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Identität und Erinnerung - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung

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Das Schreiben des Buches gab Minka Pradelski die Gelegenheit, sich literarisch<br />

das „zu erträumen <strong>und</strong> darzustellen“, was ihr immer als Fehlstelle<br />

vorkam. Deshalb habe sie die Charaktere so liebevoll beschrieben, einschließlich<br />

<strong>der</strong> r<strong>und</strong>lichen, störrischen Frau Kugelmann, die Zippy ihre<br />

<strong>Erinnerung</strong>en anfangs regelrecht aufdrängt. Eine solche Person, „die<br />

einfach mal alles erzählt“, hätte sie sich auch für ihre eigene Familie gewünscht.<br />

Dennoch ist <strong>der</strong> Roman nicht vollkommen fi ktiv: Die historischen Daten<br />

im Buch sind belegt, <strong>und</strong> die Geschichten über die polnische Stadt beruhen<br />

auf Interviews mit verschiedenen Überlebenden. Anlass für den<br />

Roman wurde ein Gespräch mit einem Überlebenden, <strong>der</strong> Minka Pradelski<br />

am Ende bat, sie solle seine Stadt Bendzin nicht vergessen. Beharrlich rief<br />

er sie eine Woche lang täglich an, morgens <strong>und</strong> abends, <strong>und</strong> bat darum,<br />

seine ehemaligen Klassenkameraden aus Bendzin zu besuchen <strong>und</strong> auch<br />

ihre Geschichten anzuhören. Sie ließ sich überzeugen <strong>und</strong> führte in Israel<br />

acht Interviews. Schon am ersten Tag war sie von diesen persönlichen<br />

Erfahrungsberichten fasziniert; ein Interview blieb ihr in beson<strong>der</strong>er <strong>Erinnerung</strong>:<br />

„Es war in Jerusalem. Er hat angefangen, von seiner Jugend in<br />

Bendzin zu erzählen. Ich habe dann in seinem Gesicht den kleinen Jungen<br />

von damals gesehen, <strong>und</strong> das hat mich sehr berührt. Ich dachte: Das war<br />

ja eine ganz unbeschwerte, fröhliche Jugend! Die hast du gar nicht gekannt.“<br />

Bei ihrer Rückreise nach Frankfurt hatte die<br />

Autorin das Gefühl, Rohdiamanten im Gepäck mit<br />

sich zu führen, die nun zu schleifen waren. Aus <strong>der</strong><br />

literarischen Verarbeitung dieser Erzählungen entstand<br />

das Buch. Die Faszination hielt an, bis <strong>der</strong> letzte<br />

Satz geschrieben war, sagt Minka Pradelski.<br />

Der Prozess des Schreibens wurde für sie auch zu<br />

einer <strong>Identität</strong>ssuche: Je mehr Minka Pradelski über<br />

Bendzin schrieb, desto stärker wurde die Vorstellung,<br />

es könnte auch die Stadt ihres Vaters gewesen sein,<br />

seine Geschichte könnte sich nicht so sehr von den<br />

erzählten Geschichten unterscheiden. So konnte sie<br />

NS-Vergangenheit<br />

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