Gutenberg praktizierte Trennung in Textsatz<br />
und Bildreproduktion ist bis heute in den Arbeitsabläufen der grafischen<br />
Industrie verankert. Der künstlerische Anspruch <strong>des</strong> Druckgewerbes<br />
hat erst in der Industrialisierung der Drucktechnik gelitten<br />
und erlebt erst heute durch die zunehmende Bedeutung <strong>des</strong><br />
Kommunikations<strong>des</strong>igns im Produktionsprozess ein spätes Comeback.<br />
2.2 Industrialisierung <strong>des</strong> Druckens<br />
Gutenbergs Druckkonzept blieb für etwa 350 Jahre mehr oder weniger<br />
unverändert. Erst die um 1800 spürbar werdende Industrialisierung<br />
führte zu einem anderen Druckverständnis. Zunächst war<br />
der Druck nur in Form von graduellen technischen Innovationen an<br />
diesem Prozess beteiligt. Typisch ist etwa die Columbia-Presse von<br />
1817, die mit ihrer gusseisernen Konstruktion mit Kniehebelmechanik<br />
höhere Druckkräfte übertragen konnte, siehe Folie 5. Mit der zunehmenden<br />
Etablierung der Industriegesellschaft als Zivilisationsform<br />
wurde er jedoch mehr und mehr durch seine gesellschaftliche<br />
Funktion geprägt. Offensichtliche Beispiele für die wechselseitige<br />
Abhängigkeit von Industriegesellschaft und Druck sind das Entstehen<br />
der Massenpresse, der Werbung und <strong>des</strong> Verpackungsdrucks.<br />
Die Signifikanz dieser Verbindung kann man an der ökonomischen<br />
Bedeutung der Druckindustrie ablesen. In westlich orientierten Gesellschaften<br />
beträgt der Beitrag <strong>des</strong> Drucks zum Bruttosozialprodukt<br />
etwa 6 – 7 %.<br />
2.2.1 Papiererzeugung<br />
Eine Voraussetzung der Industrialisierung <strong>des</strong> Drucks war eine<br />
verbesserte Papierproduktion. Unter Papier versteht man dünne<br />
Schichten aus verfilzten Pflanzenfasern, insbesondere als Schreibunterlage<br />
oder Bedruckstoff. Die von Natur aus relativ raue Oberfläche<br />
wird heutzutage im professionellen Bereich oftmals mit Kreide<br />
9<br />
✧ handwerkliche Erzeugung<br />
Handpressen<br />
◭ Gutenberg-Presse<br />
Nachbau<br />
➙ bis Mitte <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts<br />
Columbia-Presse ◮<br />
1817, Gusseisen<br />
Kniehebelmechanik<br />
➙ aus Bast, Hanf, Lumpen (Hadern)<br />
✧ 1799 Langsiebmaschine, Robert<br />
✧ Rohstoffverknappung d. Industrialisier.<br />
➙ Holz wird neues Grundmaterial<br />
✧ 1844 Holzschliff (Holzbrei)<br />
✧ ab 1850: Papier aus Zellstoff<br />
➙ chem. Aufspaltung der Holzfasern<br />
✛ Sulfatzellstoff (mit Natron, 85 %)<br />
✛ Sulfitzellstoff (höherwertiger)<br />
klaus simon<br />
Papierherstellung<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
5<br />
drucken<br />
6<br />
moderne Langsiebmaschine (Voith)<br />
klaus simon<br />
Industrialisierung <strong>des</strong> Druckens<br />
✧ Tiegelpressen: Fläche/Fläche-Prinzip<br />
➙ um 1800 Ganzmetallkonstruktionen<br />
➙ um 1850 neue Konzepte aus den USA<br />
✛ Tiegel und Fundament vertikal<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
✛ integrierte Einfärbung der Druckform (von Schnellpresse)<br />
➙ 1914 automatisierte Papierzuführung (Gilke)<br />
✛ Patentübernahme durch Heidelberg (Heidelberger Tiegel)<br />
✧ 1811/12 Erfindung Schnellpresse: Fläche/Zylinder-Prinzip<br />
➙ Maschinendruck steigert Effizienz<br />
➙ integrierte Farbzuführung<br />
✧ 1859 Rotationsdruckmaschine: Zylinder/Zylinder-Prinzip<br />
➙ mit halbrunden Stereotypienplatten<br />
➙ 1866 erste Zeitungsrotationsmaschinen<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
7<br />
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8<br />
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10<br />
oder Kaolin beschichtet. Diese gestrichenen Papiere sind dann sehr<br />
glatt und weiss.<br />
Die Erfindung <strong>des</strong> Papiers erfolgte vor etwa 2000 Jahren in China.<br />
Dem kaiserlichen Hofbeamten Tsai Lun wird insbesondere für 105<br />
n.Chr. die Erfindung <strong>des</strong> Schöpfsiebes zugerechnet. Um 600 n.Chr.<br />
gelangte die Kenntnis der Papierherstellung dann nach Arabien<br />
und Japan, Europa folgte im 12. Jahrhundert. Die erste deutsche<br />
Papiermühle mit handwerklicher Produktion war die Gleismühle,<br />
die 1390 in Nürnberg errichtet wurde.<br />
Die Industrialisierung der Papierherstellung begann mit der<br />
Langsiebpapiermaschine <strong>des</strong> französischen Mechanikers Nicolas<br />
Louis Robert (1761 – 1828) im Jahre 1799. Auf ihrem rotierenden<br />
Drahtsieb konnten Papierlängen bis zu einer Länge von 15 m<br />
erreicht werden. Ein Problem war jedoch das Grundmaterial. In historischen<br />
Zeiten verwendete man Bast, Baumrinde, Hanf, Stroh<br />
und vor allem Lumpen, auch Hadern genannt. Der Bedarf an hochwertigem<br />
Papier wuchs jedoch schnell, in Deutschland von 1840 bis<br />
1850 von 20’000 auf 50’000 Tonnen pro Jahr, für die man etwa 1 Million<br />
Zentner Lumpen benötigte. In Folge <strong>des</strong>sen wurden Lumpen zu<br />
einem Rohstoff, um den international konkurriert wurde. Vor diesem<br />
Hintergrund ist es selbstverständlich, dass sich die Aufmerksamkeit<br />
der Papierproduzenten dem mengenmässig bedeutendsten<br />
Naturprodukt zuwandte, dem Holz.<br />
Holz ist zur Papierherstellung nicht ohne weiteres verwendbar,<br />
sondern muss mechanisch und /oder chemisch aufbereitet werden.<br />
Ein naheliegen<strong>des</strong> Konzept war der Holzschliff, die mechanische<br />
Zerreibung von Holz zu einem Faserbrei. Ein funktionstüchtiges<br />
Konzept stellte 1844 der Sachse Friedrich Gottlob Keller (1816<br />
– 1895) vor. Der Holzschliff konnte einen Teil der eingesetzten<br />
Lumpen substituieren, speziell bei anspruchslosen Papiersorten wie<br />
Pappe. Den industriellen Durchbruch erlebte das Konzept allerdings<br />
erst auf der Weltausstellung 1867, als das Heidenheimer Unternehmen<br />
J. M. Voith leistungsfähige Schleifmaschinen präsentierte.<br />
Holz besteht zu einem relativen hohen Anteil aus dem Faser-
kitt Lignin, einem phenolischem Makromolekül, das im eigentlichen<br />
Sinne für die Verholzung von Pflanzenzellen verantwortlich ist. Da<br />
man in der Papierherstellung an dem reinen Fasermaterial interessiert<br />
ist, war es nahe liegend, das Lignin auf chemischem Wege<br />
zu entfernen. Der resultierende Zellstoff hat gegenüber Holzschliff<br />
einen höheren Anteil von Fasern, die zudem länger und geschmeidiger<br />
sind sowie einen höheren Weissgrad besitzen.<br />
Die Engländer Charles Watt und Hugh Burgess erhielten 1853<br />
ein Patent auf die Erzeugung von Natronzellstoff (Sulfatzellstoff ).<br />
Dabei werden Holzschnitzel mehrere Stunden in Natronlauge gekocht.<br />
Etwa 85 % <strong>des</strong> heute weltweit erzeugten Zellstoffes ist Natronzellstoff.<br />
Der restliche Anteil ist Sulfitzellstoff, der als qualitativ<br />
höherwertig gilt. Bei seiner Herstellung wird das Natron durch Säure<br />
ersetzt. Dieses Verfahren wurde um 1865 unabhängig in Schweden,<br />
Deutschland (Alexander und Richard Mitscherlich) und<br />
den USA (Benjamin Chew Tilghman) entwickelt. Trotz der mit<br />
der Zellstoffgewinnung verbundenen Umweltbelastung wuchs die<br />
Papiererzeugung schnell zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig<br />
heran. So betrug um 1900 die deutsche Papierproduktion bereits<br />
674’000 Tonnen, bei stark steigender Tendenz.<br />
2.2.2 Weiterentwicklung der Druckmaschinen<br />
Aus heutiger Sicht ordnet man dem 19. Jahrhundert vor allem die<br />
Entwicklung der dampfbetriebenen Rotationsdruckmaschinen zu,<br />
welche eng mit den Bedürfnissen <strong>des</strong> Zeitungswesens verbunden<br />
sind. Im Buch- oder Akzidenzdruck hat die klassische Tiegelpresse,<br />
Fundament und Gegendruckelement (Tiegel) sind Planflächen, jedoch<br />
bis weit ins 20. Jahrhundert ihre Vormachtstellung behaupten<br />
können. Das Konzept wurde dabei zwar gewahrt, aber an die industriellen<br />
Anforderungen angepasst. Die Industrialisierung brachte<br />
zunächst einmal eine höhere Verfügbarkeit von Stahl, die seit etwa<br />
1800 einen sichtbaren Einfluss auf die Konstruktion handbetriebener<br />
Tiegelpressen ausübte. Mitte <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts wurden<br />
diese Handdruckpressen in den USA zu automatischen Druck-<br />
11<br />
H e i d e l b e r g e r T i e g e l 1914 –1984<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
F r i e d r i c h K o e n i g ( 17 74 – 18 3 3 )<br />
erste Zylinderdruckmaschine 1812<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
9<br />
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Schnellpresse L o n d o n T i m e s (1814)<br />
klaus simon<br />
halbrunde Stereoplatte<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
11<br />
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12<br />
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12<br />
maschinen weiterentwickelt. Den Systemen Gordon, Liberty, Boston,<br />
und Gally war gemeinsam, dass das Fundament und Tiegel<br />
vertikal angeordnet waren. Funktionell zeichneten sie sich durch eine<br />
höhere Druckleistung, eine kompaktere Bauart sowie einer integrierten<br />
Farbzuführung aus, welche aus dem Schnellpressendruck<br />
übernommen wurde.<br />
Der letzte entscheidende Durchbruch, der automatische Papierbogenanleger,<br />
gelang 1913 dem Kölner Buchdrucker Gilke, der das<br />
Patent für seinen Propellergreifer umgehend der heutigen Heidelberger<br />
Druckmaschinen AG überliess. Nicht zuletzt diese Neuerung<br />
machte den Original Heidelberger Tiegel, der zwischen 1914<br />
und 1984 160’000 mal produziert wurde, zur erfolgreichsten Buchdruckmaschine<br />
der Welt.<br />
Die heute vorherrschende Drucktechnik ist der Rollenoffset. Das<br />
Attribut Rollen steht dabei für das Druckprinzip mit Zylindern als<br />
Fundament und Gegendruckelement. Die Anfänge dieser Technik<br />
gehen zurück auf Friedrich Koenig (1774 – 1833), der 1811 /12<br />
eine dampfbetriebene Druckmaschine nach dem Fläche-Zylinder-<br />
Prinzip entwickelte. Der Zylinder diente als Gegendruckelement.<br />
Da der erste prominente Kunde und Geldgeber, John Walter, der<br />
Verleger der Londoner Times, vor allem Wert auf die Druckgeschwindigkeit<br />
legte, wurde das Konzept als Schnellpresse bekannt.<br />
Ausser einer höheren Druckleistung verfügte die Maschine über<br />
eine integrierte Farbzuführung und eine verbesserte Papierzuführung.<br />
Mit ihr war es möglich, die Times in einigen Stunden zu produzieren.<br />
Die von Friedrich Koenig im Anschluss gegründete Unternehmung<br />
Koenig & Bauer im Kloster Oberzell bei Würzburg<br />
existiert bis heute und gilt als die Wiege <strong>des</strong> internationalen Druckmaschinenbaus.<br />
Die nächste konsequente Verbesserung <strong>des</strong> Druckkonzepts war<br />
die gänzliche Abkehr von der Flachform, d.h. nicht nur das Gegendruckelement<br />
zylinderförmig zu gestalten, sondern auch das Fundament.<br />
Die entscheidende Voraussetzung war dazu die Verfügbarkeit<br />
von gleichfalls zylinderförmigen Druckformen. Die im Rahmen <strong>des</strong><br />
Bleisatzes offensichtliche Lösung war die Verwendung von keilför-
migen Typen, die zu einer Rundform zusammengesetzt werden. Obwohl<br />
dem Engländer William Nicholson bereits 1790 ein entsprechen<strong>des</strong><br />
Patent erteilt worden war, 3 gelang die Verwirklichung der<br />
Keiltypenrotation erst 1846 durch Sir Rowland Hill. 4 In der Folgezeit<br />
wurden verschiedene Rotationsdruckmaschinen entwickelt,<br />
erwähnt seien Applegath (1846, im Auftrag der Times), R. Hoe<br />
(1846) und Hippolythe Marinoni (1847, Schön- und Widerdruck<br />
in einem Arbeitsgang). Das Problem dieser Maschinen war, dass die<br />
keilförmigen Typen zwar die Lösbarkeit <strong>des</strong> Satzproblemes nachgewiesen<br />
hatten, praktisch aber keine überzeugende Lösung waren.<br />
Die Suche nach effizient herstellbaren runden Druckformen führte<br />
zur Stereotypie. Mit dem Erfolg <strong>des</strong> Buchdrucks in den vorangegangenen<br />
Jahrhunderten hatte sich auch ein Bedarf an praktikablen<br />
Nachdruckverfahren ergeben. Dabei hatte sich zur Abformung<br />
von Schrift- und Bildelementen die Gussplattenkopie bewährt.<br />
Insbesondere der Edinburgher Goldschmied William Ged<br />
(1690 – 1747) hatte vorgeschlagen, die gesetzte Druckform in Gips<br />
zu drücken und das so gewonnene Negativ mit Blei auszugiessen.<br />
Diese Art der Druckplattenerzeugung erhielt später von dem Pariser<br />
Schriftgiesser Firmin Didot 5 den Namen Stereotypie. Die<br />
Gipsstereotypie wurde dann Mitte <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts weiterentwickelt.<br />
Das Rundbiegen einer Stereoplatte war eine technisch offensichtliche<br />
Lösung für Rotationsdruckmaschinen.<br />
Im Auftrag <strong>des</strong> New York Herald entwickelte Charles Craske<br />
1854 halbrunde Stereotypieplatten. Eine darauf abgestimmte<br />
Rotationsdruckmaschine wurde 1859 von dem Erfinder William H.<br />
Bullock vorgestellt. Sein Maschinenkonzept erwies sich in der Folge<br />
als wegweisend. Aber auch die Times experimentierte seit 1856<br />
mit dieser Technik und beauftragte 1866 J. Calverley mit dem Bau<br />
einer entsprechenden Zeitungsrotationsmaschine.<br />
Dem innovativen Konzept dieser Maschine folgten schnell auch<br />
3 seine Druckmaschine wurde ocenbar nie gebaut<br />
4 Sein Patent datiert auf das Jahr 1835, eine entsprechende Maschine wurde<br />
aber erst 11 Jahre später fertig gestellt.<br />
5 der unter Napoleon die Kaiserliche Schriftgiesserei leitete<br />
13<br />
Zeitungsrotationsmaschine M A N 1873<br />
klaus simon<br />
Mechanisierung der Schreib- und Satztechnik<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
✧ Handsatz nach Gutenberg wird zum Engpass der Presse<br />
✧ 1867 – 72 erste funktionierende Schreibmaschinen<br />
➙ Christopher Latham Sholes (1819 – 1890) und Partner<br />
➙ 1873 Serienreife bei Remington, Durchbruch 1880 – 1890<br />
✧ 1886 Ottmar Mergenthaler: Linotype (bis 1970)<br />
➙ Durchbruch der Mechanisierung <strong>des</strong> Bleisatzes<br />
➙ Tastatureingabe stellt Gussform zusammen<br />
✛ Adaption der Schreibmaschine<br />
➙ automatischer Guss einer Textzeile<br />
✧ 1897 Tolbert Lanston (1844 – 1913): Monotype<br />
➙ Tastatureingabe erzeugt Lochstreifen<br />
➙ Lochstreifen steuert Typengiessmaschine<br />
➙ hohe Qualität und Funktionalität<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
13<br />
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14<br />
Bleisatz: Drucktypen und Winkelhacken<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
C . L . S h o l e s ( 1819 – 18 9 0 ) mit Tochter<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
15<br />
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16<br />
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14<br />
die deutschen Konkurrenten mit Eigenentwicklungen, so MAN Roland<br />
1873 und Koenig & Bauer 1875. Mit diesen neuen Maschinen<br />
waren die technischen Voraussetzungen für die Massenpresse endgültig<br />
gegeben.<br />
2.2.3 Mechanisierung der Schreib- und Satztechnik<br />
Durch die Fortschritte der Druckmaschinen hatte sich ein neuer<br />
Engpass in der Druckproduktion herausgebildet, die Satztechnik.<br />
Trotz intensiven Bemühungen hatte sich der seit Gutenbergs Zeiten<br />
im Wesentlichen unveränderte Handsatz der Mechanisierung<br />
verweigert. Der Handsatz war eine mühselige Angelegenheit, zunächst<br />
mussten die Typen in Winkelhaken 6 aufgereiht werden. Es<br />
folgten das Ausschliessen, das Einfüllen von Trennstreifen (Spatien)<br />
zum Zwecke <strong>des</strong> Randausgleiches, und das Einpassen der Zeile<br />
in die Druckform. Nach dem Druck mussten die Lettern wieder in<br />
die Setzkästen eingeordnet werden. Die Konsequenz der misslungenen<br />
Rationalisierung der Satztechnik war ein Beschäftigungsverhältnis<br />
von 1 : 6 zwischen Druckern und Schriftsetzern. Insbesondere<br />
im Zeitungsbereich wurde die Situation Ende <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts<br />
als so dringlich empfunden, dass man mit Wettbewerben und<br />
Preisausschreibungen das Interesse der Erfinder auf dieses Problem<br />
zu lenken versuchte.<br />
Die entscheidende Innovation, die schliesslich zur Mechanisierung<br />
der Satztechnik führte, erfolgte jedoch nicht in der Druckbranche,<br />
sondern in der Bürokommunikation, nämlich die Entwicklung<br />
einer funktionsfähigen Schreibmaschine. Die in der Industrialisierung<br />
entstandenen Grossunternehmen waren hierarchisch strukturiert<br />
und in viele Teilbereiche gegliedert. Die Kommunikation erfolgte<br />
primär schriftlich und wurde in Akten dokumentiert und somit<br />
wurde in der Büroorganisation die Entwicklung einer effizienten<br />
Schreibmaschine in der zweiten Hälfte <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts<br />
dringlich.<br />
6 siehe Folie 15
Das Thema Schreibmaschine war allerdings in Erfinderkreisen<br />
nicht neu, ganz im Gegenteil, es wurde seit Jahrzehnten intensiv bearbeitet<br />
und diskutiert. So regte 1867 ein einschlägiger Artikel im<br />
Scientific American den amerikanischen Zollangestellten Christopher<br />
Latham Sholes (1819 – 1890) an, sich mit dem Thema<br />
auseinander zu setzen. In den Jahren 1867 – 1872 baute Sholes mit<br />
einer Gruppe von Gleichgesinnten etwa 25 – 30 Modelle, von denen<br />
die <strong>letzten</strong> durchaus über die Attribute moderner Schreibmaschinen<br />
verfügten. Sholes und seine Geldgeber benötigten jedoch noch<br />
einen potenten Industriepartner, der ihren Prototypen zur Serienreife<br />
verhalf und das Marketing übernahm.<br />
Sie fanden ihn in der Waffenfabrik Remington, die nach dem Ende<br />
<strong>des</strong> amerikanischen Bürgerkrieges eine Diversifizierungsstrategie<br />
verfolgte. Remington optimierte das Maschinenkonzept, übernahm<br />
die Produktion und im Laufe der 70er Jahre auch den Vertrieb.<br />
Auf Grund <strong>des</strong> hohen Preises von 125 $ und einer noch nicht<br />
völlig ausgereiften Technik startete der Absatz eher bescheiden.<br />
Der Durchbruch geschah dann in den 80er Jahren. Zwischen 1880<br />
und 1890 stieg der Absatz von 700 auf 65’000 Maschinen pro Jahr,<br />
und in den folgenden Jahren explodierte der Markt. Schnell wurde<br />
die Schreibmaschine zur Ikone der modernen Büroorganisation<br />
mit dem für den Schriftsatz angenehmen Nebeneffekt, dass handgeschriebene<br />
Manuskriptvorlagen rasch der Vergangenheit angehörten.<br />
Eine Schreibmaschine und eine Schriftsatzmaschine haben eine<br />
ähnliche Funktion, und die Fortschritte bei der Schreibmaschine<br />
blieben <strong>des</strong>halb vom Schriftsatz nicht lange unbemerkt. In den<br />
Jahren 1876/77 machten einschlägig Interessierte den jungen deutschen<br />
Feinmechaniker Ottmar Mergenthaler (1854 – 1899) mit<br />
dem Problem <strong>des</strong> Setzens bekannt, indem sie ihn mit dem Bau einer<br />
Schreibmaschinenadaption für Stereotypieanwendungen beauftragten.<br />
Mergenthaler war als Achtzehnjähriger in die USA immigriert<br />
und arbeitete nun in einer Werkstatt, die unter anderem<br />
Prototypen anfertigte, die nach amerikanischem Recht für eine Patentanmeldung<br />
notwendig waren. 1883 machte er sich in Baltimore<br />
15<br />
Remington-Schreibmaschinen 1880 und 1897<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
O . M e r g e n t h a l e r (1854 – 99) und L i n o t y p e<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
17<br />
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18<br />
M o n o t y p e<br />
klaus simon<br />
Druck wird Massenmedium<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
✧ überregionale Märkte erfordern Massenkommunikation<br />
✧ primäre Nachfrage für Druckerzeugnisse<br />
➙ Träger von Wissen, Bildung und Unterhaltung<br />
✛ allgemeine Schulpflicht, Technische Hochschulen, ETH 1855<br />
➙ Öffentlichkeit als staatliches Organisationsprinzip<br />
✛ Informations- und Meinungsmarkt (politische Partizipation)<br />
➣ Presse, Pressezensur, Medienkratie<br />
➙ Werbung wird grösster Druckmarkt<br />
✛ Anzeigen, Kommunikations<strong>des</strong>ign, Verpackungen<br />
✧ neue Berufsbilder und Organsisationsformen<br />
➙ Journalisten, Fotografen, Designer<br />
➙ Bürokommunikation, Marketing, Vertrieb<br />
➙ Tendenz: Arbeitsteilige Organisation<br />
✧ Medienkonzerne nicht auf den Druck beschränkt<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
19<br />
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20<br />
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16<br />
selbständig und stellte im Folgejahr einen Prototyp einer neuen revolutionären<br />
Setzmaschine vor.<br />
Die Eingabe erfolgte wie bei einer Schreibmaschine über eine<br />
Tastatur. Damit stellte man aus einer Menge von Matrizen die<br />
Gussform einer Zeile zusammen. Die Zeile selbst wurde dann mit<br />
Blei ausgegossen. Noch im selben Jahr wurde die National Typography<br />
Company gegründet, welche am 3. Juli 1886 bei der New<br />
York Tribune die erste Blower-Maschine in Betrieb nahm. Mergenthaler<br />
gründete 1886 die Mergenthaler Printing Co., die<br />
sich 1890 mit der National Typography Co. zur Mergenthaler<br />
Linotype Co. verband. Mit diversen Verbesserungen, insbesondere<br />
der Integration eines fremden Patentes zum automatischen Randausgleich,<br />
erreichte Mergenthalers Technik 1889 mit der Linotype<br />
Simplex ihre endgültige Gestalt, die fast ein Jahrhundert<br />
mehr oder weniger unverändert bestand. Eine Effizienzsteigerung<br />
um den Faktor 5 gegenüber dem Handsatz sicherte der Linotype<br />
eine explosionsartige Verbreitung. Bemerkenswert ist, dass das rasante<br />
Branchenwachstum die Rationalisierungseffekte vollständig<br />
kompensierte und die Gesamtzahl der beschäftigten Schriftsetzer<br />
sogar noch anstieg. So verzehnfachte sich etwa die Auflage amerikanischer<br />
Zeitungen von 3.6 Millionen auf 33 Millionen pro Tag.<br />
Eine von der Linotype unabhängige Entwicklung führte zur Monotype.<br />
Der Name deutet daraufhin, dass hier jeder Letter einzeln<br />
gegossen wurde. Die Maschine wurde von dem Juristen und Erfinder<br />
Tolbert Lanston (1844 – 1913) in einem langjährigen Verbesserungsprozess<br />
entwickelt und seit 1897 in Serie gebaut. Interessant<br />
ist die Trennung von Satz und Giessvorgang. Die Ausgabe<br />
der Satzmaschine ist ein Lochstreifen, der dann die Steuerung der<br />
Giessmaschine übernimmt. Dies erlaubt, unter anderem, Korrekturen<br />
am Lochstreifen vorzunehmen oder Teile <strong>des</strong>selben zu ersetzen.<br />
Während die Linotype vor allem im Zeitungssatz Verbreitung fand,<br />
wurde die Monotype bei Zeitschriften und Büchern mit ihrer höheren<br />
Funktionalität bzw. Qualität bevorzugt. Die Monotype erreichte<br />
aber nur etwa 20 % <strong>des</strong> Absatzes der Linotype.
2.3 Druck wird Massenmedium<br />
Eisenbahn und Telegraphie, die beiden spektakulärsten Errungenschaften<br />
der ersten Hälfte <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts, schufen neue überregionale<br />
Märkte, sowohl für Waren als auch für Informationen,<br />
Meinungen oder Politik. Um diese Märkte bedienen zu können, benötigte<br />
man neue Arten der Kommunikation, eben eine Massenkommunikation.<br />
Durch die enormen Rationalisierungen der Drucktechnik waren<br />
Druckerzeugnisse ausreichend billig geworden, um diese Aufgabe<br />
zu erfüllen. Man denke etwa an das Entstehen <strong>des</strong> Versandhandels<br />
per Katalog. Die Druckindustrie wurde zum ersten Massenmedium,<br />
wobei Medien als Kommunikationsmittel zur Verbreitung<br />
von Wissen durch Zeichen, Bilder, Druck, Film, TV usw. an ein<br />
grösseres Publikum verstanden werden. Bezüglich der Tendenzen<br />
zum Unternehmenswachstums bzw. zur -organisation unterschieden<br />
sich die Druckunternehmen nicht vom restlichen Marktgeschehen,<br />
d.h. auch die Druckindustrie wurde bald von Grossunternehmen<br />
wie Pressekonzernen und überregionalen Verlagshäusern dominiert.<br />
Das Selbstverständnis dieser Druckunternehmungen als<br />
Medienkonzerne erlaubte ihnen später die zwangslose Integration<br />
anderer Medien wie Film oder TV.<br />
Die erste offensichtliche Ursache für die wachsende Nachfrage<br />
nach Druckerzeugnissen im 19. Jahrhundert war die Funktion <strong>des</strong><br />
Drucks als Träger von Wissen, Bildung und Kommunikation. Die<br />
allgemeine Schulpflicht hatte die Nachfrage nach Literatur erhöht<br />
und das Zielpublikum erweitert. Die technische Entwicklung stützte<br />
sich auf die Fachkompetenz der Facharbeiter, Techniker und Ingenieure.<br />
Technische Universitäten wurden eingerichtet, um die industrielle<br />
Nachfrage zu decken. 7 Noch heute sind Lehrbücher ein gewichtiger<br />
Teil <strong>des</strong> Buchmarktes. Dazu kam ein allgemeines Interesse<br />
an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, wie es sich beispielsweise<br />
in einem Konversationslexikon ausdrückte. Ein solches enthielt das<br />
7 die ETH, siehe Folie 21 (unten), wurde 1855 gegründet<br />
17<br />
Bildung und Wissenschaft<br />
Öffentlichkeit<br />
klaus simon<br />
klaus simon<br />
ETH seit 1855<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
21<br />
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22<br />
D a i l y T e l e g r a p h O f f i c e 1 8 8 2 ( F l e e t S t r e e t )<br />
klaus simon<br />
Litfaßsäule, seit 1855 in Berlin<br />
klaus simon<br />
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technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
23<br />
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24<br />
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18<br />
Wissen, das der Bildungsbürger für eine angeregte Salonunterhaltung<br />
benötigte.<br />
Die Presse verdankt ihre Entstehung dem Organisationsprinzip<br />
moderner Staaten, nämlich der Öffentlichkeit. Die zunehmende Partizipation<br />
<strong>des</strong> Bürgers an der Politik verlangte nach einer permanenten,<br />
aktuellen, billigen und umfassenden Information über das<br />
politische bzw. gesellschaftliche Geschehen.<br />
Die Bedeutung <strong>des</strong> Öffentlichkeitsprinzips sieht man z.B. daran,<br />
dass deutsche Gesetze erst durch Veröffentlichung, sprich durch<br />
den Abdruck im Bun<strong>des</strong>anzeiger, Gültigkeit erlangen. Die gesellschaftliche<br />
Relevanz der Presse kann man an den staatlichen Versuchen<br />
abzählen, sie zu kontrollieren. Begriffe wie Pressezensur,<br />
Propaganda, Medienkratie oder Pressefreiheit beleuchten die gesellschaftliche<br />
Funktion der Presse.<br />
Das dritte und wichtigste neue Betätigungsfeld war die Werbung.<br />
Überregional vertriebene Produkte müssen dem potentiellen Kunden<br />
bekannt gemacht werden. So stiegen etwa die Werbeausgaben<br />
in den USA zwischen 1867 bis 1916 /1917 von 50 Millionen Dollar<br />
auf 1.5 Milliarden Dollar. Heute sind mehr als 60 % aller Drucksachen<br />
direkt oder indirekt mit Werbung verbunden.<br />
Die Industrialisierung brachte neue Berufsbilder und Organisationsformen<br />
hervor, die bis heute erhalten geblieben sind. So erfüllt<br />
ein Journalist offenbar die Bedürfnisse der Presse und ein Graphik-<br />
Designer diejenigen der Werbung. Bezüglich der Organisationsformen<br />
ist besonders die Bürokommunikation zu erwähnen. In gewissem<br />
Sinne kann sie als kleine Massenkommunikation verstanden<br />
werden. Es wundert denn auch nicht, dass die technischen Entwicklungen<br />
der Bürokommunikation, wie z.B. die Schreibmaschine, siehe<br />
Abschnitt 2.2.3, einen Einfluss auf entsprechende Drucktechniken<br />
ausübten. Bemerkenswerterweise erleben wir heutzutage mit<br />
dem Desktop Publishing eine ganz analoge Entwicklung.
2.4 Entwicklung der Bildreproduktion<br />
Im vorangegangenen Abschnitt haben wir die Mutation eines<br />
Kunsthandwerks zum industriellen Massenmedium skizziert. Dabei<br />
haben wir uns im Wesentlichen auf die Verbreitung von Schrift<br />
konzentriert. Unser eigentliches Thema, die Bildreproduktion, haben<br />
wir also bisher ausgeklammert. Dies hat sowohl funktionale als<br />
auch historische Gründe.<br />
Obwohl Bilddarstellungen bereits seit Gutenberg als Holzschnitt<br />
oder Kupferstich im Buchdruck präsent waren, nahm die<br />
Entwicklung der Schriftreproduktion und die Bildwiedergabe gerade<br />
im 19. Jahrhundert doch sehr verschiedene Wege. Die Schriftreproduktionstechnik<br />
war primär ein Optimierungsprozess der vorhandenen<br />
Technik, ausgerichtet auf das gesellschaftliche Bedürfnis<br />
von schnell verfügbarer, billiger Information. Man beachte, dass der<br />
Buchdruck bis in die 60er Jahre <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts die vorherrschende<br />
Drucktechnik blieb. Dagegen war die Bildreproduktion im<br />
19. Jahrhundert durch die Entdeckung neuer innovativer Techniken<br />
geprägt, speziell von der Entwicklung <strong>des</strong> Steindrucks und der<br />
Fotografie.<br />
Ihr Durchbruch zum Massenmedium erfolgte zwischen 1880 –<br />
1890 durch die Integration der fotomechanischen Bildwiedergabe in<br />
den Buchdruck, bekannt als Halftoning. Im 20. Jahrhundert richtete<br />
sich die Drucktechnik dann zunehmend an der Bildreproduktion<br />
aus. Seit etwa 1970 ist der Offsetdruck, hervorgegangen aus dem<br />
Steindruck, die dominante Drucktechnik. Parallel dazu erlebte der<br />
Fotosatz seinen Aufstieg, mit der Konsequenz, dass eine aus Sicht<br />
der Drucktechnik eigenständige Schriftreproduktion entfiel, d.h. gedruckt<br />
wurden nur noch Bilder. Auch die Digitalisierung der Drucktechnik<br />
hat an diesem Zustand nichts geändert.<br />
2.4.1 Holzschnitte und Kupferstiche<br />
Eine der Veränderungen, die das ausklingende europäische Mittelalter<br />
kennzeichneten, war das zunehmende Interesse an Bildung.<br />
19<br />
Werbung<br />
Holzschnitte<br />
klaus simon<br />
✧ entstehender Büchermarkt im Spätmittelalter<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
➙ Universitäten: Salerno 1050, Bologna 1119, Paris 1150<br />
➙ öffentliche Schulen in Städten um 1400<br />
➙ Stadtbibliotheken: Nürnberg 1429, Regensburg 1430, Ulm 1439<br />
✧ Trennung von Text und Bild<br />
➙ Zünfte für Scriptoren (Schreiber) u. Illuminatoren (Graphiker)<br />
✧ Illustrationen für Analphabeten (Massenmarkt)<br />
✧ Holzschnitte: erhabene Druckformen aus Hartholz<br />
➙ Produktion von Spielkarten, nach 1377<br />
➙ Einzelblattdrucke ab 1418 nachgewiesen<br />
➙ neue Kunstform durch Integration in Buchdruck<br />
➙ technische Beschränkungen (keine Halbtöne)<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
25<br />
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26<br />
Kartenspiele (15. Jahrhundert)<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
Buxheimer Christopherus und Biblia Pauperum<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
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20<br />
Dies äusserte sich zunächst in der Gründung von Universitäten (Salerno<br />
1050, Bologna 1119, Paris 1150). Ab etwa 1400 entstanden in<br />
den deutschen Städten auch öffentliche Schulen. Das Interesse an<br />
Bildung führte zum Entstehen eines Buchmarktes.<br />
Aus Bologna sind beispielsweise Gesetze aus dem Jahre 1259<br />
bekannt, die sich auf das Verleihen und Vervielfältigen von juristischen<br />
Handschriften beziehen. Aus juristischen Handbüchern<br />
der Städte entwickelten sich dann die Stadtbibliotheken (Nürnberg<br />
1429, Regensburg 1430, Ulm 1439).<br />
Die steigende Nachfrage nach Büchern wurde in Zünften befriedigt,<br />
die sich auf die gewerbliche Herstellung von Handschriften<br />
spezialisierten. Äusserst aufschlussreich ist die Unterscheidung<br />
zwischen Scriptoren (Schreibern) und Illuminatoren (Graphikern),<br />
so beispielsweise in den Gründungsurkunden der Libraries Gilden<br />
1454 in Gent und Brügge dokumentiert. Dies zeigt, dass die<br />
vorgängig angesprochene Trennung von Schrift und Bildreproduktionstechniken<br />
auf mittelalterliche Traditionen zurückgeht, und zur<br />
Zeit <strong>des</strong> aufkeimenden Buchdrucks bereits voll etabliert war. Die<br />
Trennung hatte in<strong>des</strong>sen nicht nur produktionstechnische Gründe.<br />
Zumin<strong>des</strong>t teilweise hatte man verschiedene Zielgruppen. Die<br />
weitaus überwiegende Mehrheit der Bevölkerung bestand nämlich<br />
aus Analphabeten. Aber zum Verständnis von Bildern musste man<br />
nicht der Schrift kundig sein und das Sprichwort behauptet sowieso:<br />
≪Ein Bild sagt mehr als tausend Worte ≫.<br />
In Folge <strong>des</strong>sen existierte für Bilddarstellungen ein separater<br />
Teilmarkt, zunächst für Einzelbilder, später auch für Bilderbücher<br />
(Blockbücher). Typisch hierfür waren christliche Motive, wobei Texten<br />
allenfalls eine Hilfsfunktion zukam. Genau wie bei der Schriftreproduktion<br />
versuchte man auch im Bereich der Illustration die<br />
wachsende Nachfrage durch Optimierung der Arbeitstechniken, hin<br />
zu einer mechanischen Vervielfältigung, zu befriedigen.<br />
Die erste Technik, die sich im Kontext der gewerblichen Buchproduktion<br />
durchsetzen konnte, war der Holzschnitt. Hierbei wird<br />
eine Druckform aus Hartholz eingefärbt, mit Papier bedeckt und<br />
dann mit einem Falzbein abgerieben. Die Druckform ist wie beim
Bleisatz erhaben, d.h. die nicht druckenden Teile wurden mit einem<br />
Grabstichel ausgehoben. Der Holzschnitt kam als eine offensichtliche<br />
Fortführung von Stempeltechniken, die z.B. als Siegel von Beginn<br />
an in der Kulturgeschichte der Menschheit vertreten waren,<br />
aufgefasst werden.<br />
Der konkrete Anlass, der den Holzschnitt grossflächig populär<br />
machte, war wohl die Produktion von Spielkarten, die sich gegen<br />
Ende <strong>des</strong> 14. Jahrhundert explosionsartig ausbreitete. 8 Als frühe<br />
Massenartikel verlangten Spielkarten nach einer standardisierten,<br />
effizienten Produktionstechnik, die der Holzschnitt liefern konnte.<br />
Die dazu benötigten kunsthandwerklichen Fähigkeiten im Bereich<br />
<strong>des</strong> Holzschnitzens waren im spätmittelalterlichen Europa weit verbreitet,<br />
z.B. als Modellstecherei für Zuckerwaren. In der Folge erweiterten<br />
die Spielkartenproduzenten ihr Angebot mit Heiligenbildern,<br />
zunächst im Spielkartenformat, die dann an einschlägigen<br />
Wallfahrtsorten vertrieben wurden. Heisst es doch 1395 in Bologna<br />
von einem Federico di Germaniae: Er stellt ≪Cartas fi gurates et<br />
picas ad imagines et figurasa sanetorum ≫ her. 9 Dass dies kein Einzelfall<br />
war, belegt etwa die Besteuerung von Holzschnitten zur Produktion<br />
von Spielkarten und Heiligenbildern im Florenz <strong>des</strong> <strong>Jahres</strong><br />
1430.<br />
Zu den frühesten datierten Einzelblattholzschnitten gehören<br />
• Maria mit dem Kinde, 1418, und der<br />
• Buxheimer Christopherus, 1423.<br />
Fügte man solche Einzelblattsammlungen zusammen, so erhielt<br />
man zwanglos ein Buch. Die in der Frühzeit <strong>des</strong> Holzschnittes verwendeten<br />
wasserlöslichen Tinten neigten zum Durchschlagen, so<br />
dass die Rückseite eines Druckes nicht weitergenutzt werden konnte.<br />
Man klebte also die einseitig bedruckten Seiten an den Rückseiten<br />
aneinander. Die so erzeugten Bildbände, mit thematisch zusammenhängenden<br />
Bildfolgen, sogenannte Blockbücher, etablierten<br />
sich parallel zum Textbuch.<br />
8 1377 aus dem arabischen Raum nach Italien importiert<br />
9 aus Hans Jürgen Wolf [12, S.783]<br />
21<br />
Schedelsche Weltchronik, 1493: Totentanz<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
A b e n d m a h l — Albrecht Dürer (1471 – 1528)<br />
klaus simon<br />
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Kupferstich<br />
✧ um 1400 entwickelte Bilddrucktechnik<br />
➙ wohl aus Kopiertechniken von Gravuren (Niellos)<br />
➙ ältester datierter Kupferstich 1446 (Geisselung Christi)<br />
➙ von 1600 – 1800 vorherrschende Illustrationstechnik<br />
✧ Vertiefungen der Kupferplatte farbführend und druckend<br />
➙ grösseren Farbübertrag, feinere Strukturen<br />
✧ als künstlerisch höherwertige Alternative verstanden<br />
✧ komplexere Drucktechnik<br />
➙ Fläche/Zylinder-Druck, dünnflüssige Farben, rauhes Papier, . . .<br />
✧ einer der Wurzeln der modernen Bildreproduktion (Tiefdruck)<br />
➙ permanent verbesserte Techniken der Halbtonwiedergabe<br />
✛ Ätzung von Kupferplatten führten zur Fotografie<br />
klaus simon<br />
Kupferstichpresse und Schrotblatt<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
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22<br />
Zu grosser Blüte gelangte der Holzschnitt jedoch erst durch seine<br />
Integration in Gutenbergs Drucktechnik. Die erste bekannte<br />
Vereinigung <strong>des</strong> neuen Typendrucks mit dem Holztafeldruck gelang<br />
Albrecht Pfister 1461 in Bamberg mit der Fabelsammlung<br />
Bonders Edelstein. Im vorausgedruckten Text wurde der Platz<br />
für den nachträglich eingefügten Holzschnitt ausgespart. Im Jahre<br />
1472 realisierte Günter Zainer dann den gleichzeitigen Druck<br />
von Text und Illustration in einem Arbeitsgang. Bereits in der 1493<br />
in Nürnberg erschienenen Weltchronik von Hartmann Schedel<br />
(1440 – 1514) war der Holzschnitt fest etabliert. Sie enthält 1809<br />
Holzschnitte nach Entwürfen von W. Pleydenwurff und M. Wolgemuts.<br />
Der Holzschnitt entwickelte sich schnell zu einer neuen<br />
Kunstform. Bedeutende Werke schufen Albrecht Dürer (1471 –<br />
1528), Tizian (Tiziano Vecellio, 1488 – 1576), Lucas Cranach<br />
der Ältere (1472 – 1553) oder Lucas van Leyden (1494 – 1533).<br />
Als historisch bedeutender erwies sich allerdings die zweite Bildreproduktionstechnik,<br />
die sich gleichfalls in der Zeit <strong>des</strong> entstehenden<br />
Buchdrucks ausbreitete, nämlich der Kupferstich. Seine Ursprünge<br />
werden im Allgemeinen in Ritzzeichnungen und Ätztechniken<br />
gesehen, etwa im Kontext der Goldschmiedekunst. 10 Im Besonderen<br />
vermutet man einen Zusammenhang mit Kopier- und Ätztechniken<br />
für Gravuren, die seit der Antike für Waffen oder Kunstgegenstände<br />
üblich waren, bekannt als Niellos. Als Bildreproduktionstechnik<br />
tritt der Kupferstich etwa um 1400 in Erscheinung und<br />
zwar in Form der noch recht simplen Schrotblätter, so bezeichnet auf<br />
Grund der schrotkornähnlichen Punktformen. Der älteste datierte<br />
Kupferstich, die<br />
Geisselung Christi von Peter Zanndio,<br />
stammt aus dem Jahre 1446.<br />
Obwohl der Kupferstich im Vergleich zum Holzschnitt schnell als<br />
künstlerisch höherwertiges Verfahren überzeugte, konnten seine<br />
speziellen technischen Probleme nicht so schnell ausgeräumt werden.<br />
Trotz <strong>des</strong> grossen Interesses, das die einschlägigen Kunstwer-<br />
10 Auch Gutenberg werden entsprechende Beziehungen nachgesagt.
ke von Albrecht Dürer und seiner Kollegen bewiesen, konnte der<br />
Kupferstich den Holzschnitt erst ca. um 1600 verdrängen.<br />
Die Technik <strong>des</strong> Kupferstichs ist im gewissen Sinne dem Buchdruck<br />
entgegengesetzt. Die druckenden Teile sind nicht die erhabenen<br />
Stellen der Druckform sondern die durch Stich oder Ätzung<br />
erzeugten Vertiefungen. Beim Druck werden dann die Vertiefungen<br />
mit dünnflüssiger Druckfarbe gefüllt. Die nicht druckenden Teile<br />
müssen sorgfältig gereinigt werden.<br />
Die Technik <strong>des</strong> Kupferstiches hat Vor- und Nachteile. Der hohe,<br />
deckende Farbübertrag im Zusammenhang mit den feineren,<br />
flexibleren Bearbeitungsmöglichkeiten einer Metallplatte, führten<br />
schnell zu einer künstlerischen Bevorzugung <strong>des</strong> Kupferstiches. Andererseits<br />
erfordert der Kupferstich eine anspruchsvollere Drucktechnik.<br />
Verfahrensbedingt ist ein höherer Anpressdruck erforderlich,<br />
der von Beginn an den Flächen-Zylinder-Druck erforderte. 11<br />
Um den Farbübertrag zu gewährleisten, benötigt man dünnflüssige<br />
Farben sowie aufgerautes, saugfähiges Spezialpapier. Auf Grund<br />
solcher Probleme sind die häufig negativen Erfahrungsberichte im<br />
Umgang mit der neuen Technik, gegen Ende <strong>des</strong> 15. Jahrhunderts,<br />
nur allzu erklärlich.<br />
Trotz der verfahrenstechnischen Anlaufschwierigkeiten war der<br />
Kupferstich ab etwa 1600 die vorherrschende Bildreproduktionstechnik,<br />
speziell im künstlerisch anspruchsvollen Bereich oder auch<br />
im Musiknotensatz. Aus heutiger Sicht sind insbesondere die folgenden<br />
Aspekte erwähnenswert:<br />
1. Im Laufe der Zeit wurden verschiedene Techniken entwickelt,<br />
die auf eine verbesserte Halbtonwiedergabe ausgerichtet waren,<br />
z.B. die Radierung oder Schabkunst. Bei der Radierung<br />
wird die Kupferplatte zunächst mit einer säurefesten Harz-<br />
Asphalt-Schicht versehen. In diese werden die gewünschten<br />
Strukturen gezeichnet oder geritzt, worauf die Platte mit Säure<br />
übergossen wird. Die Zeichnung wird dann an den freigelegten<br />
Stellen in das Kupfer geätzt. Die Schabkunst, auch Schabmanier<br />
oder Mezzotinto genannt, wurde 1642 von Ludwig von<br />
11 Der Zylinder, wie die ganze Presse, war dabei aus Holz.<br />
23<br />
Albrecht Dürer (1471 – 1528)<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
Radierung: Zauberey, 1626, M. Herr/M. Merian d.Ä.<br />
klaus simon<br />
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A q u a t i n t a (links) und M e z z o t i n t o (rechts)<br />
klaus simon<br />
Lithographie und Steindruck<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
✧ nach 1796 von Alois Senefelder (1771 – 1834) entwickelt<br />
➙ hohe künstlerische Bedeutung (sehr aufwendig)<br />
✧ Druck auf plan geschliffenen Kalksteinen (Flachdruck)<br />
➙ Solnhofener Schiefer: 98 % Calciumcarbonat CACO3<br />
✧ physikalisch-chemisches Funktionsprinzip<br />
➙ Druckbild wird mit Fetttusche oder Ölkreide gezeichnet<br />
➙ chemische Reaktion zu fettsaurem Kalk (hydrophob)<br />
✧ zeichnungsfreie Flächen hydrophil (wasseranziehend)<br />
➙ verstärkt durch Beschichtung mit Gummiarabicum<br />
➙ vor Einfärbung befeuchtet: verhindert Farbannahme<br />
✧ erstes Druckverfahren mit echter Halftoning-Simulation<br />
➙ abhängig von Korngrösse: 3000 Körner/cm ≈ 55 l/cm<br />
➙ Dotgrösse: Menge der an der Kornspitze haftenden Fetts<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
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24<br />
Siegen eingeführt. Hier wird die Platte zunächst gleichmässig<br />
aufgeraut, so dass der Abdruck eine gleichmässig schwarze Fläche<br />
ergeben würde. An der Stelle, die später wieder heller erscheinen<br />
soll, wird die Platte dann wieder glattgeschabt. Bei<br />
der Aquatinta lässt man die Säure durch ungeschmolzenen Metallstaub<br />
hindurch wirken.<br />
2. Aus historischen Gründen ist besonders auf die verwendeten<br />
Ätztechniken hinzuweisen. Sie führten schliesslich zur Fotografie<br />
und zur fotomechanischen Bildreproduktion.<br />
3. Nicht zuletzt hat der Kupferstich einen modernen Nachfolger<br />
gefunden, den Tiefdruck, siehe Seite 66, der bis heute bei illustrierten<br />
Grossauflagen fest etabliert ist.<br />
2.4.2 Steindruck<br />
Um 1800 entstand ein neues Druckverfahren, der Steindruck<br />
oder Lithographie, in Konkurrenz zu dem etablierten Buchdruck<br />
bzw. dem Kupferstich. Im Gegensatz zu den beiden letztgenannten<br />
Verfahren erfolgt beim Steindruck die Differenzierung zwischen<br />
druckenden und nicht druckenden Teilen der Druckform<br />
nicht durch eine mechanische Höher- oder Tieferlegung sondern<br />
durch unterschiedliche chemische Oberflächeneigenschaften. Durch<br />
Aufbringung von Fetten oder Ölen, werden farbanziehende bzw.<br />
-abstossende Gebiete auf der Druckform separiert. Dieses Verfahren<br />
hatte vor allem gegenüber dem Kupferstich deutliche Vorteile:<br />
• Die Druckform konnte gezeichnet werden und enthielt keine<br />
aufwendige Metallbearbeitung.<br />
• Die Druckgeschwindigkeit im Fortdruck war gegenüber dem<br />
Kupferstich etwa dreimal höher.<br />
• Der Steindruck ermöglichte erstmals eine echte Halbtonwiedergabe.
Um die Mitte <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts hatte der Steindruck eine grosse<br />
künstlerische Bedeutung erreicht, speziell bei Plakaten. Auch heute<br />
ist die Lithographie noch eine etablierte künstlerische Ausdrucksform.<br />
Als Erfinder <strong>des</strong> Steindrucks gilt Alois Senefelder (1771 –<br />
1834). Wie bei anderen Drucktechniken auch meint die Bezeichnung<br />
≪Erfinder ≫ nicht, dass Senefelder jeden einzelnen Schritt selbst<br />
kreiert hat, sondern dass er die Idee <strong>des</strong><br />
D r u c k e n s m i t S t e i n e n<br />
zu einer praxistauglichen Gesamttechnologie zusammengefasst hat.<br />
Im Kontext der Lithographie sind speziell die Erfolge der aufkeimenden<br />
Chemie gegen Ende <strong>des</strong> 18. Jahrhunderts zu würdigen und<br />
die für Spruchtafeln oder Grabinschriften seit Jahrhunderten üblichen<br />
Steinätzungen.<br />
Alois Senefelder familiäres Umfeld war durch den Beruf <strong>des</strong><br />
Vaters als Schauspieler geprägt. Er wuchs in München auf, wo sein<br />
Vater seit 1778 am Hoftheater beschäftigt war. Auf Wunsch seiner<br />
Eltern begann er in Ingolstadt ein Jurastudium. Zusätzlich verfasste<br />
er Gedichte und kleine Theaterstücke. Gewisse Anfangserfolge<br />
verleiteten ihn dazu, ein Leben als Schriftsteller anzustreben. Als<br />
sein Vater 1794 überraschend stirbt, und er seine Familie mit unterstützen<br />
muss, gelingt es ihm nicht mehr, seinen vertraglichen<br />
Verpflichtungen nachzukommen und er verliert die Unterstützung<br />
seiner Verleger.<br />
Senefelder möchte aber nach wie vor publizieren. Er nimmt bei<br />
Johann Michael Mettenleiter Unterricht im Kupferstechen und<br />
beschliesst seine eigene Druckerei zu gründen. Da seine Situation<br />
primär durch Geldmangel gekennzeichnet war, suchte er nach einem<br />
Verfahren, das möglichst billig realisiert werden konnte. In<br />
den Jahren 1796 /97 reiften die Konzepte. Die ersten Druckversuche<br />
fanden im privaten Kontext statt. So unterstützte ihn der befreundete<br />
Hofmusiker Franz Gleissner mit einem Auftrag für selbstkomponierte<br />
Lieder. In der Folge wurde Gleissner auch sein Teilhaber.<br />
Das entscheidende Ereignis war jedoch das Zusammentref-<br />
25<br />
A l o i s S e n e f e l d e r<br />
klaus simon<br />
frühe Steindruckpresse<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
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38<br />
A woman sitting by a window 1802 (Henry Fuseli)<br />
Steindruck im 20. Jahrhundert<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
s p e c i m e n s o f p o l y a u t o g r a p h y 1 8 0 3<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
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40<br />
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26<br />
fen mit Johann André, einem Musikalienhändler und Druckereibesitzer<br />
aus Offenbach am Main. Interessiert an der neuen Art <strong>des</strong><br />
Musiknotensatzes, besuchte er 1799 Senefelder in seiner Werkstatt<br />
und liess sich die Technik erklären. Er erkannte das Potenzial<br />
und machte ein Finanzierungsangebot. Ein Handgeld von 2000 Gulden<br />
beseitigten Senefelders akute Finanznöte und Andrés Verbindungen<br />
sicherten ihm Patente in London, Paris und Wien, die er<br />
unmittelbar an André weiterreichte. Mit der zunehmenden Popularität<br />
<strong>des</strong> Verfahrens erfährt Senefelder auch in der bayrischen<br />
Heimat Unterstützung. Nach seiner Rückkehr aus Österreich ist<br />
ihm die Staatsregierung bei der Gründung einer neuen Druckerei<br />
behilflich und finanziert ein litographisches Institut. Im Jahre 1809<br />
wird Senefelder in den Staatsdienst übernommen.<br />
Funktionsprinzip<br />
Kommen wir zurück zum technischen Funktionsprinzip <strong>des</strong> Steindrucks,<br />
das in der weiterentwickelten Form <strong>des</strong> Offsetdrucks seine<br />
Bedeutung bis in die aktuelle Drucktechnik wahren konnte. Die<br />
Druckform besteht aus einem plangeschliffenen Kalkstein. Die Erfahrung<br />
zeigte, das der Solnhofer Schiefer 12 aus dem Altmühltal im<br />
fränkischen Jura sich besonders eignet. Er besteht zu etwa 98 % aus<br />
Calciumcarbonat CaCO3, der Rest sind verschiedene Verunreinigungen.<br />
Das zu druckende Bild wird nun auf den Stein gezeichnet,<br />
wozu man Fetttusche oder Ölkreide benutzt. Die Zeichenfarbe verbindet<br />
sich mit dem Kalk zu fettsaurem Kalk, der einerseits wasserabstossend<br />
(hydrophob) andererseits fettanziehend (oleophil) wirkt.<br />
Nun möchte man bei den zeichnungsfreien Teilen das genau gegensätzliche<br />
Verhalten erreichen. Dazu genügt es eigentlich, sie mit<br />
Wasser zu befeuchten. Um den Effekt zu verstärken und haltbarer<br />
zu machen, werden die zeichnungsfreien Teile zunächst mit einem<br />
Gemisch aus Wasser, Salpetersäure und Gummiarabicum leicht geätzt<br />
und anschliessend mit einer dünnen Schicht aus Gummiarabicum,<br />
einer stark wasseranziehenden Substanz, überzogen.<br />
12 auch bekannt für seine Fossilienfunde
Bei jedem Druckvorgang wird die Druckform vor dem Einfärben<br />
mit Wasser gefeuchtet. Dadurch wird verhindert, dass sich anschliessend<br />
die fetthaltige Druckfarbe an den zeichnungsfreien Teilen<br />
anlagern kann. Die Zeichnung selbst reagiert genau gegensätzlich,<br />
hier bleibt die Druckfarbe haften. Dabei ist zu berücksichtigen,<br />
dass die verwendete Druckfarbe relativ zähflüssig ist. Sie wird<br />
gleichmässig auf eine Rolle aufgebracht, die über die Druckform abgerollt<br />
wird. Nur dort wo ein Haftkontakt zustande kommt, findet<br />
auch eine Farbübertragung statt, in dem der Farbfilm auf der Rolle<br />
aufgespalten und abgerissen wird.<br />
Der Halbtoneffekt <strong>des</strong> Steindrucks beruht auf der Körnigkeit <strong>des</strong><br />
Steins, je feiner die Kornbildung <strong>des</strong> Steins, <strong>des</strong>to feiner das Halftoning.<br />
Diesbezüglich ist der Steindruck als eine Art amplitudenmodulierte<br />
Rasterung zu verstehen. Ein Korn entspricht einer Rasterzelle.<br />
Die Grösse <strong>des</strong> zugehörigen Zentraldots ergibt sich aus<br />
der Menge <strong>des</strong> Fetts, das an der Kornspitze haften bleibt, variierbar<br />
durch den ausgeübten Druck beim Zeichnen oder den Härtegrad der<br />
verwendeten Fettkreide.<br />
Alois Senefelder war sich der Schwächen seiner Technologie<br />
durchaus bewusst. Er sah ihre natürliche Anwendung im Bereich<br />
der Gebrauchsgraphik wie Musiknoten, Formulare, Landkarten,<br />
Tabellen oder Zirkularien. Bis zu seinem Tode suchte er das Konzept<br />
zu optimieren und die Lithographie zur vorherrschenden allgemeinen<br />
Drucktechnik zu machen. Erwähnenswert sind diesbezüglich<br />
sein<br />
L e h r b u c h d e r S t e i n d r u c k e r e i<br />
von 1818, seine frühen Versuche mit Steindruckschnellpressen und<br />
die ersten Mehrfarbenlithographien aus dem Jahre 1826. Schlussendlich<br />
hat sich das chemische Flachdruckprinzip als überlegen erwiesen.<br />
Bis zu seinem technologischen Durchbruch vergingen jedoch<br />
noch mehr als ein Jahrhundert.<br />
Rückblickend erscheint die Lithographie als Kunstform. Dieses<br />
Verständnis wurde bereits von der Familie André propagiert. Ins-<br />
27<br />
Lithographien<br />
klaus simon<br />
Entwicklung der Fotografie<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
✧ 1727 Johann H. Schulze (1687–1744): lichtempfindliche Silbersalze<br />
✧ 1802 Thomas Wedgewood (1771-1805): Silbersalzfotos (Papier)<br />
✧ 1822 Nicéphore Niépce (1765-1833): lichtbeständige Heliographie<br />
✧ 1829 Zusammenarbeit Niépce und Louis Daguerre (1787-1851)<br />
➙ 1835-37 Entwicklung der Daguerreotypie<br />
✛ Positivfoto mit Silberjodid, Fixierung: heisse Kochsalzlösung<br />
✧ 1835 William Fox Talbot (1800-77): erste Negative auf Papier<br />
✧ 1839 Patente für Talbot und Daguerre, Veröffentlichungen<br />
➙ erstes analytisch berechnetes Objektiv (Voigtländer, Wien)<br />
✧ 1851 Frederick Archer (1813-62): nasses Kollodium-Verfahren<br />
✧ 1871 R. Maddox (1820-1902): Bromsilber-Gelatine-Trockenplatte<br />
✧ 1888 George Eastman (1854-1932): Rollfilmkamera Kodak Nr.1<br />
klaus simon<br />
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41<br />
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42<br />
J o h a n n H . S c h u l z e und K a r l W . S c h e e l e<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
Joseph N. Niépce und Thomas Wedgewood<br />
klaus simon<br />
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28<br />
besondere Philip André 13 publizierte bereits 1803 den Kunstband<br />
S p e c i m e n s o f Po l y a u t o g r a p h y,<br />
wofür er eine illustre Schar bekannter Graphiker engagierte. Ein<br />
bedeutender Fürsprecher der neuen Kunstform war u.a. Johann<br />
Wolfgang von Goethe (1749 – 1832). In der zweiten Hälfte <strong>des</strong><br />
19. Jahrhunderts erlebte die Lithographie dann einen bedeutenden<br />
Aufschwung im Kontext der Plakatwerbung. Bedeutende Vertreter<br />
sind etwa Eugène Delacroix (1798 – 1863) oder Henri de<br />
Toulouse-Lautrec (1864 – 1901). Noch heute gelten die ≪ Moulin<br />
Rouge ≫ - Plakate <strong>des</strong> Letzteren als ein Synonym für die Farblithographie.<br />
Als Konsequenz der zunehmenden kommerziellen Bedeutung<br />
wurden um 1850 dann auch praxistaugliche Steindruckschnellpressen<br />
entwickelt: 1846 Nicolle (Paris), 1851 Georg Sigl<br />
(Wien), 1860 Alexander Dupuy (Paris).<br />
2.4.3 Fotomechanische Bildreproduktion<br />
Eine der auffällligsten Entwicklungen <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts ist<br />
zweifellos die Fotografie. Die Geschwindigkeit mit der sie sich<br />
zu einem Massenphänomen entwickelte, dokumentiert die qualitative<br />
Überlegenheit dieser Reproduktionstechnik. Drucktechnische<br />
Verfahren erreichen auch heute nicht die Qualitätsstandards<br />
der analogen Fotografie. Dem gedruckten Bild verblieb zum Ende<br />
<strong>des</strong> 19. Jahrhunderts gegenüber dem Konkurrenten Fotografie nur<br />
eine wirkliche Stärke, nämlich die massenhafte Vervielfältigung.<br />
Dementsprechend war die Entwicklung <strong>des</strong> Drucks in den nächsten<br />
100 Jahren durch die Übernahme fotografischer Techniken in die<br />
Druckformherstellung geprägt. Am Ende dieser Entwicklung stand<br />
der konventionelle Fotosatz, wo auch Texte als Bilder behandelt<br />
werden.<br />
13 ein in London lebender Bruder von Johann
2.4.4 Entwicklung der Fotografie<br />
Das Aufzeichnungsgerät der Fotografie ist die Kamera, die in der<br />
Camera Obscura (Lochkamera) ihre historischen Wurzeln hat. Die<br />
Camera Obscura war bereits im Altertum bekannt. Sie wurde im 18.<br />
Jahrhundert durch neue wissenschaftliche Errungenschaften verbessert,<br />
blieb aber ein eher seltenes Werkzeug für Forscher und<br />
Künstler. Der Einstieg in die Fotografie gelang 1727 dem deutschen<br />
Arzt und Universalgelehrten Johann Heinrich Schulze (1687 –<br />
1744) durch den Nachweis der Lichtempfindlichkeit von Silbersalzen.<br />
Diese ersten Hinweise auf lichtempfindliche Materialien wurden<br />
1777 von dem bedeutenden deutsch-schwedischen Chemiker<br />
Karl Wilhelm Scheele (1742 – 1786) bestätigt und ausgeweitet.<br />
Der nächste Schritt zum Foto war die Verbindung der Silbersalze<br />
mit Papier als Trägermaterial. Erste diesbezügliche Experimente<br />
wurden um 1802 von Thomas Wedgewood, einem Spross<br />
der gleichnamigen Steingutdynastie, dem die Arbeiten von Schulze<br />
und Scheele bekannt waren, berichtet. Er tränkte Papier mit Silbersalz<br />
und belichtete es mit einer Camera Obscura. Es entstanden<br />
erste Fotos, die jedoch noch nicht lichtbeständig waren und folglich<br />
nach ein paar Minuten im Tagslicht wieder zerfielen.<br />
Unabhängig von Wedgewood beschäftigte sich auch der begüterte<br />
Amateurwissenschaftler Joseph Nicéphor Niépce (1765 – 1833)<br />
seit 1793 in Paris mit derselben Problematik. Er berichtet 1816 von<br />
ähnlichen Versuchen Fotos zu erzeugen, aber auch seine Bilder waren<br />
sehr schwach und nicht dauerhaft. Niépce war mit diesem Teilerfolg<br />
nicht zufrieden und versuchte, das erzeugte Bild dauerhaft<br />
zu machen. Dabei stiess er etwa um 1810 auf die Lichtempfindlichkeit<br />
bestimmter Asphaltlacke. Konkret benutzte er eine Mischung<br />
aus Asphalt und Lavendelöl, die bei Lichteinwirkung dauerhaft aushärtet<br />
und dann sowohl ätzresistent als auch nicht mehr in Lavendelöl<br />
lösbar ist. Die nicht belichteten Anteile bleiben dagegen lösbar.<br />
Niépce verwendete diese Erkenntnisse 1826 /27 zur ersten fotomechanischen<br />
Herstellung einer Druckform. Dazu kopierte er mittels<br />
Belichtung einen Kupferstich, der durch Ölung an den nicht<br />
29<br />
Kardinal d’Amboise und Fotogravur (Heliographie, rechts)<br />
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technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
Louis Jacques Mandé Daguerre (1787–1851)<br />
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technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
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frühste bekannte Daguerrotypie<br />
klaus simon<br />
Daguerrotypie: Zürscher Post ca. 1840<br />
klaus simon<br />
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bedruckten Stellen transparent gemacht wurde, auf eine mit lichtempfindlichem<br />
Asphalt überzogene Zinnplatte. Nach einer Belichtungszeit<br />
von mehreren Stunden wurden die unbelichteten Teile<br />
ausgewaschen und tiefgeätzt. Die so entstandene erste Fotografie<br />
zeigt das Porträt <strong>des</strong> Kardinals d’Amboise, siehe Folie 45. Da Niépce<br />
selbst von Heliographie sprach, wurde diese Bezeichnung bzw.<br />
Heliogravur später häufig als Gattungsbegriff für fotomechanische<br />
Gravuren benutzt. Nicéphoe Niépce starb 1833 ohne wesentliche<br />
weitere Fortschritte zu erreichen.<br />
Allerdings vereinbarte Niépce 1829 einen Forschungsvertrag mit<br />
Louis Jacques Mandé Daguerre (1787 – 1851), der später von seinem<br />
Sohn Isidor fortgesetzt wurde. Der Bühnenmaler Daguerre<br />
gründete 1822 das Diorama, ein Illusionsschauspiel für das Theater,<br />
das unter anderem die Möglichkeiten der Camera Obscura nutzt.<br />
Das gemeinsame Ziel von Niépce und Daguerre war die einfache<br />
und dauerhafte Fixierung der mit der Lochkamera aufgenommenen<br />
Bilder.<br />
Daguerre entdeckte zuerst, dass eine polierte Silberfläche durch<br />
das Bedampfen mit Jod, es entsteht eine Silberjodidschicht, lichtempfindlich<br />
wird. Der nächste Schritt <strong>des</strong> Verfahrens, das später<br />
nach ihm Daguerrotypie benannt wird, ist die Unterscheidung in<br />
ein latentes Bild und <strong>des</strong>sen Entwicklung.<br />
Daguerre erkannte nämlich, dass es nicht nötig war, das Bild so<br />
lange zu belichten, bis es klar erkennbar war. Auch ein nur kurz belichtetes,<br />
noch nicht erkennbares Bild, genannt latentes Bild, konnte<br />
durch eine zusätzliche chemische Reaktion, die Entwicklung,<br />
sichtbar gemacht werden. Konkret benutzte Daguerre Quecksilberdämpfe,<br />
die zusammen mit dem durch die Belichtung freigesetzten<br />
Silber ein Amalgam bilden. Der dritte entscheidende Schritt, die Fixierung<br />
<strong>des</strong> erzeugten Bil<strong>des</strong>, liess sich durch das Auswaschen <strong>des</strong><br />
Bil<strong>des</strong> mit heisser Kochsalzlösung erreichen.<br />
Daguerres Verfahren erwies sich als durchaus praktikabel. Die<br />
Belichtungszeiten hatten sich von etwa 10 Stunden bei Niépce auf<br />
ca. 15 Minuten reduziert. Später ersetzte man Jod durch Brom, was<br />
eine Reduzierung auf etwa 2 Minuten erlaubte.
1839 publiziert Daguerre das Verfahren, nach finanziellen Zusagen<br />
der französischen Regierung. Da es sich um die erste Veröffentlichung<br />
eines funktionierenden Verfahrens handelt, betrachtet man<br />
Daguerre und Niépce als die Erfinder der Fotografie.<br />
Obwohl die Daguerrotypie ein grosses Interesse an der Fotografie<br />
14 bzw. der Fototechnik auslöste und auch ein kommerzieller Erfolg<br />
war, war sie doch nur eine von mehreren parallelen Entwicklungen,<br />
die sich zur gleichen Zeit mit demselben Problem beschäftigten.<br />
Die vielleicht relevanteste Konkurrenzentwicklung war die von<br />
William Henry Fox Talbot (1800 – 1877), einem reichen englischen<br />
Privatgelehrten mit Interesse an Physik und Chemie. Er experimentierte<br />
seit 1834 mit Silberchlorid-Papier. 1835 entwickelte<br />
er das erste Negativ, von dem er mehrere Positivabzüge herstellen<br />
konnte. Dazu wird das Papier <strong>des</strong> Negativs durch Wachsen transparent<br />
gemacht.<br />
Die Kalotypien oder auch Talbotypien genannten Fotos waren in<br />
der Anfangszeit nicht so brillant wie die Daguerrotypien, benötigten<br />
aber wesentlich kleinere Belichtungszeiten. Als Talbot 1839<br />
von den Aktivitäten Daguerres in Paris hörte, startete er mit der<br />
Unterstützung Michael Faradays seinerseits in London eine Veröffentlichungskampagne,<br />
um seine Prioritätsansprüche zu sichern.<br />
In dem Publikationsgerangel <strong>des</strong> <strong>Jahres</strong> 1839 gingen noch einige<br />
andere relevante Beiträge verloren. Zu erwähnen sind insbesondere<br />
das Verfahren von Hippolyte Bayard (1801 – 1877), nach welchem<br />
bereits 1826 Papierpositive erzeugt worden sein sollen, und dasjenige<br />
<strong>des</strong> Astronomen und Physiker François Arago (1786 – 1853),<br />
das ebenfalls 1839 publiziert wurde.<br />
Das grosse Publikumsinteresse, das im Jahre 1839 geweckt wurde,<br />
führte zu einer schnellen Weiterentwicklung der Technologie,<br />
speziell bezüglich der eingesetzten Materialien, der Kamera und<br />
nicht zuletzt in der Farbforschung.<br />
14 Ein sehr empfehlenswertes Buch zum Thema ist ≪Kunst und Magie der Daguerreotypie<br />
(Collection W.+T. Bosshard) ≫ [7]. Bemerkenswert ist vor allem die<br />
aussergewöhnliche Bildreproduktion.<br />
31<br />
William Fox Talbot (1800 – 1877) and erste Kalotypie<br />
klaus simon<br />
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Frederick Scott Archer (1813–1857) und Nassplattenkamera<br />
klaus simon<br />
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50<br />
Beispiele Kollodium-Fotografie<br />
klaus simon<br />
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R. L. Maddox (1820 –1902) u. Trockenplattensystem Eastman<br />
klaus simon<br />
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52<br />
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32<br />
Frederick Scott Archer (1813 – 1857) beschrieb 1851 das<br />
nasse Kollodium-Verfahren, 15 das die Lichtempfindlichkeit wesentlich<br />
verbesserte. Spätestens mit Richard Leach Maddoxs (1820<br />
– 1902) Erfindung der Bromsilber-Gelatine-Trockenplatte 1871 wird<br />
die Fotografie eine professionelle Praxis. Die Trockenplatten hielten<br />
sich mehrere Monate und mussten nicht mehr wie beim Kollodium-<br />
Verfahren vor Ort chemisch behandelt werden. Zudem markiert die<br />
Trockenplatte den Einstieg in die Industrialisierung der Fotografie.<br />
Den entscheidenden Beitrag dazu lieferte jedoch erst George<br />
Eastman (1854 – 1932). Er gründete 1881 mit einem Partner in Rochester<br />
im Staat New York eine Fabrik für Fotobedarf, die zunächst<br />
vor allem Trockenplatten herstellte. Auf Grund <strong>des</strong> harten Konkurrenzdrucks<br />
war man aber bald gezwungen, die Produktpalette zu<br />
diversifizieren.<br />
Eastman fasste die Idee, den Rollfilm, mit dem seit der Jahrhundertmitte<br />
experimentiert wurde, zum Markterfolg zu führen.<br />
Seine 1884 abgeschlossene Entwicklung hatte drei Lagen, nämlich<br />
eine wasserunlösliche Gelatineschicht mit den lichtempfindlichen<br />
Substanzen, eine wasserlösliche Gelatineschicht und eine als Träger<br />
dienende Papierschicht. Zur Positivkopie löste man die mittlere<br />
Schicht im Wasser auf und trennte so die bildtragende Gelatineschicht<br />
von dem Papierträger. Die Bildschicht wurde dann auf eine<br />
Glasplatte aufgespannt. Die Nachteile bisheriger Papiernegative, in<br />
erster Linie die schlechte Qualität, entfielen.<br />
Zunächst sah das Vermarktungskonzept vor, dass der Fotograf die<br />
etwas diffizile Trennung von Bild- und Trägerschicht vornimmt, was<br />
aber nicht zu dem erhofften kommerziellen Erfolg führte. Eastman<br />
entschloss sich <strong>des</strong>halb, diese Arbeiten in seiner Firma durchzuführen.<br />
In der geänderten Produktphilosophie belichtete also der Fotograf<br />
nur noch die Bilder, alle übrigen Arbeiten überlässt er Anderen.<br />
Eastman erkannte das revolutionäre Potenzial <strong>des</strong><br />
Yo u p r e s s t h e b u t t o n , w e d o t h e r e s t !<br />
15 in Äther aufgelöste Baumwolle
und entwickelte eine einfache handliche Kamera für den Massenmarkt.<br />
Die 1888 für 25 $ auf den Markt gebrachte Kodak Nr.1 veränderte<br />
den Fotomarkt. Die Fotografie wurde zum Massenmarkt und<br />
Eastman Kodak 16 damit zum Weltkonzern.<br />
2.4.5 Halftoning<br />
Im Gegensatz zu einem Bildschirm, der durch seine variable Pixelhelligkeit<br />
charakterisiert ist, besitzt ein Druckpunkt auf Papier eine<br />
mehr oder weniger konstante Farbvalenz, die als Funktion der Umgebungsbeleuchtung<br />
zu verstehen ist. Diese Konstanz hinderte die<br />
Drucktechnik jahrhundertelang daran Bilder in abgestuften Grautönen,<br />
sogenannten Halbtönen, zu produzieren. Angetrieben durch<br />
die Entwicklung der Fotografie vor 150 Jahren, wurde dann Ende<br />
<strong>des</strong> 19. Jahrhunderts die Rastertechnik entwickelt, siehe etwa<br />
Fox Talbot [9], Georg Meisenbach [1] oder Louis und Max Levy<br />
[4], die konzeptionell so noch heute angewendet wird. Aus heutiger<br />
Sicht war die industrielle Rastertechnik ein entscheidender Schritt<br />
auf dem Weg zur modernen Medienlandschaft und kann durchaus<br />
als früher Triumph der Digitaltechnik verstanden werden.<br />
Rasterzellen<br />
Die konstante Helligkeit von Druckpunkten (Dots) auf Papier macht<br />
eine physikalische Farbmischung unmöglich. Dass wir trotzdem<br />
Halbtöne auf Papier wahrnehmen können, basiert auf dem beschränkten<br />
Ortsauflösevermögen <strong>des</strong> Auges. Das räumliche Auflösevermögen<br />
<strong>des</strong> Auges wird üblicherweise als minimaler Winkel<br />
beschrieben unter dem Details noch unterschieden werden können.<br />
Der Wert beträgt ca. 1 Bogenminute und wird als physiologischer<br />
Grenzwinkel bezeichnet. 17 Unterhalb dieser Grenze werden<br />
16 wie sich die Firma später nannte<br />
17 In der Augenoptik wird er beispielsweise durch den Landolt-Ring, siehe Folie<br />
58, bestimmt. Der Prüfkandidat muss die Lage der Lücke — oben, rechts,<br />
unten oder links — zu 75% korrekt erkennen, wobei die Lücke in einem Sehwinkel<br />
von 1 Bogenminute präsentiert wird.<br />
33<br />
G e o r g e E a s t m a n ( 1 8 5 4 – 1 9 3 2 )<br />
klaus simon<br />
Kodak Nr. 1 (1888) und Kodak Nr. 2<br />
klaus simon<br />
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53<br />
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54<br />
Kodak Nr. 4 und Headquarter 1892<br />
✻<br />
Pixelintensität<br />
✛<br />
Halftoning<br />
auf Papier simuliert durch<br />
Flächenbedeckung der Rasterzelle<br />
klaus simon<br />
klaus simon<br />
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technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
55<br />
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56<br />
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34<br />
Details nicht mehr als solche erkannt, sondern verschmelzen mit ihrer<br />
Nachbarschaft in einem Zapfen bzw. Stäbchen zu einem Gesamtreiz.<br />
Diese ≪Farbmischung ≫ auf Rezeptorebene ist die Grundlage<br />
der Rastertechnik. Produziert werden Druckpunkte die unterhalb<br />
oder wenigstens in der Nähe <strong>des</strong> physiologischen Grenzwinkels liegen.<br />
Dabei resultiert der Helligkeitseindruck eines gerade auflösbaren<br />
Flächenelements aus dem Verhältnis <strong>des</strong> bedruckten zum unbedruckten<br />
Flächenanteil.<br />
Der physiologische Grenzwinkel beschreibt einen Sehwinkel. Für<br />
den Umgang mit Dotgrössen auf Papier ist das eine eher unpraktische<br />
Masseinheit. Zur Spezifikation von Radien oder Rasterweiten<br />
sind Längenangaben besser geeignet. Um den physiologischen<br />
Grenzwinkel entsprechend auszudrücken zu können, bezieht man<br />
sich auf einen Betrachtungsabstand r. Ein Kreis mit Radius r hat<br />
einen Umfang von 2π r. Derselbe Kreis enthält andererseits<br />
360 · 60 = 21600<br />
Bogenminuten. Folglich entspricht dem Winkel 1 Bogenminute gerade<br />
die Länge:<br />
2π r<br />
21600<br />
Betrachten wir nun eine typische Lesedistanz von r = 40 cm, so erhalten<br />
wir eine Auflösegrenze von:<br />
1<br />
cm oder<br />
86<br />
1<br />
inch oder 0.12 mm<br />
218<br />
Um nun die Helligkeitskomponente eines Bildpixels auf Papier darzustellen,<br />
ordnet man dem Pixel zunächst einen bestimmten Flächenbereich<br />
zu, genannt Rasterzelle. Gemäss den vorangegangen<br />
Überlegungen sollte dabei der Durchmesser der Rasterzelle für den<br />
anvisierten Betrachtungsabstand den physiologischen Grenzwinkel<br />
nicht überschreiten.<br />
In der heutigen digitalen Medientechnik bestehen Rasterzellen<br />
aus einzel adressierbaren Druckpunkten, wobei die englische Bezeichung<br />
Dots zumin<strong>des</strong>t gleich populär ist.
In der einfachsten Form kann man mit einer Rasterzelle eine<br />
r×r - Matrix mit den Dots als Matrixelemente verbinden. Eine solche<br />
Zelle kann dann r 2 +1 verschiedene Graustufen darstellen, je<br />
nachdem wieviele der r 2 maximal möglichen Druckpunkte realisiert<br />
werden. 18 Wenn man annimmt, dass ein Dot seine Matrixposition<br />
exakt ausfüllt, dann entspricht die so spezifizierte Graustufe gerade<br />
dem bedruckten Flächenanteil der Rasterzelle. Die verschiedenen<br />
Rasterverfahren unterscheiden sich in der Art und Weise wie<br />
die Dots in der Rasterzelle angeordnet werden und in der Form und<br />
Anordnung der Rasterzellen, was wir im Folgenden genauer ausführen<br />
werden.<br />
Amplitudenmodulation<br />
Die traditionelle Rastertechnik ist die Amplitudenmodulation (AM).<br />
Hier sind alle gedruckten Dots im Zentrum der Rasterzelle in einer<br />
jeweils spezifischen Rasterpunktform konzentriert. Es sind verschiedene<br />
Rasterpunktformen wie Kreise, Quadrate oder Linien gebräuchlich.<br />
Aus naheliegenden Gründen kann man z.B. im Gelddruck<br />
besonders ungewöhnliche Formen beobachten. Die verschiedenen<br />
Graustufen variieren die Grösse der Rasterpunktform, was<br />
dem Verfahren seinen Namen verlieh. Obwohl die Amplitudenmodulation<br />
für eine feste Dotauflösung nicht die beste Bildqualität erzeugt,<br />
ist sie in ihren digitalen Varianten in vielen Druckbereichen<br />
auch heute noch das vorherrschende Rasterverfahren.<br />
In der Amplitudenmodulation sind die Rasterzellen auf den Gitterpunkten<br />
eines imaginären Gitters, dem Raster, platziert. Die<br />
Feinheit <strong>des</strong> Gitters ist dabei durch den Durchmesser der Rasterzelle<br />
definiert und unterliegt bezüglich <strong>des</strong> physiologischen<br />
Grenzwinkles den gleichen Beschränkungen. Sie wird in Linien pro<br />
cm ( l/cm) bzw. in Linien pro inch (lpi) angegeben. In der Druckindustrie<br />
sind die folgenden Feinheiten üblich:<br />
• 40–50 l/cm bei Zeitungen (Tendenz steigend)<br />
18 die ≪+1≫ -te Graustufe entspricht ≪keine Dots in der Rasterzelle ≫<br />
35<br />
Problemstellung<br />
✧ konstante Helligkeit von Papier bzw. Druckpunkten<br />
➙ macht physikalische Farbmischung unmöglich<br />
✧ Helligkeitswahrnehmung bei Druckbildern<br />
➙ durch beschränktes Auflösevermögen <strong>des</strong> Auges<br />
✧ unterhalb <strong>des</strong> physiologischen Grenzwinkels (1 Bogenminute)<br />
➙ werden Einzelheiten nicht mehr separat erkannt<br />
➙ sondern ergeben mit ihrer Nachbarschaft einen Gesamtreiz<br />
✧ Wahrnehmung ausreichend kleiner Druckpunkte (Dots)<br />
➙ erfolgt zusammen mit dem umgebenden Papierweiss<br />
➙ Farbmischung in den Rezeptorzellen der Netzhaut<br />
klaus simon<br />
Aufösungsvermögen im Halftoning<br />
✧ physiologischer Grenzwinkel: 1 Bogenminute<br />
✧ ein Kreis enthält<br />
✧ bei Betrachtungsabstand r<br />
360 · 60 = 21600 Bogenminuten<br />
Kreisumfang: 2 π r<br />
✧ bei einer üblichen Lesedistanz von 40 cm<br />
➙ entspricht einer Bogenminute<br />
1<br />
cm oder<br />
86<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
1<br />
inch oder 0.12 mm<br />
218<br />
klaus simon<br />
•<br />
Landolt-Ring<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
57<br />
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58<br />
Rasterzelle<br />
✧ realisiert einen Bildpixel (Farbvalenz, Grauwert)<br />
➙ “≤ 1/86 ≈ 0.12 mm breit” bei Lesedistanz 40 cm<br />
✧ in der Digitaltechnik aus Dots (Druckpunkten) aufgebaut<br />
➙ z.B. als r ×r -Matrix mit r 2 + 1 realisierbaren Graustufen<br />
➙ Graustufe = bedruckter Flächenanteil der Rasterzelle<br />
✧ Halftoning-Algorithmen<br />
➙ zur Verteilung der Dots innerhalb der Rasterzelle<br />
➙ extreme Verfahren<br />
✛ Amplitudenmodulation: konzentriert im Zentrum<br />
✛ Frequenzmodulation: zufällig verteilt in der Zelle<br />
klaus simon<br />
Amplitudenmodulation<br />
✻ ✁ ✁✕<br />
❆❆❑<br />
✧ Grössenvariation der Rasterpunktform<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
➙ konventionelle Rastertechnik (bis heute weitverbreitet)<br />
✛ nach 1880 als photomechanisches Verfahren entwickelt<br />
➙ digitale Simulation: alle Dots im Zentrum<br />
✧ Bildmagazine: 80 Linien pro cm (l/cm)<br />
➙ entspricht 200 Linien pro inch (lpi)<br />
✧ normaler Buchdruck: 60 l/cm (150 lpi)<br />
✧ Zeitungsdruck: 40–50 l/cm (120lpi)<br />
➙ erreicht nicht die <strong>Auflösung</strong>sgrenze<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
59<br />
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60<br />
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36<br />
• 60 l/cm ≈ 152 lpi im normalen Buchdruck<br />
• 80–150 l/cm ≈ 203–381 lpi für den hochqualitativen Druck von<br />
Bildern, speziell bei künstlerischem Hintergrund<br />
Wie wir vorgängig hergeleitet haben, entspricht dem physioligischem<br />
Grenzwinkel bei einer Lesedistanz von 40 cm eine Gitterfeinheit<br />
von 86 l/cm. Unter normalen Betrachtungsbedingungen wird<br />
aber bereits ein Wert von 60 l/cm für pragmatisch ausreichend erachtet.<br />
Im Zeitungsdruck mit 40–50 l/cm ist die Gitterstuktur jedoch<br />
noch leicht erkennbar. Hier werden <strong>des</strong>halb gegenwärtig auch grosse<br />
Anstrengungen unternommen die Gitterfeinheit anzuheben.<br />
Farbdarstellung und Moiré-Effekte<br />
In der Rastertechnik wird grundsätzlich für jede der benutzten Prozessfarben<br />
Cyan, Magenta, Gelb und Schwarz ein eigenes Raster<br />
erstellt, die übereinander gedruckt werden. Auf die farbmetrischen<br />
Aspekte dieses Vorgehens wird in dieser Vorlesung nicht eingegangen.<br />
Hier betrachten wir jediglich die prozesstechnischen Implikationen<br />
<strong>des</strong> Übereinanderdrucks, nämlich Moiré-Effekte und Strategien<br />
um sie zu vermeiden.<br />
Bei der Überlagerung periodischer Strukturen mit gleicher oder<br />
ähnlicher Periode entstehen Interferenzmuster mit einer grösseren<br />
Periode. Bei Gitterstrukturen spricht man von einem Moiré-Bild<br />
oder kurz Moiré. Repräsentativ ist die Überlagerung von parallelen<br />
Linienmuster der Periode p. Sind die beiden Muster um einen<br />
kleinen Winkel ϕ gegeneinander verdreht, so entstehen helle und<br />
dunkle Moiré-Streifen, wobei die Mitten der hellen Moiré-Streifen<br />
durch die Schnittpunkte der Mitten der dunklen Mustersteifen verlaufen.<br />
Die Periode S der Moiré-Streifen ist durch<br />
S =<br />
p<br />
2 sin ϕ<br />
2
gegeben. Entsprechend führen kleine Winkel ϕ zu einer grossen<br />
Sichtbarkeit der Moiré-Effekte. Dagegen sind sie in einem Winkelbereich<br />
zwischen 30 ◦ und 45 ◦ stark reduziert. Moiré-Muster dieser<br />
Art entstehen auch unter wesentlich allgemeineren Bedingungen.<br />
Sie werden beispielsweise in der Messtechnik angewandt, um durch<br />
Messung von S die Periode p zu bestimmen.<br />
Beim Druckvorgang treten zwei Arten von Moiré-Effekten auf.<br />
Zum einen als Überlagerung der Rasterstruktur mit periodischen<br />
Teilen <strong>des</strong> Bildinhaltes, wie z.B. einem kariertem Jackett. Dies ist<br />
ein allgemeines Problem der digitalen Medientechnik. Populäre Lösungsansätze<br />
manipulieren den Bildinhalt, etwa in der Form von<br />
Weichzeichnen oder dem Einkodieren von Rauschen. Diese Techniken<br />
liegen ausserhalb unseres Themas. Wir gehen <strong>des</strong>halb hier<br />
nicht weiter darauf ein, sondern verweisen auf die einschlägige Literatur.<br />
Die zweite Art der Moiré-Bildung resultiert aus der Überlagerung<br />
der verschiedenen Farbraster in der Amplitudenmodulation.<br />
Der exakte Übereinanderdruck ist auf Grund unvermeidbarer<br />
Produktionsschwankungen nicht realisierbar und kleine Abweichungen<br />
führen zu grossen visuellen Störungen. Der Ausweg zur<br />
Reduktion der Moiré-Bildungen besteht <strong>des</strong>halb in einer deutlichen<br />
Verdrehung der Gitter zueinander. Da es 4 Prozessfarben in 90 ◦ einzuteilen<br />
gilt, kann eine wünschenswerte Winkeldifferenz von mehr<br />
als 35 ◦ nicht zwischen allen Farben eingehalten werden. Die üblichen<br />
Rasterwinkel aus DIN 165447<br />
Gelb 0 ◦ , Cyan 15 ◦ , Magenta 75 ◦ und Schwarz 45 ◦<br />
stellen jedoch einen erfahrungsgemäss guten Kompromiss dar. In<br />
der Zuteilung der Farben auf die Winkel wurde zusätzlich zur<br />
Moiré-Problematik auch der Oblique-Effekt 19 berücksichtigt, indem<br />
die visuell unauffälligste Farbe Gelb mit dem besten auflösbaren<br />
Winkel 0 ◦ bzw. die am besten sichtbare Farbe mit dem am schlechtesten<br />
auflösbaren Rasterwinkel 45 ◦ kombiniert wurden. Die Moiré-<br />
19 Das <strong>Auflösung</strong>smögen <strong>des</strong> Menschen für Linienmuster hängt vom Winkel<br />
der Linien zur Verbindungsgeraden der Augen ab. Senkrecht oder waagerecht<br />
ist es am grössten, bei 45 ◦ am geringsten.<br />
37<br />
✧ Interferenzmuster bei<br />
Moiré-Effekte<br />
➙ Überlagerung periodischer Strukturen<br />
➙ mit gleicher oder ähnlicher Periode<br />
✧ typisch: helle und dunkle Moiré-Steifen<br />
➙ bei Verdrehung identischer Raster<br />
✛ mit Periode p um einen Winkel ϕ<br />
➙ Abstand der Moiré-Steifen<br />
S = p/(2 sin ϕ<br />
2 )<br />
➙ ϕ klein ⇒ Moiré-Periode gross<br />
✛ minimale Sichtbarkeit bei ϕ ≈ 35 ◦<br />
➣ Farbrasterwinkel als Kompromiss<br />
Farbdarstellung<br />
klaus simon<br />
✧ separates Raster für jede Prozessfarbe (CMYK)<br />
✧ Übereinanderdruck der Farbraster<br />
➙ führt zu ungewollten Moiré-Bildungen<br />
✧ Minimierung der Moiré-Sichtbarkeit<br />
➙ durch Drehung der Rastergitter gegeneinander<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
✧ zusätzlich: Zuordnung der Farben gemäss Oblique-Effekt<br />
✧ Rasterwinkel nach DIN 16547<br />
➙ Yellow 0 ◦<br />
➙ Cyan 15 ◦<br />
➙ Magenta 75 ◦<br />
➙ Schwarz 45 ◦<br />
klaus simon<br />
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61<br />
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62<br />
Moiré-Effekte bei Farbraster<br />
klaus simon<br />
Frequenzmodulierte Rasterung<br />
✧ ≪zufällige ≫ Verteilung der Dots in einer Rasterzelle<br />
➙ Helligkeit entspricht ≪Dots pro Fläche ≫<br />
➙ kein Rastergitter<br />
✧ Vorteil<br />
➙ bessere Detailschärfe bei gleicher Dotauflösung<br />
➙ unempfindlich bei Farbregisterschwankungen<br />
✛ z.B. infolge variierender Papierqualität<br />
➙ keine Moiré-Effekte<br />
✧ Nachteil<br />
➙ verlangt fehlerfreie Doterzeugung<br />
✛ was nicht selbstverständlich ist<br />
✛ grosse Tonwertzunahme<br />
klaus simon<br />
✧ Yellow 0 ◦<br />
✧ Cyan 15 ◦<br />
✧ Magenta 75 ◦<br />
✧ Schwarz 45 ◦<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
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63<br />
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64<br />
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38<br />
Bildung kann auf diese Weise zwar nicht gänzlich vermieden werden,<br />
wird aber in der Häufigkeit <strong>des</strong> Auftretens und in der visuellen<br />
Auffälligkeit deutlich reduziert.<br />
Frequenzmodulierte Rasterung<br />
Bereits in den 70er Jahren wurden erste Konzepte zur frequenzmodulierten<br />
Rasterung (FM) vorgeschlagen. Obwohl dieses Verfahren<br />
bei gleicher Dot-<strong>Auflösung</strong> eine wesentlich bessere Detailschärfe<br />
bietet, wurde es eigentlich erst in den 90er Jahren populär, vermutlich<br />
nicht zuletzt auf Grund steigender Rechnerleistung.<br />
Die FM-Rasterung verteilt im Gegensatz zur AM-Methode die<br />
Dots mehr oder weniger zufällig in der Rasterzelle. Man spricht <strong>des</strong>halb<br />
auch von stochastischer Rasterung. Der Tonwert einer Rasterzelle<br />
ist also durch die Häufigkeit der Druckpunkte bestimmt und<br />
nicht durch den Durchmesser einer Rasterpunktform. Da durch die<br />
zufällige Verteilung der Dots die Rasterzelle als solche nicht mehr<br />
erkennbar ist, verschiebt sich die Sichtbarkeitsgrenze in Richtung<br />
der Dot-<strong>Auflösung</strong>. Damit ist FM-Rasterung insbesondere für Ausgabegeräte<br />
mit einer geringen Dot-<strong>Auflösung</strong>, wie z.B. Ink-Jets, interessant.<br />
Ausser der höheren Detailgenauigkeit haben FM-Raster aber<br />
noch einige weitere prinzipielle Vorteile. Dies ist zunächst die<br />
Unempfindlichkeit gegenüber Moiré-Effekten im Mehrfarbendruck.<br />
Die zufällige Dot-Verteilung bildet im Allgemeinen keine periodischen<br />
Strukturen, die beim Übereinanderdruck der Farbraster<br />
interferieren könnten. Es sind <strong>des</strong>halb auch keine speziellen<br />
Massnahmen zur Moiré-Vermeidung, wie die Verdrehung der Farbraster,<br />
bei der AM-Rasterung nötig. Gleichfalls wirken sich Abweichungen<br />
bei der Platzierung der Farbraster, etwa als Folge von variierender<br />
Papierqualität während <strong>des</strong> Drucks, weniger störend aus.<br />
Aber es gibt auch Nachteile. Die zentrale Voraussetzung der<br />
FM-Rasterung ist die physikalisch fehlerfreie Produzierbarkeit eines<br />
einzelnen Druckpunktes. Dies ist z.B. bei Laserdruckern keine<br />
Selbstverständlichkeit. Im Offsetdruck kommt es bei grossen Auflagen<br />
zu einer mechanischen Abnutzung der Druckplatten. Einzelne
Dots sind dafür empfindlicher als Dot-Cluster. Nicht zuletzt beobachtet<br />
man für FM eine stärkere Tonwertzunahme, d.h. eine grössere<br />
Abweichung zwischen angestrebter und produzierter Flächenbedeckung<br />
als bei der AM-Rasterung.<br />
2.4.6 Der fotografische Schwarzweissprozess<br />
In den vorangegangenen Abschnitten wurde dargelegt, dass der<br />
zentrale Schritt der fotomechanischen Reproduktion in der Erzeugung<br />
von Filmen als Kopiervorlagen für die Druckformherstellung<br />
liegt. Bevor wir uns im Folgenden mit der Organisation dieser Produktionstechnik<br />
befassen, möchten wir hier auf die bisher nur vereinzelt<br />
angesprochenen Aspekte der Filmtechnik eingehen. Dabei<br />
beschränken wir uns auf den Schwarzweissprozess, da nur dieser in<br />
der Bildreproduktion eingesetzt wird.<br />
Moderne Filme bestehen aus vier Schichten. Eine etwa 2 µm dicke<br />
äussere Schutzschicht bedeckt die 10mal dickere lichtempfindliche<br />
fotografische Schicht. Darunter liegt eine ca. 150 µm erreichende<br />
Lichthofschutzschicht. Der Name bezieht sich auf eine spezielle<br />
Funktion, nämlich der Unterdrückung der Totalreflexion an der<br />
Rückseite der Trägerfolie, welche den Abschluss bildet.<br />
Die fotografische Schicht ist eine lichtempfindliche Emulsion, 20<br />
die normalerweise aus Gelatine mit eingebetteten Silberhalogenidkriställchen<br />
(Körner) besteht. Das Silberhalogenid besteht überwiegend<br />
aus Silberbromid (A gBr) mit geringen Zusätzen aus Silberchlorid<br />
(A gCI) und Silberiodid (A gI). Die Eigenschaften der fotografischen<br />
Schicht werden entscheidend durch Grösse, Art und<br />
Form der Silberhalogenidkörner bestimmt. Mit zunehmender Korngrösse<br />
nimmt die Empfindlichkeit der Emulsion zu, das Auflösevermögen<br />
für Details nimmt dagegen ab. Bei der Filmauswahl wird<br />
<strong>des</strong>halb im Allgemeinen versucht, die benötigte Empfindlichkeit mit<br />
der kleinstmöglichen Korngrösse zu erreichen.<br />
20 Es ist üblich von Emulsion zu sprechen, auch wenn dies technisch nicht ganz<br />
korrekt ist.<br />
39<br />
Vergleich AM-FM-Rasterung<br />
klaus simon<br />
fotografischer Schwarzweissprozess<br />
FM-Raster<br />
✧ bessere Detailauflösung<br />
✧ bei gleicher Rasterweite<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
✧ Film: Schutzschicht, fotografische Schicht, Lichtschutz, Trägerfolie<br />
✧ fotografische Schicht: lichtempfindliche Emulsion auf einem Träger<br />
➙ Silberhalogenidkriställchen in Gelatine als Bindemittel<br />
➙ Silberbromid Ag Br (überwieg.), Silberchlorid Ag CI, Silberiodid Ag I<br />
➙ Korngrösse: <strong>Auflösung</strong> E Sensibilität<br />
✧ Belichtung erzeugt ein latentes Bild<br />
➙ führt zu Entwicklungskeimen (Silberatomgruppen)<br />
➙ bewirken lokal unterschiedliche Entwicklungsgeschwindigkeiten<br />
✧ Entwicklung: Visualisierung <strong>des</strong> latenten Bil<strong>des</strong> (Redoxprozess)<br />
➙ Entwicklersubstanz reduziert Silberhalogenid zu Silber<br />
➙ entstehen<strong>des</strong> Silber färbt Bild schwarz<br />
➙ Fixierung: Abbruch bei maximalem Kontrast nach ca. 5.3 Minuten<br />
✧ Sensitometrie: Abhängigkeit B e l i c h t u n g - S c h w ä r z u n g<br />
➙ Gradation: Schwärzungskurve bzw. deren mittlere Steigung<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
65<br />
drucken<br />
66<br />
Schwärzungskurve<br />
zu kurze Entwicklungszeit optimal entwickelt zu lange Entwicklungszeit<br />
optische Dichte D<br />
optische Dichte D<br />
2.5<br />
2.0<br />
1.5<br />
1.0<br />
0.5<br />
0.0<br />
belichtet<br />
✻<br />
✻ ✻ ✻ ✻<br />
maximaler<br />
Bildkontrast<br />
❄ ❄ ❄ ❄ ❄<br />
unbelichtet<br />
Entwicklungszeit in s<br />
10 1 10 2 10 3 10 4 10 5<br />
klaus simon<br />
Belichtung und Dichte<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
γ ≫ 1 Original<br />
γ ≪ 1<br />
2.5<br />
2.0<br />
1.5<br />
1.0<br />
0.5<br />
0.0<br />
x<br />
y<br />
Arbeitsbereich<br />
10 1 10 2 10 3 10 4<br />
klaus simon<br />
γ def<br />
= y<br />
x<br />
Belichtung in lx·s<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
67<br />
drucken<br />
68<br />
drucken<br />
40<br />
Der fotografische Prozess beginnt mit der Belichtung der Emulsion<br />
in der Kamera bzw. dem Kopiergerät, wobei ein latentes Bild<br />
entsteht. Die Bezeichnung latent drückt aus, dass das Bild zu diesem<br />
Zeitpunkt noch nicht sichtbar ist. Statt<strong>des</strong>sen haben sich an<br />
den belichteten Stellen Silberatome aus den Silberhalogenidkristallen<br />
gelöst, die sich zu so genannten Entwicklungskeimen gruppieren.<br />
Die Anzahl dieser Entwicklungskeime ist dabei proportional zu<br />
der eingefallenen Lichtmenge, so dass ihre lokal unterschiedliche<br />
Verteilung die Bildinformation repräsentiert.<br />
Die Visualisierung <strong>des</strong> latenten Bil<strong>des</strong> erfolgt durch einen chemischen<br />
Redoxprozess. In der fotografischen Entwicklung wirkt eine<br />
Entwicklersubstanz als Reduktions- und das Silberhalogenid<br />
als Oxidationsmittel. Als Reaktionsprodukt entstehen metallische<br />
Silber- und Bromionen, wobei das Silber für die Bildschwärzung verantwortlich<br />
ist. Die in der Belichtung entstandenen Entwicklungskeime<br />
haben eine katalytische Wirkung und lassen die Redoxreaktion<br />
in ihrer Umgebung beschleunigt ablaufen. Dadurch werden die<br />
bildgebenden Konzentrationsunterschiede <strong>des</strong> metallischen Silbers<br />
zunächst verstärkt. Bleibt die Entwicklungsreaktion ungestört, so<br />
läuft sie weiter bis das gesamte Silberhalogenid aufgebraucht ist,<br />
auch an den Stellen die anfangs unbelichtet waren. Damit von dem<br />
aufgenommenen Bild mehr übrig bleibt als eine schwarze Fläche,<br />
muss die Entwicklungsreaktion nach einer gewissen Zeit gestoppt<br />
werden. Empirische Untersuchungen zeigen, dass 5.3 Minuten ein<br />
oftmals geeigneter Stoppzeitpunkt ist. Der Kontrast zwischen belichteten<br />
und unbelichteten Bildstellen ist dann maximal, siehe Folie<br />
67.<br />
Der Abbruch der Entwicklungsreaktion heisst Fixierung und erfolgt<br />
gleichfalls chemisch. Im Fixierbad, einer wässrigen Lösung<br />
eines Fixiermittels, wird das noch vorhandene Silberhalogenid zusammen<br />
mit anderen nicht benötigten Silberverbindungen zunächst<br />
in wasserlösliche Silberkomplexe umgewandelt und dann ausgewaschen.<br />
Häufig benutzte Fixiermittel sind etwa Natriumthiosulfat<br />
oder Ammoniumthiosulfat.<br />
Die Sensitometrie beschreibt den Zusammenhang zwischen der
Belichtung und der dadurch erzeugten Schwärzung der Fotoemulsion.<br />
Obwohl dieser Zusammenhang wellenlängenabhängig<br />
ist, wird im Kontext von Filmen darauf verzichtet, die Aussagen<br />
diesbezüglich aufzuschlüsseln. Das Mass der Schwärzung ist die optische<br />
Dichte D oder kurz Dichte genannt. Sie ist definiert als der<br />
negative dekadische Logarithmus <strong>des</strong> Transmissionsgra<strong>des</strong> τ, also:<br />
D = −log 10 τ<br />
Der Transmissionsgrad τ ist dabei durch das Verhältnis<br />
τ = Φ′<br />
Φ<br />
<strong>des</strong> den Film durchdringenden Lichtstroms Φ ′ zum auftreffenden<br />
Lichtstrom Φ bestimmt. Ein D = 1 steht also für eine Abschwächung<br />
auf ein Zehntel bzw. D = 2 auf ein Hundertstel <strong>des</strong> ursprünglichen<br />
Lichtstroms.<br />
Der erste uns interessierende Zusammenhang besteht zwischen<br />
der Entwicklungszeit t und der erreichten Dichte. In Folie 67 sind<br />
die entsprechenden Kurven für einen belichteten und einen unbelichteten<br />
Film angegeben. Bei t = 0 liegt in beiden Fällen keine<br />
Schwärzung vor. Für t = ∞ ist in beiden Fällen das gesamte Silberhalogenid<br />
verbraucht und die Schwärzung hat den Maximalwert<br />
Dmax erreicht. Dazwischen zeigt die Kurve für den unbelichteten<br />
Film einen wesentlich kleineren Anstieg. Der für die Fototechnik<br />
bedeutende Zeitpunkt ist dann erreicht, wenn die Differenz beider<br />
Kurven maximal wird. Das ist der optimale Zeitpunkt für die Fixierung.<br />
Der typische Wert für Dmax liegt bei Negativfilmen bei 2–3.<br />
Der zweite für uns wichtige Zusammenhang ist die Gradationsoder<br />
Schwärzungskurve. Sie beschreibt die nach der Entwicklung<br />
erreichte Schwärzung als Funktion der Belichtung H, wobei sich H<br />
aus dem Produkt — bei nicht konstantem E kann ein entsprechen<strong>des</strong><br />
Integral benutzt werden — der Beleuchtungsstärke E und der<br />
Belichtungszeit t berechnet:<br />
H = E · t<br />
41<br />
Dunkelkammer<br />
Fotoentwicklung<br />
klaus simon<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
69<br />
drucken<br />
70<br />
Trocknung nach der Fixierung<br />
klaus simon<br />
fotomechanische Rasterung . . .<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
✧ . . . durch Übertragung eines Fotos auf eine Druckform<br />
✧ frühe Ansätze bei Niépce und Talbot (Ätzverfahren)<br />
✧ 1854 Paul Pretsch (1808 – 73): Photo-Galvanographie<br />
➙ galvan. Abformung v. Gelatinebilder, textile Gewebe zur Rasterung<br />
✧ 1864 Joseph Wilson Swan (1828 – 1914): chromierte Gelatinebilder<br />
➙ Auswaschung wasserlöslicher Teile<br />
✧ 1857 M. Bertcholds: Glasrasterkopien auf Metallplatten<br />
✧ 1882 Georg Meisenbach: autotypische Raster mit Kameras<br />
➙ etabliert fotomech. Reprotechnik, wiss. Grundlagen noch offen<br />
✧ ab 1970 konventioneller Fotosatz (Endstufe der Technik)<br />
➙ Druckform als fotografische Kopierschicht ( ⇒ Offsetdruck)<br />
➙ Reprokameras erzeugen gerasterte Kopiervorlage<br />
➙ Diskretisierung zu Dots mit Lith-Filmen (AM-Raster)<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
71<br />
drucken<br />
72<br />
drucken<br />
42<br />
Die Gradationskurve hat einen S-förmigen Verlauf, wie er für eine<br />
Ertragsfunktion typisch ist, siehe Folie 68. Sie beginnt mit einem<br />
abszissenparallelen Abschnitt, der dem Entwicklungsschleier entspricht.<br />
Der Entwicklungsschleier entsteht durch vereinzelte nicht<br />
belichtete Silberhalogenidkörner, die trotzdem entwickelt wurden.<br />
Der achsenparallele Teil endet bei der Schwellenschwärzung. Ab<br />
hier hat die Belichtung einen sichtbaren Effekt. Die Kurve geht<br />
dann langsam in einen linearen Teil über. Der lineare Abschnitt<br />
der Schwärzungskurve ist der eigentliche Arbeitsbereich <strong>des</strong> Films.<br />
Der darunterliegende Teil entspricht einer Unterbelichtung bzw. der<br />
sich nach oben anschliessende Teil einer Überbelichtung. Wie bei einer<br />
Ertragskurve typisch, existiert eine Belichtung mit maximaler<br />
Schwärzung. Wird die Belichtung über diesen Wert erhöht, erniedrigt<br />
sich die erzielte Schwärzung wieder, man spricht dann von Solarisation.<br />
Der lineare Abschnitt der Schwärzungskurve entspricht dem<br />
technisch nutzbaren Teil. Von besonderem Interesse ist die Kurvensteigung,<br />
als Gradation γ bezeichnet, denn sie ist ein Mass für<br />
die Filmempfindlichkeit. 21 Falls der betrachtete Film keinen ausgeprägten<br />
linearen Anteil besitzt, was materialabhängig möglich ist,<br />
so drückt der γ-Wert das mittlere Verhalten aus. Die Gradation beschreibt<br />
das Kontrastwiedergabeverhalten <strong>des</strong> Fotomaterials. Für<br />
γ > 1 werden die Kontraste in der Wiedergabe vergrössert, für γ < 1<br />
werden sie kleiner. Man spricht von harter oder weicher Gradation.<br />
Handelsübliche Negativfilme haben einen γ-Wert zwischen 0.6 und<br />
0.8.<br />
Ein Spezialfall sind so genannte Lithfilme, wie sie etwa in Reprokameras<br />
eingesetzt werden. Durch spezielle Sensibilisierung wird<br />
hier die Entwicklungsgeschwindigkeit für stärkere Belichtungen<br />
beschleunigt, und umgekehrt, diejenige für schwache Belichtungen<br />
abgebremst. Der resultierende Film hat eine sehr hohe Gradation,<br />
γ > 2, so dass hellgraue Töne weiss wiedergegeben werden bzw. dunkelgraue<br />
schwarz. Das wiedergegebene Bild enthält nahezu keine<br />
21 zur technischen Definition der Filmempfindlichkeit siehe [6]
Übergänge zwischen Schwarz und Weiss. Genau dieses Verhalten 22<br />
wird bei der Erzeugung eines amplitudenmodulierten Dots im konventionellen<br />
Fotosatz 23 benötigt. Seit den Anfängen der Autotypie<br />
um 1880 bis zum modernen Fotosatz stellten Lithfilme eine der zentralen<br />
Techniken der fotomechanischen Bildreproduktion dar.<br />
2.4.7 Fotomechanische Rasterung<br />
Die Idee, ein Foto in eine druckbare Form zu überführen, ist eine<br />
naheliegende Idee, die bereits von den Pionieren der Fotografie untersucht<br />
wurde. Insbesondere die bereits erwähnten Asphaltätzungen<br />
von Niépce sind hier einzuordnen. Aber auch Talbot dachte bereits<br />
an die Anwendung seiner Entdeckungen im Druckbereich, wie<br />
sein Patent [9] zur Untersuchung von fotografischen Stahlätzungen<br />
von 1852 zeigt. Motiviert durch die Fortschritte der Fotografie nach<br />
1850 standen in der zweiten Hälfte <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts insbesondere<br />
Ätztechniken, mit und ohne expliziter Rasterung, im Zentrum<br />
<strong>des</strong> Interesses.<br />
Obwohl versucht wurde alle damaligen Druckkonzepte durch fotomechanische<br />
Techniken zu verbessern, oder sogar aus ihnen neue<br />
Druckverfahren wie den Lichtdruck 24 abzuleiten, ist das Konzept<br />
speziell für den Tiefdruck, siehe Kapitel 2.9.3, geeignet. Konsequenterweise<br />
erlebte der Tiefdruck gegen Ende <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts<br />
einen rasanten Aufschwung.<br />
Das erste vollständige Verfahren zur fotomechanischen Druckplattenerzeugung<br />
wurde von Paul Pretsch (1808 – 1873) ausgearbeitet.<br />
Er erhielt 1854 das erste Patent auf seine Photo-<br />
Galvanographie, dem sich in den Folgejahren noch einige anschlossen.<br />
Er belichtete Gelatinebilder, die er mit einem feinen Gewebe<br />
22was als eine Art von optischem Runden verstanden werden kann<br />
23siehe Seite 50<br />
241856 von A. L. Poitvevin: Die Quellunterschiede belichteter Gelatineplatten<br />
werden durch Feuchtung zur Dicerenzierung <strong>des</strong> Farbannahmeverhaltens genutzt.<br />
Das Verfahren ist qualitativ hochwertig, erreicht aber in Folge der starken<br />
Druckplattenabnutzung nur eine geringe Auflagenhöhe.<br />
43<br />
P a u l P r e t s c h ( 1 8 0 8 – 1 8 7 3 )<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
G e o r g M e i s e n b a c h ( 1 8 4 1 – 1 9 1 2 )<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
73<br />
drucken<br />
74<br />
tivkontaktraster erhält man sofort tonfnahmen,ohne<br />
zusätzliche Hilfsbelich-<br />
- bzw. Negativkontaktraster werden zur<br />
n Druckplatten, deren Belichtung mit<br />
egativfilmen erfolgt, verwendet.<br />
r werden im Kopierrahmen mit ihrer<br />
rekt auf die Schichtseite <strong>des</strong> zu belichgelegt.<br />
Das von der Vorlage modulier-<br />
tmedien (ISBN 3-540-66941-8)<br />
a<br />
Lichtintensität<br />
von Vorlage<br />
b<br />
c<br />
Hellraum<br />
Dunkelraum<br />
Prinzip einer Reprokamera<br />
Blende der<br />
Reprokamera<br />
verlaufender<br />
Halbschatten<br />
Film<br />
Kernschatten<br />
Glasrasterplatte<br />
Glasplatte<br />
optischer Kitt<br />
Lack (schwarz)<br />
Reprokameras Schnitt<br />
h<br />
klaus simon<br />
Beleuchtungsstärke<br />
Schwellwert für<br />
Schwärzung<br />
<strong>des</strong> Filmmaterials<br />
konstanter<br />
Rasterpunktabstand<br />
Größe der<br />
Rasterpunkte<br />
(bildabhängig)<br />
te Licht passiert den Kontaktraster und trifft dann auf<br />
den Film, auf dem Punkte unterschiedlicher Größe in<br />
Abhängigkeit von der Vorlagendichte erzeugt werden.<br />
Rastertonwert<br />
Der Rastertonwert j i ist nach Neugebauer [3.1-11] definiert<br />
als<br />
klaus simon<br />
l<br />
w<br />
h<br />
w Linienabstand<br />
l Linienbreite<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
75<br />
drucken<br />
76<br />
drucken<br />
44<br />
aufrasterte. Die Quellfähigkeit unbelichteter Stellen führte dann zu<br />
einem Relief, das nach einer Härtung galvanisch abgeformt wurde.<br />
Die so gewonnene Form dient als Tiefdruckplatte. Im Jahre 1856<br />
veröffentlicht er Arbeiten über Ätztechniken auf Grundlage von Daguerrotypien<br />
und über verbesserte Quellverfahren für Gelatinebilder.<br />
Ab 1857 beschäftigt er sich auch mit Hochdruckplatten. Auf<br />
der Londoner Weltausstellung 1862 präsentiert er verstählte Kupferplatten<br />
und Hochdruckformen. Unglücklicherweise erkrankte er<br />
noch im gleichen Jahr und erholte sich bis zu seinem Tode 1873<br />
nicht mehr.<br />
Einen ähnlichen Ansatz wie Pretsch verfolgte Joseph Wilson<br />
Swan in seinem Patent von 1864, nämlich der Übertragung von Gelatinebildern<br />
auf Metall, wobei er jedoch die galvanoplastische Abformung<br />
durch eine Ätzung ersetzte. Er übertrug ein Halbtondiapositiv<br />
auf chromiertes Gelatinepapier. Durch die Belichtung verliert<br />
die Gelatine einen Teil ihrer Quell- und Wasserlöslichkeit. Die Entwicklung<br />
in warmem Wasser wusch den noch löslichen Gelatineanteil<br />
aus. Das resultierende Gelatinerelief bestimmte den Grad der<br />
Ätzung auf der darunter liegenden Kupferplatte.<br />
Der interessante Effekt ist, dass tiefere Näpfchen im Tiefdruck<br />
mehr Farbe übertragen und somit implizit eine gewisse Helligkeitsmodulation<br />
<strong>des</strong> Dots realisieren. Diese Unterstützung <strong>des</strong> Halbtoneffektes<br />
war in den damaligen Zeiten mit geringen Rasterwerten<br />
ein entscheiden<strong>des</strong> Qualitätskriterium und führte schliesslich zur<br />
Entwicklung der modernen industriellen Tiefdruckverfahren. Bekannt<br />
wurde insbesondere die 1895 gegründete Rembrandt Intaglio<br />
Printing Company, der es durch strikte Geheimhaltung gelang,<br />
den Rastertiefdruck für etwa 10 Jahre zu dominieren.<br />
Neben der Übertragung der Bildinformation auf die Druckplatte,<br />
war die Umformung <strong>des</strong> Fotos in ein Rasterbild das zentrale<br />
Problem. Wie wir im Kapitel Halftoning darlegen werden, muss im<br />
Druck 25 die Helligkeitsinformation in Rasterzellen simuliert werden.<br />
Die automatische Erzeugung dieser Rasterstruktur blieb lange<br />
25 Von der beschränkten Intensitätsmodulation sei hier abgesehen. Auch der<br />
Tiefdruck ist überwiegend ein Rasterdruckverfahren.
der limitierende Faktor der fotomechanischen Bildreproduktion.<br />
Eine naheliegende Idee ist das Einbringen eines Gitternetzes in<br />
den Strahlengang der Bildaufnahme. Die auf diese Art von Talbot<br />
oder Pretsch erzeugten Raster waren jedoch noch recht grob<br />
und technisch schlecht handhabbar. Eine Verbesserung brachte M.<br />
Berchtholds französisches Patent von 1857, in dem gravierte Glasplatten<br />
zur Übertragung von Rastern auf beschichtete Metallplatten<br />
vorgeschlagen wurden. Um die Gitterstruktur zu erzeugen, wurde<br />
das eingravierte feine Liniensystem in der zweiten Hälfte der<br />
Belichtung um 90° gedreht.<br />
Die nächsten bedeutenden Fortschritte resultierten aus der Verwendung<br />
von Kameras zur Aufrasterung, die vor dem Hintergrund<br />
von substanziellen Verbesserungen im Bereich der Kameratechnik<br />
und der Fotoemulsionen zu sehen sind. Im Jahre 1880 gelang es<br />
Carl Angerer in Wien Berchtholds Konzept mittels Kameratechnik<br />
zu realisieren. Unabhängig von ihm, meldete Georg Meisenbach<br />
das gleiche Verfahren 1882 in Deutschland zum Patent<br />
(DRP 22244) an und wird <strong>des</strong>halb oftmals als Erfinder der Autotypie<br />
bezeichnet. Auf Grund <strong>des</strong> folgenden Rechtsstreites ersetzte Angerer<br />
das ursprünglich benutzte Linienraster durch ein Kreuzraster.<br />
Die Kennzeichen <strong>des</strong> Verfahrens sind mehrere Zwischenschritte.<br />
Zunächst wurde vom Original eine vergrösserte, gerasterte Negativkopie<br />
erstellt. Innerhalb einer Rasterzelle verlaufen die Halbtöne<br />
kontinuierlich vom Zentrum zum Zellenrand, d.h. sie stellen eine<br />
Art stetiger Amplitudenmodulation dar, die durch die Schattenbildung<br />
<strong>des</strong> eingeblendeten Linienrasters verursacht wird. Danach<br />
wurde das Negativ zum Positiv umkopiert. Die Kopiervorlage der<br />
Druckform war dann wieder ein verkleinertes Negativraster. Dieser<br />
komplizierte Prozess war notwendig, um eine ausreichende Feinheit<br />
<strong>des</strong> Rasters zu erreichen.<br />
2.4.8 Offsetdruck<br />
Nachdem gegen Ende <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts die fotomechanische<br />
Bildreproduktion als Konzept gefestigt war, stellte sich natürlich die<br />
45<br />
Offsetdruck<br />
✧ indirekter Flachdruck (mit Druckzylinder)<br />
➙ Farbübertragung auf Zwischenträger (Gummituchzylinder)<br />
➙ von dort auf den Bedruckstoff übertragen<br />
➙ Weiterentwicklung der Lithograhie zum Rotationsdruck<br />
✧ 1886 Ruddiman Johnson: Z i n k d r u c k - R o t a r i e s<br />
➙ biegsame Zinkplatte mit lichtsensitiver Beschichtung<br />
✧ 1904 Ira Rubel und Caspar Hermann (unabhängig)<br />
➙ litographischer Druck mit Gummituchzylinder<br />
✛ Konzept bekannt aus Blechdruck<br />
✧ 1960 – 70 Ablösung <strong>des</strong> Hochdrucks als dominante Druckart<br />
➙ bessere Druckqualität (z.B. für Anzeigenmarkt)<br />
➙ Offsetdruckplatten sind einfacher herstellbar (Fotosatz)<br />
➙ etwa 50 % höhere Druckgeschwindigkeit<br />
➙ flexibel bei Bedruckstoffen und Farben<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
Nachbildung der Offsetdruckmaschine von I r a R u b e l<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
77<br />
drucken<br />
78<br />
Offsetdruckmaschine von C a s p a r H e r m a n n<br />
klaus simon<br />
Offsetdruckmaschine: <strong>EMPA</strong>-Labor<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
79<br />
drucken<br />
80<br />
drucken<br />
46<br />
Frage der optimalen drucktechnischen Umsetzung. Die verfahrenstechnisch<br />
engsten Beziehungen bestanden offenbar zur Lithographie<br />
mit ihrer chemischen Farbübertragung. Es hat <strong>des</strong>halb nicht<br />
an Versuchen gefehlt, den Flachdruck entsprechend weiterzuentwickeln.<br />
Da die technologischen Voraussetzungen <strong>des</strong> Flachdrucks allerdings<br />
nicht die besten waren, dauerte es eine Weile bis die neue<br />
Technik, der Offsetdruck, 1904 auf der Bühne erschien. Die Bedeutung<br />
<strong>des</strong> Offsetdrucks stieg in der ersten Hälfte <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts<br />
kontinuierlich an. Hand in Hand mit den grossen Fortschritten<br />
in der Fototechnik wurde der Offsetdruck nach dem 2. Weltkrieg<br />
die dominante Drucktechnik, die <strong>letzten</strong> Dämme brachen mit dem<br />
Durchbruch <strong>des</strong> digitalen Fotosatzes nach 1970. Heute repräsentiert<br />
der Offsetdruck etwa 65 – 70 % der weltweiten Wertschöpfung<br />
in der graphischen Industrie.<br />
Der Rollenoffsetdruck ist ein indirekter Flachdruck mit Gummituchzylinder<br />
für den gleichzeitigen Schön- und Widerdruck. Das Adjektiv<br />
indirekt bezieht sich dabei auf die Farbübertragung, die nicht<br />
direkt von der Druckform auf den Bedruckstoff erfolgt, sondern von<br />
der Druckform auf einen Druckzylinder, der mit einem Gummituch<br />
bezogen ist, und erst von dort auf den Bedruckstoff. Der elastische<br />
Gummi führt zu einer deutlichen Qualitätssteigerung speziell bei<br />
nicht optimalen Papiersorten.<br />
Das Konzept wurde aus dem Blechdruck übernommen, wo es allerdings<br />
mit dem Hochdruck kombiniert war. Ein frühes Patent für<br />
den Druck auf Blech mit Gummizylinder wird 1874 in England an<br />
Robert Barclay und Arthur Evans von der Firma George Mann<br />
verliehen.<br />
Der zweite wichtige Input für den Offsetdruck sind leichte, biegsame<br />
Druckformen aus Metall. Die ersten solchen Druckformen<br />
wurden 1886 von Ruddiman Johnson in Edinburgh für seine<br />
Zinkdruck-Rotaries vorgestellt. Er benutzte Zinkplatten, die mit einer<br />
lichtempfindlichen Schicht überzogen waren.<br />
In den USA wurden die Zinkplatten schnell durch Aluminiumplatten,<br />
die auch noch heute üblich sind, ersetzt. Im Jahre 1900
aut die Aluminium Plate and Press Company in New York ihre<br />
erste lithographische Bogenrotationsmaschine für den direkten<br />
Metalldruck.<br />
Als das eigentliche Geburtsjahr <strong>des</strong> Offsetdrucks gilt 1904 und<br />
wieder handelt es sich um eine unabhängige Parallelerfindung.<br />
Durch einen Fehldruck wird der Amerikaner Ira W. Rubel in<br />
Washington auf die Qualitätsvorteile der Farbübertragung mittels<br />
Gummituchzylinder aufmerksam. Er prägte die Bezeichnung Offset<br />
für die von ihm konstruierten Maschinen.<br />
Der zweite Erfinder ist der Deutsche Caspar Hermann, der in<br />
Baltimore (USA) eine kleine Druckerei betrieb. Er versuchte, die<br />
Technik <strong>des</strong> Blechdrucks auf die Lithographie zu übertragen. 1903<br />
wurde ihm ein Patent mit Hinweis auf den Blechdruck verweigert.<br />
Im folgenden Jahr offerierte er der Hariss Automatic Press Company<br />
in Ohio sein Know-how zum Bau einer ersten Bogenoffsetmaschine.<br />
Hermann erhielt 1907 ein deutsches Patent auf eine seiner<br />
Weiterentwicklungen, was ihn veranlasste nach Deutschland<br />
zurückzukehren.<br />
Auf der Suche nach einem Financier gelangte Caspar Hermann<br />
1910 an Ernst Hermann, Inhaber der Druckwalzenfabrik Felix<br />
Böttcher in Leipzig. Ernst Hermann war von dem Konzept so<br />
überzeugt, dass er auf eigene Kosten die Vogtländische Maschinenfabrik<br />
VOMAG mit dem Bau eines Prototyps beauftragte. Die<br />
Universal, eine Rollenoffsetdruckmaschine mit 8000 Bögen pro<br />
Stunde, Bahnbreite 70 cm, ist 1912 produktionsbereit. Nach einer<br />
erfolgreichen Vermarktung der Maschine auf der Bugra 1914 verhalf<br />
das Patent Hermanns der VOMAG schnell zu einer marktbeherrschenden<br />
Stellung.<br />
Im harten Konkurrenzkampf nach dem 2. Weltkrieg setzten sich<br />
die Vorteile <strong>des</strong> Offsetdrucks immer mehr durch. Er bietet eine 50 %<br />
höhere Druckgeschwindigkeit bei besserer Qualität als der Hochdruck.<br />
Ferner ist er flexibler bei Bedrucksstoffen und Farben. Die<br />
grössten Vorteile existieren jedoch bei den Druckplatten, die billiger<br />
und schneller zu produzieren sind. Die leichten Aluminiumplatten<br />
sind auch in grossen Formaten handhabbar. Die Bedeutung <strong>des</strong><br />
47<br />
Offsetdruckmaschine: MAN Roland<br />
klaus simon<br />
Offsetdruckplatten im Fotosatz<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
✧ heute meist biegsame Aluminiumplatten (bis 0.3 mm)<br />
➙ elektrolytisch aufgerauht und oxidiert<br />
➙ Oxidationsschicht wasseranziehend (hydrophil)<br />
➙ Überzug mit bildgebender Kopierschicht<br />
✛ lichtempfindlichem Diazolack (Fotopolymer)<br />
✧ Informationsprägung: Belichtung (UV) und Entwicklung<br />
➙ zwei Wirkungsweisen<br />
✛ Negativkopie: Härten der Kopierschicht<br />
✛ Positivkopie: Zersetzen der Kopierschicht<br />
➙ Farbübertragung: unterschiedliche Oberflächeneigenschaften<br />
✛ Feuchtung und Einfärbung analog zu Steindruck<br />
➙ Abschluss: mechanische Stabilisierung (z.B. Brennen)<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
81<br />
drucken<br />
82<br />
Druckplattenbeschichtung (<strong>EMPA</strong>-Labor)<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
Gummituch und fotomechanische Plattenbelichtung<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
83<br />
drucken<br />
84<br />
drucken<br />
48<br />
Buchdrucks geht entsprechend in den 60er Jahren drastisch zurück.<br />
Moderne Offsetdruckplatten sind meist Aluminiumbleche bis etwa<br />
0.3 mm Dicke. Um die Oberfläche wasseranziehend zu machen,<br />
wird sie elektrolytisch aufgeraut (anochsiert) und anschliessend<br />
oxydiert. Das entstehende Aluminiumoxid ist stark hydrophil. Dann<br />
wird die bildgebende Kopierschicht aufgebracht, typischerweise ein<br />
lichtempfindlicher Diazolack (Fotopolymer). Zur Übertragung der<br />
Kopiervorlage benutzt man UV-Licht, das besonders fotowirksam<br />
(aktinisch) ist. Dabei unterscheidet man grundsätzlich verschiedene<br />
Vorgangsweisen:<br />
• Härten der Kopierschicht durch Licht, was zur Negativkopie<br />
führt, oder das<br />
• Zersetzen der Schicht durch Licht, was eine Positivkopie, erzeugt.<br />
Durch die fotomechanische Härtung werden die belichteten Stellen<br />
für den Entwickler unlöslich. Dagegen werden bei der Zersetzung<br />
die belichteten Teile durch den Entwickler aufgelöst. Die verbleibenden<br />
Teile der Kopierschicht sind oleophil und nehmen entsprechend<br />
die Druckfarbe auf. Der Druckvorgang verläuft dann prinzipiell<br />
gleich wie beim Steindruck, mit einem regelmässigen Wechsel<br />
von Feuchtung und Einfärbung. Nach der Entwicklung der Druckplatten<br />
kann durch eine thermische Nachbehandlung (Einbrennen)<br />
ihre mechanische Stabilität und damit ihre Standzeit erhöht werden.<br />
2.4.9 Fotosatz<br />
Die fotomechanische Bildreproduktion kann natürlich auch auf<br />
einen vorliegenden Text angewandt werden. Dazu muss man ihn lediglich<br />
fotografieren und in die übliche Verarbeitungskette einspeisen.<br />
Wenn die Textvorlage dazu jedoch zunächst einmal in konventionellem<br />
Bleisatz produziert werden muss, ist das geschilderte Vorgehen<br />
offensichtlich nicht sehr effizient. Trotzdem war die Integration<br />
von Textsatz und Bildreproduktion, z.B. für Werbegraphik, be-
eits um 1900 ein Thema. So unterbreitete W. Friese-Green 1898<br />
in London Vorschläge, den Textsatz durch Fotografie und Ätzung<br />
zu realisieren. Die daraus resultierenden Erfindungen und Patente<br />
waren kommerziell aber nicht erfolgreich.<br />
Nach dem 2. Weltkrieg verstärkten sich die Anstrengungen. Der<br />
erste bekannt gewordene Ansatz stammt von den Franzosen René<br />
Higonnet und Louis Moyround, die 1944 in London ein Patent<br />
für eine Fotosatzmaschine namens Lumitype erhielt. Es dauerte<br />
jedoch noch 12 weitere Jahre bis daraus ein marktreifes Produkt,<br />
die Photon 200, wurde. Parallel dazu adaptierten die Hersteller von<br />
traditionellen Satzmaschinen, wie Intertype, Monotype oder Linotype,<br />
ihre Produkte für den Fotosatz.<br />
Konzeptionell basierte diese Technik auf der Kathodenstrahlröhre.<br />
Im Gegensatz zu einem TV-Schirm ist der Elektronenstrahl jedoch<br />
sehr stark fokusiert. Das auf dem Schirm erzeugte Licht wird<br />
durch ein komplexes Linsensystem geleitet und belichtet schliesslich<br />
einen Film. Die erste vollelektonische Version dieses Konzeptes<br />
war die Digiset, die 1965 von Rudolf Hell vorgestellt wurde.<br />
Der wirkliche Durchbruch erfolgte allerdings erst ab 1970 mit<br />
der Einführung <strong>des</strong> Minicomputers in der Druckindustrie. Die Minicomputer<br />
waren nicht nur wesentlich günstiger als die Mainframe-<br />
Computer, sondern sie brachten auch neue funktionale Möglichkeiten<br />
wie graphikfähige Monitore, die für die Druckindustrie von grösstem<br />
Interesse waren.<br />
• Graphikfähige Monitore erlaubten erstmals die Kontrolle und<br />
Korrektur von Satz und Layout.<br />
• Die digitale Datenspeicherung erlaubte die Trennung von<br />
Texterfassung und Ausgabe.<br />
• Das Layout wurde mit Raster Image Processors (RIPs) generiert.<br />
• Die digitale Layouterzeugung erweiterte die typographischen<br />
Möglichkeiten.<br />
49<br />
Offsetdruckform<br />
Fotosatz<br />
✧ Textsatz auf Reprofilmen<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
✧ 1898 W. Friese-Green: Satz durch Fotografie und Ätzung<br />
✧ ab 1945 verstärkte Anstrengungen (Adaption <strong>des</strong> Bleisatzes)<br />
➙ 1944 Higomet u. Moyround: Fotosatzmaschine Lumitype<br />
✧ 1970 Durchbruch mit Laser-Ausgabe und Minicomputer<br />
➙ Trennung von Texterfassung und Ausgabe<br />
➙ Editierbarkeit von Text und Layout (Graphikmonitore)<br />
➙ Layoutgenerierung mit Raster Image Processor (RIP)<br />
➙ erweiterte typografische Möglichkeiten<br />
➙ kleinformatige Belichter (Recoder, Imagesetter, A4 Format)<br />
✧ Vervollständigung der fotomechanischen Produktionskette<br />
➙ speziell im Zeitungsdruck<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
85<br />
drucken<br />
86<br />
Linotype CRTronic 360<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
Berthold Fotosatzgeräte TPS 6300 und TPU 6308<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
87<br />
drucken<br />
88<br />
drucken<br />
50<br />
• Kleinformatige Laser-Belichter, so genannte Recoder oder<br />
Imagesetter im A4-Format, erzeugten ab 1974 einfach und effizient<br />
Reprofilme 26 (Linocomp von Linotype, Lasercomp von<br />
Monotype).<br />
Die Vorteile der neuen Technik waren so gewichtig, dass die Druckindustrie<br />
schnell zu einem der wichtigsten Kunden der Minicomputerbranche<br />
wurde. Für die graphische Industrie war jedoch auch<br />
relevant, dass mit dem digitalen Fotosatz die fotomechanische Produktionskette<br />
vollständig war. Textsatz und Bildreproduktion konnten<br />
mit der gleichen Technik realisiert werden.<br />
2.5 Die Druckvorstufe zwischen 1970 – 90<br />
Als Druckvorstufe bezeichnet man alle Arbeitsschritte und -prozesse<br />
zwischen einer Eingabe in Form von Text, Graphik und Bilder<br />
bis zur fertigen Druckform, d.h. die Vorbereitung <strong>des</strong> eigentlichen<br />
Drucks. Die Druckvorstufe ist normalerweise eine spezialisierte Abteilung<br />
einer Druckerei (Verlags) oder eine eigenständige Unternehmung.<br />
Die Strukturen der heute als konventionell bezeichneten<br />
Druckvorstufe beziehen sich auf die Hochzeit <strong>des</strong> Fotosatzes zwischen<br />
1970 – 90. Ihre zentralen Merkmale sind die strikte Trennung<br />
von<br />
• Satz, zuständig für Texterfassung, Typographie und Layout,<br />
• Graphik, die für Illustrationen und Design verantwortlich war,<br />
• Repro, welche das Bildmaterial beisteuerte,<br />
sowie der Film als gemeinsames Zwischenresultat dieser Arbeitsgliederung.<br />
Die fotomechanische Produktionsweise war und ist immer<br />
noch hochwertig, basiert allerdings auf hochspezialisierten<br />
Techniken wie Reprokameras, Scanner oder Belichter, die ein entsprechend<br />
geschultes Personal erforderten. Im Folgenden interessieren<br />
wir uns vor allem für das Zusammenfügen der Einzelfilme zu<br />
26 Ein Laserstrahl belichtet direkt den Film
einer gemeinsamen Kopiervorlage, Montage genannt. Um sie von<br />
den Veränderungen in Folge <strong>des</strong> Desktop Publishings abzugrenzen,<br />
spricht man genauer von manueller Montage.<br />
Auf einem Leuchttisch wird zunächst eine Montagefolie eingespannt,<br />
siehe Folie 91. Sie ist aus Poylester, etwa 0.15 – 0.3 mm dick,<br />
glasklar, kratzfest und neigt möglichst wenig zur elektrostatischen<br />
Aufladung. Auf die Montagefolie werden dann die einzelnen Textund<br />
Bildfilme gemäss Layoutvorgabe eingepasst und mit Flüssigklebstoff<br />
oder Klebstreifen befestigt. Da die Toleranzen dieses Prozesses<br />
sehr klein sind, gehören Lupe (Fadenzähler) oder Mikroskop<br />
zu den üblichen Werkzeugen der Montage. Besondere Sorgfalt erfordern<br />
mehrfarbige Bilder, da hier Arbeitsungenauigkeiten zu Passerfehler<br />
führen, die als Moiréeffekte auffällig werden.<br />
Man unterscheidet zwischen Seitenmontage (Umbruch) und Bogenmontage,<br />
was grundsätzlich daran hängt, dass Druckbögen im<br />
Normalfall mehrere Seiten umfassen. Eine typische Druckbogengrösse<br />
ist etwa 70×100 cm, was 8 DIN-A4-Seiten entspricht. Die Unterscheidung<br />
geht aber über diese Äusserlichkeiten hinaus. Der Seitenumbruch<br />
integriert Text und Bildinformation gemäss den Layoutvorgaben<br />
<strong>des</strong> Kunden, ist also nach aussen gerichtet. Dagegen<br />
bezieht sich die Bogenmontage auf die betriebliche Weiterverarbeitung<br />
<strong>des</strong> Druckerzeugnisses, ist also primär nach innen orientiert.<br />
Zunächst muss die Lage und Orientierung der Seiten festgelegt<br />
werden, das so genannte Ausschiessschema. Dafür existieren viele<br />
Varianten, die sich in den Möglichkeiten <strong>des</strong> Zerschneidens <strong>des</strong><br />
Druckbogens sowie <strong>des</strong> maschinellen Faltens (Falzen) unterscheiden.<br />
Die Auswahl richtet sich nach dem beabsichtigten Verwendungszweck,<br />
z.B. Buch oder Magazin, und dem verfügbaren Maschinenpark<br />
in der Weiterverarbeitung. Zur Steuerung <strong>des</strong> Druckprozesses<br />
und der Weiterverarbeitung müssen verschiedene Hilfszeichen<br />
und Kontrollfelder eingefügt werden, z.B. Pass-, Schneid- und<br />
Falzmarken. Die Kontrollfelder sind kleine Testbilder in Streifenform,<br />
die zur Überprüfung <strong>des</strong> Druckprozesses mitgedruckt werden.<br />
Sie werden am Rande <strong>des</strong> Bogens platziert und später abgeschnitten.<br />
In der mechanischen Handhabung unterscheidet sich die ma-<br />
51<br />
Druckvorstufe zwischen 1970 und 1990)<br />
✧ Arbeitsorganisation zur Druckformerzeugung<br />
➙ Bereitstellung von Texten, Graphiken, Bilder<br />
✛ als Kopiervorlage (Lith-Filme)<br />
✛ hochwertige analoge Filmtechnik (für Spezialisten)<br />
✛ hochauflösende Filmbelichter (bis etwa 8000 dpi)<br />
➙ Satz: Texterfassung, Typographie, Layout<br />
➙ Graphik: Illustration und Design<br />
➙ Repro: gerasterte, separierte Bilder<br />
✛ spezialisierte Hardware: Reprokameras, Reproscanner<br />
✛ farbmetrische Prozesskontrolle<br />
➙ Montage: handwerkliches Zusammenfügen der Filme<br />
➙ in Teilbereichen digitalisiert (proprietäre Minicomputersysteme)<br />
manuelle Montage<br />
klaus simon<br />
✧ Zusammenkleben einzelner Text- bzw. Bildfilme<br />
➙ zur Kopiervorlage der Plattenbelichtung<br />
✧ Arbeitsungenauigkeiten führen zu Passerfehler<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
➙ spezielle Werkzeuge: Leuchttisch, Montagefolien, Lupen, . . .<br />
➙ durch Experten ausgeführt<br />
✧ Seitenmontage (Umbruch): Integration Text und Bild<br />
➙ Layout gemäss Kundenvorgabe (aussenorientiert)<br />
✧ Bogenmontage: Druckplatte enthält mehrere Seiten<br />
➙ Aufbau gemäss Verwendungszweck (Buch, Broschüre)<br />
➙ Zusatzdaten zum Druckprozess bzw. Weiterverarbeitung<br />
✛ Hilfszeichen und Kontrollfelder<br />
➙ Ausschussschema: Seitenplatzierung und -ausrichtung<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
89<br />
drucken<br />
90<br />
3 Druckvorstufe<br />
ndbogen und Ausschießschema<br />
Einlaufens der Bogen in die Falzmaschine kennzeich-<br />
er Ausschießen ist das korrekte Zusammenstellen Fotomontage nen und amdamit Leuchtisch Ort,Lage und (<strong>EMPA</strong>) Richtung <strong>des</strong> ersten Falz-<br />
Seiten zu einer Montage mit beispielsweise 4, 8, bruchs und aller folgenden Fa!zbrüche festlegen.<br />
der 32 Seiten zu verstehen. Zur Herstellung der Auch für das elektronische Ausschießen ist wichtig,<br />
ckform sind zwei Basis-Arbeitsmittel unentbehr- daß der Standbogen alle Maßangaben enthält.<br />
: der Standbogen und das Ausschießschema, das Der Standbogen ist Grundlage zur Drucklegung<br />
aus der späteren Falzart ergibt. Standbogen und eines Bogens und wird um die Informationen <strong>des</strong><br />
schießschema sind erst dann anzulegen, wenn Ausschießschemas ergänzt, mit dem die Verteilung<br />
her die technisch und wirtschaftlich günstigste der Druckseiten auf Vorder- und Rückseite der Bogen<br />
stellungsart ermittelt wurde.<br />
festgelegt und die Übersicht über die Anzahl der Druck-<br />
er Standbogen (Abb. 3.2-37) zeigt die Standorte formen gewonnen wird (Abb.3.2-38).<br />
druckenden Teile, die Abstände der Seiten von- Während der Standbogen die Stellung der Seiten<br />
ander, von der Bogenmitte, vom Bund (Falz) und auf den Druckbogen festlegt, zeigt das Ausschieß-<br />
den Bogenrändern. Daneben berücksichtigt er schema, wie die Gesamtzahl der Seiten eines Druck-<br />
rmationen wie die Greiferkante und zeigt, wo die produktes einzuteilen und wie oft und auf welche<br />
schiedenen Markierungen anzubringen sind, die Weise einzelne Bögen gefalzt werden müssen. Das<br />
Drucken und zur nachfolgenden Bogenverar- Ausschießschema zeigt den Weg, wie beispielsweise<br />
ung benötigt werden: z. B.Anlagemarken, Bogen- ein Druckbogen im Format 70 cm ¥ 100 cm auf das<br />
aturen,Flattermarken(s.Abb.7.2-52),Schneide- geforderte Endformat gefalzt wird. Insofern ergänzt<br />
rken und für den Druck notwendige Paßkreuze das Ausschießschema den Standbogen und ist Er-<br />
Druckkontrollstreifen. Gelegentlich muß der gebnis einer Optimierung durch mehrere Einfluß-<br />
dbogen auch Informationen über den Standort<br />
s Numerierwerkes oder einer Perforation beinhalgrößen,<br />
wie zum Beispiel:<br />
(s.auch 3.1.5,Abb.3.1-40).<br />
• Drucksachen-Umfang,<br />
ogensignaturen und Flattermarken (s.Abb.3.2-37) • Druckbogen-Format, klaus simon technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
für die Verarbeitung von Buchblöcken relative (CMYK, unent- • Papierbeschaffenheit links) · perecptual und Laufrichtung, (CMYK, rechts)<br />
rlich, um die richtige Reihenfolge der Bogen, Bo- • Druckmaschinen-Format,<br />
teile und Heftlagen herzustellen. Besonders wich- • Formate der Druckverarbeitungs-Maschinen<br />
sind die Anlagemarken, weil sie die Standbogen Richtung <strong>des</strong> mit (Schneid- Angaben und zur Falzmaschinen), Weiterverarbeitung<br />
. 3.2-37<br />
dbogen für 8 Seiten mit Angaben für<br />
eitenlage, den späteren Druck und die<br />
terverarbeitung<br />
Schnittmarke<br />
Satzspiegel<br />
seitlicher<br />
Beschnitt<br />
Schnittmarke<br />
+<br />
Falzkreuz<br />
Signatur,<br />
zugleich als<br />
Flattermarke<br />
gestaffelt<br />
und im Bund<br />
eingesetzt<br />
Seitenzahl, Pagina<br />
Greiferrrand,<br />
muß bei angeschnittenen<br />
Druckflächen<br />
zusätzlich zum<br />
Brutto-Seitenformatberücksichtigt<br />
werden<br />
Kopfbeschnitt<br />
Fußbeschnitt<br />
+<br />
seitliche<br />
Anlagemarke<br />
Rand für<br />
Rückenfräsung<br />
bei<br />
Klebebindung<br />
91<br />
drucken<br />
© Handbuch der Printmedien (ISBN 3-540-66941-8) drucken<br />
klaus simon technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
1<br />
gklaus simonG gworkflow + layoutG gcolor managementG<br />
92<br />
52<br />
nuelle Bogenmontage nur unwesentlich von der Seitenmontage. Sie<br />
hat aber komplexere Inhalte und den Charakter einer Ablaufplanung.<br />
2.6 Digitale Druckvorstufe<br />
Seit etwa Mitte der 80er Jahre verstärkt sich der Einfluss der Informatik<br />
auf die Druckvorstufe. Die exklusiven, proprietären Hardund<br />
Software-Lösungen der graphischen Industrie werden zunehmend<br />
durch allgemeine Office-Lösungen ersetzt. Die Grenzen zwischen<br />
Massen- und Bürokommunikation beginnen sich aufzulösen.<br />
2.6.1 Camera Ready und Wissenschaft<br />
Die konventionelle Druckvorstufe, wie oben beschrieben, war auf<br />
eine hochqualitative Produktion ausgerichtet und damit teuer. Diese<br />
Produktionsweise benötigt entweder Kunden, z.B. aus der Werbung,<br />
welche die Fixkosten direkt übernehmen, oder Druckerzeugnisse<br />
wie Zeitschriften, wo die hohen Fixkosten auf die Gesamtauflage<br />
verteilt werden können. Nun gibt es aber Publikationsbereiche,<br />
auf die weder das eine noch das andere Szenario zutrifft. Zu diesen<br />
zählt die Wissenschaft, die zwar sowohl als Autor als auch als Leser<br />
auf das Publizieren angewiesen ist, die sich andererseits aber auch<br />
durch eine allgemeine Finanznot auszeichnet. Für diese Zielgruppe<br />
offerierte der Fotosatz auch eine Low-Budget-Alternative, die als<br />
Camera-Ready-Produktion bekannt geworden ist.<br />
Camera-Ready meint die Filmerzeugung durch Fotografie <strong>des</strong> fertigen<br />
Manuskripts mit einer Reprokamera. Auf Texterfassung und<br />
Satz wird verzichtet bzw. dem Autor überlassen. Der Druckvorstufenprozess<br />
beginnt bei Camera-Ready also unmittelbar mit der Bogenmontage.<br />
Die vorgelagerten Produktionsschritte entfallen. Die<br />
damit verbundene Kostenreduktion, war bei einer typischen Auflagenhöhe<br />
von weniger als 1000 Exemplaren bei wissenschaftlichen<br />
Monographien, überaus relevant.
elative (CMYK, links) · perecptual (CMYK, rechts)<br />
Ärgerlich dabei war der damit verbundene Qualitätsverlust <strong>des</strong><br />
Layouts. Den Autoren standen üblicherweise lediglich die Mittel der<br />
Bürokommunikation zur Verfügung, d.h. die Schreibmaschine. Mit<br />
den Möglichkeiten der Schreibmaschine liess sich ein mathematischer<br />
oder chemischer Inhalt nur unzureichend darstellen. Es ist<br />
leicht nachzuvollziehen, dass viele Wissenschaftler mit der entstandenen<br />
Situation nicht sehr glücklich waren.<br />
Einer der Unzufriedenen war der Informatiker und Mathematiker<br />
Donald E. Knuth, seinerzeit Professor an der Stanford University.<br />
1978 beschloss er die Möglichkeiten seiner Disziplin zu nutzen,<br />
um Wissenschaftlern das Niveau <strong>des</strong> mathematischen Bleisatzes<br />
zurückzugeben. Vier Jahre später präsentierte er das TEX-System.<br />
Es ist eine Markup Sprache, d.h. eine Sammlung von Satzanweisungen,<br />
die in den Quelltext hineingeschrieben werden. Die Intelligenz<br />
<strong>des</strong> Konzepts steckt im Compiler, der aus der Kombination von<br />
Steuerbefehlen und Text das gewünschte Layout erzeugt. Das Konzept<br />
von TEX kann als eine Weiterentwicklung von Textformatierungssystemen<br />
wie troff27 aufgefasst werden. Diese Systeme waren<br />
Bestandteil von Computersystemen und dienten der Programmdokumentation.<br />
Ein grosser Vorteil von TEX war die Plattformunabhängigkeit und<br />
ein Fileformat, das ausschliesslich auf dem ASCII-Zeichensatz (7-<br />
Bit) basierte. Damit konnte ein TEX-File mit jedem beliebigen Texteditor,<br />
z.B. vi oder emacs, erstellt und bearbeitet werden. Ferner<br />
konnten TEX-Files problemlos über das Internet ausgetauscht werden.<br />
Die Ausgabe erfolgte auf den gerade populär werdenden Laserdruckern<br />
und Camera-Ready war nicht länger ein Problem.<br />
Das bis heute unübertroffene Qualitätsniveau, die leichte Handhabbarkeit<br />
und die freie kostenlose Verteilung28 3.2 Digitale Druckvorstufe 557<br />
Abb. 3.2-38<br />
Anordnungsbeispiel von 16 Seiten auf dem<br />
Bogen für den Schön- und Widerdruck<br />
(durch 3-maliges Falzen entsteht 16-seitige<br />
Broschüre)<br />
Anordnungsbeispiel: 16 Seiten auf einem Druckbogen<br />
• Endformat,<br />
Vorderseite Rückseite<br />
klaus simon technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
ermöglicht innerhalb <strong>des</strong> Prinergy-Workflow die Ein-<br />
93<br />
drucken<br />
• Bindeart (Klebebindung, Faden- oder Drahtbindung der genannten Software ebenso z.B. die Fir-<br />
1<br />
heftung).<br />
Camera-Ready men Creo, gklaus Fuji, undsimonG Intergraph, Wissenschaft gworkflow Scitex und + layoutG Xerox. gcolor managementG<br />
Unternehmen, die sich für die beiden letzteren<br />
Typen von Ausschießprogrammen<br />
Varianten entscheiden, haben die Gewißheit, daß der<br />
✧<br />
Die oben genannten Anforderungen haben<br />
Filmproduktion<br />
auch die Arbeitsfluß<br />
durch Fotographie<br />
einem schlüssigen<br />
eines Manuscriptes<br />
Konzept folgt. Zudem<br />
als Ausschießprogramme bekannt gewordenen ➙ ermöglicht Soft- durch wird die Fotosatz Verantwortung für die Teilprozesse in eine<br />
ware-Tools zu erfüllen. Dabei sind diese ✧ in geringe zwei Kate- Kosten: Hand kein gelegt.Im Satz und anderen auch Fall keine muß Seitenmontage<br />
die Einführung der<br />
gorien zu unterteilen:<br />
digitalen Bogenmontage selbst realisiert und an die<br />
✧ weitverbreitet bei Konfiguration wissenschaftlichen angepaßt Publikationen<br />
werden.<br />
1. Programme, die geräteunabhängig konzipiert ➙ allgemein Kleinauflagen (≤ 1000 Exemplare)<br />
sind und auf jedem Publishing-System ange- Anforderungen an Ausschießprogramme<br />
✧ Autorenverantwortung: Texterfassung und Layout<br />
wendet werden können,<br />
Grundsätzlich haben Ausschießprogramme Anforde-<br />
2. Programme, die von den Herstellern von ➙ Problem: Druck- klassische rungen zu Schreibmaschine erfüllen, die im folgenden unzureichend exemplarisch<br />
machten vorstufensystemen TEX in- in den eigenen Workflow ✛ ersetzt durch aufgeführt Texteditoren sind. Ausschießprogramme (vi, emacs) sollten vom<br />
nerhalb kürzester Zeit zum wissenschaftlichen Publikationsstan-<br />
integriert sind.<br />
Handwerklichen her in der Lage sein (s. auch Abb.<br />
✛ Textformatiersysteme (z.B. troff unter Unix)<br />
dard. Heute benutzt man hauptsächlich LATEX, das eine Makro-<br />
3.2-39),<br />
Zur ersten Kategorie gehören z.B.die Programme ✧ 1982 Donald Im- E. Knuth: TEX (wiss. Markup Sprache)<br />
sammlung zu TEX darstellt, die für viele Routineprobleme Stanposition<br />
(DK&A), Imposition Publisher (Farrukh ➙ bis heute Sy- dominant • Standbögen bei wissenschaftlichen zu erstellen und abzuspeichern,<br />
Publikationen<br />
dardformate offeriert. Auch das vorliegende Werk stems), wurdePresswise damit rea- (Luminous), Strip It (One Vision), • die Zahl der Seiten je Platte, deren Format<br />
➙ hochwertiges Layout, public domain, PDFlatex<br />
Preps (Scenicsoft) und Impostrip (Ultimate).<br />
und Ausrichtung samt benutzerdefinierter<br />
27einer Unix-Komponente<br />
Die zweite Kategorie von Ausschießprogrammen Ränder, Bundstege und Ausschießmuster zu<br />
94<br />
28TEX und die Ableger wie LATEX sind public domain sind diejenigen, die von Herstellern wie beispielsweise<br />
Agfa, Barco, Heidelberg, Krause, Scangraphic und<br />
verarbeiten, klaus simon technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
• für jeden Standbogen mehrere Ausschießmuster<br />
drucken<br />
Screen als Teil ihres Workflowmanagements 53<br />
in einer<br />
Produktlinie samt Hardwarekonfiguration wie Server,<br />
einschließlich mehrseitiger Druck- und Teilbögen<br />
zu erstellen,<br />
Ausschießstation,RIP und Belichter oder CtP-System • den Schön- und Widerdruck sowie Umstülpen<br />
angeboten werden.<br />
und Umschlagen zu berücksichtigen,<br />
4<br />
13<br />
16<br />
1<br />
8 9 12 5<br />
6<br />
11<br />
10<br />
7<br />
2 15 14 3
D o n a l d E . K n u t h<br />
Desktop Publishing<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
✧ in den 80ern: Entwicklung <strong>des</strong> PC (low cost-computer)<br />
➙ Durchbruch als Schreibmaschinenersatz (Office)<br />
✛ Vorteil: editierbar u. elektr. Datenaustausch (floppy disk)<br />
✛ Forderung: Seitenformatierung (Briefe, Formulare, . . . )<br />
✧ 1984 erster Office-Laserdrucker: HP Laser Jet (300 dpi, 3600 $)<br />
✧ 1984 PostScript: Layoutbeschreibung und Druckerkontrolle<br />
✧ 1985 Apple LaserWriter: t y p e s e t t e r q u a l i t y, 7000 $<br />
➙ mit PostScript-Controller von Adobe (für 2500000 $)<br />
✧ 1985 PageMaker (Aldus): erstes Desktop Publishing Programm<br />
➙ abgestimmt auf Apple LaserWriter<br />
✧ 1986 erster PostScript-fähiger Belichter (Linotype)<br />
➙ etabliert PostScript als Standard-Layout-Sprache (heute PDF)<br />
✛ Seitenmontage entfällt, Bogenmontage wird digital<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
95<br />
drucken<br />
96<br />
drucken<br />
54<br />
lisiert. Die Autorenerlöse seiner TEX-Bücher erlaubten es Donald<br />
E. Knuth sich frühzeitig aus dem Arbeitsleben zurückzuziehen.<br />
2.6.2 Desktop Publishing<br />
Die Entwicklung von TEX- bzw. LATEX vollzog sich zunächst in der<br />
normalen Computerarbeitsumgebung von Wissenschaftlern. Das<br />
war im Normalfall ein Unix-Minicomputer oder ein Mainframe. Zunächst<br />
unbeachtet, entwickelte sich Anfang der 80er Jahre eine<br />
neue Computergeneration, der PC. 29 Die ersten PCs waren sehr<br />
primitiv im Verhältnis zu den ausgereiften Computersystemen von<br />
Business, Technik und Wissenschaft. Aber im Verhältnis waren sie<br />
sehr billig, billig genug, um eine Schreibmaschine zu ersetzen, und<br />
das gab den Ausschlag. Entsprechend waren die ersten PCs klar für<br />
den Office-Bereich konzipiert. Noch heute ist das Office-Paket die<br />
zentrale Windows Anwendung. Editierbare Texte und der elektronische<br />
Datenaustausch stellten für die Bürokommunikation Quantensprünge<br />
der Entwicklung dar.<br />
Die neuen Möglichkeiten für Serienbriefe, Formulare, Präsentationen<br />
oder Geschäftsberichte beschleunigten die Nachfrage nach<br />
mehr Layoutfähigkeit in der Bürokommunikation. Als sichtbares<br />
Zeichen dieser Bedürfnisse kann der erste Office-Laserdrucker, der<br />
HP Laser Jet, gewertet werden. Er kam 1984 für 3600 $ auf den<br />
Markt und hatte eine <strong>Auflösung</strong> von 300 dpi. Die Kombination von<br />
PC und hochwertigem Bürodrucker läutete für die Bürokommunikation<br />
ein neues Zeitalter ein.<br />
Jemand, der die Zeichen der Zeit erkannte und der auch gewillt<br />
war sie zu nutzen, um den Ruf seiner Firma als Technologieführer<br />
im aufstrebenden PC-Markt abzusichern, war Steve Jobs von Apple.<br />
Man arbeitete 1984 ebenfalls an einem Laserdrucker. Um den<br />
geplanten LaserWriter mit einer überlegenen Funktionalität auszustatten,<br />
kooperierte Steve Jobs mit einer kleinen Startup-Firma<br />
namens Adobe, im Dezember 1982 von den ehemaligen Xerox<br />
29 wobei wir PC als Gattungsbegric verstehen und <strong>des</strong>halb auch Apple-Produkte<br />
dazuzählen
PARC-Mitarbeiter John Warnock und Charles Geschke gegründet,<br />
die gerade ihr erstes Produkt PostScript auf den Markt gebracht<br />
hatte. PostScript war eine innovative RIP-Programmiersprache in<br />
der geräteunabhängig Layout und Graphik beschrieben werden<br />
konnten. Der LaserWriter erschien 1985 mit PostScript-Kontroller<br />
für 7000 $ und erfüllte alle in ihn gesetzten Erwartungen. Apple<br />
beanspruchte für den LaserWriter<br />
t y p e s e t t e r q u a l i t y,<br />
was einerseits dokumentiert, dass die adressierte Funktionalität im<br />
professionellen Publizieren keineswegs unbekannt war, und andererseits<br />
normale PC-User als Zielgruppe klarstellte. Um das Ziel<br />
L a y o u t f u n k t i o n a l i t ä t i m P C - U m f e l d<br />
verfügbar zu machen, benötigte man noch entsprechende Software,<br />
welche die Möglichkeiten der Programmiersprache PostScript<br />
für Office-Mitarbeiter, typischerweise Nichtprogrammierer, in einem<br />
intuitiven Frontend zur Verfügung stellte. Darauf musste man<br />
allerdings nicht lange warten. Bereits 1985 stellte eine Firma namens<br />
Aldus das erste Desktop Publishing-Programm PageMaker<br />
vor. Es folgte 1987 Quark mit QuarkXPress.<br />
Der schnell gefundene Name der neuen Technik<br />
D e s k t o p P u b l i s h i n g<br />
betont einerseits die Wurzeln in der Bürokommunikation, andererseits<br />
signalisiert er eine Abgrenzung zum Publishing, d.h. zu der<br />
etablierten Publikationstechnik, wie sie in der manuellen Druckvorstufe<br />
manifestiert war. So fehlte dem Desktop Publishing insbesondere<br />
noch ein direkter Zugang zum digitalen Fotosatz. Zwar optimierten<br />
die neuen Verfahren die Camera-Ready-Produktion, der<br />
Markt für hochqualitative Druckerzeugnisse basierte aber auf hochauflösenden<br />
Filmbelichtern und nicht auf Laserdruckern, so nützlich<br />
sie auch waren. Filmbelichter und Laserdrucker sind auf den<br />
55<br />
Steve Jobs and Steve “Woz” Wozniak<br />
klaus simon<br />
erster Laserdrucker: HP Laser Jet (1984)<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
97<br />
drucken<br />
98<br />
LaserWriter (1985) und Desktop Publishing<br />
Grafik<br />
klaus simon<br />
Raster Image Processor (RIP)<br />
Text<br />
RGB-Bild<br />
ICC-CMS<br />
Gamut Mapping<br />
Farbkonvertierung<br />
Massenmarkt<br />
Psychophysik<br />
RIP<br />
Wahrnehmung<br />
spezifizierte Rasterzelle<br />
Rasterbild (Halftoning)<br />
Rasterzelle<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
Simulation der Pixelhelligkeit in einer Rasterzelle<br />
mit Durchmesser < der optischen <strong>Auflösung</strong>sgrenze<br />
Farbmischung in<br />
Netzhautrezeptoren<br />
klaus simon<br />
Druckform<br />
nicht regelbar<br />
Druckbild<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
99<br />
drucken<br />
100<br />
drucken<br />
56<br />
zweiten Blick aber nicht so verschieden wie es zunächst aussehen<br />
mag. Beide Systeme basieren auf einem Raster Image Processor<br />
(RIP), der Text-, Graphik- und Bilddaten in Rasterbilder übersetzt.<br />
Das Problem bestand einfach darin, dass die etablierten Belichter-<br />
RIPs, die neue Sprache PostScript nicht verstanden.<br />
Dies war kein prinzipielles Problem, aber ein praktisches, da<br />
RIPs in der damaligen Druckvorstufe üblicherweise auf die proprietäre<br />
Seitenbeschreibungssprache <strong>des</strong> Belichterherstellers abgestimmt<br />
waren. Umso bemerkenswerter war 1986 die Entwicklung<br />
<strong>des</strong> ersten PostScript-fähigen Belichters 30 Linotronic 300 durch Linotype,<br />
und wie 100 Jahre zuvor schrieb die Firma damit Geschichte,<br />
denn PostScript setzte sich schnell als Standardformat der Layoutbeschreibung<br />
durch.<br />
Grundsätzlich hat das Desktop Publishing eine ähnliche Wirkung<br />
wie das Camera-Ready Publishing. Die Druckvorstufe reduziert sich<br />
auf die Bogenmontage mit der entsprechenden Kostenreduktion.<br />
Zudem ist es auch in der Bogenmontage nicht länger nötig, direkt<br />
mit Filmen zu arbeiten. Es genügt die eingegebene Layoutbeschreibung<br />
zu modifizieren und an eine Ganzbogenbelichtung weiterzureichen.<br />
Die indirekten Auswirkungen mögen längerfristig die gewichtigeren<br />
gewesen sein. Das Desktop Publishing hat der Druckvorstufe<br />
die Exklusivität, die sie im manuellen Fotosatz innehatte, genommen.<br />
Die hochspezialisierte proprietäre Reprotechnik <strong>des</strong> konventionellen<br />
Fotosatzes wurde durch allgemein zugängliche Bürotechnik<br />
ersetzt. Eine Tendenz, die sich bis in die Gegenwart fortsetzt.<br />
Und dies nicht nur mit Kosten- sondern auch mit Qualitätsvorteil.<br />
Die ehemals anvisierten Zielgruppen <strong>des</strong> Desktop Publishings,<br />
nämlich Agenturen, Designer, Autoren, sind im heutigen Publishing<br />
Workflow fest etabliert und ersetzen die freigestellten Tätigkeiten<br />
in der Druckvorstufe. Die permanent verbesserten Laserdrucker<br />
konkurrenzieren zunehmend mit dem klassischen Druck.<br />
Allgemein lässt sich feststellen, dass sich die Grenzen zwischen Bürokommunikation<br />
und Druck mehr und mehr auflösen.<br />
30 mit einem Apple Macintosh als Steuergerät
2.6.3 Digitale Bogenmontage<br />
Die Aufgaben der Bogenmontage im Bereich der Prozessplanung<br />
und -steuerung wurden durch das Desktop Publishing nicht in Frage<br />
gestellt und die Bogenmontage wurde zur neuen Eintrittsschwelle<br />
in den Druck. Lediglich die benutzte Technik wurde den Gegebenheiten<br />
angepasst, d.h. sie wurde digital.<br />
Die Bogenerstellung selbst ist auch eine Layoutbeschreibung. Es<br />
war evident die Technik der Seitenerstellung zu übernehmen. Damit<br />
dieses Konzept konsequent umgesetzt werden konnte, waren<br />
einige technologische Adaptionen notwendig. Zentral war die Entwicklung<br />
grossformatiger Belichter, so dass eine Bogenbeschreibung<br />
komplett in einem Schritt belichtet werden konnte (Ganzbogenbelichtung).<br />
Die zu diesem Zweck entwickelten Computer-to-<br />
Techniken standen seit Anfang der 90er Jahre zur Verfügung. 31 Der<br />
zweite wichtige Punkt war eine Erhöhung der RIP-Leistung, die<br />
aber glücklicherweise durch die allgemeine Hardware-Entwicklung<br />
geleistet wurde. In der Folge wurde die Bogenerstellung mittels<br />
Ausschiesssoftware schnell zum Standard.<br />
Das Erscheinungsbild der digitalen Bogenmontage wird zunehmend<br />
auch von Workflow-Software zur Prozesssteueurung und Auftragsabwicklung<br />
geprägt. Da bereits die manuelle Bogenmontage<br />
hier involviert war, z.B. zum Setzen von Schnitt- und Falzmarken,<br />
platzierte man die neuen Konzepte der Computerintegrierten Fertigung<br />
(CIM) am gleichen Ort. Den Traditionen der Bogenmontage<br />
folgend, integriert man dabei die zusätzlichen Daten der neuen Prozesskommunikation<br />
(Jobtickets), siehe www.cip4.org, in der Layoutbeschreibung.<br />
32<br />
Die Bogenerstellung in PostScript hatte einige Vorteile. Vor allem<br />
die Vermeidung von mechanischen Ungenauigkeiten beim Zusammenkleben<br />
von Einzelfilmen, speziell bei der Farbbildproduktion.<br />
31Wir werden im folgenden Abschnitt auf Computer-to- ... noch einmal separat<br />
eingehen.<br />
32wohl nicht zur Freude <strong>des</strong> Software Engineerings<br />
57<br />
digitale Bogenmontage<br />
✧ Bogenlayout in PostScript oder PDF (Eingabe für RIP)<br />
➙ Ausschiessen mit modifizierten Standardschemata<br />
➙ Ganzbogenbelichtung: grossformatige CtF- oder CtP-Anlagen<br />
➙ Layout bis zur Plattenerzeugung editierbar<br />
✛ Vermeidung mechanischer Fehlerquellen (Passerfehler)<br />
✧ Workflow-Software: Produktionsplanung und Ablaufsteuerung<br />
➙ Vernetzung, Weiterverarbeitung, Auftragsabwicklung<br />
➙ Konzepte aus Computerintegrierter Fertigung (CIM)<br />
✛ geschlossene Middleware-Ansätze (Komplettlösungen)<br />
✛ offene scriptprogrammierte Ablaufsteuerungen<br />
➙ Jobtickets: Austauschformat für die Prozesskommunikation<br />
✛ Print Production Format (1994, CIP-3)<br />
✛ Job Definition Format (2000, CIP-4)<br />
klaus simon<br />
digitales Ausschiessen<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
101<br />
drucken<br />
102<br />
digitales Kontrollzentrum<br />
klaus simon<br />
Computer-to-Verfahren<br />
✧ Bebilderungsstrategien für digitale Daten<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
➙ unterschieden gemäss der Nähe zum Druckprozess<br />
✧ Computer-to-Film: Kopiervorlage für Plattenbelichter<br />
➙ geringe Belichtungsleistung erforderlich, Nassentwicklung<br />
✧ Computer-to-Plate: direkte Belichtung der Druckform<br />
➙ seit 1993 hinreichende Laserleistung, thermische Druckplatten<br />
✧ Computer-to-Press: Belichtung in der Druckmaschine<br />
➙ mechanische Positionierung entfällt, hohe Passergenauigkeit<br />
✧ Computer-to-Print: Bildaufbau ohne Druckform<br />
➙ Non Impact Printing (NIP): Elektrofotografie, Inkjets<br />
➙ keine Rüstzeiten, effiziente Weiterverarbeitung<br />
➙ Print on Demand, individualisierte Drucke, bürotauglich<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
103<br />
drucken<br />
104<br />
drucken<br />
58<br />
Dazu kam die Editierbarkeit <strong>des</strong> Layouts, praktisch bis unmittelbar<br />
vor dem Produktionstart.<br />
2.7 Computer-to-Techniken<br />
Als erstes dieser Verfahren wurde Computer-to-Film (CtF) ein<br />
Begriff. Er bezeichnet die vollständige Bebilderung von Kopiervorlagen<br />
(Ganzbogenfilme) für die Druckplattenerzeugung durch<br />
einen Computer ausgehend von einer digitalen Layoutbeschreibung<br />
(PostScript-File). Die Forderung der Vollständigkeit ergab sich als<br />
Konsequenz aus dem Desktop Publishing, wie in Abschnitt 2.6.2<br />
ausgeführt wurde. Das CtF war entsprechend keine neue Technik,<br />
sondern eine Leistungssteigerung bzw. Neuinterpretation bekannter<br />
Konzepte. In der Folge etablierte sich ≪Computer-to- ...≫ als Bezeichnung<br />
für das Umsetzungskonzept von digitalen Daten zu einem<br />
physikalischen Bild. Die verschiedenen Computer-to-Verfahren<br />
dokumentieren damit die langsame Abkehr von der fotomechanischen<br />
Bildreproduktion.<br />
Den Einstieg in diese Tendenz markiert das Computer-to-Plate<br />
(CtP). Dabei wird auf die Kopiervorlage verzichtet und die lichtempfindliche<br />
Druckplatte direkt durch ein digital gesteuertes Lasersystem<br />
belichtet. Die dafür nötigen hochleistungsfähigen Laser<br />
stehen seit etwa 1993 zur Verfügung. In der Anfangszeit wurde eine<br />
konventionelle Entwicklung eingesetzt, die jedoch bald durch thermische<br />
Platten verdrängt wurde. Thermische Platten arbeiten im<br />
Infrarotbereich und nutzen die Schwellwertcharakteristik gewisser<br />
Polymere. Sobald die thermische Energiezufuhr einen bestimmten<br />
Schwellwert erreicht, wird die Oberflächenstruktur vollständig umgewandelt.<br />
Da Unter- oder Überbelichtung keinen zusätzlichen Effekt<br />
haben, ist das Verfahren sehr stabil. Die CtP-Verfahren enthalten<br />
einen Prozessschritt weniger als CtF und sind dadurch sowohl<br />
weniger fehleranfällig als auch zeiteffizienter, was zum Beispiel<br />
für den Zeitungsdruck von Relevanz ist. CtP-Konzepte exi-
stieren für den Offsetdruck, den Flexodruck 33 und für den Siebdruck<br />
34 , teils unter speziellen Bezeichnungen. Obwohl gegenwärtig<br />
CtF-Systeme noch eingesetzt werden, dominieren CtP-Anlagen<br />
deutlich das Marktgeschehen.<br />
Wird die Erzeugung der Druckform in die Druckmaschine selbst<br />
verlegt, so spricht man nicht länger von Computer-to-Plate sondern<br />
von Computer-to-Press. Die Farbübertragung im Fortdruck erfolgt<br />
jedoch immer noch mittels einer Druckform. Innerhalb der Kategorie<br />
unterscheiden sich die Verfahren durch die Art und Weise wie<br />
die Druckplatte erzeugt wird. Wird lediglich die Plattenbelichtung<br />
in die Presse verlegt, so spricht man von einer einmal beschreibbaren<br />
Druckform. Die Plattenerzeugung in der Druckmaschine ist<br />
einfach ein weiterer Optimierungsschritt. Die mechanische Positionierung<br />
entfällt, es wird eine höhere Passergenauigkeit erreicht und<br />
die Umrüstzeiten werden verkürzt.<br />
Die ideale Lösung für den Computer-to-Press-Ansatz ist eine wiederbeschreibbare<br />
Druckform. Dieses Ziel ist technologisch evident<br />
und wurde in den vergangenen Jahren intensiv erforscht. Es wurden<br />
mehrere Technologien vorgeschlagen und patentiert. Das erste<br />
marktreife Produkt, die DICOweb, wurde bei MAN Roland entwickelt,<br />
siehe Folie 107.<br />
Die konsequente Extrapolation der vorgängig dargestellten Bebilderungsstrategien<br />
digitaler Daten sind die Computer-to-Print-<br />
Technologien, in erster Linie die Elektrofotografie (Laserdrucker)<br />
und Inkjets. Zur Abgrenzung von Druckverfahren mit Druckform<br />
spricht man auch von Non Impact Printing (NIP), was aber nicht allzu<br />
wörtlich zu verstehen ist. Auf Grund ihrer relativ langsamen Produktionsgeschwindigkeiten<br />
konkurrenzieren NIP-Verfahren nicht<br />
den klassischen Druck im Bereich von Massenerzeugnissen. Bei<br />
Einzelanfertigungen oder Kleinserien, dem Akzidenzdruck, haben<br />
sie jedoch entscheidende Vorteile. So haben sie technologiebedingt<br />
keine Umrüstzeiten. Zudem kann ein Druckerzeugnis direkt in der<br />
korrekten Seitenabfolge produziert werden, was die Weiterverarbei-<br />
33 siehe Seite 65<br />
34 siehe Seite 66<br />
59<br />
Computer-to-Film: Linotronic 300 und Quicksetter<br />
klaus simon<br />
Computer-to-Plate (Heidelberg)<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
105<br />
drucken<br />
106<br />
Computer-to-Press: DICOweb (MAN Roland)<br />
klaus simon<br />
Auswirkungen <strong>des</strong> Desktop Publishing<br />
✧ Reduktion der Druckvorstufe auf die Bogenmontage<br />
✧ technische Produktionssituation: RIP<br />
✧ Trennung von Layout und Druck<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
➙ Drucken wird nachgeordnete Dienstleistung im Publizieren<br />
➙ konkuriert mit Office-Druckern<br />
➙ Fotodruckern (Fine Art Printing)<br />
➙ Print on Demand, Webdienste (Poster)<br />
✧ Layout kann unabhängig vom Druck vermarktet werden<br />
➙ Cross <strong>Media</strong> Publishing<br />
➙ als Datenbank-Applikation<br />
✛ Sammeln, Erzeugen, Speichern, Weitergabe von Daten<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
107<br />
drucken<br />
108<br />
drucken<br />
60<br />
tung stark vereinfacht. Speziell werden dadurch Print-on-Demand<br />
und individualisierte Drucke unterstützt. Dazu kommen die billigen<br />
Anschaffungs- und Produktionskosten, die hohe Verfügbarkeit als<br />
Office-Geräte und die permanenten Qualitätssteigerungen. Insbesondere<br />
Inkjets zählen bereits heute zu den qualitativ besten Bildreproduktionsverfahren<br />
überhaupt, was auch im klassischen Druck<br />
für Proof-Zwecke genutzt wird.<br />
2.8 Cross <strong>Media</strong> Publishing<br />
Mit dem Desktop Publishing wurde in einem gewissen Sinne die<br />
postindustrielle Phase der Medienproduktion eingeläutet. Wie im<br />
Abschnitt 2.3 ausgeführt wurde, sind die traditionellen Strukturen<br />
der Druckindustrie in hohem Masse durch ihre Funktion als Massenmedium<br />
in der Industriegesellschaft bestimmt. Um dieser Rolle<br />
gerecht zu werden, mussten die gesamten Arbeitsabläufe dem Ziel<br />
Kostenoptimierung untergeordnet werden. Die Konsequenz war eine<br />
hochgradig arbeitsteilige Produktionsweise, in der viele Spezialisten<br />
in genau definierten Organisationsstrukturen auf geplante Art<br />
und Weise zusammenarbeiten. Ein Ausdruck dieser strukturierten<br />
Arbeitsabläufe sind die vielen Berufsbilder der graphischen Industrie<br />
bzw. die zugehörigen Berufsschulen, Fachhochschulen und spezialisierten<br />
Universitäten. 35 Als die Printmedien später um Film<br />
oder TV ergänzt wurden, änderte das an der prinzipiellen Situation<br />
nichts, denn auch die neuen Medien waren industriell organisiert<br />
und erweiterten lediglich das Szenarium.<br />
Das Desktop Publishing stellt nun eine Abkehr von der arbeitsteiligen<br />
industriellen Arbeitsweise dar. Direkt offensichtlich ist die<br />
Reintegration von Text-, Graphik- und Bildbearbeitung. Dabei ist<br />
es kein Zufall, dass die entsprechenden Tätigkeiten von Designern<br />
und Autoren übernommen wurden, denn dies beseitigt eine weitere<br />
industrielle Spaltung, nämlich die in Gestaltung und Produktion.<br />
Auch die zunehmende Konkurrenz <strong>des</strong> klassischen Drucks durch<br />
35 wie bespielsweise das Rochester Institute of Technology (RIT)
moderne Office-Drucker lässt sich mühelos in diesen Trend zur<br />
Reintegration industrieller Arbeitsabläufe einfügen.<br />
Der langfristig vermutlich wichtigste dieser Aspekte ist der Trend<br />
zur medienneutralen Gestaltung. Die Nutzung einer Layoutbeschreibung<br />
in PostScript ist potentiell nicht auf den Druck beschränkt,<br />
sondern kann prinzipiell genauso im Internet oder auf<br />
einer CD-ROM präsentiert werden.<br />
Das Konzept, denselben Inhalt in verschiedenen Medien zu publizieren,<br />
ist unter dem Schlagwort<br />
C r o s s M e d i a P u b l i s h i n g<br />
bekannt geworden. Die ersten Anschübe gehen vielleicht auf den<br />
Anfang der 90er Jahre zurück, als das graphikfähig gewordene Internet<br />
populär wurde. Dann entdeckten mehr und mehr Publisher,<br />
dass die CD-ROM, ursprünglich erdacht für technische Zwecke innerhalb<br />
der Informatik, auch Qualitäten im Umgang mit Endkunden<br />
hat. So wurde es in den 90ern durchaus üblich, ein Kiosk-<br />
Magazin mit einer CD-ROM aufzuwerten, was einerseits als eine<br />
Demonstration <strong>des</strong> Cross <strong>Media</strong> Publishing-Konzepts zu verstehen<br />
ist, andererseits aber auch die Anerkennung <strong>des</strong> PCs als neues Massenmedium<br />
durch die klassischen Printmedien ausdrückt.<br />
Damit man bei einem Informationsträger von einem Medium reden<br />
kann, müssen seine Datenformate allgemein verständlich sein.<br />
In anderen Worten, eine Nachricht in einer Fremdsprache, die man<br />
nicht spricht, ist keine oder eine nicht akzeptierte Fremdwährung<br />
ist kein Zahlungsmittel, auch wenn der entsprechende Wert potentiell<br />
sehr hoch sein mag. Kommunikation benötigt also Standards.<br />
Im Bereich <strong>des</strong> medienneutralen Publizierens hat sich das<br />
Po r t a b l e D o c u m e n t Fo r m a t ( P D F ) ,<br />
1993 von Adobe als Datenformat für Präsentationszwecke eingeführt,<br />
als Standard durchgesetzt. Es handelt sich dabei um eine<br />
Art vorverarbeitetes PostScript, abgeleitet aus dem Speicherformat<br />
für Illustrator-Graphiken. Es wurde populär durch die Freigabe<br />
<strong>des</strong> Acrobat-Readers, der Lese- und Präsentationskomponente<br />
61<br />
Archivierung<br />
Publizieren als Autorenkompetenz<br />
✧ hoher Ausbildungsbedarf bei Autoren, Journalisten, Wissenschaftler<br />
➙ Integration ehemals separierter Tätigkeiten<br />
➙ zentral limitierender Faktor<br />
✛ elearning bis anhin kein Erfolg (einfach zu aufwendig)<br />
➙ Tools sind noch auf die ehemalige Druckvorstufe ausgerichtet<br />
✛ zu komplex für gelegentliche Anwendung<br />
➙ Ausbildungssystem der grafischen Industrie veraltet<br />
✛ noch arbeitsteilige Weltsicht<br />
➙ CMYK ist nicht kundenorientiert<br />
➙ Parallelen zum Musikmarkt erkennbar<br />
✛ Selbstverlag kann durchaus die Regel werden<br />
klaus simon<br />
Cross <strong>Media</strong> Architektur<br />
Publishing System<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
Druck Web<br />
Datenbank<br />
Rechteverwaltung<br />
Datenverwaltung<br />
Layoutgenerierung<br />
Eingabekontrolle<br />
Design - Film - Foto - Autoren - Journalisten - Agenturen<br />
klaus simon<br />
Softwaretools<br />
Layoutsprachen<br />
elektronischer Datenaustausch<br />
Workflow Management<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
109<br />
drucken<br />
110<br />
Cross <strong>Media</strong> Publishing<br />
✧ Informationsverwaltung als Datenbankanwendung<br />
➙ Informatik (Entwicklerkompetenz)<br />
➙ Softwareengineering<br />
✧ Herausforderungen<br />
➙ Rollenverständnis der Publikationsbranche<br />
➙ generiertes Layout<br />
➙ Datenformate und Datenkonvertierung<br />
➙ Veränderungen der Informatiktechnik<br />
✛ HDTV, Fernseher mit 3.80 m Bildschirmdiagonale<br />
➙ elektronischer Download von visuellen Daten<br />
➙ selektive Informationsaufbereitung<br />
✛ spezialisierte Suchmaschinen<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
Portable Document Format (PDF) — PDF/X — PDF/A<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
111<br />
drucken<br />
112<br />
drucken<br />
62<br />
<strong>des</strong> Systems. Heute ist PDF im Bereich <strong>des</strong> Cross <strong>Media</strong> Publishing<br />
konkurrenzlos. Verschiedene ISO-Arbeitsgruppen haben die<br />
internationale Standardisierung in Teilbereichen übernommen, z.B.<br />
PDF/A (Dokumentation) oder PDF/X (Druck). Als Druckstandard<br />
verdrängt PDF zunehmend PostScript. So enthalten die neuesten<br />
reinen PDF-RIPs 36 von Adobe funktionale Erweiterungen im Bereich<br />
ICC-Profile, Jobtickets oder Transparency deren Übernahme<br />
in PostScript nicht beabsichtigt ist.<br />
Auch im Cross <strong>Media</strong> Publishing gibt es Grossunternehmen, die<br />
einen Grossteil ihrer Energien auf die Organisation ihrer Tätigkeiten<br />
verwenden müssen, z.B. Zeitungsverlage. Lag das Schwergewicht<br />
früher auf der perfekten Synchronisation der unternehmensweit<br />
geplanten Arbeitsabläufe, so steht heute die Verwaltung digitaler<br />
Daten im Vordergrund. Dementsprechend bekommen Datenbanken<br />
einen hohen Stellenwert. Die Situation ist vergleichbar zu<br />
derjenigen im Bankenbereich einige Jahrzehnte zuvor. Der einzelne<br />
Mitarbeiter stimmt seine Tätigkeiten mit der Datenbank ab. Die<br />
Synchronisation der Abläufe, das Managen der Termine, die Abrechnung<br />
der Aufträge usw. geschieht durch die Transaktionsverwaltung<br />
der Datenbank.<br />
Ein wichtiger Aspekt dieses Szenariums betrifft die Arbeitsweise<br />
mit Desktop Publishing Software. Die meisten Programme verstehen<br />
sich als interaktiv, d.h. das Resultat wird in einer direkten Interaktion<br />
mit dem Programm in einem grafischen Editor Schritt für<br />
Schritt zusammengestellt. Der Vorteil besteht darin, dass der Designer<br />
eine unmittelbare visuelle Kontrolle über das Entstehen <strong>des</strong><br />
Layouts hat. Dieses Vorgehen ist aber für ein datenbankgestütztes<br />
Arbeiten nur bedingt geeignet. Effizienter wäre ein generiertes Layout.<br />
Eine typische Situation ist die heute typische Personalisierung<br />
von Anzeigen. Soll etwa eine allgemeine Anzeige eines Konzerns für<br />
einen individuellen Händler angepasst werden, so geschieht dies am<br />
einfachsten durch die Datenbank selbst, indem die Daten an ein<br />
Programm übergeben werden, das die Anzeige automatisch erzeugt,<br />
sprich generiert. Da diese Situation für viele Fälle repräsentativ ist,<br />
36 PDF Print Engine
man denke etwa an Preislisten oder Kataloge, ist zu erwarten, dass<br />
der Bedarf an generiertem Layout stark zunehmen wird.<br />
Die allgemeine Konsequenz <strong>des</strong> Cross <strong>Media</strong> Publishing ist ein<br />
anderes Rollenverständnis von Druckbetrieben. Die Medien bleiben<br />
in ihrer gesellschaftlichen Rolle zunächst einmal mehr oder weniger<br />
bestehen. Die in der Industrialisierung entstandene Identifizierung<br />
von Druckindustrie und Medienbranche gerät aber mehr und mehr<br />
ins Wanken. Dabei ist der Grund für diese veränderte Sichtweise<br />
nicht eine reduzierte kommerzielle Bedeutung <strong>des</strong> Drucks, sondern<br />
der postindustrielle Charakter der medienneutralen Produktionsweise.<br />
2.9 Konventionelle Druckverfahren<br />
Das klassische Drucken mit Druckform hat bisher wenig von seiner<br />
ökonomischen Bedeutung eingebüsst. In den westlich geprägten<br />
Ländern trägt die Druckindustrie ca. 6 – 7 % zum Bruttosozialprodukt<br />
bei. Der weltweite Umsatz der Medienbranche beträgt ca. 700<br />
Milliarden Euro wovon 2/3 auf die Druckindustrie entfällt. 37 In diesem<br />
Abschnitt wollen wir die kommerziell wichtigsten Druckverfahren<br />
im Überblick darstellen.<br />
Gemeinsam ist allen hier vorgestellten Verfahren das Benutzen<br />
einer Druckform zur Bildübertragung. Aber bereits beim Anpressen<br />
bzw. der dadurch bedingten Farbübertragung unterscheiden sie sich<br />
erheblich. Die Farbübertragung, oder genauer die Farbschichtspaltung,<br />
ist ein hoch komplexer Vorgang, der von vielen Parametern<br />
wie der Oberflächenrauigkeit, der Luftfeuchtigkeit, der Saugfähigkeit<br />
<strong>des</strong> Papiers, der Viskosität der Farbe, dem Anpressdruck usw.<br />
abhängt. Noch heute sind einige Aspekte wissenschaftlich nicht<br />
vollständig verstanden.<br />
• Auf den Hochdruck sind wir bereits auf Grund seiner historischen<br />
Bedeutung eingegangen. Die druckenden Formelemente<br />
37 weitere Daten findet man z.B. in [2] oder www.heidelberg.com<br />
63<br />
Druckverfahren mit Druckform<br />
✧ Einfärben und Anpressen der Druckform<br />
✧ flächenpartielle Farbübertragung (Farbschichtspaltung)<br />
➙ komplexer Vorgang, abhängig von . . .<br />
✛ Oberflächenrauhigkeit, Saugfähigkeit <strong>des</strong> Papiers,<br />
Luftfeuchtigkeit, Farbviskosität, Anpressdruck,<br />
Druckgeschwindigkeit, . . .<br />
➙ bis heute ein aktuelles Forschungsthema<br />
✧ Hochdruck: druckende Formelemente herausragend<br />
➙ Buchdruck, Flexodruck<br />
✧ Flachdruck: ebene Druckform<br />
➙ Lithographie, Offsetdruck<br />
✧ Tiefdruck: druckende Teile eingraviert<br />
✧ Siebdruck: Schablone als Druckform<br />
Buchdruck<br />
klaus simon<br />
✧ ältestes Hochdruckverfahren, 400 Jahre dominant<br />
➙ heute nur noch Nischenbedeutung<br />
✧ drei Druckvarianten<br />
➙ Tiegelpressen: Fläche/Fläche<br />
✛ als Handpressen prototypisch vor 1800<br />
➙ Schnellpressen: Fläche/Zylinder<br />
✛ qualitativ hochwertig, aber langsam<br />
➙ Rotationsdruck: Zylinder/Zylinder<br />
✛ bes. im Zeitungsdruck, halbrunde Stereos<br />
✧ Kennzeichen<br />
➙ zähflüssige Druckfarbe, hoher Anpressdruck<br />
➙ aufwendige Druckform, geringe Druckgeschwind.<br />
➙ charakteristisches Druckbild mit Quetschränder<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
113<br />
drucken<br />
114<br />
Flexodruck<br />
✧ Hochdruckvariante, insbesondere im Verpackungsdruck<br />
➙ Name in den 50er Jahren eingeführt (früher Anilindruck)<br />
✧ Kennzeichnung: weich- oder hartelastische Druckformen<br />
➙ heute meist auf Fotopolymer-, früher Gummibasis<br />
✛ abgestimmt auf die jeweilige Anwendung<br />
➙ spezielle Farbzuführungssysteme mit Rasterwalze und Rakel<br />
✛ erlauben dünnflüssige Farben u. geringe Anpressdrücke<br />
➙ geeignet für unterschiedlichste Bedruckstoffe<br />
✛ Gewebe, Folien, Rauhpappen, saugend oder nicht, . . .<br />
✧ prinzipiell geringere Qualität als im Offsetdruck<br />
➙ jedoch grosse Fortschritte durch CtP<br />
➙ andererseits: Abnutzungserscheinungen im Fortdruck<br />
✧ stark wachsende Bedeutung in den <strong>letzten</strong> Jahren<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
Flexodruckmaschine (Gallus, St. Gallen) und Anwendung<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
115<br />
drucken<br />
116<br />
drucken<br />
64<br />
sind hier erhaben. Ökonomische Relevanz hat heute die Variante<br />
<strong>des</strong> Flexodrucks, speziell für Verpackungen, mit einem<br />
Marktanteil von etwa 15 % bei steigender Tendenz.<br />
• Bei einer ebenen Druckform spricht man von Flachdruck.<br />
Auf die Technik der bedeutenden Verfahren, der Lithographie<br />
und <strong>des</strong> Offsetdrucks, sind wir bereits ausführlich im Abschnitt<br />
2.4.8 eingegangen. Der wertmässige Anteil <strong>des</strong> Offsetdrucks<br />
liegt bei ca. 65 – 70 %, was die klare Führung bedeutet.<br />
• Beim Tiefdruck sind die druckenden Teile eingraviert. Dieses<br />
Verfahren hat einen stabilen Marktanteil von etwa 10 bis 12 %,<br />
der hauptsächlich auf illustrierte Massenauflagen zurückgeht.<br />
• Der Siebdruck ist durch eine Druckform in der Art einer Schablone,<br />
durch deren Löcher die Farbe auf den Bedrucksstoff gedrückt<br />
wird, charakterisiert. Sein Anteil am Umsatz der graphischen<br />
Industrie bleibt unter 5 %. Der Siebdruck wird aber<br />
auch in anderen Industrien genutzt. Den restlichen Marktanteil<br />
von 7 – 8 % liefern digitale druckformlose Verfahren.<br />
2.9.1 Buchdruck<br />
Der Buch- oder Hochdruck ist, wie im Abschnitt 2.1 beschrieben,<br />
das älteste Druckverfahren. Seit Gutenberg war es das dominante<br />
Druckverfahren, bis es im <strong>letzten</strong> Jahrhundert durch den Offsetdruck<br />
verdrängt wurde. Heute hat der Buchdruck nur noch Nischenbedeutung.<br />
Historisch gesehen, gibt es drei bedeutende Varianten.<br />
• Zunächst die Tiegelpressen mit flacher Druckform und flachem<br />
Gegendruckelement. Handbetriebene Tiegelpressen waren in<br />
der vorindustriellen Zeit ein Synonym für den Druck an sich.<br />
• Die Schnellpressen mit flacher Druckform und Gegendruckzylinder<br />
läuteten dann die Industrialisierung <strong>des</strong> Druckes ein.<br />
Diese Variante ist auch für hochqualitative Drucke geeignet, allerdings<br />
nur bei geringer Druckleistung.
• Der Rotationsdruck mit Druckform und Gegendruckelement<br />
als Zylinder wurde auch für den Hochdruck realisiert, z.B. für<br />
den Zeitungsdruck. Die Herstellung der halbrunden gegossenen<br />
Stereos war jedoch kompliziert und lieferte nicht die beste Qualität.<br />
Typisch für den Buchdruck ist die Verwendung zähflüssiger Farbe<br />
in Kombination mit einem hohen Anpressdruck. Dies begrenzt die<br />
mögliche Druckgeschwindigkeit. Ein weiteres Problem <strong>des</strong> Buchdruckes<br />
ist die aufwendige Herstellung der Druckform. Der Hochdruck<br />
lässt sich an seinen Quetschrändern im Druckbild erkennen.<br />
Die Farbe konzentriert sich am Rande der Buchstaben.<br />
2.9.2 Flexodruck<br />
Dass der Hochdruck nicht gänzlich seine ökonomische Bedeutung<br />
verloren hat, liegt am Flexodruck, früher auch als Anilin- oder Gummistempeldruck<br />
bezeichnet. Der Flexodruck wird vorwiegend im<br />
Verpackungsdruck, z.B. bei Plastikfolien oder Etiketten verwendet.<br />
Sein Kennzeichen sind weich- oder hartelastische Druckformen. Sie<br />
wurden früher aus Gummi gefertigt. Heute benutzt man eher Fotopolymerplatten,<br />
die an den druckenden Stellen mit Licht gehärtet<br />
werden. Die nicht belichteten Teile bleiben wasserlöslich und werden<br />
ausgewaschen.<br />
Ein weiteres Charakteristikum ist die Verwendung von dünnflüssigen<br />
Farben, die durch die Verdunstung enthaltener Lösungsmittel<br />
schnell abtrocknen. Diese speziellen Farben erfordern ein spezielles<br />
indirektes Einfärbungssystem über eine Rasterwalze. Diese<br />
Walze besitzt viele kleine Löcher, Näpfchen genannt, die zunächst<br />
die dünnflüssige Druckfarbe aufnehmen. Von den Näpfchen wird die<br />
Farbe dann sehr kontrolliert auf die erhabenen Teile der Druckform<br />
übertragen und von dort weiter zu dem jeweiligen Bedruckstoff.<br />
Dieses Konzept der Farbübertragung benötigt nur geringe Anpressdrücke<br />
und ist flexibel auf unterschiedlichste Bedruckstoffe<br />
wie Gewebe, Folien, Raupappen usw. abstimmbar. Die Qualität <strong>des</strong><br />
65<br />
Tiefdruck<br />
✧ historisch aus Kupferstich hervorgegangen<br />
✧ Farbe in Vertiefungen (Näpfchen) der Druckform<br />
➙ hoher Anpressdruck drückt Papier in die Näpfchen<br />
➙ verschiedene Näpfchentiefe ⇒ Helligkeitsmodulation<br />
✧ Einfärbung: Flutung der Druckform mit Farbe<br />
➙ Farbentfernung an den nichtdruckenden Teilen (Stege)<br />
✛ mittels Rakel und Wischer (Rakeltiefdruck)<br />
➙ dünnflüssige Farbe ⇒ explizite Trocknung notwendig<br />
✧ Druckform: meist direkt auf Druckzylinder<br />
➙ Erstellung: Ätzung, (Laser-) Gravur<br />
✧ etwa 10-15 % <strong>des</strong> Druckmarktes: Massenauflagen ≥ 500000<br />
➙ Zeitschriften, Kataloge, Wertpapiere, Verpackungen, . . .<br />
✧ hochqualitativ, sehr teuer, höchst effizient<br />
klaus simon<br />
Druckformen im Tiefdruck<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
117<br />
drucken<br />
118<br />
Siebdruck<br />
✧ Druckform: Sieb + aufgebrachte Schablone<br />
➙ heute meist fotomechanisch erstellt (Diazolacke)<br />
✛ Härtung der Nichtbildstellen durch UV-Licht<br />
✛ Säuberung der Bildstellen durch Auswaschen<br />
✧ Farbübertragung: Durchdrücken der Farbe durch das Sieb<br />
➙ als Flutwelle vor einem Rakel<br />
➙ hoher Farbauftrag 20-100µm (Offset 0.5-2µm)<br />
✧ Gewebefeinheit 10-200 Fäden/cm ≈ (3-4)×Rasterfeinheit<br />
➙ etwa 9 bis 16 Helligkeitsstufen erreichbar<br />
✧ vielseitig einsetzbar (grösste Farbauswahl)<br />
➙ Plakate, Textilien, Verkehrsschilder, Leiterbahnen<br />
klaus simon<br />
Druckform Siebdruck<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
119<br />
drucken<br />
120<br />
drucken<br />
66<br />
Flexodrucks ist prinzipiell geringer als beim Offsetdruck. Der Flexodruck<br />
hat in dieser Hinsicht allerdings stark von den Fortschritten<br />
im Computer-to-Plate-Bereich profitiert, so dass heute Rasterweiten<br />
von 60 Linien pro cm durchaus üblich sind.<br />
2.9.3 Tiefdruck<br />
Der Tiefdruck ist aus dem Kupferstich entstanden. Der Name kennzeichnet,<br />
dass die druckenden Elemente der Druckform ihre Vertiefungen<br />
(Näpfchen) sind. Die nicht druckenden Teile (Stege) liegen<br />
auf einem konstanten höheren Niveau. Die Einfärbung der Druckform<br />
geschieht durch Flutung, d.h. der Druckzylinder, in den die<br />
Druckform eingraviert ist, wird gänzlich in dünnflüssige Farbe getaucht.<br />
Die auf den Stegen unerwünschte Farbe wird durch ein<br />
Rakel 38 , einem dünnen Stahllineal wieder abgestreift. Ein hoher<br />
Anpressdruck und Adhäsionskräfte bewirken die Farbübertragung.<br />
Dabei zeigt sich eine gewisse Helligkeitsmodulation. Tiefe Näpfchen<br />
übertragen mehr Farbe und erzeugen somit einen gesättigteren Dot.<br />
Die Verwendung dünnflüssiger Farbe bedingt im Mehrfarbendruck<br />
eine explizite Trocknung zwischen den einzelnen Farbdrucken.<br />
Das Besondere <strong>des</strong> modernen Rakeltiefdruckes sind die Druckformen,<br />
die in der Regel in die Druckzylinder eingraviert sind. Die<br />
Gravur erfolgt heute zunehmend durch Einbrennung der Näpfchen<br />
in den Zylinder mit leistungsstarken Lasern, was in den <strong>letzten</strong> Jahren<br />
sowohl die Produktionszeit als auch die Kosten deutlich gesenkt<br />
hat. Aber auch mit der direkten Lasergravur bleibt der Tiefdruck eine<br />
teure Angelegenheit.<br />
2.9.4 Siebdruck<br />
Der Siebdruck ist ein Verfahren, das nur teilweise der graphischen<br />
Industrie zugeordnet werden kann. Typische Anwendungen sind<br />
grossformatige Werbeplakate, Verpackungen, gedruckte Schaltungen<br />
oder bedruckte Textilien (T-Shirts). Die Farbübertragung erfolgt<br />
38 oder auch Rakelmesser genannt
durch das Durchdrücken von Farbe durch ein Sieb, meist ein feines<br />
Gewebe aus Kunststoff oder Metallfäden. Man bezeichnet den Siebdruck<br />
<strong>des</strong>halb auch als Durchdruckverfahren. Dabei wird ein sehr<br />
hoher Farbauftrag von 20 bis 100 µm erreicht, 39 was den Siebdruck<br />
auch ausserhalb der graphischen Industrie interessant macht. Zudem<br />
verfügt der Siebdruck über die grösste Auswahl an Farben.<br />
Die nicht druckenden Elemente <strong>des</strong> Siebes werden durch eine<br />
Schablone abgedeckt. Die Schablone wird fotomechanisch direkt auf<br />
dem Sieb erzeugt. Zunächst wird das Sieb mit einem Diazolack beschichtet.<br />
Mit UV-Licht werden dann die Nichtbildstellen gehärtet<br />
und anschliessend die Bildstellen durch Auswaschung wieder freigelegt.<br />
Die üblichen Rasterfeinheiten sind etwa 3 bis 4 mal gröber<br />
als die zu Grunde liegende Gewebefeinheit, so dass ca. 9 bis 16 Helligkeitsstufen<br />
realisiert werden können.<br />
2.10 Non-Impact-Printing<br />
Druckverfahren, die ohne feste Druckformen arbeiten und grundsätzlich<br />
von Druckseite zu Druckseite ein unterschiedliches Druckbild<br />
erzeugen können, bezeichnen wir als NIP-Verfahren, wobei NIP für<br />
Non-Impact-Printing steht. Non-Impact ist dabei weniger als berührungslos<br />
zu verstehen — spätestens der physikalische Bildaufbau<br />
basiert auf Kontakt — sondern als Abgrenzung vom konventionellen<br />
Druck mit Druckform. Die Ursprünge der NIP-Techniken liegen<br />
sicher im Office-Bereich, aber auf Grund der dynamischen Marktentwicklung<br />
sind in den <strong>letzten</strong> Jahren die Grenzen zum professionellen<br />
Druck immer mehr verwischt worden.<br />
Im Folgenden werden wir auf die Elektrofotografie (Laserdruck),<br />
Inkjets und die Thermografie eingehen. Die ersten beiden Verfahren<br />
bestimmen das Marktgeschehen, das letzte hat eine gewisse Bedeutung<br />
im Kontext der Fotografie und von Proofsystemen. Über die<br />
drei genannten Verfahren hinaus, existieren jedoch noch eine Reihe<br />
39 Im Ocsetdruck werden etwa 0.5 bis 2 µm erzielt.<br />
67<br />
Siebdrucken<br />
klaus simon<br />
Non-Impact-Druckverfahren (NIP)<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
✧ Bildreproduktion ohne Druckform (Computer-to-Print)<br />
➙ je<strong>des</strong> Bild wird individuell erzeugt<br />
➙ grosse Marktdynamik<br />
✧ Arten<br />
➙ Elektrofotografie: Bebilderung mit fotoelektrischen Effekten<br />
➙ Ionografie: direkte Ladungstransporte mit Ionen<br />
➙ Magnetografie: bildabhängige magnetische Muster<br />
➙ Inkjet: direkter Bildaufbau durch ein Düsensystem<br />
➙ Fotografie: Belichtung von beschichteten Papieren<br />
➙ X-Grafie: permanent neue Technologievorschläge<br />
✧ grosser Einfluss auf die Druckindustrie<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
121<br />
drucken<br />
122<br />
afie<br />
as weitestverbreitete<br />
. Es geht zurück auf<br />
arlson,die 1939 zum<br />
schließlich patentiert<br />
rsicht zu Technologie<br />
rafie gegeben,insbeührliche<br />
Erläuterung<br />
ikalischen Effekte. In<br />
nitten wurden schon<br />
iele für die NIP-Techgeben;<br />
Drucksysteme<br />
.3.1,4.1.3,4.5.1 und 5.1<br />
fotografie<br />
Elektrografie<br />
✧ Bebilderung: Erzeugung eines nichtsichtbaren latenten Bil<strong>des</strong><br />
➙ auf einer Trommel mit fotoleitender Oberfläche<br />
➙ partielle Entladung <strong>des</strong> homogenen Ladungsbil<strong>des</strong> (Laser, LED)<br />
➙ Bildeinfärbung: Pudertoner (3-6µm) o. Flüssigt. (1-2µm)<br />
✧ Tonerübertragung: direkt auf Papier oder über Zwischenträger<br />
➙ durch Druckkontrakt und elektrostatische Aufladung (Corona)<br />
➙ Tonerfixierung: Verankerung auf Papier durch Schmelzen<br />
✛ keine Trocknung für die Weiterverarbeitung erforderlich<br />
➙ mechanische und elektrische Reinigung der Trommel<br />
➙ zunehmende Bedeutung im Akzidenzdruck (≤ 10000 Expl.)<br />
➙ geringe <strong>Auflösung</strong> und Druckgeschwindigkeit<br />
1<br />
Bebilderung<br />
CoronaaufladungLicht-<br />
5<br />
entladung<br />
Reinigung<br />
+<br />
(Konditio-<br />
+<br />
nierung) Bürste<br />
+<br />
-<br />
Absaugung<br />
klaus simon<br />
Bebilderung Laserdruck<br />
Licht<br />
(Laser oder<br />
LED-Array)<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
Fotoleiter latentes,<br />
elektrostatisches Bild<br />
Abb. 5.2-1 Prinzip der Elektrofotografie<br />
Elektrofotografie darofotografischenDrukunterteilen:<br />
• Beschichtung mit Arsentriselenid (As2Se3) oder<br />
ähnlichen selenhaltigen Verbindungen;<br />
• organische Fotoleiter (OPC: Organic Photo Con-<br />
-<br />
+ +++++++<br />
+<br />
+<br />
-<br />
+ + + +<br />
+<br />
-<br />
++ ++<br />
+<br />
++<br />
+<br />
+<br />
+<br />
+<br />
+<br />
+ +<br />
--<br />
- - -<br />
--<br />
-<br />
---<br />
+<br />
+<br />
+ -<br />
-<br />
+<br />
2<br />
Einfärbung<br />
(Entwicklungseinheit)<br />
elektrostat. Kräfte<br />
halten den Toner<br />
Auslage<br />
4<br />
Corona (+)<br />
Papier<br />
3<br />
Anlage<br />
Tonerfixierung Tonerübertrag direkt auf Papier<br />
(Wärme, Druck) (oder indirekt über Zwischenträger)<br />
- -<br />
--<br />
- -<br />
-<br />
-<br />
-<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
123<br />
drucken<br />
124<br />
drucken<br />
68<br />
anderer, z.B. die Ionographie oder die Magnetographie, auf die wir<br />
jedoch nicht näher eingehen werden.<br />
2.10.1 Elektrofotografie (Laserdruck)<br />
Der Name Laserdruck wird allgemein für das Drucken nach dem<br />
elektrofotografischen Verfahren verwendet. Die Funktion <strong>des</strong> Lasers<br />
kann dabei durchaus von LEDs übernommen werden. Der elektrofotografische<br />
Bildaufbau basiert üblicherweise auf einer Trommel, die<br />
mit einer fotoleitenden Oberfläche beschichtet ist. Zunächst wird die<br />
Trommel gleichmässig negativ elektrostatisch aufgeladen. Mit einem<br />
Laserstrahl und einem rotierenden Spiegel wird die Trommel<br />
nun gezielt an den einzelnen Dots belichtet. Durch diese Belichtung<br />
wird sie punktuell leitend und verliert ihre Spannung. Gesamthaft<br />
entsteht ein latentes Ladungsbild.<br />
Die Entwicklung <strong>des</strong> latenten Bil<strong>des</strong> geschieht durch Zuführung<br />
von Tonerpartikeln. Diese ca. 3 bis 6 µm durchmessenden Teilchen<br />
sind negativ aufgeladen und lagern sich an den nicht negativen Stellen<br />
der Trommeloberfläche an. Der nächste Schritt ist die Tonerübertragung<br />
auf Papier, der allerdings noch ein Transportband vorausgehen<br />
kann. Beim Mehrfarbendruck hat jede Druckfarbe ihre eigene<br />
Trommel. Ein Transportband sammelt dann die Tonerpartikel<br />
der hintereinander angeordneten Farbtrommeln, bevor sie gemeinsam<br />
auf das Papier übertragen werden. Dazu wird auf der Papierrückseite<br />
eine starke, dem Tonerpartikel entgegengesetzte Spannung<br />
aufgebaut, die zudem durch Druckkontakt unterstützt wird.<br />
Es folgt die Fixierung <strong>des</strong> Toners auf dem Papier. Dazu wird der<br />
Toner erhitzt und geschmolzen. Durch diesen speziellen Prozessschritt<br />
entfällt insbesondere die Trocknung, was für die direkte Weiterverarbeitung<br />
<strong>des</strong> Drucks von Bedeutung ist. Der letzte Prozessschritt<br />
ist die mechanische und elektrische Reinigung der Trommel,<br />
worauf die nächste Seite gedruckt werden kann.<br />
Die Qualität von Laserdruckern hat sich in den <strong>letzten</strong> Jahren<br />
deutlich verbessert. Trotz der nur mittelmässigen Druckgeschwindigkeit,<br />
ist der Laserdruck auf Grund der fehlenden Rüstzeiten und
seiner Flexibilität auch im professionellen Bereich, bis zu vielleicht<br />
10’000 Exemplaren, konkurrenzfähig.<br />
2.10.2 Inkjets<br />
Tintenstrahldrucker oder Inkjets erzeugen durch Aufsprühen von<br />
Tinte unmittelbar ein Bild auf Papier. Dazu wird der Sprühkopf entlang<br />
der einzelnen Dots bewegt und bei Bedarf aktiviert. Es wird<br />
kein Zwischen- oder Transferbild erzeugt. Obwohl die Technik hohe<br />
Anforderungen an Tinten und Papier stellt, sind ausgezeichnete<br />
Qualitäten, selbst mit preiswerten Geräten, erzielbar. Die dünnflüssigen<br />
Tinten führen zu geringen Farbaufträgen, Farbschichten<br />
< 1 µm sind dem Offsetdruck vergleichbar. Da Inkjets nur eine relativ<br />
einfache Steuerlogik benötigen, ist es möglich, die Kontrollsoftware<br />
weitgehend auf dem PC zu belassen, was die kommerzielle<br />
Konkurrenzfähigkeit, besonders im Low-End-Bereich weiter erhöht.<br />
Nachteilig sind die gegenwärtig noch hohen Kosten für die<br />
Verbrauchsmaterialien, eine gewisse mechanische Fehleranfälligkeit<br />
der Geräte und eine bescheidene Druckgeschwindigkeit. Es<br />
sind verschiedene Arten der Tropfenerzeugung und -führung üblich.<br />
• Bei den Continuous Inkjets wird ein stetiger Strom feinster<br />
Tröpfchen erzeugt. Die Entscheidung, ob eines dieser Tröpfchen<br />
den aktuell adressierten Dot erreicht oder nicht, wird durch<br />
eine entsprechende elektrische Aufladung <strong>des</strong> Tröpfchens vollzogen.<br />
Aufgeladene Tröpfchen werden vor dem Verlassen <strong>des</strong><br />
Sprühkopfes elektrisch abgelenkt, aufgefangen und recycelt.<br />
Dagegen erreichen ungeladene Tröpfchen das Papier. Ein einzelner<br />
Dot wird aus bis zu 30 einzelnen Tröpfchen zusammengesetzt,<br />
was eine entsprechende Helligkeitsmodulations <strong>des</strong><br />
Dots erlaubt.<br />
• Wenn nur die benötigten Tröpfchen erzeugt werden, spricht<br />
man von Drop on Demand. Die beiden Hauptvarianten sind<br />
Thermal Inkjets, auch als Bubble Jets bekannt, und Piezo Inkjets.<br />
Bei der ersten Variante werden die Tröpfchen in der Dü-<br />
69<br />
professionelle Laserdruckmaschine: NexPress 2100<br />
Inkjets<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
✧ Bilderzeugung durch Besprühen von Papier (Bedruckstoff)<br />
✧ im Allgemeinen Spezialfarben und -papiere erforderlich<br />
✧ Helligkeitsmodulation möglich durch<br />
➙ Sammlung von Tropfen auf einem Pixel (bis etwa 30)<br />
➙ Variation der Tropfenvolumen (ca. 10 Graustufen)<br />
✧ Continus Inkjet: stetiger Strom kleinster Farbtröpfchen<br />
➙ werden bildabhängig elektrisch aufgeladen (oder nicht)<br />
✛ geladene Tropfen werden abgelenkt und recycelt<br />
✧ Drop on Demand: nur benötigte Tropfen werden erzeugt<br />
➙ Termal Inkjet (Bubble-Jet): Verdampfen der Farbe<br />
➙ Piezo Inkjet: piezo-elektrische Volumenvariation der Düsenkammer<br />
✛ erlaubt höhere Druckfrequenzen<br />
✧ dünnflüssige Farben: Schichtdicken ≤ 1 µm ( ≈ Offsetdruck)<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
125<br />
drucken<br />
126<br />
Beispiele Inkjet: IRIS and HP<br />
746 5 Druckverfahren ohne Druckform (NIP-Verfahren)<br />
746 5 Druckverfahren ohne Druckform (NIP-Verfahren)<br />
746 5 Druckverfahren ohne Druckform (NIP-Verfahren)<br />
a<br />
Übersicht Inkjets<br />
Bebilderungssignal<br />
TropfenPiezoLadungs-<br />
Bebilderungssignal<br />
ablenkungTropfenschwingerPiezoelektrodeLadungs- (Deflektor)<br />
TropfenPiezoablenkungschwingerLadungselektrode<br />
(Deflektor) ablenkungschwingerelektrode<br />
(Deflektor)<br />
a<br />
Farbe Farbe<br />
Düse<br />
Düse<br />
Düse<br />
Pumpe Pumpe<br />
Pumpe<br />
TropfenfängerTropfenfängerTropfen-<br />
Papier<br />
Papier<br />
fänger<br />
Abb. 5.5-2 Abb. Funktionsweisen 5.5-2 Funktionsweisen der Ink der Jet-Technologien.<br />
Ink Jet-Technologien.<br />
a Continuous a a Continuous Ink Jet; Farbe Ink Jet;<br />
b Drop on b Drop Demand on Demand Ink Jet/Thermal Ink Jet/Thermal Ink Jet; Ink Jet;<br />
c Drop on c Drop Demand on Demand Ink Jet/Piezo Ink Jet/Piezo Ink Jet; Ink Jet;<br />
dAbb. Elektrostatischer 5.5-2 d Elektrostatischer Funktionsweisen Ink JetInk<br />
Jet der Ink Jet-Technologien.<br />
a Continuous Ink Jet;<br />
b Drop on Demand Ink Jet/Thermal Ink Jet;<br />
c Drop on Demand Ink Jet/Piezo Ink Jet;<br />
d Elektrostatischer Ink Jet<br />
Papier<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
Blase<br />
Blase<br />
Düse<br />
Düse<br />
Blase<br />
Farbe<br />
Farbe<br />
Wärmequelle Farbe<br />
(Heizwiderstand)<br />
Wärmequelle<br />
Bebilderungs-<br />
(Heizwiderstand)<br />
b Wärmequelle signalBebilderungs- Papier<br />
b<br />
signal<br />
(Heizwiderstand)<br />
Papier<br />
Bebilderungs-<br />
b<br />
signal Papier<br />
Bebilderungs- Papier<br />
BebilderungssignalsignalPiezoPiezokeramikkeramikBebilderungssignalPiezokeramik<br />
Farbe Farbe<br />
Papier<br />
127<br />
drucken<br />
Düse<br />
Papier<br />
Papier<br />
Düse<br />
c c Farbe<br />
elektrisches Feld<br />
Schaltelement<br />
Schaltelement<br />
E<br />
klaus simon technik (Veränderung der<br />
(Veränderung<br />
<strong>des</strong> digitalen<br />
der<br />
publizierens<br />
c Oberflächenkräfte)<br />
Oberflächenkräfte)<br />
Düse 128<br />
drucken<br />
Farbe<br />
Farbe<br />
Schaltelement<br />
(Veränderung der<br />
Oberflächenkräfte)<br />
elektrisches Feld<br />
E<br />
70<br />
senkammer erhitzt und lokal verdampft. Beim zweiten Verfahren<br />
wird das Herausschleudern <strong>des</strong> Tröpfchens durch eine piezoelektrische<br />
Verformung der Düsenkammer verursacht. Auch<br />
bei Drop on Demand-Verfahren kann die Dotgrösse durch eine<br />
Mengensteuerung in der Düsenkammer oder durch Überlagerung<br />
mehrerer Tröpfchen in einem gewissen Rahmen variiert<br />
werden, wobei etwa 10 Grauabstufungen erreichbar sind.<br />
Der Prozess der Helligkeitsmodulation der Dots wird unterstützt<br />
durch eine zunehmende Anzahl der gleichzeitig verwendbaren Tinten.<br />
Besonders für helle Farben werden Spezialfarben z.B. Lightcyan<br />
eingesetzt, die das Halftoning stark unterstützen. Im Gegensatz<br />
zur Elektrofotografie sind Inkjets auch gut für frequenzmodulierte<br />
Raster geeignet. Alles in allem kompensieren diese technische Möglichkeiten<br />
die nicht allzu hohe <strong>Auflösung</strong>, so dass Inkjets ein ausgesprochen<br />
gutes Preis-Leistungs-Verhältnis besitzen.<br />
2.10.3 Thermographie<br />
Thermographische Druckverfahren haben eine gewisse Ähnlichkeit<br />
zur Schreibmaschine. Anstatt ein Farbband mit einem Kugelkopf<br />
oder Typenrad aus Papier zu drücken, wird eine Farbfolie mit einem<br />
Laser oder Heizkopf auf das Papier oder einen Zwischenträger<br />
übertragen.<br />
• Beim Thermotransferverfahren wird eine Wachs- oder Resinschicht<br />
zum Schmelzen gebracht und durch leichtes Andrücken<br />
auf den Bedruckstoff übertragen. Die erzeugte Farbschichtdicke<br />
ist konstant, die Dot-Grösse ist in einem beschränkten<br />
Umfang variabel.<br />
• Bei der Thermosublimation wird die Farbe dagegen verdampft<br />
und diffundiert dann ins Papier. Der Verdampfungsprozess<br />
kann durch die Heizleistung relativ gut gesteuert werden, so<br />
dass eine fein abgestufte Helligkeitsmodulation der Dots resultiert.<br />
Dabei bleibt die Dotgrösse weitgehend konstant. Die Helligkeitsmodulation<br />
resultiert aus der Materialdichte der über-
tragenen Farben. Damit der Prozess in der geschilderten Art<br />
funktioniert, muss sowohl die Oberfläche <strong>des</strong> Bedruckstoffes<br />
speziell auf die Aufnahme der diffundierenden Farben vorbe-<br />
reitet als auch die Farbträgerfolie in mehreren Schichten sorgfältig<br />
präpariert werden.<br />
Thermographische Drucker werden insbesondere für Prüfzwecke<br />
dann das Ablösen eines Tropfens.<br />
eingesetzt. In diesem Kontext erfolgt die Farbübertragung zunächst<br />
Farben<br />
auf einen Zwischenträger, der die einzelnen Farben einsammelt. Der<br />
Übertrag auf das Papier erfolgt dann mit einem Laminator. Ein weiteres<br />
Einsatzgebiet ist die Ausgabe von Fotos, etwa für Ausweise<br />
oder Kreditkarten. Handelsübliche Geräte mit 600 dpi <strong>Auflösung</strong><br />
und 100 Grauwerten pro Dot genügen hier höchsten Qualitätsanforderungen.<br />
2.11 Literaturverzeichnis<br />
[1] G. Meisenbach. Deutsches Patent DRP 22 244, 1882.<br />
trisches Feld anliegt und durch bildabhängige Veränderung<br />
im Ink Jet-Düsensystem sich entweder ein<br />
Kräftegleichgewicht einstellen kann oder die Oberflächenspannungsverhältnisse<br />
zwischen Farbe und<br />
Austrittsdüse so verändert werden,daß sich durch die<br />
Feldkräfte ein Farbtropfen ablöst. Über das elektrische<br />
Feld ist gewissermaßen die Entnahme von Farbe<br />
aus den Düsen vorbereitet, ein Steuerimpuls (z. B. 1st<br />
elektrisches Signal oder Wärmezufuhr) veranlaßt nucleation<br />
a<br />
[2] Heidelberger Druckmaschinen AG. 100 Jahre Offsetdruck.<br />
Pressemitteilung, siehe www.heidelberg.com, 2004. werden können.<br />
[3] Helmut Kipphan. Handbuch der Printmedien. Springer, Berlin,<br />
2000.<br />
[4] L. Levy and M. Levy. Screen for Photomechanical einzelnen Bildpunktes Printing.<br />
verbunden.<br />
U.S. Patent 492333, 1893.<br />
[5] Hermann Meyn. Massenmedien in Deutschland. UVK Verlagsgesellschaft<br />
mbH (UTB), Konstanz, 2004.<br />
[6] H. Paul, editor. Lexikon der Optik. Spektrum Akademischer<br />
Verlag, 1999.<br />
[7] René Perret. Kunst und Magie der Daguerreotypie, Collection<br />
W.+T. Bosshard. BEA+Poly-Verlags AG, Brugg, ISBN 3-<br />
905177-52-8, 2006.<br />
level-1<br />
drop<br />
5.5 Ink Jet<br />
Dot-Bildung bei Inkjets<br />
level-2<br />
drop<br />
level-3<br />
drop<br />
In Abb.5.5-1 ist auch zusammenfassend angegeben,in<br />
welchen Phasen (flüssig oder fest) die Farbe für Ink<br />
Jet-Verfahren zum Einsatz kommt.Bei den eingesetzten<br />
Farben handelt es sich meist um flüssige Farben.<br />
Zudem sind einige Drop on Demand Ink Jet-Systeme<br />
für den Einsatz von Hot-Melt-Farben ausgestattet.<br />
In Abb.5.1-16 ist eine Übersicht zu den Farbenfür Ink<br />
Jet gegeben. Dort sind auch Angaben über die Zusammensetzung<br />
der Farben und die damit verbundenen<br />
Trocknungsvorgänge gemacht. Des weiteren ist erläutert,<br />
welche Farbschicktdicken sich beim einfarbigen<br />
Druck mit Ink Jet-Systemen in Abhängigkeit von der<br />
b<br />
Pixel-Rasterzelle<br />
Art der Farbe ergeben. Hierzu ist insbesondere zu bemerken,daß<br />
bei Einsatz von flüssigen Farben sich sehr<br />
z. B. max.<br />
33 Tropfen<br />
geringe Schichtdicken auftragen lassen (kleine Tropfenvolumina),<br />
was die Grundlage für qualitativ sehr<br />
c<br />
hochwertige Drucke vor allem bei Farbbildern ist.<br />
Farbdrucke höchster Qualität lassen sich durch die<br />
Verwendung speziell beschichteter Papiere erzeugen,<br />
die ein Zerfließen der Farbe vermeiden und zudem<br />
Abb. 5.5-3 Grauwerterzeugung bei Ink Jet-Verfahren.<br />
a Sammeln von Tropfen durch hochfrequente Erzeugung (Thermal<br />
Ink Jet; HP);<br />
b Tropfenbildung aus Einzeltropfen (Hochgeschwindigkeitsfotogra-<br />
ein gutes Wegschlagverhalten und gute Trocknungsfie, XAAR);<br />
ergebnisse bieten.<br />
c Bildpunkte unterschiedlicher Graustufen, erzeugt durch Sammeln<br />
Eine weitere Qualitätssteigerung ist vor allem dann<br />
möglich,wenn Ink Jet-Systeme zum Einsatz kommen,<br />
bei denen mehrere Grauwerte pro Bildpunkt erzeugt<br />
von mehreren Tropfen pro Bildpunkt [5.5-1]<br />
auch vom Saugverhalten <strong>des</strong> Papiers, was bei der folgenden<br />
Betrachtung aber außer acht gelassen werden<br />
Grauwerterzeugung bei Ink Jet-Verfahren<br />
soll). Unterschiedliche Tropfenvolumina lassen sich auf<br />
Entsprechend Abb.5.1-6c wird bei der Dichtemodula- verschiedene Weise erzeugen, bei Drop on Demandtion<br />
zur Erzeugung eines Bildpunktes eine unter- Verfahren z.B. durch gezielte Ansteuerung <strong>des</strong> einzelschiedliche<br />
Farbschichtdicke auf die Papieroberfläche nen Ink Jet-Kanals,so daß unterschiedliche Farbmengen<br />
aufgetragen. Die dort gegebene Darstellung ist ideali- aus der Düse herausgeschleudert werden. Dies kann<br />
siert, im allgemeinen ist mit der Schichtdickener- über die Intensität <strong>des</strong> Steuerimpulses erfolgen, aber<br />
höhung auch eine Veränderung <strong>des</strong> Durchmessers <strong>des</strong> auch durch die Art der Ansteuerung der Einzeldüse<br />
(z.B. Überlagerung eines hochfrequenten Signals, das<br />
Beim Ink Jet-Verfahren hängt die Größe <strong>des</strong> Bild- mehrere Tröpfchen für einen Bildpunkt generiert).<br />
punktes vom Volumen <strong>des</strong> einzelnen Tropfens ab, der Größere Tropfen zum Aufbau von Grauwerten las-<br />
auf das Papier geschleudert/übertragen wird (natürlich sen sich aber auch erzeugen,indem sich kurz vor dem<br />
© Handbuch der Printmedien (ISBN 3-540-66941-8)<br />
71<br />
747<br />
Thermografie<br />
Strahlachse<br />
a<br />
b<br />
d 0<br />
l<br />
Düse Strahl Tropfenbildung (x df)<br />
Abb. 5.5-6 Tropfenbildung bei Continuous Ink Jet.<br />
a Einschnürung <strong>des</strong> Farbstrahls zur Tropfenbildung;<br />
b Hochgeschwindigkeitsaufnahme eines Tropfenstroms mit Satellitentropfen,<br />
die sich während <strong>des</strong> Fluges mit dem nachfolgenden<br />
Haupttropfen vereinigen [5.5-1]<br />
klaus simon<br />
Abb. 5.5-7<br />
Hochgeschwindigkeits-Ink Jet-System für<br />
den Rollendruck.<br />
a Anlage mit vier Druckköpfen (240 dpi,<br />
Kopfbreite ca. 108 mm (4,25”), Bahngeschwindigkeit<br />
bis ca. 2 m/s);<br />
b Ink Jet-Köpfe mit Düsensystem<br />
(System 3600, Scitex Digital Printing)<br />
✧ Speicherung der Farbe auf einer Trägerschicht (Folie)<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
✧ Farbübertragung durch Wärme (auf Papier ohne Zwischenträger)<br />
✧ Wärmezufuhr: Laser oder Schreibkopf mit Heizelementena<br />
✧ Thermotransfer: Schmelzen der Farbschicht<br />
➙ Übertragung der flüssigen Farbe durch leichtes Andrücken<br />
✛ Farbe: Wachs oder Resin (spezielles Polymer)<br />
✛ Farbschichtdicke konstant, Dot-Fläche variable<br />
✧ Thermosublimation: Verdampfen (Sublimation) der Farbe<br />
➙ Farbe dringt über Diffusion ins Papier ein<br />
© Handbuch der Printmedien (ISBN 3-540-66941-8)<br />
✛ erfordert spezielle Oberflächeneigenschaften<br />
➙ diffundiere Farbmenge steuerbar (Helligkeitsmodulation)<br />
✛ über Temperatur und/oder Heizdauer<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
d<br />
l<br />
x<br />
5.5<br />
Bevor sich die einzelnen Tropfen vom Str<br />
nen, werden sie entsprechend Abb. 5.5-5 ü<br />
Ladeelektrode bildabhängig elektrisch aufge<br />
einem nachfolgenden elektrischen Feld (Pla<br />
densator, Deflektor) werden die geladenen T<br />
abgelenkt und einer Fangeinrichtung zugef<br />
ungeladenen Tropfen gelangen auf das Papi<br />
Wie in Abb.5.5-6bgezeigt,entstehen im Tr<br />
dungsprozeß sogenannte Satellitentropfen,di<br />
korrekter Auslegung <strong>des</strong> Systems mit dem Ha<br />
fen vereinigen.Die Qualität <strong>des</strong> Druckes häng<br />
Qualität und der Kontinuität <strong>des</strong> erzeugten<br />
stroms ab.<br />
In Abb. 5.5-5 sind typische Angaben (He<br />
nologie) für Frequenzen (ca. 1 MHz) und<br />
größen (ca. 4 pl) gegeben. (Ein Tropfenvolu<br />
4Picolitern,also 4¥ 10 –12dm3 , entspricht ein<br />
valenten Kugeldurchmesser von 20 µm.)<br />
In Abb. 5.5-7 ist ein Realisierungsbeispie<br />
Continuous Ink Jet-Verfahren für die indust<br />
wendung als Hochgeschwindigkeitsdrucksy<br />
zeigt.<br />
Das System 129 ist entsprechend Abb.5.5-7 au<br />
zwei hintereinander liegenden Modulen zu<br />
aufdrucken Rollenmaterial aufgebaut (Teilbild b). D<br />
ne Ink Jet-Kopf hat eine Breite von ca. 108<br />
b<br />
130<br />
Druckkopf<br />
(Thermokopf) Bebilderungs-<br />
Farbträgerfolie<br />
Übertragener<br />
Bildpunkt<br />
Bedruckstoff ungeschmolzen Farbe<br />
Druckkontakt<br />
(nip)<br />
signalWärmequellewärmeempfindliche<br />
768 5 Druckverfahren ohne Druckform (NIP-Verfahren) Farbschicht<br />
geschmolzen<br />
a<br />
übertragene<br />
Farbe<br />
Farbträgerband<br />
Farbträgerfolie<br />
Druckkopf<br />
Druckkopf (Thermokopf)<br />
BebilderungsDrucksignalkontakt<br />
(nip)<br />
Wärmequelle<br />
Übertragener<br />
Bildpunkt<br />
Bedruckstoff<br />
Bedruckstoff ungeschmolzen Farbe<br />
a<br />
Dot-Bildung Thermographie<br />
+<br />
geschmolzen<br />
wärmeempfindliche<br />
Farbschicht<br />
+<br />
Thermokopf<br />
Farbträgerband<br />
Wärmeeinwirkung<br />
Trägerschicht<br />
Thermokopf<br />
in Diffusionsschicht<br />
eingedrungene Farbe<br />
aFarbträgerband<br />
Wärmeeinwirkung<br />
Bebilderungssignal<br />
Trägerschicht<br />
Farbstoffschicht<br />
Farbdampf<br />
Bebilderungssignal<br />
Diffusionsschicht<br />
Spezialpapier<br />
Trägerschicht<br />
Farbstoffschicht<br />
Farbdampf<br />
b<br />
Farbträgerband<br />
übertragene Multipass-<br />
Farbe Bewegung für<br />
Mehrfarbendruck<br />
Bedruck-<br />
Druckkopf<br />
stoff<br />
Druckkopf<br />
Gegendruckwalze<br />
Farbträgerband<br />
Trägerschicht<br />
in Diffusionsschicht<br />
eingedrungene Farbe<br />
a<br />
b<br />
Abb. 5.6-5<br />
Diffusionsschicht<br />
Spezialpapier<br />
c b<br />
b<br />
Multipass-<br />
Bewegung für<br />
Mehrfarbendruck<br />
+<br />
+<br />
+<br />
Gegendruck- Bedruckstoff<br />
walze<br />
Farbträgerband<br />
Thermosublimation (oder D2T2: Dye Diffusion Thermal Transfer).<br />
a Prinzip zur Bildpunktentstehung (Anmerkung: Thermosystem kann<br />
in direktem Kontakt mit dem Farbträgerband stehen, z. B. mit Thermoschreibköpfen,<br />
oder berührungslos bei Einsatz von thermischen<br />
Laserlichtquellen);<br />
b bPrinzip<br />
zum Mehrfarbendruck mit den Farben Cyan, Magenta und<br />
Gelb (Tektronix)<br />
Druckkopf<br />
Abb. 5.6-4 Thermotransfer.<br />
Abb. 5.6-5<br />
131<br />
a Prinzip der Farbübertragung beim Thermotransfer;<br />
klaus Thermosublimation simon technik (oder D2T2: <strong>des</strong>Dye digitalen Diffusion publizierens<br />
Thermal Transfer). drucken<br />
a Prinzip zur Bildpunktentstehung (Anmerkung: Thermosystem kann<br />
b Thermotransfer zum Drucken mit seitenbreiter Bebilderungseinheit; sionseffekte in direktem Kontakt gegeben mit dem Farbträgerband (Dye Diffusion stehen, z. Thermal B. mit TherTrans- c Anordnungsbeispiel zur Ausführung <strong>des</strong> Übertragungssystems<br />
Bedruckstoff fer,moschreibköpfen, D2T2). Je oder nach berührungslos Wärmeenergie, bei Einsatz die von thermischen dem Bildpunkt<br />
[5.6-1]<br />
zugeführt Laserlichtquellen); wird, wird eine unterschiedliche Menge<br />
b Prinzip zum Mehrfarbendruck mit den Farben Cyan, Magenta und<br />
c b Beispiele<br />
+<br />
Thermographische Farbe Gelb (Tektronix) Drucker<br />
(Farbmittel/Dyes in der Farbschicht) auf das<br />
In Abb.5.6-5 ist das Prinzip der Thermosublimation Substrat übertragen. Der Bedruckstoff erfordert, wie<br />
dargestellt. Abb. 5.6-4 Bei Thermotransfer. der Thermosublimation erfolgt ein bereits in Abb.5.6-2 erläutert,eine spezielle Beschich-<br />
a Prinzip der Farbübertragung beim Thermotransfer;<br />
lokales bVerdampfen Thermotransfer zum der Drucken Farbe mit seitenbreiter durch die Bebilderungseinheit; Wärmezutung,sionseffekte in die gegeben die Farbe (Dye durch Diffusion Diffusion Thermal eindringt. Trans- Pro<br />
fuhr, und c Anordnungsbeispiel ein Sublimationsprozeß zur Ausführung <strong>des</strong> wird Übertragungssystems ausgelöst. Bildpunkt fer, D2T2). Je lassen nach Wärmeenergie, sich demnach die je dem nach Bildpunkt diffundierter<br />
Physikalisch [5.6-1] definiert ist Sublimation der Übergang Farbmenge zugeführt wird, mehrere wird eine Grauwerte unterschiedliche darstellen, Menge gesteuert<br />
von der festen Phase direkt in die gasförmige Phase<br />
ohne die In Zwischenstufe Abb.5.6-5 ist das flüssig; Prinzip dies der Thermosublimation<br />
ist bei der soge-<br />
dargestellt. Bei der Thermosublimation erfolgt ein<br />
nannten Thermosublimation nicht unbedingt der<br />
lokales Verdampfen der Farbe durch die Wärmezu-<br />
Fall, die fuhr, bessere und ein bzw. Sublimationsprozeß meist zutreffendere wird Beschrei- ausgelöst.<br />
bung für Physikalisch den ablaufenden definiert ist Prozeß Sublimation ist über der Übergang Diffu-<br />
über Farbe Temperatur (Farbmittel/Dyes und/oder in der Zeitdauer Farbschicht) <strong>des</strong> auf Heizsignals. das<br />
Im Substrat Gegensatz übertragen. zum Der zuvor Bedruckstoff erläuterten erfordert, Thermotransfer wie<br />
bereits in Abb.5.6-2 erläutert,eine spezielle Beschich-<br />
mit variabler Punktgröße bleibt hier der Bildpunkttung,<br />
in die die Farbe durch Diffusion eindringt. Pro<br />
durchmesser Bildpunkt lassen annähernd sich demnach gleich je nach groß, diffundierter aber die Farbdichte<br />
Farbmenge verändert mehrere sich. Grauwerte darstellen, gesteuert<br />
von der festen Phase direkt in die gasförmige Phase über Temperatur und/oder Zeitdauer <strong>des</strong> Heizsignals.<br />
ohne die Zwischenstufe flüssig; dies ist bei der soge- Im Gegensatz zum zuvor © Handbuch erläuterten der Printmedien Thermotransfer<br />
(ISBN 3-540-66941-8)<br />
nannten Thermosublimation nicht unbedingt der mit variabler Punktgröße bleibt hier der Bildpunkt-<br />
Fall, die bessere bzw. meist zutreffendere Beschreidurchmesser annähernd gleich groß, aber die Farbbung<br />
für den ablaufenden Prozeß ist über Diffudichte verändert sich.<br />
klaus simon<br />
© Handbuch der Printmedien (ISBN 3-540-66941-8)<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
132<br />
drucken<br />
72<br />
[8] R. Stöber. Deutsche Pressegeschichte. UVK Verlagsgesellschaft<br />
mbH (UTB), Konstanz, 2005, 2. Auflage.<br />
[9] W. Talbot. Improvements in the Art of Engraving. British Patent<br />
Specification No. 565, 1852.<br />
[10] W. König and W. Weber. Propyläen Technikgeschichte. Ullstein,<br />
Frankfurt am Main, 1990.<br />
[11] E. Webster. Print Unchained. Fifty Years of Digital Printing,<br />
1950–2000 and Beyond. DRA, West Dover, Vermont, USA,<br />
2000.<br />
[12] H. Wolf. Geschichte der Druckverfahren. Historia, Elchingen,<br />
1992.
K a p i t e l<br />
Proofing<br />
3<br />
Im Allgemeinen versteht man unter einem Proof 1 oder Prüfdruck<br />
eine visuelle Qualitätskontrolle und /oder eine entsprechende Dokumentation.<br />
Durch die Digitalisierung der Arbeitsabläufe in der Medienbranche<br />
erweitert sich das Verständnis <strong>des</strong> Begriffs. So ist eine<br />
Layoutbeschreibung in PDF eine abstrakte Datensammlung und als<br />
solche visuell nicht vorhanden. In automatisierten Abläufen haben<br />
Kontrollen dieser abstrakten Daten, besonders im Eingangsbereich,<br />
dann auch eher den Charakter einer Syntaxanalyse als den eines<br />
Prüfdrucks. In verteilt-organisierten Produktionen übernimmt der<br />
Proof zunehmend die Rolle der Prozesssynchronisation. In der Digitalfotografie<br />
stellt sich durch den Wegfall der Analogfilme das Problem<br />
der Dokumentation.<br />
Für das Verständnis <strong>des</strong> klassischen<br />
G u t - z u m - D r u c k<br />
ist es wichtig, sowohl die Beziehung<br />
K u n d e - D r u c k e r e i<br />
als auch die technischen Rahmenbedingungen <strong>des</strong> Drucks zu berücksichtigen.<br />
Ein Probedruck auf einer Produktionsmaschine ist<br />
in der Mehrzahl der Fälle ausgeschlossen. Der Prüfdruck erfolgt im<br />
Normalfall auf speziellen Proofdruckern, für die ein eigenständiger<br />
1 Der Gebrauch der Worte ≪Proof ≫ bzw. ≪Proofing ≫ ist ein wenig ungewöhnlich<br />
wie aus dem folgenden Zitat von Gary G. Field [1, p. 325] zu entnehmen ist:<br />
Proof is a noun of which prove is the verb form; therefore, this activity should be<br />
called color proving rather color proofing. The term ≪proofing ≫ has, however,<br />
achieved wi<strong>des</strong>pread usage in the printing industry.<br />
73<br />
Proof<br />
✧ allgemein: visuelle Qualitätskontrolle und Dokumentation<br />
➙ Visualisierung abstrakter Spezifikationen (PDF-Viewer)<br />
➙ wachsende Bedeutung im digitalen Workflow<br />
✛ z.B. Fotografie: Dokumentation abstrakter Bilddaten<br />
✧ ≪Gut zum Druck ≫: visuelle Sollvereinbarung ≪Kunde-Druck ≫<br />
➙ Simulation <strong>des</strong> nachfolgenden Drucks<br />
➙ Hauptzweck: Farbverbindlichkeit<br />
✛ Druckqualität stark schwankend<br />
➣ Druckprozess bis heute nicht automatisch regelbar<br />
➣ neue Herausforderungen: z.B. im Verpackungsdruck<br />
✧ eigenständiger Technologiemarkt (integrierte Systeme)<br />
➙ heute stark mit Digitaldruck und CMS korreliert<br />
Proof-Arten<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
✧ Prefly-Check: Kontrolle <strong>des</strong> Datenformats (PDF-Parser)<br />
➙ signifikant wegen wachsender Datenkomplexität (PDF/X3)<br />
✛ fehlende Fonts, schadhafte Dateien, Versionskontrolle<br />
✧ Stand- oder Formproof: Druckvorstufe<br />
➙ Layout-Check nach Montage (Text-Bild-Integration)<br />
➙ traditionell: Ozalid-Kopie (Blue Print), heute: Laserdrucker<br />
✧ Farb- oder Kontraktproof: farbverbindliche Freigabe<br />
➙ zunehmend auch als Eingangskontrolle für Fotografien<br />
➙ State-of-the-Art: hochwertige Inkjets (Tendenz Softproof)<br />
✧ Rasterproof: Farbproof mit Halftoningkontrolle<br />
➙ Andruck oder hochwertige Simulation<br />
✛ z.B. Kunstdrucke, Werbeverpackungen (Tiefdruck)<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
1<br />
proof<br />
2<br />
proof
Ozaliddrucker und Blaupausen<br />
klaus simon<br />
Constraints <strong>des</strong> Proofings<br />
✧ möglichst billig (Proof: kein zusätzlicher Nutzeffekt)<br />
✧ hohe Genauigkeit (insbesondere: Wiederholbarkeit)<br />
✧ Proof-Gamut muss Print-Gamut enthalten<br />
✧ speziell bei Inkjets<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
➙ korrekte Wahl <strong>des</strong> Papiers (keine optischen Aufheller)<br />
➙ stabiles Zeitverhalten der Tinten bzw. Farbstoffe<br />
✛ zwischen 30 Minuten und 2–3 Monaten<br />
✧ ausreichend hohe <strong>Auflösung</strong>, speziell im Rasterproof<br />
➙ Art <strong>des</strong> Farbauftrags kompatibel mit Druck?<br />
✧ identische Dateninterpretation durch Print- und Proof-RIP<br />
➙ Versionsnummern bei PostScript und PDF-Interpretation<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
3<br />
proof<br />
4<br />
proof<br />
74<br />
Technologiemarkt existiert. Der Proof ist <strong>des</strong>halb im Allgemeinen<br />
eine Simulation, die mehr und mehr auf Digitaldruck und Color Management<br />
basiert.<br />
Bei einer Simulation stellt sich naturgemäss die Frage der Verbindlichkeit,<br />
vor allem der Farbverbindlichkeit. Druckmaschinen<br />
sind bis heute nur bedingt farbmetrisch regelbar. Die Simulation<br />
bezieht sich in Folge <strong>des</strong>sen normalerweise auf gemittelte<br />
Prozessparameter, wie sie etwa in der ISO / DIN-Norm 2 12647 dokumentiert<br />
sind 3 und nicht auf konkrete Maschinenparameter. Das<br />
Gut-zum-Druck ist demgemäss nicht nur als technische Simulation<br />
<strong>des</strong> nachfolgenden Drucks zu verstehen, sondern auch als<br />
Soll-Vereinbarung zwischen Kunde und Druckerei. Der rechtliche<br />
Aspekt <strong>des</strong> Vorgangs ist von zentraler Bedeutung.<br />
3.1 Proof-Arten<br />
Preflight-Checks dienen der Kontrolle von Datenformaten. Heute<br />
handelt es sich in erster Linie um PDF-Parser. Wichtige Anliegen<br />
sind z.B. die Versionskontrolle und die Verifikation bestimmter Unterformate.<br />
So ist es keinesfalls selbstverständlich, dass ein korrektes<br />
PDF-File auch druckbar ist. Die Druckbarkeit wird im ISO-<br />
Standard PDF/X spezifiziert und kann durch einschlägige Programme<br />
wie der Altona Test Suite 4 überprüft werden. Verifikationssoftware<br />
dieser Art ist eine zwingende Notwendigkeit, die sich aus der<br />
stetig wachsenden Automatisierung der Arbeitsabläufe ergibt.<br />
Aus der konventionellen Druckvorstufe sind Stand- oder Formproofs<br />
bekannt. Es handelte sich um Layout-Checks nach der Montage,<br />
wo vor allem die Text-Bild-Integration verifiziert wurde. Traditionell<br />
benutzte man dazu eine fotomechanische Ozalid-Kopie, die<br />
2 ISO 12647: Graphic technology — Process control for the production of halftone<br />
colour separations, proof and production prints<br />
3 aus Sicht <strong>des</strong> Color Management sprechen wir hier von Standardprofilen<br />
4 beziehbar über BVDM, ECI, FOGRA oder Ugra
verfahrensbedingt eine blaue Farbe hat. Die Bezeichnung<br />
B l a u p a u s e bzw. B l u e P r i n t<br />
ist daraus abgeleitet. Im modernen Workflow musste die Blaupause<br />
jedoch dem Laserdrucker weichen.<br />
Das Gut-zum-Druck ist ein Kontrakt- oder Farb-Proof. Sein Ziel<br />
ist die farbverbindliche Freigabe eines geplanten Druckerzeugnisses.<br />
Der Kontrakt-Proof ist also Teil einer rechtlichen Vereinbarung<br />
zwischen Kunde und Druckerei. Zur Sicherstellung der Rechtsverbindlichkeit<br />
sind gewisse Regeln einzuhalten, auf die wir im Anschluss<br />
zurückkommen werden.<br />
Für anspruchsvolle, teure Produktionen, z.B. im Tiefdruck, kommen<br />
auch Rasterproofs zum Einsatz. Hier interessiert man sich<br />
nicht nur für den Farbeindruck sondern auch für die zu Grunde liegende<br />
Halftoningstruktur. Da eine Rastersimulation technisch komplex<br />
ist, sind im Rasterproof trotz der hohen Kosten auch ganz konventionelle<br />
Andrucke nicht ungewöhnlich.<br />
3.2 Rahmenbedingungen <strong>des</strong> Kontraktproofs<br />
Als Simulation eines Druckprozesses unterliegt der Farbproof einer<br />
Reihe von Anforderungen, die auch teilweise standardisiert sind. Ihre<br />
Einhaltung ist die Voraussetzung für die Akzeptanz <strong>des</strong> Proofs.<br />
Die Anforderungen sind teils technischer Natur wie die Definition<br />
von Fehlertoleranzen. Andererseits gibt es organisatorische Festlegungen<br />
wie die Regelung der Abnahme. In den <strong>letzten</strong> Jahren beobachtete<br />
man eine gewisse Verunsicherung, da durch die vordringende<br />
Computer-to-Plate-Technologie gut etablierte Verfahrensweisen<br />
in Frage gestellt wurden und die neuen digitalen Proofkonzepte<br />
noch keine ausreichende Glaubwürdigkeit besassen. Zwischenzeitlich<br />
hat sich zwar die Lage rund um den Digitalproof entspannt,<br />
aber die Diskussion um Glaubwürdigkeit und Rechtsverbindlichkeit<br />
hat sich lediglich der nächsten Proofgeneration, dem Proofen<br />
am Monitor (Softproof), zugewandt.<br />
75<br />
rechtsverbindlicher Kontraktproof<br />
✧ ICC-Drucksimulation nach geltenden Branchenstandards<br />
➙ insbesondere ISO/DIN 12647: Druckdaten, Proof und Druck<br />
CMYKprint<br />
absolut absolut<br />
✲ ✲<br />
º º º<br />
PCS<br />
º º º<br />
IT 8/7.1-Vermessung Proofer-Profil<br />
➙ mittlerer Fehler ≤ 4 ∆E, maximaler Fehler ≤ 12 ∆E<br />
➙ notwendige Prüfzeile mit organisatorischen Angaben<br />
✛ welche Profile, wann, wo, wer, . . .<br />
➙ Mitdrucks <strong>des</strong> Ugra/FORGA Medienkeils CMYK<br />
✛ korrekte Einrichtung <strong>des</strong> Proofsystems<br />
Abmusterung<br />
✧ visuelle Proof-Begutachtung<br />
➙ speziell im Akzidenzdruck<br />
✛ Prospekte, Kataloge, . . .<br />
✧ Ziel: Druckfreigabe<br />
➙ “Gut zum Druck”<br />
➙ problematische Vorlagen, . . .<br />
klaus simon<br />
✧ ISO 3664: Abmusterungs- und Messbedingungen<br />
➙ blendfreier Arbeitsplatz (besser Kabine)<br />
➙ farblich neutral, Lichtart D50<br />
➙ Beleuchtungsstärke Proof: 2000 lx ± 500 lx<br />
➙ Auflichtvorlage ist mit Schwarz zu hinterlegen<br />
klaus simon<br />
CMYKproof<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
5<br />
proof<br />
6<br />
proof
Abmusterungskabine<br />
klaus simon<br />
Andruckmaschinen (Pressproof)<br />
✧ bis in die 70er Jahre die Standardtechnik<br />
✧ meist spezialisierte Druckmaschinen<br />
➙ mit kleiner Druckgeschwindigkeit<br />
➙ aber kürzerer Umrüstzeit<br />
✧ teuerste Proofart<br />
✧ beste Übereinstimmung mit Auflagendruck<br />
✧ Auflagenpapier verwendbar (auch doppelseitig)<br />
✧ benutzt originale Druckplatten und -farben<br />
✧ umsatzmässig geringste Bedeutung<br />
➙ hauptsächlich bei Sonderfällen<br />
✛ Tiefdruck: grosse, teure Massenauflagen<br />
klaus simon<br />
Gretag<br />
Macbeth<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
7<br />
proof<br />
8<br />
proof<br />
76<br />
Die Frage der notwendigen technischen Voraussetzungen <strong>des</strong><br />
Proofens wurde primär durch das Eindringen von Inkjets der mittleren<br />
und unteren Preiskategorie in den professionellen Proofmarkt<br />
aufgeworfen. Da ein Prüfdruck keinen direkten Zusatznutzen hat,<br />
ist es ein natürliches Optimierungsziel, ihn so kostengünstig wie<br />
möglich zu erstellen. Die erste offensichtliche Anforderung an einen<br />
Prüfdrucker ist Genauigkeit, speziell eine hohe Wiederholgenauigkeit.<br />
Damit eine farbmetrisch korrekte Simulation möglich ist, muss<br />
der Gamut <strong>des</strong> Proofers den Gamut <strong>des</strong> simulierten Druckprozesses<br />
enthalten. Da ein Prüfdruck als Dokument verwendet wird, muss<br />
er ein stabiles Zeitverhalten bezüglich Farben oder Tinten aufweisen.<br />
Spätestens 30 Minuten nach dem Druck sollten sich die Farben<br />
stabilisiert haben und es auch für zwei bis drei Monate, in einer vor<br />
direkter Sonneneinstrahlung geschützten Umgebung, bleiben. Bei<br />
der Wahl <strong>des</strong> Papiers ist zu beachten, dass für den Prüfdruck keine<br />
aufgehellten Papiere zulässig sind. Da speziell für Inkjets die beiden<br />
<strong>letzten</strong> Anforderungen keine Selbstverständlichkeiten sind, ist<br />
es sinnvoll, bei der Auswahl eines Prüfdruckers auf eine unabhängige<br />
Zertifizierung zu achten.<br />
Seit Einführung <strong>des</strong> Color Management hat sich das Proofen<br />
stark an dieser Technik orientiert. Dies ist sehr naheliegend, da die<br />
zugehörige Gerätecharaktersierung, genannt Profil, genau die Daten<br />
zur Verfügung stellt, die zur Simulation <strong>des</strong> Druckers benötigt<br />
werden. Ein gegebenes CMYK-Ausgabefile wird mit dem Profil <strong>des</strong><br />
vorgesehenen Druckers zurücktransferiert in den Profil Connection<br />
Space 5 PCS und von da aus erfolgt eine normale Druckausgabe<br />
mit dem Profil <strong>des</strong> Proofers. Für beide Transformationen benutzt<br />
man den Modus absoluter Rendering Intent, was einer echten physikalischen<br />
Simulation entspricht. In Folge wird auch das Weiss <strong>des</strong><br />
Ausgangsdruckers simuliert und nicht einfach mit dem Papier <strong>des</strong><br />
Proofs identifiziert. Dieser Umgang mit dem Weisspunkt wird zwar<br />
in der graphischen Industrie kontrovers diskutiert, es ist jedoch keine<br />
technische Frage, sondern eine Diskussion um das Verständnis<br />
eines Proofs an sich.<br />
5 einem geräteneuralen Farbraum wie X Y Z oder CIELAB
Der Kontraktproof wird hauptsächlich im Akzidenzdruck eingesetzt.<br />
Aus den in Kapitel Bilddarstellung ausgeführten Gründen<br />
wird im Normalfall nicht eine individuelle Druckmaschine simuliert,<br />
sondern standardisierte Durchschnittswerte, etwa gemäss<br />
dem vorgängig bereits erwähnten Offsetdruck nach ISO 12647.<br />
Abschliessend sei darauf hingewiesen, dass das Proofen mit ICC-<br />
Profilen zwar weit verbreitet, aber nicht exklusiv ist. Nach wie vor<br />
existieren integrierte Proofsysteme mit proprietärer Technologie.<br />
Die Rechtsverbindlichkeit eines Proofs erfordert, dass er nach geltenden<br />
Branchenstandards durchgeführt wird. In erster Linie ist<br />
hier wieder die ISO/DIN-Norm 12647 zu nennen, wo insbesondere<br />
die Standardprofile für die Simulation <strong>des</strong> Offsetdrucks festgelegt<br />
sind. Ferner erwartet man eine minimale Simulationsgenauigkeit,<br />
d.h. eine mittlere Fehlerabweichung ≤ 4∆ E und einen maximalen<br />
Fehler ≤ 12∆ E. Auf Grund verbesserter Toleranzen im Offsetdruck<br />
ist in näherer Zukunft mit einer Revision dieser Zahlen nach unten<br />
zu rechnen.<br />
Als Dokument benötigt der Proof entsprechende organisatorische<br />
Angaben. In einer diesbezüglichen Prüfzeile sollten die verwendeten<br />
Profile, das Datum, der Ort, die Ausführenden usw. festgehalten<br />
werden. Schliesslich sollte ein visuelles Testchart mitgedruckt<br />
werden, um die farbmetrische Korrektheit zu verifizieren.<br />
Der Ugra/FOGRA Medienkeil CMYK, hat sich für diesen Zweck als<br />
sehr geeignet erwiesen.<br />
Zweck dieser Bemühungen ist die visuelle Abnahme <strong>des</strong> Prüfdrucks<br />
durch den Kunden. Das Ziel der Abmusterung ist die Druckfreigabe,<br />
das schon angesprochene Gut-zum-Druck. Die Situation<br />
stellt sich speziell im Akzidenzdruck, bei Prospekten, Katalogen<br />
oder problematischen Vorlagen. Die technischen Umstände der Abmusterung<br />
sind in der ISO-Norm 3664 festgelegt. Zunächst benötigt<br />
man einen blendfreien Arbeitsplatz, besser eine spezielle Abmusterungskabine,<br />
wie in Tafel 6. Das Licht sollte farblich neutral,<br />
idealerweise D50, sein. Die Beleuchtungsstärke sollte 2000±500 lx<br />
betragen. Um das Durchscheinen <strong>des</strong> Widerdrucks zu verhindern,<br />
sind Auflichtvorlagen mit Schwarz zu hinterlegen.<br />
77<br />
Proof-Druckmaschine<br />
klaus simon<br />
fotomechanischer Proof<br />
✧ Belichtung von fotosensitiven Schichten oder Folien<br />
➙ direkt ab Film, vor der Druckplattenproduktion<br />
✧ Kombination der Schichten<br />
➙ Ursprung: Overlay-Technik (Übereinanderplatzieren)<br />
➙ später: Belichtung erzeugt Klebeschicht für Toner<br />
Vandercook<br />
proof press<br />
1903 – 1975<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
✛ Zusammenfügen Farbschichten-Substrat durch Laminieren<br />
✧ gute Übereinstimmung mit Normaldruck (hohe Akzeptanz)<br />
➙ grosser Farbraum, feinabstufbar<br />
➙ hohe Detailgenauigkeit (z.B. bei AM-Raster bis ca. 100 lpi)<br />
✧ Nachteile: glänzende Oberfläche, relativ hohe Kosten<br />
✧ stark abnehmende Bedeutung durch Technologiewandel<br />
➙ Filmerzeugung entfällt durch Computer-to-Plate<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
9<br />
proof<br />
10<br />
proof
fotomechanischer Proof<br />
Digitalproof<br />
klaus simon<br />
✧ Continuous Inkjet: hohe Akzeptanz im Farbproof<br />
➙ galt lange als Synonym für Digitalproof<br />
Cromalin-Druck, duPont<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
➙ <strong>Auflösung</strong>: 300–400 dpi (ungenaue Graphikwiedergabe)<br />
➙ grosser Gamut in feinen Abstufungen<br />
➙ aufwendige Technik, relativ teuer in Wartung und Verbrauch<br />
✧ Drop-on-Demand-Inkjets: grosse Fortschritte in den <strong>letzten</strong> Jahren<br />
➙ <strong>Auflösung</strong> bis etwa 1500 dpi<br />
➙ Druckkosten niedrig (Tendenz fallend, grosse Marktdynamik)<br />
➙ heutige High-End-Geräte als Farbproofer akzeptiert<br />
✛ z.B. Agfa Sherpa, Grossformatplotter 120–160 cm<br />
➙ Low-Cost (≤ 5 kFr): mit ICC-CMS zunehmende Bedeutung<br />
✛ noch nicht gänzlich akzeptiert<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
11<br />
proof<br />
12<br />
proof<br />
78<br />
3.3 Technik<br />
Bis in die 70er Jahre war der Andruck, der Probedruck auf einer<br />
tatsächlichen Druckerpresse, die Standardtechnik <strong>des</strong> Proofs. Allerdings<br />
benutzte man meist spezielle Andruckmaschinen, die sich<br />
durch kurze Einrichtungszeiten bei geringer Druckgeschwindigkeit<br />
auszeichneten. Der Andruck ist die teuerste Proofart, bietet aber<br />
auch die beste Übereinstimmung mit dem Auflagendruck. Er kann<br />
mit den originalen Druckplatten, -farben und -papier 6 durchgeführt<br />
werden. Die wirtschaftliche Bedeutung <strong>des</strong> Andrucks ist heutzutage<br />
eher gering. Für Sonderfälle, z.B. teuere Massenauflagen im Tiefdruck<br />
wie Modekataloge, wird er in<strong>des</strong>sen noch eingesetzt.<br />
Im Fotosatz entwickelte sich aus der eingesetzten Filmtechnologie<br />
auch eine entsprechende fotomechanische Prooftechnik, bekannt<br />
als Analogproof. Ziel dieser Entwicklung war eine Überprüfung<br />
<strong>des</strong> Montagefilms und zwar bevor er zur Druckplattenproduktion<br />
benutzt wird. Dazu wurden mit dem Montagefilm dünne Folien<br />
mit fotosensitiven Schichten belichtet. Diese wurden zunächst<br />
im Nassverfahren entwickelt und die einzelnen Farbauszüge übereinander<br />
platziert (Overlay-Technik). Die Verfahren, die man aus<br />
heutiger Sicht mit dem Analogproof verbindet, ergaben sich aus der<br />
Aufgabe der Nassentwicklung und / oder durch das Zusammenfügen<br />
der Farbauszüge bzw. <strong>des</strong> Substrats durch Laminierung. Verfahren<br />
ohne Nassentwicklung benutzten eine fotosensitive Klebschicht.<br />
Durch die Belichtung geht an den entsprechenden Stellen die klebende<br />
Wirkung verloren. Ein anschliessend aufgebrachter Toner<br />
haftet nur an den unbelichteten Stellen. 7 Alternativ zu Toner kamen<br />
auch Farbfolien zum Einfärben der belichteten Klebschichten<br />
zum Einsatz. Dazu werden sie vollflächig an die teilweise klebenden<br />
Proof-Folie angepresst und bleiben beim Ablösen nur an den klebenden<br />
Teilen haften. Die so entstandenen Farbauszüge wurden dann<br />
nacheinander auflaminiert.<br />
6 auch doppelseitig<br />
7 ein typisches Verfahren ist etwa der Cromalin-Farbproof von DuPont
Der Analogproof war als Technik gut akzeptiert. Er bot einen<br />
grossen Farbraum, der fein abstufbar war, so dass Druckfarbräume<br />
gut simuliert werden konnten. Bis etwa 100 lpi war auch die Wiedergabe<br />
von Rasterstrukturen gut. Nachteilig war die stark glänzende<br />
Oberfläche und die relativ hohen Kosten. Dass diese Technologie<br />
heute ihre ehemals grosse Bedeutung eingebüsst hat, geht<br />
auf eine externe Ursache zurück, nämlich den Übergang zur digitalen<br />
Druckplattenproduktion (Computer-to-Plate). Wenn keine Filme<br />
mehr erzeugt werden, können sie auch nicht mehr für Belichtungen<br />
eingesetzt werden.<br />
Ein CtP-Workflow benötigt also eine neue Prooftechnik, den Digitalproof.<br />
Potenzielle Kandidaten sind die Druckverfahren ohne<br />
Druckformen, insbesondere also der Laserdruck, Inkjets und die<br />
Thermographie. Da Laserdrucker jedoch technologiebedingt Qualitätsschwankungen<br />
aufweisen, sind sie für rechtsverbindliche Farbproofs<br />
ungeeignet. 8<br />
Hauptsächlich werden Inkjets im Farbproof eingesetzt. Hier hat<br />
man eine hohe Marktdynamik. Prinzipiell geeignet sind auch die<br />
thermographischen Drucker. Sie sind im Kontraktproof allerdings<br />
seltener anzutreffen. Die ersten digitalen Proofdrucker, die eine hohe<br />
Akzeptanz erreichten, waren Continuous Inkjets. Lange Zeit galten<br />
sie als synonym für den Digitalproof. Continuous Inkjets haben<br />
einen grossen, fein abgestuften Gamut, der auch die Simulation<br />
von Sonderfarben erlaubt. Dagegen ist die <strong>Auflösung</strong> mit ca. 400 dpi<br />
eher gering mit einer entsprechend ungenauen Graphikwiedergabe.<br />
In Anschaffung, Wartung und Verbrauch war diese aufwändige<br />
Technik sehr teuer.<br />
Die heute im Digitalproof eingesetzte Technologie sind Drop-on-<br />
Demand-Inkjets. Hier hat es in den <strong>letzten</strong> Jahren die grössten<br />
Fortschritte gegeben. High-End-Geräte dieser Art erreichen <strong>Auflösung</strong>en<br />
bis etwa 1500 dpi. Als Grossformatplotter der Dimension<br />
120×160 cm kann er auch grössere Druckbögen simulieren. Die<br />
Farbverbindlichkeit genügt höchsten Ansprüchen, entsprechend<br />
8 dominieren aber andererseits den weniger anspruchsvollen Design-Proof, auf<br />
Grund ihrer höheren Druckgeschwindigkeit<br />
79<br />
HP-Plotter als Digitalproofer<br />
klaus simon<br />
Rasterproofsysteme (True Proof)<br />
✧ Güte von Verläufen, Moiré-Effekte, . . .<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
➙ Interferenz mit Bildmotiven: Stoffmuster in Modekatalogen<br />
✧ Analyse von Dots, Rasterwinkeln, Rasterfrequenz<br />
➙ Voraussetzung: hohe <strong>Auflösung</strong> und gleiche RIPs<br />
✧ 3 Arten digitaler Rasterproofsysteme<br />
➙ Thermosublimations- oder Thermotransferdrucker<br />
✛ erweiterte Farbproofer (in Europa nicht etabliert)<br />
➙ Nebenprodukt aus CtP-Anlagen: Folien anstatt Druckplatte<br />
✛ übertragbar auf verschiedene Trägermaterialien<br />
✛ hohe Kosten (Anschaffung ca. 50 kFr, Verbrauch)<br />
➙ Softwaresimulation <strong>des</strong> Rasters auf Inkjet<br />
✛ Problem: mangelnde <strong>Auflösung</strong> (nur bei AM sinnvoll)<br />
➣ Spezialtinten simulieren nur Farbverhalten<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
13<br />
proof<br />
14<br />
proof
Softproof<br />
✧ Proofing am Monitor: work in progress<br />
✧ Konzept naheliegend: Erweiterung von PDF-Viewer<br />
➙ prinzipiell möglich durch ICC-CMS<br />
➙ als Farbproof allgemein noch nicht akzeptiert<br />
✛ inkompatible Abmusterungen (Monitor, Druck)<br />
✛ Rasterstrukturen nur durch Zoomen visualisierbar<br />
✛ Dokumentation unklar (digitale Unterschrift)<br />
➙ Vorteile<br />
✛ geringe Kosten (keine zusätzliche Hardware)<br />
✛ partizipiert am Fortschritt der Informatik (Grafikkarten)<br />
➣ z.B. erweiterte Berücksichtigung der Viewing Conditions<br />
✛ einfache und effiziente Realisierung<br />
Softproof<br />
klaus simon<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
15<br />
proof<br />
16<br />
proof<br />
80<br />
unbestritten ist die Akzeptanz dieser Technologie. Allerdings bewegt<br />
sich der Markt weg von dem hochpreisigen Segment und das<br />
Preis-Leistungs-Verhältnis hat sich in letzter Zeit bemerkenswert<br />
entwickelt. Auch im Low-Cost-Bereich lässt sich mit ICC-Profilen<br />
problemlos ein Proof erstellen. Die Akzeptanz ist aber hier weder<br />
allgemein gegeben noch gerechtfertigt.<br />
3.3.1 Rasterproof (True Proof)<br />
Bei anspruchsvollen Produktionen kann es angemessen sein auch<br />
die Rasterstruktur zu überprüfen. Grundsätzlich lassen sich z.B.<br />
Moiré-Effekte, verursacht durch Interferenzen mit Bildmotiven,<br />
nicht ausschliessen. Typisch für solche Probleme sind Stoffmuster<br />
in Modekatalogen. Die Voraussetzung zur Analyse von Dots, Rasterwinkel<br />
und Rasterfrequenz ist eine ausreichend hohe <strong>Auflösung</strong><br />
und identische Rasteralgorithmen, d.h. im Allgemeinen identische<br />
RIPs. Da die Forderung nach einer hohen <strong>Auflösung</strong> durchaus nicht<br />
trivial ist, konnte sich der Andruck in diesem Segment eine gewisse<br />
Bedeutung erhalten, besonders in Kontext von teuren Tiefdruckproduktionen.<br />
Bei den eigentlichen Simulationsverfahren sind drei Technologien<br />
verbreitet. Die erste sind die Thermotransfer- oder Thermosublimationsdrucker.<br />
Der zweite Ansatz kann als Übertragung <strong>des</strong> Analogproofs<br />
auf Computer-to-Plate verstanden werden. Anstatt der<br />
Druckplatte werden auf der CtP-Maschine Farbauszüge auf Folie<br />
erzeugt, die mit einem externen Laminator zusammengefügt werden.<br />
Schliesslich kommen auch beim Rasterproof Inkjets zum Einsatz.<br />
Auf Grund der nicht immer ausreichenden <strong>Auflösung</strong> ist dies<br />
allenfalls für AM-Raster empfehlenswert.<br />
3.3.2 Softproof<br />
Im heutigen Arbeitsablauf der graphischen Industrie ist der Monitor<br />
das zentrale Werkzeug. Es ist <strong>des</strong>halb natürlich, den Monitor<br />
auch zum Proof einzusetzen, wobei man dann vom Softproof<br />
spricht. Durch Techniken wie dem ICC-Color Management ist der
Softproof konzeptionell durchaus möglich und wird als Design-<br />
Proof auch heute schon praktiziert. Als rechtsverbindlicher Farbproof<br />
ist er jedoch noch nicht akzeptiert. Dies liegt an verschiedenen<br />
Gründen. So weisen Monitore Farbschwankungen über den gesamten<br />
Bildschirmbereich auf. Dann erreicht die handelsübliche Farbmesstechnik<br />
9 bei Monitoren 10 nicht die Selbstverständlichkeit wie<br />
bei Körperfarben. 11 Desweiteren existieren organisatorische Probleme<br />
wie inkompatible Abmusterungsempfehlungen für Monitor und<br />
Druck bzw. wie dokumentiert man rechtsverbindlich ein Monitorbild.<br />
Schliesslich besitzt ein Monitor im Allgemeinen 12 nicht die<br />
<strong>Auflösung</strong> für eine korrekte Rastersimulation.<br />
Dagegen stehen die Vorteile. Zunächst die geringen Kosten, da<br />
keine zusätzliche Hardware benötigt wird. Die Leistungsfähigkeit<br />
von Graphikkarten wurde in den <strong>letzten</strong> Jahren enorm gesteigert.<br />
Dieses Potenzial kann genutzt werden, um visuelle Simulation im<br />
Druckbereich auf ein neues Leistungsniveau zu heben, z.B. für<br />
einen online-Einbezug der tatsächlich vorhandenen Betrachtungsumgebung.<br />
Nicht zuletzt ist der Softproof einfach und bequem.<br />
3.3.3 Remote Proofing<br />
In der Medienbranche existiert speziell im Anzeigenmarkt ein<br />
Trend zum verteilten Produzieren. Es ist nicht untypisch, dass ein<br />
Modehaus dieselbe Anzeige europaweit in vielleicht 100 verschiedenen<br />
Zeitungen oder Magazinen schaltet. Selbstverständlich wird<br />
erwartet, dass die Anzeigen überall gleich aussehen. Durch diese<br />
Forderung entsteht für das Proofen eine neue Herausforderung, das<br />
sogenannte Remote Proofing. Das verteilte Proofen ist als Technologie<br />
noch im Entstehen begriffen. Verschiedene Aspekte lassen sich<br />
jedoch bereits identifizieren. So werden grundsätzlich keine neuen<br />
9Relativmessgeräte 10Selbstleuchter 11Das EyeOne unterstützt aus diesem Grund keine Spot-Messungen bei Monitoren.<br />
12High-End-Monitore ausgenommen<br />
81<br />
Remote Proofing<br />
✧ Verteiltes Proofen im weltweiten Mediennetzwerk<br />
➙ duch Arbeitssituation induziertes Bedürfnis<br />
✧ Basis: Softproof und Internet Print Protocol (IPP)<br />
✧ State-of-the-Art: work in progress<br />
✧ Erwartungen: neues Proof-Verständnis<br />
➙ Ausschöpfung der Computerinfrastruktur<br />
➙ zeitnäher (Kamera an der Druckmaschine)<br />
➙ erweiterte Simulationsmöglichkeiten<br />
✛ Materialeigenschaften, 3-D-Präsentationen, . . .<br />
➙ Kostensenkungen (Zeit, Transportkosten, Softproof, . . . )<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
17<br />
proof
Techniken benötigt, sondern die vorhandenen werden stärker integriert,<br />
speziell der Softproof und der Datenaustausch per Internet.<br />
Der Proof wird zeitnäher agieren, vielleicht mit einer Kamera an<br />
der Druckmaschine. Die Computerinfrastruktur wird für erweiterte<br />
Simulationen genutzt werden.<br />
3.4 Tendenzen<br />
Das Proof-Szenario ist in Bewegung. Der allgemein hohe Kostendruck<br />
erzwingt Veränderungen in Richtung Low-Cost-Inkjets und<br />
Softproof. Das Remote Proofing wird die gewohnten Arbeitsabläufe<br />
in Frage stellen. Erweiterte Simulationsverfahren stellen das traditionelle<br />
Verständnis <strong>des</strong> Proofs in Frage. In Folge der allgemeinen<br />
Veränderungen durch das Desktop Publishing verschwindet die Unterscheidung<br />
zwischen Design- und Farbproof.<br />
3.5 Literaturverzeichnis<br />
[1] G. Field. Color and Its Reproduction. GATF Press, Pittsburgh,<br />
1999, Second Edition.<br />
[2] P. Green. Understanding Digital Color. GATF Press, Pittsburgh,<br />
1999, Second Edition.<br />
[3] J. Homann. Digitales Colormanagement. Daten, Proofs und<br />
Druck nach DIN / ISO 12647. Springer, Berlin, 2006, 3. Auflage.<br />
[4] M. Dätwyler, E. Widmer, and K. Simon. Evaluating a Digital<br />
Proofing Device. Acta Graphica: Journal for Printing Science<br />
and Graphic Communication, pages 49–66, 2003.<br />
82
K a p i t e l<br />
4<br />
Typographie und Schrift<br />
Die Gestaltung eines Druckerzeugnisses bezeichnet man als ≪Typographie<br />
≫. 1 Die zentralen Elemente der Formgebung sind dabei die<br />
Wahl und Variation von Schriften, sowie die Anordnung von Text,<br />
Bildern, Zeichen, Farbe usw. Man unterscheidet grundsätzlich zwischen<br />
Mikro- und Makrotypographie. Erstere beschäftigt sich mit<br />
dem Entwurf von Zeichen und Schriften. Letztere bezieht sich auf<br />
das Gesamtkonzept eines Werkes, welches im Allgemeinen durch<br />
den Verwendungszweck dominiert wird. So benutzt man für informierende<br />
Werke wie Plakate, Flyer, Formulare oder Lexika eher<br />
einen stark strukturierten Stil, wohingegen ein Roman normalerweise<br />
auf einen gleichmässigen Lesefluss ausgerichtet ist. In der<br />
Typographie war und ist es üblich Regeln für ≪gute Typographie ≫<br />
zu definieren. Diesbezüglich ist zu beachten, dass diese Regel zum<br />
einen historischen Mo<strong>des</strong>chwankungen und zum zweiten technischen<br />
Beschränkungen unterliegen. 2<br />
4.1 Ursprung der lateinischen Schriften<br />
Die Schrift entstand offenbar als visuelles Kodierungssystem für<br />
gesprochene Sprache. Entsprechend erscheinen Bildersprachen, basierend<br />
auf Abstraktionen von Gegenstandsdarstellungen, als der<br />
ursprünglichste Sprachtyp. Beispiele sind etwa die ägyptischen Hieroglyphen<br />
oder die chinesischen Schriftzeichen. Da man in solchen<br />
1 abgeleitet von den Typen, den einzelnen Druckbuchstaben im Bleisatz<br />
2 Was durchaus auch korreliert vorkommen kann: So bevorzugte man in der<br />
Frühzeit <strong>des</strong> Digitaldrucks den Flattersatz, wohl weil es die einzige damals funktionierende<br />
Variante war.<br />
83<br />
Typographie (Buchdruckerkunst)<br />
✧ Gestaltung von Drucksachen durch . . .<br />
➙ Wahl und Variation der Schriften<br />
➙ Anordnung von Fliesstext, Bildern, Linien, Farbe, . . .<br />
✧ Mikrotypographie: Gestaltung von Schriften und Zeichen<br />
✧ Makrotypographie: Gesamtkonzept eines Werkes . . .<br />
. . . orientiert am Verwendungszweck<br />
➙ informieren<strong>des</strong> Lesen (Lexika, Flyer, Geschäftsbericht)<br />
➙ gleichmässiger Lesefluss (Roman, Dissertation)<br />
✧ “gute Typographie”<br />
➙ unterliegt historischen Moden und<br />
➙ technischen Beschränkungen<br />
➙ basiert auf Wahrnehmungspsychologie<br />
klaus simon<br />
Mikro- versus Makrotypographie<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
1<br />
schriften<br />
2<br />
schriften
Geschichte der lateinischen Schriften<br />
✧ Ursprung: visuelle Kodierung gesprochener Sprache<br />
✧ Bilderschriften (Ideogramme): Hieroglyphen, chin. Schriftzeichen<br />
✧ 3000 v.Chr. babylonische Keilschrift (Silbenschrift, ca. 600 Zeichen)<br />
✧ 1400 v.Chr. Konsonantenschrift der Phönizier, 22 Zeichen<br />
➙ Grundlage der europäischen Schriften<br />
✧ 1000 v.Chr. griechisches Alphabet (Erweiterung um: a, e, i, o, u)<br />
➙ übern. durch Römer (≪capitalis monumentalis≫, Grossbuchsta-<br />
ben)<br />
✧ 800 n.Chr. karolingische Minuskel (moderne Kleinbuchstaben)<br />
➙ Zielsetzung: verbesserte Les- und Schreibarkeit<br />
✧ 1000? n.Chr. gotische Schriften (Frakturschriften, in Schreibstuben)<br />
✧ Renaissance: zurück zur römisch-karolingischen Antiqua<br />
➙ Einbezug der arabischen Ziffern (Dezimalsystem)<br />
✧ Industrialisierung: vielfältige neue Schriftarten<br />
klaus simon<br />
Hieroglyphen und chinesische Schriftzeichen<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
3<br />
schriften<br />
4<br />
schriften<br />
84<br />
Schriftsystemen tendenziell sehr viele einzelne Zeichen benötigt, bestand<br />
ein erster wichtiger Optimierungsschritt in der Reduktion der<br />
Sprachelemente, wobei die ehemaligen Bildsymbole nun durch Worte,<br />
Folgen von Zeichen, ersetzt wurden.<br />
Das erste solche System war die sumerische Keilschrift, die ca.<br />
3000 v. Chr. entstanden ist. Ihre etwa 600 Schriftzeichen werden mit<br />
den Silben der gesprochenen Sprache identifiziert, weshalb man sie<br />
auch als Phonogramme bezeichnet. Ein modernes solches System ist<br />
das Japanische.<br />
Um 1400 v.Chr. erfolgte dann in Phönizien die weitere Reduzierung<br />
der Schriftzeichen, indem man die Silben durch Folgen von<br />
Konsonaten ersetzte. Die verbliebenen 22 Schriftzeichen stellen den<br />
Ursprung der europäischen Alphabete dar.<br />
Etwa um 1000 v.Chr. übernahmen die Griechen das phönizische<br />
Alphabet und ergänzten es um die Vokale ≪ a,e,i,o und u ≫. Diese<br />
Schriftzeichen sind z.B. noch heute in der Mathematik gebräuchlich.<br />
Die Römer entwickelten die griechische Schrift weiter. Speziell<br />
für in Stein gehauene Inschriften benutzte man die Capitalis monumentalis,<br />
auf welche sich die Grossbuchstaben der heutigen lateinischen<br />
Schriften zurückführen lassen.<br />
Die entsprechenden Kleinbuchstaben haben ihren Ursprung in<br />
der karolingischen Minuskel. Sie wurde 800 v.Chr. von Alcuin von<br />
York im Auftrag von Karl dem Grossen kreiert, der damit eine<br />
Standardisierung der Kirchenliteratur anstrebte. Zielsetzung war<br />
im Besonderen eine verbesserte Les- und Schreibbarkeit.<br />
In den Jahrhunderten nach Ende <strong>des</strong> Frankenreiches verwandelten<br />
sich in den europäischen Schreibstuben die Rundungen der karolingischen<br />
Minuskel in länglich eckige Formen. Diese gotischen<br />
Schriften besassen auch zahlreiche Varianten, wie z.B. die Kursiv,<br />
die dem jeweiligen Schreibzweck angepasst waren.<br />
In der Renaissance erfolgte dann, nicht zuletzt durch die aufkeimende<br />
Wissenschaft, eine Rückbesinnung auf die römische Antike.<br />
Entsprechend versuchte man die klassischen Schriften zu kopieren.<br />
Dabei verband man fälschlicherweise die Grossbuchstaben der Ca-
pitalis monumentalis 3 mit den Kleinbuchstaben der karolingischen<br />
Minuskel. 4 Diese Schriften nennt man bis heute Antiqua.<br />
Mit der zunehmenden Bedeutung <strong>des</strong> Kommunikations<strong>des</strong>ign in<br />
der Industrialisierung mit dem permanenten Zwang sich von anderen<br />
zu unterscheiden, entstanden im 19. und 20. Jahrhundert viele<br />
neue Schrifttypen und -formen.<br />
4.2 Attribute lateinischer Druckschriften<br />
Grundsätzlich kann man zwischen stilistischen und funktionalen<br />
Attributen unterscheiden. 5 Die stilistischen Merkmale definieren<br />
den Charakter einer Schrift bzw. einer Schriftfamilie. Im Gestaltungsprozess<br />
führt dies etwa zur Festlegung der Grundschrift eines<br />
Dokumentes, in diesem <strong>Skript</strong> z.B. zu New Century Schoolbook.<br />
In einer konkreten Schreibsituation bestimmen dann die funktionale<br />
Attribute, wie z.B. die Schriftgrösse, die Auswahl unter den tatsächlich<br />
vorhandenen Varianten der Schriftfamilie.<br />
Als erstes stilistisches Attribut sei die allgemeine Form der<br />
Schriftzeichen angesprochen. Die kann<br />
• rund ≪w≫,<br />
• spitz ≪w ≫ oder etwa<br />
• gebrochen ≪w≫ sein.<br />
Ein zentrales Stilelement ist das Vorhandensein bzw. das Fehlen<br />
von Serifen, speziell ausgeprägte Schmuckenden von Strichen in<br />
Form von zusätzlichen Zierlinien, Häckchen oder Verbreiterungen.<br />
Der Buchstabe ≪ T ≫ hat Serifen, bei ≪ T ≫ fehlen sie. Ein weiteres<br />
auffälliges Merkmal sind Strichdickenunterschiede innerhalb<br />
eines Buchstabens wie in ≪ N ≫, im Gegensatz zu ≪ N ≫ mit visuell<br />
gleichen Strichdicken. Man unterscheidet demgemäss Grund-<br />
3 die in Inschriften ja noch vorhanden war<br />
4 in der die antiken Texte überwiegend verfügbar waren<br />
5 Aber wie häufig im Leben gibt es auch hier Grenzfälle.<br />
85<br />
Keilschrift und phönizisches Alphabet<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
Capitalis Monumentalis und karolingische Minuskel<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
5<br />
schriften<br />
6<br />
schriften
Attribute lateinischer Druckschriften<br />
✧ stilistische Attribute zur Charakterisierung der Schriftfamilie<br />
➙ Zeichenform: rund ≪w ≫, spitz ≪w ≫ oder gebrochen ≪w≫<br />
➙ mit ≪T≫ oder ohne ≪T≫ Serifen (Zierenden)<br />
➙ Strichdickenkontraste zwischen Grund- u. Haarstrich: ≪N≫ zu ≪N≫<br />
➙ visuell gleiche Buchstabenabstände (Proportionalschriften)<br />
✧ funktionale Attribute: Auswahl innerhalb einer Schriftfamilie<br />
➙ Schriftgrösse (Kegelgrösse): Höhe eines Druckstempels<br />
➙ Laufweite: Verhältnis ≪Breite / Höhe≫ (für H oder n etwa 4/5)<br />
✛ Masse: eng, schmall, normal, breit<br />
➙ Neigung: 0 ◦ allgemein, etwa 12 ◦ für kursiv<br />
➙ Strichdicke (Fette): mager, normal, halbfett (medium), fett (bold)<br />
klaus simon<br />
Beispiele Schriftattribute<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
7<br />
schriften<br />
8<br />
schriften<br />
86<br />
und Haarstriche. Als letztes der hier angesprochenen Merkmale sei<br />
auf den Buchstabenabstand innerhalb eines Wortes hingewiesen.<br />
Im Allgemeinen wird ein visuell gleich aussehender Abstand angestrebt,<br />
technisch als Proportionalschrift bezeichnet. Konventionelle<br />
Schreibmaschinen bzw. Matrixdrucker der frühen Informatik verfügten<br />
noch nicht über die aufwendigen Techniken für einen visuellen<br />
Abstandsausgleich und begnügten sich <strong>des</strong>halb notgedrungen<br />
mit gleichbreiten Buchstaben. Das daraus resultierende charakteristische<br />
Schriftbild wurde mit zunehmenden Gebrauch zu einem<br />
Synonym für Computercode. Diese Identifizierung hat in der Folgezeit<br />
dann dazu geführt, dass diese Typewriter-Schriften bis heute<br />
überlebt haben, obwohl die zu Grunde liegenden drucktechnischen<br />
Beschränkungen längst überwunden sind.<br />
Die funktionalen Attribute sind auf die eine oder andere Art mit<br />
der Geometrie der Schriftzeichen verknüpft. Betrachten wir zunächst<br />
die Schrifthöhe. Sie wird üblicherweise in Druckerpunkten<br />
≪ p ≫ oder heute eher ≪ pt ≫ angegeben. Auf die geometrische Interpretation<br />
dieser Angabe werden wir im folgenden Abschnitt genauer<br />
eingehen. Hier sei vor allem darauf hingewiesen, dass die<br />
Schrifthöhe nicht etwa der visuellen Höhe eines ≪J≫ entspricht, sondern<br />
ein wenig grösser ist. Traditionell identifizierte man nämlich<br />
die Schriftgrösse mit der Höhe der entsprechenden Druckstempel<br />
im Bleisatz, die sogenannte Kegelgrösse, und die war naturgemäss<br />
grösser als die darzustellenden Zeichen.<br />
In fortlaufenden Texten sind Druckbuchstaben an einer virtuellen<br />
Grundline ausgerichtet. Die meisten Zeichen wie ≪K, a, e ≫ oder<br />
≪ u ≫ setzen unmittelbar auf der Grundlinie auf. Der Abstand um<br />
den Zeichen wie ≪g, p, ... , y ≫ die Grundlinie unterschreiten heisst<br />
Unterlänge. Die Mittellänge oder x-Höhe ist die Distanz der Grundlinie<br />
zur Verbindungslinie der Oberkante von Zeichen wie ≪ a, e,<br />
g, x ≫ oder ≪z≫. 6 Die Oberkante der Grossbuchstaben definiert die<br />
Versalhöhe. Sie wird häufig mit der Höhe <strong>des</strong> Buchstabens ≪ H ≫<br />
identifiziert, weshalb man auch von H-Höhe spricht. Die Höhe eines<br />
6 man beachte, dass die Oberkante von ≪o≫ oftmals ein wenig darüber hin-<br />
ausragt
≪k≫, die k-Höhe, meint oftmals das gleiche wie die H-Höhe. Speziell<br />
bei der Schriftgruppe der Renaissance-Antiqua, z.B. bei Garamond<br />
oder Palatino, kann die k-Höhe jedoch auf Grund der Serifenform<br />
ein wenig grösser ausfallen. Schliesslich versteht man unter der<br />
Oberlänge die Differenz aus Versalhöhe und Mittellänge. Oberlänge<br />
haben die Buchstaben ≪b, f, h, k, l, t ≫.<br />
Ein weiterer funktionaler Parameter ist offenbar die Zeichenbreite,<br />
zu der auch der Leerraum zum Vorgänger (Vorbreite) bzw. Nachfolger<br />
(Nachbreite) gehören. Da die Zeichenbreite aber von Zeichen<br />
zu Zeichen variiert, ist sie für die Schriftspezifikation nur bedingt<br />
geeignet. Man betrachtet ersatzweise die Laufweite einer Schrift,<br />
die man in Begriffen wie eng, schmal, normal, breit oder extrabreit<br />
beschreibt. Dabei versteht man im Allgemeinen unter ≪normal ≫ ein<br />
Breiten / Höhen-Verhältnis von 4/5 bei den Buchstaben ≪ H ≫ oder<br />
≪n≫. Im Einzelfall ist es jedoch dem jeweiligen Schrift<strong>des</strong>igner überlassen<br />
eine Bezeichnung wie ≪breit ≫ zu konkretisieren. Im Desktop<br />
Publishing kann die Laufweite einer gegebenen Schrift durch Manipulation<br />
<strong>des</strong> mittleren Zwischenraums zwischen Buchstaben verändert<br />
werden. Wird er erhöht spricht man von sperren oder spationieren,<br />
wohingegen unterschneiden die entsprechende Reduktion<br />
meint.<br />
Der nächste routinemässig betrachtete Parameter ist die Strichdicke.<br />
Hier unterscheidet man gleichfalls verbal zwischen mager,<br />
normal, halbfett (medium) und fett (bold). Dabei wird eine Strichdicke<br />
von etwa 15 % der Versalhöhe als normal interpretiert.<br />
Schliesslich kann eine Schrift geneigt sein, was dann mit Ausdrücken<br />
wie italic, kursiv oder slanted gekennzeichnet wird. Im Allgemeinen<br />
beträgt dann der Neigungswinkel ca. 12 ◦ .<br />
4.3 Grössenangaben<br />
Die Grössenangaben einer Schrift werden seit dem 18. Jarhundert<br />
in Druckerpunkten angegeben. Die Interpretation hat sich jedoch<br />
im Laufe der Zeit mehrfach geändert und ist auch heute nicht allgemein<br />
verbindlich.<br />
87<br />
Zeichenlängen<br />
klaus simon<br />
Schrifthöhe = Kegelhöhe<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
9<br />
schriften<br />
10<br />
schriften
Grössenangaben<br />
✧ gemäss dem Bun<strong>des</strong>verband Druck<br />
➙ Didot-Punkt 1 p = 0.375 mm (Europa)<br />
➙ Pica-Punkt 1 pt = 0.351 mm (Amerika)<br />
➙ DTP-Punkt 1 pt = 0.35277 mm (Desktop Publishing)<br />
✧ Schriftgrade: vorhandene Schriftgrössen, in pt-Grössenklassen<br />
➙ sollte über eine spezifische Laufweite verfügen<br />
✧ Konsultationsgrössen: 5 bis 8 pt<br />
➙ Fussnoten, Randbemerkungen, Lexika, Telefonbücher<br />
✧ Lesegrössen: 9 bis 12 pt<br />
➙ Mengensatz, Bücher, Dokumente<br />
➙ Kinderbücher: 12 bis 20 pt<br />
✧ Schaugrössen: ≥ 14 pt<br />
➙ Überschriften, Titel, Plakate<br />
klaus simon<br />
Interpretation von ≪Schrift ≫<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
✧ Alphabet: Zeichensystem zur Repräsentation gesprochener Sprache<br />
✧ Zeichensatz einer Schrift: nicht nur Versalien und Gemeine<br />
➙ Ligaturen, Satzzeichen, Sonderzeichen (math., chem., kommerz.:<br />
+, =, $, %, &), Ziffern (arabische, <strong>Media</strong>l- 0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9 )<br />
✧ Schriftart (Schriftschnitt, Typeface): stilisch ähnlich geformte Zeichen<br />
✧ Schriftfamilie: stilitisch aufeinander abgestimmte Schriftarten<br />
➙ meist in mehreren Schriftgraden (Granitur)<br />
➙ Varianten zum Hervorheben (Auszeichnungsschriften)<br />
✛ kursiv (Italic, Oblique), Kapitälchen, Initialen<br />
✧ Font: technische Realisierung eines Schriftschnittes<br />
klaus simon<br />
<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
11<br />
schriften<br />
12<br />
schriften<br />
88<br />
Der Pariser Schriftgiesser Pierre Simon Fournier definierte<br />
1737 einen Druckpunkt als den 864-ten Teil eines englischen Fusses<br />
(304.8 mm), so dass galt:<br />
1pt = 0.35277mm<br />
Der bekannte Didot-Punkt p wurde 1785 von François Ambrois<br />
Didot und seinem Sohn Firmin festgelegt, indem man das englische<br />
durch das französisches Fuss (324.9 mm) ersetzte, was<br />
1p = 0.376mm<br />
bedingte.<br />
Die Festlegungen in Folie 11 entsprechen den aktuellen Empfehlungen<br />
<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verban<strong>des</strong> Druck. Faktisch haben diese Normen<br />
heute allerdings ihre Relevanz verloren, denn seit dem Siegeszug<br />
<strong>des</strong> Desktop Publishings wird ein Druckerpunkt durch den Industriestandard<br />
PostScript als<br />
1pt = 1<br />
inch = 0.35277mm<br />
72<br />
definiert, was mit Fourniers Festlegung übereinstimmt.<br />
Die tägliche Praxis ist jedoch von den sogenannten Schriftgraden<br />
dominiert. Es handelt sich dabei um diejenigen Punktgrössen in der<br />
eine Schrift wirklich vorhanden ist, d.h. im traditionellen Bleisatz<br />
als Metalllettern oder heute als Datensatz im Computer. Obwohl im<br />
Desktop Publishing beliebige Skalierungen einer Schrift realisierbar<br />
sind, beherrschen nach wie vor die althergebrachten Schriftgrade<br />
das Publizieren. Und auch nur diese werden normalerweise von<br />
Schrift<strong>des</strong>igner individuell entworfen, d.h. visuell abgestimmt.<br />
Als Konsultationsgrössen bezeichnet man die Schriftgrade 5, 6,<br />
7 und 8 pt. Sie werden für Fussnoten, Randnotizen, Lexika, Telefonbücher<br />
und in vergleichbaren Situationen verwendet. Die Lesegrössen<br />
9 – 12 pt sind die Standardgrössen <strong>des</strong> Publizierens. Eine<br />
Ausnahme bilden Kinderbücher. Für sie sind 12 pt eher die untere<br />
Grenze. Bei Schulanfängern können auch 20 pt eine angemessene<br />
Grösse sein. Schaugrössen nennt man Grade ≥ 14 pt. Mit ihnen<br />
werden Überschriften, Titel oder Plakate realisiert.
4.4 Schriftnotation<br />
Der deutsche Spachgebrauch von ≪Schrift ≫ ist recht allgemein und<br />
kann im Kontext der Typographie verschiedene Bedeutungen haben.<br />
Vorgängig wurden diese verschiedenen Interpretationen bereits<br />
teilweise benutzt, ohne dies jedoch explizit herauszustellen.<br />
Dies soll an dieser Stelle nachgeholt werden.<br />
Die erste Bedeutung war ≪Schrift ≫ als Zeichensystem zur visuellen<br />
Repäsentation gesprochener Sprache. 7 Bei Buchstabenschriften<br />
wird ≪Schrift ≫ auch häufig mit dem jeweiligen Alphabet gleichgesetzt,<br />
so etwa im Ausdruck ≪lateinische Schriften ≫. Eine Schriftart,<br />
fachspezifisch auch Schriftschnitt bzw. Typeface, ist ein Zeichensystem,<br />
<strong>des</strong>sen Zeichen stilistisch ähnlich 8 und untereinander konsistent<br />
gestaltet sind.<br />
Zu beachten ist, dass der Anwendungsbereich einer typographischen<br />
Schriftart heute weit über die ursprüngliche Visualisierung<br />
der Lautsprache hinausgehen kann. Man denke etwa an die mathematischen<br />
Zeichensätze. Im Allgemeinen enthalten Schriftschnitte<br />
wesentlich mehr Zeichen als Gross- (Versalien) und Kleinbuchstaben<br />
(Gemeine). Zunächst sei auf Ligaturen hingewiesen. Dabei handelt<br />
es sich um als Einzelzeichen ausgeformte Buchstabenkombinationen<br />
wie ≪fi≫, das ≪fi ≫ ersetzt. Der Sinn dieser Ersetzung ist<br />
eine verbesserte Satzqualität. 9 Die nächste Gruppe bilden die Satzzeichen<br />
wie der Punkt am Satzende oder die Anführungszeichen zur<br />
Kennzeichnung wörtlicher Rede. Da eine moderne Schriftart für den<br />
internationalen Markt entworfen wird, sind die Satzzeichen typischerweise<br />
in verschiedenen länderspezifischen Ausformungen vorhanden.<br />
Dazu gesellen sich Sonderzeichen aus Kommerz und Mathematik<br />
wie ≪%, &, $, =, +, - ≫ usw. Nicht zu vergessen sind Ziffern,<br />
wobei seit der Renaissance arabische Ziffern üblich sind.<br />
7 was im Englischen auch Script genannt wird<br />
8 im Sinne von Abschnitt 4.2<br />
9 im Bleisatz auch produktionstechnisch bedingt, was sich im Desktop Publishing<br />
aber überlebt hat<br />
89<br />
Zeichensatz ≪Barbedor ≫<br />
hex 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 A B C D E F<br />
”0x ` ´ ˆ ˜ ¨ ˝ ˚ ˇ ˘ ¯ ˙ ¸ ˛ ‚ ‹ ›<br />
”1x “ ” „ « » – — ı j c fi fl e f<br />
”2x ! " # $ % & ’ ( ) * + , - . /<br />
”3x 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 : ; < = > ?<br />
”4x @ A B C D E F G H I J K L M N O<br />
”5x P Q R S T U V W X Y Z [ \ ] ^ _<br />
”6x ‘ a b c d e f g h i j k l m n o<br />
”7x p q r s t u v w x y z { | } ~ -<br />
klaus simon<br />
Zeichensatz ≪Helvetica≫<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
hex 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 A B C D E F<br />
”0x ` ´ ˆ ˜ ¨ ˝ ˚ ˇ ˘ ¯ ˙ ¸ ˛ ‚ ‹ ›<br />
”1x “ ” „ « » – — ı ff fi fl ffi ffl<br />
”2x ! " # $ % & ’ ( ) * + , - . /<br />
”3x 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 : ; < = > ?<br />
”4x @ A B C D E F G H I J K L M N O<br />
”5x P Q R S T U V W X Y Z [ \ ] ^ _<br />
”6x ‘ a b c d e f g h i j k l m n o<br />
”7x p q r s t u v w x y z { | } ~ -<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
13<br />
schriften<br />
14<br />
schriften
Schriftfamilie Franklin Gothic<br />
klaus simon<br />
Schlagzeilengestaltung<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
15<br />
schriften<br />
16<br />
schriften<br />
90<br />
Oftmals meint eine ≪Schrift ≫, wie in Abschnitt 4.2, eine Schriftfamilie,<br />
also eine Menge von aufeinander bezogenen Einzelschriften.<br />
Sie liegt meist in einer festen Anzahl von Schriftgraden vor, die<br />
dann zusammen die Granitur der Familie bilden. Im Normalfall existiert<br />
eine Grundschrift, die durch mehrere Auszeichnungsschriften<br />
ergänzt wird. Auszeichnen steht dabei für das visiuelle Hervorheben<br />
bestimmter Textteile, analog zum Betonen in der Lautsprache.<br />
Die Typographie unterscheidet verschiedene Arten der Auszeichnung.<br />
Als ≪dezent ≫ gelten Kursivschnitte. Einfache durch Neigung<br />
aus einer aufrechten Grundschrift abgeleitete Kursivschnitte nennt<br />
man Oblique. Der Ausdruck Italic benutzt man für einen ≪echten ≫<br />
Kursivschnitt, <strong>des</strong>sen Charakter einer Schreibschrift angenähert ist<br />
und der üblicherweise exklusiv <strong>des</strong>ignt wurde.<br />
Kapitälchen (small caps) sind Versalien, die als Gemeine auf<br />
die Mittelhöhe gekürzt sind. Sie werden international gerne für<br />
Eigennamen verwendet. Darüber hinaus ist es bei Auszeichnungsschriften<br />
üblich die funktionalen Attribute der Grundschrift zu variieren.<br />
Speziell die Schriftdicke fett (bold) wird routinemässig zum<br />
Hervorheben eingesetzt, im Besonderen wenn keine Kapitälchen als<br />
eigener Schnitt ausgeführt sind. Die letzte hier angesprochene Auszeichnungsschrift<br />
sind die Initialen, vergrösserte Schmuckbuchstaben<br />
zur Einleitung eines Kapitels bzw. Abschnittes.<br />
Schliesslich kann eine ≪ Schrift ≫ auch als Font verstanden werden,<br />
was die konkrete Realisierung eines Schriftschnittes meint,<br />
materiell im Bleisatz oder als Datensatz im Computer.<br />
4.5 Klassifikation lateinischer Schriften<br />
Die Klassifikation der europäischen Schriften orientiert sich primär<br />
an der Existenz und Form der Serifen bzw. an der Strichführung,<br />
Duktus genannt. Vor allem werden variierende oder gleichmässige<br />
Strichstärken, Kontraste zwischen Grund- und Haarstrichen sowie<br />
die Symmetrieachsen bei Rundungen unterschieden. Im deutschsprachigen<br />
Raum sind insbesondere die DIN-Klassifikationen (DIN
16518, 1964,1998) verbreitet. Darüber hinaus sind aber auch andere<br />
Ordnungsvorschläge etabliert. 10<br />
Die von Gutenberg in seinen Bibeldrucken benutzte Schrift Textura<br />
zählt zu den gebrochenen Schriften. Dieser Schrifttyp war vor<br />
allem im mittelalterlichen Deutschland populär. Auch heute noch<br />
schmücken sie die Titelzeile mancher Tageszeitung. Die kantige,<br />
oftmals abgesetzte und unterbrochene Linienführung in den Rundungen<br />
ergibt sich aus den zu Grunde liegenden kalligraphischen<br />
Schreibschriften mit breiter Feder. Im engeren Sinne gruppiert man<br />
die gebrochen Schriften in<br />
• Gotisch,<br />
• Rundgotisch,<br />
• Schwabacher und<br />
• Fraktur.<br />
Das Gotische ist eng und hochstrebend, die Serifen rauten- oder<br />
würfelförmig. Beispiele sind die Schriften Wilhelm-Klingspor,<br />
Hupp-Gotisch oder Trump-Deutsch.<br />
Die nächste Untergruppe bildet das Rundgotisch, eine etwas ≪gerundete<br />
≫ Variante <strong>des</strong> Gotischen. Die würfelförmigen An- und Abstriche<br />
<strong>des</strong> Gotischen entfallen zu Gunsten einer besseren Lesbarkeit.<br />
Beispiele sind Wallau oder Weiss-Rundgotisch.<br />
Die Schwabacher Schriften stellen eine Art Italic-Variante <strong>des</strong> Gotischen<br />
dar. Sie sind breiter und offener als Gotisch, jedoch mit einem<br />
eher derben handschriftlichen Charakter. Bekannte Beispiele:<br />
Renata, Ehmcke oder Nürnberger Schwabacher.<br />
Die bekannteste gebrochene Schrift ist die Fraktur, die oftmals<br />
auch als entsprechender Gattungsbegriff benutzt wird. Sie orientiert<br />
sich stärker an der gotischen Schrift, die Strichführung ist<br />
jedoch feiner und besonders bei den Grossbuchstaben schwungvoll<br />
verspielt. Bekannte Beispiele sind Unger-Fraktur, Dürer-<br />
Fraktur oder Gilgenart.<br />
10 Ein empfehlswertes Buch zum Thema ist Sauthoff [8].<br />
91<br />
Klassifikation von Schriften<br />
✧ viele Vorschläge, z.B. DIN-Klassifizierung 16518 (1964)<br />
✧ zentrale Unterscheidungsmerkmale<br />
➙ Form und Existenz von Serifen<br />
➙ Strichführung (Duktus)<br />
➙ Strichstärkenkontraste zwischen Grund- und Haarstrichen<br />
➙ Symmetrieachse runder Buchstaben<br />
✧ gebrochene Schriften: Gotisch, Rundgotisch, Schwabacher, Fraktur<br />
✧ runde Schriften (Antiqua)<br />
➙ klassische Antiqua (Renaissance-, Barock-Antiqua)<br />
➙ klassizistische Antiqua<br />
➙ serifenlose Antiqua (lineare Schriften, Grotesk)<br />
➙ serifenbetonte Antiqua<br />
✧ Schreibschriften (handschriftliche Antiqua)<br />
Frakturschriften<br />
klaus simon<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
17<br />
schriften<br />
18<br />
schriften
Renaissance Antiqua<br />
Barock Antiqua<br />
klaus simon<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
19<br />
schriften<br />
20<br />
schriften<br />
92<br />
Die Antagonisten der gebrochenen sind die runden Druckschriften.<br />
Dazu zählen grundsätzlich alle Antiqua-Varianten. Die historisch<br />
erste Untergruppe bildet die klassische (römische) Antiqua,<br />
die aus der handschriftlichen humanistischen Minuskel <strong>des</strong> 15.<br />
Jahrhunderts, mit schräg geschnittenen Breitfedern im Wechselzug<br />
geschrieben, abgeleitet wurde.<br />
Die venezianische Renaissance Antiqua 11 entstand um 1470 als<br />
der Buchdruck Venedig erreichte. Die Strichstärken sind fein, die<br />
Unterschiede klein. Die Übergänge zu den Serifen sind deutlich gerundet.<br />
Die waagerechten Serifen können bei Versalien eine leichte<br />
Durchbiegung nach aussen aufweisen. An den Gemeinen haben<br />
die Serifen eine Neigung nach rechts-oben, so dass eine Dreiecksform<br />
entsteht. Die gleiche Neigung besitzt der Querstrich <strong>des</strong> e. Die<br />
Symmetrieachse bei runden Buchstaben wie dem O ist nach links<br />
geneigt. Bekannte Beispiele sind Centaur, Trajanus oder Golden<br />
Type.<br />
Die französische Renaissance Antiqua unterscheidet sich von der<br />
venezianischen nur minimal. Der Querstrich im e wird gerade. Die<br />
Strichstärken variieren ein wenig mehr. Bekannte Beispiele sind<br />
Bembo, Garamond oder Palatino.<br />
Die letzte Untergruppe der klassischen Antiqua ist durch die<br />
Barock-Antiqua gegeben. Sie orientiert sich nicht mehr an Handschriften,<br />
sondern an der feinen Strichführung, welche für Texte<br />
im Kupferstich typisch waren. Die Unterschiede in der Strichführung<br />
werden deutlicher, die Serifen gerade und ihre Rundungen<br />
kleiner. Die Symmetrieachse der Rundbuchstaben wird mehr oder<br />
weniger senkrecht. Es bleibt jedoch der schräge obere Serifenansatz<br />
der Kleinbuchstaben. Zu den Barock-Antiqua zählen einige auf gute<br />
Lesbarbeit hin entworfene Schriftarten, die sich durch eine vergrösserte<br />
Mittellänge relativ zur Unter- bzw. Oberlänge auszeichnen.<br />
Der vielleicht bekannteste Vertreter dieses Schrifttyps ist die<br />
Times, die 1961 von Stanley Morrison im Auftrag der London Times<br />
entwickelt wurde. Weitere Beispiele: Baskerville, Bookman<br />
oder Imprimatur.<br />
11 früher auch Mediävalschriften genannt
Den Abschluss dieser Entwicklung stellt die klassizistische Antiqua<br />
dar. Obwohl sie als eine Art der Steigerung der Barock-Antiqua<br />
zu verstehen ist, rechnet man sie nicht zur klassischen Antiqua. Die<br />
Serifen sind lang, fein und waagerecht angesetzt. Die Ausrundungen<br />
an den Serifen sind vollständig oder nahezu vollständig verschwunden.<br />
Die Symmetrieachse bei Rundungen steht nun völlig<br />
senkrecht, die entsprechenden Buchstaben sind eher ellipsoid als<br />
kreisförmig. Gemäss einer fortschreitenden Orientierung am Kupferstich<br />
wird Präzision, Klarheit und sachliche Strenge angestrebt.<br />
Bekannte Beispiele sind Computer Modern Roman, New Century<br />
Schoolbook, Bondoni oder Walbaum.<br />
In der Industrialisierung <strong>des</strong> frühen 19. Jahrhunderts begann<br />
dann in England das Experimentieren mit neuen Schriftformen.<br />
Diese neuen Schriften waren zunächst für Zeitungsschlagzeilen und<br />
Plakate konzipiert. Sie wurden z.B. aus der klassischen Antiqua<br />
durch Variation der Schriftattribute abgeleitet, etwa indem man<br />
Grund- und Haarstrichstärke gleich wählte und auch die Serifenstärke<br />
ähnlich gross dimensionierte. Solche serifenbetonten Schriften<br />
(slab serif) wirkten bewusst repräsentativ und monumental. Typische<br />
Vetreter sind Egyptienne, Rockwell, Clarendon oder Boton.<br />
Zur gleichen Zeit, am gleichen Ort und mit der gleichen Motivation<br />
wurden auch die serifenlosen Schriften (sans serif) entwickelt. Da<br />
dieser neue Schrifttyp von vielen Zeitgenossen als grotesque empfunden<br />
wurde, erhielt er auch diesen Namen. Ausser Grotesk (gothic)<br />
ist heute aber auch die Bezeichnung lineare Schrift etabliert.<br />
Bei Grotesk-Schriften wird eine visuell gleichmässige Strichstärke<br />
angestrebt. Interessant ist, dass wegen allerlei optischen Täuschungen,<br />
denen die menschliche Wahrnehmung permanent unterliegt,<br />
die effektive geometrische Strichführung nicht ganz gleichmässig,<br />
sprich linear, ist. Bekannte Beispiele: Helvetica, Futura, Gill<br />
oder Univers.<br />
Als letzte grössere Gruppe unterscheidet man Schreibschriften,<br />
die Druckschriftversionen von lateinischen Schul- bzw. Kanzleischriften.<br />
Typisch ist hier die Simulation <strong>des</strong> handschriftlichen Cha-<br />
93<br />
Klassizistische Antiqua<br />
klaus simon<br />
Serifenbetonte linear Antiqua<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
21<br />
schriften<br />
22<br />
schriften
Serifenlose linear Antiqua<br />
Schreibschriften<br />
klaus simon<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
23<br />
schriften<br />
24<br />
schriften<br />
94<br />
rakters, der im Kontext von Visitenkarten oder Heiratsanzeigen<br />
häufig nachgefragt wird. Bekannte Vertreter sind Zapf Chancery,<br />
12 Künstler-Script oder Englische Schreibschrift.<br />
Eine Untergruppe der Schreibschriften stellt die handschriftlichen<br />
Antiqua dar. Hierbei handelt es sich um handschriftlich adaptierte<br />
Druckschriften. Beispiele sind etwa Post-Antiqua, Polka<br />
oder Hyperion.<br />
Schliesslich existiert ein nicht trivialer Rest, der nicht in das<br />
vorgestellte Ordnungsschema passt. Allgemein spricht man in einem<br />
solchen Fall von Varianten. Hier sind insbesondere dekorative<br />
Schriften wie Arnold Böcklin, Eckmann oder Duc de Berry sowie<br />
provozierende Schriften im Kontext von Überschriften oder Plakaten<br />
wie Beowolf, Peignot oder Broadway einzuordnen.<br />
4.6 Seitenformat<br />
Die äussere Erscheinung einer Publikation wird durch die Seitenverhältnisse<br />
<strong>des</strong> Papierformats 13 bzw. <strong>des</strong> bedruckten Flächenanteils<br />
bestimmt. Da sich die Typographie aus dem abendländischen<br />
Buchdruck entwickelt hat, handelt es sich im Normalfall bei beiden<br />
Formaten um Rechtecke. 14 Die absolute Grösse <strong>des</strong> Rechtecks,<br />
d.h. seine Fläche, wird weitgehend durch den beabsichtigten Verwendungszweck<br />
15 bzw. durch den Druckprozess vorgegeben. Die<br />
weitaus grössere Aufmerksamkeit widmet die Typographie den Seitenverhältnissen,<br />
hier beginnt die Kunst der Gestaltung.<br />
Durch das Vermessen vieler gelungener Beispiele in Kunst, Architektur<br />
oder Literatur wurde der sogenannte Goldene Schnitt<br />
1<br />
ϕ<br />
= 0.61803...<br />
12 Chancery = Kanzlei<br />
13 wobei hier ohne Abstriche auch an eine Webpage gedacht werden kann<br />
14 Bei modernen Werbedrucksachen sind aber auch unkonventionelle Abmessungen<br />
nicht ungewöhnlich.<br />
15 z.B. durch die Handhabbarkeit beim Lesen
mit<br />
ϕ = 1 + 5<br />
2<br />
= 1.61803...<br />
als allgemein bevorzugtes Verhältnis identifiziert. Manche Gestalter<br />
sehen <strong>des</strong>halb im Goldenen Schnitt ein Universalgesetz der Ästhetik.<br />
Aus der Sicht der Typographie erscheint der Goldene Schnitt<br />
als ein Ideal, an dem man sich durchaus orientieren kann aber<br />
nicht unbedingt muss. Seitenverhältnisse in der Nähe <strong>des</strong> Ideals,<br />
z.B. 5/8 = 0.625 oder 1 / 2 = 0.7071 wirken keinesfalls unharmonisch<br />
und haben durchaus ihre Anwendungen sowohl in der traditionellen<br />
wie auch in modernen Layout-Gestaltung.<br />
Als nächstes stellt sich die Frage: Hoch- oder Querformat? Die<br />
klassische Typographie war auf den Buchdruck und damit auf das<br />
Hochformat ausgerichtet. Im Kontext von Satzspiegeln werden wir<br />
im weiteren Verlauf dieses Abschnitts genauer darauf eingehen.<br />
Das Querformat mag bei einem Buch als suboptimal bezüglich<br />
<strong>des</strong> Leseprozesses empfunden werden. Andererseits hat sich das<br />
Querformat als Präsentationsform im Kontext von Overheadfolien<br />
bzw. PC-Monitoren durchgesetzt. 16 Für nachgeordnete Publikationen<br />
wie Handouts oder sonstige Ausarbeitungen ist das Querformat<br />
dann die natürliche Lösung. In Folge der zunehmenden Bedeutung<br />
der Präsentationstechniken wird man wohl auch in der Typograhie<br />
dem Querformat eine grössere Aufmerksamkeit entgegen bringen<br />
müssen.<br />
Die traditionelle Papierherstellung benutzte beim Papierschöpfen<br />
17 Rahmen im Verhältnis 3/4, was durch Halbierung der Langseite<br />
zu 2/3 führte. Die nächste Halbierung führte zurück zum Verhältnis<br />
3/4. Die Fläche <strong>des</strong> Schöpfrahmens war nicht festgelegt<br />
und richtete sich nach der Handhabbarkeit während eines langen<br />
Arbeitstages. Diese handwerklichen Verhältnisse mit einer relativ<br />
freien Wahl <strong>des</strong> Formats haben sich im professionellen Akzidenzdruck<br />
18 zumin<strong>des</strong>t teilweise erhalten.<br />
16 Durch die benötigten grossen Schriftgrade ≥ 24 pt bietet das Hochformat<br />
keine ausreichenden Zeilenlängen.<br />
17 siehe Abschnitt 2.2.1, Seite 9<br />
18 im Gegensatz zum Oece-Bereich, der weitgehend standardisiert ist<br />
95<br />
Dekorative Schriften<br />
Varianten<br />
klaus simon<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
25<br />
schriften<br />
26<br />
schriften
Seitenverhältnisse<br />
Seitenaufbau<br />
klaus simon<br />
Goldener Schnitt<br />
Seitenverhältnis 5:8<br />
Seitenverhältnis 1:√2<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
✧ Seitenverhältnis: häufig ≪goldener Schnitt≫ (Quer- o. Hochformat)<br />
➙ im Druck sind aber durch Beschnitt freie Seitenformate möglich<br />
✧ Standardformate<br />
➙ ISO-DIN-Formate weltweit akzeptiert<br />
✛ A0 hat Fläche 1 m2 , Fläche Ai +1 = 1<br />
· Fläche Ai<br />
2<br />
✛ Seitenverhältnis 1/ 2 = 0.707<br />
➙ länderspezifische traditionelle Formate (z.B. US letter, 8.5×11 inch)<br />
✧ Seitenaufteilung<br />
➙ Gestaltungsraster: Anordnungsschema für Text und Bild<br />
➙ Satzspiegel: traditionelle Gestaltungsraster<br />
✛ Einteilung nach Konstruktionsregeln<br />
➙ technische Satzspiegel: produktionstechnische Vorgaben<br />
✛ Zeitungsdruck: maximal bedruckbare Fläche<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
27<br />
schriften<br />
28<br />
schriften<br />
96<br />
Die Möglichkeit dazu eröffnen die vielfältigen Weiterverarbeitungstechniken<br />
der Druckindustrie, d.h. wenn ein gewünschtes Format<br />
nicht vorhanden ist, kann es durch Beschneidung <strong>des</strong> Druckbogens<br />
erzeugt werden. Ein Buchautor hat in diesem Fall lediglich an<br />
jeder Aussenkante seines Seitenentwurfs eine Toleranz von 3 mm, 19<br />
den Beschnitt, vorzusehen. Restriktionen ergeben sich hier weniger<br />
durch die Reproduktionstechnik als durch organisatorische Vorgaben<br />
seitens <strong>des</strong> Verlages.<br />
Dem Geist der Industrialisierung entsprechend sind die heute<br />
hauptsächlich verwendeten Papierformate standardisiert. Das Paradigma<br />
≪Standardisierung ≫ ist für die effiziente Organisation von<br />
anonymen Massenmärkten unabdingbar. So muss z.B. in der Bürokommunikation<br />
das Papierformat nicht nur in den Laserdrucker<br />
sondern auch in den Aktenordner passen, welcher seinerseits auf<br />
den Aktenschrank abgestimmt sein sollte. Ferner sollte das Papierformat<br />
bei der Post keine Probleme verursachen, d.h. es sollte zu<br />
einem Standardbrief faltbar sein. Diesem durchgehenden gesellschaftlichen<br />
Bedarf an Standardisierung kann sich auch die Druckindustrie<br />
im Allgemeinen nicht entziehen, schliesslich wäre es nicht<br />
ungewöhnlich einen Werbeprospekt in einem Aktenordner aufzubewahren.<br />
Der international wichtigste Papierstandard ist das deutsche<br />
DIN-Format (DIN 476). Es wurde als DIN EN ISO 16 in nahezu alle<br />
Länder übernommen. Zu den wenigen länderspezifischen Papierformaten,<br />
die bis anhin überlebt haben, zählt die Grösse 8.5 × 11 inch<br />
(US Letter), das in den USA und in Kanada hauptsächlich benutzte<br />
Briefformat.<br />
Das DIN-System geht auf eine Idee <strong>des</strong> Göttinger Physikprofessors<br />
Georg Christoph Lichtenberg aus dem Jahre 1796 zurück.<br />
Er schlug ein Rechteckformat vor, das bei Halbierung der Langseite<br />
das Seitenverhältnis unverändert lässt, was mathematisch bedeutet,<br />
dass das Seitenverhältnis den Wert<br />
19 Ocsetdruck<br />
1<br />
2 ≈ 0.7071...
haben muss. Lichtenbergs Vorschlag führte allerdings erst 1922 zu<br />
einer entsprechenden Normung. Die DIN-Formate sind in die Gruppen<br />
A, B und C eingeteilt. In jeder Gruppe sind die Ausgangsgrössen<br />
durch den Index 0 gekennzeichnet. Sie sind definiert als:<br />
A0 :<br />
1<br />
4 2 × 4 2m 2 = 841 × 1188mm 2<br />
B0 : 1 × 2m 2 = 1000 × 1414mm 2<br />
C0 :<br />
1<br />
8 2 × 8 8m 2 = 917 × 1297mm 2<br />
Ausgehend von A0, B0 und C0 werden die Formate Ai, Bi bzw. Ci,<br />
i = 1,...,7, durchgesetzte Halbierung der Langseite erzeugt. Besondere<br />
Bedeutung haben DIN A4 als Briefbogenformat, DIN A6 als<br />
Postkartenformat und DIN A2 als Posterformat erlangt.<br />
4.7 Seitenaufbau<br />
Zur Gestaltung der Papierfläche überzieht man diese mit einem<br />
virtuellen Gitter. Innerhalb <strong>des</strong> Gitters definiert man typischerweise<br />
rechteckige Zellen zur Aufnahme von Text, Bildern, Farbflächen<br />
und sonstigen graphischen Elementen. Ein solches visuelles Gestaltungskonzept<br />
für eine Layoutseite nennt man ein Gestaltungsraster.<br />
Der Entwurf und die Umsetzung von Gestaltungsrastern ist<br />
die zentrale Aufgabe von Designern, weshalb umgangssprachlich<br />
wohl auch häufig von einem Design anstatt einem Gestaltungsraster<br />
gesprochen wird. Auf die vielfältigen Aspekte <strong>des</strong> Entwurfs von<br />
Gestaltungsraster, z.B. im Kontext von Werbung, Zeitschriften, Zeitungen<br />
usw. können wir leider in dieser Vorlesung nicht eingehen.<br />
Das wissenschaftliche Publizieren wird jedoch von einem speziellen<br />
Gestaltungsraster dominiert, dem aus dem traditionellen Buchdruck<br />
her bekannten Satzspiegel, und dieser soll im Folgenden genauer<br />
vorgestellt werden.<br />
Bei mehrseitigen Druckerzeugnissen bezeichnet man die Fläche,<br />
die von fortlaufenden Text- bzw. Bildmaterial belegt wird, als Satz-<br />
97<br />
DIN Formate<br />
Name Format Name Format Name Format<br />
DIN A0 1189 × 841 mm DIN B0 1414 × 1000 mm DIN C0 1297 × 917 mm<br />
DIN A1 841 × 594 mm DIN B1 1000 × 707 mm DIN C1 917 × 648 mm<br />
DIN A2 594 × 420 mm DIN B2 707 × 500 mm DIN C2 648 × 458 mm<br />
DIN A3 420 × 297 mm DIN B3 500 × 353 mm DIN C3 458 × 324 mm<br />
DIN A4 297 × 210 mm DIN B4 353 × 250 mm DIN C4 324 × 229 mm<br />
DIN A5 210 × 148 mm DIN B5 250 × 176 mm DIN C5 229 × 162 mm<br />
DIN A6 148 × 105 mm DIN B6 176 × 125 mm DIN C6 162 × 115 mm<br />
DIN A7 105 × 74 mm DIN B7 125 × 78 mm DIN C7 115 × 81 mm<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
Seitenränder beim konventionellen Satzspiegel<br />
linker Aussenrand<br />
Kopfsteg Kopfsteg<br />
Fusssteg<br />
Bundsteg<br />
Bundsteg<br />
klaus simon<br />
Fusssteg<br />
rechter Aussenrand<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
29<br />
schriften<br />
30<br />
schriften
Villardsche Figur und Neunteilung<br />
klaus simon<br />
Beispiel Gestaltungsraster<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
31<br />
schriften<br />
32<br />
schriften<br />
98<br />
spiegel. Zu diesem rechnet man insbesondere Fussnoten und lebendige<br />
Kolumnentitel, d.h. Seitenüberschriften, die z.B. das aktuelle<br />
Kapitel bezeichnen. Dagegen werden die Seitenzahl (Pagnia) und<br />
Randnotizen traditionell nicht mit einbezogen. Da der Begriff Satzspiegel<br />
aus dem konventionellen Buchdruck stammt, wird er als<br />
(graues 20 ) Rechteck verstanden.<br />
Zur Spezifikation eines Satzspiegels ist seine Länge und Breite<br />
anzugeben und seine Position innerhalb der Druckseite. Letzteres<br />
geschieht durch das Festlegen der nicht bedruckten Ränder, den Stegen.<br />
Von einer Doppelseite eines Buches ausgehend unterscheidet<br />
man Kopf-, Aussen-, Bund- und Fusssteg. Zu beachten ist, dass der<br />
Bundsteg in der Mitte der Doppelseite die zweifache Freifläche ergibt.<br />
Ähnlich wie beim Seitenverhältnis existiert in der traditionellen<br />
Makrotypographie eine Jahrhunderte alte Diskussion über die<br />
harmonischste Lösung. Jan Tschichold [10] behauptet die Randverhältnisse<br />
von 2 : 3 : 4 : 6 (Bund- : Kopf- : Aussen- : Fusssteg) bei<br />
hochwertigen Schriften bis ins tiefe Mittelalter nachweisen zu können,<br />
wobei Schrift- und Papierfläche den Proportionen 2 : 3 genügen.<br />
Auch Gutenberg soll diesen Satzspiegel verwendet haben.<br />
Ein solcher Satzspiegel lässt sich auf verschiedene Arten konstruieren.<br />
Die geometrisch vielleicht einfachste ist die Neunteilung, siehe<br />
Folie 31. Dabei wird sowohl die Länge als auch die Breite der<br />
Seite in 9 gleiche Streifen eingeteilt. Der Bundsteg ergibt sich nun<br />
als das innere Neuntel der Papierbreite, zwei Neuntel bilden den<br />
äusseren Rand. Ein Neuntel der Papierhöhe ergeben den Kopf- bzw.<br />
2 Neuntel den Fusssteg. Schriftbild und Papierformat sind proportional.<br />
Ein Vorteil der Neunteilung ist, dass sie nicht nur auf das<br />
klassische Seitenverhältnis von 2 : 3 anwendbar ist, sondern eigentlich<br />
für je<strong>des</strong> Rechteck geeignet ist.<br />
Was als ästhetisch wahrgenommen wird, ist zum einen sicher abhängig<br />
von den Sehgewohnheiten und unterliegt zum zweiten sicher<br />
auch der Mode. Im Gegensatz zu den klassischen Idealen besteht<br />
heute die Tendenz die Papierseite stärker zu füllen, d.h. mit weni-<br />
20 im Gegensatz zum unbedruckten Rand, der weiss bleibt
ger Rand auszukommen. Andererseits ist das klassische Verständnis<br />
<strong>des</strong> Satzspiegels sicher auch heute noch weitverbreitet, speziell<br />
in der wissenschaftlichen Literatur. Explizit wird man als Autor mit<br />
Satzspiegel konfrontiert, wenn sie als Produktionsbedingung auftreten,<br />
als sogenannte technische Satzspiegel. Es ist klar, dass ein<br />
Journalist die Spalteneinteilung einer Zeitung oder ein Autor den<br />
Satzspiegel einer Buchreihe zu berücksichtigen hat.<br />
4.8 Der Leseprozess<br />
Überraschenderweise erfolgt der Leseprozess 21 nicht kontinuierlich,<br />
sondern in Sprüngen, Sakkaden genannt. Sie dauern ca. 20 – 30<br />
Millisekunden. Das Auge bewegt dabei die Leseposition um etwa 7 –<br />
9 Zeichen, überwiegend nach rechts, 22 in etwa 10 % der Fälle aber<br />
auch nach links. 23 Zwischen den Sakkaden ist die Leseposition weitgehend<br />
fixiert. Eine solche Fixierung hat eine Länge von 0.1 bis 0.5<br />
Sekunden, im Mittel vielleicht 0.25 Sekunden.<br />
Innerhalb einer Fixierung wird nur etwa 0.05 s für die eigentliche<br />
Worterkennung benötigt, siehe Rayner [6], 1998. Der Rest ist wohl<br />
grösstenteils der Positionierung <strong>des</strong> nächsten Sprungs zuzurechnen,<br />
wie sich aus Experimenten von Rubin und Turano [3] 1992 ablesen<br />
lässt: Präsentiert ein Computer die Wörter eines Textes sequentiell<br />
an der immer gleichen Position, eye movement free reading, dann<br />
kann der Leseprozess 24 um den Faktor 3 – 4 gesteigert werden.<br />
Im Jahre 1886 hat James McKeen Cattel [4] den Word superiority<br />
effect beschrieben, der seither vielfach bestätigt wurde (Reicher<br />
[2] 1969, Wheeler [1] 1970, Johnston and McClelland [5] 1974).<br />
Er besagt, dass der Leseprozess <strong>des</strong> Menschen als Worterkennung<br />
organisiert ist und nicht als ein Zeichenerkennungsprozess. Zum<br />
21 wir folgen im Wesentlichen Sekuler and Blake [9]<br />
22 bei lateinischen Schriften<br />
23 zur Korrektur oder am Zeilenende<br />
24 nach einer gewissen Gewöhnungsphase<br />
99<br />
sprunghaftes Lesen<br />
Leseprozess<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
✧ erfolgt nicht kontinuierlich, sondern in ≪Sprüngen≫ und ≪Fixierungen≫<br />
✧ Sprünge (Sakkaden): Dauer etwa 20 – 35 ms, Weite 7 – 9 Zeichen<br />
➙ 90 % nach rechts, 10 % links (Korrektur, Zeilenende)<br />
✧ Fixierung: ca. 0.1 – 0.5 Sekunden, im Mittel 0.25 s<br />
✧ nur etwa 0.05 s für Zeicheninterpretation<br />
✧ Rest hauptsächlich für Planung <strong>des</strong> nächsten Sprungs<br />
➙ ≪eye movement free reading ≫ ist 3 – 4 mal schneller<br />
✧ Word superiority effect: Wort statt Zeichenerkennung<br />
➙ ≪JOIN ? = COIN ≫ einfacher als ≪J ? = C ≫<br />
➙ Lesen nicht bottom up, sondern Verifikation d. wahrsch. Fortsetzung<br />
✧ unscharfer Randbereich (ca. 4 Wörter) zur Unterstützung<br />
➙ Positionierung <strong>des</strong> nächsten Sprungziels<br />
✧ Worttrennung nicht signifikant (ausser bei sinnlosen Zeichenfolgen)<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
33<br />
schriften<br />
34<br />
schriften
Textsatz<br />
✧ wechselseitige Abhängigkeit zwischen Zeilenabstand,<br />
Wortabstand, Zeilenlänge, Satzart, Schriftart, Laufweite, . . .<br />
➙ zusätzlicher Einfluss: Papierart, Rasterweite, Druckart, . . .<br />
✧ Satzarten: Blocksatz, Flattersatz (Rausatz), zentrierter Satz<br />
➙ Spaltenbreite Mehrspaltensatz: ≥ 4 mm Block-, ≥ 3 mm Flattersatz<br />
✧ ideale Zeilenlänge: 60 – 70 Zeichen (Leerzeichen mitgezählt)<br />
➙ im Blocksatz minimal 45 – 50, maximal 70 – 80 Zeichen<br />
✧ Zeilenabstand: Distanz von Schriftlinie zu Schriftlinie<br />
➙ normal: 120 % Schrifthöhe, vielfach besser 125 % oder 130 %<br />
➙ kompresser Satz: Zeilenabstand = Schrifthöhe<br />
➙ sonst: durchschossener Satz<br />
✧ normaler Zwischenwortabstand: 1 1<br />
bis der Schrifthöhe<br />
4 3<br />
➙ kleiner bei grösseren Schriftgrössen<br />
klaus simon<br />
kompresser Blocksatz<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
Type faces, like people’s faces, have distinctive features indicating<br />
aspects of character. Franz jagte in einem total verwahrlosten<br />
Wagen quer durch Bayern. The quick brown fox jumps<br />
over the lazy dog. Bei jedem klugen Wort von Sokrates rief<br />
Xanthippe zynisch: Quatsch! Pack my box with five dozen liquor<br />
jugs. Er heiratete sie, weil er sie liebte. Sie liebte ihn, weil<br />
er sie heiratete. Die Hölle, das sind die anderen. Humor ist,<br />
wenn man trotzdem lacht. Man versehe mich mit Luxus. Auf<br />
alles Notwendige kann ich verzichten. Armselig der Schüler,<br />
der seinen Meister nicht übertrifft. Es gibt das Vollkommene<br />
und es gibt das Unvollkommene. Und dies ist vollkommen.<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
35<br />
schriften<br />
36<br />
schriften<br />
100<br />
Beisiel erfolgt die Unterscheidung<br />
wesentlich schneller als die von:<br />
≪JOIN ≫ von ≪COIN ≫<br />
≪J≫ und ≪C≫<br />
Allgemein kann vermutet werden, dass der Mensch die wahrscheinlichste<br />
semantische Fortsetzung verifiziert und nicht bottom up aus<br />
Zeichen Wörter zusammensetzt und aus diesen Sätzen.<br />
Der Randbereich <strong>des</strong> aktuell visierten Lesebereiches von 7 – 9 Zeichen<br />
ist für den Leseprozess nicht unbedingt nötig, siehe Rayner<br />
and Pollatsck [7] 1987, was nicht wirklich verwundert, da er nicht<br />
scharf wahrgenommen wird. Allerdings steigert ein vorhandener<br />
Randbereich von etwa 4 Wörtern die Lesegeschwindigkeit deutlich.<br />
Offenbar hilft er bei der Positionierung <strong>des</strong> folgenden Sprunges.<br />
Schliesslich sei darauf hingewiesen, dass Wortzwischenräume<br />
beim Lesen keine signifikante Rolle spielen, was erklärt, warum<br />
Sprachen wie Thai oder Japanisch gänzlich darauf verzichten. Wichtig<br />
werden sie erst bei der Erkennung von sinnlosen Zeichenfolgen.<br />
4.9 Textsatz<br />
Das Ziel eines gut gesetzten Textes ist seine möglichst einfache<br />
Lesbarkeit. Obwohl die hier angesprochenen typographischen Standards<br />
für Zeilenlänge, Zeilenabständen oder Wortabständen eher<br />
der empirischen Tradition <strong>des</strong> Buchdrucks entspringen, entsprechen<br />
sie doch weitgehend den psychovisuellen Erkenntnissen <strong>des</strong><br />
vorangegangenen Kapitels. Generell muss jedoch darauf hingewiesen<br />
werden, dass die involvierten Parameter nicht nur wechselseitig<br />
voneinander sondern auch von zusätzlichen externen Faktoren wie<br />
dem Charakter der Schrift, der Papierart, dem Druckprozess usw.<br />
abhängig sind. Die im Folgenden vorgestellte Richtwerte müssen<br />
<strong>des</strong>halb im konkreten Einzelfall visuell verifiziert und wenn nötig<br />
auch angepasst werden.
Die Anordnung der Zeilen kann auf verschiedene Arten erfolgen.<br />
Der klassische Blocksatz, in dem alle Zeilen gleich lang sind, war zur<br />
Zeit <strong>des</strong> Bleisatzes eine technische Notwendigkeit. Auch heute ist er<br />
in vielen Medienprodukten die Norm. Ausgehend von der Bauhausbewegung<br />
der 20er Jahre <strong>des</strong> <strong>letzten</strong> Jahrhunderts 25 konnte sich<br />
der Flattersatz als Alternative etablieren, speziell in der Werbung.<br />
Beim linksbündigen Flattersatz beginnen die Zeilen an der gleichen<br />
horizontalen Position, der rechte Zeilenrand kann dagegen willkürlich<br />
in einer frei definierbaren Flatterzone enden. Ausser dem linksbündigen<br />
unterscheidet man auch den selteneren rechtsbündigen<br />
Flattersatz, die symmetrische Variante. Von Rausatz spricht man,<br />
wenn die Flatterzone klein ist. Im Kontext von Gedichten oder der<br />
Werbung kennt man auch<br />
• den Mittelachsensatz, symmetrisch zentriert, mit freier Zeilenlänge,<br />
• den freien Zeilenfall, ohne Einschränkungen, oder<br />
• den Figurensatz, bei dem die Textzeilen eine geometrische Form<br />
nachbilden.<br />
Wird der Textbereich in mehrere Spalten unterteilt, dann sollten<br />
im Blocksatz die Spalten min<strong>des</strong>tens 4 mm auseinander liegen. Im<br />
Flattersatz genügen minimal 3 mm, da dort durch den zusätzlichen<br />
freien Raum das Zeilenende deutlicher markiert ist.<br />
Die ideale Zeilenlänge beträgt zwischen 60 – 70 Zeilen, wobei<br />
Leerzeichen mitgerechnet werden. Werden die Zeilen länger als 70 –<br />
80 Zeichen, dann wird es beim Zeilenwechsel schwierig den neuen<br />
Zeilenanfang zu finden. Damit sich ein Blocksatz sinnvoll realisieren<br />
lässt, benötigt man minimal etwa 45 – 50 Zeichen pro Zeile. Für<br />
schmale Spalten ist er also nicht zu empfehlen.<br />
Unter dem Zeilenabstand versteht man die Distanz von Schriftlinie<br />
zu Schriftlinie. Zusätzlich unterscheidet man den Durchschuss<br />
und den optischen Zeilenabstand. Im Bleisatz bezeichnete<br />
der Durchschuss den zusätzlichen Raum zwischen Schriftzeilen,<br />
25 die in viele Bereiche <strong>des</strong> Design ausstrahlte<br />
101<br />
rechtsbündiger Flattersatz (120 % Schrifthöhe)<br />
Type faces, like people’s faces, have distinctive features<br />
indicating aspects of character. Franz jagte in einem total<br />
verwahrlosten Wagen quer durch Bayern. The quick brown fox<br />
jumps over the lazy dog. Bei jedem klugen Wort von Sokrates<br />
rief Xanthippe zynisch: Quatsch! Pack my box with five<br />
dozen liquor jugs. Er heiratete sie, weil er sie liebte. Sie liebte<br />
ihn, weil er sie heiratete. Die Hölle, das sind die anderen.<br />
Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Man versehe mich mit<br />
Luxus. Auf alles Notwendige kann ich verzichten. Armselig<br />
der Schüler, der seinen Meister nicht übertrifft. Es gibt das<br />
Vollkommene und es gibt das Unvollkommene. Und dies ist<br />
vollkommen.<br />
klaus simon<br />
linksbündiger Rausatz (130 % Schrifthöhe)<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
Type faces, like people’s faces, have distinctive features indicating<br />
aspects of character. Franz jagte in einem total verwahrlosten<br />
Wagen quer durch Bayern. The quick brown fox<br />
jumps over the lazy dog. Bei jedem klugen Wort von Sokrates<br />
rief Xanthippe zynisch: Quatsch! Pack my box with five<br />
dozen liquor jugs. Er heiratete sie, weil er sie liebte. Sie liebte<br />
ihn, weil er sie heiratete. Die Hölle, das sind die anderen. Humor<br />
ist, wenn man trotzdem lacht. Man versehe mich mit Luxus.<br />
Auf alles Notwendige kann ich verzichten. Armselig der<br />
Schüler, der seinen Meister nicht übertrifft. Es gibt das Vollkommene<br />
und es gibt das Unvollkommene. Und dies ist vollkommen.<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
37<br />
schriften<br />
38<br />
schriften
Schriftauswahl<br />
✧ technische Rahmenbedingungen, z.B. Verfügbarkeit<br />
➙ gute Fernwirkung bei Grotesk (Hinweisschilder, Präsentationen)<br />
➙ Antiqua besser bei längerem Lesen<br />
➙ Schriftmischungen: verträgliche x- bzw. H-Höhen, Duktus, . . .<br />
✧ emotionale Wirkung (Assoziationsprofil)<br />
➙ Übereinstimmung Schriftcharakter-Kommunikationsinhalt<br />
✧ Kommunikationsziele<br />
➙ Zielgruppe: historische Konventionen, Modeaspekt<br />
➙ Strategie:<br />
✛ Erwartungen erfüllen oder enttäuschen<br />
✛ Orginalität oder “me too”<br />
✛ Schrift zur Identifizierung (corporate identity)<br />
klaus simon<br />
Ermittlung von Schriftprofilen<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
39<br />
schriften<br />
40<br />
schriften<br />
102<br />
der durch Blindmaterial, sogenannte Regletten (Metallstreifen) erzeugt<br />
wurde. Heute versteht man darunter die Differenz aus Zeilenabstand<br />
und Schrifthöhe. Der optische Zeilenabstand ist nun der<br />
Durchschuss + Oberlänge + Unterlänge, d.h. die Differenz zwischen<br />
der Unterkante eines ≪b≫ zur Oberkante eines darunterliegenden<br />
≪g≫’s. Der optische Zeilenabstand spielt dann eine Rolle, wenn die<br />
verwendete Schrift über stark abweichende Relationen für Ober,-<br />
Mittel-, oder Unterlängen verfügt, was z.B. bei Schmuckschriften<br />
nicht ungewöhnlich ist. Als Grundregel sollte der optische Zeilenabstand<br />
das 1.5-fache der x-Höhe nicht unterschreiten.<br />
Ist der Zeilenabstand mit der Schrifthöhe identisch, so spricht<br />
man von einem kompressen Satz, ist er grösser, so handelt es sich<br />
um einen durchschossenen Satz. Im heutigen Desktop Publishing ist<br />
der Zeilenabstand normalerweise auf 120 % der Schrifthöhe eingestellt.<br />
Dies ist gemäss dem Verständnis der klassischen Typographie<br />
relativ eng. Vielfach zeigt 125 % oder gar 130 % das visuell ansprechendere<br />
Resultat. Es gibt jedoch keine allgemein gültige Empfehlung.<br />
Tendenziell können grössere Schriftgrade enger gesetzt werden.<br />
Das Gleiche gilt für kurze Zeilenlängen.<br />
Der letzte anzusprechende Parameter ist der Wortabstand. Er beträgt<br />
im Allgemeinen 25 bis 33 % der Schrifthöhe, 26 die etwa der<br />
Breite der Zeichenfolge ≪OO ≫ entspricht. In grösseren Schriftgraden,<br />
z.B. in Überschriften, kann er aber auch kleiner gewählt werden.<br />
Abweichend von der anglo-amerikanischen Tradition wählt man<br />
speziell im deutschen Sprachraum den Wortabstand eher enger. Gemäss<br />
den Erkenntnissen <strong>des</strong> vorangegangenen Abschnittes beeinträchtigt<br />
dies nicht die Lesbarkeit. Im Besonderen ist auf die unterschiedliche<br />
Behandlung <strong>des</strong> Satzen<strong>des</strong> hinzuweisen. In der englischen<br />
Typographie wird hier ein zusätzlicher Leerraum realisiert.<br />
Auf dem europäischen Kontinent behandelt man das Satzende dagegen<br />
als normalen Wortabstand. Im Desktop Publishing kann diese<br />
Option unter dem Begriff ≪french spacing ≫ nachgefragt werden.<br />
26 in traditioneller Druckersprache: 0.33 der Kantenlänge eines Gevierts, eines<br />
Quadrates mit der Breite der Schrifthöhe
4.10 Schriftauswahl<br />
Die Vielfalt der heute eingesetzten Schriften zeigt zum einen die<br />
Signifikanz der Schriftwahl und zum anderen die Ambivalenz <strong>des</strong><br />
Themas. Allgemein verbindliche Auswahlkriterien sind nicht erkennbar<br />
und vermutlich auch nicht wünschenswert. Trotzdem soll<br />
im Folgenden versucht werden einige Aspekte anzusprechen, die in<br />
einem konkreten Fall hilfreich sein mögen.<br />
Am klarsten ist die Situation bei den technischen Rahmenbedingungen.<br />
So kann man offenbar nur diejenigen Schriften einsetzen,<br />
die auch vorhanden sind. Darüberhinaus sind hier rechtliche und<br />
organisatorische Restriktionen (z.B. corporate identity) zu berücksichtigen.<br />
Die physikalischen Umstände <strong>des</strong> Lesevorgangs haben natürlich<br />
einen grossen Einfluss auf die Frage, ob eine Schrift in einem konkreten<br />
Fall geeignet ist oder nicht. So wurden die Grotesk-Schriften<br />
vor allem für eine gute Fernwirkung bei Plakaten, Hinweisschilder<br />
oder Verkehrszeichen entwicklt. Mit ihrer einfachen, kräftigen<br />
Strichführung eigenen sie sich allerdings auch für Bildschirme oder<br />
(Beamer-) Präsenationen mit niedriger <strong>Auflösung</strong>. Für langes ermüdungsfreies<br />
Lesen haben sich dagegen die Antiqua-Schriften bewährt.<br />
Die zusätzlichen Details in Folge der Serifen erleichtern dem<br />
Auge die Diskrimierung.<br />
Aus technischer Sicht sollte man bei Schriftmischungen darauf<br />
achten, dass die Unter-, Mittel- und Oberlängen der beteiligten<br />
Schriftfamilien übereinstimmen. Im Allgemeinen sollte man aber<br />
nicht mehr als zwei Familien gleichzeitig benutzen. Etabliert ist die<br />
Kombination Grotesk-Antiqua, z.B. um Überschriften in einer anderen<br />
Schriftfamilie auszuzeichnen. Grundsätzlich kann man festhalten,<br />
dass nur deutlich unterschiedliche Schriften kombiniert werden<br />
sollten.<br />
Der nächste relevante Auswahlaspekt ist die emotionale Wirkung<br />
einer Schrift. Bedingt durch Faktoren wie Zeichenform, historische<br />
oder soziale Bezüge löst eine Schrift eine Reihe von diffusen Assoziationen<br />
aus. Diese Assoziationen mögen individuell sehr verschie-<br />
103<br />
emotionale Korrelation von Schrift und Inhalt<br />
klaus simon<br />
Kommunikationsziel?<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
41<br />
schriften<br />
42<br />
schriften
den sein, können aber einer Präferenzanalyse, wie in Folie 40 angedeutet,<br />
abgefragt werden. Auf Grund solcher Studien mag man einer<br />
Bodoni vielleicht Attribute wie ≪elegant ≫, ≪harmonisch ≫ oder<br />
≪klassisch ≫ zugestehen. Mit einer Grotesk wie Helvetica verbindet<br />
man andererseits ≪technisch-nüchtern ≫ oder ≪schmucklos-streng ≫.<br />
Dagegen vermitteln Schreibschriften wie Künstler Script im Allgemeinen<br />
den Eindruck von ≪ Kreativität ≫ und ≪ persönlicher Nähe<br />
≫.<br />
Ein zentrales Anliegen der Schriftauswahl ist es natürlich die<br />
emotionale Wirkung der Schrift auf den zu vermittelnden Inhalt<br />
abzustimmen. Die Wichtigkeit dieses Aspektes kann man den mehr<br />
oder weniger gelungenen Beispielen aus Folie 41 entnehmen.<br />
Eine Schriftauswahl ist in natürlicher Weise Teil eines Kommunikationszieles.<br />
Damit die Schrift die ihr zugedachte Funktion erfüllen<br />
kann, ist es wichtig zunächst die Zielgruppe zu betrachten.<br />
Die emotinale Wirkung einer Schrift ist in unterschiedlichen gesellschaftlichen<br />
Bereichen sicher sehr verschieden. Zu beachten sind<br />
insbesondere die jeweilige Kulturgeschichte und Modeerscheinungen.<br />
So verbindet man eine Schrift wie Arnold Böcklin mit dem Jugendstil,<br />
was in einer juristischen Abhandlung vielleicht Irritationen<br />
auslöst. Der Modeaspekt erleichtert zum einen die Auswahl,<br />
führt andererseits durch Übersättigung aber auch schnell zur Langeweile.<br />
Ein Beispiel hierfür ist die Computer Modern aus TEX-<br />
LATEX. Durch den 25jährigen Erfolg dieses Satzsystems löst die<br />
Grundschrift bei so manchem altgedienten Wissenschaftler heutzutage<br />
eher negative Reaktionen aus.<br />
Ein weiter relevanter Teilaspekt <strong>des</strong> Kommunikationsziels ist die<br />
Art der Nachrichtenvermittlung; soll beispielsweise informiert, provoziert<br />
oder Aufmerksamkeit erregt werden? Die Schrift kann zur<br />
Umsetzung einer Vorgangsstrategie beitragen indem sie z.B.<br />
• Erwartungen erfüllt oder enttäuscht,<br />
• Originalität demonstriert oder<br />
• Identität stiftet.<br />
104<br />
4.11 Literaturverzeichnis<br />
[1] D. Wheeler. Processes in word recognition. Cognitive Psychology,<br />
1:59–85, 1970.<br />
[2] G. Reicher. Perceptual recognition as a function of meaningfulness<br />
of stimulus material. Journal of Experimental Psychology,<br />
81:275–280, 1969.<br />
[3] G. Rubin and K. Turano. Reading without saccadic eye movements.<br />
Vision Research, 32:895–902, 1992.<br />
[4] J. Cattel. The inertia of the eye and brain. Brain, 8:295–312,<br />
1886.<br />
[5] J. Johnston and J. McClelland. Perception of letters in words:<br />
Seek not and eye shall find. Science, 184:1192–1194, 1974.<br />
[6] K. Rayner. Eye movements in reading and information processing:<br />
20 years of research. Psychological Bulletin, 124:372–422,<br />
1998.<br />
[7] K. Rayner and A. Pollatsek. Eye movements in reading: A tutorial<br />
review. In M. Coltheart (ed.), Attention and performance,<br />
vol. 12: The psychology of reading, pages 327–362, England:<br />
Erlbaum, 1987. Hove.<br />
[8] Sauthoff, Wendt, and Willberg. Schriften erkennen. Verlag H.<br />
Schmidt, Mainz, 2007, 11. Auflage.<br />
[9] R. Sekuler and R. Blake. Perception. McGraw-Hill, 4 edition,<br />
2002.<br />
[10] Jan Tschichold. Ausgewählte Aufsätze über Fragen der Gestalt<br />
<strong>des</strong> Buches und der Typographie. Birkhäuser, Basel, 1987, 2.<br />
Auflage.
K a p i t e l<br />
Textformatierung<br />
5<br />
Die Textformatierung versteht eine Texteingabe als eine unstrukturierte<br />
Folge von Zeichen und (transparenten) Zwischenräumen.<br />
Diese Vereinfachung ist dadurch gerechtfertigt, dass es primär um<br />
die graphische Gestaltung eines Paragraphen geht, und dort lediglich<br />
die Fontauswahl variiert. Dies gilt nicht in gleicher Weise für<br />
den Seitenumbruch, obwohl die verwendeten Verfahren konzeptionell<br />
aus der Behandlung von Paragraphen abgleitet sind. Grundsätzlich<br />
lässt sich die Textformatierung in die folgenden Teilprobleme<br />
einteilen:<br />
• Im Wortaufbau werden einzelne Schrift-Zeichen zu Wörtern zusammengesetzt.<br />
• Der Zeilenumbruch gruppiert dann die Wörter zu Zeilen.<br />
• Integriert in den Zeilenumbruch ist die (automatische) Worttrennung.<br />
• Der Seitenumbruch übernimmt dann die Zuordnung von Zeilen,<br />
Tabellen, Fussnoten usw. auf die einzelnen Seiten.<br />
5.1 Wortaufbau<br />
Die Eingabe besteht zunächst aus einer Sequenz von Bits, die normalerweise<br />
mit einer Tastatur erzeugt wurde. Mit dem Anschlag der<br />
≪w≫-Taste verbindet man üblicherweise das Zeichen ≪w≫ und nicht<br />
die Bit-Folge, welche die Tastatur zum Computer sendet. Die Zuordnung<br />
von ausgewählten Zeichen zu tatsächlich erzeugten Bit-Folgen<br />
heisst Eingabekodierung und ist durch Konvention festgelegt. Wenn<br />
105<br />
Textformatierung<br />
✧ Eingabe: Folge von Zeichen und Zwischenräumen<br />
✧ Ausgabe: Layout-Spezifikation<br />
✧ Teilprobleme<br />
➙ Wortaufbau<br />
✛ Zusammensetzen von Buchstaben zu Wörtern<br />
➙ Zeilenumbruch<br />
✛ Einteilung eines Paragraphen in Zeilen<br />
➙ Worttrennung<br />
✛ Unterstützung <strong>des</strong> Zeilenumbruchs<br />
➙ Seitenumbruch<br />
✛ Einteilung von Zeilen, Tabellen, Fussnoten, . . . in Seiten<br />
(DESIGNSIZE R 10.0)<br />
(COMMENT DESIGNSIZE IS IN POINTS)<br />
(CHECKSUM O 5221106317)<br />
(FONTDIMEN<br />
(SLANT R 0.0)<br />
(SPACE R 0.278)<br />
(STRETCH R 0.167)<br />
(SHRINK R 0.067)<br />
(XHEIGHT R 0.449)<br />
(CHARACTER C U<br />
(CHARWD R 0.708)<br />
(CHARHT R 0.698999)<br />
(CHARDP R 0.004999)<br />
(COMMENT<br />
(KRN O 54 R -0.025)<br />
(KRN O 56 R -0.025)<br />
(KRN C A R -0.025)<br />
(KRN O 301 R -0.025)<br />
(KRN O 200 R -0.025)<br />
(KRN O 302 R -0.025)<br />
(KRN O 304 R -0.025)<br />
(KRN O 300 R -0.025)<br />
)<br />
)<br />
Auszug aus einem .tfm-File<br />
klaus simon<br />
Workflow Wortaufbau<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
Eingabe mit Tastatur<br />
Eingabedatei als Bit-Folgen<br />
... 01011101 11101000 ...<br />
Hamburgo bounding boxes<br />
Hamburgo<br />
graphische Glyphenausgabe<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
1<br />
formatierung<br />
2<br />
formatierung
Wortaufbau<br />
✧ Gruppierung der Eingabefolge zu Wörtern und Abständen<br />
✧ Eingabefolge: Bit-Stream gemäss Eingabekodierung<br />
✧ Ausgabe: geometrisch angeordnete Glyphenfolge<br />
➙ Rahmenboxen anstatt Glyphen (Font Metric Files: .afm, .tfm)<br />
✛ definieren Breite, Ober- und Unterlänge<br />
➙ Unterschnitttabellen bestimmen Boxenabstand<br />
➙ Ersetzungstabellen für Ligaturen und Tastenkombinationen<br />
✧ Wortkonstruktion<br />
➙ Zuordnung je<strong>des</strong> Glyphen zu einem Wort<br />
➙ Festlegung der relativen Glyphenposition zum Wortanfang<br />
➙ Verwaltung der effektiven Wortlänge<br />
✧ Zwischenwortabstände<br />
➙ Verwaltung von Sollwert, minimaler bzw. maximaler Abweichung<br />
Zeilenumbruch<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
✧ gegeben: Sequenz von Worten und Zwischenräumen<br />
✧ Ziel: Einteilung in Zeilen<br />
➙ der Länge L (Blocksatz, Flattersatz)<br />
➙ der Längen L1, . . . , Lℓ (Figurensatz)<br />
➙ mit möglichst gleichmässiger Füllung<br />
✧ Vorgehensweise<br />
➙ Festlegung möglicher Zeilenenden, genannt Kerben<br />
✛ Phase 1: Wortenden<br />
✛ Phase 2 (bei Bedarf): auch Trennstellen innerhalb von Worten<br />
➙ Ausschliessen der Zeilen<br />
➙ Auswahl einer geeigneten Zeileneinteilung<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
3<br />
formatierung<br />
4<br />
formatierung<br />
106<br />
man die Tastatur wechselt, etwa von einer amerikanischen zu einer<br />
schweizerischen, dann ist für eine korrekte Funktion <strong>des</strong> Computers<br />
auch ein Wechsel der Eingabekodierung notwendig.<br />
Für den Wortaufbau muss zunächst die Eingabekodierung mit einer<br />
Ausgabekodierung verbunden werden. Die Ausgabekodierung<br />
verbindet ihrerseits Bit-folgen mit den einzelnen Zeichen (Glyphen)<br />
eines Fonts. Dabei sind mehrere Aspekte zu betrachten.<br />
• Allgemein kann nicht vorausgesetzt werden, dass die Eingabekodierung<br />
mit der Ausgabekodierung übereinstimmt. Oftmals<br />
sind zusätzliche Anpassungsmassnahmen notwendig.<br />
• Mehrere Zeichen der Eingabesequenz werden durch ein gemeinsames<br />
Zeichen der Ausgabesequenz ersetzt. Dies gilt speziell<br />
bei Ligaturen, die oftmals durch ein Glyph dargestellt werden.<br />
Die Grössenbeschränkung der Eingabekodierung machen<br />
es häufig notwendig Sonderzeichen über Tastenkombinationen<br />
anzusprechen, welche dann für die Ausgabe wieder aufgelöst<br />
werden müssen.<br />
• Die ausgegebene Glyphenfolge ist nicht nur sequentiell geordnet,<br />
sondern sie enthält auch die Gruppierung in Wörter bzw.<br />
Abstände sowie geometrische Informationen über die Wortlänge<br />
bzw. die relative Lage eines Glyphen innerhalb eines Wortes.<br />
Die Informationen die zur Berechnung der Ausgabesequenz notwendig<br />
sind, findet das Layoutsystem in den Font Metric Files ( .afm-<br />
Files bei Postscript-Fonts) oder TEX Font Metric ( .tfm-Files in TEX-<br />
LATEX). In diesen Files wird ein Zeichen typischerweise durch eine<br />
Rahmenbox (Bounding-box) beschrieben. Die geometrische Form<br />
<strong>des</strong> Zeichens wird nicht dargestellt, da sie für den Wortaufbau nicht<br />
benötigt wird. Die Geometrie der Rahmenbox wird durch Breite,<br />
Ober- bzw. Unterlänge beschrieben. Damit kann das Zeichen auf der<br />
Grundlinie einer Textzeile platziert werden.<br />
Zusätzlich enthält das Font Metric File die Unterschnitttabellen<br />
(Dicktentabellen, Kerning), die festlegen, bei welcher Zeichenkombination<br />
wie vom mittleren Zeichenabstand abzuweichen ist. Auch
die nötigen Informationen für die Ligaturen sind im Font Metric File<br />
gespeichert. Das Resultat <strong>des</strong> Wortaufbaus ist also eine Folge der<br />
Rahmenboxen die teilweise ineinander geschoben sind. Für die Weiterverarbeitung<br />
wird für je<strong>des</strong> Wort seine Länge gespeichert, sowie<br />
die zu ihm gehörende Boxenfolge.<br />
Bevor wir diesen Abschnitt abschliessen können, müssen wir noch<br />
auf die Abstände zwischen Worten eingehen. Da es im Computersatz<br />
im Allgemeinen nicht üblich ist, die Länge von Worten zum<br />
Zweck <strong>des</strong> Randausgleiches einer Zeile zu manipulieren, 1 verbleibt<br />
nur die Möglichkeit die Zwischenwortabstände anzupassen. Dazu<br />
nimmt man an, dass die Abstände wie Federn elastisch sind. Genauer<br />
gesagt sieht man für jeden Abstand einen Sollwert vor, zusammen<br />
mit einer unteren bzw. oberen Schranke, welche angeben<br />
wie der Sollabstand gestaucht bzw. gedehnt werden darf. Auf diese<br />
Parameter greift dann der Zeilenumbruch zurück.<br />
Zu beachten ist auch, dass die Abstände nicht alle gleichartig<br />
sind. Ausser ≪normalen ≫ Wortabständen existieren Sonderfälle für<br />
verschieden Zwecke, etwa den Abständen nach ≪;≫ oder ≪.≫. Darüber<br />
hinaus werden z.B. in TEX spezielle Abstandsfunktionen zur<br />
Ablaufsteuerung verwendet.<br />
5.2 Zeilenumbruch<br />
Im Wortaufbau wurde die Eingabesequenz zu einer Folge von Worten<br />
und Zwischenräumen verdichtet. Die Aufgabe <strong>des</strong> Zeilenumbruchs<br />
ist es nun, diese Folge in Zeilen einzuteilen. Im Blocksatz<br />
oder Flattersatz haben die Zeilen eine festgelegte Länge L, im Gegensatz<br />
zum Figurensatz mit variablen Längen L1, L2,..., Lℓ. Konzeptionell<br />
lässt sich der Figurensatz auf analoge Weise behandeln<br />
1 Man beachte, dass Gutenberg genau umgekehrt verfahren ist. Die Wortlängenvariation<br />
zum Zecke <strong>des</strong> Randausgleichs ist durchaus in Desktop<br />
Publishing-Systemen zu finden. Sie kann konzeptionell jedoch als spezieller zusätzlicher<br />
Zwischenraum aufgefasst werden und ist damit durch den beschriebenen<br />
Ansatz abgedeckt.<br />
107<br />
Beispiel-1: Zeilenumbruch ohne Ausschliessen<br />
Kerben eines Paragraphen<br />
In olden times when wishing still helped one, there lived a<br />
king whose daughters were all beautiful; and the youngest was<br />
so beautiful that the sun itself, which has seen so much, was<br />
astonished whenever it shone in her face. Close by the king’s<br />
castle lay a great dark forest, and under an old lime-tree in<br />
the forest was a well, and when the day was very warm, the<br />
king’s child went out into the forest and sat down by the side<br />
of the cool fountain; and when she was bored she took a golden<br />
ball, and threw it up on high and caught it; and this ball was<br />
her favorite plaything.<br />
Kerben ≪|≫ als potentielle Zeilenumbrüche<br />
akzeptable Zeilenumbrüche<br />
klaus simon technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
5<br />
formatierung 1<br />
klaus simon technik <strong>des</strong> digitalen publizierens formatierung<br />
✧ sei K = { k0 < · · · < kn } die Menge aller möglichen Kerben<br />
✧ eine Teilsequenz T = ki, ki +1, . . . , k j hat als potentielle Zeile<br />
➙ die Längen: minL(T), sollL(T), maxL(T)<br />
✛ als Summe der enthaltenen Zwischenräume<br />
✛ mit Korrekturen: Trennzeichen, kein Abstand am Zeilenanfang<br />
✧ U = { ki1 < ki2 < · · · < kis } ist akzeptabler Zeilenumbruch g.d.w.<br />
➙ ki1 = 0 und kis < n<br />
➙ minL({ kih , . . . , kih+1 }) ≤ L ≤ maxL({ kih , . . . , kih+1 })<br />
für h = 1, . . . , s (voll akzeptabel)<br />
➙ minL({ kis, . . . , kn }) ≤ L (partiell akzeptabel)<br />
✧ auf Figurensatz erweiterbar (Lh statt L)<br />
✧ jeder akzeptable Zeilenumbruch ist auch ausschliessbar<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
6<br />
formatierung
ungerichter Graph<br />
Beispiel Digraph<br />
g a<br />
✧ Digraph<br />
f<br />
einfacher<br />
b<br />
Weg<br />
gerichteter Graph<br />
c<br />
e<br />
d<br />
klaus simon<br />
➙ G = (V, E)<br />
✧ Knoten<br />
➙ V = { a, b, c, d, e, f , g }<br />
✧ Kanten<br />
Beispiel Topologische Sortierung<br />
Zyklus<br />
klaus simon<br />
➙ E = { (b, a), (b, g ), . . .<br />
(b, c), (c, e), (e, f ), . . .<br />
(e, d), (d, c), (f , b) }<br />
✧ Nachbarschaftslisten<br />
➙ Γ + (b) = { a, c, g }<br />
➙ Γ − (c) = { b, d }<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
topologisch sortierter Digraph<br />
5<br />
6<br />
3<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
1<br />
7<br />
2<br />
4<br />
7<br />
formatierung<br />
8<br />
formatierung<br />
108<br />
wie eine feste Zeilenlänge, weshalb wir im Folgenden auf eine gesonderte<br />
Darstellung verzichten. Gesucht ist allerdings nicht eine<br />
beliebige, sondern eine gute Lösung, was wir vorläufig als eine möglichst<br />
gleichmässige Füllung der Zeilen interpretieren wollen.<br />
Das Vorgehen ist mehrstufig und wird teilweise auch iterativ<br />
durchlaufen. 2 In einem ersten Schritt werden die potentiellen Zeilenumbrüche<br />
bestimmt, in der deutschen Literatur [2, 7] Kerben genannt.<br />
Die natürlichen Kandidaten dafür sind die Wortenden. Oftmals<br />
existiert für diese Kerbenmenge noch keine gute Lösung, so<br />
dass man gezwungen ist durch Worttrennung weitere Kerben zu generieren.<br />
Auf den Aspekt Worttrennungen im Computersatz werden<br />
wir allerdings erst später in einem separaten Abschnitt eingehen.<br />
Aufgrund der bestimmten Kerbenmenge K wird dann eine Lösung<br />
ausgewählt, was wir im Anschluss genauer ausführen werden.<br />
Das Gleiche gilt auch für das Ausschliessen, dem <strong>letzten</strong> Schritt <strong>des</strong><br />
Zeilenumbruchs. Man versteht darunter die Anpassung einer Zeile<br />
mit gegebener Dehnbarkeit an die gewünschte Zeilenlänge L.<br />
Betrachten wir nun die Menge der Kerben<br />
K = { k0, k1,..., kn } mit k1 < k2 < ··· < kn (5.1)<br />
als gegeben, wobei man sich die Zahlen ki als Abstand vom Paragraphenanfang<br />
k0 vorstellen kann. Das Paragraphenende wird durch<br />
kn repräsentiert. Um zu überprüfen, ob eine Teilsequenz<br />
T = { ki < ··· < k j } (5.2)<br />
als potentielle Zeile in Frage kommt, benötigen wir die Funktionen<br />
minL(T),maxL(T) und sollL(T), (5.3)<br />
die für die minimale, die maximale bzw. den Sollwert der Zeilenlänge<br />
steht, die durch T induziert wird. Diese drei Abbildungen lassen<br />
sich effizient aus den beteiligten Wort- bzw. Teilwortlängen zusammen<br />
mit den Dehnbarkeiten der Zwischenräume berechnen. Zu beachten<br />
ist jedoch die Zusatzlänge für ein eventuelles Trennzeichen<br />
sowie die Entfernung von Zwischenräumen am Zeilenanfang.<br />
2 im Wesentlichen folgen wir Knuth et al. [3, 7]
Mit Hilfe der Funktionen aus (5.3) lässt sich nun relativ einfach<br />
ausdrücken, wann ein Zeilenumbruch U mit ℓ Zeilen zulässig ist. Es<br />
sei ih der Index der Anfangskerbe der h-ten Zeile, 1 ≤ h ≤ ℓ. Dann<br />
charakterisieren wir U durch die zugehörigen Kerben, also<br />
U = { ki1 , ki2 ,..., kiℓ } ⊆ K. (5.4)<br />
Man beachte, dass nach Definition i1 = 0 und iℓ < n gilt. Wir nennen<br />
U genau dann akzeptabel, wenn für alle h = 1,...,ℓ gilt<br />
sowie<br />
minL({ kih ,..., kih+1 }) ≤ L ≤ maxL({ kih ,..., kih+1 }) (5.5)<br />
minL({ kiℓ ,..., kn }) ≤ L. (5.6)<br />
Bezeichnen wir eine potentielle Zeile kih ,..., kih+1 , welche der Gleichung<br />
(5.5) genügt, als voll akzeptabel bzw. eine, die (5.6) erfüllt, als<br />
partiell akzeptabel, dann können wir auch sagen, ein Umbruch ist<br />
akzeptabel, wenn alle seine Zeilen, bis auf die letzte, voll akzeptabel<br />
sind und die letzte Zeile wenigstens partiell akzeptabel ist.<br />
Der so eingeführte Begriff der Akzeptierbarkeit eines Umbruchs<br />
ist offensichtlich durch den Randausgleich motiviert. Jeder akzeptable<br />
Umbruch ist offenbar ausschliessbar. Ob die Zeile gedehnt oder<br />
gestaucht wird, hängt davon ab, ob die Solllänge der Zeile grösser<br />
oder kleiner L ist.<br />
Bemerkung. Man beachte, dass diese Notation, speziell (5.5)<br />
und (5.6) ohne Schwierigkeiten auf unterschiedliche Zeilenlängen<br />
L1,..., Lℓ übertragbar sind. Der Figurensatz ist also konzeptionell<br />
durch den beschriebenen Ansatz abgedeckt.<br />
Für den links- oder rechtsbündigen Flattersatz wird das Ausschliessen<br />
einfach weggelassen und die Zeile in der Sollänge gesetzt.<br />
Der entsprechende Rausatz kann einfach als Interpolation zwischen<br />
Block- und Flattersatz realisiert werden.<br />
5.2.1 Die Menge aller akzeptablen Zeilenumbrüche<br />
Auf dem Weg zu einem möglichst guten Zeilenumbruch interessieren<br />
wir uns als nächstes für die Menge aller akzeptablen Zeilenumbrüche.<br />
Da es sich dabei um kombinatorisch viele handelt, benötigen<br />
109<br />
Repäsentation aller akzeptablen Umbrüche . . .<br />
✧ . . . durch einen azyklischen Digraphen G = (V, E)<br />
✧ V entspricht der Menge der Kerben K = { k0, . . . , kn }<br />
✧ (ki, k j) ist genau dann eine Kante von E wenn<br />
➙ es gibt in G einen Weg von k0 nach ki und<br />
✛ ki, . . . , k j ist voll akzeptabel für k j = kn<br />
✛ ki, . . . , k j ist partiell akzeptabel für k j = kn<br />
Jeder akzeptable Zeilenumbruch entspricht einem Weg<br />
vom Paragraphenanfang k0 zum Paragraphenende kn.<br />
klaus simon<br />
Zeilenumbruch als Optimierungsproblem<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
✧ Kostenfunktion c(e) ∈ R, e ∈ E: Bewertung der Zeile bezogen auf<br />
➙ Abweichung von sollL(e) von L<br />
➙ Abweichung vom Füllgrad vorgängiger Zeilen<br />
➙ Trennungen in vorgängigen Zeilen<br />
➙ Benutzervorgaben bezüglich <strong>des</strong> Zeilenumbruchs<br />
➙ Systemparameter zur Ablaufsteuerung<br />
✧ sei h(ki) der billigste Weg von k0 nach ki, dann gilt<br />
− 0 falls Γ (k j) = ∅<br />
h(k j) =<br />
min h(ki) + c(ki, k j) | ∃ (ki, k j) ∈ E sonst<br />
✧ gesucht: ≪billigster Weg ≫ von k0 nach kn<br />
➙ für azyklische Digraphen in linearer Zeit O(|V| + |E|) lösbar<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
9<br />
formatierung<br />
10<br />
formatierung
Beispiel: Zeilenumbruch in Graphendarstellung<br />
Kerbe hinter dem<br />
jeweiligen Teilwort<br />
16<br />
side of the coolfoun- tain; and<br />
1<br />
676<br />
the<br />
in<br />
324<br />
49<br />
king’s<br />
the<br />
king’s castle lay<br />
for<br />
child<br />
golden ball, and threw it up on<br />
676<br />
5929<br />
5929<br />
25 400<br />
289<br />
est<br />
was her favor- ite play-<br />
676<br />
a<br />
was<br />
1 841<br />
Knuth, digital typography, p.107<br />
9<br />
16<br />
4<br />
2209<br />
5329<br />
><br />
1521<br />
was so<br />
1 3600 1<br />
6561<br />
25<br />
1600<br />
121<br />
9<br />
3136<br />
thing.<br />
king<br />
3600<br />
4900<br />
aston-<br />
4489<br />
4<br />
went<br />
2209<br />
was a<br />
4 1 1369<br />
4<br />
4761<br />
3249<br />
289<br />
16<br />
2601 2601 3364<br />
1<br />
1<br />
3001<br />
1<br />
klaus simon<br />
3001<br />
1<br />
81<br />
400 144<br />
out<br />
4 1<br />
1<br />
2401<br />
1444<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
Beispiel-1: Zeilenumbruch ohne Ausschliessen<br />
In olden times when wishing still helped one, there lived a<br />
king whose daughters were all beautiful; and the youngest was<br />
so beautiful that the sun itself, which has seen so much, was<br />
astonished whenever it shone in her face. Close by the king’s<br />
castle lay a great dark forest, and under an old lime-tree in<br />
the forest was a well, and when the day was very warm, the<br />
king’s child went out into the forest and sat down by the side<br />
of the cool fountain; and when she was bored she took a golden<br />
ball, and threw it up on high and caught it; and this ball was<br />
her favorite plaything.<br />
linker Weg aus Folie 11<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
11<br />
formatierung<br />
12<br />
formatierung<br />
110<br />
wir eine kompakte Darstellung der verschiedenen Möglichkeiten,<br />
welche wir in einem azyklischen Digraphen finden werden. Ein akzeptabler<br />
Zeilenumbruch entspricht dann einem Weg in diesem Graphen<br />
vom ersten zum <strong>letzten</strong> Knoten. Um diese Analyse unabhängig<br />
zu halten, führen wir kurz in die elementare Notation der Graphentheorie<br />
ein, soweit dies für unsere Anwendung benötigt wird. 3 Wer<br />
damit vertraut ist, mag den folgenden Paragraphen übergehen.<br />
Ein gerichteter Graph (Digraph) G = (V , E) besteht aus einer endlichen<br />
Menge V zusammen mit einer irreflexiven Relation E ⊆ V ×V .<br />
Die Menge V bezeichnen wir als die Knotenmenge und E als die<br />
Kantenmenge von G. Ein Element v ∈ V , nennen wir einen Knoten.<br />
bzw. e ∈ E ist eine Kante. Die Menge V fassen wir zur Vereinfachung<br />
als die Zahlenmenge<br />
V = {1,..., n}<br />
auf. Häufig benutzt man die Buchstaben n und m für die Beträge<br />
der Mengen V und E, also<br />
n = |V | und m = |E|.<br />
Die Kante (x, y) verbindet den Knoten x mit dem Knoten y. Unter<br />
der Nachbarschaftsliste (adjacency-list) Γ + (v) <strong>des</strong> Knotens v verstehen<br />
wir die Menge<br />
Γ + (v) = { w ∈ V | (v, w) ∈ E }.<br />
Den Betrag dieser Menge nennen wir den Grad von v, genauer den<br />
Ausgangsgrad γ + (v), also<br />
γ + (v) = |Γ + (v)|.<br />
Analog vereinbaren wir die Menge Γ − (v) und den Eingangsgrad<br />
γ − (v) durch<br />
γ − (v) = |Γ − (v)| = |{ w ∈ V | (w, v) ∈ E }|.<br />
3 bei weiterführendem Interesse kann das Thema in Even [4], Tarjan [11] oder<br />
Simon [10] vertieft werden.
Ein Knoten v mit Γ + (v) = ø heisst eine Senke bzw. eine Quelle, falls<br />
Γ − (v) = ø gilt.<br />
Wir betrachten ausschliesslich topologisch sortierte Digraphen,<br />
was äquvalent ist zu<br />
(v, w) ∈ E ⇒ v < w.<br />
Für die Strukturierung von Graphen hat sich der Begriff <strong>des</strong> Weges<br />
als unentbehrlich erwiesen. Ein Weg P = v0,..., vs von v0 nach vs<br />
— abkürzend auch (v0, vs)-Weg genannt — ist eine Folge von Knoten<br />
mit (vi, vi+1) ∈ E für 0 ≤ i ≤ s − 1. Dabei bezeichnet s die Länge<br />
<strong>des</strong> Weges. Für einen Weg P = v0,..., vs sagen wir, P verbindet v0<br />
und vs. Unter der Distanz dist(v, w) zwischen zwei Knoten v und w<br />
verstehen wir die Länge eines kürzesten Weges zwischen ihnen.<br />
Kommen wir zurück zur Menge der akzeptablen Zeilenbrüche.<br />
Um sie graphentheoretisch zu charakterisieren müssen wir zunächst<br />
einen entsprechenden Graphen G=(V , E) definieren. Als<br />
Knotenmenge V fungiert die Menge der Kerben K:<br />
V = K = { k0 < ··· < kn } (5.7)<br />
Das Tupel (ki, k j) ist genau dann eine Kante von E, wenn es in G<br />
einen Weg von k0 nach ki gibt und ki,..., k j voll akzeptabel ist für<br />
k j = kn sowie ki,..., k j zumin<strong>des</strong>t partiell akzeptabel ist für k j = kn.<br />
Offenbar entspricht nun jeder akzeptable Zeilenumbruch eindeutig<br />
einem Weg vom Paragraphenanfang k0 zum Paragraphenende kn<br />
und umgekehrt.<br />
In dem so definierten Diagraphen verlaufen die Kanten immer<br />
von einer Kerbe mit kleinerem Index zu einer mit grösserem Index,<br />
d. h. G ist azyklisch und topologisch sortiert. Diese letzte Eigenschaft<br />
beinhaltet, dass bestimmte Optimierungsprobleme effizient<br />
für G gelöst werden können. Dies wollen wir im folgenden Abschnitt<br />
ausnutzen, um einen ≪guten Zeilenumbruch ≫ zu spezifizieren.<br />
5.2.2 Zeilenumbruch als Optimierungsproblem<br />
Um zwischen den vielen Lösungen <strong>des</strong> Zeichenumbruchs, die durch<br />
G=(V , E) repräsentiert sind, unterscheiden zu können, ordnen wir<br />
111<br />
Beispiel-2: Zeilenumbruch ohne Ausschliessen<br />
In olden times when wishing still helped one, there lived a<br />
king whose daughters were all beautiful; and the youngest was<br />
so beautiful that the sun itself, which has seen so much, was<br />
astonished whenever it shone in her face. Close by the king’s<br />
castle lay a great dark forest, and under an old lime-tree in the<br />
forest was a well, and when the day was very warm, the king’s<br />
child went out into the forest and sat down by the side of the<br />
cool fountain; and when she was bored she took a golden ball,<br />
and threw it up on high and caught it; and this ball was her<br />
her favorite plaything.<br />
roter Weg aus Folie 11<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
Beispiel-3: Zeilenumbruch ohne Ausschliessen<br />
In olden times when wishing still helped one, there lived a king<br />
whose daughters were all beautiful; and the youngest was so<br />
beautiful that the sun itself, which has seen so much, was astonished<br />
whenever it shone in her face. Close by the king’s castle lay<br />
a great dark forest, and under an old lime-tree in the forest was a<br />
well, and when the day was very warm, the king’s child went out<br />
into the forest and sat down by the side of the cool fountain; and<br />
when she was bored she took a golden ball, and threw it up on<br />
high and caught it; and this ball was her favorite plaything.<br />
rechter Weg aus Folie 11<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
13<br />
formatierung<br />
14<br />
formatierung
Beispiel-1: Zeilenumbruch mit Ausschliessen<br />
In olden times when wishing still helped one, there lived a<br />
king whose daughters were all beautiful; and the youngest was<br />
so beautiful that the sun itself, which has seen so much, was<br />
astonished whenever it shone in her face. Close by the king’s<br />
castle lay a great dark forest, and under an old lime-tree in<br />
the forest was a well, and when the day was very warm, the<br />
king’s child went out into the forest and sat down by the side<br />
of the cool fountain; and when she was bored she took a golden<br />
ball, and threw it up on high and caught it; and this ball was<br />
her favorite plaything.<br />
linker Weg aus Folie 11<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
Beispiel-2: Zeilenumbruch mit Ausschliessen<br />
In olden times when wishing still helped one, there lived a<br />
king whose daughters were all beautiful; and the youngest was<br />
so beautiful that the sun itself, which has seen so much, was<br />
astonished whenever it shone in her face. Close by the king’s<br />
castle lay a great dark forest, and under an old lime-tree in the<br />
forest was a well, and when the day was very warm, the king’s<br />
child went out into the forest and sat down by the side of the<br />
cool fountain; and when she was bored she took a golden ball,<br />
and threw it up on high and caught it; and this ball was her<br />
favorite plaything.<br />
roter Weg aus Folie 11<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
15<br />
formatierung<br />
16<br />
formatierung<br />
112<br />
jedem durch einen (k0, kn)-Weg gegebenen Zeilenbruch ein Kostenmass<br />
zu. Dazu benötigen wir zunächst eine Kostenfunktion c(e) ∈ R,<br />
e ∈ E. Die Abbildung c(e) ist nicht in natürlicher Weise gegeben, sondern<br />
ist eine Kombination von verschiedenen Einflussfaktoren, die<br />
mit der visuellen Güte <strong>des</strong> Zeilenumbruchs mehr oder weniger korreliert<br />
sind. Zu berücksichtigen ist zunächst einmal die Abweichung<br />
von sollL(e) zu L. Dann sollte auf den Füllungsgrad der vorangehenden<br />
Zeilen geachtet werden. 4 Starke Schwankungen sind hier<br />
unerwünscht. Dann existieren typographische Regeln bezüglich der<br />
Worttrennung. So sollten nicht mehrere Zeilen mit Trennungen aufeinander<br />
folgen bzw. sollte eine Worttrennung in der vor<strong>letzten</strong> Zeile<br />
vermieden werden.<br />
Die meisten Layout-Systeme sind parametrierbar, d.h. der Zeilenumbruch<br />
lässt sich über Systemeinstellungen manipulieren. Die<br />
entsprechenden Systemparameter fliessen natürlich auch in die Kostenfunktion<br />
ein.<br />
Schliesslich wird dem Benutzer auch häufig die Möglichkeit eingeräumt,<br />
ein spezielles Umbruchverhalten direkt zu erzwingen, was<br />
sich auch über die Kostenfunktion implementieren lässt.<br />
Im Design der Kostenfunktion sind die visuellen Ziele <strong>des</strong> System<br />
definiert. Der Kreativität sind hier keine prinzipiellen Grenzen gesetzt.<br />
Die aufgeführten Einflussfaktoren sind als Beispiele zu verstehen,<br />
aber nicht als exklusive Auflistung. Im Allgemeinen erhöhen<br />
visuell störende Elemente die Kostenfunktion und visuell bevorzugte<br />
Aspekte erniedrigen sie bzw. können sogar negative Beiträge<br />
liefern. In TEX, LATEXz.B. nimmt die Kostenfunktion Werte zwischen<br />
-10000 (best möglich) und 10000 (schlechtest möglich) an.<br />
Die Zeilenumbrüche entsprechen, wie bereits ausgeführt, den<br />
(k0, kn)-Wegen in G. Die Kostenfunktion für die Kanten müssen wir<br />
also noch auf geeignete Art und Weise auf die Wege in G übertragen.<br />
Dazu folgen wir dem Ansatz, dass ein optimaler Zeilenumbruch für<br />
n Zeilen ohne die letzte Zeile einen optimalen Zeilenumbruch für die<br />
4 Die Unterschiede im Zeilenumbruch zwischen TEX und LATEX gehen zum Beispiel<br />
auf unterschiedliche Systemeinstellungen zurück.
ersten n –1 Zeilen darstellen sollte. 5 Dies induziert, dass die Kosten<br />
eines Weges als die Summe der Kosten seiner Kanten verstanden<br />
werden können. Der optimale Zeilenumbruch ist damit als ein Weg<br />
von k1 nach kn mit minimalen Kosten charakterisiert.<br />
Das Bestimmen eines solchen Weges ist ein Standardproblem der<br />
Graphentheorie. Für azyklische Diagraphen kann es effizient gelöst<br />
werden, d.h. in Zeit proportional zu O(|V | + |E|). Obwohl diese<br />
Sichtweise <strong>des</strong> Zeilenumbruchs nicht für alle Komponenten der Kostenfunktion<br />
c(e), e ∈ E, naheliegend ist, ist der Gesamtansatz im<br />
Allgemeinen visuell doch überaus überzeugend. Die grosse Popularität<br />
von TEX-LATEX basiert nicht zuletzt auf seinem bekannt guten<br />
Zeilenumbruch, welcher auf dem beschriebenen Konzept basiert.<br />
5.2.3 Interaktivität und Zeilenumbruch<br />
In den vorangegangenen Abschnitten haben wir ausgeführt, wie<br />
sich der Zeilenumbruch als kombinatorisches Problem beschreiben<br />
lässt. Darauf aufbauende Satzsysteme zeigen eine Qualität, die dem<br />
klassischen Handsatz i.A. zumin<strong>des</strong>t vergleichbar ist. 6 Trotzdem<br />
ist dieses Konzept nicht durchgängig in Textverarbeitungsprogrammen<br />
bzw. im Desktop Publishing realisiert. Der Grund dafür liegt<br />
nicht etwa in einer funktionalen Beschränkung der entsprechenden<br />
Software sondern in einem Widerspruch zu dem traditionellen Interface<strong>des</strong>ign<br />
<strong>des</strong> Desktop Publishing.<br />
Bei der klassischen Schreibmaschine besteht die Eingabe in dem<br />
Anschlagen einer Taste und die Ausgabe in Form einer Zeichenproduktion<br />
auf Papier erfolgt mehr oder weniger unmittelbar. Der Zeilenumbruch<br />
erfolgt dadurch, dass die aktuelle Schreibposition die<br />
maximale Zeilenlänge erreicht. Der Benutzer bricht den Eingabevorgang<br />
für die aktuelle Zeile kurz vor dem Zeilenumbruch ab und<br />
5 Man beachte jedoch, dass z.B. die Bewertung <strong>des</strong> Füllgra<strong>des</strong> der vorangegangenen<br />
Zeile von der Teillösung für n –1 abhängig ist, was zeigt, dass der<br />
formulierte Ansatz nicht vollständig erfüllt sein kann.<br />
6 wenn auch vielleicht nicht über die gleiche Flexibilität in Problemfällen verfügt<br />
113<br />
Beispiel-3: Zeilenumbruch mit Ausschliessen<br />
In olden times when wishing still helped one, there lived a king<br />
whose daughters were all beautiful; and the youngest was so<br />
beautiful that the sun itself, which has seen so much, was astonished<br />
whenever it shone in her face. Close by the king’s castle lay<br />
a great dark forest, and under an old lime-tree in the forest was a<br />
well, and when the day was very warm, the king’s child went out<br />
into the forest and sat down by the side of the cool fountain; and<br />
when she was bored she took a golden ball, and threw it up on<br />
high and caught it; and this ball was her favorite plaything.<br />
rechter Weg aus Folie 11<br />
klaus simon<br />
billigste Wege in azyklischen Digraphen<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
✧ Eingabe: ein topologischer sortierter Digraph G = (V, E)<br />
mit gegebener Kostenfunktion c(e) ∈ R für e ∈ E<br />
(1) forall ki ∈ V do h(ki) ← ∞ od;<br />
(2) h(k0) ← 0;<br />
(3) forall i ← 0 to n−1 do<br />
(4) forall k j ∈ Γ + (ki) do<br />
(5) h(k j) ← min { h(k j), h(ki) + c(ki, k j) };<br />
(6) od;<br />
(7) od;<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
17<br />
formatierung<br />
18<br />
formatierung
Interaktivität und Zeilenumbruch<br />
✧ Zeilenumbruch bei Schreibmaschinen<br />
➙ Eingabe und Layout direkt verknüpft<br />
➙ Füllung der Zeile mit Worten bis zum Überlauf<br />
➙ nächste Zeile startet mit überlaufendem Wort<br />
✧ interaktive Satzprogramme sind Schreibmaschinen orientiert<br />
✧ WYSIWYG erzwingt Fixierung u. Darstellung der nächsten Zeile<br />
✧ Ausschliessen der aktuellen Zeile (Dehnen + Worttrennung)<br />
➙ nur lokale Optimierung möglich<br />
➙ bezogen auf die letzte Zeile<br />
✧ greedy-Variante <strong>des</strong> ≪billigste Wege≫-Ansatzes<br />
➙ funktionale und visuelle Einbussen<br />
klaus simon<br />
Beispiel lokal optimierter Zeilenumbruch<br />
The quick brown fox jumps over the<br />
lazy dog. Bei jedem klugen Wort von<br />
Sokrates rief Xanthippe zynisch:<br />
Quatsch! Pack my box with five dozen<br />
liquor jugs. Die Hölle, das sind die<br />
anderen. Humor ist, wenn man trotzdem<br />
lacht. Man versehe mich mit<br />
Luxus. Auf alles Notwendige kann ich<br />
verzichten. Armselig der Schüler,<br />
der seinen Meister nicht übertrifft.<br />
Es gibt das Vollkommene und es gibt<br />
das Unvollkommene. Und dies ist<br />
vollkommen. Type faces, like<br />
people's faces, have distinctive<br />
features indicating aspects of character.<br />
Franz jagte<br />
in einem total verwahrlosten Wagen<br />
quer durch Bayern. The quick brown<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
19<br />
formatierung<br />
The quick brown fox jumps over the<br />
lazy dog. Bei jedem klugen Wort von<br />
Sokrates rief Xanthippe zynisch:<br />
Quatsch! Pack my box with five dozen<br />
liquor jugs. Die Hölle, das sind die<br />
anderen. Humor ist, wenn man trotzdem<br />
lacht. Man versehe mich mit Luxus. Auf<br />
alles Notwendige kann ich verzichten.<br />
Armselig der Schüler, der seinen Meister<br />
nicht übertrifft. Es gibt das<br />
Vollkommene und es gibt das Unvollkommene.<br />
Und dies ist vollkommen. Type<br />
faces, like people's faces, have distinctive<br />
features indicating aspects<br />
of character. Franz jagte in einem<br />
total verwahrlosten Wagen quer durch<br />
Bayern. The quick brown fox jumps over<br />
the lazy dog.Bei jedem klugen Wort von<br />
Sokrates rief XanThe quick brown fox<br />
jumps over the lazy dog. Bei jedem<br />
klugen Wort von Sokrates rief Xanthippe<br />
zynisch: Quatsch! Er heiratete<br />
sie, weil er sie liebte. Sie liebte<br />
ihn, weil er sie heiratete. Die Hölle,<br />
das sind die anderen. Humor ist, wenn<br />
man trotzdem lacht. Man versehe mich<br />
mit Luxus. Auf alles Notwendige kann<br />
ich verzichten. Armselig der Schüler,<br />
der seinen Meister nicht übertrifft.<br />
Es gibt das Vollkommene und es gibt<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
20<br />
formatierung<br />
114<br />
beginnt die nächste Zeile. Alle Zeichen haben dabei die gleiche Breite.<br />
Wie im Abschnitt 2.6.2 dargelegt, entwickelte sich das Desktop<br />
Publishing als computerunterstützte Version der Schreibmaschine.<br />
In Folge <strong>des</strong>sen versuchten die Designer der ersten Textverarbeitungsprogramme<br />
das visuelle Interface so zu gestalten, dass der<br />
Eingabeprozess demjenigen der Schreibmaschine möglischst nahe<br />
kam. Dies bedeutete, dass die textuelle Eingabe und die daraus relutierende<br />
graphische Ausgabe möglichst unmittelbar und intuitiv<br />
miteinander verknüpft sein sollten. In anderen Worten, man wollte<br />
dem Benutzer den Eindruck vermitteln, dass er unmittelbar das<br />
graphische Layout manipuliert. Dieses Designprinzip ist bekannt<br />
als:<br />
Wh a t Yo u Se e Is Wh a t Yo u Ge t<br />
Andererseits wollten Desktop Publishing Systeme nicht hinter die<br />
Funktionalität der mechanischen Satzsysteme wie z.B. Linotype<br />
zurückfallen. In diesen waren Proportionalschriften und das Ausschliessen<br />
üblich. Man kombinierte diese Fähigkeiten mit dem WY-<br />
SIWYG und erhielt einen Zeilenumbruch, der innerhalb der aktuellen<br />
Zeile durch Dehnung, Stauchung bzw. Worttrennung flexibel<br />
und damit optimierbar war, der zum anderen aber Zeile für Zeile<br />
fixiert und so in das endgültige Layout übernommen wurde.<br />
Diese Beschränkung der Optimierbarkeit auf die aktuell bearbeitete<br />
Zeile, sei im Folgenden lokale Optimierung genannt, im Gegensatz<br />
zur globalen 7 Optimierung <strong>des</strong> ≪billigsten Wege ≫-Ansatzes. Da<br />
die verfügbaren Optimierungsschritte der lokalen Strategie auch im<br />
globalen Ansatz enthalten sind, liefert der lokale Ansatz im Allgemeinen<br />
nur eine suboptimale Lösung für das gleiche Problem.<br />
Im Bereich der Graphenalgorithmen nennt man den lokalen Ansatz<br />
auch eine greedy heuristic 8 bzw. aus Sicht von allgemeinen Optimierungsproblemen<br />
würde man von einem Gradienten-Abstiegs-<br />
Verfahren sprechen. Obwohl der lokale Ansatz deutlich weniger lei-<br />
7 global, da auf den ganzen Paragraphen bezogen<br />
8 siehe etwa Hu [5]
stungsfähig ist und immer mal wieder der menschlichen Mithilfe<br />
bedarf, ist er durchaus beliebt, vielleicht weil er dem Benutzer das<br />
Gefühl vermittelt, unentbehrlich zu sein.<br />
5.2.4 Worttrennung<br />
Als Teil <strong>des</strong> Zeilenumbruchs ist die automatische Worttrennung ein<br />
selbstverständlicher Teil moderner Layoutsysteme. In Sprachen wie<br />
dem Deutschen, wo Wörter praktisch beliebig zusammengesteckt<br />
werden können, ist man besonders darauf angewiesen. So sind im<br />
Deutschen etwa 5–15 Trennungen pro Seite zu erwarten. Im Folgenden<br />
beschränken wir uns auf einige Grundaspekte und gehen insbesondere<br />
auf Randaspekte wie Formveränderungen von Wörtern<br />
in Folge von Trennungen nicht ein.<br />
Die allgemeine Regel zum Trennen von Worten fordert<br />
• zusammengesetzte Worte nach Bestandteilen und<br />
• ansonsten nach Sprechsilben zu trennen.<br />
Im konkreten Fall ist diese Festlegung oftmals zu vage bzw. zu<br />
widersprüchlich um in einem automatischen System eingesetzt zu<br />
werden. Wie soll der Computer zwischen<br />
Bein-haltung und be-in-halten<br />
unterscheiden? Die Syntax ist nahezu identisch und die Unterscheidung<br />
ergibt sich aus dem semantischen Kontext, womit sich Computer<br />
bis anhin schwer tun. Existieren bei identischer Syntax mehrere<br />
unterschiedliche Interpretationen so spricht man von Homonymen.<br />
Beispiele hierfür sind:<br />
bzw.<br />
Er hat ein Ver-eins-amt. Ver-ein-samt ist er trotzdem.<br />
Stau-becken im Gegensatz zu Staub-ecken<br />
Ähnliche Probleme bereiten sinnentstellende Trennungen wie<br />
Urin-stinkt<br />
115<br />
Worttrennung<br />
✧ im Deutschen ca. 5–15 Trennungen pro Seite (i.A. nicht vermeidbar)<br />
✧ allgemeine Trennregel<br />
➙ zuammengesetzte Wörter nach Bestandteilen<br />
➙ Wörter nach Sprechsilben<br />
✧ Probleme der automatischen Anwendung<br />
➙ vage, teilweise widersprüchliche Regeln: re-cord (S) E rec-ord (V)<br />
➙ Homonyme: unterschied. Interpretationen syntakt. gleicher Wörter<br />
✛ ver-ein-samt E Vereins-amt, Stau-becken E Staub-ecken<br />
➙ sinnentstellende Trennungen (Trenner-gebnisse)<br />
✛ Bein-haltung E be-in-halten, In-stinkt (ok) E Urin-stinkt (¬ ok)<br />
✧ direkte Benutzerintervention üblich<br />
➙ explizite Kennzeichnung von optionalen Trennpositionen<br />
➙ Vermeidung falscher Trennungen durch Ausnahmewörterbuch<br />
klaus simon<br />
Trennhilfen in L AT E X<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
✧ \usepackage[sprachen]{babel} ... \selectlanguage{sprache}<br />
➙ sprachspezifische Anpassungen, insbesondere Trennungen<br />
✧ \usepackage[T1]{fontenc} reduziert Trennprobleme<br />
✧ Ausnahmewörterbuch<br />
➙ \hypenation{erb-lich Ur-instinkt statt-fin-den}<br />
✧ lokale Trennhilfen<br />
➙ \- Trennung ausschliesslich hier<br />
➙ "- optionale Trennposition<br />
➙ "ff Trennung als ff-f<br />
✧ Trennungsvermeidung<br />
➙ \begin{sloppypar} ... \end{sloppypar} lockert Abstände<br />
➙ \spaceskip überschreibt den Zwischenwortabstand<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
21<br />
formatierung<br />
22<br />
formatierung
✧ Korrektheit<br />
Bewertung von Trennalgorithmen<br />
➙ Anteil der korrekten unter allen gefundenen Trennstellen<br />
➙ verursacht Benutzerkorrekturen<br />
✧ Vollständigkeit<br />
➙ Prozentsatz der gefundenen unter allen korrekten Trennstellen<br />
➙ Einfluss auf die Qualität <strong>des</strong> Zeilenumbruchs<br />
✧ Sprachunabhängigkeit<br />
➙ konzeptionell auf verschiedene Sprachen anwendbar<br />
➙ z.B. aus Trennungswörterbuch ableitbar<br />
➙ relevant für Mehrsprachenanwendung, Software<strong>des</strong>ign<br />
✧ Effizienz<br />
➙ Speicherplatz und Ausführungsgeschwindigkeit<br />
✧ Wörterbuchansatz<br />
klaus simon<br />
Trennungskonzepte<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
➙ Wortabgleich im Wörterbuch mit Trennpositionen<br />
➙ optimal bezüglich Korrektheit u. Vollständigkeit<br />
➙ hoher Speicherplatzbedarf (Mehrsprachigkeit)<br />
➙ hohe Laufzeiteffizienz<br />
➙ Ausgangspunkt anderer Ansätze<br />
✧ Times-Magazine-Konzept<br />
➙ Betrachtung der Buchstabensequenz b1, b2, b3, b4<br />
➙ Trennwahrscheinlichkeiten: Pn(b1, b2), Pz(b2, b3), Pv(b3, b4)<br />
➙ falls Pn · Pz · Pv ≥ S (Schwellwert) ⇒ Trennung b1b2 − b3b4<br />
➙ Verhältnis Korrektheit-Vollständigkeit durch Wahl von S<br />
➙ berechnenbar aus Wörterbuch<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
23<br />
formatierung<br />
24<br />
formatierung<br />
116<br />
wobei der Duden jedoch bemerkt, dass diese Trennung vermieden<br />
werden sollte. Es sei andererseits darauf hingewiesen, dass die<br />
Trennung der Grundform<br />
In-stinkt<br />
völlig unproblematisch ist. Da man heute nicht erwartet, dass ein<br />
Computer zwischen den vorangegangenen Versionen unterscheiden<br />
bzw. sie sogar semantisch korrekt anwenden kann, enthalten heutige<br />
Satzsysteme die Möglichkeit der direkten Benutzerintervention<br />
zur Steuerung <strong>des</strong> automatischen Worttrennungsprozess. Üblich ist<br />
die explizite Kennzeichnung von Trennpositionen — in TEX z.B. \–<br />
— sowie die Vermeidung falscher Trennungen durch das Anlegen<br />
von Ausnahmewörterbüchern.<br />
Die vorgängigen Aspekte lassen nicht erwarten, dass gegenwärtige<br />
Trennalgorithmen fehlerfrei arbeiten. Bei der Bewertung entsprechender<br />
Konzepte sollte dies explizit berücksichtigt werden.<br />
Korrektheit. Darunter versteht man den Anteil aller korrekten Lösungen<br />
relativ zu allen gefundenen Trennungen. Dieses Kriterium<br />
ist für den Benutzer besonders relevant, da es damit<br />
korreliert, wie häufig der Benutzer manuell die Compterlösung<br />
nachbessern muss. So muss man bei einer Korrektrate von 95 %<br />
und 10 Trennungen pro Seite einen Trennfehler auf jeder zweiten<br />
Seite erwarten, was z.B. bei längeren Texten wie z.B. einem<br />
Buch schon zu einer Belastung wird.<br />
Vollständigkeit steht für den Prozentsatz der gefundenen Lösungen<br />
unter allen korrekten Trennpositionen. Je höher dieser Anteil<br />
ist, <strong>des</strong>to einfacher ist der Zeilenumbruch.<br />
Sprachunabhängigkeit. Konzeptionell sollte der Trennalgorithmus<br />
auf verschiedene Sprachen anwendbar sein. Gerade im wissenschaftlichen<br />
Bereich hat sich ein Bedarf für Mehrsprachigkeit<br />
herausgebildet. In einem solchen Kontext ist es wünschenswert,<br />
dass das Trennungskonzept, wie in LATEX, direkt aus einem<br />
Wörterbuch ableitbar ist. Nicht zuletzt wird das Software<strong>des</strong>ign<br />
durch Sprachunabhängigkeit unterstützt.
Eezienz ist ein allgemeines Ziel der Softwarentwicklung. Hier geht<br />
es zum einen um den benötigten Speicherplatz, vor allem im Arbeitsspeicher<br />
<strong>des</strong> Computers und zum anderen um die Laufzeiten<br />
<strong>des</strong> Layoutprogramms. Meist konkurrieren die beiden Zielkomponenten<br />
miteinander. Konkret ist dieser Punkt mit dem<br />
Einsatz von Wörterbücher als Lösungsansatz verknüpft.<br />
Im Folgenden werden wir auf die drei bekanntesten Verfahren etwas<br />
näher eingehen. Dabei beschränken wir uns auf die Grundideen.<br />
Die zu Grunde liegende Algorithmik ist durchaus recht anspruchsvoll<br />
und damit nicht im Fokus der Vorlesung.<br />
Das Times-Magazine-Konzept betrachtet eine Buchstabensequenz<br />
b1, b2, b3 und b4. Aus einem Wörterbuch werden im Voraus die<br />
Wahrscheinlichkeiten<br />
Pv(x1, x2), Pz(x1, x2), Pn(x1, x2)<br />
bestimmt, dass vor (Pv), zwischen (Pz) bzw. nach (Pn) der Buchstabenfolge<br />
x1, x2 getrennt werden darf. Falls dann<br />
Pv(b1, b2) · Pz(b1, b2) · Pn(b1, b2) ≥ S<br />
gilt, dann wird b2-b3 als mögliche Trennposition gekennzeichnet,<br />
sonst wird nicht getrennt. Ein hoher Schwellenwert S bevorzugt<br />
die Vollständigkeit gegenüber der Korrektheit. Das Verfahren<br />
ist sprachunabhängig, da unmittelbar aus einem Wörterbruch<br />
berechenbar. Solche Ansätze sind heute im Kontext<br />
von statistischen Textanalysen bzw. Sprachübersetzungen populär.<br />
Wörterbruchansatz. Die naheliegenste Lösung ist das Nachschlagen<br />
<strong>des</strong> zu trennenden Wortes in einem Wörterbuch, in dem alle<br />
korrekten Trennstellen vermerkt sind, z.B. im Duden. Sie ist<br />
einfach, schnell ausführbar und bietet darüber hinaus auch beste<br />
Korrektheit und Vollständigkeit. Der entscheidende Nachteil<br />
ist der hohe Speicherplatzbedarf, der je nach Sprache im Bereich<br />
mehrerer Megabytes liegen kann. In den 80er Jahren als<br />
117<br />
Trennstellen im Duden<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
Auszug aus dehypht.tex (deutsche Trennmuster)<br />
\patterns{%<br />
.aa6l .ab3a4s .ab3ei .abi2 .ab3it .ab1l .ab1r .ab3u .ad3o4r .alti6<br />
.ana3c .an5alg .an1e .ang8s .an1s .ap1p .ar6sc .ar6ta .ar6tei .as2z<br />
.au2f1 .au2s3 .be5erb .be3na .ber6t5r .bie6r5 .bim6s5t .brot3 .bru6s<br />
.ch6 .che6f5 .da8c .da2r .dar5in .dar5u .den6ka .de5r6en .<strong>des</strong>6pe<br />
.de8spo .de3sz .dia3s4 .dien4 .dy2s1 .ehren5 .eine6 .ei6n5eh .ei8nen<br />
.ein5sa .en6der .en6d5r .en3k4 .en8ta8 .en8tei .en4t3r .epo1 .er6ban<br />
.er6b5ei .er6bla .er6d5um .er3ei .er5er .er3in .er3o4b .erwi5s .es1p<br />
.es8t .ex1a2 .ex3em .fal6sc .fe6st5a .flu4g3 .furch8 .ga6ner .ge3n4a<br />
.her6za .he5x .hin3 .hir8sc .ho4c .hu3sa .hy5o .ibe5 .ima6ge .in1<br />
.obe8ri .ob1l .obs2 .ob6st5e .or3c .ort6s5e .ost3a .oste8r .pe4re<br />
.tages5 .tan6kl .ta8th .te6e .te8str .to6der .to8nin .to6we .um1<br />
aal5e aa6r5a a5arti aa2s1t aat2s 6aba ab3art 1abdr 6abel aben6dr<br />
1abn ab1ra ab1re 5a6brec ab1ro ab1s ab8sk abs2z 3abtei ab1ur 1abw<br />
af1au a6fentl a2f1ex af1fr af5rau af1re 1afri af6tent af6tra aft5re<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
25<br />
formatierung<br />
26<br />
formatierung
Konzept von Liang (T E X-L AT E X)<br />
✧ Inclusion-Exclusion-Ansatz<br />
➙ iterative Kennzeichnung und Ausschluss von Trennpositionen<br />
✧ Aus Wörterbuch generiert: Mustersammlung<br />
➙ Mustervergleich zur Bewertung von poteniellen Trennstellen<br />
✛ positive Kennzeichnung durch ungerade Prioritätszahl<br />
✛ Ausschluss durch gerade Prioritätszahl<br />
➙ Positionsbewertung gemäss maximaler Priorität<br />
b e i n h a l t e n<br />
1 b e<br />
n 1 h<br />
2 l 1 t<br />
l 5 t e n<br />
1 b e i n 1 h a 2 l 5 t e n<br />
Seitenumbruch<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
✧ analog z. Zeilenumbruch, erschwert durch typographische Regeln<br />
➙ Gleitobjekte (Bilder, Graphiken), Fussnoten, Spalten<br />
➙ etablierte Design-Regeln<br />
✛ Einhaltung von Numerierungsreihenfolge (Gleitobjekte)<br />
✛ Sichtbarkeit von Gleitobjekten vom ersten Verweis<br />
✛ minimale Zeilen pro Paragraph und Seite min<strong>des</strong>tens 2<br />
➣ Schusterjunge: vereinzelte Zeile am Seitenende<br />
➣ Hurenkind: Vereinzelte Zeile am Seitenanfang<br />
✛ Kapitelanfänge nur am Anfang einer ungeraden Seite<br />
✧ automatischer Seitenumbruch nicht so erfolgreich<br />
➙ komplizierte Texte erfordern häufig manuelle Eingriffe<br />
➙ Stärke von interaktiven Systemen<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
27<br />
formatierung<br />
28<br />
formatierung<br />
118<br />
die heutigen Desktop Publishing Systeme konzipiert wurden,<br />
war dies ein Killerkriterium. Da sich seit dieser Zeit die verfüegbaren<br />
Arbeitsspeicherbereiche grob gerechnet vertausendfacht<br />
haben, ist dieses Argument jedoch nicht mehr so relevant,<br />
auch wenn die Forderung nach Mehrsprachigkeit die Situation<br />
andererseits wieder verschärft. Andere Konzepte benutzten<br />
Wörterbücher häufig als Zwischenschritt und versuchen das<br />
enthaltene Wissen in anderer Form zu komprimieren.<br />
Das Liang-Verfahren ist als Trennkonzept von TEX bekannt geworden.<br />
Es handelt sich um eine Variante <strong>des</strong> Inclusion-Exclusion-<br />
Prinzips, wie es in der Kombinatorik oft angewendet wird. Das<br />
zu trennende Wort W wird iterativ mit einer vorbereiteten Mustermenge<br />
M1,..., Ms<br />
verglichen. Den Zwischenräumen zwischen den Musterbuchstaben<br />
sind Zahlen zwischen 0 und 9 zugeordnet. Sie drücken aus<br />
mit welcher Priorität dieser Zwischenraum als Trennposition<br />
in Frage kommt (ungerader Wert) oder als solche ausgeschlossen<br />
werden muss (gerader Wert). Kommt nun ein Muster Mi<br />
als Teilwert von W vor, dann werden die Bewertungen der Zwischenräume<br />
auf W übertragen, siehe Folie 27. Da verschiedene<br />
Muster zu der Bewertung eines speziellen Zwischenraumes<br />
von W Beiträge liefern können, erhält man im Allgemeinen eine<br />
Menge sich widersprechender Bewertungen. Unter diesen<br />
wird derjenige mit der grössten Priorität ausgewählt. Der Liang-Ansatz<br />
[8] hat sich generell bewährt, auch wenn er im<br />
Deutschen nicht ganz so gut funktioniert wie im Englischen. Er<br />
scheint bezüglich Korrektheit und Vollständigkeit dem Times-<br />
Magazine-Verfahren leicht aber nicht signifikant überlegen zu<br />
sein.<br />
• Im Englischen benötigt man gegen 4500 Muster,<br />
• im Deutschen etwa 6000.<br />
Die Performance ist ausreichend, um auch grössere Texte wie<br />
Bücher in Sekundenbereich zu setzen.
5.3 Seitenumbruch<br />
Konzeptionell ist der Seitenumbruch mit dem Zeilenumbruch vergleichbar.<br />
Anstatt die Kerben nach oder innerhalb von Worten zu<br />
definieren, markieren nun die Zeilen die möglichen Umbruchstellen.<br />
Die Möglichkeiten für Streckungen bzw. Stauchungen können<br />
durch einen flexiblen Durchschuss bzw. vertikale Zwischenräume<br />
geschaffen werden.<br />
Trotz dieser Analogie ist der Seitenumbruch wesentlich anspruchsvoller<br />
als der Zeilenumbruch. Dies liegt primär an einer Reihe<br />
von zusätzlichen Restriktionen 9 denen der Seitenumbruch unterliegt.<br />
An erster Stelle sind hier Gleitobjekte wie Bilder oder Graphiken<br />
sowie Fussnoten zu nennen. Diese Objekte benötigen zusätzlichen<br />
Platz und sind oftmals sperrig. Zu einer Herausforderung für das<br />
Layout werden sie allerdings erst durch zusätzliche typographische<br />
Konventionen bezüglich ihrer Verwendung. So erwartet man, dass<br />
Fussnoten auf der Seite platziert werden, wo sie definiert sind. Ähnliches<br />
gilt für nummerierte Figuren, die vom Ort ihrer ersten Zitation<br />
sichtbar sein sollten. Ferner muss die Nummerierungsreihenfolge<br />
der Figuren eingehalten werden. Eine andere Regel fordert,<br />
dass Kapitel nur am Seitenanfang einer ungeraden Seite beginnen<br />
dürfen.<br />
Auch für die Platzierung von Paragraphen existieren Regeln, z.B.<br />
sollte eine einzelne Zeile eines Paragraphen nicht alleine auf einer<br />
Seite platziert werden. In der Sprache der Typographie bezeichnet<br />
man eine Einzelzeile am Seitenende als Schusterjunge, wohingegen<br />
ein Hurenkind eine vereinzelte Zeile am Seitenanfang meint. Bei<strong>des</strong><br />
sollte vermieden werden.<br />
Diese zusätzlichen Restriktionen lassen sich bei komplizierten<br />
Texten oftmals nicht ohne menschlichen Eingriff lösen. Hier schlägt<br />
dann die Stunde der interaktiven Layoutsysteme, die für die direkte<br />
Manipuation <strong>des</strong> Layouts ausgelegt sind. Bei automatischen Systemen<br />
wie TEX-LATEX braucht es eine gewisse Erfahrung um die<br />
9 siehe z.B. Bollwage [1] oder Böhringer et al. [6]<br />
119<br />
mit<br />
ϕ = 1 + √ 5<br />
2<br />
Beispiel Hurenkind<br />
= 1.61803 . . .<br />
als allgemein bevorzugtes Verhältnis identifiziert. Manche Gestalter<br />
sehen <strong>des</strong>halb im Goldenen Schnitt ein Universalgesetz der Ästhetik.<br />
Aus der Sicht der Typographie erscheint der Goldene Schnitt<br />
als ein Ideal, an dem man sich durchaus orientieren kann aber<br />
nicht unbedingt muss. Seitenverhältnisse in der Nähe <strong>des</strong> Ideals,<br />
z.B. 5/8 = 0.625 oder 1 / √ 2 = 0.7071 wirken keinesfalls unharmonisch<br />
und haben durchaus ihre Anwendungen sowohl in der traditionellen<br />
wie auch in modernen Layout-Gestaltung.<br />
Als nächstes stellt sich die Frage: Hoch- oder Querformat? Die<br />
klassische Typographie war auf den Buchdruck und damit auf das<br />
Hochformat ausgerichtet. Im Kontext von Satzspiegeln werden wir<br />
im weiteren Verlauf dieses Abschnitts genauer darauf eingehen.<br />
Das Querformat mag bei einem Buch als suboptimal bezüglich<br />
<strong>des</strong> Leseprozesses empfunden werden. Andererseits hat sich das<br />
Querformat als Präsentationsform im Kontext von Overheadfolien<br />
bzw. PC-Monitoren durchgesetzt. 16 Für nachgeordnete Publikationen<br />
wie Handouts oder sonstige Ausarbeitungen ist das Querformat<br />
dann die natürliche Lösung. In Folge der zunehmenden Bedeutung<br />
der Präsentationstechniken wird man wohl auch in Typograhie dem<br />
Querformats eine grössere Aufmerksamkeit entgegen bringen müssen.<br />
Die traditionelle Papierherstellung benutzte beim Papierschöpfen17<br />
Rahmen im Verhältnis 3/4, was durch Halbierung der Langseite<br />
zu 2/3 führte. Die nächste Halbierung führte zurück zum Verhältnis<br />
3/4. Die Fläche <strong>des</strong> Schöpfrahmens war nicht festgelegt<br />
und richtete sich nach der Handhabbarkeit während eines langen<br />
Arbeitstages. Diese handwerklichen Verhältnisse mit einer relativ<br />
freien Wahl <strong>des</strong> Formats haben sich im professionellen Akzidenz-<br />
16 Durch die benötigten grossen Schriftgrade ≥ 24 pt bietet das Hochformat keine<br />
ausreichenden Zeilenlängen.<br />
17 siehe Abschnitt 2.2.1, Seite 9<br />
117<br />
druck 18 zumin<strong>des</strong>t teilweise erhalten.<br />
Die Möglichkeit dazu eröffnen die vielfältigen Weiterverarbeitungstechniken<br />
der Druckindustrie, d.h. wenn ein gewünschtes Format<br />
nicht vorhanden ist, kann es durch Beschneidung <strong>des</strong> Druckbogens<br />
erzeugt werden. Ein Buchautor hat in diesem Fall lediglich an<br />
jeder Aussenkante seines Seitenentwurfs eine Toleranz von 3 mm, 19<br />
den Beschnitt, vorzusehen. Restriktionen ergeben sich hier weniger<br />
durch die Reproduktionstechnik als durch organisatorische Vorgaben<br />
seitens <strong>des</strong> Verlages.<br />
Dem Geist der Industrialisierung entsprechend sind die heute<br />
hauptsächlich verwendeten Papierformate standardisiert. Das Paradigma<br />
«Standardisierung» ist für die effiziente Organisation von<br />
anonymen Massenmärkten unabdingbar. So muss z.B. in der Bürokommunikation<br />
das Papierformat nicht nur in den Laserdrucker<br />
passen, sondern auch in den Aktenordner passen, welcher seinerseits<br />
auf den Aktenschrank abgestimmt sein sollte. Ferner sollte<br />
das Papierformat bei der Post keine Probleme verursachen, d.h. es<br />
sollte zu einem Standardbrief faltbar sein. Diesem durchgehenden<br />
gesellschaftlichen Bedarf an Standardisierung kann sich auch die<br />
Druckindustrie im Allgemeinen nicht entziehen, schliesslich wäre<br />
es nicht ungewöhnlich einen Werbeprospekt in einem Aktenordner<br />
aufzubewahren.<br />
Der international wichtigste Papierstandard ist das deutsche<br />
DIN-Format (DIN 476). Es wurde als DIN EN ISO 16 in nahezu alle<br />
Länder übernommen. Zu den wenigen länderspezifischen Papierformaten,<br />
die bis anhin überlebt haben, zählt die Grösse 8.5 × 11 inch<br />
(US Letter), das in den USA und in Kanada hauptsächlich benutzte<br />
Briefformat.<br />
Das DIN-System geht auf eine Idee <strong>des</strong> Göttinger Physikprofessors<br />
Georg Christoph Lichtenberg aus dem Jahre 1796 zurück. Er<br />
schlug ein Rechteckformat vor, das bei Halbierung der Langseite<br />
das Seitenverhältnis unverändert lässt, was mathematisch bedeu-<br />
18 im Gegensatz zum Office-Bereich, der weitgehend standardisiert ist<br />
19 Offsetdruck<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
29<br />
formatierung
L AT E X-Hilfen zum Seitenumbruch<br />
✧ \newpage identisch zu \vfill\eject erzwingt Seitenende<br />
✧ \pagebreak[num], \nopagebreak[num], num = 0,1,2,3,4<br />
➙ Empfehlung für oder gegen ein Zeilenende mit Priorität num<br />
✧ \clearpage wie \newpage aber mit Ausgabe von Gleitobjekten<br />
✧ \enlargethispage{Zusatzhöhe}, Zusatzhöhe z.B. \basellineskip<br />
➙ vergrössert die aktuelle Seitenlänge (auch negativ)<br />
➙ *-Form setzt dehnbare Abstände auf Minimalwerte<br />
✧ \begin{samepage} ... \end{samepage}<br />
➙ Seitenumbrüche nur zwischen Paragraphen<br />
✧ \renewcommand{\baselinestrech}{faktor}<br />
➙ ändert den Zeilenabstand<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
30<br />
formatierung<br />
120<br />
durchaus vorhandenen Möglichkeiten zum manuellen Eingriff auch<br />
nutzen zu können. Im wissenschaftlichen Bereich, der Lehre oder<br />
der Dokumentation lohnt sich der Aufwand oftmals trotzdem, denn<br />
die automatische Layoutgenerierung sichert die leichte Pflegbarkeit<br />
der Texte über längere Zeiträume bzw. Versionen hinweg.<br />
5.4 Literaturverzeichnis<br />
[1] M. Bollwage. Typographie kompakt. Springer, 2005.<br />
[2] A. Brüggemann-Klein. Einführung in die Dokumentenverarbeitung.<br />
Teubner, Stuttgart, 1989.<br />
[3] D. Knuth and M. Plass. Breaking Paragraphs Into Lines. Software<br />
— Practice and Experience, 11:1981, 1119–1184.<br />
[4] S. Even. Graph Algorithms. Computer Science Press, 1979.<br />
[5] T. Hu. Combinatorial Algorithms. Addision-Wesley, 1982.<br />
[6] J. Böhringer, P. Bühler, und P. Schlaich. Kompendium der Mediengestaltung<br />
für Digital- und Printmedien. Springer, 2006.<br />
[7] D. Knuth. Digital Typography. University of Chicago Press,<br />
1999.<br />
[8] F. Liang. Word Hyphenation by Computer. PhD-Thesis, Department<br />
of Computer Science, Stanford University, August 1993.<br />
[9] R. Wilhelm und R. Heckmann. Grundlagen der Dokumentenverarbeitung.<br />
Addison-Wesley, 1996.<br />
[10] K. Simon. Effiziente Algorithmen für perfekte Graphen. Teubner,<br />
Stuttgart, 1992.<br />
[11] R. Tarjan. Depth-First Search and Linear Graph Algorithms.<br />
CBMS-NSF Regional Conference Series in Applied Mathematics,<br />
1983.
K a p i t e l<br />
6<br />
Computerfonts<br />
Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Realisierung von Fonts in<br />
modernen Computersystemen, vor allem mit den heute dominanten<br />
Konzepten Type1 — bekannt aus PostScript — bzw. TrueType,<br />
die entsprechende Antwort von Apple und Microsoft. Obwohl beide<br />
eng mit dem Desktop Publishing verbunden sind, so haben die zu<br />
Grunde liegenden Konzepte doch wesentlich ältere Wurzeln wie den<br />
Fotosatz der 60er bzw. 70er Jahre, NC-Werkzeugmaschinen oder<br />
frühe Plotter. 1<br />
6.1 Text in digitalen Ausgabesystemen<br />
In den Anfangsjahren der Informatik beherrschten zeichenorientierte<br />
Geräte die Ausgabemedien. Die Ausgabefläche wird dabei in<br />
gleichgrosse rechteckige Kästchen aufgeteilt, die Glyphen aus einem<br />
beschränkten Zeichensatz aufnehmen können. Typisch hierfür<br />
sind Typenraddrucker und Typewriter-Schriften. Auch die Bildschirmdarstellungen<br />
im Terminal-Stil, die bis Mitte der 80er Jahre<br />
vorherrschend waren, fallen in diese Kategorie.<br />
Die heute üblichen graphikfähigen Ausgabegeräte beruhen auf<br />
einem zweidimensionalen Raster, einem rechtwinkligen abstrakten<br />
Gitter, an <strong>des</strong>sen Kreuzungen Bildpunkte frei platziert werden können.<br />
Der Bildpunkt kann dabei ein Druckpunkt (Dot) sein oder aus<br />
einem Pixel (Picture Element) mit einer abgestuften Helligkeitsbzw.<br />
Farbdarstellung bestehen. Die Feinheit <strong>des</strong> Gitters bezeichnet<br />
man als die <strong>Auflösung</strong> <strong>des</strong> Ausgabegerätes. Sie wird häufig in<br />
Druckpunkten pro Zoll (dots per inch = dpi) bzw. Pixel per inch<br />
1 z.B. den Aristo-Plotter, der 1959 von Konrad Zuse vorgestellt wurde<br />
121<br />
Text in digitalen Ausgabesytemen<br />
✧ basiert heute auf digitalen Rastern<br />
➙ rechtwinkliges abstraktes 2D-Gitter mit gegebener <strong>Auflösung</strong><br />
➙ Realisierung der Bildpunkte auf den Gitterkreuzungen<br />
✧ komplexe Layouts mittels Vektorgraphiksystemen<br />
➙ basierend auf einer interpretierten Graphiksprache<br />
➙ Objektbeschreibung durch mathematische Kurven<br />
➙ Rasterung: Übertragung der Kurvenbeschreibung auf das Gitter<br />
✧ Text ist Teil <strong>des</strong> Graphiksystems (Glyphen als Bilder)<br />
➙ meist mit optimierter Speicherung<br />
✧ Probleme<br />
➙ unerwünschte Quantisierungseffekte bei der Rasterung (Hinting)<br />
➙ Fontspeicherung (Drucker, Computer, Layout)<br />
➙ Zeichenkodierung (Unicode), Datenformate<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
1<br />
computerfonts
Glyphenrasterung<br />
Bitmap<br />
AOutline Gitterauflösung<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
2<br />
computerfonts<br />
122<br />
(ppi) angegeben. Typische Laserdrucker im Bürobereich haben eine<br />
<strong>Auflösung</strong> von ca. 600 bis 1200 dpi, wohingegen für Bildschirme<br />
Werte von 70 bis 200 ppi üblich sind. Diese Diskrepanz zwischen<br />
Drucker- und Bildschirmauflösungen ist bis anhin eines der grössten<br />
Probleme im Bereich der Computerfonts, da die ursprünglich<br />
für den Druck entworfenen Schriften nur mit Qualitätseinbussen<br />
auf einem Monitor dargestellt werden können.<br />
Um nun ein komplexes Layout auf einem Raster realisieren zu<br />
können, benötigt man eine entsprechende Graphiksoftware. In den<br />
populären Vektorgraphiksystemen erfolgt die Objektbeschreibung<br />
durch mathematische Kurven, die mittels einer Programmiersprache<br />
spezifiziert werden. Die Überführung in eine Punktdarstellung<br />
für das jeweilige Raster erfolgt typischerweise durch einen Interpreter.<br />
2 Der Vorgang wird entsprechend als Rasterung bezeichnet. Man<br />
beachte, dass die dabei unvermeidbar auftretenden Quantisierungsfehler<br />
mit abnehmender Geräteauflösung zunehmen.<br />
Die uns in diesem Kapitel hauptsächlich interessierende Textdarstellung<br />
ist heutzutage als Teil eines Graphiksystems realisiert. Auf<br />
Grund ihrer besonderen Bedeutung ist sie jedoch oftmals speziell<br />
kodiert zusammen mit einer optimierten Rasterung.<br />
Durch dieses Szenario sind die zentralen Probleme im Umgang<br />
mit Computerfonts vorgegeben. Da sind zunächst die Rundungsfehler<br />
bei geringen Geräteauflösungen. Sie führen zu speziellen Korrekturverfahren,<br />
genannt Hinting. Das zweite relevante Problem<br />
ergibt sich aus dem Speicherort der Fonts. Die verschiedenen Ansätze<br />
Drucker, Computer oder Dokument haben weitgehende Konsequenzen<br />
auf die Organisation der Arbeitsabläufe innerhalb eines<br />
Computers und sind bis heute Gegenstand von Auseinandersetzungen<br />
innerhalb der IT-Branche. Die letzte Problemgruppe bilden Zeichensatzkodierungen,<br />
die im Zeitalter von offenen Computerstandards<br />
eine grosse praktische Bedeutung haben.<br />
2 In der Informatik unterscheidet man grundsätzlich zwischen interpretierten<br />
Programmiersprachen wie BASIC und übersetzten Sprachen wie C++. Die erstgenannten<br />
sind im Allgemeinen funktional mächtiger und einfacher zu realisieren.<br />
Der Preis dafür ist jedoch eine geringere Laufzeiteezienz.
6.2 Bitmaps<br />
Da Glyphen in einem Ausgabegerät bildhafte Zeichen darstellen sollen,<br />
ist es naheliegend, die auf dem Geräteraster zu realisierenden<br />
Teilbilder unmittelbar zur Definition <strong>des</strong> Computerfonts zu benutzen.<br />
Entsprechend nennt man Fonts, die Glyphen als vordefinierte<br />
schwarz-weisse Rasterbilder spezifizieren, Bitmap-Fonts.<br />
Da diese Schriften für eine feste Schriftgrösse bzw. <strong>Auflösung</strong> optimiert<br />
sind, ist das graphische Resultat in der vorgesehenen Anwendung<br />
von hoher Qualität. Ein typisches Beispiel ist das Original<br />
TEX-System. Das Konzept eignet sich besonders bei festinstallierten<br />
Fonts wie z.B. in einem Laserdrucker, mit statischen Anforderungen<br />
bezüglich Schriftgrösse und <strong>Auflösung</strong>. 3 Speziell als Screenfonts in<br />
Betriebssystemen und im Kontext von embedded Systems werden<br />
sie auch heute noch eingesetzt.<br />
Bitmaps haben einige Vorteile. Zunächst sind sie einfach und effizient<br />
in der Anwendung, da sie ohne weitere Berechnungen direkt<br />
ins Geräteraster kopiert werden können. Dadurch entfallen die bei<br />
Vektorgraphiken unvermeidbaren Quantisierungseffekte. Da letztere<br />
verstärkt bei kleinen Geräteauflösungen vorkommen, stellen<br />
Bitmaps in diesem Bereich bis heute die qualitativ bessere Lösung<br />
dar.<br />
Dagegen steht der gewichtige Nachteil der nicht vorhandenen<br />
Skalierbarkeit. Für je<strong>des</strong> benutzte Verhältnis von Geräteauflösung<br />
und Schriftgrösse wird ein eigener Bitmap-Font benötigt. Technisch<br />
muss das keine Limitierung sein, wie das TEX-System zeigt. Das<br />
zugehörige Metafont-Programm kann jeden verlangten Bitmap-Font<br />
on-the-fly erzeugen. Aber der dafür nötige Speicherplatz wächst<br />
trotz effizienter Komprimierungsverfahren für Bitmaps schnell an<br />
und dies kann für einen Drucker oder das Betriebssystem zu einem<br />
Problem werden.<br />
3 Der historische Erfolg der Schreibmaschine zeigt beispielsweise, dass man<br />
einen Grossteil der Publikationsbedürfnisse mit einigen wenigen Schriftgrössen<br />
abdecken kann.<br />
123<br />
Bitmap-Fonts<br />
✧ Glyphen als schwarz-weisse Rasterbilder<br />
➙ optimiert für eine feste Schriftgrösse und <strong>Auflösung</strong><br />
✧ in Computersytemen vor dem Desktop Publishing vorherrschend<br />
✧ bis heute eingesetzt: OS-Screenfonts oder embedded systems<br />
✧ Vorteile<br />
➙ schnell und einfach<br />
➙ keine Quantisierungseffekte (da keine Rasterung)<br />
✧ Nachteile<br />
➙ nicht skalierbar<br />
➙ hoher Speicherplatz bei variablen Schriftgössen bzw. <strong>Auflösung</strong>en<br />
✛ trotz guter Komprimierbarkeit von Bitmap-Darstellungen<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
3<br />
computerfonts
Outline-Fonts<br />
✧ Glyphen-Repräsentation durch Vektorgraphik<br />
➙ mathematische Beschreibung der Umrisslinie<br />
✧ Vorteile<br />
➙ mathematisch transformierbar, speziell skalierbar<br />
➙ Speicherplatzbedarf unabhängig von Schriftvariation<br />
✧ Nachteile<br />
➙ zusätzlicher Rechenaufwand durch on-the-fly-Rasterung<br />
➙ grössere Quantisierungsfehler bei geringen <strong>Auflösung</strong>en<br />
➙ nur approximativer Ersatz für traditionelle Schriftschnitte (6pt=10pt)<br />
✧ Teilklasse Stroke-based fonts (komplexe Vektorgraphik)<br />
➙ beruhend auf attributierten Kurven (z.B. in Illustrator: Pinsel)<br />
✧ vor allem für asiatische Fonts, aber auch in Metafont (T E X-L AT E X)<br />
✧ Wurzeln in Plotter-Technik<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
4<br />
computerfonts<br />
124<br />
Bei in Dokumenten eingebetteten Fonts, wie beispielsweise PDF-<br />
Files, versagt schliesslich auch der Metafont-Ansatz, da hier der Erzeuger<br />
eines Dokumentes in der Regel nicht der einzige Nutzer ist,<br />
so dass zum Zeitpunkt der Dokumenterstellung nicht alle später benötigten<br />
<strong>Auflösung</strong>en bereitgestellt werden können. 4<br />
Die Problematik wird im Desktop Publishing noch verschärft, da<br />
man hier unter Skalierung auch das Drehen oder die freie Verformungen<br />
der Glyphen versteht. Diese Anwendungen sind speziell in<br />
der Werbung üblich.<br />
6.3 Outline-Schriften<br />
Um das Problem der mangelnden Skalierbarkeit bei Bitmap-Fonts<br />
zu lösen, muss man die Umrisslinien der Glyphen in Form von<br />
mathematischen Kurvenstücken beschreiben. Die Glyphen entsprechen<br />
dann erweiterten Polygonzügen, wobei zwei aufeinanderfolgende<br />
Ecken durch Geraden, Kreise, Splines oder Bézier-Kurven<br />
verbunden werden. Die üblichen Graphiksprachen wie PostScript<br />
oder SVG erlauben die Spezifikation solcher Objekte und übernehmen<br />
die approximative Punktdarstellung eines Polygonzuges zur<br />
Visualisierung im Geräteraster.<br />
Da mathematische Kurven als abstrakte Objekte beliebig transformierbar<br />
sind, kann man sie offenbar auch skalieren. Als Folge<br />
ergibt sich zudem ein geringerer Speicherbedarf, da jede Schriftgrösse<br />
dieselbe symbolische Beschreibung benutzt und symbolische<br />
Beschreibungen sind im Allgemeinen sehr effizient.<br />
Aber es gibt auch Nachteile. Zunächst der zusätzliche Rechenaufwand<br />
zur Erzeugung der Punktdarstellung, welcher allerdings<br />
im Normalfall nicht als gravierend betrachtet wird. Die Quantisierungsfehler,<br />
die bei der Rasterung der Vektorgraphik zwangsläufig<br />
auftreten, können jedoch nur bei einer ausreichenden Geräteauflösung<br />
ignoriert werden. Bei Bildschirmen mit traditionell geringen<br />
4 Es ist sicher kein Zufall, dass mit der Etablierung von PDF als Dokumentenstandard<br />
Type1 auch in der TEX-Welt populär wurde.
<strong>Auflösung</strong>en nehmen die Rundungsfehler stark zu und können zu<br />
deutlich sichtbaren Artefakten führen.<br />
Nimmt man an, dass die H-Höhe bei einem 10 pt-Font etwa 7 pt<br />
beträgt, dann wird ein Grossbuchstabe bei einer Geräteauflösung<br />
von 600 dpi mit ca. 58 Pixelzeilen dargestellt. Bei der typischen Bildschirmauflösung<br />
von 72 dpi reduziert sich dies auf 7 Pixelzeilen. Es<br />
ist klar, dass eine klassische Antiquaschrift dann nicht mehr vernünftig<br />
realisiert werden kann.<br />
Zur Minimierung dieser Probleme verfügen die beiden vorherrschenden<br />
Fontsysteme Type1 und TrueType über sogenannte Hinting-Konzepte,<br />
die bei geringen <strong>Auflösung</strong>en eine optimierte Rasterung<br />
eines Glyphen und insbesondere eine von der Textposition unabhängige<br />
Realsierung garantieren sollen.<br />
Die Outline-Fonts besitzen eine Unterklasse, die Stroke-based<br />
fonts, welche zwar auch in die Kategorie Vektorgraphik fallen, aber<br />
nicht als gefüllte Polygonzüge zu verstehen sind. Statt<strong>des</strong>sen muss<br />
man sie sich als eine Menge von Linien vorstellen, wobei Linien allerdings<br />
keine Objekte der Dicke 0 sind, sondern als ausgedehnte<br />
Objekte verstanden werden, etwa als das Resultat eines Pinselstriches.<br />
Typischerweise ist die graphische Realisierung einer solchen<br />
Linie über zugeordnete Attribute steuerbar, vergleichbar den Konturattributen<br />
aus Illustrator. Die Technik stammt wohl ursprünglich<br />
von Plottern, die notgedrungen Textdarstellungen durch Linienzeichnungen<br />
realisieren mussten. Da diese Technik asiatischen<br />
Bilderschriften sehr entgegen kommt, sind Stroke-based fonts in<br />
Asien sehr populär. Aber das ist nicht exklusiv. Auch das Fontgenerierungssystem<br />
Metafont benutzt eine Fontspezifikation basierend<br />
auf attributierten Linien.<br />
6.4 Fonts in PostScript- bzw. PDF-Druckern<br />
In modernen Betriebssystemen kommuniziert ein Anwendungsprogramm<br />
in der Regel nicht mehr direkt mit einem Drucker, sondern<br />
benutzt dafür die Dienste eines Druckertreibers bzw. diejenigen eines<br />
Spoolers. Dabei passt der Druckertreiber die Druckdaten an die<br />
125<br />
Hinting (links ohne hinting in 72 und 144 dpi gerastert)<br />
Hamburgos Hamburgos<br />
Hamburgers Hamburgers<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
5<br />
computerfonts
Fonts in PostScript-Drucker<br />
✧ PostScript enthält nur Verweise auf Fonts<br />
➙ Druckertreiber bzw. Spooler erledigen den jeweiligen Fontzugriff<br />
✧ Fontzugriff bei Anforderung<br />
➙ ≪permanente ≫ im Drucker vorhandene Fonts<br />
➙ ≪residente ≫ Fonts: gerade im Arbeitsspeicher vorhanden<br />
➙ ≪inline ≫-Fonts: im Druckjob eingebettete Fonts<br />
➙ nicht vorhandene Fonts: Ersetzung durch Courier<br />
➙ Speicherbedarf für PostScript-Fonts: 30–60 KB<br />
✛ ca. 10 % <strong>des</strong> Druckerarbeitsspeicher für Fonts<br />
✛ bei Überlauf: Fontersetzung oder VMerror<br />
➙ Fontcache: Zwischenspeicher für gerasterte Glyphen<br />
✛ gilt über den eigenen Druchauftrag hinaus<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
6<br />
computerfonts<br />
126<br />
speziellen Kenngrössen <strong>des</strong> Druckers an bzw. verwaltet der Spooler<br />
alle Druckjobs, die einen spezifischen Drucker benutzen möchten.<br />
So enthält ein PostScript-Programm keine Fontbeschreibungen sondern<br />
nur Verweise auf die benötigten Fonts. Es ist also Aufgabe <strong>des</strong><br />
Druckertreibers zu garantieren, dass die benötigten Fonts während<br />
<strong>des</strong> Druckvorgangs vorhanden sind. Er kann diese Aufgabe auf verschiedene<br />
Arten erfüllen oder, je nach der Intelligenz <strong>des</strong> Spoolers,<br />
sie auch an diesen delegieren.<br />
• Im einfachsten Fall besteht die Fontanforderung aus einem<br />
Font, der permanent im Drucker vorhanden ist. Die 35 Standardschriften<br />
aus PostScript Level 1 und 2 sind z.B. in der LATEX-<br />
Welt durch das PSNFSS-Package verfügbar. Darunter befinden<br />
sich Times, Palatino, Courier, Helvetica oder New Century<br />
Schoolbook, wobei die beiden letzteren prominent in dieser<br />
Vorlesung vertreten sind.<br />
• Ohne grössere Anstrenungen kann der Drucker auch auf residente<br />
Fonts zugreifen. Dies sind solche, die gerade im Arbeitsspeicher<br />
präsent sind. Fonts, die einmal dort abgelegt sind, bleiben<br />
gespeichert, bis sie entweder explizit gelöscht werden oder<br />
der Drucker ausgeschaltet wird. Dies eröffnet die Möglichkeit<br />
der Systemoptimierung, genannt manueller Download, indem<br />
besonders häufig benutzte Fonts explizit in den Arbeitsraum<br />
<strong>des</strong> Druckers geladen werden. Intelligente Spooler wissen dieses<br />
Konzept zu nutzen.<br />
• Stellt ein PostScript-Druckertreiber fest, dass ein Druckjob auf<br />
einen gegenwärtig nicht verfügbaren Font zugreifen möchte, so<br />
kann er diesen in den Datenstrom <strong>des</strong> Druckauftrags einbetten.<br />
Man spricht dann von inline-Fonts und der Vorgang wird als automatischer<br />
Download bezeichnet. Im Gegensatz zu PostScript<br />
ist dieses Vorgehen bei PDF keine Option, sondern ist zwingend<br />
erforderlich. Im PDF-Kontext ist die Bezeichnung ≪eingebettete<br />
Fonts ≫ jedoch üblicher.<br />
• Die letzte Realisierungsmöglichkeit ist die Substitution. Wenn
ein benötigter Font nicht gefunden wird, so wird er im Normalfall<br />
durch Courier ersetzt.<br />
Zu beachten ist auch der Speicherplatzbedarf eines PostScript-Fonts,<br />
der üblicherweise zwischen 30–60 KB beträgt. Die genaue Zahl findet<br />
man als Kommentarzeile der Fontdatei. So besagt<br />
%% VMusage 45600 55000<br />
dass der zugehörige Font beim ersten Zugriff 55000 KB im Arbeitsspeicher<br />
belegt und 45600 bei jedem weiteren. Diese Zahlen erscheinen<br />
zunächst harmlos, aber es ist zu beachten, dass der für Fonts<br />
verfügbare Speicherplatz nur etwa 10 % <strong>des</strong> gesamten Arbeitsspeicher<br />
ausmacht. Den genauen Wert findet man unter FreeVM in der<br />
PPD-Datei <strong>des</strong> Druckers. 5 Im Falle eines Überlaufs erfolgt entweder<br />
ein<br />
VMerror<br />
oder der Drucker verfügt über eine dynamische Ersetzungsstrategie.<br />
Schliesslich sollte ein Mechanismus namens Fontcache erwähnt<br />
werden. Das Rastern eines Glyphen ist eine relativ aufwendige Angelegenheit.<br />
Deshalb wird das Resultat nicht nur in die entsprechende<br />
Ausgabedatei eingetragen, sondern es wird auch zusätzlich<br />
im Fontcache zwischengespeichert. Wie bei jedem Cache ist damit<br />
die Hoffnung verbunden, zukünftige Rasterungen <strong>des</strong>selben Glyphens<br />
vermeiden zu können.<br />
Adobe hat es allerdings versäumt die Speicherung sicher zu gestalten.<br />
Sie beruht nämlich auf der sogenannten UniqueID-Number<br />
<strong>des</strong> Fonts, deren Vergabe nicht eindeutig geregelt ist. Da der Fontcache<br />
andererseits im Normalfall bei Ende <strong>des</strong> Druckjobs nicht automatisch<br />
gelöscht wird, kann es zu Konflikten mit nachfolgenden<br />
Druckaufträgen kommen. Falls der Drucker Zugriff auf eine Festplatte<br />
hat, kann es sogar effektiv schwierig sein, den Fontcache zu<br />
löschen.<br />
5 VM steht für virtual memory bzw. PPD für PostScript Printer Description<br />
127<br />
PostScript-Fonts auf dem Bildschirm<br />
✧ PostScript als Interpretersprache für Drucker o. Belichter konzipiert<br />
➙ geringere Effizienzanforderungen<br />
➙ benötigt Interpreter (weniger effizient, aber mächtiger als Compiler)<br />
✧ Ende der 80er Jahre: PostScript am Bildschirm nicht erfolgreich<br />
➙ höhere Effizienzanforderung als bei Druckern<br />
➙ leistungsfähige Graphikkarten vor allem auf Unix-Workstations<br />
✛ Preview-Systeme für T E X-L AT E X benutzten Bitmaps<br />
➙ geeigneter Interpreter im Betriebsystem nicht verfügbar<br />
➙ grössere Quantisierungsprobleme bei Bildschirmauflösungen<br />
➙ hohe Lizenzgebühren von Adobe<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
7<br />
computerfonts
Geschichte der Fontformate<br />
✧ 1985: Veröffentlichung der PostScript-Spezifikation (einschl. Type 3)<br />
✧ 1986: steigender Absatz von (verschlüsselten) Type 1-Fonts<br />
✧ 1987: Apple startet Konkurrenzentwicklung TrueType<br />
✧ 1990: Veröffentlichung der Type 1-Spezifikation<br />
➙ PostScript-Interpreter ATM (Adobe Type Manager)<br />
✧ 1991: Mac OS System 6 unterstützt TrueType<br />
✧ 1992: X Window System 5 unterstützt Type 1<br />
✧ 1992: Windows 3.1 unterstützt TrueType<br />
✧ 1993: Adobe integriert TrueType in PostScript (Type 42)<br />
✧ 1996: Microsoft und Adobe vereinbaren OpenType<br />
✧ 1999: X Window unterstützt TrueType (X Free 86)<br />
✧ 2000: Windows 2000 unterstützt OpenType und Type 1<br />
✧ 2001: Mac OS X unterstützt OpenType und Type 1<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
8<br />
computerfonts<br />
128<br />
Im Allgemeinen sollte der Normaluser jedoch keine Probleme haben,<br />
es sei denn, er entwickelt Fonts. In einem solchen Fall ist zu<br />
empfehlen auf die Spezifikation einer UniqueID-Number zu verzichten,<br />
was eine automatische Löschung <strong>des</strong> Fonts im Fontcache nach<br />
Ende <strong>des</strong> Druckauftrags nach sich zieht.<br />
6.5 PostScript-Fonts auf dem Bildschirm<br />
Wie bereits erwähnt wurde PostScript als interpretierte Programmiersprache<br />
für Drucker bzw. Belichter entworfen, d.h. PostScript<br />
wird innerhalb <strong>des</strong> Ausgabegerätes durch einen Interpreter ausgeführt.<br />
Obwohl interpretierte Programmiersprachen funktionale Vorteile<br />
haben, werden sie auf Grund ihrer geringeren Laufzeiteffizienz<br />
nicht allgemein eingesetzt. Da jedoch die physikalische Realisation<br />
eines Druckvorgangs in der Regel wesentlich länger dauert als die<br />
zugehörige Rasterung der Layoutdaten, ist das Konzept einer interpretierten<br />
Layoutsprache trotzdem sinnvoll. Dazu kommt, dass<br />
ein PostScript-Drucker als geschlossenes System mit entsprechender<br />
Hardware gut optimiert werden kann.<br />
Will man ein PostScript-Programm jedoch auf einem Computer ablaufen<br />
lassen bzw. das Resultat auf einem Bildschirm dargestellen,<br />
was auf Grund <strong>des</strong> WYSIWYG-Prinzips <strong>des</strong> Desktop Publishings<br />
unverzichtbar ist, dann sind einige technische und organisatorische<br />
Probleme zu überwinden.<br />
Offenbar muss der entsprechende Bildschirm überhaupt erst einmal<br />
graphikfähig sein. Als Massenmarkt setzte sich dieser Trend<br />
jedoch erst in der zweiten Hälfte der 80er Jahre durch, so dass der<br />
Ausbreitung von PostScript-Fonts in der IT-Branche zunächst einmal<br />
natürliche Grenzen gesetzt waren. Der zweite limitierende Faktor<br />
war die Effizienz der Programmausführung. Im Gegensatz zur<br />
Situation beim Drucken, erwartet ein Benutzer am Bildschirm eine<br />
mehr oder weniger unmittelbare Reaktion. Die dafür benötigte Prozessorleistung<br />
bei Graphikkarten war aber erst im entstehen. Und<br />
was allgemein für Graphikanwendungen galt, traf natürlich auch<br />
für Outline-Fonts zu.
So war es in der TEX-Welt bis Mitte der 90er Jahre durchaus üblich,<br />
ausschliesslich mit Bitmap-Fonts zu arbeiten, 6 nicht zuletzt<br />
um Preview-Systeme zu entlasten.<br />
Aber besonders kritisch waren die bereits angesprochen Quantisierungsprobleme<br />
bei den geringen <strong>Auflösung</strong>en im Bildschirmbereich.<br />
Obwohl die Bildschirmtechnologie in den <strong>letzten</strong> Jahren enorme<br />
Fortschritte gemacht hat, hält die Problematik bis heute an.<br />
Neben den technischen Schwierigkeiten verhinderte vor allem<br />
auch die Lizenzpolitik von Adobe eine schnelle Ausbreitung seiner<br />
Outline-Fonttechnologie. Um nämlich die Lizenzzahlungen hoch zu<br />
halten, benutzte Adobe eine geheime Kodierung für das zentrale<br />
Fontformat Type1. 7 Dadurch war ein Anbieter von Graphiksoftware<br />
gezwungen, einen entsprechenden Interpreter bei Adobe zu kaufen<br />
und in sein Produkt zu integrieren.<br />
Softwaretechnisch wäre es sinnvoller gewesen, einen PostScript-<br />
Interpreter als Betriebssystemkomponente zur Verfügung zu stellen.<br />
Dann hätte nicht nur je<strong>des</strong> Anwendungsprogramm davon profitiert,<br />
sondern man hätte auch allgemein den Umgang mit Fonts<br />
darauf abstützen können. Aber die Lizenzpolitik von Adobe wurde<br />
von den Herstellern der seinerzeit dominanten Betriebssysteme<br />
Apple, Microsoft, Sun und IBM als Sicherheitsrisiko eingestuft.<br />
Besonders Microsoft und Apple, die im Desktop Publishing stark<br />
engagiert waren, suchten eine alternative Fonttechnologie für ihre<br />
Betriebssyteme.<br />
Diese Konfliktsituation führte schliesslich dazu, dass Adobe den<br />
fehlenden PostScript-Interpreter als ergänzende Betriebssystemkomponente<br />
für seine Fonts selbst auf den Markt brachte und Apple<br />
und Microsoft gemeinsam eine alternative Fonttechnologie etablierten.<br />
Die technischen Konsequenzen dieser Auseinandersetzung<br />
sind im folgenden Abschnitt dargestellt.<br />
6 und eigentliche Vektorgraphik durch Platzhalter zu ersetzten<br />
7 nur Bitstream gelang es das Fontformat zu entschlüsseln<br />
129<br />
Type 1<br />
✧ zentrales Fontformat in PostScript bzw. PDF<br />
➙ entspricht ISO/IEC 9541-3<br />
✧ Outline-Font basierend auf kubischen Bézier-Kurven<br />
✧ reduzierte PostScript-Funktionalität<br />
➙ erlaubt kompakte zweistufige Binärkodierung<br />
➙ lange geheimgehaltene eexec-Verschlüsselung<br />
➙ geänderte Quantisierungsregel (Pixel, wenn Mittelpunkt innerhalb)<br />
✧ komplexes Hinting-System<br />
➙ Normalisierung von globalen Hauptbalkenbreiten (stems)<br />
➙ spezielle Behandlung von Überhängen (blue values)<br />
➙ individuelle Hints auf Zeichenebene<br />
➙ Auswertungsalgorithmus der Hints ist unbekannt<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
9<br />
computerfonts
P1<br />
•<br />
.<br />
0 t<br />
P2<br />
•<br />
C(t)<br />
kubische Bézier-Kurven<br />
P3<br />
•<br />
✧ Kontrollpunkte P0, . . . , Pn+1<br />
✧ Bézier-Kurve C(t) für 0 ≤ t ≤ 1<br />
P4<br />
•<br />
1<br />
C(t) =<br />
n<br />
i =0<br />
Bi,n(t) Pi<br />
✧ i -tes Bernstein-Polynom<br />
klaus simon<br />
n-ten Gra<strong>des</strong><br />
Bi,n =<br />
n!<br />
(n − i )!i ! t i (1 − t) n−i<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
10<br />
computerfonts<br />
130<br />
6.6 Fontformate<br />
Die heute populären Fontformate sind im Wesentlichen das Resultat<br />
<strong>des</strong> Erfolges von PostScript als Desktop Publishing Standard bzw.<br />
der Gegenreaktion von Apple und Microsoft. Dies wird besonders<br />
in der historischen Entwicklung deutlich.<br />
Kurz vor Einführung <strong>des</strong> neuen Fontformates TrueType in Mac<br />
OS 6 änderte Adobe seine Lizenzpolitik und legte 1990 die Spezifikation<br />
seines Type1-Formates offen. Parallel dazu lancierte Adobe<br />
mit dem Adobe Type Manager (ATM) einen plattformunabhängigen<br />
Fontrasterer für Type1. Der Kunde konnte somit auf eigene Kosten<br />
Windows bzw. Mac OS um die fehlende Betriebssystemkomponente<br />
erweitern.<br />
Mit Mac OS 6 führte Apple 1991 dann TrueType ein. Microsoft<br />
folgte 1992, man hatte wohl noch Probleme mit der 32-Bit-<br />
Architektur von TrueType. Da der Standard von Anfang an offengelegt<br />
war, verbreitete sich das neue Format schnell. In der Anfangszeit<br />
genügten viele der neuen Fonts nicht den Qualitätsansprüchen<br />
<strong>des</strong> Desktop Publishings, was dazu führte, dass der professionelle<br />
Druckbereich zunächst dem etablierten Type1 die Treue hielt. Zwischenzeitlich<br />
sind aber auch hochqualitative TrueType-Fonts eher<br />
die Regel als die Ausnahme.<br />
In der Folgezeit sahen sich die Konkurrenten dann gezwungen<br />
aufeinander zuzugehen. Zunächst integrierte Adobe 1993 TrueType<br />
als Type 42 in PostScript. Dann einigte man sich 1996 mit Microsoft<br />
auf einen gemeinsamen Standard, genannt OpenType, der<br />
als Container beide Formate unterstützt. Schliesslich integrierten<br />
Microsoft (2000) und Apple (2001) OpenType bzw. Type1 in ihre<br />
jeweiligen Betriebssysteme.<br />
Abgesehen von technischen Problemen, die diese Auseinandersetzung<br />
verursachte, resultierte für den Kunden eine deutliche Preissenkung<br />
für kommerziell gehandelte Fonts. So bietet etwa Linotype<br />
einzelne Fonts bereits zu Preisen von 30–40 Fr bzw. Fontfamilien,<br />
je nach Qualität und Ausstattung, für ein paar hundert Franken<br />
an. Aber es gibt auch deutlich billigere Bezugsquellen wie die Font-
sammlung Fontsite500 für etwa 50 Fr oder die vielen gänzlich freien<br />
Fonts in der TEX-Welt.<br />
6.7 Type1<br />
Ausgehend von der ursprünglichen PostScript-Spezifikation ist es<br />
üblich Adobe-Formate gemäss ihrer diesbezüglichen Auflistungsnummer<br />
8 zu benennen. Das zentrale Fontformate ist Type1, das<br />
lange als das Standardformat <strong>des</strong> professionellen Desktop Publishings<br />
galt. Die Type1-Spezifikation ist identisch mit dem ISO Standard<br />
ISO/IEC 9541-3.<br />
Type1, oder kürzer T1, ist ein Outline-Font, basierend auf Bézier-<br />
Kurven dritten Gra<strong>des</strong>. Zur effizienten Auswertung bzw. Speicherung<br />
wird jedoch kein allgemeines PostScript benutzt, sondern eine<br />
spezielle Teilsprache, die es erlaubt, alle Daten und Operatoren<br />
in ein oder zwei Byte zu kodieren. 9 Die resultierende Binärdarstellung<br />
wird dann durch ein spezielles Verfahren verschlüsselt.<br />
Obwohl diese eexec-Verschlüsselung zwischenzeitlich veröffentlich<br />
wurde, wird sie aus Kompatibilitätsgründen weiterhin verwendet.<br />
Gegenüber dem Standard-PostScript kommt bei Fonts auch eine<br />
geänderte Quantisierungsregel zum Einsatz. So wird bei der T1-<br />
Rasterung ein Pixel geschwärzt, wenn der Pixelmittelpunkt innerhalb<br />
der Umrisslinie liegt. Im Allgemeinen wird dagegen ein Pixel<br />
gesetzt, wenn es die zu zeichnende Figur schneidet, was verhindert,<br />
dass dünne Linien verschwinden, bei Fonts aber zu unerwünschten<br />
Verbreiterungen führen kann.<br />
Ein sehr wichtiger Teilaspekt von T1 ist das Hintingsystem. Wie<br />
bereits vorgängig ausgeführt, dient es dazu Quantisierungseffekte<br />
bei geringen Ausgabeauflösungen zu mindern. Im Allgemeinen wird<br />
versucht, das Rasterergebnis verschiedener Vorkommen <strong>des</strong> gleichen<br />
Buchstabens bzw. von gleichen Buchstabenteilen (z.B. Serifen)<br />
8 welche über das Attribut FontType abgefragt werden kann<br />
9 diese Art der Fontkodierung war bereits im digitalen Fotosatz üblich, siehe [5]<br />
131<br />
Glyphendarstellung als kubische Bézierkurven<br />
. . . .<br />
. .<br />
. . . .<br />
.<br />
.<br />
.<br />
. .<br />
. .<br />
. .<br />
.<br />
.<br />
.<br />
. .<br />
. .<br />
. .<br />
.<br />
.<br />
Stützstellen<br />
in rot dargestellt<br />
klaus simon<br />
Type 1 Hinting bei der Glyphenrasterung<br />
hstem<br />
hstem<br />
Evstem<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
vstem<br />
hstem<br />
vstem<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
11<br />
computerfonts<br />
12<br />
computerfonts
TrueType<br />
✧ von Apple als Konkurrrenz zu Type 1 entworfen<br />
➙ von Microsoft lizenziert<br />
➙ Spezifikation vollständig offengelegt<br />
✧ vor allem in betriebssystemnahen Applikationen verbreitet<br />
✧ führte allgemein zu einem Preisverfall bei Schriften<br />
✧ Technik: Outline-Font beruhend auf quadratischen B-Splines<br />
➙ bessere Unicode Unterstützung als Type 1<br />
➙ heute als Type 42 in PostScript integriert<br />
✧ komplexes Hinting<br />
➙ Mittelpunktregel für grid-fitted Outline-Font<br />
➙ Grid-Anpassung mittels spezieller Assemblersprache<br />
➙ heute auch teilweise ignoriert<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
13<br />
computerfonts<br />
132<br />
einander anzugleichen, damit der Text insgesamt regelmässiger erscheint.<br />
Die dazu in der Fontbeschreibung enthaltenen Hints sind<br />
als Sollwerte (Kennzeichnung) für erwartete Problemstellen zu verstehen.<br />
Bis heute ist jedoch unklar, wie Adobe-Rasterer diese Hints<br />
algorithmisch interpretieren.<br />
Die globalen Hints (vstems, hstems) beschreiben die vorkommenden<br />
Balkenstärken. Ähnliche Balkenstärken sollen unabhängig von<br />
ihrem Vorkommen in Glyphen ähnlich gerastert werden. Die zweite<br />
Gruppe bilden sogenannte Ausrichtungszonen (BlueValues). Zeichen<br />
wie O weichen aus optischen Gründen im Normalfal ein wenig von<br />
der Grundlinie ab. Bei geringen <strong>Auflösung</strong>en müssen die Überhänge<br />
(overshoots) aber systematisch ignoriert werden. Die dritte Gruppe<br />
bilden individuelle Hints für einzelne Glyphen. Hier werden z.B. Position<br />
und Stärke von Serifen oder Rundungen festgelegt.<br />
6.8 TrueType<br />
Wie bereits erwähnt, wurde TrueType oder kurz TT als Konkurrenz<br />
zu Type1 entworfen. Obwohl es funktional vergleichbar und vollständig<br />
offengelegt war, setzte sich TT im professionellen Desktop<br />
Publishing nur langsam durch, ganz im Gegensatz zur Situation in<br />
Betriebssystemen, wo TT schnell das vorherrschende Format war.<br />
Die Offenlegung <strong>des</strong> Formats führte schnell zu einem grossen Angebot<br />
an billigen Fonts, was auch im Desktop Publishing die Preise<br />
stark reduzierte.<br />
Technisch ist TT ein Outline-Font, der zur Kurvenbeschreibung<br />
quadratische B-Splines benutzt. Wie bei T1 folgt die Rasterung eines<br />
Pixels der Mittelpunktregel, d.h. ein Pixel wird schwarz gesetzt,<br />
falls sein Mittelpunkt innerhalb der Umrisslinie liegt. Im Gegensatz<br />
zu T1 ist TT jedoch nicht auf 256 Zeichen beschränkt, bietet also eine<br />
bessere Unicode-Unterstützung, was speziell bei asiatischen Fonts<br />
ein Argument ist. Durch den Markterfolg von TT sah sich 1993 Adobe<br />
gezwungen TrueType als Type 42 in PostScript zu übernehmen.<br />
Das Hintingsystem von TT unterscheidet sich grundsätzlich von<br />
T1. Im Wesentlichen wird für jede gegebene Ausgabeauflösung die
Umrisslinie neu berechnet. Dieser Anpassungsprozess wird in einer<br />
speziellen Assemblersprache programmiert. Da der resultierende<br />
Programmcode recht komplex ist, neigen heute viele Anwendungsprogramme<br />
dazu, ihn nur noch rudimentär auszuführen.<br />
6.9 Andere Formate <strong>des</strong> Desktop Publishings<br />
Obwohl hier nicht der Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird,<br />
sollen noch zwei weitere Adobe-Formate angesprochen werden. Das<br />
erste ist Type 0, was keine eigentliche Fontbeschreibung darstellt,<br />
sondern die Möglichkeit eröffnet mehrere Fonts zu einer Gruppe zusammenzufassen.<br />
Damit umgeht Adobe die Beschränkung der T1-<br />
Fonts auf 256 Zeichen. Entsprechend kommt dieses Format vor allem<br />
bei asiatischen Fonts zum Einsatz.<br />
Kommen wir zum Type 3, der historisch gesehen als Vorläufer<br />
von T1 betrachtet werden kann. Er enthält kein Hinting und<br />
benutzt auch nicht die spezielle T1-Kodierung oder die eexec-<br />
Verschlüsselung. Andererseits lassen sich Glyphen in vielfältiger<br />
Art und Weise beschreiben, unter anderem in allgemeinem Post-<br />
Script, was dann Farbe und Schattierungen erlaubt oder Bitmaps,<br />
was speziell in TEX-LATEX benutzt wurde. Ferner können Type 3-<br />
Fonts auch zur Modifikation von T1 eingesetzt werden.<br />
Das Format, das sich im kommerziellen Umfeld als Alternative<br />
zu T1 bzw. TT anbietet, ist OpenType, im Folgenden als OT abgekürzt.<br />
Es ist eigentlich keine konzeptionelle Neuerung, sondern ein<br />
Container-Format, das sowohl T1 als auch TT aufnehmen kann. Natürlich<br />
wurde das neue Format auch für einige Verbesserungen bzw.<br />
Erweiterungen genutzt. So enthält die PostScript-Variante die Umrissbeschreibung<br />
nicht als Type1 sondern als Type 2. Dann unterstützt<br />
OT weitgehend Unicode, erlaubt also weit mehr als 256 Zeichen<br />
pro Font. Letzteres kann auch dazu verwendet werden, um<br />
eine gesamte Fontfamilie in einer einzigen OT-Datei zu speichern<br />
oder einen Font mit zusätzlichen Ligaturen oder einer zugehörigen<br />
Kapitälchenspezifikation anzureichern. Die Nutzbarkeit dieser<br />
Layout-Features hängt jedoch von der Umsetzung im jeweiligen An-<br />
133<br />
Hinting bei TrueType<br />
Originalumrissline in Cyan<br />
✧ Type 0<br />
durch Hinting veränderte Umrissline in Red<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
andere Fontformate <strong>des</strong> Desktop Publishings<br />
➙ Kombination einzelner Fonts zu einem Ganzen<br />
✧ Type 3<br />
➙ Glyphenbeschreibung in vollständigen PostScript<br />
➙ erlaubt auch Bitmaps (speziell in T E X benutzt)<br />
➙ kein Hinting<br />
✧ OpenType<br />
➙ verbesserte Unicode-Unterstützung<br />
➙ auch Fontfamilien können dargestellt werden<br />
➙ Layout-Features: verweiterte Ligaturen und Kapitälchen<br />
➙ Datei Signatur<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
14<br />
computerfonts<br />
15<br />
computerfonts
eine Kodierung K . . .<br />
✧ . . . ist eine umkehrbar eindeutige Abbildung (bijektiv)<br />
K: Zeichenmenge A → Zeichenmenge B<br />
✧ typisch: Identifizierung von A und B<br />
✧ im technischen Systemen zur<br />
➙ Darstellung oder Kommunikation von Nachrichten (Daten)<br />
basierend allgemeiner Akzeptanz oder Übereinkunft<br />
➙ Schrift<br />
✛ A Laute der gesprochenen Sprache<br />
✛ B grafische Schriftzeichen (Glyphen)<br />
➙ Computer: A Bitfolgen, B Steuer- und Schriftzeichen<br />
➙ elektronischer Datenaustausch: A und B Bitfolgen<br />
Morsekode<br />
klaus simon<br />
✧ Übermittlung von Buchstaben und Zeichen<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
durch Ein- und Ausschalten eines konstanten Signals<br />
➙ Ton-, Funk- oder Lichtsignal, Telgrafie<br />
✧ zwei Zustände (Punkt ·, Strich −) und variable Pause ()<br />
✧ variable Länge gemäss der Buchstabenhäufigkeit <strong>des</strong> Englischen<br />
✧ Mehrdeutigkeiten (ee = ·· = i ) durch Pausenlänge unterschieden<br />
✧ auch bei Störungen weitgehend anwendbar<br />
✧ 1833 Samuel Morse: erster Testbetrieb Schreibtelegraf<br />
✧ 1844 American Morse Code für Eisenbahnen und Telegrafen<br />
✧ 1865 Internationaler Morsekode<br />
durch die Internationale Fermeldeunion (ITU)<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
16<br />
computerfonts<br />
17<br />
computerfonts<br />
134<br />
wenderprogramm ab. Schliesslich wurden die Sicherungsmassnahmen<br />
aus TT übernommen und erweitert. Im Besonderen ist hier eine<br />
Datei-Signatur zu erwähnen, welche die Veränderung der Font-<br />
Datei kenntlich machen soll.<br />
6.10 Kodierung<br />
Das Wort Kodierung wird in der Literatur nicht völlig konsistent<br />
benutzt. In unserem Kontext verstehen wir darunter eine umkehrbar<br />
eindeutige Abbildung K von einer Zeichenmenge A zu einer Zeichenmenge<br />
B, d.h. die Abbildung<br />
K : A → B (6.1)<br />
wird als bijektiv angenommen. Häufig ist A oder B ein Alphabet.<br />
Die Bijektivität von K führt oftmals zur umgangssprachlichen Identifizierung<br />
von A und B. In technischen Systemen dienen Kodierungen<br />
überwiegend zur Darstellung bzw. Kommunikation von Nachrichten<br />
oder Daten. Dies erfordert, dass die benutzte Kodierung allgemein<br />
akzeptiert bzw. bekannt sein muss, d.h. Kodierungen sind<br />
typischerweise das Resultat von Standardisierungen.<br />
Ein offensichtliches Beispiel für weitverbreitete Kodierungen sind<br />
offenbar Schriften. Die Menege A aus (6.1) entspricht hier den Lauten<br />
der gesprochenen Sprache und B steht für Schriftzeichen (Glyphen)<br />
bzw. Folgen von diesen. Die Eindeutigkeit der Abbildung ist<br />
jedoch nur approximativ gegeben.<br />
Ein zweites Beispiel stellen Kodierungen dar, die Computer intern<br />
in ihren Arbeitsabläufen benutzen. Hier ist die Menge A durch<br />
Bitfolgen bestimmt. Dagegen ist die Menge B aus historischen<br />
Gründen komplizierter aufgebaut. Sie enthält sowohl abstrakte<br />
≪Steuerzeichen ≫ zur internen Ablaufsteuerung als auch Schrift- und<br />
Sonderzeichen zur Kommunikation mit dem Menschen. Man beachte<br />
in diesem Zusammenhang, dass die Sinnhaftigkeit digitaler Daten<br />
an die jeweilige Kodierung gebunden ist.
Unser drittes Beispiel, der elektronische Datenaustausch, kann<br />
durchaus als Fortsetzung <strong>des</strong> zweiten gesehen werden. Es betont jedoch<br />
im Gegensatz zu diesem den Aspekt der Allgemeinverbindlichkeit.<br />
Der Versand digitaler Daten macht nur dann Sinn, wenn der<br />
Empfänger die Kodierung versteht, d.h. in der gleicher Weise interpretiert<br />
wie der Sender. Dies illustriert die aktuellen Bemühungen<br />
zur Schaffung einer universellen Kodierung.<br />
6.10.1 Morsekode<br />
Der erste moderne Kode <strong>des</strong> Industriezeitalters ist der Morsekode,<br />
der 1833 von Samuel Morse (1791 – 1872) für den ersten praxisfähigen<br />
Schreibtelegrafen entwickelt wurde. Der erste Testbetrieb<br />
fand 4 Jahre später statt. Der ursprüngliche Kode, der nur Ziffern<br />
enthielt, wurde 1838 durch Alfred Lewis Vail, einem der Mitarbeiter<br />
Morses, auf Buchstaben erweitert. Dieser American Morse<br />
Code wurde ab 1844 bis in die 60er Jahre von amerikanischen Eisenbahnen<br />
und Telegrafenunternehmen verwendet.<br />
Im Kontext der Erstellung der Telegrafenverbindung von Hamburg<br />
nach Cuxhaven hat Friedrich Clemens Gerke 1848 verschiedene<br />
kleinere Abänderungen vorgenommen, die dann 1865 die<br />
Grundlage für die Standardisierung durch die Internationale Fernmeldeunion<br />
bildete. Die resultierende Norm ist als Internationaler<br />
Morse Kode bekannt.<br />
Die Kodeübermittlung geschieht durch das Ein- bzw. Ausschalten<br />
eines konstanten Signals. Dabei kann es sich um Tonsignale<br />
(Klopfzeichen, Pfeifentöne), Funksignale, Licht- oder Telegrafiezeichen<br />
handeln. Es wird zwischen zwei Zuständen ≪ Punkt · (kurzes<br />
Signal) ≫ und ≪Strich − (langes Signal) ≫ sowie Pausen variabler<br />
Länge unterschieden. Die Kodierungen der einzelnen Zeichen haben<br />
verschiedene Längen, ausgerichtet an der Häufigkeitsverteilung der<br />
Buchstaben im Englischen. Als Folge <strong>des</strong>sen ist der Morsekode nicht<br />
umkehrbar eindeutig. So kann etwa ≪ ee = ·· ≫ nicht von ≪·· = i ≫ unterschieden<br />
werden. Um trotzdem die Eindeutigkeit sicherzustellen,<br />
benutzt man zur Trennung von Buchstaben unterschiedliche Pau-<br />
135<br />
Morsekode (partiell)<br />
Zeichen Kodierung Zeichen Kodierung<br />
a · – p · – – ·<br />
b – · · · q – – · –<br />
c – · – · r · – ·<br />
d – ·· s · · ·<br />
e · t –<br />
f ·· – · u ·· –<br />
g – – · v · · · –<br />
h · · ·· v · – –<br />
i ·· x – ·· –<br />
j · – – – y – · – –<br />
k – · – z – – ··<br />
l · – ·· ch – – – –<br />
m – – ä · – · –<br />
n – · ö – – – ·<br />
0 – – – ü ·· – –<br />
klaus simon<br />
≪e = ·· ≫<br />
≪i = ·· ≫<br />
S a m u e l M o r s e und Morsetaste<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
18<br />
computerfonts<br />
19<br />
computerfonts
Baudot- und Murraykode<br />
✧ Optimierung der Telegrafie: Tastatur und Übertragungsrate<br />
✧ Baudotkode<br />
➙ 1870 als Teil eines Telegrafensystems von Emil Baudot entwickelt<br />
➙ später: International Telegraph Alphabet No.1 (CCITT-1)<br />
➙ 5 Tasten mit Ebenenumschaltung (5 bzw. 6-Bit-Kode)<br />
➙ enthält Buchstaben, Ziffern und Sonderzeichen<br />
➙ Baudrate bis zu 180 Zeichen pro Minute<br />
✧ Murraykode (1901): Vorläufer moderner Fernschreiber<br />
➙ Schreibmaschinentastatur und Lochsteifen<br />
➙ 5-Bit mit Ebenenumschaltung, Empfänger und Sender asynchron<br />
➙ Baudrate bis 1260 Buchstaben pro Minute<br />
➙ 1932 International Telegraph Alphabet No.2 (CCITT-2)<br />
klaus simon<br />
Baudot-Kodierung (CCITT-1)<br />
10000 Leerzeichen, Buchstabentabelle benutzen<br />
01000 Leerzeichen, Zahlentabelle benutzen<br />
11000 letztes Zeichen löschen<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
Buchstabentabelle Zahlentabelle<br />
00100 A 01100 J 10101 T 00100 1 01100 6 10101 2 /<br />
01001 B 11100 K 00101 U 01001 8 11100 ( 00101 4<br />
01101 C 11110 L 10111 V 01101 9 11110 = 10111 ’<br />
01111 D 11010 M 10011 W 01111 0 11010 ) 10011 ?<br />
00010 E 11011 N 10010 X 00010 2 11011 £ 10010 9 /<br />
00110 É 00111 O 00001 Y 00110 1 / 00111 5 00001 3<br />
01011 F 11111 P 10110 Z 01011 5 / 11111 + 10110 :<br />
01010 G 11101 Q 10100 - 01010 7 11101 / 10100 .<br />
01110 H 11001 R 01110 4 / 11001 -<br />
00011 I 10001 S 00011 3 / 10001 7 /<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
20<br />
computerfonts<br />
21<br />
computerfonts<br />
136<br />
senlängen. Der Morsekode ist also kein reiner Binärkode. Der Vorteil<br />
dieses Vorgehens ist jedoch eine grosse Robustheit gegenüber<br />
äusseren Störungen.<br />
6.10.2 Baudot- und Murraykode<br />
Nach der Entwicklung der elektrischen Telegrafie und der Etablierung<br />
<strong>des</strong> Morseko<strong>des</strong> richtete sich das Interesse der Ingenieure und<br />
Erfinder auf die Automatisierung der Kodeeingabe bzw. -ausgabe.<br />
Die Schnittstelle zum Menschen war offenbar der zentrale Engpass<br />
auf dem Weg zu höheren Übertragungsraten. Das direkte Ziel war<br />
die Übertragung eines Buchstabens oder Zeichens als Einheit. Dazu<br />
experimentierte man man sowohl mit der Anzahl der Leitungen<br />
als auch mit der Zahl der Spannungszustände pro Leitung. Schliesslich<br />
stellten sich 5- bzw. 6-Bit-Ko<strong>des</strong> als günstigster Kompromiss<br />
heraus.<br />
Jean-Maurice Émil Baudot (1845 – 1903) entwickelte ein Telegrafiegerät,<br />
<strong>des</strong>sen Eingabe über 5 gleichzeitig zu drückende Tasten<br />
einen 5-Bit-Kode realisierte. Diese Eingabe wurde in eine Folge von<br />
Stromstössen übersetzt und gesendet. Baudot erhöhte ferner die<br />
Übertragungsleistung durch ein Multiplexsystem, um gleichzeitig<br />
mehrere Nachrichten übertragen zu können. Auf der Empfängerseite<br />
wurde das dekodierte Zeichen mit einem Typenrat auf einen<br />
Papierstreifen geschrieben. Mit diesen Optimierungen konnte eine<br />
Übertragungsleistung von 180 Zeichen pro Zeichen pro Minute erzielt<br />
werden. In Würdigung dieses Beitrags zur Entwicklung der<br />
Kommunikationstechnik spricht man noch heute von einer Baudrate.<br />
Die 1870 von Émil Baudot für seine Technik entwickelte Kodierung,<br />
wurde später als International Telegraph Alphabet No.1<br />
(CCITT-1) standardisiert. Mit den vorhandenen 5-Bit konnten konzeptionell<br />
nur 32 Zeichen dargestellt werden, praktisch sogar nur<br />
31, da man die Ruhestellung <strong>des</strong> Gerätes — keine angeschlagene<br />
Taste — nicht zur Datenübertragung nutzte. Folglich konnten nicht<br />
einmal alle Buchstaben und Ziffern repräsentiert werden. Baudot
sah <strong>des</strong>halb einen Umschaltmechanismus vor, der die Kapazität<br />
verdoppelte. Und zwar gab es zwei Darstellungen für das Leerzeichen,<br />
die als Schalter fungierten. Nach der Übertragung <strong>des</strong> entsprechenden<br />
Umschaltzeichens werden die folgenden Zeichen entweder<br />
als ≪Buchstabentabelle ≫ oder als ≪Zahlentabelle ≫ dekodiert.<br />
Donald Murray (1865 – 1945) nutzte 1901 die kurz vorher erfolgten<br />
Fortschritte in der Satztechnik um die Telegrafie weiter zu<br />
verbessern. Im Besonderen benutzte er eine Schreibmaschinentastatur,<br />
um die 5-Bit-Baudotkodierung in einen Lochstreifen zu stanzen,<br />
welcher dann vom Sender gelesen und übertragen wurde. Mit<br />
der so erreichten Effizienzsteigerung erzielte 1908 die britische Post<br />
Übertragungsraten bis zu 1280 Zeichen pro Minute. Das Murray-<br />
System wurde zum Vorläufer aller modernen Fernschreiber.<br />
Murray behielt die 5-Bit und die Ebenenumschaltung <strong>des</strong> Baudotko<strong>des</strong><br />
bei, änderte jedoch die Belegung der Zeichen und führte<br />
weitere Sonderzeichen, wie ≪ Wagenrücklauf ≫ oder ≪ Zeilenvorschub<br />
≫ ein. Dieser neue Kode 1932 wurde als Internatinal Telegraph<br />
Alphabet No.2 (CCITT-2) normiert und bildete Grundlage moderner<br />
Telexnetze.<br />
6.10.3 Ascii, Latin-1 und Unicode<br />
Vor allem durch IBM und AT&T vorangetrieben, wurde 1963 Ascii,<br />
eine Weiterentwicklung <strong>des</strong> Murrayko<strong>des</strong>, vorgestellt, eine Kodierung,<br />
die zunächst für amerikanische Fernschreiber wie den Teletype<br />
ASR33 gedacht war. Vier Jahre später erhielt er seinen Namen,<br />
als er als American Standard Code for Information Interchange<br />
10 standardisiert wurde. Da in der frühen Computertechnik<br />
Fernschreiber als Ausgabegeräte üblich waren, wurde Ascii schnell<br />
zum Standardkode für Schriftzeichen im Computer. In der Folge<br />
wurden viele andere Ausgabegeräte wie der bekannte Terminaltyp<br />
VT100 oder Drucker ausschliesslich mit Ascii-Zeichen betrieben.<br />
Von zentraler Bedeutung erwies sich jedoch der Aspekt Software.<br />
10 der US-Variante von ISO 646<br />
137<br />
Émile Baudot und Donald Murray<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
Fernschreiber T100 Siemens und Colossus-Nachbau<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
22<br />
computerfonts<br />
23<br />
computerfonts
01000 Wagenrücklauf<br />
00010 Zeilenvorschub<br />
00100 Zwischenraum<br />
11111 Umschaltung Buchstaben<br />
Murray-Kodierung (CCITT-2)<br />
11011 Umschaltung Ziffern/Zeichen<br />
00000 ≪unbenutzt ≫<br />
00011 A - 11001 B ? 01110 C :<br />
01001 D ≪Wer da? ≫ 00001 E 3 01101 F ≪unbenutzt ≫<br />
11010 G ≪unbenutzt ≫ 10100 H ≪unbenutzt ≫ 00110 I 8<br />
01011 J ≪Klingel ≫ 01111 K ( 10010 L )<br />
11100 M . 01100 N , 1100 O 9<br />
10110 P 0 10111 Q 1 01010 R 4<br />
00101 S ’ 10000 T 5 00111 U 7<br />
11110 V = 10011 W 2 11101 X /<br />
10101 Y 6 10001 Z +<br />
klaus simon<br />
Ascii, Latin-1, und Unicode<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
✧ American Standard Code for Information Interchange<br />
➙ ab 1963 für amerikanische Fernschreiber entwickelt<br />
➙ Computer: Standardkode für Schriftzeichen<br />
➙ 128 Zeichen (7-Bit), 33 nicht druckbare, 95 druckbare Zeichen<br />
➙ 8-tes Bit früher als Paritycheck, später zur Kodeerweiterung<br />
➙ neuere Co<strong>des</strong> in der Regel abwärtskompatibel zu Ascii<br />
✧ Latin-1 (ISO 8859-1, 1985): Ascii-Erweiterung mit europ. Umlauten<br />
✧ Unicode: 1991 Version 1.0, heute ISO 10646<br />
➙ Versuch alle von Menschen benutzte Zeichen zu erfassen<br />
➙ zunächst als 16-Bit-Kode definiert ⇒ 65536 Zeichen<br />
➙ heute 21-Bit: 17 Planes a 65536 Zeichen ⇒ 1114112 Zeichen<br />
➙ häufigste Variante: UFT-16 bzw. UFT-8<br />
➙ viele Probleme: Sortierung, Schriften, legacy Daten<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
24<br />
computerfonts<br />
25<br />
computerfonts<br />
138<br />
Bis anhin wird Software in Ascii-Kode formuliert und als Type Character<br />
ist Ascii ein selbstverständlicher Bestandteil der grossen Programmiersprachen.<br />
Ascii ist ein 7-Bit-Kode, enthält also 128 Zeichen, und zwar 33<br />
nicht druckbare Steuerzeichen sowie 95 druckbare Zeichen. 11 Da<br />
viele Computer als kleinste adressierbare Einheit eine Folge von<br />
8-Bit, genannt Byte, benutzen, war das 8-te Bit in der üblichen<br />
Byte-Speicherung redudant. Es wurde zunächst als Sicherheitscheck<br />
(Parity-Bit) genutzt, später bot es die Möglichkeit zur Kodeerweiterung.<br />
Auf Grund der überragenden Bedeutung von Ascii,<br />
speziell in der Softwareentwicklung, versucht man bei neueren Kodierungen<br />
die unteren 7-Bit Ascii-kompatibel zu halten.<br />
1985 wurde dann der ISO Standard 8859-1, bekannt als Latin-1,<br />
veröffentlich, gefolgt von Latin-2, Latin-3, ..., usw. Allen gemeinsam<br />
ist die Erweiterung der Ascii-Kodierung um länderspezifische Sonderzeichen<br />
wie die deutschen Umlaute ä, ö, ü, Ä, Ö und Ü. Die Movivation<br />
für diese Aktivitäten war offenbar das Deskop Publishing,<br />
das daran interessiert war, möglichst jedem User eine länderspezifische<br />
Tastatur mit entsprechender Kodierung für die Textverarbeitung<br />
zur Verfügung zu stellen. Die Kehrseite der Medaille war ein<br />
Chaos beim Datenaustausch, da ein Copy-and-Paste über Länderkodierungen<br />
hinweg nicht möglich war.<br />
Den Ausweg sah man in einem neuen umfassenden Kode, der alle<br />
länderspezifischen Kodierungen umfassen sollte. Die Idee wurde<br />
von verschiedenen Stellen aufgegriffen, insbesondere von Joe<br />
Becker (Xerox) sowie von Lee Collins und Mark Davis (Apple).<br />
Sie gründeten das Unicode-Konsortium, siehe www.unicode.org,<br />
das 1991 die Version 1.0 von Unicode herausgab. Schnell schlossen<br />
sich weitere Firmen und Regierungsorganisationen an. Seit 1993<br />
sind Unicode und ISO 10646 bezüglich der Zeichenkodierung nahezu<br />
identisch. Unicode definiert zusätzlich gewisse Handhabungen<br />
wie die Sortierreihenfolge der Zeichen.<br />
Ursprünglich war Unicode als 16-Bit-Kodierung konzipiert, sollte<br />
also 65536 Zeichen enthalten. Für europäische Schriften hätte<br />
11 insbesondere Gross- und Kleinbuchstaben
dies mehr als ausgereicht, aber asiatische Schriften enthalten wesentlich<br />
mehr Zeichen. So sind heute 17 Planes à 65536 Zeichen<br />
vorgesehen, gesamthaft also 1114112, was einer 21-Bit-Kodierung<br />
entspricht. Allerdings sind die meisten dieser Zeichen gegenwärtig<br />
noch undefiniert.<br />
Im Gegensatz zu den Vorgängern ist die Repräsentation von Unicode-Zeichen<br />
nicht mehr in einer einfachen Tabellenform gegeben.<br />
Eine naheliegende 4-Byte-Kodierung wäre z.B. im europäischen<br />
Kulturraum eine Speicherplatzverschwendung. Dazu kommt<br />
das Kompatibilitätsproblem mit Ascii-Daten, was sehr relevant ist,<br />
da praktisch der gesamte weltweit verfügbare Programmkode in<br />
Ascii formuliert ist. Aus diesen Gründen existieren für Unicode<br />
verschiedene Kodierungsschemata, genannt Unicode transformation<br />
formats UTF. Die zunehmend populärer werdende Version 12 ist<br />
UTF-8, die Unicode in 1,2,3 oder 4 Byte kodiert. Der vielleicht grösste<br />
Vorteil von UTF-8 ist die Kompatibilität zu Ascii, wozu man bei<br />
Ascii-Daten lediglich das höchstwertige 8-te Bit auf 0 setzen muss.<br />
Das genaue Repräsentationsschema ist in Folie (29) dargestellt.<br />
Unicode hat sich bisher nicht als der alles ersetzende Universalkode<br />
durchsetzen können. Dies mag eine Sache der Zeit sein, aber<br />
es gibt auch ernsthafte Kritikpunkte. Im Gegensatz zu den Vorgängern<br />
ist schwierig Unicode als Font zu unterstützen. Die Universalität<br />
wird durch grosse Ineffizienz bezahlt. Durch seine Grösse<br />
ist Unicode für Menschen sehr unübersichtlicht. Es existiert keine<br />
Kompatibilität zu ISO 8859, was grosse Legacy-Probleme in der Datenarchivierung<br />
verursacht.<br />
6.11 Literaturverzeichnis<br />
[1] Adobe. PDF Reference (Version 1.6), ISBN 0-321-30474-8. Adobe<br />
Press (published by Peachpit Press), Berkely, 2005.<br />
[2] A. Brüggemann-Klein. Einführung in die Dokumentenverarbeitung.<br />
Teubner, Stuttgart, 1989.<br />
12 z.B. von Apple bzw. Linux benutzt<br />
139<br />
nicht druckbare Ascii-Zeichen<br />
dez char Abk. dez char Abk.<br />
0 null character nul 1 start of heading soh<br />
2 start of text stx 3 end of text etx<br />
4 end of transmission eot 5 enquiry enq<br />
6 acknowledgement ack 7 ring bell bel<br />
8 backspace bs 9 horizontal tabulation ht<br />
10 line feed lf 11 vertical tabulation vt<br />
12 form feed ff 13 carriage return cr<br />
14 shift-out so 15 shift-in si<br />
16 data link escape dle 17 device control dc1<br />
18 device control dc2 19 device control dc3<br />
20 device control dc4 21 negative acknowledgment nak<br />
22 synchronous idle syn 23 end of transmission block etb<br />
24 cancel can 25 end of medium em<br />
26 substitute sub 27 escape esc<br />
28 file separator fs 29 group separator gs<br />
30 record separator rs 31 unit separator us<br />
127 delete del<br />
klaus simon<br />
druckbare Ascii-Zeichen<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
dez char dez char dez char dez char dez char dez char<br />
32 48 0 64 @ 80 P 96 ‘ 112 p<br />
33 ! 49 1 65 A 81 Q 97 a 113 q<br />
34 " 50 2 66 B 82 R 98 b 114 r<br />
35 # 51 3 67 C 83 S 99 c 115 s<br />
36 $ 52 4 68 D 84 T 100 d 116 t<br />
37 % 53 5 69 E 85 U 101 e 117 u<br />
38 & 54 6 70 F 86 V 102 f 118 v<br />
39 ’ 55 7 71 G 87 W 103 g 119 w<br />
40 ( 56 8 72 H 88 X 104 h 120 x<br />
41 ) 57 9 73 I 89 Y 105 i 121 y<br />
42 * 58 : 74 J 90 Z 106 j 122 z<br />
43 + 59 ; 75 K 91 [ 107 k 123 {<br />
44 , 60 < 76 L 92 \ 108 l 124 |<br />
45 - 61 = 77 M 93 ] 109 m 125 }<br />
46 . 62 > 78 N 94 ^ 110 n 126 ~<br />
47 / 63 ? 79 O 95 _ 111 o<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
26<br />
computerfonts<br />
27<br />
computerfonts
Varianten von ISO 8859<br />
Nummer Region Bezeichnung<br />
1 westeuropäisch Latin-1<br />
2 mitteleuropäisch Latin-2<br />
3 südeuropäisch Latin-3<br />
4 nordeuropäisch Latin-4<br />
5 kyrillisch<br />
6 arabisch<br />
7 griechisch<br />
8 hebräisch<br />
9 türkisch Latin-5<br />
10 nordisch Latin-6<br />
11 thai<br />
13 baltisch Latin-7<br />
14 keltisch Latin-8<br />
15 westeuropäisch Latin-9<br />
16 südosteuropäisch Latin-10<br />
klaus simon<br />
Unicode Transformation Format URF-8<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
Eingabe Ausgabe<br />
21-Bit Byte 1 Byte 2 Byte 3 Byte 4<br />
28<br />
computerfonts<br />
00000 00000000 0xxxxxxx 0xxxxxxx<br />
00000 00000yyy yyxxxxxx 110yyyyy 10xxxxxx<br />
00000 zzzzyyyy yyxxxxxx 1110zzzz 10yyyyyy 10xxxxxx<br />
uuuuu zzzzyyyy yyxxxxxx 11110uuu 10uuzzzz 10yyyyyy 10xxxxxx<br />
klaus simon<br />
technik <strong>des</strong> digitalen publizierens<br />
29<br />
computerfonts<br />
140<br />
[3] F. Mittelbach and M. Goossens. The Latex Companion. Addison<br />
Wesley, Boston, 2004.<br />
[4] Y. Haralambous. Fonts & Encodings. O’Reilly, Cambridge, 2007.<br />
[5] P. Karow. Digital Typefaces: Description and Formats. Springer,<br />
Berlin, 1993.<br />
[6] D. Knuth. The METAFONTbook. Addison Wesley, Boston, 1986.<br />
[7] R. Wilhelm and R. Heckmann. Grundlagen der Dokumentenverarbeitung.<br />
Addison-Wesley, 1996.<br />
[8] B. Stamm. The raster tragedy at low resolution. Microsoft Typography,<br />
1998.<br />
[9] T. Merz and O. Drümmer. Die PostScript PDF-Bibel. PDFlib<br />
GmbH, München, 2002.