Auch, wenn es um Süßigkeiten geht – wir haben hier nicht vor, uns gegenseitig Honig ums Maul zu schmieren. Genau deshalb haben wir Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth, einen der renommiertesten Hirnforscher und streitbaren Geist, eingeladen, um mit ihm über das Belohnungssystem im Gehirn und die Grenzen des Neuromarketings zu diskutieren. Und siehe da: Es gab ordentlich <strong>Zunder</strong>! Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth, Neurobiologe, Philosoph und Hirnforscher, Professor für Verhaltensphysiologie und Entwicklungsneurobiologie am Institut für Hirnforschung der Universität Bremen, beschäftigt sich seit 40 Jahren mit dem Gehirn, berühmtester Kritiker des Neuromarketings und Autor zahlreicher lesenswerter Bücher wie z.B. »Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten. Warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern« Unter www.redpepper.de können Sie sich das Interview gemütlich in voller Länge als Video anschauen. 4 5 interview Im ZUNDER sELbsTvERsTäNDLICH NICHT.
» meine Kritik am Neuromarketing ist nicht prinzipieller Art, aber es wird zu viel versprochen.« Fotos: Alasdair Jardine, der Mann hinter den Kameras, fotografierte und filmte unser Interview für den <strong>Zunder</strong>, belohnt sich mit dunkler Herrenschokolade, bestückt unter anderem »brand eins«, »Die Zeit« und »E.ON« mit Bildern, einer von sieben Augenmenschen der Fotoetage www.jardinephoto.de Herr Prof. Roth, in der aktuellen Ausgabe des <strong>Zunder</strong> geht es um Süßigkeiten. Zum einen, weil red pepper in diesem Jahr zehnjähriges Jubiläum feiert und zum anderen, weil wir der Frage nachgehen, wie Belohnungen das Verhalten von Menschen beeinflussen: Was ist aus Sicht des Gehirns eine Belohnung? Eine Belohnung ist das, was zur Folge hat, dass es einem gut geht. Im Gehirn gibt es bestimmte Messsysteme, um das zu evaluieren. Es geht einem immer gut, wenn das Gehirn etwas befiehlt und mein Körper etwas tut, was in direkter und indirekter Weise meinem natürlichen und sozialen Überleben dient. Welche Gehirnstrukturen sind an der Belohnung beteiligt? Wenn wir jetzt an Süßigkeiten denken, ist das ziemlich trivial. Neurobiologisch betrachtet handelt es sich bei Süßigkeiten um Nährstoff, Glukose – und darauf spricht unser Geschmackssystem sofort an. Das wird registriert und an das Evaluationszentrum in unserem Hirnstamm gemeldet. Und es wird völlig unbewusst festgestellt: Das ist gut. Es ist nicht so, dass wir das gut finden, weil es gut schmeckt, sondern es schmeckt uns gut, weil unser Gehirn das gut findet. All das, was unser Leben direkt befördert, wird mit der Empfindung »Das ist gut« belegt. Unser Gehirn betrügt uns in dieser Situation: Wir streben nach dem unmittelbaren Ziel des guten Geschmackserlebnisses, aber damit wird ganz allgemein gewährleistet, dass wir energiereiche Nahrung zu uns nehmen, um uns am Leben zu erhalten. Der nächste wichtige Befehl lautet: Tu das noch mal! Es sind also zwei Systeme aktiv. Ein System, das registriert: Das war gut. Dann hat man das Gefühl der Befriedigung oder des Lustgefühls. Und ein System, das dieses Gefühl abspeichert und bei ähnlicher Gelegenheit sagt: Tu das wieder! Was sagt denn der Philosoph zum Thema Belohnung? Dass Belohnungen etwas äußerst Merkwürdiges sind. Insbesondere, da sie sehr schnell in Sättigung gehen, das heißt sich erschöpfen. Die meisten schönen Dinge machen bei schneller Wiederholung jeweils nur noch halb so viel Spaß. Also muss man lange warten oder die Belohnung variieren. Das sind zwei Gesetzmäßigkeiten, die fundamental für unsere Motivation sind. Sie haben mit Ihrer These für Furore gesorgt, dass aus neurobiologischer Sicht das Bild des freien Willens nicht mehr aufrecht zu erhalten ist. Wenn ein Mensch also am Supermarkt an der Kasse steht und überlegt: Will ich Snickers, Mars oder Bounty? Wer entscheidet dann eigentlich, welche Süßigkeit er sich gönnt? Mein Gehirn sagt mir auf drei Ebenen – bewusst, vorbewusst und unbewusst: »Du darfst das essen«. Was man feststellen kann: Sobald ich den Riegel sehe, feuern in bestimmten Zentren der Belohnungserwartung Neuronen, und zwar bevor ich den bewussten Entschluss fasse, den Riegel zu kaufen. Das Gehirn reagiert, bevor der bewusste Wille entsteht, den Riegel zu kaufen? Ja. Ich sehe den Riegel und innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde wird erst einmal diese Wahrnehmung bewertet. Was liegt da vor mir, und welche Bedeutung hat es? Das Gehirn sagt: Das schmeckt ganz gut, das kannst du kaufen. Dann entsteht in mir der bewusste Wunsch zu kaufen. Das Bewusstsein könnte jetzt Protest einlegen: Ok, du hast zwar Hunger, aber das ist zu teuer oder zu kalorienreich. Dann interagieren diese Systeme miteinander und am Ende kaufe ich den Riegel – oder eben nicht. Dieser Prozess ist aber sehr komplex und kaum vorhersagbar. Welche Rolle spielt die Ratio bei einer Kaufentscheidung? Wir sind alle mit dem Paradigma der Rationalität aufgewachsen. Von Kindesbeinen an hört man: Sei vernünftig! Die Erkenntnisse der Psychologie und der Neurobiologie zeigen aber, dass Rationalität zwar durchaus im Gehirn ihren Platz einnimmt – nämlich im oberen Stirnhirn – aber keinen direkten Zugriff auf die Zentren hat, die unser Verhalten steuern. Das ist äußerst überraschend und befremdlich. Verstand und Vernunft existieren, und wenn sie keinen Sinn hätten, würde es sie auch nicht geben. Aber ob ich diesem rationalen Denken folge oder nicht, hängt nicht von diesem Denken ab, sondern von dem Ausmaß, mit dem sich dieses rationale Denken mit emotionalen, affektiven Dingen verbindet. Die Vernunft allein bewirkt überhaupt nichts. Sondern nur, wenn sich ein Vernunftargument mit einem emotional-affektiv besetzten Argument verbindet, folge ich dem rationalen Argument. Werbung versucht ja, Produkte positiv zu assoziieren, eine eigene Welt und damit eine Bindung des Kunden zur Marke aufzubauen. Vor ein paar Jahren stand ich vor der Entscheidung: Welches Auto kaufe ich mir? Mercedes E-Klasse, 5er BMW oder Audi A6? Von der Fahrleistung und vom Komfort her sind alle drei ziemlich identisch, sie stehen nur jeweils für etwas anderes. Meine Frau sagte: BMW – ohne mich. Ich war fast bereit, einen Audi zu kaufen, bis mein unmittelbarer Nachbar sich einen A6 kaufte. Der andere Nachbar hatte schon einen A6, da konnte ich doch nicht den dritten A6 kaufen! Also habe ich mir die Mercedes E-Klasse gekauft, obwohl sie teurer ist als die anderen Marken. Kaufentscheidungen sind so komplex, da spielt der reine Verstand nur eine ganz geringe Rolle. Neuromarketing setzt sich aus verschiedenen Disziplinen zusammen: Psychologie, Soziologie, Kulturwissenschaften und Hirnforschung, um nur einige zu nennen. Inwieweit kann die Markenführung von der Hirnforschung lernen? Unheimlich interessant ist, innerhalb welcher komplexen Zusammenhänge Marken funktionieren. Es gibt eine unbewusste, eine bewusste und eine vorbewusste Ebene – und Kaufentscheidungen werden auf allen drei Ebenen getroffen. Und wenn eine Ebene davon nicht mit dem Kauf einverstanden ist, sind wir mit dem Kauf nicht zufrieden. In der Werbung ist Kontextabhängigkeit zum Beispiel extrem wichtig. Es geht um bestimmte Assoziationen zu einer Marke oder einem Produkt, die weder zu plump noch zu komplex sein dürfen. Wie genau das auszusehen hat, dazu gibt es wissenschaftlich gesehen keine abgesicherten Erkenntnisse. Da befragt man am besten Werbefachleute oder Psychologen, aber keine Hirnforscher. Meine Kritik am Neuromarketing ist nicht prinzipieller Art, aber es wird zu viel versprochen. Die Neurowissenschaften können nur zeigen, dass uns bestimmte Dinge unbewusst und bewusst gut gefallen. Meiner Meinung nach können Sie also das »Neuro« in Neuromarketing streichen. Das ist Marketing. Prof. Roth, was ist für Sie persönlich eine Belohnung? Im Augenblick, einmal einen Tag nicht arbeiten zu müssen. Das wäre eine schöne Belohnung. Und was ist Ihre Lieblingssüßigkeit? Meine Frau und ich haben ein wunderbares Ritual. Wir trinken am Wochenende, meist geht es unter der Woche nicht, ziemlich genau um 12 Uhr, einen italienischen Kaffee und essen dazu Süßigkeiten unterschiedlicher Art. Und das ist so mit das Schönste, was es für uns beide überhaupt gibt: Weil es am Wochenende ist, weil es ein Ritual ist und weil diese Kombination zwischen diesem wunderbaren Kaffee und entsprechenden Süßigkeiten himmlisch ist. Herr Professor Roth, vielen Dank für das Interview. 6 7