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6.3 Daniel Libeskind - „Über den Linden“
Die zukünftige Entwicklung Berlins wird von dem Geist kreativer Vorstellungskraft abhängen,
dessen Substanz die Hoffnung ist und dessen Prüfstein die ethische Überzeugung.
Diese Substanz ist vielmehr ein Glaube an die Stadt und ihre Kultur als die Manipulation
durch ökonomische/politische Variablen, die im Hinblick auf kurzsichtige Ziele unter
dem Deckmantel »Planung« firmieren. Es ist die Erforschung, nicht die Ausbeutung, der
höchste Priorität eingeräumt werden muß; das phantasievolle, nicht das kaufmännische
Denken, das erforderlich ist.
Das Projekt »Über den Linden« will die Vorstellung vom historischen Zentrum Berlins
bezüglich seiner Größe, seiner Funktion und seines Charakters untermauern, indem
es die Gebäude, die Straßen und die vormaligen Trennungslinien umgestaltet. Um die
historische Ost-West-Verkehrsader wiederzubeleben, ist es notwendig, sie der Dynamik
des 21. Jahrhunderts sowohl funktional als auch urbanistisch anzupassen. Nur indem
die Barrieren der Planung und der Gedankenwelt des 19. Jahrhunderts durchbrochen
werden, kann es gelingen, eine Bresche in den Damm zu schlagen, der den Osten (auch
schon vor der politischen Teilung) vom Westen trennte, damit die Energien Berlins wieder
frei ins tägliche Leben der Stadt zurückfließen können.
Eine neue Architektur ist dem neuen Berlin angemessen. Durch wachsende Einkommen
allein, während es vom gleichen alten Kapital und dem gleichen Bestand überlieferter
Architektur zehrt, kann Berlin nicht wachsen.
Eine radikale, weniger auf Absicherung denn auf Vitalität bedachte Unternehmung ist
vonnöten, die die Tiefen des Geistes von Berlin, aus dem sich der intellektuelle und soziale
Charakter der Stadt nährt, ergründet. Auf diese Weise wird eine offene architektonische
Vision zur Wirklichkeit der neuen Kapitale, die neue Zinsen tragen und nicht bloß
eine einmalige Investition sein wird, gezahlt und schon vergessen. D. L 13