Katastrophenmedizin neu - deNIS
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<strong>Katastrophenmedizin</strong><br />
Leitfaden für die ärztliche Versorgung<br />
im Katastrophenfall
<strong>Katastrophenmedizin</strong><br />
Leitfaden für die ärztliche Versorgung im Katastrophenfall
Schutzkommission<br />
beim<br />
Bundesminister des Innern<br />
<strong>Katastrophenmedizin</strong><br />
Leitfaden für die ärztliche Versorgung<br />
im Katastrophenfall<br />
3. ergänzte Auflage 2003<br />
Berlin 2003
<strong>Katastrophenmedizin</strong><br />
Leitfaden für die ärztliche Versorgung im Katastrophenfall<br />
Herausgeber:<br />
Bundesministerium des Innern<br />
Alt Moabit 101<br />
10559 Berlin<br />
Redaktion:<br />
Dr. med. Johann Wilhelm Weidringer<br />
Chirurg, Geschäftsführender Arzt<br />
Bayerische Landesärztekammer<br />
Mühlbaurstr. 16<br />
81677 München<br />
Direktor und Professor Dr. rer. nat. Wolfgang Weiss<br />
Geschäftsführer der Schutzkommission beim Bundesminister<br />
des Inneren<br />
c/o Bundesamt für Strahlenschutz – Institut für Strahlenhygiene<br />
Ingolstädter Landstr. 1<br />
85764 Oberschleißheim/Neuherberg<br />
Mit Beiträgen von:<br />
Prof. Dr. B. Domres, Prof. Dr. A. Ekkernkamp, Dr. N. Felgenhauer,<br />
Dr. E.-J. Finke, Prof. Dr. R. E. Fock, Dr. H. Haller, Dr. W.<br />
Kirchinger, Prof. Dr. J. Knobloch, Dr. G. Matthes, Dipl. Päd. H. F.<br />
Peter, Prof. Dr. E. Pfenninger, Prof. Dr. E. Rebentisch, Prof. Dr. J.<br />
Schüttler, Prof. Dr. P. Sefrin, Dipl. Chem. Dr. R. Spörri, Dr. H.<br />
Strauss, Dr. N. Vogt, Dipl. Theol. F. Waterstraat, Dr. J. W.<br />
Weidringer, Prof. Dr. W. Weiss, Prof. Dr. Th. Zilker; Arbeitskreis<br />
Notfallmedizin und Rettungswesen e.V. München (Basis-Layout<br />
des Einsatzablauf-Flussdiagramms, S. 244)<br />
Bildquellennachweis:<br />
Alle Abbildungen des Deckumschlages © dpa<br />
Das vorliegende Werk konnte nur Dank des Engagements bei<br />
Organisation und Textverarbeitung von v.a. Frau Sybille Ryska<br />
und Frau Ursula Seifert fertig gestellt werden.<br />
ISBN 3-00-007967-X<br />
01. - 30.000: 2001<br />
31. - 60.000: 2002<br />
61. - 90.000: 2003<br />
4
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten<br />
Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des<br />
Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und<br />
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auf anderen Wegen und der Speicherung sowie<br />
Verarbeitung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei<br />
nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung<br />
dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im<br />
Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen<br />
des Urheberrechtsgesetzes vom 09.06.1965, BGBl I, S. 1237,<br />
zuletzt geändert durch Artikel 12 des Gesetztes vom 16.07.1998,<br />
BGBl. I, S. 1827 zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig.<br />
Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen<br />
des Urheberrechtsgesetzes.<br />
Die in den einzelnen Kapiteln ausgeführten Überlegungen stellen<br />
keine Meinungsäußerung des Herausgebers oder der Redaktion<br />
dar, sondern entsprechen denjenigen des jeweiligen<br />
Autors.<br />
© Bundesministerium des Innern, Berlin 2003<br />
Printed in Germany<br />
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen<br />
u.s.w. in diesem Werk berechtigt auch ohne<br />
besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche<br />
Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung<br />
als frei zu betrachten wären und daher von jedermann<br />
benutzt werden dürften.<br />
Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen<br />
und Applikationsformen kann weder vom Herausgeber noch<br />
von der Redaktion noch von den Autoren eine Gewähr übernommen<br />
werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen<br />
Anwender im Einzelfall, z. B. anhand weiterer Literaturstellen<br />
sowie anhand des gegebenen Standes von Wissenschaft und<br />
Technik, auf ihre Richtigkeit überprüft werden.<br />
Mit den in diesem Werk verwandten Personen- und Berufsbezeichnungen<br />
sind, auch wenn sie nur in einer Form auftreten,<br />
grundsätzlich gleichwertig beide Geschlechter gemeint.<br />
Herstellung, Satz, Druck und Bindearbeiten:<br />
Offizin Hildburghausen GmbH<br />
Gedruckt auf chlorfreiem Papier<br />
5
Inhaltsverzeichnis<br />
1. Geleitworte<br />
Bundesministerin für Gesundheit und<br />
Bundesminister des Innern.<br />
Deutsche Gesellschaft für <strong>Katastrophenmedizin</strong> e.V...........8/9<br />
2. Vorwort<br />
A. Scharmann, W. Weiss ................................................11<br />
3. Ethik und Recht der <strong>Katastrophenmedizin</strong><br />
E. Rebentisch ..................................................................13<br />
4. Aspekte zur <strong>Katastrophenmedizin</strong> und<br />
Definitionen ihrer Inhalte und Aufgabe<br />
J. W. Weidringer ..............................................................25<br />
Allgemeine Aspekte zu Katastrophensituationen<br />
5. Der Mensch in der Katastrophe:<br />
Psychologisch-seelsorgerliche Aspekte<br />
F. Waterstraat ..................................................................31<br />
6. Lebensrettende Sofortmaßnahmen unter<br />
Katastrophenbedingungen<br />
P. Sefrin ..........................................................................45<br />
Spezielle medizinische Maßnahmen<br />
7. Therapie des Volumenmangelschocks<br />
E. Pfenninger, N. Vogt ....................................................63<br />
8. Schmerzbehandlung und Anästhesie unter<br />
Katastrophenbedingungen<br />
E. Pfenninger ..................................................................70<br />
9. Chirurgische Maßnahmen im Katastrophenfall bei<br />
Patienten mit Kombinationstraumen/Versorgungsstrategien<br />
bei polytraumatisierten Patienten<br />
A. Ekkernkamp, G. Matthes ............................................79<br />
10. Maßnahmen bei thermischen Schädigungen<br />
im Katastrophenfall<br />
H. Haller ..........................................................................90<br />
Spezielle Schädigungsmechanismen<br />
11. Ärztliche Maßnahmen bei Strahlenunfällen und<br />
Strahlenkatastrophen<br />
W. Kirchinger ................................................................117<br />
6
12. Management von Gefahrgutunfällen und<br />
Massenvergiftungen<br />
Th. Zilker, N. Felgenhauer, R. Spörri..............................144<br />
13. Seuchenhygiene und -bekämpfung<br />
J. Knobloch, E.-J. Finke, B. Domres. ............................180<br />
Aspekte zum Management in Katastrophensituationen<br />
14. Katastrophenmanagement im Krankenhaus –<br />
Empfehlungen für den Ärztlichen Dienst<br />
H. Strauss, J. Schüttler. ................................................227<br />
Anhang<br />
– Einsatzablauf-Flussdiagramm ......................................244<br />
– Übersicht Regionaler Strahlenschutzzentren<br />
[aus Kapitel 11]. ............................................................257<br />
– Schwerbrandverletzte: Liste der am Vermittlungsverfahren<br />
der Zentralen Anlaufstelle (ZA)<br />
Schwerbrandverletzte beteiligten Krankenhäuser;<br />
Bettennachweis; Übersichtskarte. ................................260<br />
– Übersicht zu Gift-Informationszentren in der<br />
Bundesrepublik Deutschland [aus Kapitel 12] ..............270<br />
– Gefahrensymbole und Gefahrenbezeichnungen<br />
[aus Kapitel 12]..............................................................273<br />
– Poison Severity Score (PSS) [aus Kapitel 12] ..............274<br />
– Meldeformulare [vgl. Kapitel 13]<br />
zum Infektionsschutzgesetz (IfSG) ................................279<br />
Statistiken/Übersichten. ........................................................283<br />
Autorenverzeichnis. ................................................................295<br />
Stichwortverzeichnis. ............................................................301<br />
Varia ......................................................................................317<br />
15. Großschadenslagen durch biologische Agenzien<br />
R. Fock ..........................................................................346<br />
7
Geleitwort<br />
Ramstein, Eschede, Brühl, der Sturm Lothar, Enschede und<br />
Kaprun sind konkrete Beispiele dafür, dass wir trotz des wissenschaftlichen<br />
und technologischen Fortschritts und trotz vielfältiger<br />
Präventivmaßnahmen vor Katastrophen nicht gefeit sind. Naturereignisse,<br />
technische Katastrophen und nicht zuletzt die Terroranschläge<br />
des 11. September 2001 in den USA führen uns die<br />
menschliche Verwundbarkeit vor Augen.<br />
Den Betroffenen einer Katastrophe die bestmögliche Hilfe zu<br />
gewähren, muss Ziel aller Gefahrenabwehrmaßnahmen sein. Der<br />
<strong>Katastrophenmedizin</strong> kommt hierbei die wichtige Funktion der<br />
medizinischen Versorgung der Betroffenen zu, einer Versorgung,<br />
die auch bei einer Vielzahl Verletzter unter schwierigsten Rahmenbedingungen<br />
effizient sein muss. Das stellt hohe und spezielle<br />
Anforderungen an Wissen und Können des medizinischen<br />
Personals, insbesondere auch an das der behandelnden Ärzte.<br />
Das erforderliche Wissen in diesen Fällen ist niemals so breit<br />
gefächert präsent, wie es von der Sache her erforderlich wäre.<br />
Dies hängt erheblich damit zusammen, dass – glücklicherweise<br />
und dank wirksamer Präventivmaßnahmen – Katastrophen mit<br />
einer großen Anzahl Verletzter sehr selten sind.<br />
Der vorliegende Leitfaden für die ärztliche Versorgung soll einen<br />
Beitrag zur Aktualisierung und Verbreiterung der ärztlichen<br />
Wissensbasis in der <strong>Katastrophenmedizin</strong> leisten. Er gibt in<br />
kompakter Form und unter Berücksichtigung des aktuellen Erkenntnisstands<br />
Ratschläge und Hinweise zur Entscheidungsfindung<br />
sowie zur jeweils notwendigen Behandlung.<br />
Der <strong>neu</strong>e Leitfaden hat eine überwältigende Resonanz gefunden,<br />
die kurzfristig eine weitere Neuauflage erforderlich machte.<br />
Damit wird ein weiterer wichtiger Beitrag geleistet, um möglichst<br />
viele Ärzte in die Lage zu versetzen, in einer Notsituation<br />
angemessen reagieren zu können. Der Schutzkommission beim<br />
Bundesminister des Innern und den engagierten Verfassern sei<br />
dafür gedankt, dass sie sich dieser anspruchsvollen humanitären<br />
Aufgabe ehrenamtlich angenommen haben.<br />
Otto Schily Ulla Schmid<br />
Bundesminister des Innern Bundesministerin<br />
für Gesundheit und<br />
Soziale Sicherung<br />
8
Geleitwort<br />
Die zurückliegenden Jahre waren geprägt von einer Zunahme von<br />
Naturkatastrophen und Großschadensfällen, die jedem vor Augen<br />
führen, dass trotz hoher Technisierung und Etablierung von Rettungsdiensten<br />
diese nicht ausreichen, um die Folgen derartiger<br />
Geschehen zu verringern oder sie zu verhindern. Das Jahr 1999<br />
hat mit seinen Schäden die zweithöchste Schadenslast der<br />
Geschichte ausgelöst. Bei weltweit 326 Ereignissen im Jahr 1999<br />
kamen über 105.000 Menschen ums Leben. Dies ist der Grund,<br />
weshalb eine Befassung mit der Prävention von Katastrophen und<br />
der Bewältigung ihrer Folgen unbedingt erforderlich scheint. Die<br />
Zunahme der Großschadensfälle erfordert nicht nur technische<br />
Vorbereitungen zur Hilfeleistung, sondern auch im medizinischen<br />
Bereich sind besondere Vorgehensweisen, die sich von der üblichen<br />
Patientenversorgung unterscheiden, notwendig. Eine Katastrophe<br />
ist ein Schadensereignis, das durch eine Überforderung<br />
der initial zu seiner Bewältigung verfügbaren Infrastruktur gekennzeichnet<br />
ist. Gewohnte und bei der Notfallmedizin bewährte<br />
Versorgungsverfahren sind angesichts der Vielzahl Behandlungsbedürftiger<br />
nicht adäquat. Nur durch gezielt und frühzeitig ergriffene,<br />
der Situation und den verfügbaren Möglichkeiten angepasste<br />
Rettungs- und Hilfsmaßnahmen besteht die Chance, die Schadensfolgen<br />
im Hinblick auf ein Überleben und eine Minderung der<br />
körperlichen Verletzungs- bzw. Erkrankungsfolgen geringer zu<br />
halten.<br />
Der Bereich <strong>Katastrophenmedizin</strong> wird im Rahmen der Ausbildung<br />
von Ärzten in Deutschland nur randständig gestreift, so<br />
dass der einzelne Arzt über seine spezifische Fachrichtung hinaus<br />
in diesem Bereich nach Abschluss seines Studiums keine<br />
ausreichenden Kenntnisse und Erfahrungen hat. Selbst im<br />
Rettungsdienst tätige Notärzte haben erhebliche Schwierigkeiten,<br />
ihr ärztliches Handeln von einer „Individualmedizin“ auf<br />
eine „Massenmedizin“ umzustellen. Aus diesem Grunde ist es<br />
nicht nur berechtigt, sondern dringend notwendig, das Anliegen<br />
der <strong>Katastrophenmedizin</strong> einem breiteren interessierten Leserkreis<br />
– auch über die ärztliche Zielgruppe hinaus – näher zu bringen.<br />
Dem Bundesministerium des Innern, insbesondere der Schutzkommission,<br />
ist zu danken, dass sie die Initiative ergriffen hat<br />
und namhafte Referenten zur Darlegung der speziellen Problematik<br />
der Versorgung differenter Katastrophen gewinnen konnte.<br />
Die Auswahl der Autoren bürgt dafür, dass aktuelle und<br />
nachvollziehbare Informationen und Hilfestellungen vermittelt<br />
9
werden, nachdem viele dieser Autoren auch Mitglieder der<br />
Deutschen Gesellschaft für <strong>Katastrophenmedizin</strong> e.V. sind und<br />
meist praktische Erfahrungen in der Bewältigung von Großschadensfällen<br />
besitzen.<br />
Katastrophen machen es auch im medizinischen Bereich erforderlich,<br />
den Anspruch des einzelnen Betroffenen ernst zu nehmen,<br />
auch unter den beschränkten Verhältnissen eine möglichst<br />
optimale Hilfe zu erhalten. Andererseits gilt es zu beachten,<br />
dass jeder in die Lage kommen kann, bei Eintritt eines derartigen<br />
Geschehens Hilfe leisten zu müssen, denn die routinemäßig<br />
vorgehaltenen Rettungsmittel mit dem Personal des Rettungsdienstes<br />
werden zur Versorgung der Vielzahl der Betroffenen<br />
nicht ausreichen. Für die Ersthelfenden – auch Ärzte – besteht<br />
eine enorme physische und psychische Belastung, auf die zumindest<br />
eine mentale Vorbereitung erforderlich ist.<br />
Aus diesem Grund können die einzelnen Kapitel des Leitfadens<br />
u.a. dem Arzt eine konkrete Hilfestellung für seine Aufgabe unter<br />
den besonderen Bedingungen der Katastrophe offerieren. Dies<br />
ist auch der Grund, weshalb die Deutsche Gesellschaft für<br />
<strong>Katastrophenmedizin</strong> e. V. das Anliegen des Leitfadens uneingeschränkt<br />
unterstützt und wünscht, dass durch eine weite Verbreitung<br />
dieses Buches eine möglichst große Zahl v. a. von Ärzten<br />
mit dem Inhalt vertraut gemacht wird. Aus diesem Grunde<br />
wünschen wir dem Leitfaden eine hohe Streuung unter der<br />
deutschen Ärzteschaft und allen weiteren Interessierten, um im<br />
konkreten Falle dem humanitären Anspruch gerecht werden zu<br />
können.<br />
Prof. Dr. P. Sefrin<br />
Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft<br />
für <strong>Katastrophenmedizin</strong> e.V.<br />
10
Vorwort<br />
Die Schutzkommission beim Bundesminister des Innern hat<br />
erstmals im Jahr 1982 mit dem „Leitfaden für die ärztliche Versorgung<br />
im Katastrophenfall“ ein „Vademekum für Ärzte“ vorgelegt,<br />
das letztlich in Katastrophenfällen dazu beitragen soll, „das<br />
ärztlich Notwendige zu tun oder zu veranlassen“. Dieser Leitfaden<br />
erfreute sich mit einer Gesamtauflage von etwa 150.000<br />
Exemplaren großer Beliebtheit und wurde inzwischen viermal in<br />
überarbeiteter Form aufgelegt. Die 2001 vorgelegte Neuauflage<br />
2001 war erforderlich geworden, weil nach nahezu 20 Jahren<br />
seit der Erstveröffentlichung die Einschätzung der Gefahrenpotentiale<br />
einerseits sowie die Inhalte und die Organisation der<br />
ärztlichen Versorgung in Deutschland andererseits sich so sehr<br />
verändert hatten, dass eine weitere Überarbeitung dem Anliegen<br />
eines „Vademekums“ nicht mehr gerecht geworden wäre.<br />
Schon nach kurzer Zeit war der Leitfaden vergriffen und es wurden<br />
Neuauflagen 2002 sowie 2003 notwendig.<br />
Die Neuauflage 2003 des „Leitfadens“ berücksichtigt die Forschungsergebnisse<br />
der letzten Jahre ebenso wie die praktischen<br />
Erfahrungen aus Großschadensereignissen und die nicht<br />
minder wichtigen planerisch-organisatorischen Vorkehrungen<br />
der Einheiten der Gefahrenabwehr. All diese Faktoren sind wesentlich<br />
für die erfolgreiche ärztliche Versorgung in Großschadensereignissen,<br />
in Katastrophensituationen und im Verteidigungsfall.<br />
Die Schutzkommission hat sich in den letzten Jahren wiederholt<br />
mit den Konsequenzen der Veränderungen der sicherheitspolitischen<br />
Lage in Europa, der mit dem <strong>neu</strong>en Zivilschutzgesetz veränderten<br />
gesetzlichen Lage in der Bundesrepublik, den Risiken<br />
einer zunehmend technisierten Gesellschaft und den Möglichkeiten<br />
und Notwendigkeiten zur Gefahrenabwehr und zum<br />
Schutz der Bevölkerung befasst. Zu nennen sind hier insbesondere<br />
die Gefahrenberichte (1996 sowie 2001) 1 und der „Medizinbericht“<br />
2 aus dem Jahr 1999. Die Ergebnisse dieser Beratungen<br />
sind ebenfalls in die Neufassung des „Leitfadens“<br />
eingeflossen. Die Neuauflage setzt entsprechend dieser Analysen<br />
<strong>neu</strong>e inhaltliche Schwerpunkte. So wurde z.B. die nach<br />
1 Mögliche Gefahren für die Bevölkerung bei Großkatastrophen und im Verteidigungsfall<br />
(„Gefahrenbericht“); Schutzkommission beim BMI, Oktober 1996, 47 Seiten, 2. Gefahrenbericht,<br />
Oktober 2001, 80 Seiten<br />
2 Untersuchungen der gesetzlichen Regelungen zum Schutz und zur Rettung von Menschenleben<br />
sowie zur Wahrung und Wiederherstellung der Gesundheit bei Großschadensereignissen.<br />
Schutzkommission beim BMI, Mai 1999, 36 Seiten<br />
11
Tschernobyl erfolgte Fokussierung auf Fragen des Strahlenschutzes<br />
relativiert. Neu sind die Ausführungen zur Stressbewältigung<br />
in und nach belastenden Einsätzen, die die Erkenntnisse<br />
aus Großschadensereignissen der letzten Jahren<br />
berücksichtigen.<br />
Der Terroranschlag in New York City, USA, am 11. September 2001,<br />
hat die Notwendigkeit der Beschäftigung hinsichtlich Prävention<br />
und Umgang mit Katastrophenereignissen in tragischer Weise deutlich<br />
werden lassen.<br />
Die Zielrichtung und die Zielgruppe des „Leitfadens“ sind unverändert<br />
geblieben. Der Leitfaden ist auch dazu bestimmt, am Ort<br />
des Geschehens zu Rate gezogen zu werden. Insofern hat die<br />
bisherige Veröffentlichungsform als „Hand-“ bzw. „Taschenbuch“<br />
auch im Zeitalter des Internets und der PC gestützten Informationsvermittlung<br />
nach wie vor ihre Berechtigung und<br />
Bedeutung. Zielgruppen des Leitfadens sind auf der einen Seite<br />
v. a. Ärzte, die nicht über hinreichende Erfahrungen in der <strong>Katastrophenmedizin</strong><br />
verfügen, auf der anderen Seite in der <strong>Katastrophenmedizin</strong><br />
erfahrene Ärzte, die sich in Fragen außerhalb<br />
ihres Spezialgebiets vertieft orientieren wollen. Hinweise zur<br />
Verbesserung des gegenwärtigen „Leitfadens“ nimmt die<br />
Schutzkommission jederzeit gerne entgegen.<br />
Die Schutzkommission hofft, dass dieser <strong>neu</strong>e „Leitfaden“ dazu<br />
beiträgt, bei Großschadensereignissen, in Katastrophensituationen<br />
und auch im Verteidigungsfall das Leben und die Gesundheit<br />
möglichst vieler Menschen zu retten und zu sichern.<br />
Giessen und München, im Januar 2003<br />
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. A. Scharmann Prof. Dr. W. Weiss<br />
Vorsitzender der Schutzkommission Geschäftsführer<br />
der Schutzkommission<br />
12
3. Ethik und Recht der<br />
<strong>Katastrophenmedizin</strong><br />
E. Rebentisch<br />
1. Ethik<br />
Eine nur dem Menschen gegebene Tugend ist es, dem in Not<br />
geratenen Nächsten selbstlos und nach besten Kräften helfend<br />
zur Seite zu stehen. Im Laufe der Jahrhunderte sind Tausende<br />
von Menschen dem Beispiel des Samariters gefolgt, viele von<br />
ihnen haben dabei ihre eigene Gesundheit oder ihr Leben aufs<br />
Spiel gesetzt. Humanitäres Gedankengut hat die Bereitschaft<br />
zur Hilfeleistung in der Not auch über Zeiten menschlichen Versagens<br />
hinweg gefördert und ihr inzwischen weltweite Geltung<br />
verschafft. Zeigt sich dies in vielen Staaten der Welt bereits im<br />
Notfallgeschehen des Alltages, so findet sie ihren sichtbarsten<br />
Ausdruck in der Hilfeleistung bei Großschäden aller Art, die unversehens<br />
das Leben und die Gesundheit vieler Menschen<br />
bedrohen und darüber hinaus die Existenzgrundlagen der Bevölkerung<br />
des betroffenen Raumes schädigen oder vernichten.<br />
Genügen die zur Verfügung stehenden Kräfte und Mittel nicht<br />
zur Bewältigung des Unheils, hat die Gemeinschaft umfangreiche<br />
und allgemeine Hilfe zu leisten.<br />
Rettung und Hilfe für die betroffenen Menschen stehen bei jedem<br />
solcher Ereignisse im Vordergrund, gleichgültig, ob es sich um ein<br />
besonders schweres Unfallgeschehen oder um eine Katastrophe<br />
handelt. Deshalb muss es für Ärzte und ihre berufenen Helfer<br />
mehr noch als für andere Menschen eine Selbstverständlichkeit<br />
sein, ihr Wissen und Können sowie ihre Erfahrungen zur Rettung<br />
von Leben und zur Wiederherstellung der Gesundheit einzusetzen.<br />
Da jedoch dem Handeln medizinischer Laien und auch bestausgebildeter<br />
Angehöriger eines Heilhilfs- oder medizinischen<br />
Assistenzberufes gesetzliche Grenzen auferlegt sind, muss der<br />
Arzt die ihm vorbehaltenen Maßnahmen ergreifen und unterstützt<br />
von Helfern die zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen. Ist<br />
zwar in der Bundesrepublik Deutschland Hilfeleistung eine<br />
gesetzliche Pflicht, so erlegt darüber hinaus die ärztliche Berufsordnung<br />
jedem in Deutschland tätigen Arzt ein Gelöbnis auf, in<br />
dem er sich verpflichtet, bei der Ausübung seiner ärztlichen<br />
Pflicht keinen Unterschied zu machen, weder nach Religion,<br />
Nationalität und Rasse, noch nach Parteizugehörigkeit oder<br />
sozialer Stellung.<br />
13
Grundpfeiler ärztlichen Handelns sind Humanitas und Ethik. In<br />
diesem Sinne schrieb Hans Eberhard Bock (1): „Ärztliche Ethik<br />
hat eine einzige Richtung, dem Patienten zu nützen, aber niemals<br />
zu schaden. So grenzenlos die Motivation der Hilfsbereitschaft<br />
in der Medizin auch sein mag, das Helfenkönnen wird<br />
immer Grenzen haben. Kenntnisse und Bekennermut gehören<br />
zur ärztlichen Ethik. Wenn sie fehlen oder durch Gefälligkeit,<br />
Bequemlichkeit oder Ungerechtigkeit gefährdet werden, erzeugen<br />
sie Vertrauensschwund.“<br />
Bezog sich diese Feststellung zunächst auf das ärztliche<br />
Handeln in Klinik und Praxis, so kommt ihr in der Notfall- und<br />
<strong>Katastrophenmedizin</strong> eine noch weit höhere Bedeutung zu. In<br />
beiden Fällen geht es um die Bewältigung überraschend entstandener<br />
oder bestehender Gefahren für das Leben oder die<br />
Gesundheit von Menschen. Die Notfallmedizin befasst sich<br />
überwiegend mit einzelnen oder einer begrenzten Anzahl<br />
Patienten. <strong>Katastrophenmedizin</strong>ischen Anforderungen genügen<br />
zu wollen ist jedoch der Ausdruck für die ethisch begründete<br />
Bereitschaft und Verpflichtung des Arztes, Verletzten, Kranken<br />
oder anderweitig gesundheitlich Geschädigten auch dann nach<br />
besten Kräften zu helfen, wenn die Zahl der Opfer es nicht<br />
erlaubt, jeden Betroffenen so bald und so umfassend zu behandeln,<br />
wie dies der Eid des Hippokrates dem Arzt auferlegt. Der<br />
Arzt hat zu jeder Zeit, gegebenenfalls auch gegen Versuche von<br />
Nicht-Ärzten zur Einflussnahme auf sein Handeln, die Pflicht,<br />
Leben zu retten, Leiden zu lindern und die Gesundheit wieder<br />
herzustellen. Er hat dabei stets die Würde des Patienten zu<br />
beachten und muss selbst vertrauenswürdig sein.<br />
Wenn auch das Leitprinzip allen ärztlichen Handelns der Schutz<br />
menschlichen Lebens ist, bleibt dennoch das medizinisch<br />
Machbare die Grundlage allen ärztlich sinnvollen Tuns. Dies gilt<br />
ganz besonders in der Notfall- und <strong>Katastrophenmedizin</strong>, wo es<br />
trotz aller Zeitnot in jedem Einzelfall abzuwägen gilt, ob das<br />
Unterlassen oder Hinausschieben einer medizinischen Maßnahme<br />
im Interesse des Patienten sinnvoller ist als ein wenig aussichtsreiches<br />
Handeln. Die härteste Bewährungsprobe für den<br />
Arzt bildet stets die Konfrontation mit einem Massenanfall verletzter,<br />
vergifteter oder von anderen Gesundheitsschädigungen<br />
betroffener Menschen, weil die frühzeitige, umfassende medizinische<br />
Versorgung eines jeden Einzelnen nicht mehr gewährleistet<br />
ist (2). Die Plötzlichkeit und Unvorhersehbarkeit solcher<br />
Ereignisse setzt den personellen und materiellen Möglichkeiten<br />
zur Hilfeleistung deutliche Grenzen. Dennoch ist medizinische<br />
Hilfe im Interesse der betroffenen Menschen unverzichtbar, und<br />
14
dazu bedarf es im Interesse des Grundsatzes „größtmöglicher<br />
Nutzen für möglichst viele“ des Verzichtes auf das im Alltag übliche<br />
individuelle Arzt-Patienten-Verhältnis. Eine große Zahl<br />
gleichzeitig hilfebedürftiger und hilfesuchender Menschen<br />
zwingt – wenigstens vorübergehend – zur Anwendung des Sichtungsverfahrens,<br />
das weder durch ein Handeln nach dem Motto<br />
„wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ noch durch die Anwendung<br />
eines verschiedentlich erwogenen Losverfahrens ersetzt werden<br />
kann. Gründel (3) sieht im Verzicht auf die Sichtung angesichts<br />
eines Massenanfalles nichts anderes als die Flucht aus<br />
der Verantwortung.<br />
Diese Verantwortung für alle der möglichst zügigen und zugleich<br />
umfassenden Bewältigung dienenden Maßnahmen am Schadens-<br />
und Behandlungsort sowie für den Weg zur weiterführenden<br />
Behandlung kann nur ein Arzt, aber durchaus nicht jeder,<br />
tragen. Das Idealbild eines Sichtungs- oder Leitenden Notarztes<br />
verkörpert eine Ärztin oder ein Arzt, deren Persönlichkeit über<br />
Wissen, Können und Erfahrung in der Notfallmedizin aller medizinischen<br />
Fachgebiete hinaus geprägt ist durch Charakterstärke,<br />
Zuverlässigkeit, Entscheidungskraft, Handlungswille und<br />
Mut zur Verantwortung. Vorbildliche Menschen beeindrucken<br />
alle Mitarbeiter und spornen sie zu besten Leistungen an. Die<br />
Patienten fühlen sich geborgen. Darüber hinaus wirken sie mit<br />
ihrer Durchsetzungskraft regulierend und ordnend auf den Gesamtablauf<br />
der Hilfeleistung ein.<br />
Ausschlaggebend für das ärztliche Handeln ist allein das<br />
Streben nach bestmöglicher Hilfe für möglichst viele Schadensopfer<br />
unter gewissenhafter Abwägung der medizinischen Heilungschancen.<br />
Nicht die Forderung nach bevorzugter Behandlung<br />
oder lautstarkes Klagen geben den Ausschlag für eine<br />
sofortige Behandlung, sondern allein die Aussicht auf Sicherung<br />
des Überlebens.<br />
Nichts zeigt besser die Schwere der Verantwortung des Arztes<br />
für Leben und Tod als der Entschluss zur Anwendung des Sichtungsverfahrens.<br />
Doch wenn er die Entscheidung zur Auswahl<br />
im Sinne des Motivs der Rettung und Wiederherstellung der<br />
Gesundheit möglichst vieler Menschen treffen muss, ist dies<br />
kein Verstoß gegen Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit oder<br />
die Menschenwürde.(3)<br />
15
2. Allgemeine Rechtsfragen der <strong>Katastrophenmedizin</strong><br />
Der im letzten Satz des vorstehenden Kapitels herausgestellte<br />
Begriff „Menschenwürde“ bildet die Brücke zur Betrachtung der<br />
gesetzlichen und rechtlichen Gegebenheiten in der Bundesrepublik<br />
Deutschland.<br />
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (GG)<br />
bekennt sich in Artikel 1 zum Schutz der Menschenwürde und<br />
zur Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, diese zu achten und<br />
zu schützen.<br />
Artikel 2 Abs.2 GG gewährt das Grundrecht auf Leben und körperliche<br />
Unversehrtheit und verpflichtet damit indirekt die staatliche<br />
Gewalt, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, entsprechende<br />
Vorkehrungen zu treffen, damit der Einzelne dieses Recht<br />
tatsächlich in Anspruch nehmen kann.<br />
Artikel 11 Abs. 2 und Artikel 13 Abs. 3 GG beschreiben gesetzlich<br />
mögliche Einschränkungen der Freizügigkeit und der Unverletzlichkeit<br />
der Wohnung, wenn dies die Abwehr einer drohenden<br />
Allgemeingefahr, u.a. die Bekämpfung von Seuchengefahr,<br />
Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen,<br />
erfordert.<br />
Artikel 19 Abs. 2 GG garantiert, dass auch durch den Gesetzgeber<br />
in keinem Fall ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt<br />
angetastet werden darf.<br />
Überträgt der Artikel 30 GG den Ländern die Erfüllung der staatlichen<br />
Aufgaben – also auch des Katastrophenschutzes –,<br />
soweit das Grundgesetz keine andere Regelung trifft, so sind<br />
gemäß Artikel 73 GG die auswärtigen Angelegenheiten und die<br />
Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung<br />
Aufgaben des Bundes.<br />
Schließlich bestimmt der Artikel 35 GG über die gegenseitige<br />
Amtshilfe der Behörden des Bundes und der Länder und befasst<br />
sich im Einzelnen mit der Zusammenarbeit bei der Bewältigung<br />
einer Naturkatastrophe oder eines besonders schweren Unglücksfalles.<br />
Über die ethisch begründete Pflicht jedes Menschen zur Hilfeleistung<br />
hinausgehend hat der Gesetzgeber im § 323 c des<br />
Strafgesetzbuches (StGB) bestimmt:<br />
„Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe<br />
leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach<br />
zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und<br />
ohne Verletzungen anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit<br />
Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“<br />
Dieser § 323 c StGB hat für den Arzt insofern größere Bedeutung<br />
als für andere Bürger, weil von ihm auf Grund seiner Kennt-<br />
16
nisse und Erfahrungen eine weitergehendere Hilfe für einen physisch<br />
oder psychisch zu Schaden gekommenen Menschen<br />
erwartet wird, als dies einem Laien gemeinhin möglich ist.<br />
Haben sich die Bundesländer im Rahmen der ihnen gemäß Art.<br />
35 GG übertragenen Zuständigkeit für die Gesetzgebung im<br />
Katastrophenschutz zunächst darauf beschränkt, den Einsatz<br />
freiwilliger Hilfskräfte, vorwiegend abgestützt auf die staatlich<br />
anerkannten Hilfsorganisationen, vorzusehen, haben sie im<br />
Weiteren in ihren von Land zu Land unterschiedlich formulierten<br />
Gesetzen die Möglichkeit zur zwangs- und zeitweisen Heranziehung<br />
von Angehörigen bestimmter Altersgruppen zum Katastrophenschutz<br />
geschaffen. Darüber hinaus haben die meisten<br />
Bundesländer die Heranziehbarkeit bestimmter Fachkräfte,<br />
darunter Ärzte und Angehörige der medizinischen Hilfs- und Assistenzberufe,<br />
in den Katastrophenschutzgesetzen und Durchführungsbestimmungen<br />
verankert. Den Angehörigen der Gesundheitsberufe<br />
sind Melde-, Aus- und Fortbildungspflichten<br />
sowie die Pflicht zur Teilnahme an Übungen auferlegt, denen<br />
allerdings die derzeit geltenden Berufsgesetze der Heilberufe<br />
nicht ausreichend folgen. So beschränkt sich die Fortbildungspflicht<br />
(§ 4 der [Muster-]Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen<br />
und Ärzte [MBO-Ä 1997]) auf die jeweils ausgeübte<br />
Berufstätigkeit und die Heilberufs- und Kammergesetze der<br />
Bundesländer verpflichten lediglich die niedergelassenen Ärzte,<br />
soweit sie am Ärztlichen Notfalldienst teilnehmen, sich hierfür<br />
fortzubilden. Ähnliches gilt für Angehörige der Heilhilfs- und<br />
Assistenzberufe.<br />
Da zu schweren Schäden und großen Zahlen an Opfern führende<br />
Großschadensereignisse und Katastrophen in der Regel überraschend<br />
eintreten und demgemäß dringendst des Einsatzes von<br />
Rettungs- und Hilfskräften bedürfen, ist offenbar geworden,<br />
dass die Kräfte der freiwilligen Hilfsorganisationen aus strukturellen<br />
Gründen nicht innerhalb kürzester Zeit zur Verfügung stehen<br />
können. Den in dieser kritischen Phase höchsten Gefahren<br />
ausgesetzten schwer- oder lebensbedrohlich Verletzten dennoch<br />
frühzeitig helfen zu können, haben inzwischen die meisten<br />
Bundesländer eine gesetzliche Brücke zwischen ihren Rettungsdienst-<br />
und Katastrophenschutzgesetzen geschlagen. Damit ist<br />
der in kürzester Zeit notwendige Einsatz von Leitenden Notärzten,<br />
Notärzten und Rettungsdienstpersonal am Großschadensort<br />
gesichert. Dies ist um so logischer, als viele Großschadensereignisse<br />
zunächst nicht in ihrem wahren Ausmaß erkannt<br />
werden und der Rettungsdienst zugleich mit Feuerwehr und<br />
Polizei alarmiert wird, so dass stets innerhalb von Minuten fachlich<br />
qualifizierte Helfer am Schadensort verfügbar sind.<br />
17
3. Die Rechtsstellung des Arztes im Katastrophenfall<br />
Das heute weitgehend flächendeckende Netz des Notarzt- und<br />
Rettungsdienstes ist zwar eine gute Grundlage für die medizinische<br />
Hilfeleistung bei Katastrophen, doch muss sich auch jeder<br />
andere Arzt bewusst sein, dass er bei möglicher Nähe zum<br />
Schadensgeschehen zu Hilfe eilen oder in seiner Praxis Verletzten<br />
helfen muss oder von der Katastrophenschutzbehörde zur<br />
Hilfeleistung herangezogen werden kann. In der Notssituation<br />
gilt dabei keine Rücksicht auf ein Fachgebiet, eine spezielle<br />
Qualifikation oder Erfahrung.<br />
Im Allgemeinen muss der Arzt, der eine Behandlung übernimmt,<br />
der er nach seinen Kenntnissen und Erfahrungen nicht gewachsen<br />
ist, bei einem Behandlungsfehler mit dem Vorwurf rechnen,<br />
er hätte diese Aufgabe nicht übernehmen dürfen. Ein solches<br />
Übernahmeverschulden scheidet aber für denjenigen aus, der in<br />
einem Katastrophenfall auf Grund einer allgemeinen Hilfeleistungspflicht<br />
an der medizinischen Versorgung teilnimmt, ohne<br />
spezifische notfallmedizinische Kenntnisse und Erfahrungen zu<br />
besitzen oder der zu einem solchen Einsatz durch Anordnung<br />
der dafür zuständigen Behörde herangezogen wird. (4)<br />
Im Not- und Katastrophenfall ist es dem Arzt im Gegensatz zu<br />
seiner Regeltätigkeit nicht erlaubt, die Behandlung eines Hilfebedürftigen<br />
abzulehnen.<br />
Der Arzt und ebenso seine Mitarbeiter haben sich stets bewusst<br />
zu sein, dass alle Bundes- und Landes-Gesetze auch im Katastrophenfall<br />
unverändert Bestand haben, sofern dies nicht gesetzlich<br />
anders bestimmt ist. So hat z.B. kein Nicht-Arzt das<br />
Recht, einem Arzt bei der Ausführung der von ihm im weitesten<br />
Sinne als notwendig empfundenen medizinischen Handlungen<br />
und Entscheidungen dreinzureden oder ihm Weisungen erteilen<br />
zu wollen.<br />
Das Recht der freien Arztwahl ist im Rahmen der Katastrophenhilfe<br />
angesichts der herrschenden Situation praktisch nicht<br />
zu wahren, da dem die Dringlichkeit der Hilfeleistung, die Zahl<br />
der Hilfebedürftigen und vor allem die Ungewissheit im Wege<br />
stehen, welcher Arzt zuerst dem Hilfebedürftigen zu Hilfe<br />
kommt, und welcher ihm möglicherweise vor dem Abtransport<br />
weitere Hilfe zuteil werden lässt.<br />
Eine beabsichtigte Behandlung setzt jedoch auch in einer Notsituation<br />
eine entsprechende Befähigung des Arztes sowie die<br />
18
Aufklärung und Einwilligung des Patienten voraus. Das Selbstbestimmungsrecht<br />
des Patienten, eine Behandlungsmaßnahme<br />
abzulehnen, bleibt unangetastet, so dass dem Patienten keine<br />
solche aufgenötigt werden darf. In einem solchen Fall ist selbst<br />
bei Vorliegen eines bedrohlichen Gesundheitsschadens der<br />
Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung nicht erfüllt. Ist andererseits<br />
die Einwilligung zu einer unaufschiebbar notwendigen<br />
Behandlung nicht zu erlangen, weil z.B. der Patient<br />
bewusstlos ist, so kann nach dem Prinzip der mutmaßlichen<br />
Einwilligung davon ausgegangen werden, dass die Einwilligung<br />
vorliegt (§§ 223 ff StGB und § 823 BGB). Problematisch kann es<br />
bei einem Kind werden, dessen Eltern nicht erreichbar sind, weil<br />
der Arzt im lebensbedrohlichen Extremfall ebenfalls vom Prinzip<br />
der mutmaßlichen Einwilligung ausgehen wird.<br />
Trotz der außergewöhnlichen Situation eines Massenanfalles<br />
Hilfebedürftiger gelten folgende Pflichten des Arztes unverändert<br />
fort:<br />
a) Im Sinne der Sorgfaltspflicht hat der Arzt die anerkannten<br />
Regeln der ärztlichen Kunst zu beachten und jede Schädigung<br />
des Patienten zu vermeiden. Er darf keine Behandlungsanweisung<br />
erteilen, ohne den Patienten gesehen und<br />
ihn der Situation entsprechend über Art und Risiko der<br />
beabsichtigten Maßnahmen aufgeklärt zu haben.<br />
b) Der Arzt trägt die Verantwortung für den Patienten, bis er<br />
– einen Leichtverletzten mit weiteren Anweisungen aus der<br />
Behandlung oder zum Hausarzt entlässt,<br />
– einen krankenhauspflichtigen Patienten nach Herstellung<br />
der Transportfähigkeit und Entscheidung über Transportart,<br />
-fahrweise und Begleitung zu einem für die Weiterbehandlung<br />
geeigneten Krankenhaus bringen lässt.<br />
c) Wahrung des ärztlichen Berufsgeheimnisses. Die Berufsordnung<br />
verpflichtet den Arzt, den nächstbehandelnden Arzt<br />
alsbald so eingehend wie möglich über die von ihm erhobenen<br />
Befunde und seine Maßnahmen zu informieren und<br />
dabei das Berufsgeheimnis zu wahren.<br />
Die äußeren Umstände der Hilfeleistung bei Katastrophen<br />
können – müssen aber nicht – den Arzt zwingen, die durch<br />
den § 203 StGB mit Strafe bedrohte Nichtbefolgung der<br />
Pflicht zur Wahrung des ärztlichen Berufsgeheimnisses zu<br />
durchbrechen. Dieser Fall kann im Sinne des rechtfertigenden<br />
Notstandes (§ 34 StGB) im Interesse der Patienten<br />
gegeben sein, wenn z.B. nach einem Massenanfall Verletzter<br />
Befund und Behandlungsmaßnahmen auf einer „Anhängekarte<br />
für Verletzte“ offen weitergegeben werden müssen.<br />
Ebenso kann es notwendig sein, Angehörige eines Patien-<br />
19
ten, insbesondere eines Kindes oder Jugendlichen, über den<br />
Gesundheitsschaden und die getroffenen Maßnahmen zu<br />
informieren. In beiden Fällen ist anzunehmen, dass dies im<br />
Interesse des Schadensopfers liegt.<br />
Feststellungen, die sich jedoch nicht auf die akute Gesundheitsschädigung<br />
beziehen, darf der Arzt nicht oder nur nach<br />
Einwilligung des Patienten weitergeben. Beim Bewußtlosen<br />
kann allerdings die Weitergabe therapeutisch bedeutsamer<br />
Befunde im Sinne des rechtfertigenden Notstandes (§ 34<br />
StBG) angezeigt sein, um wiederum im Interesse des<br />
Patienten möglichen zusätzlichen Schäden vorzubeugen.<br />
Die berufsmäßigen Hilfskräfte des Arztes sind wie er gemäß<br />
§ 203 StGB der Wahrung des Berufsgeheimnisses unterworfen.<br />
Ob und inwieweit der Arzt sie gemäß der ärztlichen<br />
Berufsordnung vor dem Einsatz belehren kann, wird von der<br />
Situation abhängen.<br />
Nichtberufliche, freiwillige Helfer sind dem § 203 StGB nicht<br />
unterworfen. Bei Angehörigen einer Hilfsorganisation ist jedoch<br />
davon auszugehen, dass sie über die Grundsätze der<br />
Schweigepflicht belehrt sind.<br />
Strafrechtlich sieht sich der Arzt in der Katastrophenhilfe Handlungspflichten<br />
gegenüber, denen er häufig nur teilweise wird nachkommen<br />
können. Sein Verhalten hat sich dann nach den<br />
Grundsätzen des rechtfertigenden Notstandes bzw. der rechtfertigenden<br />
Pflichtenkollision (§ 34 StBG) zu richten. Hat eine Handlungspflicht<br />
eine höhere Bedeutung als eine andere, ist zunächst<br />
die Höherrangige, z.B. eine Notamputation zur Verhinderung des<br />
Verblutungstodes vor der Behandlung einer offenen Schädelwunde,<br />
zu erfüllen. Der Rang der Pflichten richtet sich nach der Dringlichkeit<br />
der Behandlung, gemessen am Grad der Gefahr und an den<br />
Erfolgsaussichten für den Patienten. Maßgebend sind die medizinischen<br />
Kriterien. So hat der in Lebensgefahr Schwebende Vorrang<br />
vor einem Verletzten, der zwar auch dringend der Behandlung<br />
bedarf, dessen Leben aber nicht akut gefährdet ist. Leichtverletzte<br />
müssen erforderlichenfalls warten oder können von nichtärztlichen<br />
Mitwirkenden versorgt werden.<br />
Das Recht kann nichts Unmögliches verlangen, sondern nur die<br />
Wahrung möglichst vieler Aussichten auf Rettung von Leben<br />
und Gesundheit. Sieht sich der Arzt mehreren gleichgelagerten<br />
Handlungspflichten gegenüber, so ist er gerechtfertigt, wenn er<br />
das ihm Mögliche leistet. Er muss aber sein Bemühen stets darauf<br />
richten, möglichst vielen zu helfen und diejenigen vorziehen,<br />
deren Behandlung nach medizinischen Kriterien am ehesten<br />
Erfolg verspricht.<br />
20
Die beim Massenfall unverzichtbare Anwendung der Sichtung<br />
aller Schadensopfer ist eine spezifisch ärztliche Aufgabe, da sie<br />
eine besondere Form der Ausübung der Heilkunde ist, um in<br />
kürzest möglicher Zeit eine Diagnose zu stellen und therapeutische<br />
Entscheidungen zu treffen. Der verantwortliche Arzt wird<br />
sich je nach Zahl der Schadensopfer und der Art und Schwere<br />
der Gesundheitsschäden auf Mithelfende abstützen müssen.<br />
Delegieren auf nichtärztliche Mitarbeiter kann er nur die<br />
Durchführung ärztlich angeordneter Maßnahmen.<br />
Schätzt der Arzt in der bedrängten Situation eines Massenanfalles,<br />
und infolge des Zwanges zu schnellen Entscheidungen die<br />
Dringlichkeit der Behandlung eines Verletzten falsch ein, kommt<br />
ein den Vorsatz bzw. die Schuld ausschließender Irrtum in<br />
Betracht. Das Maß der Sorgfalt bestimmt sich nach den konkreten<br />
Umständen, unter denen der Arzt zu handeln hat. Dies ist in der<br />
Katastrophensituation wesentlich anders als im Regelfall. Zu berücksichtigen<br />
ist auch ein Mangel an technischen Geräten sowie<br />
ein Nachlassen der Leistungsfähigkeit durch Übermüdung und<br />
Überanstrengung infolge langdauernden Einsatzes.<br />
Gleiches gilt auch für nichtärztliche Helfer. Daher ist bei einer<br />
Fehlhandlung zunächst davon auszugehen, dass gemäß Art. 34<br />
GG und § 839 BGB zunächst die öffentliche Hand haftet. Ein<br />
Rückgriff auf den Verursacher des Schadens ist allerdings bei<br />
grob fahrlässigem und vorsätzlichem Handeln möglich.<br />
Ist ein Arzt bei der Hilfe für Schadensopfer anwesend, so<br />
kommt ihm die Verantwortung für die Maßnahmen zu, die die in<br />
seinem Einflussbereich tätigen nichtärztlichen Helfer ergreifen.<br />
Im Interesse der Erhaltung des Lebens und der Wiederherstellung<br />
der Gesundheit muss er fehlerhaftes Handeln verhindern<br />
und erforderliche Anweisungen geben.<br />
Wirken mehrere Ärzte bei der Hilfeleistung zusammen, haben<br />
sie ihrer Berufspflicht (§ 29 Abs. 1 MBO-Ä / § 29 Abs. 1 MBO-Ä)<br />
folgend kollegial zusammenzuarbeiten. Wird jedoch bei einem<br />
größeren Schadensereignis, insbesondere einem Massenanfall,<br />
ein „Leitender Notarzt/Arzt“ oder „Ärztlicher Einsatzleiter“ tätig,<br />
so hat jeder mitwirkende Arzt im Interesse des zügigen Ablaufes<br />
der Hilfemaßnahmen und insbesondere aller Patienten dessen<br />
Weisungen zu folgen. Ist kein verantwortlicher Arzt im Voraus<br />
bestimmt, soll der organisatorisch und fachlich erfahrenste Arzt<br />
die Leitung der medizinischen Hilfeleistung und die Einsatzverantwortung<br />
übernehmen. Die Anweisungen des verantwortlichen<br />
Arztes sind verbindlich, eigenmächtiges Abweichen gefährdet<br />
den Ablauf der Hilfsmaßnahmen.<br />
21
Besondere Bedeutung kommt der ärztlichen Verantwortung in<br />
einer Verletztensammelstelle und einem Verbandplatz zu. Die<br />
Bewältigung eines Massenanfalles Hilfebedürftiger ist ohne umfassende<br />
ärztliche Verantwortung nicht denkbar. Sie erstreckt sich<br />
über den gesamten Schadensraum und reicht bis zur Entscheidung<br />
über die weitere Behandlung und den Abtransport der<br />
Patienten. Nicht selten muss das mit der ärztlichen Verantwortung<br />
verbundene Weisungsrecht auch bei Rettungs- und Erstmaßnahmen<br />
an der Schadensstelle ausgeübt werden, um im Interesse<br />
der Hilfebedürftigen Störungen des Hilfeablaufes zu verhindern.<br />
Eine von dem verantwortlichen Arzt erteilte Weisung entbindet<br />
die davon betroffenen Ärzte nicht von ihrer eigenen ärztlichen<br />
Verantwortung (§ 2 Abs. 1–3 MBO-Ä). Wesentlich ist, dass der<br />
Arzt bei seiner Tätigkeit keinen Weisungen von Nichtärzten<br />
unterworfen werden darf (§ 2 Abs. 4 MBO-Ä). Dieser Begriff<br />
„Ärztliche Tätigkeit“ umfasst<br />
– die zuvor erläuterte Verantwortung für das Handeln nichtärztlicher<br />
Helfer am Hilfebedürftigen,<br />
– die Regelung der Zuführung aller Hilfebedürftigen und Hilfesuchenden<br />
zum Arzt,<br />
– die ärztliche Befragung, Untersuchung und Behandlung sowie<br />
– die Entscheidung über das weitere medizinische Verfahren im<br />
Einzelfall bis hin zur Bestimmung über den Abtransport hinsichtlich<br />
Zeitpunkt, Fahrtziel, Transportmittel, Art der Beladung<br />
und Transportbegleitung.<br />
4. Rechtsstellung der nichtärztlichen Kräfte<br />
in der Katastrophenhilfe<br />
Bei einer Katastrophe mit einem Massenanfall hilfebedürftiger<br />
Menschen kann wegen der stets begrenzten Zahl verfügbarer Ärzte<br />
nicht jeder Betroffene alsbald durch einen Arzt behandelt werden.<br />
Die Erste Hilfe und auch die Behandlung leicht geschädigter<br />
Menschen muss daher häufig erfahrenen Angehörigen des<br />
Rettungsdienstes, eines Heilhilfsberufes, einer Hilfsorganisation<br />
oder auch nicht organisierten freiwilligen Helfern überlassen werden.<br />
Eine gesetzlich geregelte Sonderstellung unter den nichtärztlichen<br />
Helfern nehmen die berufsmäßigen oder freiwilligen Mitglieder des<br />
Rettungsdienstes ein, soweit sie auf Grund ihrer Ausbildung,<br />
Einsatzerfahrung und Prüfung die zum Führen der Bezeichnung<br />
„Rettungsassistent“ oder „Rettungssanitäter“ qualifiziert sind.<br />
Dies gilt auch, unter der Voraussetzung kontinuierlicher Erhaltung<br />
erworbener Fähigkeit, für ehemalige, anerkannte Angehörige des<br />
22
Rettungsdienstes, die freiwillig zur Hilfeleistung in Notfällen oder<br />
dem Katastrophenschutz zur Verfügung stehen. Häufig wirken<br />
diese innerhalb der vielerorts frühzeitig verfügbaren und bewährten<br />
„Schnelleinsatzgruppen“ (SEG) mit.<br />
Da im rettungsdienstlichen Einsatz nicht selten der Fall eintritt,<br />
dass innerhalb der gebotenen Frist für ärztliches Handeln kein<br />
Notarzt zur Verfügung steht, ist den aktiven Rettungsassistenten<br />
eine „Notkompetenz“ zugestanden, die sie ermächtigt,<br />
bestimmte, grundsätzlich dem Arzt vorbehaltene Maßnahmen<br />
zu ergreifen. Sie übernehmen damit gegenüber dem Hilfebedürftigen<br />
eine Garantenstellung. Diese „Notkompetenz“ erhält<br />
eine zusätzliche Bedeutung, da ihre Inanspruchnahme bei<br />
einem Massenanfall Hilfebedürftiger häufig unvermeidbar ist,<br />
weil die Zahl der anwesenden Notärzte und Ärzte zu gering ist.<br />
Bestrebungen, diese Notkompetenz bei bestimmten medizinischen<br />
Gegebenheiten in eine „Regelkompetenz“ umzuwandeln,<br />
sind aus arztrechtlichen Gründen sehr kritisch zu betrachten. An<br />
den Grundsätzen für die katastrophenmedizinische Hilfe würde<br />
damit allerdings nicht gerüttelt.<br />
Die Gesamtverantwortung für alle ärztlichen Maßnahmen und<br />
die Steuerung des Hilfeablaufes trägt stets der erfahrenste Arzt,<br />
meistens der Notarzt bzw. Leitende Notarzt. Diese Rechtslage<br />
entspricht der gesetzlichen Verantwortung des niedergelassenen<br />
und des Krankenhaus-Arztes von einer ersten Konsultation<br />
und Untersuchung bis zur Entlassung aus der Behandlung und<br />
Information des nächstbehandelnden Arztes.<br />
Ist am Ort eines Schadensereignisses ein Notarzt oder grundsätzlich<br />
auch ein anderer Arzt anwesend, trägt dieser die rechtliche<br />
Verantwortung für alle ärztlichen Maßnahmen. Erteilt<br />
allerdings während der Hilfeleistung ein erfahrener Rettungsassistent<br />
oder –sanitäter einem weniger erfahrenen Arzt/Notarzt<br />
einen Rat, so wird dieser ihn im Interesse des Patienten nach<br />
sorgfältiger Abwägung ebenso annehmen, wie im klinischen<br />
Bereich seit eh und je junge Ärzte gern dem Rat einer erfahrenen<br />
Krankenschwester und insbesondere einer Hebamme folgen.<br />
Ein solcher Rat begründet allerdings niemals ein Weisungsrecht<br />
des Assistenten gegenüber dem Arzt und entlastet den<br />
Arzt nicht von seiner gesetzlichen Verantwortung, wenn es<br />
durch die Befolgung desselben zu einem Schaden für den<br />
Patienten kommt.<br />
Die in der gesetzlichen Regelung über die Erlaubnis zur Ausübung<br />
der Heilkunde enthaltenen Einschränkungen für alle<br />
23
Nichtärzte verlieren ihre Geltung, sobald die für Hilfebedürftige<br />
erforderliche ärztliche Hilfe nicht zur Verfügung steht. In diesem<br />
Falle ist jeder Helfer zur Hilfeleistung im notwendigen Umfang<br />
und entsprechend seinen persönlichen Fähigkeiten berechtigt<br />
und verpflichtet. Zu einer solchen Situation kann der plötzliche<br />
Ausbruch einer lebensbedrohlichen Erkrankung oder Verletzung<br />
oder auch das Auffinden eines Unfall- oder Katastrophenopfers<br />
führen, wobei der Helfer keine Möglichkeit hat, sein Handeln mit<br />
einem Arzt oder einem erfahreneren Helfer abzustimmen. Da ein<br />
Unterlassen der Hilfe unzulässig ist, muss er in eigener Verantwortung<br />
handeln. Eine Haftbarkeit für Fehler ist in diesem Fall<br />
auf die persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten sowie auf die<br />
unter den konkreten Umständen mögliche Sorgfalt beschränkt.<br />
Katastrophenhelfer sollen nur diejenigen Maßnahmen durchführen,<br />
deren Anwendung dem Gesundheitsinteresse der Hilfebedürftigen<br />
dient, und die unter Beachtung der begrenzten<br />
medizinischen Befähigung des Helfers vertretbar sind. Sie dürfen<br />
einer geeigneten Wahrung der ärztlichen Gesamtverantwortung<br />
für Hilfebedürftige und einer nachfolgenden ärztlichen Behandlung<br />
nicht im Wege stehen. Richtet ein Helfer zusätzlichen<br />
Schaden an einem Betroffenen an, kann ihm vorsätzliches oder<br />
grob fahrlässiges Handeln zum Vorwurf gemacht werden.<br />
Handelt der Helfer im Auftrage anderer, so haftet z.B. eine<br />
Hilfsorganisation im Sinne des § 831 BGB mit Entlastungsmöglichkeit,<br />
bei Vorliegen eines eigenen Organisationsverschuldens<br />
jedoch nach § 823 BGB ohne Entlastungsmöglichkeit.<br />
Beauftragt ein Arzt einen ihm zugeteilten Helfer mit der Durchführung<br />
einer ärztlichen Maßnahme, so haftet er bei falschen<br />
Anweisungen nach § 823 BGB, bei fehlsamem Verhalten des<br />
Mitarbeiters nach § 831 BGB mit Entlastungsmöglichkeit.<br />
Literatur:<br />
(1) H.E. Bock „Ärztliche Ethik am Krankenbett“ Dtsch. Ärzteblatt<br />
79 (1982), 49–55<br />
(2) F. Böckle „Ethik ärztlichen Handelns in der Katastrophe“<br />
Bayer. ÄBl. 38 (1983) 690–694<br />
(3) J. Gründel: „Ethik ärztlichen Handelns bei Katastrophen –<br />
Moraltheologische Überlegungen“<br />
In: G.Heberer, K.Peter, E.Ungeheuer (Hrsg.) „<strong>Katastrophenmedizin</strong>“,<br />
Verlag J.F. Bergmann, München, 1984<br />
(4) W. Weissauer: „Juristische Aspekte der <strong>Katastrophenmedizin</strong>“<br />
In: G.Heberer, K.Peter, E.Ungeheuer (Hrsg.) „<strong>Katastrophenmedizin</strong>“,<br />
Verlag J.F. Bergmann, München, 1984<br />
24
4. Aspekte zur <strong>Katastrophenmedizin</strong> und<br />
Definitionen ihrer Inhalte und Aufgaben<br />
J. W. Weidringer<br />
Die <strong>Katastrophenmedizin</strong> widmet sich einer Teilaufgabe im<br />
Gesamtkonzept des Schutzes der Bevölkerung vor unversehens<br />
eintretenden Großschäden und Katastrophen, die örtlich oder<br />
räumlich derart nachhaltige Schäden verursachen, dass die Lebensgrundlagen<br />
zahlreicher Menschen gefährdet oder zerstört<br />
sind. Katastrophenschutz umfasst Hilfe für die Menschen und<br />
Tiere sowie Verhinderung und Bekämpfung infrastruktureller<br />
Schäden. Ziel dieses Katastrophenschutzes ist es, so bald und<br />
umfassend wie möglich die vor einer Katastrophe bestehenden<br />
Lebens- und Umweltgegebenheiten wieder herzustellen.<br />
<strong>Katastrophenmedizin</strong> zu betreiben ist der Ausdruck für die<br />
ethisch begründete Bereitschaft und Verpflichtung des Arztes,<br />
Verletzten, Kranken oder anderweitig gesundheitlich Geschädigten<br />
auch dann nach besten Kräften zu helfen, wenn die Zahl<br />
der Opfer es nicht erlaubt, jeden Betroffenen so bald und so<br />
umfassend zu behandeln, wie dies der Eid des Hippokrates<br />
dem Arzt auferlegt. Der Arzt hat zu jeder Zeit, gegebenenfalls<br />
auch im Widerstreit gegen Versuche von Nicht-Ärzten zur<br />
Einflussnahme auf sein Handeln, die Pflicht, Leben zu retten,<br />
Leiden zu lindern und die Gesundheit wieder herzustellen.<br />
Die Grundlagen des katastrophenmedizinischen Handelns<br />
sind unabänderlich<br />
– umfassende allgemeine oder spezielle Kenntnisse der<br />
Diagnostik und der Therapie entsprechend dem aktuellen<br />
Stand der medizinischen Wissenschaften,<br />
– Beherrschung der Grundsätze und Verfahren der dem einzelnen<br />
Schadensopfer gewidmeten Notfallmedizin sowie des<br />
Handelns bei einem Massenanfall verletzter oder anderweitig<br />
geschädigter Menschen<br />
– Kenntnis der dem Schutz vor Katastrophen und Großschadensereignissen<br />
dienenden Gesetze und Vorschriften<br />
sowie<br />
– Kenntnis der für den Erfolg jeder Hilfeleistung unabdingbar<br />
erforderlichen organisatorischen Grundsätze des Hilfeansatzes<br />
sowie der allgemeinen und speziell medizinischen<br />
Verfahrensweise.<br />
25
Die Approbation verpflichtet den Arzt zum vollen Einsatz seiner<br />
Kenntnisse und Erfahrungen sowie der ihm zur Verfügung stehenden<br />
Hilfsmittel. Sie fordert von ihm Einordnung in organisiertes<br />
Handeln, entlässt ihn aber zu keiner Zeit aus seiner Eigenverantwortung.<br />
Eine Katastrophe ist ein Schadensereignis,<br />
– das mit den örtlich oder überörtlich verfügbaren Kräften und<br />
Mitteln einer Region in einem überschaubaren Zeitraum nicht<br />
bewältigt werden kann,<br />
– bei dem unterschiedliche, definierte Hilfeleistungen von<br />
außerhalb erforderlich werden, so dass<br />
– besondere behördliche Verfahrensregelungen in Kraft treten<br />
müssen.<br />
Sofern ein Katastrophenereignis bereits primär Leib und Leben<br />
von Menschen gefährdet hat, ist für eine Katastrophe im medizinischen<br />
Sinne das typische Charakteristikum das Missverhältnis<br />
von Behandlungsnotwendigkeiten gegenüber Behandlungsmöglichkeiten<br />
und der daraus resultierenden Erfordernis,<br />
Versorgungs-Prioritäten zu setzen, also zu sichten.<br />
Ziel für die Hilfeleistenden ist in einer Katastrophe immer, einerseits<br />
möglichst vielen Angehörigen der sozialen Gemeinschaft<br />
das Überleben zu ermöglichen, andererseits für die Überlebenden<br />
individualmedizinische Versorgungsmöglichkeiten – wenn<br />
schon nicht aufrecht zu erhalten, so doch möglichst zügig wieder<br />
herzustellen.<br />
Häufig kann ein Schadensereignis zum Beispiel wegen unzureichender<br />
Informationen nicht primär als Katastrophe klassifiziert<br />
werden oder es liegt eine Dynamik zugrunde, die einen<br />
zunächst räumlich, organisatorisch, funktionell zunächst überschaubaren<br />
Massenanfall von Verletzten zu einem Großschadensereignis<br />
und eventuell zur Katastrophe werden lässt.<br />
Typischerweise kann in einer derartigen Situation die Gefährdung<br />
der Gesundheit von Betroffenen, besser: Überlebenden,<br />
mit den Möglichkeiten der Einsatzkräfte einer Region, eines<br />
Großraumes, auch in einer Anfangsphase des Großschadensereignisses<br />
nur scheinbar beherrscht werden.<br />
Lediglich als Orientierungshilfe sollen hier die Definitionen der<br />
DIN 13050 „Begriffe im Rettungswesen“ dienen:<br />
26
Großschadensfall:<br />
Ein Notfall im Rettungsdienst mit einer größeren Anzahl von<br />
Verletzten, Erkrankten oder anderen Geschädigten und Betroffenen<br />
mit Versorgungserfordernissen oberhalb der regulären<br />
Vorhaltung durch den Rettungsdienst. (zit. nach DIN 13050,<br />
1997, Beuth-Verlag, Berlin)<br />
Katastrophe:<br />
Ein Schadensereignis mit einer Zerstörung der örtlichen Infrastruktur.<br />
Es kann mit den Mitteln und Einsatzstrukturen des<br />
Rettungsdienstes alleine nicht bewältigt werden. (zit. nach DIN<br />
13050, 3.2, Entwurf der Neufassung der Richtlinie aus 04 /<br />
2000, Beuth-Verlag, Berlin)<br />
In einer von der Schutzkommission beim Bundesminister einberufenen<br />
Konsensuskonferenz an der Akademie für Notfallplanung<br />
und Zivilschutz am 15. März 2002 wurde von (Leitenden)<br />
Notärzten, Repräsentanten verschiedener Organisationen<br />
und Institutionen (auch aus einigen Ländern Europas) folgende<br />
gemeinsame Grundlage für die Anwendung von Sichtungskategorien<br />
bei Großschadensereignissen und Katastrophen<br />
erarbeitet:<br />
Sichtungskategorie Beschreibung Konsequenz<br />
I akute, vitale Bedrohung Sofortbehandlung<br />
II schwerverletzt / erkrankt aufgeschobene<br />
Behandlungsdringlichkeit<br />
III leicht verletzt / erkrankt spätere (ambulante)<br />
Behandlung<br />
IV ohne Überlebenschance betreuende (abwartende)<br />
Behandlung<br />
Tote Kennzeichnung<br />
Meist findet hierbei das sog. „Ampel-Schema“ für die vier Sichtungsgruppen<br />
Verwendung:<br />
rot = Sichtungsgruppe I<br />
gelb = Sichtungsgruppe II<br />
grün = Sichtungsgruppe III<br />
grau oder blau oder schwarz = Sichtungsgruppe IV<br />
(je nach verwendeter Grundfarbe des Dokumentationssystems)<br />
27
Zur Dokumentation des Sichtungsergebnisses von Verletzten<br />
und Kranken sowie zur Registrierung von Personen in einem<br />
Schadensgebiet gibt es bekanntlich in Deutschland viele verschiedene<br />
Verletzten-Anhänge-Karten bzw. Registrierungssysteme.<br />
Grundsätzliche Anforderungen an eine sog. Verletzten-Anhänge-Karte<br />
sind:<br />
– höchstmögliche Materialstabilität, auch bei extremen Temperaturen<br />
und Wettereinflüssen<br />
– optimale Beschreibbarkeit mit handelsüblichen Stiften<br />
– gute Erkennbarkeit des Sichtungsergebnisses – bei Bedarf<br />
auch aus größerer Entfernung –<br />
– gute „Befestigungs-“ bzw. Umhängemöglichkeit an den zu<br />
sichtenden Personen<br />
Sofern beim Sichtungsvorgang prinzipiell ein erstes, nur orientierendes<br />
Sichtungsverfahren vom veranwortlichen Arzt eingeplant<br />
wird, kann auch eine erste Dokumentation eines Sichtungsergebnisses<br />
mittels eines – entsprechend dem „Ampelschema“ –<br />
farbigen Armbandes erfolgen mit Verwendung einer Verletzten-<br />
Anhänge-Karte im zweiten Durchgang.<br />
Wenn auch das Eintreten eines Spannungs- oder Verteidigungsfalles<br />
im Sinne des Grundgesetzes entsprechend den<br />
derzeitigen politischen Rahmenbedingungen als extrem unwahrscheinlich<br />
gelten kann, ist im Interesse der Bevölkerung zu<br />
bedenken, dass in diesem Fall die im Rahmen des Leitfadens<br />
näher ausgeführten Handlungsempfehlungen für Katastrophenfälle<br />
sicherlich analog Gültigkeit haben.<br />
Für Redaktion und Autoren dieses Leitfadens ist es ein tiefes<br />
Anliegen, primär Ärztinnen und Ärzten, aber auch all denen, die<br />
bei Katastrophenereignissen Mitbürgern zu Hilfe kommen –<br />
seien es interessierte Laienhelfer oder Einsatzkräfte – gleich<br />
welcher Profession und Arbeitsebene, Informationen an die<br />
Hand zu geben zum Nutzen (möglicher) Schadensopfer.<br />
28
Allgemeine Aspekte zu<br />
Katastrophensituationen
5. Der Mensch in der Katastrophe:<br />
Psychologisch-seelsorgerliche Aspekte<br />
F. Waterstraat<br />
1. Vorbemerkungen<br />
Der Begriff der Katastrophe ist gegenwärtig sowohl politisch als<br />
auch im individuellen Verständnis von Menschen unterschiedlich<br />
definiert. Für Organisationen und Behörden mit Sicherheitsaufgaben<br />
mag die Katastrophe bei einem Massenanfall von<br />
Verletzten beginnen, für den Einzelnen kann der Verlust eines vertrauten<br />
Menschen oder seines Arbeitsplatzes eine persönliche<br />
Katastrophe sein. Dazu kommt, dass wir in unserer Gesellschaft<br />
offenbar sehr weitgehend verlernt haben, mit menschlicher<br />
Begrenztheit und Endlichkeit umzugehen und dem Wahn erlegen<br />
sind, dass Unglücke größeren oder größten Ausmaßes grundsätzlich<br />
andere treffen.<br />
Im hier zur Debatte stehenden Sinn meint Katastrophe ein Geschehen,<br />
das auf verschiedenen Ebenen (z.B. intellektuell, emotional,<br />
körperlich, logistisch, technisch) die gängigen menschlichen<br />
Lebens- und Krisenbewältigungsmuster extrem fordert<br />
oder überfordert.<br />
Es gibt individuell deutlich divergierende Reaktionsmuster auf<br />
ein solches Ereignis – von kopfloser Panik und völliger Erstarrung<br />
bis hin zu kaltblütigem, zielgerichtetem Handeln, wobei<br />
natürlich letzteres äußerst selten ist. Dennoch lassen sich,<br />
abhängig von der jeweiligen Zusammensetzung der betroffenen<br />
Personengruppe, bestimmte Wahrscheinlichkeitsaussagen über<br />
die potenziell anzutreffenden Verhaltensweisen in der Katastrophe<br />
machen, woraus dann möglichst sinnvolle Präventionsund<br />
Begleitangebote ableitbar sind.<br />
Zu einer umfassenden Anthropologie im Sinn einer ganzheitlichen<br />
Betrachtung des Phänomens der Katastrophe und des<br />
von ihm betroffenen Menschen gehört eine Analyse der nichttechnischen,<br />
nicht rein physiologischen, also der psychologischen<br />
oder seelsorgerlichen Komponenten dieses Geschehens.<br />
Und es gehört dazu, nicht bei der Analyse stehen zu bleiben,<br />
sondern genauso, wie dies z.B. einsatztaktisch für logistische<br />
Fragen geplant wird, taktische Konsequenzen für den psychologischen<br />
Sektor zu entwickeln.<br />
Dabei müssen sowohl Helfer als auch Betroffene in den Blick<br />
31
kommen; diese Duplizität ist auch der Hintergrund der folgenden<br />
Darstellung unter den Aspekten Prävention, Einsatzbegleitung<br />
und Nachsorge.<br />
Zentral für die Akzeptanz der Psychologie und Theologie als<br />
Gesprächspartner in der Diskussion über Bewältigung von<br />
Katastrophen wird u.a. sein, ob man die mittlerweile klinisch<br />
belegten Folgen unbearbeiteter Traumata wie des Post<br />
Traumatic Stress Disorder (PTSD)-Syndroms [Reaktion nach<br />
schweren belastenden Erlebnissen] zur Kenntnis nimmt oder sie<br />
als Schwäche und Spinnerei abtut.<br />
Derzeit wird in England eine erregte Debatte über die möglichen<br />
PTSDs englischer und amerikanischer Golf- und Falklandkriegsteilnehmer<br />
geführt, und das englische Verteidigungsministerium<br />
sieht sich mit einer hohen Schadensersatzforderung<br />
konfrontiert.<br />
Also: Es geht bei der gesamten psychologischen Problematik<br />
nicht um vermutete, sondern um empirisch erfassbare Problemfelder<br />
und deren Lösungsmöglichkeiten. In diesen Kontext<br />
gehört auch die Frage, wie man Einsatzende definiert. Ist der<br />
Einsatz beendet, wenn die Technik sich „frei“ meldet, oder ist er<br />
dann zu Ende, wenn die in der Gesellschaft Verantwortlichen<br />
und Zuständigen ihr Möglichstes für Helfer und Betroffene<br />
getan haben, um auch die seelischen Wunden und möglichen<br />
Spätfolgen zu versorgen und zu begleiten?<br />
Psychologische Einsatzbegleitung ist nur interdisziplinär denkbar<br />
und sinnvoll.<br />
Mediziner, Psychologen, Theologen, Soziologen, Pädagogen<br />
und andere müssen hier zusammenwirken, allein schon deshalb,<br />
weil das mögliche katastrophale Geschehen ja in einer<br />
ebenfalls hochkomplexen und manchmal disparaten Gesellschaft<br />
stattfindet.<br />
Die folgende Darstellung verzichtet auf konkrete Bezugnahmen<br />
zu Katastrophen der jüngsten Vergangenheit, da es um eine<br />
möglichst breit angelegte Exemplifizierung gehen soll. Außerdem<br />
sind die in diesen jeweiligen Großschadensereignissen aufgetretenen<br />
besonderen Probleme und deren Lösungsversuche<br />
in der einschlägigen Literatur (siehe Verzeichnis am Ende)<br />
zugänglich.<br />
32
2. Inhaltliche Konkretisierungen<br />
2.1. Stressoren im Großschadensfall und in der Katastrophe<br />
Dass eine Katastrophe belastend ist, ist deutlich – aber warum<br />
ist sie das? Dieser Frage geht die Darstellung der möglichen<br />
Stressoren einer Großschadensstelle nach. Ein weiterer Aspekt<br />
dieser Darstellung ist, dass eine Analyse im Vorfeld eines solchen<br />
Ereignisses es im Sinne eines psychologischen Planspiels<br />
ermöglichen kann, sich auf das, was kommt, auch emotional<br />
einzustellen. Natürlich wird die Realität immer anders aussehen<br />
als die Übung im Lehrsaal oder die Phantasie des einzelnen<br />
Helfers, der sich für sich selbst oder im Kreise der Kollegen und<br />
Kameraden mit der hoffentlich nie eintretenden Alarmsituation<br />
der Katastrophe befasst.<br />
Aber: So, wie das Planspiel zur Rettung oder zur Bergung oder<br />
zur Dekontamination sinnvoll ist, ist es auch das zur Psychologie<br />
der Katastrophe, gerade in einer Gesellschaft, die den Tod<br />
versucht, aus ihrem Blickfeld zu drängen.<br />
Leitfragen für die Behandlung der hier genannten Stressoren könnten<br />
sein:<br />
– Welche Vorbereitungsmöglichkeiten gibt es?<br />
– Wie kann man in der Einsatzsituation selbst reagieren?<br />
– Was für mögliche Nach- und/oder Langzeitwirkungen könnten<br />
aus diesen Stressfaktoren resultieren und welche Bewältigungs-<br />
und/oder Begleitangebote gibt es?<br />
Stressoren:<br />
Größe und Unüberschaubarkeit einer Einsatzstelle; schlechte<br />
Sichtverhältnisse durch Nebel, Rauch, Dunkelheit; Orientierungsprobleme<br />
in unbekannten Objekten oder Gegenden; Kommunikationsprobleme<br />
durch „Salat“ im Funkverkehr, sprachgrenzenüberschreitende<br />
Einsätze, Aufregung, Lärm; nächtliche<br />
Einsätze mit geringer Vorwarnzeit; extreme Temperaturen; langandauernde<br />
Einsätze; Verkehrsberuhigung auf Zufahrtswegen;<br />
Versagen oder Ungenügen der eingesetzten Technik; Bedienungsfehler;<br />
Umgang mit Gefahrgut; Anblick von Verletzten,<br />
Verstümmelten,Toten, insbesondere von Kindern oder bekannten<br />
Personen; Personen in Zwangslagen, deren Befreiung lange<br />
dauert oder nicht gelingt; Gerüche, Schreie; Verletzung oder Tod<br />
von Helfern; Behinderung durch Gaffer oder Sensationsjournalismus;<br />
Kompetenzgerangel der beteiligten Organisationen<br />
oder innerhalb einer Organisation; mitgebrachte eigene akute<br />
oder chronische Probleme, die verhindern, dass man den Kopf<br />
frei hat für das aktuelle Ereignis; Zwang, Verletzte zu verlassen<br />
(Sichtung) oder den einen sterben lassen zu müssen, um den<br />
33
anderen retten zu können; Eskalation der Lage; Auslandseinsätze<br />
mit längerer Vorlaufzeit bis zum Eintreffen am<br />
Schadensort und daraus resultierenden frustrierenden Erfahrungen<br />
(nur noch Bergung von Toten, katastrophale hygienische<br />
Bedingungen, anderes Verständnis von individuellem Leid u.a.).<br />
Stress-Symptomatik:<br />
Etwas Entscheidendes vorweg: Die im folgenden genannten<br />
Reaktionen sind normal. Niemand, der auf ein seine bisherigen<br />
Lebensbewältigungsmechanismen völlig überforderndes Ereignis<br />
„stresshaft“ reagiert, ist psychisch oder physisch krank. Die<br />
aufgezählten Symptome und Verhaltensweisen sind normale<br />
Reaktionen auf ein abnormales Ereignis. Allerdings kann dieser<br />
Mensch krank werden – dann, wenn man ihm nicht hilft, dieses<br />
abnormale Erlebnis qualifiziert zu verarbeiten.<br />
Menschen werden hier unterschiedlich reagieren, abhängig von<br />
ihrem Lebensalter, ihrer bisherigen Lebenseinstellung – besonders<br />
zu menschlichen Grundfragen, wie denen nach Sterben,<br />
Tod und einer möglichen Überwindung des Todes, wie sie von<br />
vielen Religionen geglaubt werden.<br />
Reaktionsweisen von Helfern und Betroffenen werden divergieren,<br />
weil sie eine jeweils andere Rolle in dem Geschehen spielen.<br />
Aber es wird auch Vergleichbares geben; um beiden gerecht<br />
zu werden, sollten die jeweiligen Symptomatiken nicht in<br />
dem Sinn gelesen werden, dass sie ausschließlich für Helfer<br />
oder Betroffene gelten.<br />
Leitfragen im Umgang mit der folgenden Darstellung könnten<br />
die gleichen wie die unter 2.1.) genannten sein.<br />
2.2.1. akute Symptome:<br />
2.2.1.1. körperlicher Art:<br />
Zunahme von Puls und Atmung; Veränderung der Gesichtsfarbe;<br />
Veränderung des Tonfalls; Verschlechterung der Artikulation;<br />
Shrug-Bewegungen; starkes Schwitzen; Muskelzittern;<br />
Herzrasen; Übelkeit; Magenschmerzen; Gefühl „unendlicher“<br />
Müdigkeit und Erschöpfung bis hin zum physischen Zusammenbruch.<br />
2.2.1.2. emotionaler Art:<br />
Trauer und überflutendes Mitleid aufgrund des Geschehens, vor<br />
allem beim Miterleben entsetzlicher Schicksale Einzelner oder<br />
ganzer Gruppen; Schuldgefühle, wenn die eingesetzte Hilfe<br />
nicht ausgereicht hat; Aggression gegen die Situation als solche,<br />
gegen Führungskräfte, gegen das Schicksal, Gott oder „die<br />
Gesellschaft“; Gefühl genereller Überforderung und Hilflosigkeit;<br />
34
Panik; psychische Zusammenbrüche; von Seiten der Betroffenen<br />
Aggressionen gegen Helfer; Sorge um das Schicksal mitbetroffener<br />
Freunde oder Angehöriger – mit der Möglichkeit,<br />
dass sehr fordernd und /oder aggressiv nach Hilfe und Auskunft<br />
verlangt wird; Angst und Unsicherheit im Blick auf die eigenen<br />
erlittenen Verletzungen oder materiellen Verluste.<br />
2.2.1.3. mentaler Art:<br />
Die abrupt und für die eigene Standfestigkeit bedrohlich aufbrechende<br />
Frage nach dem Sinn oder der Sinnlosigkeit des gerade<br />
erlebten Geschehens; die – möglicherweise – unvorbereitet<br />
erlebte Konfrontation mit menschlicher Verwundbarkeit und die<br />
daraus entstehende Frage nach der eigenen Verwundbarkeit<br />
und Endlichkeit; eine quälende Suche nach Erklärungen für das<br />
als hoch belastend erlebte Geschehen; ein „Abschalten“ aller<br />
intellektuellen Systeme in der Situation als Symptom kompletter<br />
Überforderung.<br />
2.2.1.4. verhaltensbezogen:<br />
Übertriebene Härte sich und anderen gegenüber als Ausdruck<br />
einer „Flucht nach vorn“, um die Situation, egal wie, zu überstehen;<br />
Rückzug in die Passivität bis hin zur Regression auf kindliche<br />
Verhaltensschemata: der Helfer oder der noch standfeste<br />
Kamerad soll die als chaotisch empfundene Lage „irgendwie“<br />
regeln; Verlust des Gefahrenbewusstseins; völliger Verlust der<br />
Kontrolle über sich selbst oder die Situation bei Todesangst;<br />
Recours auf religiöse Rituale (Beten, Rezitieren biblischer oder<br />
Gesangbuchtexte, Verlangen nach einem Pfarrer); Zurückweisung<br />
vorschneller Entmündigung durch voreilige Helfer.<br />
2.2.2. chronische Symptome:<br />
2.2.2.1. körperlicher Art:<br />
Unwohlsein; das Gefühl, sich in seiner Haut nicht wohl zu<br />
fühlen; Bluthochdruck; ein generell gestörtes Essverhalten;<br />
Alpträume und Schlafstörungen; andauernde Müdigkeit und<br />
Erschöpfung.<br />
2.2.2.2. emotionaler Art:<br />
Traurigkeit und Deprimiertsein; Blockierung emotionaler Lebendigkeit;<br />
quälende, nicht nachlassende Schuldgefühle; Angstzustände<br />
und Phobien; Befürchtungen, was die Zukunft bringen<br />
könnte; Furcht vor ähnlichen, vergleichbaren Einsätzen; Aggressivität<br />
als Grundstimmung des Alltags.<br />
2.2.2.3. mentaler Art:<br />
Ein Umgetriebensein von der Sinnfrage eigenen und fremden<br />
35
Lebens und Leidens, ohne dass eine Antwort gefunden würde –<br />
bis hin zur Vergiftung des eigenen Lebens durch wiederkehrende<br />
unbeantwortete Fragen; Verlust bisheriger Glaubens- oder<br />
Lebensgewissheiten; Flucht in den Zynismus oder Stoizismus.<br />
2.2.2.4. verhaltensbezogen:<br />
Veränderung des Konsumverhaltens bis hin zur Ausbildung von<br />
Süchten; eine verringerte Frustrationstoleranz gegenüber vielfältigen<br />
Anforderungen des beruflichen und privaten Lebens;<br />
Propagierung übertriebener psychischer und physischer Härte<br />
sich selbst und anderen gegenüber; Vernachlässigung sozialer<br />
Kontakte und Bindungen bis hin zu privater und beruflicher<br />
Isolation; im Extremfall Ausbildung eines praesuizidalen Syndroms;<br />
Suizid.<br />
2.2.3. PTSD (Post Traumatic Stress Disorder):<br />
Die unter 2.2) dargestellte Stress-Symptomatik kann in das<br />
Vollbild eines PTSD münden.<br />
Einzelne Symptome einer Stress-Reaktion, auch einer chronischen,<br />
können auf den Beginn eines PTSD verweisen – aber sie<br />
müssen es nicht. Um zu verhindern, dass jede stresshafte<br />
Reaktion auf ein belastendes oder katastrophenähnliches oder<br />
katastrophales Ereignis von vornherein als PTSD eingestuft wird,<br />
haben wir hier eine allgemein gehaltene Beschreibung von<br />
Stress-Symptomen akuter und chronischer Art gegeben, an die<br />
wir jetzt eine kurze Darstellung von Symptomen einer posttraumatischen<br />
Belastungsstörung anschließen.<br />
PTSD-Symptome:<br />
Wiederholtes Erleben des traumatisierenden Ereignisses in willentlich<br />
kaum oder gar nicht steuerbaren Erinnerungen in Form<br />
von Nachhallerinnerungen, Tagträumen (Flashbacks) oder Alpträumen;<br />
dabei können optische, akustische, sensorische,<br />
olfaktorische oder emotionale Erinnerungen mit heftiger Realität<br />
auftreten und akut das Bewusstsein des Betroffenen regelrecht<br />
in Besitz nehmen, so dass z.B. konzentriertes Arbeiten an komplexeren<br />
Prozessen unmöglich wird; bei der Konfrontation mit<br />
Zeiten oder Menschen oder Gegenständen, die das traumatische<br />
Ereignis gewissermaßen symbolisieren, kann es zu intensivem<br />
psychischen Leid kommen, da das Erlebte wieder frisch<br />
präsent wird, wie eine <strong>neu</strong> aufbrechende alte Wunde; die Gefühlslage<br />
des Betroffenen liegt auf einer emotionalen Null-Linie,<br />
er fühlt sich wie betäubt, stumpf, kalt – und zwar dauerhaft.<br />
Bestehende, früher emotional hoch besetzte Bindungen interessieren<br />
nicht mehr, <strong>neu</strong>e Kontakte werden nicht geknüpft. Ein<br />
anfangs schleichender und daher kaum bemerkter Rückzug<br />
36
eginnt und kann in Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber<br />
enden (verminderte Reagibilität); der Betroffene versucht,<br />
Aktivitäten, Situationen, Stichworte, Orte, die an das Trauma<br />
erinnern, möglichst zu vermeiden (Wechsel der Fahrtroute zur<br />
Arbeit, wenn sie an der Unglücksstelle vorbeiführt; Abbruch von<br />
Gesprächen über den Tod o.ä.); selten kann es zu emotionalen<br />
Ausbrüchen (Panikattacken, Aggressionsschüben) bei plötzlicher<br />
Wiedererinnerung an das Ereignis kommen; eine anhaltende<br />
vegetative Übererregbarkeit und Wachsamkeitssteigerung,<br />
verbunden mit Schreckhaftigkeit und Schlafstörungen kann<br />
dazukommen; weitere Symptome können schwere Schuldgefühle<br />
wegen des Überlebens anderer oder wegen notwendiger<br />
Handlungen sein, die den einen gerettet haben, aber den anderen<br />
sich selbst überlassen mussten; Ausbildung schwerer<br />
Süchte und eine partielle zeitliche und räumliche Orientierungslosigkeit<br />
können sich aufbauen.<br />
Das Wichtigste im Blick auf die genannten Symptome ist, dass<br />
sie mit einer zeitlichen Verzögerung von Wochen oder Monaten<br />
oder im Einzelfall sogar Jahren auftreten können. Dann einen<br />
qualifizierten Berater zu finden, der die vorliegende psychischphysische<br />
Befindlichkeit mit einem vielleicht schon länger<br />
zurückliegenden Ereignis in Verbindung bringt, ist die entscheidende<br />
Aufgabe. Dazu gehört auch, sich selbst deutlich zu<br />
machen, dass tatsächlich Monate nach dem Einsatz so etwas<br />
wie eine seelische Zeitbombe in mir hochgehen kann.<br />
3. Methoden zur mentalen und psychischen Bewältigung<br />
von Einsätzen im Katastrophenfall<br />
Wir folgen dabei den oben formulierten Leitfragen und versuchen,<br />
sowohl für die akute Lage, als auch für die Zeit nach dem<br />
Einsatz Handlungsmuster aufzuzeigen.<br />
– Welche Vorbereitungsmöglichkeiten gibt es ?<br />
– Wie kann man in der Einsatzsituation selbst reagieren ?<br />
– Welche Angebote / Maßnahmen zur Einsatznachsorge und<br />
weiteren Begleitung gibt es ?<br />
Welche Vorbereitungsmöglichkeiten gibt es?<br />
Eine intensive Fachausbildung und ein qualifiziertes Training der<br />
Einsatzkräfte sind Stress-Bewältigung pur; wer sein Gerät und<br />
sein Material und sich v. a. selbst richtig einsetzen kann, verringert<br />
einen erheblichen Belastungsfaktor – egal, ob er hauptoder<br />
ehrenamtlich tätig wird.<br />
37
Genauso wichtig unter dem Aspekt der Fürsorgepflicht des<br />
Staates gegenüber seinen Helfern in Unglückssituationen und<br />
unter dem Aspekt der Fürsorgepflicht des Einzelnen sich selbst<br />
gegenüber ist die Information über die möglichen psychophysischen<br />
Folgen extremer Einsätze.<br />
Noch einmal: Genauso wichtig<br />
Wer weiß, worauf er sich einlässt, kann dieses bewusst tun, wird<br />
möglichen schädlichen Einflüssen bewusst begegnen können<br />
und so mit geringerer Wahrscheinlichkeit ein Opfer seiner Hilfsbereitschaft<br />
und der Gleichgültigkeit der Gesellschaft. Dazu<br />
gehört auch das Informieren der Helfer über bestehende Hilfsund<br />
Begleitangebote in ihrem beruflichen, organisationsbezogenen<br />
und gesellschaftlichen Kontext (Notfallseelsorge, niedergelassene<br />
Psychologen, Psychiater, Psychotherapeuten,<br />
Beratungsstellen, psychosoziale Dienste).<br />
Mens sana in corpore sano: (Nur, wenn der Körper gesund ist,<br />
ist auch der Geist/die Seele gesund.) Sport ist ein Mosaikstein<br />
im Präventivkonzept. Wer körperlich fit ist, steckt auch seelische<br />
Belastungen besser weg als der ohnehin schon angegriffene<br />
Mensch.<br />
Wer sich in ein professionelles oder ehrenamtliches Handlungsfeld<br />
begibt, in dem er damit rechnen muss, dramatische<br />
und extreme Erfahrungen zu machen, sollte sich frühzeitig mit<br />
eigenen Ängsten, Schwachpunkten und ungeklärten Konflikten<br />
auseinandersetzen, um zu verhindern, dass ein möglicherweise<br />
katastrophales Einsatzerlebnis der „Zünder“ für eine seit langem<br />
tickende „innere Bombe“ wird. Natürlich kann eine solche emotionale<br />
Crashsituation auch bei der besten Prävention passieren,<br />
nur ist die Wahrscheinlichkeit deutlich geringer – ebenso,<br />
wie die des Eintretens komplizierter Spät- oder Langzeitfolgen.<br />
Hier wäre auch einmal nach dem Realitätsgehalt von Übungslagen<br />
und der Ernsthaftigkeit der anschließenden Kritik zu fragen.<br />
Und: Selbstverständlich gehört die psychologisch-seelsorgerliche<br />
Komponente in Übungen zur Großschadensthematik integriert.<br />
In die Ausbildung gehört demnach auch eine Anleitung zur<br />
Selbstreflexion, die nicht nur die traditionelle technisch-taktische<br />
Manöverkritik, sondern eben auch die individuelle psychische<br />
Seite in den Blick nimmt.<br />
Und es gehört das offene Gespräch über dieses Thema in die<br />
Aus- oder Fortbildung. Immer noch gibt es die These, dass<br />
harte Männer und Frauen die psychische Seite ihrer Helfertätigkeit<br />
bitte mit sich selbst abmachen. In einem offenen<br />
Austausch über das Problemfeld wird deutlich werden, dass die<br />
38
seelsorgerlich-psychologische Begleitung von Helfern und<br />
Betroffenen ein Angebot und keine Pflichtveranstaltung ist. Wird<br />
sie letzteres, verfehlt sie sich selbst.<br />
Und noch etwas sollte klar werden: Nicht wenige Helfer stufen<br />
Großschadenslagen als belastend oder extrem belastend ein –<br />
so dass eigentlich niemand, der Gesprächsbedarf hat, sich mit<br />
seinen offenen Fragen alleine herumzuschlagen bräuchte.<br />
Last, but not least:<br />
Wer an der Einsatzstelle qualifiziert auf die psychischen<br />
Bedürfnisse von Helfern und Betroffenen eingehen möchte,<br />
muss sich die Struktur und Inhalte dieses Begleitangebotes vorher<br />
überlegt haben. Niemand baut z.B. ein Notfallseelsorgesystem,<br />
das einer Katastrophe gewachsen ist, im Moment<br />
der Katastrophe auf. Inhalte und Arbeitsformen eines solchen<br />
Systems sind zwischen allen beteiligten „Anbietern“ (Kirchen,<br />
Psychologen, Soziologen, Medizinern, Ehrenamtlichen verschiedener<br />
Organisationen) und potenziellen „Abnehmern“<br />
(Helfern und Betroffenen [die natürlich vorher nicht bekannt<br />
sind]) eng abzustimmen.<br />
Dabei müssen u.a. folgende Punkte geklärt werden:<br />
Alarmierung der Notfallseelsorge (im Folgenden abgekürzt als<br />
NFS; dieser Begriff wird hier extensiv und nicht auf rein kirchliche<br />
Systeme beschränkt aufgefasst): Über Handy oder/und<br />
Funkmeldeempfänger?; Festlegung von Alarmstichworten; Klärung<br />
der von der NFS wahrzunehmenden Aufgaben in den drei<br />
Bereichen Prävention, Einsatzbegleitung, Einsatznachsorge;<br />
Ausbildung(sstandards) der NFS festlegen und für die „Abnehmer“<br />
transparent machen; Ausrüstung beschaffen unter den<br />
Aspekten der Beachtung der Unfallverhütungsvorschrift (UVV)<br />
und der klaren Identifizierbarkeit gerade an einer Großschadensstelle;<br />
Bereitschaftssystem aufbauen, Alarmfolge regeln,<br />
Telefonlisten anlegen; Mobilität sicherstellen, abstimmen mit<br />
Feuerwehreinsatzleitung/Leitstelle, Versicherungsfragen klar<br />
regeln, Beauftragungen schriftlich fixieren; Supervision sicherstellen.<br />
Wie kann man in der Einsatzsituation selbst reagieren?<br />
In der Einsatzsituation selbst bieten sich u.a. folgende Verhaltensweisen<br />
an, um selbst „standfest“ zu bleiben oder es wieder<br />
zu werden oder anderen dabei zu helfen:<br />
Auf der Fahrt/dem Flug zum Einsatzort sich seiner selbst vergewissern:<br />
Was ist die Basis, auf der ich stehe? Was ist das<br />
Fundament meines Lebens? Glücklich, wer hier vor dem Einsatz<br />
sich und seine Welt reflektiert und einen „Anker der Seele“<br />
(Hebräerbrief) gefunden hat!<br />
39
Sich auf die eigenen Kompetenzen besinnen, diese durchgehen<br />
und aktivieren; sich nicht kopfüber ins Geschehen stürzen oder<br />
sich von anderen kopfüber hineinzerren lassen; versuchen,<br />
einen Überblick zu gewinnen und – je nach eigener Funktion –<br />
Abschnitte bilden, einteilen, delegieren, Prioritäten setzen –<br />
egal, ob als technischer oder medizinischer oder seelsorgerlicher<br />
Helfer vor Ort; Einrichten von Rückzugsräumen für<br />
erschöpfte Helfer, wo das Angebot eines Gespräches besteht;<br />
solche Rückzugsgelegenheiten sind auch zu schaffen für unverletzte<br />
Betroffene und Angehörige, bei beiden ist für eine konsequente<br />
Abschirmung vor den Medien zu sorgen; Betreuung von<br />
Schwerverletzten und Sterbenden als oberste Priorität der NFS<br />
ansehen und für Personal und wenn möglich, Räume sorgen<br />
(„Raum“ kann hier bereits ein etwas abgeschirmter Platz<br />
draußen oder am Rand der Schadensstelle sein); mit Angehörigen<br />
rechnen, die möglicherweise in großer Zahl und sehr fordernd<br />
auftreten: also für eine entsprechende Informationspolitik<br />
und natürlich Begleitung sorgen, indem z.B. eine oder mehrere<br />
Anlaufstellen aufgebaut werden, die personell und logistisch<br />
angemessen ausgestattet sind; tief durchatmen, bewusst ausatmen;<br />
sich in aller Härte deutlich machen, dass man nicht<br />
selbst hier Opfer ist: Mitleid ja – Identifikation nein! eigene<br />
Grenzen bewusst akzeptieren, wir sind nicht Gott und auch<br />
keine Mischung aus Alexander dem Großen, Henri Dunant und<br />
Ferdinand Sauerbruch; sich gelegentlich selbst beobachten:<br />
Wie rede ich, in welchem Tonfall? Wie sind meine Bewegungen?<br />
Gebe ich noch sinnvolle Anordnungen oder kann ich empfangene<br />
Anordnungen noch sinnvoll umsetzen?<br />
Wenn ich hier in den kritischen Bereich komme:<br />
Pausen machen, nicht bis zum eigenen Kollaps durcharbeiten.<br />
Ein kollabierter Helfer vermehrt nur die Probleme an der<br />
Einsatzstelle; in diesen Pausen versuchen, so weit das möglich<br />
ist, emotional und räumlich aus der Situation auszusteigen, um<br />
dann wieder <strong>neu</strong> anzufangen; sich ablösen lassen, niemand ist<br />
unersetzbar; wenn man definitiv überfordert ist und die o.g.<br />
Maßnahmen nicht greifen, sich bei der nächsten zuständigen<br />
Führungskraft abmelden, wenn dieses irgendwie realisierbar ist;<br />
auf Flüssigkeits-, Kohlehydrat- und Mineralstoffzufuhr achten;<br />
wenn einem nach Weinen zumute ist, dann weine man; vielleicht<br />
geht es einem danach so, dass man sich wieder in die Arbeit der<br />
anderen Helfer integrieren kann; erst recht ist es völlig in<br />
Ordnung, wenn einem als Begleiter eines Unfallopfers, das in<br />
einer sehr schlimmen Lage ist, selbst die Tränen kommen –<br />
solange es gelingt, nicht völlig aufgelöst zu sein und möglicherweise<br />
mehr als das Opfer Trost zu brauchen. Aber ein „Mitweinen“<br />
ist u.E. möglich und kann für beide Seiten hilfreich sein;<br />
40
den Kollegen im Blick haben und kleine Freundlichkeiten und<br />
Ermunterungen einbringen: ein anerkennender Blick, ein zustimmendes<br />
Kopfnicken, ein gutes Wort, ein Händedruck oder ein<br />
Schulterklopfen sind wie frisches Wasser in der Wüste; als Führungskraft<br />
die eigenen Leute nicht sich selbst überlassen, sondern<br />
das begründete Gefühl geben, jetzt und hinterher für sie da<br />
zu sein; eigene und fremde „Maulhelden“ und Wichtigtuer<br />
freundlich, aber bestimmt zurechtweisen und zur Not unmittelbaren<br />
Zwang anwenden (lassen).<br />
Welche Angebote/Maßnahmen zur Einsatznachsorge und weiteren<br />
Begleitung gibt es?<br />
Nach dem Einsatz ist der Einsatz solange nicht abgeschlossen,<br />
wie die Begleitung und Betreuung derjenigen, die sich dieses<br />
wünschen, nicht abgeschlossen ist.<br />
Hier gibt es mittlerweile ein erfreuliches Spektrum von<br />
Methoden und Institutionen, die sich der Helfer und Betroffenen<br />
annehmen. Eine Auswahl soll im Folgenden dargestellt werden:<br />
Methoden der Einsatznachsorge:<br />
Ein bewusstes menschliches Interesse am Kollegen, dass ihn<br />
nicht nur sieht, sondern versucht, ihn wahrzunehmen; eine offene<br />
Gesprächsatmosphäre, die von gegenseitigem Respekt, aktivem<br />
Zuhören und gegenseitiger Offenheit geprägt ist, so dass<br />
man das Gefühl hat, sagen zu dürfen, wie es einem gerade geht;<br />
dazu gehört die Schaffung und Pflege eines Klimas, in dem<br />
Befindlichkeitsäußerungen nicht vordergründig sanktioniert und<br />
objektiviert, sondern als individuelle Meinung akzeptiert bleiben;<br />
Autarkie ist sicherlich wünschenswert, aber gerade in dem hier<br />
verhandelten Grenzbereich menschlichen Lebens kann man<br />
wohl kaum alles alleine bewältigen – und muss es auch nicht;<br />
diese Einsicht sollte in den Köpfen von Helfern und Betroffenen<br />
einer Katastrophe dazu führen, dass man Austausch und<br />
Gespräch sucht.<br />
Dieses Gespräch kann informellen Charakter haben, wenn es in<br />
direkter zeitlicher Nähe zum Einsatz stattfindet (Defusing) und<br />
dient dann der Klärung der aktuellen Befindlichkeit und der<br />
Information über weitergehende Gesprächs- und Bearbeitungsangebote,<br />
spricht damit eine überschaubare Gruppe von Helfern<br />
an. Stärker strukturiert läuft dagegen das geregelte Einsatznachgespräch<br />
ab, das an verschiedenen Formen der Gesprächsführung<br />
(z.B. dem Debriefing) orientiert werden kann. Wir verzichten<br />
hier auf eine weitergehende Klassifizierung der Arten der<br />
Gesprächsführung, nennen aber einige Regeln und Grundsätze,<br />
die uns unabdingbar für den Erfolg eines solchen Gespräches<br />
erscheinen:<br />
41
Die Teilnahme ist freiwillig; Disziplinarvorgesetzte sollten zurückhaltend<br />
mit ihrem eigenen Teilnahmewunsch sein; absolute<br />
Vertraulichkeit des gesamten Gespräches ist zu vereinbaren; es<br />
gibt einen als kompetent ausgewiesenen Gesprächsleiter; nur<br />
die Teilnehmer des betreffenden Einsatzes nehmen teil; die<br />
ideale Teilnehmerzahl liegt bei 8–10; die anberaumte Zeit sollte<br />
bei 3–4 Stunden liegen mit der Option weiterer Gespräche für<br />
die Gruppe oder für Einzelne; Störungsfreiheit (kein Handy, kein<br />
Funkmeldeempfänger, kein Funkgerät, keine Außenkontakte<br />
etc.) ist sicherzustellen.<br />
Dieses geregelte Einsatznachgespräch sollte 24–72 Stunden<br />
nach „Einsatzende“ stattfinden; alle bemühen sich um eine<br />
freundliche, offene Atmosphäre, die den Anderen in seinen vielleicht<br />
von den meinen völlig abweichenden Empfindungen ernst<br />
nimmt; es wird nicht über allgemeine Probleme oder über technischtaktische<br />
Fragen des zur Debatte stehenden Einsatzes<br />
gesprochen, sondern über die im weitesten Sinn psychologisch<br />
oder seelsorgerlich zu behandelnde Seite. Die klassische<br />
Manöverkritik erfolgt vorher, und es ist eine der Aufgaben der<br />
Gesprächsleitung, die Teilnehmer hier beim Thema zu halten<br />
und einen Wechsel zu der sehr viel einfacher und mit weniger<br />
emotionaler Beteiligung zu besprechenden Technik zu verhindern;<br />
Redebeiträge sollten schwerpunktartig daher auch „per<br />
ich/du/Sie“ und nicht „per man“ erfolgen; Störungen haben<br />
Vorrang – vor einem glatten, diskursiven Gesprächsverlauf.<br />
Es geht darum, in einer Gruppe bewegende emotionale Fragen<br />
zu besprechen und nicht um Statements mit möglichst hohem<br />
allgemeinen objektiven Informationsgehalt; es gibt natürlich keinen<br />
Redezwang, jeder ist sein eigener „Chairman“/„Vorgesetzter“;<br />
sollte nur ein Helfer ein solches Gespräch wünschen, ist<br />
ihm ohne hochgezogene Augenbraue, sondern selbstverständlich<br />
die Möglichkeit dazu zu geben.<br />
Nota bene: Nicht nur die direkt am Einsatzgeschehen beteiligt<br />
gewesenen Helfer müssen in den Blick der Nachsorge kommen,<br />
sondern auch deren Verwandte und nähere Bezugspersonen,<br />
denn viele Helfer nehmen die Belastungen und manchmal extremen<br />
Erfahrungen mit nach Hause. Das heißt, dass Einsatznachsorge<br />
breit gefächert sein muss im Sinn psychologischer,<br />
psychiatrischer, theologisch-seelsorgerlicher, familienbezogener,<br />
finanzieller, beruflicher und juristischer Begleitung, wenn sie<br />
gewünscht wird (vgl. die Komponenten einer umfassenden<br />
Begleitung nach dem Critical Stress Incident Management<br />
(CISM), siehe Literaturverzeichnis).<br />
42
Institutionen und Gruppen, die sich mit Einsatznachsorge und<br />
dem gesamten Thema der Psychologie der Katastrophe<br />
befassen:<br />
Arbeitsgemeinschaften der Notärzte, Rettungsdienst, Feuerwehren<br />
und die Bundesanstalt des Technischen Hilfswerkes,<br />
Polizei, Bundeswehr, Bundesgrenzschutz (besonders deren<br />
höhere Ausbildungsstätten), Akademie für Notfallplanung und<br />
Zivilschutz im Bundesverwaltungsamt, die Deutsche Gesellschaft<br />
für <strong>Katastrophenmedizin</strong> (DGKM e.V.); kirchenleitende<br />
Organe und Personen und besondere kirchliche Dienste z. B. in<br />
Polizei, Feuerwehr, Militär; jeder Ortspfarrer verfügt über die entsprechenden<br />
Adressen oder Telefonnummern.<br />
4. Fazit und Perspektive<br />
Das in dem vorliegenden Beitrag behandelte Thema ist hochkomplex,<br />
da es den Menschen in extremis betrifft. Deshalb wäre<br />
es schädlich, es nur einer Fakultät oder Gruppe zu überlassen;<br />
interdisziplinäres Arbeiten ist unerlässlich. Dabei sollten die<br />
Diskussionskategorien der Beteiligten im Vorfeld sauber<br />
getrennt und geklärt werden – denn nur dann kann ein erklärter<br />
Atheist sinnvoll mit einem Pfarrer der Notfallseelsorge zusammenarbeiten<br />
und umgekehrt.<br />
Wünschenswert zum gegenwärtigen Zeitpunkt erscheint eine bundesweite<br />
Vernetzung der zahlreichen guten Initiativen zur psychologischen<br />
Begleitung von Menschen in Katastrophensituationen, um<br />
einer Zerfaserung, Zerredung und regionalen „Neuerfindung des<br />
Rades“ vorzubeugen – und einer drohenden Kommerzialisierung<br />
dieses Handlungsfeldes.<br />
Bei knappen öffentlichen und privaten finanziellen Ressourcen<br />
sollte verstärkt nach Sponsoring-Möglichkeiten gesucht werden;<br />
erfolgversprechende Anfänge gibt es, und große Konzerne sind<br />
nach unseren Erfahrungen durchaus ansprechbar, wenn man<br />
ihnen mit dieser Thematik Beteiligungschancen an gesellschaftsdiakonischen<br />
Aufgaben eröffnet.<br />
Die psychologische Begleitung von Menschen in Notlagen ist<br />
sicherlich ein Thema, das zunehmend bedeutsam werden wird<br />
in einer technischer und vernetzter werdenden Welt mit ihren für<br />
den Einzelnen immer weniger durchschaubaren Strukturen.<br />
Helfen wir mit, den Einzelnen darin nicht alleine zu lassen – mit<br />
seiner körperlichen Not nicht und auch nicht mit der seelischen.<br />
43
5. Literaturverzeichnis:<br />
1.Hüls, E.; Oestern, H.-J. (Hrsg.):<br />
Die ICE-Katastrophe von Eschede. Erfahrungen und Lehren.<br />
Eine interdisziplinäre Analyse.<br />
Springer, Berlin, Heidelberg, New York, Barcelona, London<br />
1999<br />
2.Jatzko, H. u. a.: Das durchstoßene Herz – Ramstein 1988.<br />
Beispiel einer Katastrophen-Nachsorge. Stumpf & Kossendey,<br />
Edewecht 1995<br />
3.Beiträge aus der Ev. Militärseelsorge I / 1995, Hrsg.:<br />
Evangelisches Kirchenamt für die Bundeswehr (siehe besonders<br />
S. 50–71), Bonn<br />
4.Kalaine, S.: History of CISM.<br />
In: Air Medical Journal, 11/12, 1999, S. 36, Mosby, St. Louis<br />
5.Sefrin, P. (Hrsg.): Handbuch für den Leitenden Notarzt.<br />
Organisation, Strategie, Recht. Leitfaden für Einsatz und<br />
Fortbildung.<br />
ecomed, Landsberg 1991 (seitdem fortl. Ergänzungslieferungen<br />
u.a. zur Thematik der psychologischen Bewältigung<br />
belastender Einsätze)<br />
6. Müller-Lange, I. (HRSG.): Handbuch Notfallseelsorge, Stumpf<br />
und Kossendey, Edewecht, Wien 2001<br />
44
6. Lebensrettende Sofortmaßnahmen<br />
unter Katastrophenbedingungen<br />
P. Sefrin<br />
Auch unter den Bedingungen eines Großschadensereignisses,<br />
besonders, wenn keine umfängliche Individualmedizin realisiert werden<br />
kann, ist eine Therapie, in deren Mittelpunkt die Sicherung der<br />
Vitalfunktionen steht, stets unabdingbar. Sie wird sich auf wenige<br />
lebensrettende Sofortmaßnahmen beschränken und mit einfachen<br />
Mitteln in unmittelbarer Nähe zum Schadensort von jedem Arzt und<br />
auch qualifizierten Helfer durchgeführt werden können und müssen.<br />
Ohne weitreichende differenzialdiagnostische Überlegungen werden<br />
die Maßnahmen im Sinne einer rein symptomatischen Therapie zeitkritisch<br />
durchgeführt werden müssen. Ziel der Maßnahmen ist es,<br />
die bedrohten, gestörten oder ausgefallenen Vitalfunktionen Atmung<br />
und Kreislauf solange zu ersetzen oder zu überbrücken, bis eine professionelle<br />
Hilfe unter Einsatz weitergehender Therapiemöglichkeiten<br />
die Behandlung übernimmt. Nachdem hierzu keine verbindlichen<br />
zeitlichen Vorgaben gemacht werden können, sollen in der Folge<br />
auch nur einfache Hilfsmittel in die Versorgung mit einbezogen werden.<br />
1. Diagnostik der vitalen Funktionsstörungen<br />
Bevor therapeutische Maßnahmen ergriffen werden, muss in der<br />
Kürze der Zeit, sofern keine Gefährdung für Helfer und Patient<br />
besteht, eine Überprüfung von Bewusstsein, Atmung und<br />
Kreislauf erfolgen:<br />
Prüfung der Bewusstseinslage<br />
Der Patient wird zunächst laut angesprochen. Reagiert er hierauf<br />
nicht, wird durch vorsichtiges Schütteln an den Schultern ein<br />
taktiler Reiz gesetzt. Bei Fehlen einer adäquaten Reaktion muss<br />
von einer Bewusstlosigkeit ausgegangen werden.<br />
Prüfung der Atmung<br />
Bei dem bewusstlosen Patienten, der auf dem Rücken liegt, kommt<br />
es durch das Zurückfallen des Zungengrundes zu einer Verlegung<br />
der Atemwege. Zur Prüfung der Atmung muss deshalb zunächst<br />
der Kopf vorsichtig nackenwärts überstreckt werden. Dazu wird<br />
eine Hand auf die Stirn und die andere unter das Kinn gelegt. Diese<br />
Bewegung sollte insbesondere bei Traumapatienten nicht ruckartig<br />
erfolgen. Die Prüfung der Atembewegungen wird durch eine visuel-<br />
45
le Kontrolle der Thoraxbewegungen erfolgen. Unter den Bedingungen<br />
eines Großschadensereignisses wird es schwierig sein,<br />
durch Hören ein Atemgeräusch oder durch Fühlen einen Luftstrom<br />
zu identifizieren. Bei Zweifel wird sofort die Pulskontrolle angeschlossen.<br />
Prüfung des Kreislaufs<br />
Die Möglichkeit der Beurteilung des Kreislaufs beschränkt sich unter<br />
den Bedingungen der <strong>Katastrophenmedizin</strong> auf die Betastungen<br />
des Pulses. Bei Verdacht auf Kreislaufstillstand, ebenso wie bei<br />
Fehlen eines Pulses an den Extremitäten, wird hierzu die vorsichtige<br />
Palpation der Arteria carotis genutzt. Zur Prüfung des Carotispulses<br />
werden Zeige- und Mittelfinger auf den Schildknorpel gelegt, um<br />
dann anschließend seitlich in die Halsgrube abzugleiten. Hierfür sollten<br />
nicht mehr als 10 Sekunden verwandt werden. Ebenso wie bei<br />
der Atemkontrolle kann die sichere Idendifikation schwierig sein,<br />
weshalb im Zweifelsfall mit entsprechenden Hilfsmaßnahmen<br />
begonnen werden sollte.<br />
2. Konsequenzen aus der Prüfung der Vitalfunktionen<br />
2.1. Bewusstlosigkeit bei erhaltener Atmung und Kreislauf<br />
Zum Freihalten der Atemwege wird ohne Verwendung von<br />
Hilfsmitteln die stabile Seitenlage angewandt. Das Wesen dieser<br />
speziellen Lagerung besteht darin, den Kopf des Patienten zu<br />
überstrecken und ihn in dieser Position zu stabilisieren.<br />
Durchführung:<br />
Der Helfer kniet neben dem Patienten und schiebt den ihm<br />
zugewandten Arm ausgestreckt unter den Rücken. Das auf der<br />
gleichen Seite (zum Helfer) befindliche Bein wird aufgestellt und<br />
damit angewinkelt. Der andere Arm des Patienten wird sodann<br />
vor dem Brustkorb abgewinkelt. Der Helfer fasst den Patienten<br />
an der gegenseitigen Schulter und an der Hüfte und dreht ihn zu<br />
sich herüber. Nach der Drehung wird der untenliegende Arm<br />
herausgezogen und im Ellenbogengelenk abgewinkelt. Die andere<br />
Hand des Patienten wird zur Aufrechterhaltung der Überstreckung<br />
des Kopfes flach unter die Wange geschoben. Die<br />
Überstreckung des Kopfes erfolgt dazu mit beiden Händen:<br />
eine Hand auf der Stirn an der Haaransatzgrenze, die andere am<br />
Unterkiefer.<br />
Wenn eine notfallmedizinische Grundausstattung vorhanden ist,<br />
können zum Freihalten der Atemwege Luftbrücken wie Guedelund<br />
Wendl-Tuben zum Einsatz kommen. Eine Intubation erfordert<br />
nachfolgend eine Beatmung und bindet damit in der Regel<br />
46
Personal, so dass die sicherste Form des Freihaltens der Atemwege<br />
unter den Bedingungen der Notfallmedizin bei einer Katastrophe<br />
unter dem Blickwinkel der personellen Verfügbarkeit in<br />
seinem Stellenwert anders beurteilt werden muss. Aus diesem<br />
Grunde haben die einfachen Luftbrücken eine größere Bedeutung<br />
als in der Individual-Notfallmedizin.<br />
Guedel-Tubus (Oropharyngeal-Tubus)<br />
Der Tubus verhindert – nach Auswahl der richtigen Größe – das<br />
Zurückfallen des Zungengrundes bei tiefer Bewusstlosigkeit.<br />
Damit wird personelle Kapazität freigesetzt, die bei der Verwendung<br />
des Esmarch‘schen Handgriffes als Alternative zum<br />
Freihalten der Atemwege gebunden würde. Der Tubus schützt<br />
nicht vor Aspiration.<br />
Durchführung – Esmarch’scher Handgriff: 4 Finger jeder Hand<br />
umfassen den Unterkieferwinkel, die beiden Daumen kommen<br />
auf die Spitze des Unterkiefers zu liegen. Beide Hände drehen<br />
den Kopf nackenwärts im Sinne einer Dorsalflexion. So wird die<br />
Zunge passiv nach vorne gezogen, was noch durch das<br />
Anheben des Unterkiefers verstärkt wird.<br />
Durchführung – Guedel-Tubus: Abmessen der richtigen Größe<br />
durch Orientierung an der Entfernung zwischen Ohr und<br />
Mundwinkel. Den Mund des Patienten mit dem Esmarch’schen<br />
Handgriff öffnen, Guedel-Tubus mit der Wölbung zur Zunge und<br />
Öffnung gaumenwärts durch den Mund einführen bis er am harten<br />
Gaumen anstößt. Danach Tubus um 180° drehen, so dass er<br />
mit der Spitze hinter den Zungengrund zu liegen kommt.<br />
Wendl-Tubus (Nasopharyngeal-Tubus)<br />
Nach Einführung durch die Nase kommt die Tubusspitze im<br />
Hypopharynx zu liegen und hat keinen Kontakt zum Zungengrund.<br />
Der Vorteil im Gegensatz zum Guedel-Tubus besteht<br />
darin, dass er auch bei nicht tief bewusstlosen Patienten ohne<br />
Auslösung eines Erbrechensreizes verwendet werden kann.<br />
Durchführung: Auswahl der richtigen Größe durch Abmessen<br />
des Abstandes Naseneingang – Ohrläppchen. Den vorher angefeuchteten<br />
Wendl-Tubus durch den unteren Nasengang einführen<br />
und in Richtung Rachenwand vorschieben. Unterkiefer<br />
leicht anheben, bis die ringförmige Scheibe des Tubus am<br />
Naseneingang zu liegen kommt.<br />
Die richtige Lage der Tuben (Luftbrücken) kann an einer hör- und<br />
fühlbaren Atemluftströmung am Tubusende erkannt werden. Ist<br />
der Tubus zu groß gewählt, kann bei einer notwendigen Beat-<br />
47
mung eine gastrale Insufflation (Magen-Aufblähung) die Folge<br />
sein und eine ausreichende Spontanatmung ist nicht gesichert.<br />
Zum Freimachen der Atemwege als Voraussetzung für eine ausreichende<br />
Spontanatmung kann ohne Verwendung von Hilfsmitteln<br />
eine digitale Ausräumung des Mund- und Rachenraumes<br />
notwendig werden (Abb. 1 a – b).<br />
Durchführung: Mit dem Esmarch’schen Handgriff wird der Mund<br />
geöffnet und mit der Hand offengehalten und der Kopf vorsichtig<br />
zur Seite gedreht. Mit der anderen Hand wird nach Umwickeln<br />
von Zeige- und Mittelfinger z.B. mit einem Taschentuch der<br />
Mundraum ausgetastet und evtl. vorhandene Fremdkörper mit<br />
einer wischenden Bewegung entfernt. Bei der Reinigung des<br />
Mund- und Rachenraumes hält eine Hand den Mund in der<br />
beschriebenen Weise geöffnet auch als „Beiß-Schutz“, während<br />
mit den Fingern der anderen Hand die Säuberung durchgeführt<br />
wird.<br />
Als Alternative kommt insbesondere bei Flüssigkeiten im<br />
Mundraum bei Vorhandensein eines Absauggerätes die<br />
Absaugung in Frage. Die Geräte sind entweder manuell oder<br />
maschinell betrieben. Das Absaugen ist effektiver als die digitale<br />
Reinigung.<br />
Durchführung: Es reicht normalerweise, den Absaugkatheter in<br />
der Länge, die dem Abstand zwischen Ohrläppchen und Nasenspitze<br />
entspricht, einzuführen. Grundsätzlich wird über den<br />
Mund abgesaugt; muss über die Nase abgesaugt werden, so<br />
darf der Sog erst einsetzen, wenn die Katheterspitze im Rachenraum<br />
angelangt ist, sonst wird sich die Spitze an der<br />
Nasenschleimhaut festsaugen und kann bei einer gewaltsamen<br />
Bewegung zu einer Blutung führen. Während des Absaugvorganges<br />
soll die Spitze ständig hin und her bewegt werden,<br />
da sie sonst entweder verstopft oder sich festsaugt.<br />
2.2. Bewusstlosigkeit mit erhaltenem Kreislauf ohne Atmung<br />
Bei einem Atemstillstand muss eine Beatmung durchgeführt werden.<br />
Das Optimum wäre, wenn die Beatmung mit Sauerstoff<br />
erfolgen könnte, der in Katastrophensituationen allerdings nur in<br />
wenigen Fällen primär zur Verfügung stehen wird. Wenn aus den<br />
Beständen des Sanitäts- oder Rettungsdienstes Sauerstoff verfügbar<br />
ist, sollte als dringliche Forderung dieser mit den verfügbaren<br />
Hilfsmitteln zum Einsatz kommen.<br />
Die einfachste Form der Beatmung ohne Hilfsmittel ist die Atemspende,<br />
die als Mund-zu-Mund- oder Mund-zu-Nase-Beatmung<br />
48
erfolgen kann. Es gibt keine ausschließliche Bevorzugung einer<br />
der beiden Methoden. Trotzdem scheint die Mund-zu-Nase-<br />
Beatmung einfacher in der Anwendung zu sein, da die Nase mit<br />
dem Mund besser abzudichten ist und bei Insufflation der<br />
Spitzendruck reduziert wird. Bei einer Beatmung mit einem zu<br />
hohen Druck und/oder Volumen kommt es zu einer gastralen<br />
Insufflation mit der Gefahr der Regurgitation. Wichtig für die<br />
Effektivität der Beatmung ist eine ausreichende Überstreckung<br />
des Kopfes. Auf Selbstschutz z.B. durch sog. „Atemhilfen“ ist zu<br />
achten (s.u.).<br />
Durchführung – Mund-zu-Nase-Beatmung (Abb. 2 a – b):<br />
Der Helfer kniet seitlich am Kopf des Patienten. Die eine Hand liegt<br />
flach auf der Stirn an der Haaransatzgrenze, die andere unter dem<br />
Kinn. Beide drehen den Kopf vorsichtig nackenwärts. Der Mund<br />
kann zusätzlich durch den Daumen, der zwischen Unterlippe und<br />
Kinn liegt verschlossen werden, wenn das Vorschieben des<br />
Unterkiefers nicht ausreichen sollte. Der Mund des Helfers verschliesst<br />
beide Nasenöffnungen durch seine Lippen und bläst die<br />
Ausatemluft in den Patienten hinein, bis es zu einer deutlichen<br />
Exkursion des Thorax kommt. Die Insufflation erfolgt langsam und<br />
gleichmässig über einen Zeitraum von 1,5 bis 2 Sekunden, um zu<br />
hohe Drücke zu vermeiden. Anschließend wird der Kontakt zum<br />
Patienten aufgegeben und der Kopf des Helfers zur Thoraxseite<br />
gedreht, um den Erfolg der Insufflation (= Senkung des Brustkorbs)<br />
zu kontrollieren. Die nachfolgende Inspiration beginnt erst,<br />
wenn der Patient wieder vollständig ausgeatmet hat.<br />
Durchführung – Mund-zu-Mund-Beatmung:<br />
Bei der Mund-zu-Mund-Beatmung verschliessen Daumen und<br />
Zeigefinger der auf der Stirn liegenden Hand die Nase unter<br />
andauernder Überstreckung des Halses. Der Helfer beatmet den<br />
Patienten über seinen leicht geöffneten Mund. Die Insufflation und<br />
die Kontrolle sind identisch wie bei der Mund-zu-Nase-Beatmung.<br />
Nachdem häufig der Durchführung der Atemspende hygienische<br />
und ästhetische Gründe entgegenstehen, ist zumindest<br />
eine Alternative zu erwägen, wobei wieder zwischen dem<br />
Vorhandensein von Hilfsmitteln und deren Fehlen unterschieden<br />
werden muss.<br />
Um den direkten Kontakt des Helfers mit dem Patienten zu vermeiden<br />
und damit die Bereitschaft zur Beatmung zu steigern,<br />
existieren Kunststofffolien mit einem einseitig durchlässigen<br />
Vlies oder einer ventilartigen Öffnung (Beatmungstuch), die eine<br />
Insufflation zum Patienten ermöglichen. Durch die Abdeckung<br />
kann der Widerwillen gegen den Kontakt gemindert werden. Der<br />
49
Nachteil dieser Tücher besteht darin, dass sie leicht verrutschen<br />
und deshalb ständig <strong>neu</strong> ausgerichtet werden müssen.<br />
Sofern vorhanden, kann auch eine Beutel-Masken-Beatmung<br />
durchgeführt werden. In diesem Falle wird dem Patienten zumindest<br />
21% Sauerstoff im Gegensatz zur Atemspende mit<br />
17% O 2 zugeleitet. Der Anteil kann allerdings gesteigert werden,<br />
wenn an dem Beutel Sauerstoff angeschlossen wird, sofern eine<br />
entsprechende Quelle am Notfallort verfügbar ist. Das Optimum<br />
stellt natürlich die Verwendung eines Sauerstoffreservoirs am<br />
Beutel dar.<br />
Durchführung – Beutel-Masken Beatmung (Abb. 3 a – b):<br />
Zunächst muss die für den Patienten richtige Maskengröße<br />
gewählt werden. Zur Beatmung kniet der Helfer am Kopfende<br />
des Patienten, wobei dessen Kopf sich zwischen den beiden<br />
Oberschenkeln des Helfers befindet. Nach Überstrecken des<br />
Kopfes halten Daumen und Zeigefinger die Maske der richtigen<br />
Größe fest auf das Gesicht des zu Beatmenden gedrückt (C-<br />
Griff), während Mittel- und Ringfinger den Unterkiefer umfassen<br />
und diesen nach vorne oben ziehen und gleichzeitig den Kopf<br />
nach hinten strecken (modifizierter Eschmarch’scher Handgriff).<br />
Dabei ist wichtig, die Maske dicht auf Mund und Nase aufzusetzen,<br />
wobei die Basis der Maske unterhalb der Unterlippe zu liegen<br />
kommt und die Spitze mit der Nasenwurzel abschließt. 10<br />
% des Drucks bei der Masken Beatmung erfolgen mit Daumen<br />
und Zeigefinger von oben, während 90% auf das Anheben des<br />
Unterkiefers und das Überstrecken des Kopfes gerichtet sind.<br />
Die linke Hand übernimmt die Maske, die rechte beatmet (bei<br />
Rechtshändern) durch Zusammendrücken des jeweiligen Beutels,<br />
wobei dieser auf dem Oberschenkel des Helfers liegen<br />
kann (Erleichterung der Kompression).<br />
Die größte Schwierigkeit liegt bekanntlich im Abdichten der<br />
Maske und der Kontrolle des Insufflationsvolumens (Beobachtung<br />
der Thoraxexkursion). Sollte eine Masken Beatmung nicht<br />
gelingen, ist die Atemspende durchzuführen.<br />
2.3. Bewusstlosigkeit ohne Atmung und ohne Kreislauf<br />
Bei einem Patienten mit Atem- und Kreislaufstillstand erhebt sich<br />
die Grundsatzfrage, ob eine kardiopulmonale Reanimation aufgrund<br />
der personellen Bindung unter den besonderen Bedingungen<br />
des Großschadensereignisses mit den personellen Diskrepanzen<br />
überhaupt durchgeführt werden kann. Für eine<br />
effektive Wiederbelebung werden für die Basismaßnahmen mindestens<br />
2 Helfer benötigt. Sollten die Basismaßnahmen um<br />
medikamentöse und elektrische Maßnahmen erweitert werden,<br />
so sind insgesamt 3 Helfer erforderlich.<br />
50
Die Basisreanimation setzt sich aus der Beatmung und der äußeren<br />
Herzdruckmassage (HDM) zusammen. Mit der Herzdruckmassage<br />
wird eine minimale künstliche Kreislaufzirkulation<br />
erzeugt, wobei es für die Praxis unerheblich ist, welcher pathophysiologische<br />
Mechanismus hierfür verantwortlich ist.<br />
Durchführung – kardiopulmonale Reanimation (Abb. 4):<br />
Der Helfer kniet seitlich möglichst nahe am Brustkorb des<br />
Verletzten. Der Patient muss flach auf einer harten, unnachgiebigen<br />
Unterlage liegen. Am effektivsten ist die Durchführung der<br />
HDM auf dem Boden. Zur Auffindung des Druckpunktes muss<br />
der Oberkörper frei gemacht werden: mit dem Finger am unteren<br />
Rippenbogenrand entlangfahren bis zur Schwertfortsatzspitze<br />
oder bis zur Stelle, wo Rippen und Brustbein sich vereinen.<br />
Mit dem Zeigefinger die Schwertfortsatzspitze oder mit<br />
dem Mittelfinger die Vereinigungsstelle markieren. Im ersteren<br />
Fall Zeige- und Mittelfinger der anderen Hand kopfwärts daneben<br />
legen, um den Handballen der ersten Hand auf das<br />
Brustbein aufzusetzen. Im 2. Fall lediglich den Zeigefinger der<br />
anderen Hand daneben legen und den Ballen der Hand in<br />
Richtung Kopf aufsetzen. Die so gefundene Stelle auf dem<br />
Brustbein entspricht dem unteren Drittel, das die beste Voraussetzung<br />
für eine effektive Kompression bietet. Die 2. Hand wird<br />
gekreuzt mit dem Handballen auf dem Ballen der ersten Hand<br />
gesetzt. Eine Alternative ist das Eingreifen der 2. Hand in die<br />
Fingergrundgelenke der 1. Hand, wobei die Finger nach oben<br />
gezogen werden. Es sollte der Kontakt zum Thorax nur durch<br />
den Handballen und nicht durch die gesamte Hand hergestellt<br />
werden. Die Körperhaltung des Helfers garantiert, dass das<br />
Gewicht des Oberkörpers über die im Ellenbogen gestreckten<br />
Arme direkt auf den Thorax übertragen wird. Die Drucktiefe<br />
beträgt 4–5 cm beim Erwachsenen. Der Druck muss senkrecht<br />
auf das Brustbein auftreffen. Nach der Kompression muss das<br />
Sternum vollständig entlastet werden, ohne dabei den Handballen<br />
abzuheben. Die Frequenz der HDM beträgt bei<br />
Erwachsenen ca. 100/min.<br />
Das Zusammenwirken der Beatmung und der Herzdruckmassage<br />
ist je nach Anzahl der verfügbaren Helfer different.<br />
Man beginnt mit 2 Insufflationen, um dann 15 mal zu massieren.<br />
Der Wechsel zwischen Beatmung und HDM wird in der Folge im<br />
Rhythmus 2 :15 erfolgen. Sowohl bei der – weniger suffizienten<br />
– 1-Helfer-Methode wie auch bei der 2-Helfer-Methode.<br />
51
2.4. Bewusstsein erhalten, Kreislauf insuffizient<br />
Bei Störung des Kreislaufs unter den Bedingungen des Großschadensereignisses<br />
liegt als Ursache meist ein Volumenverlust<br />
vor. Als nächstes denkbar ist ausnahmsweise auch eine akute<br />
Dekompensation einer bestehenden Herzinsuffizienz. Obwohl<br />
die adäquate Therapie eines Volumenmangels in dem intravenösen<br />
Ersatz der Flüssigkeit besteht, bedeutet eine derartige<br />
Infusionstherapie eine erhebliche zeitliche und personelle Belastung,<br />
weshalb vordergründig lediglich die Lagerungstherapie<br />
infrage kommt. Durch eine Kopf-Tief-Lage in einem Winkel von<br />
ca. 15° kann evtl. mit dem verbliebenen Volumen eine zerebrale<br />
Perfusion verbessert werden. Das zusätzliche Anheben der<br />
Beine (nicht bei Vorliegen von Frakturen der unteren Extremitäten)<br />
kann eine körpereigene Volumenauffüllung bewirken<br />
(Autotransfusion).<br />
Bei einer Infusionstherapie spielt unter Katastrophenbedingungen<br />
die Auswahl der Infusionslösung (kristalloide oder kolloide)<br />
keine entscheidende Rolle.<br />
2.5. Bewusstsein erhalten, Atmung insuffizient<br />
Bei einer isolierten Atemstörung wird sich die Hilfe im Bereich der<br />
<strong>Katastrophenmedizin</strong> auf eine adäquate Lagerung beschränken.<br />
Der Einsatz von Hilfsmitteln beschränkt sich, wenn überhaupt, auf<br />
die Gabe von Sauerstoff per inhalationem. Das in der Notfallmedizin<br />
verwendete Verfahren der manuellen oder automatischen<br />
Beatmung (nach Intubation) ist ein zeit- und personalaufwändiges<br />
Verfahren, das auf Ausnahmefälle beschränkt bleibt. Die Applikation<br />
von Medikamenten bleibt Sonderfällen vorbehalten.<br />
Sollten sowohl ausreichende Personal- wie Materialreserven<br />
verfügbar sein, ist eine der wesentlichen lebensrettenden Maßnahmen<br />
die manuelle Beutelbeatmung. Es gelingt damit nicht<br />
nur eine suffiziente Beatmung mit Umgebungsluft mit einem<br />
Sauerstoffanteil von 21% (FiO 2 0,21), sondern bei Verfügbarkeit<br />
von O2 dem Patienten das in dieser Situation wesentliche Notfallmedikament<br />
zu applizieren. Bei einer Beutel-Masken-Beatmung<br />
mit einem O 2-Flow von 6–10 l/min. lässt sich die FiO 2 auf<br />
0,45 steigern. Dies setzt allerdings eine gewisse Routine bei der<br />
Verwendung einer Beatmungsmaske (s.o.) voraus.<br />
Sofern es vom Kreislauf her tolerabel ist, wird der Patient mit<br />
Atemstörung Oberkörper hochgelagert, um die Atmung zu erleichtern.<br />
Die Beine sollen nur bei Hypertonie tiefer gelagert sein.<br />
Die Form der O 2-Applikation hängt von den verfügbaren Applikationssystemen<br />
ab.<br />
52
2.6. Erweiterte Reanimation bei Kreislaufstillstand<br />
Bei Verfügbarkeit einer elektrischen und medikamentösen Ausstattung<br />
und einer ausreichenden Personalkapazität (neben Arzt<br />
ggf. Rettungsassistent und 2 Helfer) und dem Fehlen konkurrierender<br />
anderer Versorgungsmaßnahmen können die Basismaßnahmen<br />
durch weitere ergänzt werden (advanced life support/ ALS).<br />
Nach der Diagnose eines Kammerflimmerns oder einer pulslosen<br />
ventrikulären Tachykardie mit einem Notfall-EKG ist die<br />
Therapie der Wahl die Defibrillation. Voraussetzung für eine<br />
erfolgreiche Defibrillation ist eine ausreichende Versorgung des<br />
Myokards mit Sauerstoff.<br />
Durchführung – Defibrillation (Abb. 5):<br />
Die beiden Elektroden (Paddels) werden so platziert, dass eine<br />
größtmögliche Myokardmasse vom Strom durchflossen wird, ein<br />
Paddel rechts parasternal unterhalb der Clavicula, das andere<br />
Paddel links im 5. Interkostalraum in der vorderen Axillarlinie<br />
(Herzspitze). Vorher die Paddels mit Elektrodengel bestreichen, um<br />
den Übergangswiderstand zu reduzieren. Wichtig ist, dass die<br />
gesamte Fläche der Paddels der Thoraxwand aufliegt und bei<br />
Abgabe der Strommenge die Paddels fest aufgepresst werden.<br />
Beginn der Defibrillation mit einer Energiemenge von 200 Joule.<br />
Unmittelbar nach dem Stromstoß Kondensator <strong>neu</strong> laden, um<br />
bei Erfolglosigkeit sofort er<strong>neu</strong>t (ohne interponierte Basismaßnahmen)<br />
mit 200 Joule defibrillieren zu können. Ab der 3.<br />
Defibrillation wird mit 360 Joule defibrilliert. Nach der ersten<br />
„3er-Serie“ werden bei Erfolglosigkeit (Fortbestehen eines Kammerflimmerns<br />
auf dem EKG) die Basismaßnahmen wieder aufgenommen.<br />
Es wird in der Folge nur in „3er Serien“ mit 360<br />
Joule defibrilliert.<br />
Als Alternative kommt bei beobachtetem oder unter Monitorkontrolle<br />
aufgetretenem Kreislaufstillstand der präkordiale<br />
Faustschlag in Frage. Dabei wird versucht, mechanische Energie<br />
in eine geordnete Erregung umzuwandeln.<br />
Durchführung: Aus ca. 30 cm Höhe wird mit der Handkante ein<br />
kräftiger Schlag auf das Brustbein ausgeübt, anschließend<br />
sofort Puls fühlen.<br />
Bei anderen Formen des Kreislaufstillstandes beschränken sich<br />
die erweiterten Maßnahmen neben den Basismaßnahmen auf<br />
die Gabe von Adrenalin (z.B. Suprarenin®).<br />
Schwierigkeiten bereitet unter den Bedingungen des Kreislaufstillstandes<br />
die Art der Medikamentenapplikation. Zunächst dürfte<br />
aus zeitlichen Gründen der Weg der ersten Wahl (i.v.-Gabe)<br />
verwehrt sein. Aus diesem Grunde empfiehlt sich als primärer<br />
53
Zugangsweg die endobronchiale (e.b.) Applikation. Adrenalin<br />
wird nach Verdünnung mit 9 ml NaCl 0,9 % über den Endobronchialtubus<br />
verabreicht. Die Wirkung setzt durch rasche<br />
Resorption ebenso schnell ein wie bei der intravenösen Gabe.<br />
Durchführung – endobronchiale Medikamentenapplikation:<br />
Die dreifache Menge (3 mg) Adrenalin wird auf 10 ml NaCl 0,9 %<br />
verdünnt und in einer 20 ml-Spritze mit 10 ml Luft aufgezogen.<br />
Das Gemisch wird über einen als Applikationshilfe abgeschnittenen<br />
Absaugkatheter (z.B. CH 9) tief endobronchial verabreicht.<br />
Nach der Instillation wird zweimal mit großem Atemzugvolumen<br />
beatmet, um eine ausreichende Verteilung und<br />
Resorption zu erreichen.<br />
Voraussetzung hierfür ist die endobronchiale Intubation, was<br />
nicht nur einer gewissen Routine, sondern besonders im Katastrophenfall<br />
eines unbedingt notwendigen Instrumentariums<br />
bedarf. Allerdings ist eine Intubation unter den Bedingungen<br />
des Kreislaufstillstandes wesentlich einfacher als bei sonstigen<br />
Notfallsituationen, da „optimalere“ Bedingungen durch vollkommene<br />
Erschlaffung der Muskulatur und der Stimmbänder<br />
(„Kadaverstellung“) vorliegen. Nach erfolgreicher Platzierung<br />
des Tubus ist nicht nur die e.b.-Medikation möglich, sondern<br />
auch eine sichere Oxygenierung ohne die Gefahr einer<br />
Regurgitation und Aspiration durch eine gastrale Insufflation.<br />
Durchführung – Intubation (Abb. 6 a – e):<br />
Wichtig für die Intubation ist die richtige Lagerung des Kopfes.<br />
Der Patient liegt flach auf dem Rücken. Nachdem die Verbindung<br />
zwischen Mund und Larynxeingang keine gerade Linie<br />
ist, muss der Nacken leicht gebeugt und der Kopf im Atlanto-<br />
Okzipitalgelenk überstreckt werden (Reklination). Anschließend<br />
wird der Oberkiefer mit einem Finger der rechten Hand herangezogen<br />
und mit den anderen Fingern und dem Daumen die beiden<br />
Zahnreihen gespreizt. Das Laryngoskop wird mit der linken<br />
Hand gehalten. Der Spatel des Laryngoskops wird seitlich über<br />
den rechten Mundwinkel zwischen die beiden Zahnleisten eingeführt.<br />
Dabei ist unbedingt die Traumatisierung des Ober- und<br />
Unterkiefers zu vermeiden. Der Spatel wird auf die Zunge aufgelegt<br />
und in der Tangentialebene vorgeschoben. Die Zungenmasse<br />
wird durch leichten Zug nach oben, jedoch ohne Hebelbewegungen<br />
abgedrückt. Die Spatelspitze kommt dann zwischen<br />
Zungengrund und Epiglottis zu liegen. Nach Erscheinen des<br />
Kehldeckels im Gesichtsfeld leichtes Anheben des Spatels ohne<br />
Kippbewegungen sowie weiteres vorsichtiges Verschieben. Die<br />
Kehldeckelspitze verschwindet am oberen Gesichtsfeldrand. Durch<br />
54
Anheben des gesamten Spatels (nicht Kippen) wird die Stimmbandebene<br />
gut sichtbar. Der Tubus wird sodann unter Sicht zwischen<br />
den beiden Stimmbändern vorgeschoben. Nach Kontrolle<br />
der seitengleichen Belüftung der Lunge und Einlegen eines Guedel-<br />
Tubus als Beißschutz wird der Tubus (z.B. mit einer Binde) befestigt.<br />
Unstrittig ist der intravenöse Applikationsweg das Verfahren der<br />
ersten Wahl. Da die periphere Zirkulation bei Kreislaufstillstand<br />
aufgehoben ist, muss durch eine Infusion die Einspülung des<br />
Medikamentes gesichert werden.<br />
Durchführung – intravenöse Adrenalin-Applikation:<br />
1 mg Adrenalin wird mit 9 ml NaCl verdünnt und in eine 10 ml-<br />
Spritze aufgezogen. Nach Injektion Einschwemmen durch Infusion<br />
evtl. unter Druck. Wiederholung alle 2–3 Minuten bei entsprechendem<br />
Algorithmus. Nach dreimaliger erfolgloser Applikation auf 5<br />
mg steigern, aber immer als 10 ml Bolus applizieren.<br />
Andere Medikationen kommen unter den besonderen Bedingungen<br />
eines Großschadensereignisses nicht in Frage, da deren<br />
Wirksamkeit in entsprechenden Studien nicht eindeutig unter<br />
Beweis gestellt werden konnte.<br />
Sofern ein EKG und auch ausreichende materielle und personelle<br />
Ressourcen zur Verfügung stehen, kann von den einfachen zu<br />
den erweiterten lebensrettenden Sofortmaßnahmen übergegangen<br />
werden. Mit dem Notfall-EKG ist es möglich, drei verschiedene<br />
elektrische Formen eines Kreislaufstillstandes zu<br />
differenzieren, die dann zu verschiedenen therapeutischen<br />
Konsequenzen führen<br />
– Kammerflimmern und -flattern<br />
– Asystolie<br />
– Elektromechanische Entkoppelung (EMD)<br />
– pulslose elektrische Aktivität (PEA)<br />
Zu warnen ist allerdings vor einer ausschließlichen EKG-Bewertung,<br />
da das EKG-Bild leicht verzerrt werden kann (Bewegungsartefakte,<br />
Interferenzen, Diskonnektionen) und deshalb<br />
immer mit der klinischen Symptomatik korreliert werden muss<br />
(Puls). Für die Praxis wird ein Algorithmus für zwei Situationen<br />
unterschieden (Abb. 7):<br />
– Kammerflimmern/Kammertachykardie und<br />
– Nicht-Kammerflimmern/-tachykardie.<br />
2.6.1. Kammerflimmern/pulslose ventrikuläre Tachykardie:<br />
Die Defibrillation muss so früh wie möglich einsetzen. Nach Applikation<br />
eines Defibrillationsschocks und anschließend persistieren-<br />
55
dem Kammerflimmern muss dieser nochmals unmittelbar zweimal<br />
wiederholt werden. Entscheidend dabei ist die Strommenge. Die 1.<br />
und 2. Defibrillation werden mit einer Energie von 200 Joule durchgeführt,<br />
um ab dem 3. Versuch mit der Höchstdosis von 360 Joule<br />
zu defibrillieren. Neben der richtigen Platzierung der Elektroden ist<br />
zur Minderung des Hautwiderstandes die Verwendung eines<br />
Elektrodengels erforderlich. Eine Elektrode wird rechts parasternal<br />
unterhalb der Clavicula, die andere über die Herzspitze im 5. Intercostalraum<br />
in der vorderen Axillarlinie aufgesetzt. Nach der Defibrillation<br />
erscheint im EKG für wenige Sekunden eine isoelektrische<br />
Linie (Stunning). Setzt danach ein <strong>neu</strong>erliches Kammerflimmern ein,<br />
wird ohne Pulskontrolle sofort wieder defibrilliert. Ab der zweiten<br />
„3er-Serie“ wird nur noch mit 360 Joule defibrilliert. Während der<br />
Defibrillation darf kein Kontakt zum Patienten oder seiner Auflage<br />
zum Schutz des Personals bestehen. Während der Defibrillation<br />
muss dementsprechend darauf geachtet werden, dass alle<br />
Maßnahmen (auch Basismaßnahmen) am Patienten unterbrochen<br />
werden. Nach erfolgreicher Defibrillation und einem entsprechenden<br />
EKG-Bild wird die Funktion des Herzens durch die Betastung des<br />
Pulses kontrolliert. Sofern kein Puls tastbar, muss die Reanimation<br />
fortgeführt werden (Abb. 7).<br />
2.6.2. Nichtkammerflimmern/-tachykardie:<br />
Bei einem nicht durch Kammerflimmern verursachten Kreislaufstillstand<br />
ist eine Defibrillation als Erstmaßnahme nicht<br />
indiziert. Zunächst werden bis zur Verfügbarkeit des Notfallmedikamentes<br />
der Wahl – Adrenalin – Basismaßnahmen durchgeführt<br />
in Verbindung mit einem optimierten Atemwegsmanagement<br />
mit der Gabe von Sauerstoff. Adrenalin wird i.v. in einer<br />
Dosierung von 1 mg ca. alle 3 Minuten appliziert. Erst danach<br />
kann die Gabe von Atropin in einer Dosierung von 3 mg i. v. einmalig<br />
erwogen werden. Während der Reanimation sollte auch<br />
eine Suche nach möglichen Ursachen des Stillstandes erfolgen,<br />
um sie im Einzelfall kausal angehen zu können. Nach dreimaliger<br />
Applikation der Standarddosierung von 1 mg in 9 ml NaCl<br />
0,9 % als Bolus kann eine Steigerung der Dosis bis auf<br />
5 mg/Applikation erhöht werden.<br />
3. Grenzen der Reanimation<br />
Das Unterlassen einer Reanimation ist dem ärztlichen und medizinischen<br />
Hilfeverständnis wesensfremd, muss allerdings bei Großschadensfällen<br />
mit einer Diskrepanz zwischen Hilfsmöglichkeiten und<br />
–bedürfnissen akzeptiert werden. Hier kommt auch der ärztliche<br />
Helfer an die Grenze der Behandlungsmöglichkeiten. Unabhängig<br />
56
von der geringen Überlebenschance bei traumatisch bedingten<br />
Kreislaufstillständen (nach nationalen und internationalen Studienergebnissen<br />
unter 1 %), wird die Durchführung einer kardiopulmonalen<br />
Reanimation auf absehbare Zeit die Helfer binden, die an anderer<br />
Stelle durch kurzfristige Einzelmaßnahmen in der Lage wären, mehreren<br />
Geschädigten evtl. sogar lebensrettende Hilfe zu leisten.<br />
Abgesehen davon, dass z.B. die Einhelfer-Reanimation nur einen<br />
überbrückenden Kompromiss darstellt, wird bei einem späteren<br />
Hinzukommen von möglicherweise weiteren Helfern die Zeit für eine<br />
mögliche Erhöhung des Kreislaufs verstrichen sein.<br />
In der Situation des Großschadensereignisses gilt das Allesoder-Nichts-Gesetz:<br />
entweder es wird eine (optimale) Reanimation<br />
mit dem damit verbundenen Material- und Personalbedarf<br />
begonnen oder aber sie muss unterlassen werden. Eine<br />
unzureichende Reanimation bringt keinen Erfolg und bindet nur<br />
anderweitig „besser“ einsetzbare Kräfte. Wie auch unter den<br />
Bedingungen der Notfallmedizin ist der Versuch einer Reanimation<br />
der Verletzungen, die mit dem Leben nicht vereinbar<br />
sind, sinnlos. Bei Erkennbarkeit von sicheren Todeszeichen ist<br />
der Beginn einer Reanimation kontraindiziert.<br />
Literatur<br />
Bundesärztekammer (Hrsg.): Reanimation – Empfehlungen für<br />
die Wiederbelebung, 2. Aufl., Deutscher Ärzte-Verlag, Köln 2000<br />
Abbildungen aus:<br />
Sefrin, P.: Praxis der Notfälle – Grundsätzlich und speziell, Reihe<br />
Notfallmedizin Aktuelles Wissen Hoechst 1993 (Abdruck mit<br />
freundlicher Genehmigung der Fa. Aventis – Nachfolge Fa.<br />
Hoechst, Frankfurt) sowie Bundesärztekammer (Hrsg.): Reanimation<br />
– Empfehlungen für die Wiederbelebung, Deutscher<br />
Ärzte-Verlag, Köln 2000 (Abdruck mit freundlicher Genehmigung<br />
des Deutschen Ärzte-Verlages, Köln)<br />
57
Abb. 1a<br />
Abb. 2a<br />
Abb. 3a<br />
Abb. 4 Abb. 5<br />
58<br />
Abb. 1b<br />
Abb. 2b<br />
Abb. 3b
Abb. 6a<br />
Abb. 6b<br />
Abb. 6c<br />
Abb. 6d<br />
Abb. 6e<br />
59
Kammerflimmern<br />
ventrik. Tachykardie<br />
60<br />
Defibrillieren<br />
3x<br />
Kreislauf-Atem-Stillstand im Kindesalter<br />
(Erweiterte Maßnahmen)<br />
Algorithmus Basismaßnahmen CPR<br />
Oxygenieren, Beatmen<br />
Defibrillator/EKG-Monitor<br />
anschließen<br />
Rhythmus<br />
beurteilen<br />
Puls<br />
prüfen<br />
Asystolie<br />
EMD<br />
CPR 1min Während CPR<br />
falls nicht schon<br />
geschehen:<br />
• Intubation,<br />
Sauerstoff<br />
• Adrenalin<br />
alle 3 min<br />
• i.v.-Zugang,<br />
i.0.-Zugang<br />
• reversible Ursachen<br />
korrigieren*)<br />
• Puffer erwägen<br />
CPR 3min<br />
*) Potentielle reversible<br />
Ursachen:<br />
– Hypoxie<br />
– Hypovolämie<br />
u.a. metabolische<br />
Störungen<br />
– Hypothermie<br />
– Spannungsp<strong>neu</strong>mothorax<br />
– Tamponade<br />
– Toxische Ursache<br />
– Lungenembolie<br />
Abb. 7:<br />
Reanimations-<br />
Algorithmus gem.<br />
Empfehlung der<br />
Bundesärztekammer<br />
(2000)
Spezielle medizinische Maßnahmen
7. Therapie des Volumenmangelschocks<br />
E. Pfenninger, N. Vogt<br />
Ein effizienter Katastrophenschutz, adaptiert an die Erkenntnisse<br />
eines modernen Rettungswesens, bietet durch die frühzeitig<br />
einsetzende, vorverlegte Intensivtherapie heute auch für<br />
Patienten mit schwersten Kombinationstraumen noch durchaus<br />
eine reale Überlebenschance, wenn nur die entsprechenden<br />
Voraussetzungen und Möglichkeiten adäquat genutzt werden.<br />
Polytraumatisierte Patienten sind vor allem durch einen hämorrhagischen<br />
Schock gefährdet, der bei protrahiertem Verlauf zu<br />
irreversiblen Störungen der Mikrozirkulation und damit zum<br />
Multiorganversagen führt. Als Voraussetzung für die Versorgung<br />
eines Patienten im Volumenmangelschock erachten wir das<br />
Wissen um die pathophysiologischen Aspekte bei und nach<br />
dem Eintritt eines Schocks sowie ein hinreichend qualifiziertes<br />
Prozedere bei den therapeutischen Maßnahmen.<br />
1. Pathophysiologie des hämorrhagischen Schocks<br />
Unter einem Schock verstehen wir eine akut oder subakut einsetzende<br />
Störung, die zu einer lebensbedrohenden Minderperfusion<br />
der Gewebe und Organe führt. Dabei beeinflussen sich hämodynamische<br />
und metabolische Störungen von einem bestimmten,<br />
klinisch nicht exakt definierbaren Zeitpunkt an gegenseitig und<br />
verstärken die jeweiligen Auswirkungen auf den Organismus. Der<br />
hypovolämische Schock ist die in der <strong>Katastrophenmedizin</strong> sicher<br />
am häufigsten vorkommende Schockform.<br />
Ein ausgeprägter Verlust intravasalen Volumens durch Blutung<br />
nach innen oder außen würde ohne Kompensationsmechanismen<br />
des Organismus über einen Blutdruckabfall und eine<br />
Verminderung des Herzzeitvolumens, bedingt durch eine Reduktion<br />
des venösen Rückflusses, sehr rasch letal enden. Im Laufe<br />
der Evolution gelang es der Natur jedoch, durch adäquate Kompensationsmechanismen<br />
die Irreversibilität dieses Geschehens<br />
um ein Beträchtliches zeitlich hinauszuschieben und damit ein<br />
besseres Überleben des Organismus zu gewährleisten:<br />
– Mobilisierung der Kontraktiliätsreserve und der chronotropen<br />
Reserven des Herzens mit Steigerung der Myokardkontraktilität<br />
und Zunahme der Herzfrequenz.<br />
63
– Konstriktion der Arteriolen durch Stimulierung der Alpha-<br />
Rezeptoren mit Anstieg des peripheren Gefäßwiderstandes<br />
und Drosselung der Splanchnikus-, Nieren-, Muskel- und<br />
Hautdurchblutung sowie einer Umverteilung der Durchblutung<br />
zugunsten lebenswichtiger Organe wie Herz und Gehirn.<br />
– Konstriktion der Venen, ebenfalls durch adrenerge Stimulation.<br />
2. Symptome des Volumenmangelschocks<br />
– Blässe von Haut und Schleimhäuten, verminderte Venenfüllung,<br />
kalte, feuchte Haut, verzögerte Mikrozirkulation, Frierreaktion,<br />
Unruhe.<br />
– Tachykardie, flacher Puls, systolischer Druck um oder unter<br />
100 mmHg.<br />
– Als Verlaufskriterium kann sehr eingeschränkt der Quotient<br />
aus Pulsfrequenz und systolischem Blutdruck (Schockindex)<br />
herangezogen werden. Bei Zunahme des Wertes auf 1,0 ist<br />
ein drohender, bei Werten über 1,3 ist beim Erwachsenen ein<br />
manifester Schockzustand aufgrund des Volumenmangels<br />
anzunehmen.<br />
– Besser ist jedoch die Abschätzung des Volumenverlustes<br />
anhand des Verletzungsmusters.<br />
– Die meist flache, frequente Atmung weist auf eine eingeschränkte<br />
pulmonale Funktion hin, die häufig mit einer ausgeprägten<br />
Hypoxämie verbunden ist.<br />
Beim hypovolämischen Schock können durch die beschriebenen<br />
Mechanismen akute Volumenverluste bis zu etwa 20% des<br />
zirkulierenden Blutvolumens kompensiert werden, ohne dass<br />
der Schock in das Stadium der Dekompensation übertritt. Die<br />
Dekompensation des Schocks beginnt, wenn die Volumenverluste<br />
so groß sind, dass auch durch maximale Aktivierung<br />
der Kompensationsreaktionen kein ausreichender Perfusionsdruck<br />
für die Durchblutung der Vitalorgane mehr aufrecht erhalten<br />
werden kann.<br />
Klinisch manifestiert sich die Dekompensation als zunehmender<br />
Abfall von arteriellem Blutdruck und Herzzeitvolumen zusammen<br />
mit den biochemischen Veränderungen der Ischämie und<br />
Hypoxie der Vitalorgane. Damit tritt ein circulus vitiosus ein, in<br />
dessen Verlauf der Schock sich im Sinne eines positiven Feedbacks<br />
zunehmend selbst verstärkt mit zunehmend lebensbedrohlichem<br />
Verlauf.<br />
64
3. Therapie des Volumenmangelschocks<br />
3.1. Allgemeine Therapie des Volumenmangelschocks<br />
– Allgemeine Maßnahmen: Überprüfung der Vitalfunktionen Atmung<br />
und Herz-Kreislauf.<br />
– Bei massiver Blutung nach außen Anlegen eines Druckverbandes<br />
und Hochlagern der Extremität so weit wie möglich, bei<br />
spritzenden arteriellen Blutungen sofort, vor und während des<br />
Verbindens Kompression der zuführenden Arterie.<br />
– Großlumige venöse Zugänge so früh wie möglich.<br />
Cave: Später eventuell keine Venen mehr auffindbar !<br />
– Schocklagerung<br />
Anheben der Beine über die Herzebene um etwa 20–30 Grad,<br />
nach Lagerung auf eine Trage Kopftieflagerung ca. 10 –15 Grad.<br />
Bei bewusstlosen Patienten mit ausreichender Spontanatmung<br />
stabile Seitenlagerung, anschließend Kopftieflagerung.<br />
Cave: Steilere Lagerung führt zu einem Druck der Eingeweide<br />
auf das Zwerchfell mit der Folge einer möglichen Einschränkung<br />
der Spontanatmung.<br />
3.2. Spezifische Therapie des Volumenmangelschocks<br />
– Volumenersatz<br />
Wichtig!<br />
Möglichst frühzeitig Anlegen eines venösen Zugangs. Rasche<br />
Infusion einer Ringer-Laktatlösung (1000 –1500 ml) oder eines<br />
kolloidalen Volumenersatzmittels (1000 ml).<br />
– Sauerstoffzufuhr: 4 l O2/min<br />
– Sedierung und Analgesie<br />
– Diazepam 5 –10 mg i. v., oder Midazolam 1–5 mg i.v.<br />
– Morphin 5 mg oder Fentanyl 0,05 mg langsam i. v.<br />
– alternativ Ketamin 0,25–0,5 mg/kg KG i.v. oder S(+)Ketamin ® ‚<br />
0,125–0,5 mg/kg KG i.v.<br />
– Die Analgesie ist bereits am Unfallort wichtig zur Reduzierung<br />
der starken Stimulation der sympathikoadrenergen Reaktionen<br />
durch den Schmerz.<br />
– Cave: Atemdepression bei rascher Injektion (Beatmungsmöglichkeit<br />
muss vorhanden sein!), reduzierte Dosis wegen der<br />
Kreislaufzentralisation. Wegen der verzögerten Resorption bei<br />
i. m.–Injektion intravenöse Injektion bevorzugen;<br />
Nota bene: Medikamentengabe nach Wirkung titrieren!<br />
– Intubation und kontrollierte Beatmung bei schwerstem<br />
Schock<br />
Der Volumenersatz selbst kann grundsätzlich mit körpereigenen<br />
oder körperfremden Volumenersatzmitteln durchgeführt werden.<br />
Als körpereigen gelten Blut und dessen Bestandteile, wie<br />
65
z.B. Humanalbumin, das jedoch in Katastrophensituationen<br />
keine Rolle spielt.<br />
Als körperfremde Volumenersatzmittel kennen wir drei große<br />
Gruppen, nämlich Präparate, die auf Dextran-Basis, auf Gelatine-Basis<br />
oder Hydroxyethylstärke-Basis beruhen.<br />
An kolloidale Volumenersatzmittel werden dabei folgende<br />
Forderungen gestellt:<br />
– Physiologische Eigenschaften, die dem kolloidosmotischen<br />
Druck und der Viskosität des Plasmas möglichst nahe kommen.<br />
– Freiheit, zumindest vernachlässigbarer Grad von spezifischen,<br />
z. B. toxischen oder allergischen Nebenwirkungen<br />
– Keine über Dilutionsphänomene hinausgehende Beeinflussung<br />
der Blutgerinnung<br />
– Fehlende Infektiösität<br />
– Auch bei wiederholter Anwendung vollständiger Abbau und<br />
Ausscheidung<br />
– Das kolloidale Volumensersatzmittel sollte billig, haltbar und<br />
einfach auch in großen Mengen verfügbar sein<br />
4. Volumenersatzmittel<br />
Der ideale kolloidale Volumenersatz ist bis heute nicht verfügbar,<br />
alle Präparate können allergische Reaktionen auslösen, sie<br />
sind jedoch in Häufigkeit und Schwere unterschiedlich ausgeprägt.<br />
Bei weitem am häufigsten finden sich anaphylaktoide<br />
Reaktionen bei Gelatine-Präparaten, jedoch ist der Schweregrad<br />
der Reaktion häufig weniger stark ausgeprägt als z. B. bei<br />
Dextranen. Für Gelatine-Präparate muss in 0,12% mit Nebenwirkungen<br />
gerechnet werden. Außerdem ist als gravierender<br />
Nachteil die kurze Verweildauer im Körper sowie die geringe<br />
volumensubstituierende Wirkung anzusehen. Vorzuziehen sind<br />
deshalb sicher die beiden anderen Gruppen, nämlich Dextran<br />
und Stärkepräparate. Wenn zwar auch selten, nämlich nur in<br />
0,03%, sind die allergischen Reaktionen auf Dextran jedoch von<br />
schwerwiegendstem Charakter bis hin zum anaphylaktischen<br />
Schock mit Herzkreislaufstillstand. Dextran-induzierte allergische<br />
Reaktionen können grundsätzlich durch Haptengabe<br />
(Promit ® ) weitgehend vermieden werden, was jedoch in der<br />
<strong>Katastrophenmedizin</strong> auf verfahrenstechnische und logistische<br />
Probleme stößt. Die Anwenderprävalenz verschob sich deshalb<br />
in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren mehr<br />
und mehr zu Hydroxyethylstärkepräparaten, die je nach Mole-<br />
66
kulargewicht in ihrer Volumenwirkung dem Dextran ebenbürtig<br />
oder gar überlegen sind. Viele frühere grundlegende Untersuchungen<br />
über Hydroxyethylstärke wurden mit einer zunächst<br />
verfügbaren hochmolekularen Lösung durchgeführt, die sich<br />
durch ein Molekulargewicht von 450.000 und einem hohen<br />
Substitutionsgrad von 0,7 auszeichnete. Dabei konnte gezeigt<br />
werden, dass diese frühen Präparate zwar eine effektive, nebenwirkungsarme<br />
und kostengünstige Alternative zu Humanalbumin<br />
als Volumenersatzmittel darstellen, aber als klinisch bedeutsame,<br />
unerwünschte Eigenschaft dieser Infusionslösung wurde<br />
neben einer langdauernden Speicherung in unterschiedlichen<br />
Geweben von verschiedenen Untersuchern eine Beeinflussung<br />
des endogenen Gerinnungssystems bei Gabe von hohen Dosen<br />
festgestellt. Aus diesen Untersuchungen wurden für Hydroxyethylstärke-Applikationen<br />
empfohlene Obergrenzen von<br />
1,5 g/kg und Tag abgeleitet, die allerdings mehr einer Analogie<br />
zur Dextrananwendung entsprachen als fundierten wissenschaftlichen<br />
Untersuchungen standhalten zu können.<br />
In der Folgezeit wurden Modifikationen der Hydroxyethylstärke<br />
synthetisiert, und verschiedene Untersuchungen fanden eine<br />
geringere Beeinflussung des Gerinnungssystems als mit Dextranpräparaten.<br />
Die geringere Beeinflussung des Gerinnungssystems<br />
ist insbesondere in katastrophenmedizinischer Hinsicht<br />
von besonderer Bedeutung, da bei der Erstversorgung von<br />
Katastrophenopfern Gerinnungsanalysen keinesfalls zur Verfügung<br />
stehen.<br />
Heute ist die bisher in der Literatur angegebene Grenze von 1,5<br />
g/kg und Tag Hydroxyethylstärke (HES) nicht mehr gerechtfertigt,<br />
sondern eine Dosierung von 2,5–3 g/kg und Tag durchaus<br />
zulässig und bei der Dosisempfehlung von mittelmolekularen<br />
HES-Lösungen bereits berücksichtigt. Für katastrophenmedizinische<br />
Belange bedeutet dies, dass bei gleichzeitiger Substitution<br />
von Sauerstoffträgern auf die Gabe von Humanalbumin<br />
völlig verzichtet werden kann, und dass – im Gegensatz zu<br />
Dextran-Präparaten – auch durch diese relativ große Menge an<br />
Hydroxyethylstärke keine schwerwiegenden Veränderungen<br />
des Gerinnungssystems zu befürchten sind.<br />
Insbesondere bei Kombinationsschäden, wie bei Verbrennungen<br />
und Verletzungen, ist der benötigte Volumenersatz besonders<br />
hoch. Im Falle von Kombinationsschäden bedeutet dies,<br />
dass in Katastrophensituationen Blutverluste von zwei und mehr<br />
Litern innerhalb kürzester Zeit ersetzt werden müssen. Auch bei<br />
Verwendung kolloidaler Lösungen, die zum Blutverlust im<br />
Verhältnis 1:1 angewendet werden, ist die Infusion ausreichen-<br />
67
der Mengen und damit die Stabilisierung der Kreislaufverhältnisse<br />
mitunter nicht in genügend kurzer Zeit möglich.<br />
Als Alternative zur üblichen Volumensubstitution wurde 1980 die<br />
Infusion hypertoner Kochsalzlösungen wieder entdeckt, nachdem<br />
diese nach ersten Versuchen im Jahr 1919 weitgehend in<br />
Vergessenheit geraten waren.<br />
Ausmaß und Dauer der Wirkung der hypertonen Lösung konnte<br />
durch Konzentration sowie durch Kombination mit einem kolloidalen<br />
Volumenersatzmittel erhöht werden. Es sei jedoch betont,<br />
dass eine Volumenersatztherapie mit hypertonen Lösungen nur<br />
als Überbrückungsmöglichkeit eines akuten Volumenmangels<br />
angesehen werden darf, da die Wirkung von hyperton-hyperonkotischen<br />
Lösungen nur eine sehr kurze Zeit (10–30 Minuten)<br />
anhält. Der definitive Volumenersatz muss unverzüglich mit kolloidalen<br />
Volumenersatzmitteln eingeleitet werden.<br />
4.1. Kolloidale Volumenersatzmittel<br />
Stoffgruppe Volumenwirkung Wirkdauer Allergierate<br />
Dextrane<br />
(z. B.: Macrodex ® 4,5 oder 6 %;<br />
Thomaedex ® 60 6 %) 100 – 180 % ca. 3-6 h +++<br />
Gelatine<br />
(z. B. Gelafundin ® 4%) 70 % ca. 1-3 h ++<br />
Hydroxyethylstärke<br />
Molekulargewicht 465.000<br />
(z. B. Plasmasteril ® ) 120 % ca. 8 h (+)<br />
Molekulargewicht 200.000<br />
(HAES-steril ® 6%) 100 % ca. 3-6 h (+)<br />
Molekulargewicht 40.000<br />
(z. B. Expafusin ® ) 70 % ca. 1-2 h (+)<br />
4.2. Nichtkolloidale Volumenersatzmittel<br />
Stoffgruppe Volumenwirkung Wirkdauer Bemerkungen<br />
Ringerlaktat 30 % 0,5–1 h dreifache Menge des<br />
Blutverlustes notwendig!<br />
Humanalbumin 5 % 100 % mehrere Tage In der <strong>Katastrophenmedizin</strong><br />
nicht<br />
angebracht !<br />
Gerinnungsfaktoren – Nicht sinnvoll<br />
68
4.3. Hyperton-hyperonkotische Lösung<br />
Stoffgruppe Volumenwirkung Wirkdauer Bemerkungen<br />
NaCl 7,2% / 300 – 600 % 20 – 30 min. Dosierung:<br />
Hydroxyethylstärke 4 ml/kg KG<br />
200.000 / 0,5 ®<br />
(z.B. HyperHAES®) Cave: nur einmalig<br />
anwendbar,<br />
Gefahr der<br />
Hyperosmolarität<br />
Weiterführende Literatur:<br />
1.Kilian, J.; Pfenninger, E.: Polytraumatisierte Patienten, in:<br />
Doenicke, A.; Kettler, D.; List , W. F.; Radke, J.; Tarnow, J.<br />
(Hrsg.), Anästhesiologie, Springer, Berlin, Heidelberg, New<br />
York, London, Paris, Tokyo, Hong Kong, Barcelona, Budapest<br />
1995, S. 831–852<br />
2.Rebentisch E.: Handbuch der medizinischen Katastrophenhilfe,<br />
Reed Elsevier, Gräfelfing 1991<br />
69
8. Schmerzbehandlung und Anästhesie<br />
unter Katastrophenbedingungen<br />
E. Pfenninger<br />
1. Vorbemerkungen<br />
Die gelegentlich extrem erschwerten und begrenzten diagnostischen<br />
und therapeutischen Möglichkeiten unter Katastrophenbedingungen<br />
stellen besondere Anforderungen an Schmerzbehandlung<br />
und Anästhesie. Während in den intakten Krankenhäusern<br />
auch in Katastrophensituationen die routinemäßigen Verfahren zur<br />
Anwendung gelangen, müssen in improvisierten Versorgungseinheiten<br />
„vor Ort“ an eine suffiziente Anästhesie und Analgesie folgende<br />
Forderungen gestellt werden:<br />
– einfache Handhabung der Methodik,<br />
– rasche Wirksamkeit der eingesetzten Substanzen und ausreichende<br />
Wirkungsintensität,<br />
– geringe respiratorische und kardiozirkulatorische Nebenwirkungen,<br />
– Einsatzmöglichkeit auch bei Rettung von Verletzten.<br />
2. Analgesie<br />
Die Verfahren der Schmerzbehandlung müssen rasch verfügbar,<br />
sofort einsetzbar und schnell wirksam sein. Der Forderung nach<br />
rascher Wirksamkeit wird zwar nur die intravenöse Applikation<br />
gerecht, unter Katastrophenbedingungen und den eingeschränkten<br />
medizinischen Kapazitäten haben aber die orale Verabreichung<br />
– soweit möglich – und die intramuskuläre Injektion ebenso<br />
einen gewissen Stellenwert.<br />
Rein schematisch lassen sich die Substanzen zur Schmerzbehandlung<br />
folgendermaßen einteilen:<br />
– Analgetika ohne hypnotische und sedative Effekte („periphere“<br />
Analgetika),<br />
– Analgetika mit hypnotischem und/oder sedativem Effekt,<br />
– Inhalationsanalgetika,<br />
– Lokalanästhetika.<br />
Inhalationsanalgetika (vor allem ein Gemisch aus Sauerstoff und<br />
Lachgas) scheiden wegen des notwendigen apparativen Auf-<br />
70
wandes unter Katastrophenbedingungen a priori aus, bei intakten<br />
Krankenhausstrukturen sind sie ebenfalls zur Analgesie<br />
keine gebräuchliche Alternative. Dagegen sind Lokalanästhetika<br />
und Analgetika ohne sedativen Effekt gut brauchbar.<br />
2.1. Analgetika ohne hypnotische und sedative Effekte<br />
(nicht-steroidale, „periphere“ Analgetika)<br />
Periphere Analgetika haben zwar den Vorzug einer großen therapeutischen<br />
Breite und weisen kaum Nebenwirkungen auf,<br />
ihnen fehlt aber die gerade unter Katastrophenbedingungen so<br />
wichtige, sedierende Komponente. Im Einzelnen sind geeignet<br />
(Dosierung für Erwachsene):<br />
– Acetylsalicylsäure (z. B. Aspirin ® ) 0,5–1 g, max. 6 g/die<br />
– Novaminsulfon (z. B. Novalgin ® ) 0,5–1 g, max. 4 g/die<br />
– Paracetamol (z. B. benuron ® ) 1 g, max. 4 g/die<br />
– Diclofenac (z. B. Voltaren ® ) 100 mg, max. 200 mg/die.<br />
Bei abdominellen Koliken hat sich die Gabe von Novaminsulfon<br />
und einem Spasmolytikum (Butylscopolamin: z. B. Buscopan ® )<br />
besonders bewährt.<br />
2.2. Analgetika mit hypnotischem und/oder sedativem<br />
Effekt<br />
Opiate sind zwar stärkste Analgetika, jedoch auch mit ausgeprägten<br />
Nebenwirkungen verbunden. Deshalb bedarf ihre Anwendung<br />
immer einer ärztlichen Indikation. Zu den Nebenwirkungen<br />
gehören Atemdepression, Übelkeit und Erbrechen<br />
sowie Steigerung des Tonus der glatten Muskulatur (Überfüllung<br />
der Harnblase durch Sphinktertonuserhöhung!).<br />
Die gebräuchlichsten Opiate sind:<br />
– Pethidin (Dolantin ® ) 10–25 mg i.v., 25–50 mg i.m.<br />
– Morphin (Morphin ® ) 5 –10 mg i.v., 10–20 mg i.m.<br />
– Buprenorphin (Temgesic ® ) 0,15–0,3 mg i.v., 0,3–0,6 mg i.m.,<br />
0,2–0,4 mg oral<br />
– Piritramid (Dipidolor ® ) 7,5 –15 mg i.v., 10 –20 mg i.m<br />
– Fentanyl (Fentanyl ® ) 0,05 –0,1 mg i.v.<br />
In zunehmender Weise fand auch Ketamin (z. B. Ketanest ® )<br />
als kurz wirkendes Analgetikum Verwendung. Dosierung:<br />
0,5–1 mg/kg i.m. Als Nachteil muss die relativ kurze Wirkzeit<br />
von ca. 30 min angesehen werden. Seit kurzem steht das<br />
Ketamin Isomer S(+)Ketamin (Ketamin S ® ) zur Verfügung, das<br />
in einer Dosis von 0,125–0,5 mg/kg i.v. oder ggf. i.m. appliziert<br />
wird.<br />
71
2.3. Lokalanästhetika<br />
Lokalanästhetika verhindern die Depolarisation von Nervenzellmembranen,<br />
indem sie die Permeabilität für Natriumionen<br />
vermindern, und zwar an jeder erregbaren Zelle (ZNS-Exzitation,<br />
ZNS-Depression, Herzrhythmusstörungen, Kardiodepression).<br />
Ihre Wirkung bleibt lokal begrenzt, solange nicht toxische Plasmaspiegel<br />
erreicht werden. Die Wirkung der Lokalanästhetika<br />
am Natriumkanal der Axonmembran ist an das Vorliegen der<br />
ionisierten Form gebunden, die Diffusion zur Axonmembran<br />
durch die Myelin- bwz. Schwannsche Scheide an das Vorliegen<br />
der nichtionisierten, freien Base. In entzündetem oder hypoxischem<br />
Gewebe (Gewebsazidose) sind übliche Lokalanästhetika<br />
ionisiert und darum schlecht wirksam.<br />
Pharmakokinetik<br />
Die Absorption am Applikationsort kann durch Zusatz eines<br />
Vasokonstriktors wie Adrenalin (1:200.000) oder Ornipressin<br />
(maximal 2 Einheiten) wesentlich verlangsamt werden.<br />
Pharmakologische Eigenschaften gebräuchlicher Lokalanästhetika<br />
In Abhängigkeit vom Applikationsort werden unterschiedliche<br />
Blutspiegel erreicht<br />
– Blutspiegel bei interkostaler Applikation periduraler Applikation<br />
Plexusanästhesie Infiltrationsanästhesie<br />
– Bei interkostaler Applikation ist der Blutspiegel um das<br />
2,5fache höher als bei Infiltrationsanästhesie.<br />
– Die Geschwindigkeit der Elimination wird für Lokalanästhetika<br />
vom Estertyp durch die Metabolisierung durch Plasmaterasen<br />
72<br />
Handelsname Relative Relative Maximaldosis Maximaldosis Wirkungs-<br />
Toxizität Wirkungs- (mg) (mg) eintritt<br />
bezogen stärke ohne mit<br />
auf Procain Vasokon- Vasokonstriktor<br />
striktor<br />
Lidocain<br />
z.B. Xylocain ® 2 4 200 500 schnell<br />
Mepivacain 2 4 300 500 schnell<br />
z.B. Meaverin ® (5 mg/kg)<br />
z.B. Scandicain ®<br />
Prilocain 1,5 4 400 600 schnell<br />
z.B. Xylonest ®<br />
Bupivacain 8 16 150 600 langsam<br />
z.B. Carbostesin ® (2mg/kg)<br />
Ropivacain 4 12 300 langsam<br />
z.B. Naropin ® (4 mg/kg)
estimmt. Lokalanästhetika vom Amidtyp werden in der Leber<br />
metabolisiert.<br />
Nebenwirkungen<br />
– Bei Erreichen toxischer Plasmaspiegel zunächst kardiale<br />
(Tachykardie/Hypertonie/Arrhythmie) und zerebrale (Taubheit<br />
der Zunge, Ohrsausen, Schwindel, Übelkeit, Sehstörungen,<br />
Tremor, Krampfanfall) Exzitation<br />
– bei noch höherem Plasmaspiegel Depression (Druckabfall<br />
durch Kardiodepression und Vasodilation, Herz-Kreislauf-<br />
Stillstand, Apnoe, Bewusstlosigkeit).<br />
Indikationen:<br />
– Analgesie: Infiltrationsanästhesie, Plexusanästhesie<br />
– Operative Eingriffe: Infiltrationsanästhesie, periphere Nervenblockaden,<br />
Plexusanästhesie, Peridural- und Spinalanästhesie<br />
(nach Ausschluss eines Volumenmangels).<br />
Mittellang wirkende Lokalanästhetika:<br />
– Lidocain (z. B. Xylocain ® ) 0,5/1/2 % max. 3 mg/kg KG<br />
mit Vasokonstriktorzusatz max. 7 mg/kg KG<br />
– Mepivacain (z. B. Scandicain ® ) 0,5/1/2 % max. 4 mg/kg KG<br />
mit Vasokonstriktorzusatz max. 7 mg/kg KG<br />
– Prilocain (z. B. Xylonest ® ) 0,5/1 % max. 5,7 mg/kg KG<br />
mit Vasokontriktorzusatz max. 8,5 mg/kg KG<br />
Langwirkende Lokalanästhestika:<br />
– Bupivacain (z. B. Carbostesin ® ) 0,25/0,5 % max. 2 mg/kg KG<br />
– Ropivacain (z. B. Naropin ® ) 0,5/1,0% max. 4 mg/kg KG<br />
Bei Überdosierung eines Lokalanästhetikums kommt es zu: AV-<br />
Block, Krämpfen, Atemlähmung, Kreislaufzusammenbruch.<br />
Ein AV-Block wird mit Adrenalin 0,05–0,1 mg, Krämpfe mit<br />
Diazepam oder Midazolam, eine Atemlähmung mit Beatmung<br />
und ein Kreislaufzusammenbruch nach den Regeln der kardiopulmonalen<br />
Wiederbelebung behandelt.<br />
3. Anästhesieverfahren<br />
In Katastrophensituationen muss davon ausgegangen werden,<br />
dass nur ein minimales Monitoring in Form von Puls-, Blutdruck-<br />
und Atmungskontrolle möglich ist, dass Patienten auch<br />
dann anästhesiert werden müssen, wenn sie noch im manifesten<br />
Schock sind, und dass diffizile pharmakokinetische<br />
73
Aspekte außer Betracht bleiben müssen. Alle Narkosen müssen<br />
unter Raumluft oder mit Raumluftbeatmung durchführbar sein,<br />
jedoch ist eine Sauerstoff-Flasche für eventuelle Zwischenfälle<br />
zwingend vorzusehen.<br />
3.1. Intravenöse Narkose<br />
Intravenöse Narkotika werden zur Narkoseeinleitung und als<br />
Komponenten der Totalen Intravenösen Anästhesie (TIVA) oder<br />
als Komponenten der Neuroleptanästhesie und ihrer Varianten<br />
verwendet. Dem Vorteil der schnellen und angenehmen Narkoseeinleitung<br />
steht als Nachteil der Verlust der Steuerbarkeit entgegen.<br />
Die Eliminationskinetik des Medikamentes ist nicht mehr<br />
zu beeinflussen.<br />
Der Wirkungseintritt wird bei einer Bolusinjektion in der Regel durch<br />
die Kreislaufzeit bestimmt. Bei reduziertem Herz-Zeit-Volumen soll<br />
die Injektionszeit angepasst werden, da sich bei zu rascher Injektion<br />
nur ein geringerer Teil des injizierten Pharmakons während der initialen<br />
Kreislaufzeit mit dem zerebralen Zielkompartiment äquilibrieren<br />
kann, während sich der Rest im „zentralen Kompartiment“ verteilt<br />
(z.B. auch Myokard). Im Verhältnis zur (langsamer einsetzenden)<br />
Sedierung kann die Nebenwirkung der kardiozirkulatorischen Depression<br />
ausgeprägt sein. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass<br />
bei Katastrophenopfern mit protrahiertem Schock ein ausgeprägter<br />
Volumenmangel besteht und somit bei Narkoseeinleitung ein<br />
Kreislaufzusammenbruch droht.<br />
Bei allen Narkosen muss für eventuelle Zwischenfälle folgendes<br />
Zubehör griffbereit vorhanden sein:<br />
– Handbeatmungsbeutel mit Beatmungsmasken<br />
– Absaugpumpe mit Absaugkatheter<br />
– Laryngoskop<br />
– Oro- und Nasopharyngealtuben (Guedel-Tuben, Wendl-Tuben)<br />
– Endotrachealtuben<br />
– Notfallmedikamente (Adrenalin 1:1.000, Diazepam oder<br />
Midazolam, Succinylcholin, Glukokortikoide: z. B. Solu-<br />
Decortin H ® 250 mg).<br />
Vor einer geplanten Narkose sollte der Patient mit einem<br />
Anxiolytikum (z. B. Tranxilium ® 10–20 mg p.o., Atosil ® 0,5 mg/kg<br />
i.m., Dormicum ® 1– 3 mg i.v.) medikamentös prämediziert werden,<br />
immer muss ein venöser Zugang sichergestellt sein. Atropin (Vagolyse)<br />
0,01 mg/kg wurde früher vor Narkoseeinleitung obligat appliziert,<br />
heute wird es nur noch bei entsprechender Indikation<br />
(Bradykardie, Kleinkinder, unerwünschte Salivation) verwendet.<br />
74
3.1.1. Narkose bei intakter medizinischer Struktur<br />
Hier kommen alle gebräuchlichen Narkoseverfahren und deren<br />
adäquates Monitoring zum Einsatz. Im Wesentlichen ist dies die<br />
totale intravenöse Anästhesie (TIVA) sowie die bilanzierte Anästhesie<br />
unter Verwendung von intravenösen und inhalativen<br />
Anästhetika. Als Beispiel für eine TIVA sei angeführt:<br />
– Disoprivan (z. B. Propofol ® ) 1–2mg/kg i.v. zur Narkoseeinleitung<br />
– Fentanyl (z. B. Fentanyl ® ) 0,1 mg i.v. bzw. Alfentanil (z. B.<br />
Rapifen ® ) 1 mg i.v.<br />
– Beatmung über Larynxmaske (bei nüchternen Patienten!)<br />
oder Beatmung nach Relaxation und Intubation<br />
– Aufrechterhaltung der Narkose mit Disoprivan 1–3 mg/kg/h<br />
und repetitiven Opiatdosen<br />
3.1.2. Narkose bei reduzierter Ausstattung<br />
Kurznarkose mit erhaltener Spontanatmung<br />
– Midazolam (z. B. Dormicum ® ) 2–5 mg langsam i.v.<br />
bzw. Disoprivan (z.B. Propofol ® ) 10–50 mg i.v.<br />
– S(+)-Ketamin (Ketanest S ® ) 0,5 –1,0 mg/kg langsam (60 sec) i.v.<br />
– bei Bedarf Nachinjektion von 0,5 mg/kg Ketamin S ® .<br />
Kurznarkose mit Intubation<br />
Vorgehen wie bei erhaltener Spontanatmung, dann nach sicherer<br />
Maskenbeatmung Präkurarisierung mit z.B. 1 mg Vecuroniumbromid<br />
(z. B. Norcuron ® ) und Muskelrelaxierung mit Succinylcholin<br />
(z.B. Lysthenon ® 1–2 mg/kg langsam (15 sec) i.v.).<br />
Nach der endotrachealen Intubation wird mit dem Beatmungsbeutel<br />
mit Luft oder Luft/Sauerstoff beatmet. Bei Bedarf wird<br />
Ketamin S ® 0,5 mg/kg und bei absoluter Notwendigkeit der<br />
er<strong>neu</strong>ten Relaxation Succinylcholin 20–40 mg (sehr langsam!)<br />
nachinjiziert (Höchstdosis Succinylcholin: 400 mg; Cave:<br />
Schwere Bradykardien, stark verlängerte Wirkung.<br />
Alternativ kann bei sicher nüchternen Patienten primär mit<br />
einem nicht depolarisierenden Muskelrelaxanz (z.B. Vecuroniumbromid<br />
0,1 mg/kg) relaxiert werden.<br />
Eine Relaxierung ohne Intubation ist wegen der Gefahr der<br />
Aspiration (nicht nüchterner Patient, fehlende Magenentleerung)<br />
unzulässig.<br />
3.2. Inhalationsanästhesie<br />
Unter Katastrophenbedingungen ist sicherlich der intravenösen<br />
Narkose der Vorzug zu geben. Trotzdem sollen hier die volatilen<br />
Inhalationsanästhetika erwähnt werden, da sie in manchen Ländern<br />
einen anderen Stellenwert als in Deutschland einnehmen.<br />
75
Inhalationsanästhetika (Lachgas, N2O und die Dämpfe der halogenierten<br />
Kohlenwasserstoffe Halothan ® , Enfluran ® und Isofluran ® )<br />
wirken am Zielorgan, dem ZNS, aber auch an peripheren Organen<br />
(Herz, <strong>neu</strong>romuskuläre Endplatte) depressorisch. Der genaue<br />
Mechanismus ist nicht bekannt. Ziel der Inhalationsanästhesie<br />
ist, einen ausreichenden Partialdruck des Narkosegases<br />
im Gehirn zu erreichen. Da dieser klinisch nicht bestimmbar ist,<br />
bezieht man die Wirkstärke auf die minimale alveoläre<br />
Konzentration (MAC). MAC ist die alveoläre Gleichgewichtskonzentration,<br />
bei der 50% der Patienten auf eine Hautinzision nicht<br />
mit einer Abwehrbewegung reagieren.<br />
Der MAC-Wert der Inhalationsanästhetika wird vermindert durch<br />
– Kombination mit anderen Inhalationsanästhetika (N2O)<br />
– Prämedikation mit Sedativa und Opiaten<br />
– Alter, Hypothermie, Schwangerschaft<br />
– Hypoxie, Anämie, Hypotension<br />
Der MAC-Wert der Inhalationsanästhetika wird erhöht durch<br />
– Alkoholabusus, Hyperthermie<br />
Tabelle: Bewertung der Inhalationsanästhetika<br />
Eigenschaft Halothan ® Enfluran ® Isofluran ® Sevofluran ® Desfluran ®<br />
Kardiodepression ++ + + + +<br />
periphere Vasodilation + ++ + +<br />
Steuerbarkeit + ++ ++ +++ ++++<br />
Muskelrelaxation (+) + + + +<br />
Atemdepression + ++ + + +<br />
proarrhythmogene Wirkung ++ (+) (+) (+) (+)<br />
Krampfpotentiale + ?<br />
klinische Erfahrung ++ + + + +<br />
Kosten + ++ +++ ++++ ++++<br />
Metabolisierungsrate 20 % 2 % 0,2 % 3 % 0,02 %<br />
Veränderungen des Partialdruckes des Anästhetikum im<br />
Narkosegasgemisch führen zu schnellen gleichgerichteten<br />
Veränderungen des Partialdruckes in den Alveolen, dem arteriellen<br />
Blut und dem Gehirngewebe; mit den meisten anderen<br />
Geweben wird während der Dauer klinischer Anästhesien kein<br />
Gleichgewicht erreicht. Die alveoläre Konzentration hängt von<br />
der Anästhetikumkonzentration, der Ventilation sowie der<br />
Resorption ab.<br />
76
3.2.1. Langdauernde Narkose mit Intubation unter Katastrophenbedingungen<br />
Zunächst Vorgehen wie 3.1.2. Nach der Intubation und aufgenommenen<br />
Beatmung wird Vecuroniumbromid (z. B. Norcuron ® )<br />
0,1 mg/kg KG i.v. injiziert. Wenn nach ca. 20 min die Muskelrelaxierung<br />
nachlässt, kann 2 mg Vecuroniumbromid nachinjiziert<br />
werden. Die Aufrechterhaltung der Narkosetiefe wird durch<br />
die Inhalation eines Lachgas/Sauerstoffgemisches (70:30 Vol%)<br />
oder einfacher eines Luft/Sauerstoffgemisches (70:30 Vol%)<br />
sowie die Zugabe eines der aufgeführten Inhalationsanästhetika<br />
in einer Konzentration von ca. 1 MAC erreicht. Bei Operationsende<br />
sollte die Muskelrelaxierung aus Sicherheitsgründen (verminderte<br />
Überwachungsmöglichkeiten!) mit 0,1 mg/kg KG<br />
Pyridostigmin (z. B. Mestinon ® ) zusammen mit 0,5 mg Atropin<br />
aufgehoben werden.<br />
3.3. Narkose beim Schädel-Hirn-Trauma<br />
Beim schweren Schädel-Hirn-Trauma darf keine Narkose in<br />
Spontanatmung durchgeführt werden, da alle Narkotika bei<br />
Hirntraumen zu einem Anstieg des arteriellen Kohlensäurepartialdruckes<br />
und damit zur Hirndrucksteigerung führen können.<br />
Ketamin kann zwar in ungünstigen Fällen auch unter kontrollierter<br />
Beatmung zu einer Hirndrucksteigerung führen, dies<br />
lässt sich aber durch Zugabe eines Benzodiazepins oder von<br />
Disoprivan (z. B. Propofol ® 1–2 mg/kg) verhindern. Die Narkose<br />
lässt sich somit wie unter 3.1.3 durchführen. Am Ende der Narkose<br />
muss unbedingt ein ausreichender Wachheitsgrad sowie<br />
eine ausreichende Spontanatmung vorhanden sein. Anderenfalls<br />
muss der Patient unter kontrollierter Beatmung einer<br />
Intensivtherapie zugeführt werden.<br />
Alternativ empfiehlt sich eine Total Intravenöse Anästhesie (TIVA):<br />
– Disoprivan (z.B. Propofol ® ) 1–2 mg/kg KG i.v.,<br />
– Fentanyl (z. B. Fentanyl ® ) 0,1–0,3 mg i.v.,<br />
bzw. Alfentanil (z.B. Rapifen ® ) 1–3 mg i.v.<br />
– dann Vorgehen wie unter Narkose mit Intubation beschrieben.<br />
3.4. Narkose in Ausnahmesituationen<br />
In besonderen Situationen (eingeklemmte Patienten, Narkose<br />
auf dem „freien Felde“, völliger Zusammenbruch der Versorgung)<br />
empfiehlt sich eine Ketamin-S ® – Mononarkose durchzuführen.<br />
Die Spontanatmung bleibt dabei erhalten, Blutdruck und Puls<br />
können palpatorisch beurteilt werden:<br />
– Ketamin-S ® 0,25–1,0 mg i.v. titriert!<br />
– Repetitionsdosis: 0,25–0,5 mg/kg<br />
– Evtl. Supplementierung mit Midazolam 1–5 mg i.v.<br />
Achtung! Erhöhte Rachenreflexe, deshalb kein Guedel-Tubus<br />
77
Weiterführende Literatur:<br />
1.Georgieff, M.; Schirmer, U.: Klinische Anästhesiologie,<br />
Springer, Berlin, Heidelberg, New York, 1995<br />
2.Kilian, J.; Pfenninger, E.: Polytraumatisierte Patienten, In:<br />
Doenicke, A.; Kettler, D.; List, W. F.; Radke, J.; Tarnow, J.<br />
(Hrsg.): Anästhesiologie, Springer, Berlin, Heidelberg, New<br />
York, London, Paris, Tokyo, HongKong, Barcelona, Budapest<br />
1995, S. 831–852<br />
3.Rebentisch E.: Handbuch der medizinischen Katastrophenhilfe,<br />
Reed Elsevier, Gräfelfing 1991<br />
78
9. Chirurgische Maßnahmen im<br />
Katastrophenfall bei Patienten mit<br />
Kombinationstraumen/Versorgungsstrategien<br />
bei polytraumatisierten<br />
Patienten.<br />
A. Ekkernkamp und G. Matthes<br />
1. Einleitung<br />
Im Rahmen schwerer traumatologischer Großschadensereignisse<br />
kommt es bei den Opfern meistens zu einer Mehrfachverletzung,<br />
seltener zu einer Monoverletzung. Liegen Verletzungen<br />
mehrer Körperregionen vor, von denen eine oder die<br />
Kombination akut lebensbedrohlich sind, spricht man von<br />
einem Polytrauma. Solche Verletzten sind bei der Sichtung<br />
meist der Dringlichkeitskategorie T 1 oder T 2 zuzuordnen (s.u.).<br />
Prinzipiell gelten für die präklinische Versorgung Mehrfachverletzter<br />
oder polytraumatisierter Patienten im Katastrophenfall<br />
die üblichen Versorgungsschritte:<br />
– Rettung aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich<br />
– Stabilisierung der Vitalfunktionen<br />
– Stillung lebensbedrohlicher äußerer Blutungen<br />
– Schmerzbekämpfung<br />
– Verbände und Lagerung, auch Immobilisation<br />
2. Sichtung<br />
Im Katastrophenfall stehen zu Anfang die katastrophenmedizinische<br />
Festlegung von Behandlungsprioritäten und die Organisation<br />
der Rettungsmaßnahmen.<br />
Erst dann folgt die eigentliche (chirurgische) Behandlung.<br />
Mit Beginn der Rettungsmaßnahmen werden die Verletzen gerettet,<br />
ggf. zu einer Verletztenablage oder an einen festgelegten<br />
Behandlungsplatz verbracht. Beim Massenanfall von Verletzten<br />
muss dabei jeweils wiederkehrend eine Sichtung stattfinden.<br />
Ziel der Sichtung ist die Beurteilung der Versorgungsdringlichkeit<br />
der einzelnen Verletzten. Festgelegt werden hierbei u. a.:<br />
– Reihenfolge der Behandlung<br />
– Reihenfolge des Abtransportes<br />
– Transportart (Boden / Luft)<br />
– Zielklinik<br />
79
Dazu werden die Verletzten im Katastrophenfall den Dringlichkeitskategorien<br />
T 1 bis T 4 zugeordnet. Die Verantwortung für<br />
die Sichtung gehört grundsätzlich in die Hand des katastrophenmedizinisch<br />
erfahrensten Arztes. Er ist gegenüber den<br />
anderen Ärzten und dem medizinischen Assistenzpersonal im<br />
gewissen Rahmen – in Abhängigkeit landesrechtlicher Regelungen<br />
– weisungsbefugt. Der Sichtungs-Arzt legt die Art und<br />
den Behandlungsumfang bei den einzelnen Verletzten fest. Er<br />
selbst behandelt (zunächst) nicht. Untersuchung und Dokumentation<br />
sollten nicht mehr als 2 min pro liegendem Patient dauern.<br />
Abhängig von der Zahl der Verletzten sind unter einer (!)<br />
Leitung ggf. mehrere Sichtungs-Ärzte einzusetzen, um die<br />
Behandlung der Verletzten nicht zu verzögern.<br />
2.1. Dringlichkeitskategorien<br />
Tabelle 1 zeigt die Dringlichkeitskategorien mit typischen Verletzungsmustern.<br />
Das Ergebnis der Sichtung wird vom Sichtungs-Arzt oder seinem<br />
Assistenzpersonal auf einem Dokumentationssystem, z.B.<br />
einer Verletztenanhängekarte festgehalten, die gut sichtbar am<br />
Verletzten befestigt wird. Auf dieser Karte werden neben den<br />
erhebbaren persönlichen Daten die Dringlichkeitskategorie, orientierende<br />
Diagnosen und erste durchgeführte Maßnahmen<br />
dokumentiert.<br />
3. Untersuchung und Erstversorgung<br />
Jeder Verletzte muss eine orientierende Untersuchung erhalten.<br />
Ziel der Erstuntersuchung, gerade bei polytraumatisierten<br />
Patienten, ist es, die Leitverletzung zu erkennen. Bei den ärztlichen<br />
Erstmaßnahmen an Schwerstverletzten sind aufwändige<br />
Versorgungen von Extremitätenverletzungen oder geringeren<br />
Verletzungen aufgrund des hier relativ zu hohen Zeitverlustes<br />
lebensgefährdend für viele weitere Verletzte und daher zu unterlassen.<br />
Es gilt der Leitsatz „life before limb“. Im Folgenden werden<br />
einzelne Untersuchungsschritte, Besonderheiten und Erstmaßnahmen<br />
dargestellt.<br />
3.1. Neurologischer Status, Kopf und Wirbelsäule<br />
Die Bewusstseinslage wird auch bei traumatologischen Notfällen<br />
am besten anhand der Glasgow-Coma-Scale (GCS) eingeschätzt<br />
(Tabelle 2).<br />
80
Kategorie Dringlichkeit Verletzungen (Beispiele) Transportpriorität<br />
der Behandlung<br />
T1 Erste Behandlungs- Störung der Atmung Zunächst nicht<br />
priorität: Schwere Blutung transportfähig,<br />
Lebensrettende Schock nach Stabilisierung<br />
Sofortmaßnahmen Schwere Verbrennungen jedoch<br />
Transportpriorität I<br />
T2 Zweite Behandlungs- Offene Schädel- Transportpriorität I<br />
priorität: Versorgung Hirn-Verletzungen nach ärztlichen<br />
aus vitaler Indikation Rückenmarks- Sofortmaßnahmen<br />
oder zur Vermeidung verletzungen<br />
bleibender Schäden mit Lähmung<br />
innerhalb einer 6-8 Verletzungen des<br />
Stundengrenze Gastrointestinal-<br />
Traktes<br />
Verletzungen großer<br />
Extremitäten/Arterien<br />
ohne schwere Blutung<br />
Offene Extremitätenfrakturen<br />
Aufgeschobene Frakturen/Luxationen Transportpriorität II<br />
Behandlungspriorität: SHT ohne Zeichen einer nach ärztlichen<br />
Operative Versorgung Hirndrucksteigerung Sofortmaßnahmen<br />
innerhalb der ersten Größere Weichteilver-<br />
6-24h nach dem letzungen<br />
Schadensereignis Größere, jedoch<br />
nicht akut lebensbedrohliche<br />
Verbrennungen<br />
Amputationspflichtige<br />
Extremitätenverletzungen<br />
T3 Leichtverletzte Unkomplizierte Wunden Spättransport<br />
Kleinflächige<br />
Verbrennungen<br />
I – II Grades<br />
T4 aktuell nicht Aktuell nicht überlebbare<br />
behandelbare Verletzungen, z. B.<br />
Schwerstverletzte reanimationspflichtiges<br />
Polytrauma<br />
Tabelle 1: Dringlichkeitskategorien/typische Verletzungsmuster<br />
Die Zustandsbewertung des Verletzten kann bekanntlich zwischen<br />
3 und 15 Punkten erreichen. Es erfolgt ergänzend eine<br />
Beurteilung der Pupillen, wobei auf Pupillenweite, Isocorie und<br />
Lichtreaktion geachtet wird.<br />
Schließlich werden äußere Verletzungen beurteilt. Schwere<br />
Kopfverletzungen, gerade bei Hochrasanztraumen, gehen oftmals<br />
mit Verletzungen der Halswirbelsäule einher. Bei ansprechbaren<br />
Verletzten ist die periphere Motorik und Sensibilität zum<br />
81
Augenöffnen Spontan 4 Punkte<br />
Auf Ansprechen 3 Punkte<br />
Auf Schmerzreiz 2 Punkte<br />
Nicht 1 Punkte<br />
Verbale Orientiert, beantwortet Fragen 5 Punkte<br />
Reaktion Desorientiert, beantwortet Fragen 4 Punkte<br />
Inadäquate verbale Antwort 3 Punkte<br />
Unverständliche Laute 2 Punkte<br />
Keine verbale Reaktion 1 Punkt<br />
Körpermotorik Bewegung auf Befehl 5 Punkte<br />
Gezielte Schmerzabwehr 5 Punkte<br />
Massenbewegung auf Schmerz 4 Punkte<br />
Beugesynergien auf Schmerz 3 Punkte<br />
Strecksynergien auf Schmerz 2 Punkte<br />
Keine 1 Punkt<br />
Tabelle 2: Glasgow-Coma-Scale<br />
Ausschluss einer Wirbelsäulenverletzung mit Rückenmarksbeteiligung<br />
orientierend zu überprüfen.<br />
Weiterhin sind Schmerzäußerungen im Wirbelsäulenbereich zu<br />
erfragen. Prädilektionsstellen für Wirbelsäulenverletzungen sind<br />
neben der Halswirbelsäule der thorakolumbale Übergang und<br />
die untere Lendenwirbelsäule.<br />
3.1.1. Besonderheiten<br />
Bei ausgeprägten Gesichtsverletzungen ist, soweit in Katastrophensituationen<br />
möglich, auf orale Blutungen oder ausgeschlagene<br />
Gebissanteile zu achten, die eine Aspirationsgefahr<br />
darstellen. Bei schweren Gesichtsverbrennungen ist<br />
ein Inhalationstrauma diagnostisch zu bedenken. Im Rahmen<br />
von Explosionsunfällen können Blutungen aus dem äußeren<br />
Gehörgang auf eine Trommelfellverletzung hinweisen.<br />
3.1.2. Erstversorgung bei Patienten mit Bewusstlosigkeit,<br />
Kopf- und Wirbelsäulenverletzungen<br />
Die Atemwege müssen sicher freigehalten werden. Bei GCS-<br />
Werten von ≤ 8 muss eine Intubation durchgeführt werden. Hierbei<br />
ist der einfachsten Intubationsart, in den meisten Fällen der<br />
orotrachealen Intubation, der Vorzug zu geben. Sollten schwerste<br />
Gesichtsverletzungen eine orotracheale Intubation unmöglich<br />
machen, ist eine Notfalltracheotomie indiziert.<br />
Defektwunden am Kopf, auch mit freiliegendem Gehirn, werden<br />
lediglich mit sterilen Kompressen abgedeckt. Beim geringsten<br />
Verdacht auf eine Halswirbelsäulenverletzung sollte eine die HWS<br />
stabilisierende Fixation angelegt werden. Bei allen Wirbelsäulenverletzungen<br />
ist eine achsenstabile Lagerung notwendig.<br />
82
Zur Rettung werden unter individualnotfallmedizinischen Gegebenheiten<br />
6 Helfer(!) benötigt. Es sollten, soweit möglich, spezielle<br />
Hilfsmittel, wie Schaufeltrage und Vakuummatratze, eingesetzt<br />
werden.<br />
3.2. Thoraxtrauma<br />
Prellmarken und eine Instabilität des Thorax sind Zeichen einer<br />
Rippen(serien)fraktur. Ein weiterer Hinweis auf eine schwere<br />
Thoraxverletzung ist das Auftreten von paradoxer Atmung. Klinische<br />
Zeichen eines P<strong>neu</strong>mothorax sind Atemnot, fehlende<br />
Atemgeräusche und hypersonorer Klopfschall auf der betroffenen<br />
Seite, Kreislaufdepression und Halsvenenstauung.<br />
3.2.1. Besonderheiten<br />
Bei Kindern können aufgrund des elastischen Skeletts schwere<br />
intrathorakale Verletzungen auch ohne begleitende Rippenfraktur<br />
auftreten. Zusätzliche klinische Zeichen sind (auch) hier<br />
gedämpfte Herzgeräusche und Kreislaufdepression. Bei Hochrasanztraumen<br />
(u.a. spezielle Schussverletzungen, Sturz aus<br />
großer Höhe) kann es zu Verletzungen der thorakalen Aorta<br />
kommen.<br />
3.2.2 Erstversorgung von Thoraxverletzungen<br />
Da Thoraxverletzungen sehr häufig mit einer ausgeprägten<br />
Lungenkontusion vergesellschaftet sind, sollte – ressourcenabhängig<br />
– die Indikation zur Intubation großzügig gestellt werden.<br />
Hierbei ist eine Beatmung mit PEEP durchzuführen. Bei Beatmung<br />
besteht die Gefahr, dass sich ein zuvor übersehener P<strong>neu</strong>mothorax<br />
in einen kreislaufwirksamen Spannungsp<strong>neu</strong>mothorax<br />
mit Mediastinalverschiebung umwandelt. Daher ist auch nach<br />
Intubation eine regelmäßige klinische Kontrolle nötig.<br />
Beim Vorliegen eines P<strong>neu</strong>mothorax muss umgehend eine<br />
Entlastung vorgenommen und eine Thoraxdrainage gelegt werden.<br />
Eintrittspunkt ist der 4. oder 5. ICR in der vorderen Axillarlinie,<br />
niemals jedoch unterhalb der Mamille. Die auf Dauer effektive<br />
Drainage sollte einen Durchmesser von mindestens 24 Ch<br />
aufweisen, da kleinere Drainagen durch Blutkoagel verlegt werden<br />
können. Sollte in Ausnahmesituationen keine entsprechende<br />
Drainage vorhanden sein, so kann z.B. ein Absaugschlauch<br />
oder ein Tubus behelfsmäßig benutzt werden. Bei offenen Thoraxverletzungen<br />
ist das alleinige sterile Abkleben obsolet!<br />
Es muss in jedem Falle eine Drainage gelegt werden, um die<br />
Entwicklung eines Spannungsp<strong>neu</strong>mothorax, z.B. nach sterilem<br />
Abdecken während eines Transportes, zu vermeiden.<br />
83
Beim Spannungsp<strong>neu</strong>mothorax kann initial auch eine großlumige<br />
Plastik-Kanüle eingebracht werden, an der gegebenenfalls<br />
ein abgeschnittener Fingerling als Auslassventil dient. Im<br />
weiteren Verlauf sollte die Plastik-Kanüle jedoch durch eine<br />
Drainage ersetzt werden.<br />
3.3. Blutung, Gefäßverletzung, Schock<br />
Bei Mehrfachverletzungen kommt es oft zu Verletzungen großer<br />
Gefäße, stark durchbluteter Organe oder großer Röhrenknochen.<br />
Dies kann zu massiven Blutungen in Körperhöhlen<br />
hinein oder zu äußeren Blutungen führen. Orientierende Zeichen<br />
eines Volumenmangelschocks sind (mit Einschränkungen) ein<br />
systolischer Blutdruck unter 100 mm Hg bei einer Herzfrequenz<br />
von ≥ 120 beim Erwachsenen.<br />
3.3.1. Behandlung von Blutungen, Gefäßverletzungen und<br />
Schock<br />
Periphere arterielle Blutungen werden durch Druckverbände versorgt.<br />
Der Einsatz von Gefäßklemmen kann in Katastrophensituationen<br />
nicht immer vermieden werden. Bei einer peripheren<br />
Blutung ist das Abbinden einer ganzen Extremität abzulehnen. (Es<br />
kann zu einer Ischämie noch durchbluteter Abschnitte kommen,<br />
weiterhin können Nerven geschädigt werden). Ist eine Blutung<br />
durch einen Druckverband nicht zu beherrschen, muss möglichst<br />
eine Hilfskraft die Blutung manuell abdrücken. Jeder Patient mit<br />
starkem Blutverlust und Gefahr der Entstehung eines Volumenmangelschocks<br />
oder einem schon manifesten Schock muss<br />
umgehend mit mehreren großlumigen peripheren Venenzugängen<br />
versorgt werden. Ausführungen zur Volumensubstitution finden<br />
sich im Kapitel 7 (Pfenninger / Vogt: Therapie des Volumenmangelschocks).<br />
3.4. Abdomenverletzungen und Beckentrauma<br />
Ein gespanntes Abdomen mit äußeren Verletzungszeichen, insbesondere<br />
bei zusätzlicher Schocksymptomatik, gibt Hinweise<br />
auf das Vorliegen einer intraabdominellen Verletzung.<br />
Instabile Beckenfrakturen sind bedingt durch die begleitende Zerreißung<br />
des pelvinen Venenplexus häufig mit hohem Blutverlust vergesellschaftet.<br />
Die Stabilität des Beckens wird durch beidhändige<br />
Kompression überprüft.<br />
3.4.1. Besonderheiten<br />
Insbesondere Prellmarken in der Flankenregion oder im Oberbauchbereich<br />
sind Hinweise auf ein stumpfes Trauma, das zu<br />
schweren inneren Verletzungen (Milzruptur, Pankreasverletzung)<br />
führen kann. Instabile Beckenverletzungen gehen häufig mit<br />
Verletzungen der ableitenden Harnwege einher.<br />
84
3.4.2. Erstversorgung von Abdomen- und Beckenverletzungen<br />
Bei Verdacht auf eine innere Blutung steht die Schockbehandlung<br />
im Vordergrund. Wunden werden steril abgedeckt. Bei Pfählungsverletzungen<br />
werden Fremdkörper in situ belassen.<br />
Bei instabilen Beckenverletzungen muss ein schonender Transport<br />
mit der Vakuummatratze angestrebt werden.<br />
3.5. Extremitätenverletzungen<br />
Extremitätenfrakturen und Luxationen gehören zu den häufigsten<br />
Unfallverletzungen. Dislozierte Frakturen großer Röhrenknochen<br />
(Femur) können zu erheblichem Blutverlust führen.<br />
Pralle Schwellungen der umgebenden Weichteile weisen auf ein<br />
mögliches Kompartment-Syndrom hin.<br />
3.5.1. Erstversorgung von Extremitätenverletzungen<br />
Die Extremitätendurchblutung ist anhand der tastbaren peripheren<br />
Pulse zu kontrollieren. Jede Fraktur oder Luxation muss<br />
bereits am Unfallort so gut wie möglich reponiert werden. Dies<br />
gelingt meistens durch dosierten Zug an der Extremität. Nach<br />
Reposition ist eine Lagerungsschiene anzulegen bzw. eine Vakuummatratze<br />
zu verwenden. Bei der Verwendung von Luftkammer-<br />
oder Vakuumschienen muss beachtet werden, dass<br />
ein zu festes Anlegen der Schiene eine Ischämie der Extremität<br />
bedingen kann. Daher ist nach jeder Reposition und Schienung<br />
er<strong>neu</strong>t die Durchblutung zu kontrollieren. Im Fall eines eingeklemmten<br />
Verletzten, bei dem eine langwierige Rettung aufgrund<br />
des Gesamtzustandes nicht möglich ist, muss ggf. eine<br />
Notamputation in Erwägung gezogen werden. Bei Amputationsverletzungen<br />
sollten replantationsfähige Amputate in dafür<br />
vorgesehenen Beuteln transportiert werden. Eine Reinigung des<br />
Amputates oder das Einlegen in eine Lösung ist kontraindiziert.<br />
Insbesondere beim Massenanfall verbietet sich zeitaufwändiges<br />
Suchen nach amputierten Gliedmaßen. Amputationsstümpfe<br />
und Wunden werden steril abgedeckt und Gefäßverletzungen<br />
nach dem o.g. Prinzip versorgt.<br />
Bei jeder Extremitätenverletzung müssen im Verlauf wiederholt<br />
Kontrollen auf das Vorliegen eines Kompartmentsyndroms erfolgen.<br />
Obwohl prinzipiell alle Extremitätenverletzungen zur Entwicklung<br />
eines Kompartmentsyndroms führen können, sind insbesondere<br />
Verletzungen der Tibia und komplexe Fußtraumen<br />
prädestinierend. Es wird allgemein das Monitoring des Kompartmentdrucks<br />
mit einer entsprechenden percutanen Messsonde<br />
empfohlen.<br />
Als kritischer Grenzwert und somit als Indikation zur operativen<br />
Dekompression gilt: RRdiast – Kompartmentdruck = 30 mmHg.<br />
85
Es ist zu beachten, dass bei der Extremitätenischämie – im<br />
Gegensatz zum stumpfen Weichteiltrauma – ein Kompartmentsyndrom<br />
erst nach einer zeitlichen Latenz auftreten kann. Auch<br />
nach Reperfusion einer zuvor ischämischen Extremität kann es<br />
zur Entwicklung eines Kompartmentsyndroms, dem sog.<br />
Reboundkompartmentsyndrom, kommen. Bei dringendem Verdacht<br />
auf ein Kompartmentsyndrom muss, um bleibende Schäden<br />
durch Muskelnekrosen und Gefäß-/Nerven-Schäden zu<br />
vermeiden, eine operative Kompartmentspaltung mit großzügiger<br />
Fasciotomie aller Muskellogen erfolgen. Der entstandene<br />
Defekt wird zunächst mit einem synthetischen Hautersatz<br />
gedeckt und später sekundär verschlossen, bzw. mit Spalthaut<br />
gedeckt.<br />
3.6. Verschüttungstraumen<br />
Bei Verschüttungen kommt es häufig zur druckbedingten<br />
Ischämie von Extremitäten oder Rumpfteilen. Dies führt zu<br />
einem Muskelzerfall mit konsekutiver Myoglobinurie. Kennzeichen<br />
sind ein dunkler oder rötlicher Urin. Es droht ein akutes<br />
Nierenversagen (Crushsyndrom). Zusätzlich kommt es häufig zu<br />
schweren Thoraxverletzungen sowie zum Kompartmentsyndrom<br />
ischämischer Extremitäten.<br />
3.6.1. Behandlung von Verschüttungstraumen<br />
Großzügige Intubation, Schocktherapie und Erzielen einer forcierten<br />
Ausscheidung sind wesentliche Voraussetzungen für<br />
eine effektive Primärtherapie; die frühzeitige Extremitätenamputation<br />
ist beim Massenanfall von Verletzten in Betracht zu ziehen.<br />
Zu Monitoring und Therapie des Kompartmentsyndroms s.<br />
Absch. 3.5.1.<br />
Die Abbildung zeigt die Algorithmen zur Pathophysiologie und<br />
Therapie des Crushsyndroms.<br />
3.7. Schuss- und Splitterverletzungen<br />
Schuss- und Splitterverletzungen sind grundsätzlich als kontaminierte<br />
Wunden anzusehen. Es kommt oft zum Verbleib von metallischen<br />
Fremdkörpern in der Wunde. Wird z.B. vor Eintritt des Geschosses<br />
in den Körper Bekleidung zerschlagen, so werden meist<br />
Textilfasern in die Wunde verschleppt. Primär ist bei solchen<br />
Verletzungen auf eine Ein- und Austrittsstelle des Geschosses zu<br />
achten, um den möglichen Verbleib des Fremdkörpers in der<br />
Wunde zu identifizieren („Steckschuss“). Insbesondere bei Schussverletzungen<br />
sind zur weiteren Beurteilung der resultierenden<br />
Wunde einige physikalische Grundkenntnisse notwendig. So kann<br />
86
Crush-Syndrom – Pathophysiologie –<br />
Aufhebung äußerer Kompression<br />
Wiedereinsetzen der Zirkulation<br />
Rhabdomyolyse<br />
Myaglobinurie<br />
Hyperphosphatämie<br />
Hyperkaliämie<br />
Hyperurikämie<br />
Ödem<br />
Hypovolämie<br />
metabol. Azidose Hämokonzetration<br />
Gerinnungsstörung<br />
Nierenversagen<br />
=<br />
Crush-Syndrom<br />
Erweiterte Primär-Therapie<br />
Crush-Verletzung<br />
Normovolämie Hypovolämie<br />
500 ml Kristalloide (K+-arm)/h<br />
je 1000 ml Kristall.: +50 mval NaHCO 3<br />
Urin-pH6,5 Ausscheid. 300ml/h<br />
+NaHCO 3<br />
+fraktion. Lasix ®<br />
Urin300ml/h<br />
pH6,5<br />
(Diamox) ® (Dopamin) ®<br />
Therapiefortführung bis<br />
Blut u. Urin myoglobinfrei<br />
– Säure-Basen-Status –<br />
Hämodialyse; [hyperbare Oxygenation]<br />
man bei Waffen mit niedriger Mündungsgeschwindigkeit ( 350 m/s)<br />
davon ausgehen, dass in der Umgebung des Schusskanals keine<br />
wesentlichen Gewebeverletzungen auftreten. Hochgeschwindigkeitsgeschosse<br />
hingegen erzeugen häufig zwar nur ein relativ kleines<br />
Einschussloch, jedoch übertragen sie im Körper ihre hohe kinetische<br />
Energie auf das den Schusskanal umgebende Gewebe. Es<br />
kommt zu explosionsartigen Höhlenbildungen (Kavitationen) mit<br />
entsprechenden Organdestruktionen. Dichtere Gewebe wie Knöpfe<br />
an der Kleidung, aber auch Knochen, können zu sog. Sekundärgeschossen<br />
werden und weitere Verletzungen bedingen.<br />
Neben Hochgeschwindigkeitsgeschossen führen auch Schrotschüsse<br />
aus nächster Nähe, sog. „Explosionsgeschosse“,<br />
„Dum-Dum-Geschosse“ oder Sprengsätze zu besonders schwerwiegenden<br />
Gewebeschäden. Zur klinischen Klassifikation von<br />
Schussverletzungen hat sich die Red Cross War Wound Classification<br />
nach Coupland bewährt (s. u.).<br />
3.7.1. Behandlung von Schuss- und Splitterverletzungen<br />
Die Erstversorgung von Schuss- und Splitterverletzungen entspricht<br />
den oben dargestellten Prinzipien zur Versorgung von<br />
Verletzungen der betroffenen Körperregion. Es ist primär immer<br />
von Wundkontamination und verbliebenen Fremdkörpern auszugehen.<br />
Auch bei Schuss- und Splitterverletzungen sollten<br />
Fremdkörper präklinisch in situ belassen werden.<br />
87
Tabelle 2: „Red Cross War Wound Classification“ nach<br />
Coupland<br />
E = Einschusswunde Maximaler Durchmesser in cm<br />
X = Ausschusswunde Maximaler Durchmesser in cm<br />
C = Kavitation C0 = Höhle fasst weniger als zwei Finger<br />
C1 = Höhle fasst mindestens zwei Finger<br />
F = Fraktur F0 = keine Fraktur<br />
F1 = einfache Fraktur<br />
F2 = komplizierte Fraktur mit Trümmerzone<br />
V = Vitale Strukturen V0 = nicht betroffen<br />
V1 = Dura, Pleura, Perito<strong>neu</strong>m eröffnet, Verletzung<br />
großer Gefäße<br />
M = Metallische M0 = keine<br />
Fremdkörper M1 = ein Fremdkörper<br />
M2 = multiple Fremdkörper<br />
Klassifikation<br />
Grad 1 E + X 10 mit C0/F0 oder F1<br />
Grad 2 E + X 10 mit C1 oder F2<br />
Grad 3 E + X 10 mit C1 oder F2<br />
4. Zielklinik und Transportmittel<br />
4.1. Wahl der Zielklinik<br />
Prinzipiell sollten schwerstverletzte und polytraumatisierte<br />
Patienten in ein Traumazentrum oder eine Klinik der Maximalversorgung<br />
(mit unfallchirurgischer und <strong>neu</strong>rochirurgischer<br />
Abteilung) verbracht werden. Ist der Verletzte jedoch sehr instabil,<br />
so muss er primär in die nächstgelegene (chirurgische) Klinik<br />
verbracht werden. Die Zielklinik muss rechtzeitig über das voraussichtliche<br />
Eintreffen, das Verletzungsmuster und die Leitverletzung<br />
informiert werden. Beim Massenanfall von Verletzten<br />
ist im Vorfeld durch die Rettungsleitstelle zu klären, welche<br />
Kliniken für die Aufnahme der Verletzten in Betracht kommen,<br />
und wieviele Patienten jeweils aufgenommen werden können.<br />
Die entsprechenden Krankenhäuser sollten frühestmöglich<br />
informiert werden, damit noch vor Eintreffen der ersten Verletzten<br />
durch Umsetzung interner Alarmierungs- und Einsatzpläne<br />
die Aufnahme ggf. mehrerer schwerstverletzter Patienten vorbereitet<br />
werden kann.<br />
4.2. Transportmittel<br />
Für einen schnellen und erschütterungsfreien Transport über<br />
weite Distanzen – je nach witterungsbedingter Verfügbarkeit –<br />
ist der Hubschrauber das geeignetste Transportmittel. Dies gilt<br />
insbesondere für Patienten mit schweren Schädelhirntraumata,<br />
Wirbelsäulen- und Beckenverletzungen sowie großflächigen<br />
88
Verbrennungen. Beim Transport mit dem Hubschrauber muss<br />
vor Abtransport die Stabilisierung des Verletzten (Intubation,<br />
Thorax-Drainage etc.) vollständig erfolgt sein.<br />
Bei kurzen Entfernungen zur Zielklinik ist ein Transport mit dem<br />
Notarztwagen, Rettungswagen, bei Großschadensereignissen<br />
auch Krankentransportwagen, indiziert. Über die Notwendigkeit<br />
einer ärztlichen Begleitung des Patiententransportes ist in Abhängigkeit<br />
von der Verletzungsschwere und den personellen<br />
Ressourcen zu entscheiden.<br />
Die Organisation der entsprechenden Transportmittel obliegt<br />
beim Massenanfall von Verletzten der Integrierten- oder Rettungs-Leitstelle.<br />
Bei der Nachforderung von Rettungsmitteln ist<br />
grundsätzlich, neben dem tatsächlichen Bedarf, der notwendige<br />
Zeitaufwand zur Bereitstellung der Transportmittel zu beachten.<br />
Weiterführende Literatur<br />
Tscherne, H.; Regel, G. (Hrsg.) Trauma-Management, Springer,<br />
Berlin, Heidelberg, 2000<br />
Internet<br />
The Trauma Organisation: WWW.Trauma.org<br />
The Internet Journal of Rescue and Disaster Medicine:<br />
WWW.anes.saga-med.ac.jp/ispub/journals/ijrdm.htm<br />
89
10. Maßnahmen bei thermischen<br />
Schädigungen im Katastrophenfall<br />
H. Haller<br />
1. Allgemeines: Thermische und kombinierte Verletzungen<br />
unter Katastrophenbedingungen<br />
Die folgenden Tabellen sollen einen Eindruck über stattgehabte<br />
und typischerweise zu erwartende Einsatzbedingungen geben.<br />
Die folgenden Angaben können nur als Beispiele gelten, da<br />
wegen der Vielfalt der Möglichkeiten eine exaktere Abschätzung<br />
der Opferzahlen sowie des Schweregrades der Verletzungen<br />
nicht möglich ist. Die Kasuistiken sollen die besondere Situation<br />
einer Katastrophe beispielhaft darstellen und die Möglichkeit<br />
geben, sich auf derartige Situationen etwas einzustellen.<br />
Unabhängig von dem vorliegenden Szenario verschlechtert ein<br />
Polytrauma die Prognose entscheidend.<br />
Die nachfolgenden Darstellungen zeigen die Unkalkulierbarkeit<br />
von Brandkatastrophen unter den verschiedensten Bedingungen.<br />
2. Spezielles – Verbrennungen und Verbrühungen<br />
2.1. Prinzipielles Procedere<br />
2.1.1. Erste Hilfe:<br />
Hier gelten grundsätzlich dieselben Überlegungen wie auch bei<br />
allen anderen Vorgehensweisen der Ersten Hilfe.<br />
Die Unterbrechung der thermischen Einwirkung steht im<br />
Vordergrund. Das Ersticken der Flammen kann am wirkungsvollsten<br />
durch Auf-dem-Boden-Rollen des brennenden Opfers<br />
geschehen, die Suche nach Löschwasser verzögert oft unnötig.<br />
Flammen können wirkungsvoll durch Decken erstickt werden,<br />
wobei darauf zu achten ist, dass es sich dabei um keine<br />
Synthetics handelt, die unter thermischer Einwirkung auf dem<br />
Körper festkleben oder gar selbst brennen. Damit kann auch<br />
vermieden werden, dass Opfer eines Brandunfalles oft minutenlang<br />
als brennende Fackeln auf der Suche nach einer Löschmöglichkeit<br />
herumirren, während die thermische Schädigung<br />
weiterhin erfolgt.<br />
Zu diesen ersten Maßnahmen gehört auch das Entfernen von<br />
glimmender oder mit heißer Flüssigkeit getränkter Kleidung von<br />
der Haut. Bereits fest klebende Kleidungsteile sollten gekühlt<br />
90
Tabelle 1: Katastrophen mit Brandverletzungen (nach Literaturangaben)<br />
Katastrophe<br />
Gesamt Verletzt Hospita- Gesamt Vor Ort Krankenanwesend<br />
am<br />
Schadensort<br />
lisiert verstorben haus<br />
1958 Schule „Lady<br />
of Angels“,<br />
Chikago, USA 87 93<br />
1961 Zirkusfeuer<br />
Niteroy,<br />
Brasilien 2500 1000 160 453 340 213<br />
1978 Gasexplosion<br />
Campingplatz,<br />
Barcelona, Spanien ? 250 130 120<br />
1984 Gas Explosion<br />
Mexico City,<br />
Mexico ? 7000 2000 550 250<br />
1985 Stadion, Bradford<br />
U.K. ? 256 56 ? ?<br />
1987 Kings Cross<br />
Underground,<br />
London, U.K. ? 150 28 58 28 30<br />
1988 Ramstein,<br />
Deutschland 300000 443 146 70 34 36<br />
1988 Alpha Piper<br />
Bohrinsel, Norwegen ? 63 15 167 167<br />
1989 Gasexplosion (Zug)<br />
Ural, USSR 3000 800 460 2200 ? ?<br />
1994 Krankenhaus<br />
Petersburg,<br />
Virginia, USA 468 Betten 5 5<br />
1996 Düsseldorf Flughafenfeuer,<br />
Deutschland 2500 62 8 17 16 1<br />
1998 Pflegeheim Arlington,<br />
U.K. 32 8 8<br />
und auf der Haut belassen, ggf. umschnitten werden. Bei einer<br />
orientierenden Untersuchung stehen die Vitalfunktionen und<br />
deren Stabilisierung im Vordergrund. Dies geschieht ressourcenabhängig<br />
mit Ersthelfermethoden oder mit Mitteln der erweiterten<br />
Wiederbelebung, wobei eine Trommelfellperforation<br />
durch Explosionsunfälle eine mangelnde Ansprechbarkeit der<br />
Verunfallten vortäuschen kann.<br />
2.1.2. Kühlung<br />
Vor allem bei kleineren Verbrennungen ist eine Kühlung durch<br />
Wasser (~ 15°C) sinnvoll, sie darf aber – bei individual-notfallmedizinischer<br />
Versorgung – niemals zu Unterkühlung führen ! (15).<br />
Wasser zwischen 1 und 8 °C kann die Gewebsschäden verstärken.<br />
Kühlung durch Wasser trägt wesentlich zur Schmerzreduktion<br />
bei, da die Austrocknung von Schmerzkörperchen in<br />
oberflächlichen Verbrennungswunden verhindert wird. Spätestens<br />
bei Frösteln des ansprechbaren Patienten ist die Kühlung<br />
abzubrechen, da eine schwere Unterkühlung durch die Verduns-<br />
91
tungskälte des Wundsekretes vor allem von oberflächlichen<br />
Verbrennungen begünstigt wird und für den Patienten sehr nachteilige<br />
Folgen haben kann (6). Zur Kühlung genügt „sauberes<br />
Wasser“. Sterilität ist wünschenswert, im Notfall, v. a. im Katastrophenfall<br />
aber nicht unbedingt erforderlich, feuchte Auflagen<br />
sind für den gewünschten Effekt ausreichend (8).<br />
Die Kühlung mittels Leitungswasser soll nur bei „kleineren Verbrennungen“<br />
durchgeführt werden (15), das sind solche mit einem<br />
Gesamtausmaß unter 15% verbrannter Körperoberfläche (KOF) bei<br />
Erwachsenen unter 40 Jahren, 10% KOF bei Erwachsenen über 40<br />
Jahren und bei Kindern unter 10 Jahren (14) (1).<br />
Tabelle 2: Wasseranwendung<br />
2.1.3. Schutz vor Unterkühlung<br />
Löschen des Verletzten Ja<br />
Unterbrechen der Hitzeeinwirkung =<br />
tastbar warme Oberfläche der Verbrennung (5) Ja<br />
Kaltwasserdusche bei kleinen Verbrennungen<br />
über 10 Minuten oder mehr Ja, solange Patient nicht<br />
fröstelt; Wasser mit ~ 15°C<br />
Kaltwasserdusche bei großen Verbrennungen Nein, Gefahr der<br />
über die Unterbrechung der Hitzeeinwirkung hinaus Hypothermie<br />
Auflage von wassergetränkten Tüchern Sicher bei allen ambulanten<br />
Patienten, bei größeren<br />
Verbrennungen unter<br />
Kontrolle der<br />
Kerntemperatur (6)<br />
Kind etwa 4 Jahre alt Erwachsener<br />
Abbildung 1: Prozentuale<br />
Körperoberflächenzuordnung bei<br />
Erwachsenem und Kind<br />
92<br />
Der nächste Schritt ist der Schutz<br />
vor Unterkühlung. Dies geschieht<br />
am besten durch ein aluminiumbedampftes<br />
Wattevlies (z. B.<br />
Metalline ® ), ein zusätzlicher<br />
Schutz mit Wolldecken o.ä. kann<br />
je nach Umgebungstemperatur<br />
vor allem bei nachfolgendem<br />
Transport sinnvoll sein. Falls<br />
möglich, sollte der Patient im ggf.<br />
adäquat temperierten Transportmittel<br />
befördet werden.<br />
2.1.4. Einschätzung des Verbrennungsausmaßes<br />
Anschließend erfolgt das Einschätzen<br />
des Verbrennungsausmaßes<br />
entsprechend der Neuner-Regel<br />
nach Wallace.
Dies ist erforderlich, um Sichtungsmaßnahmen treffen zu können<br />
und die Flüssigkeitstherapie zu steuern.<br />
Eine Handfläche entspricht ca. 1 % der verbrannten Körperoberfläche<br />
des Betroffenen.<br />
Gesamtausmaß und evtl. drittgradiger Anteil bestimmen gemeinsam<br />
mit dem Alter des Patienten sowie weiteren Schädigungen<br />
am wesentlichsten die Prognose.<br />
2.1.5. Bestimmung der Verbrennungstiefe:<br />
Eine Tiefenbestimmung der Verbrennungsverletzung ist wegen<br />
der Dynamik der Verbrennung und dem damit verbundenen<br />
Tieferschreiten unzuverlässig und kann bestenfalls orientierend<br />
erfolgen; sie ist umso ungenauer, je näher sie zeitlich zum<br />
Verbrennungsunfall liegt.<br />
2.1.6. Berücksichtigung von Begleitverletzungen:<br />
Begleitverletzungen sind zu berücksichtigen, sie können den<br />
Flüssigkeitsbedarf wesentlich verändern und sind auch für die<br />
spätere Zuordnung der Versorgung zu einem speziellen Zentrum<br />
wesentlich.<br />
2.1.7. Schockbekämpfung:<br />
2.1.7.1. Flüssigkeitsgabe:<br />
Eine suffiziente Flüssigkeitsgabe ist aufgrund des, mit der<br />
Verbrennung verbundenen, hypovolämischen Schocks ab<br />
einem Verbrennungsausmaß von mehr als 15% verbrannter<br />
Körperoberfläche (KOF) beim Erwachsenen, 10% KOF bei<br />
Kindern und 5 % KOF bei Kleinkindern erforderlich.<br />
Inhalationstraumen erhöhen in der Regel den Flüssigkeitsbedarf.<br />
Die Infusionstherapie sollte so bald wie möglich begonnen werden.<br />
Beim Erwachsenen gilt als Faustregel für die erste Stunde<br />
die Infusion von 1000 ml kristalloider Lösung i.v.. Mengen von<br />
1,5 – 2,5 l sind vertretbar (4). Ringerlactat wird als ausreichend<br />
betrachtet.<br />
Die Flüssigkeitstherapie soll nach der Formel:<br />
4 x kg KGW x % verbrannte KOF = ml Ringerlactat in 24 Std.<br />
erfolgen.<br />
In den ersten 8 Stunden (4) sollen keine Kolloide verabreicht<br />
werden. Nach 18 Stunden wird zusätzlich zur Flüssigkeitstherapie<br />
auf der Basis des Erhaltungsbedarfes eine Kolloidsubstitution<br />
oder Gabe von Plasmapräparationen (4) zur Aufrechterhaltung<br />
der Organperfusion unter klinischen Bedingungen als<br />
sinnvoll angesehen.<br />
93
Da die Formeln zur Flüssigkeitssubstitution eine große Fehlerbreite<br />
aufweisen, ist die Kontrolle anhand der Vitalparameter<br />
erforderlich, bei verzögertem Abtransport ist die Überwachung<br />
der Urinausscheidung sinnvoll, wobei beim Erwachsenen etwa<br />
0,5 –1 ml / kg KGW Urinproduktion pro Stunde angestrebt wird,<br />
beim Kind etwa 1 ml / kg KGW.<br />
Die Flüssigkeitsgabe soll über einen großlumigen peripheren<br />
Zugang erfolgen, die Punktion von Venen kann auch durch verbranntes<br />
Gebiet erfolgen, die Fixation des Zuganges ist allerdings<br />
gegenüber unverbranntem Gewebe erschwert.<br />
2.1.7.2. Analgetikagabe:<br />
Diese soll – wie bereits im Kapitel 8. erwähnt – immer intravenös<br />
oder intramuskulär, niemals subcutan verabreicht werden, da<br />
eine mangelnde Resorption bei Zentralisation und unerwartete<br />
Effekte nach Beheben der Zentralisation zu erwarten sind.<br />
Präparate und Dosierungen siehe Kapitel 8 „Schmerzbehandlung<br />
und Anästhesie unter Katastrophenbedingungen“.<br />
2.1.8 Intubations- und Beatmungsindikationen:<br />
Intubations- und Beatmungsindikationen sollen ressourcenabhängig<br />
großzügig gehandhabt werden. Zu bedenken ist, dass<br />
später eine Umintubation wegen des bestehenden Ödems oft<br />
nicht möglich ist; daher sollte der Tubus, falls möglich, bereits<br />
primär einen Innendurchmesser von mehr als 7mm (Ch. 28)<br />
aufweisen, um eine spätere Bronchoskopie zu ermöglichen.<br />
Vor allem bei verzögertem Intubationsversuch besteht die<br />
Gefahr einer schwierigen Intubation mit eventuell erforderlicher<br />
Tracheotomie.<br />
Falls unter entsprechenden Bedingungen eine Intubation ohne<br />
Beatmungsmöglichkeit erforderlich ist, um die Atemwege offen<br />
zu halten, kann die Spontanatmung durch Gabe von Ketaminen<br />
aufrecht erhalten bleiben.<br />
Tabelle 3: Intubationsindikationen<br />
Als Indikationen für Intubation<br />
und Beatmung gelten<br />
Thermische und andere (Schluckbeschwerden, Speichelfluss)<br />
Verletzung der oberen Luftwege,<br />
Glottisödem, Mundbodenödem<br />
Zirkuläre oder annähernd zirkuläre Sekundäres Ödem<br />
Verbrennungen des Halses Ruß, Stridor, Rasselgeräusche<br />
Verdacht auf Inhalationstrauma: Verdacht auf Kohlenmonoxid (CO)-<br />
Brand in geschlossenen Räumen oder Cyanid (CN)-Intoxikation<br />
Acute Respiratory Distress Syndrome Schock<br />
(ARDS) – Frühtherapie<br />
94
2.1.9 Sondersituationen:<br />
2.1.9.1 Bedeutung der Kohlenmonoxid (CO) und Cyanid<br />
(HCN)-Intoxikation:<br />
Vor allem bei einem Brand in geschlossenen Räumen ist an die<br />
Möglichkeit einer CO- und CN-Intoxikation zu denken. Es ist daher<br />
erforderlich, alle betroffenen Personen zu erfassen, vor allem dann,<br />
wenn bei Schadensopfern Aggressivität oder Desorientiertheit<br />
besteht.<br />
Wenn der Verdacht auf eine CO-Intoxikation Ursache für Intubation<br />
und Beatmung ist, so ist die Beatmung mit 100% Sauerstoff<br />
durchzuführen und darf erst nach Ausschluss einer CO-Intoxikation<br />
beendet werden.<br />
Symptome der CO-Intoxikation siehe „Management von Gefahrstoffunfällen<br />
und Massenvergiftungen“, Kap. 12.<br />
Abbildung 2: Escharotomie am Thorax Abbildung 3: Escharotomie am Arm<br />
2.1.9.2 Escharotomie (Narbenspaltung), Faszienspaltung<br />
Eine Escharotomie kann bei zirkulären oder annähernd zirkulären<br />
tiefen Verbrennungen im Thoraxbereich aus vitaler Indikation erforderlich<br />
werden, um eine suffiziente Beatmung überhaupt erst zu<br />
ermöglichen oder aufrechterhalten zu können. Diese Problematik<br />
ist bedingt durch die Starre des Verbrennungsschorfes, kann aber<br />
auch durch ein späteres Ödem mit entsprechend erhöhtem Gewebsdruck<br />
sekundär erforderlich werden.<br />
Procedere: mittseitliche Schnittführungen am Thorax mit Fortführen<br />
in die Medioclavicularlinie, falls erforderlich; ein querer<br />
Schnitt am Rippenbogen ermöglicht eine Verbesserung der<br />
Bauchatmung.<br />
Bei zirkulären oder annähernd zirkulären tiefen Verbrennungen im<br />
Extremitätenbereich kann sowohl eine Narbenspaltung als auch eine<br />
Faszienspaltung aus nicht akut vitaler Indikation erforderlich werden,<br />
um eine suffiziente Durchblutung der Extremitäten sicherzustellen.<br />
Hier ist das Risiko der möglichen Komplikationen bei Gewebsdrucksteigerung<br />
und Durchblutungsstörung gegen das Risiko<br />
der Sofortoperation mit Blutungs- und Infektionsgefahr abzuwägen.<br />
Auch die voraussichtliche Dauer bis zur Durchführung der<br />
95
Escharotomie ist in diese Überlegungen einzubeziehen. Dasselbe<br />
ist auch bei Faszienspaltungen zu berücksichtigen.<br />
Prinzipielles Procedere:<br />
Spalten der Verbrennungsnekrosen, Schnittführung bei nicht<br />
sicher drittgradigen Bereichen mittseitlich, queres Kreuzen der<br />
Gelenke.<br />
Bei eventuell erforderlichen Faszienspaltungen ist die Schnittführung<br />
so anzulegen, dass dabei auch alle erforderlichen Fascienräume<br />
eröffnet werden können. An der Hand kann das<br />
Spalten des Lig. carpi transversum erforderlich werden.<br />
Als Komplikationen können Blutungen, vor allem nach Aufheben<br />
der Zentralisation und bei Thrombopenie im Rahmen des<br />
Schocks auftreten.<br />
Bei tiefen Verbrennungen können Faszienspaltungen mit Muskelbeteiligung<br />
erforderlich werden. Dies ist auch im Rahmen von<br />
Elektroverbrennungen bei Stromdurchgang möglich. Auch hier<br />
sind die bei den Narbenspaltungen genannten Komplikationen<br />
sowie die Verletzung tieferer Strukturen bei Operationen unter suboptimalen<br />
Bedingungen möglich.<br />
2.1.9.3 Durchführung von Narbenspaltungen oder Faszienspaltungen<br />
vor Ort:<br />
Narben- oder Faszienspaltungen sind dann erforderlich, wenn<br />
die Ischämiedauer durch Verzögerung der Versorgung von mehr<br />
als 1,5 Stunden voraussehbar ist.<br />
2.1.10 Versorgung der Verbrennungswunden vor Abtransport:<br />
Hier steht das Verhindern der Austrocknung oberflächlicher<br />
Verbrennungen v.a. im Gesicht und an den Händen im Vordergrund.<br />
Ein aluminiumbedampftes Vlies ist dafür regulär ausreichend.<br />
2.1.11 Dokumentation:<br />
Die möglichst exakte Dokumentation mit den jeweils zur Verfügung<br />
stehenden Mitteln ist unerlässlich. Sie kann wesentliche Grundlagen<br />
für die Weiterbehandlung liefern, verlorengegangene Informationen<br />
über therapeutische Maßnahmen können den Patienten<br />
auch später vital gefährden.<br />
2.2 Sichtung bei Verbrennungen:<br />
Die Sichtung ist ein dynamischer Prozess, regelmäßige Nachevaluierung<br />
sowie Ressourcenprüfungen sind erforderlich!<br />
Zwei grundsätzlich verschiedene Sichtungsszenarien lassen<br />
sich darstellen:<br />
96
2.2.1 Sichtung bei vorhandenen Transportressourcen:<br />
Hier ist das Ziel der Sichtung die sinnvolle Verteilung der<br />
Patienten in Schwerbrandverletzten (SBV)-Zentren und Krankenhäuser,<br />
um nicht vorzeitig SBV-Zentren zu überlasten und<br />
damit erforderliche Ressourcen unnötig zu blockieren.<br />
Tabelle 4: Sichtung bei vorhandenen Transportressourcen<br />
Sichtung unter eingeschränkten Behandlungsressourcen:<br />
Minimalbehandlung Verbrennungen unter 10% KOF mit Ausnahme Gesicht,<br />
(T 3): Hände, Füße, Gelenke, Peri<strong>neu</strong>m und tiefen<br />
Verbrennungen, die späteres chirurgisches Vorgehen<br />
erfordern.<br />
Erstversorgung mit Fettgazeverband, spätere Kontrolle<br />
muss gesichert sein!<br />
Sofortbehandlung mit Verbrennungen 10 – 30 % KOF nach Erster Hilfe;<br />
Transportpriorität in Ziel ist es, die SBV-Zentren nicht primär zu überfüllen.<br />
Krankenhäuser ohne Nach Klärung der Situation Verlegung in SBV-Zentren bei<br />
SBV-Zentren geeigneter Indikation.<br />
Ausnahme: Kinder, Schwangere<br />
Sofortige Behandlung Verbrennungen > 30 % KOF, Kinder, Schwangere.<br />
mit Transportpriorität Verlegung in SBV-Zentren, hier ist sofortiges und<br />
in SBV-Zentren: energisches Vorgehen angezeigt, um das Überleben und das<br />
bestmögliche Behandlungsergebnis zu sichern. Intubation<br />
bei Verbrennungen mit schwerer Beteiligung der<br />
Atemwege, des Gesichts oder Halses, Inhalationstrauma<br />
Verbrennungen an Extremitäten mit Amputationswahrscheinlichkeit<br />
Maßnahmen: Escharotomie, Versorgung<br />
von Begleitverletzungen aus vitaler Indikation<br />
Hier ist die sinnvolle Mittelverwaltung unter dem Aspekt der<br />
Lebenserhaltung für möglichst viele Verletzte das Ziel.<br />
97
Tabelle 5: Sichtung unter eingeschränkten Transport- und Behandlungsressourcen<br />
Minimalbehandlung (T 3): Verbrennungen unter 15 % KOF mit Ausnahme<br />
Gesicht, Hände, Füße, Gelenke, Peri<strong>neu</strong>m und tiefen<br />
Verbrennungen, die späteres chirurgisches<br />
Vorgehen erfordern. Erstversorgung mit<br />
Fettgazeverband, spätere Kontrolle muss gesichert<br />
sein! Vorsicht bei: Patienten mit Verwirrtheitszustand<br />
wegen fraglicher CO-Intoxikation<br />
Sofortige Behandlung Verbrennungen > 30 % KOF, tief dermal,<br />
(T 1): (immediate surgery Inhalationstrauma , Kombinationstrauma, Kinder,<br />
and resuscitation) mit Schwangere. Intubation bei Verbrennungen mit<br />
Transportpriorität I falls schwerer Beteiligung der Atemwege, des Gesichts<br />
möglich in SBV-Zentren: oder Halses, Verbrennungen mit fraglicher<br />
Amputationswahrscheinlichkeit von Extremitäten<br />
Maßnahmen: Escharotomie möglichst in der<br />
Klinik, Versorgung von Begleitverletzungen aus<br />
vitaler Indikation<br />
Aufgeschobene Behandlung 15 – 30 % KOF tief dermaler Verbrennungen<br />
(T 2): (delayed surgery) ohne Lokalisation an Gesicht, Händen, Füßen,<br />
Transportpriorität II in Gelenken, Peri<strong>neu</strong>m können primär in periphere<br />
Krankenhäuser notfalls Krankenhäuser verlegt werden, um die SBV-Zentren<br />
auch nach der 6 anfangs nicht zu überfüllen. Verletzungen mit größter<br />
Stundengrenze: Amputationswahrscheinlichkeit von Extremitäten<br />
Schockbekämpfung, Analgesierung<br />
Probleme: Nicht erkannte sekundäre<br />
Gewebsdrucksteigerung bei<br />
mangelnden Transportressourcen<br />
Abwartende Die Einordnung zu dieser Gruppe darf nur dann<br />
Behandlung (T 4): geschehen, wenn dies durch den konzentrierten<br />
Einsatz von Behandlungsressourcen das Überleben<br />
von anderen, prognostisch günstigeren Verunfallten<br />
sichert. Sie umfasst komplexe Verletzungen,<br />
die zeit- und ressourcenaufwendig sind und in der<br />
gegebenen Situation die aussichtsreichere Versorgung<br />
anderer Patienten gefährdet. Die Einstufung in<br />
diese Gruppe ist daher besonders stark<br />
ressourcenabhängig und reevaluierunsbedürftig.<br />
98<br />
Verbrennungen > 50 %, > 60 %, > 70 % KOF etc. -<br />
ressourcenabhängig, evtl. mit zusätzlichem<br />
Kombinationstrauma oder Inhalationsverletzung,<br />
anderen behandlungsbedürftigen Grundleiden,<br />
ggf. hohem Alter. Diese Gruppe ist primär von den<br />
therapeutischen Bemühungen mit Ausnahme der<br />
Analgesierung ausgeschlossen, die Zuordnung<br />
sollte daher, falls es die Umstände erlauben, nur bei<br />
klinischer Sicherheit der ungünstigen Prognose erfolgen
Exkurs: Hypothermie<br />
Die Diagnose wird am genauesten durch die Messung der<br />
Kerntemperatur rektal, eventuell auch durch Messung der<br />
Temperatur durch Sonde im äußeren Gehörgang erstellt.<br />
Einteilung der Hypothermie:<br />
Tabelle 6: Einteilung der Hypothermie<br />
Stadien<br />
Stadium 1: 36° – 33°C<br />
Hier kommt es als Gegenregulation zu Muskelzittern und Metabolismussteigerung;<br />
Symptome dieses Stadiums sind Blutdruck und Pulsanstieg, Hyperventilation,<br />
Kältediurese;<br />
Stadium 2: 33°– 30°C<br />
Hier kommt es zu einem Versagen der Gegenregulation.<br />
Dies drückt sich aus durch eine Reduktion von Atemfrequenz und Verringerung<br />
der Atemexkursionen. Als Komplikationen können Herzrhythmusstörungen wie AV-<br />
Dissoziation und Vorhofflimmern, auftreten<br />
Stadium 3: 30° – 24°C<br />
Hier kommt es zur zunehmenden Bewusstseinstrübung. Dies äußert sich durch<br />
einen leereren Gesichtsausdruck, Erlöschen der Reflexe unter 30°C und fehlendem<br />
Muskeltonus. Es kommt zu einer Vita Minima entsprechend dem Bild des<br />
Scheintodes.<br />
Bewusstseinsverlust tritt ein. Die Muskulatur entwickelt einen Rigor.<br />
Unter ca. 23°C kommt es zur Asystolie und Apnoe, unter ~20° C ist ein<br />
isoelektrisches EEG festzustellen.<br />
Tabelle 7: Einteilung der Hypothermie nach REGA<br />
(KT = Körpertemperatur)<br />
Einteilung nach REGA<br />
(Schweizer Rettungsflugwacht)<br />
Stadium 1: KT 35 – 32 °C<br />
Patient ansprechbar mit Muskelzittern<br />
Stadium 2: KT 32 – 28°C<br />
Patient somnolent mit Muskelzittern<br />
Stadium 3: KT 28 – 24°C<br />
Patient nicht ansprechbar<br />
Stadium 4: KT 24 – 15°C<br />
Herzkreislaufstillstand<br />
99
Die Unterkühlungen im Katastrophenfall beziehen sich meist auf<br />
zwei „Spezialszenarien“:<br />
Das erste ist der Lawinenunfall, das zweite die Unterkühlung<br />
durch Unfälle in kaltem Wasser (z. B. Schiffsuntergang).<br />
Lawinenunfälle:<br />
Für die Prognose ist das Vorhandensein einer „Atemhöhle“ bei<br />
Verschütteten bei gleichzeitig freien Atemwegen entscheidend.<br />
Als Atemhöhle gilt jeder noch so kleine Hohlraum vor Mund und<br />
Nase bei gleichzeitig freien Atemwegen. Das Vorliegen einer<br />
Atemhöhle gibt immer Grund zur Hoffnung auf ein Überleben<br />
des Verschütteten. Daher muss während der Rettung von Lawinenopfern<br />
größte Sorgfalt auf die Klärung und Erhaltung einer<br />
Atemhöhle gelegt werden.<br />
Richtzeiten für die Bergrettung:<br />
Eine Rettung des Lawinenopfers innerhalb von 90 Minuten nach<br />
der Verschüttung ist anzustreben. Nach mehr als 90 Minuten sinkt<br />
die Überlebensrate drastisch, wenn nicht eine „offene“ Atemhöhle<br />
besteht. Als „offene Atemhöhle“ wird eine Verbindung zur Außenwelt<br />
definiert. In Gebäuden und größeren Hohlräumen ist naturgemäß<br />
ein längeres Überleben möglich.<br />
Allgemeines zu den notärztlichen Maßnahmen:<br />
Die Pulsoxymetrie ergibt wegen der Zentralisation bei Hypotheramie<br />
keine suffizienten Messergebnisse. Die früher gesehene Gefahr des<br />
afterdrops bei aktiver externer Erwärmung und somit auch die unbedingte<br />
Notwendigkeit der extrakorporalen Erwärmung (10) hat sich<br />
durch die positiven Erfahrungen mit der konvektiven Erwärmung<br />
auch bei Körpertemperaturen unter 30°C relativiert.<br />
Überlebenswahrscheinlichkeit:<br />
Tabelle 8: Überlebenswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit von<br />
der Verschüttungsdauer<br />
Verschüttungsdauer Tod<br />
= 15 Min keine Todesfälle, außer Tod durch Begleitverletzung<br />
15 – 35 Min Tod bei Verschütteten ohne Atemhöhlen<br />
90 – 130 Min. Tod bei Verschütteten mit Atemhöhlen<br />
130 Min. Überleben nur mit sehr großen Atemhöhlen oder<br />
„offenen Atemhöhlen“<br />
Sichtungskriterien für den Notarzt:<br />
Die wesentlichen Kriterien stellen Verschüttungsdauer, Vorliegen<br />
einer Atemhöhle und Kerntemperatur dar.<br />
100
Verschüttungsdauer von unter 45 Minuten und /oder Kerntemperatur<br />
von ≥ 32 °C:<br />
Eine Hypothermie Stadium IV (REGA) kann mit Sicherheit ausgeschlossen<br />
werden. Da ein etwaiger Herzkreislaufstillstand auf<br />
akute Asphyxie zurückzuführen ist, ist die Prognose nicht infaust,<br />
und ein Reanimationsversuch durch den Notarzt kann ressourcenabhängig<br />
angezeigt sein. Bei erfolgreicher Reanimation sollte<br />
ressoucenabhängig die Transferierung in das nächste Krankenhaus<br />
mit Intensivstation erfolgen.<br />
Verschüttungsdauer länger als 45 Minuten und/oder Kerntemperatur<br />
< 32 °C:<br />
Mit Atemhöhle und freien Atemwegen:<br />
Hier besteht der Verdacht auf Hypothermie Stadium IV( REGA)<br />
mit einer Verschlechterung der Prognose. Ressourcenabhängig<br />
muss die Reanimation lückenlos bis in die Klinik und Wiedererwärmung<br />
unter Umständen mit extrakorporalem Kreislauf<br />
fortgesetzt werden.<br />
Ohne Atemhöhle und / oder mit verlegten Atemwegen:<br />
Hier ist die Prognose infaust, da der Tod durch Asphyxie mit<br />
anschließender Auskühlung erfolgt.<br />
Keine sicheren Angaben zur Atemhöhle:<br />
Ressourcenabhängig ist ebenfalls die Reanimation und der<br />
Kliniktransport zur eventuellen Reanimation unter extrakorporalen<br />
Kreislaufbedingungen. Falls das nicht möglich: alternativer<br />
Transport in das nächste Krankenhaus zur Bestimmung des<br />
Serumkalium. Serumkaliumkonzentrationen von 10mmol/l stellen<br />
ein Kriterium für Irreversibilität der obstruktiven Asphyxie<br />
dar. Wenn dieser Wert nicht überschritten wird, muss wie bei<br />
Vorhandensein einer Atemhöhle vorgegangen werden.<br />
Unterkühlung im kalten Wasser:<br />
Als „kaltes Wasser“ wird Wasser mit einer Temperatur von weniger<br />
als 21 °C definiert. Hier ist ein Reanimationsversuch bei einer<br />
Verweildauer von weniger als 60 Minuten unter Wasser sinnvoll.<br />
Die Reanimationsdauer bis zum Abbruch der Reanimation verlängert<br />
sich auf zumindest 60 Minuten unter gleichzeitiger Durchführung<br />
von erwärmenden Techniken bei Vermeidung weiteren<br />
Wärmeverlustes, Schutz vor Wind, Entfernen nasser Kleidung,<br />
Isolierung durch z.B. Plastikmaterialien und, wenn möglich,<br />
Transport in warme Umgebung und Verabreichung warmer<br />
Flüssigkeiten intravenös. Es besteht letztlich kein Unterschied in<br />
der Behandlung zwischen Süß- und Salzwasserunfällen. Bei einer<br />
Verweildauer von mehr als 60 Minuten unter kaltem Wasser ist<br />
eine Wiederbelebung sehr selten erfolgreich. Ist die Verweildauer<br />
unter Wasser nicht bekannt, ist von einer Verweildauer von weniger<br />
als 60 Minuten auszugehen.<br />
101
Grundsätzliche Therapie der Hypothermie:<br />
Die Therapie basiert auf einer Verhinderung weiteren Wärmeverlustes,<br />
bei Bedarf auch einer Beatmungstherapie, der Unterstützung<br />
der Herz-Kreislauffunktionen, auch kardiopulmonaler<br />
Wiederbelebung<br />
Hauptsäulen der Behandlung sind:<br />
– Bewegungsarme Rettung und Lagerung<br />
– Herstellen windstiller Verhältnisse<br />
– Erwärmung von zentral nach peripher (oder konvektiv)<br />
Therapie der Stadien 1 und 2 nach Danzl:<br />
Die Therapie der Stadien 1 und 2 beruht auf äußerer Erwärmung<br />
durch Decken, Raumtemperatur, Strahler, Bad.<br />
Therapie des Stadiums 3 nach Danzl:<br />
Die Therapie des Stadiums 3 beruht auf einer inneren Erwärmung<br />
durch evtl. Spülungen von Magen und Blase oder Mastdarm,<br />
auch Peritonealdialyse, üblicherweise Erwärmung durch<br />
Hämofiltration oder Herz-Lungen-Maschine – in letzter Zeit<br />
auch Anwendung von Warmluftsystemen und äußerer Erwärmung<br />
ohne Rebound.<br />
Bei Asystolie und/oder Kammerflimmern ist die Anwendung der<br />
Herz-Lungen-Maschine obligat.<br />
Die Defibrillation ist auf eine Serie zu beschränken; eine<br />
Wiederholung ist üblicherweise erst nach Wiedererwärmung<br />
über 33°C indiziert. Der Transport muss möglichst erschütterungsfrei<br />
erfolgen, ggf. unter Reanimationsbedingungen.<br />
Die Beatmung sollte mit vorgewärmtem, angefeuchteten Sauerstoff<br />
realisiert werden.<br />
Leitsatz:<br />
„Niemand ist tot, solange er nicht wiedererwärmt und<br />
tot ist“.<br />
Erfrierungen:<br />
Pathophysiologie:<br />
Der Erfrierungsschaden entsteht durch:<br />
Extra- und intrazelluläre Eisbildung, Zell-Dehydratation und -<br />
Schrumpfung, abnormale intrazelluläre Elektrolytkonzentrationen,<br />
Eiweißdenaturierung und thermalen Schock.<br />
Erfrierungsfolgen werden verschlimmert durch :<br />
Alkohol, mentale Alterationen (Drogen etc.), einen erhöhten<br />
Feuchtigkeitsgehalt der Haut (Waschen), Wind, wobei der ther-<br />
102
mische Effekt einer Windgeschwindigkeit von 72,4 km/h bei<br />
–6°C einer solchen von 3,2 km/h bei –40°C entspricht.<br />
Der Erfrierungsschaden wird durch wiederholte Auftau- / Frierphänomene<br />
potenziert.<br />
Grade der Erfrierung und Prognose:<br />
Grad 1: Anfangs Blässe und Gefühllosigkeit der Haut, später<br />
gerötet und geschwollen, spontane Regeneration ist zu erwarten.<br />
Grad 2: Nach dem Auftauen Austritt seröser Flüssigkeit und<br />
eventuell von Blut. Die Erfrierung zweiten Grades ist nach dem<br />
Wiederauftauen sehr schmerzhaft, eine Spontanheilung ist lediglich<br />
durch Regeneration aus den Hautanhangsgebilden verzögert<br />
und eventuell unvollständig zu erwarten.<br />
Grad 3: Sie führt zur Gangränbildung durch irreversible Gefäßschäden,eine<br />
sekundäre Demarkation ist die Folge, Spontanheilung<br />
ist nicht möglich.<br />
Behandlung von Erfrierungen:<br />
Allgemein:<br />
Auftauphasen zwischen zwei Gefrierphasen müssen vermieden<br />
werden (7), das heißt, dass Auftauversuche nur dann durchgeführt<br />
werden dürfen, wenn anschließend gewährleistet ist, dass<br />
es nicht kurzfristig abermals zu Erfrierungen kommt, da sich u.a.<br />
der Gewebeschaden bei Wiedergefrieren exponentiell vergrößert.<br />
Heftiges Reiben ist aufgrund der damit verbundenen mechanischen<br />
Irritation zu vermeiden, ebenso die lokale Anwendung<br />
von Schnee, da er Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt<br />
aufweisen kann.<br />
Eine Lokalbehandlung von Erfrierungen soll erst nach Erwärmung<br />
der Kerntemperatur auf über 34 °C durchgeführt werden.<br />
N. B.: Kein Rauchen, kein Alkohol!<br />
Spezielle Versorgung:<br />
Individual- notfallmedizinische Versorgung<br />
Während des Transportes sollte die Extremität vor gezielter oder<br />
zufälliger Wärmeeinwirkung geschützt werden. Der Transport<br />
sollte innerhalb von 2 Stunden durchgeführt werden, da ein Zusammenhang<br />
zwischen der Dauer der Erfrierung und der Dauer<br />
des erforderlichen Auftauvorganges besteht. Nicht durchblutete<br />
Haut kühlt mit etwa 0,5 °C pro Minute weiter ab.<br />
Bei zu lange dauerndem Auftauvorgang muss mit Zellschäden<br />
gerechnet werden. Das Auftauen unter innerklinischen Bedingungen<br />
ist anzustreben.<br />
103
Erwärmen mit Wasser von 40°– 42°C bis zur Verschieblichkeit<br />
der Haut und Erythembildung innerhalb von 30 Minuten wird<br />
derzeit unter klinischen Bedingungen favorisiert (6).<br />
Weiße Blasen sollen unter aseptischen Bedingungen punktiert<br />
werden, Blutblasen sollten belassen werden. Die Wunden sollen<br />
mit einem sterilen, falls vorhanden, hydroaktiven Verband versorgt<br />
werden.<br />
Die Mikrozirkulation soll durch Dextrane und gefäßerweiternde<br />
Medikamente verbessert werden.<br />
Gabe von Ibuprofen 400 mg p. os 2x täglich. Gabe von Antibiotika<br />
(Penicillin G) soll zumindest über 48 bis 72 Stunden durchgeführt<br />
werden.<br />
Eine Amputation soll erst nach genauer Demarkierung des<br />
nekrotischen Gewebes durchgeführt werden oder bei einer drohenden<br />
Sepsis, an die Durchführung einer Tetanusprophylaxe<br />
muss gedacht werden. Die geschädigten Extremitäten sollen<br />
vor weiteren mechanischen Belastungen geschützt werden.<br />
<strong>Katastrophenmedizin</strong>ische Versorgung:<br />
Der Schutz vor weiteren Erfrierungen ist anzustreben. Falls<br />
keine Therapie eingeleitet werden kann, ist körperliche Bewegung<br />
zur Verbesserung der Durchblutung angezeigt. Kein<br />
Alkohol, Schutz vor Wind und weiterer Kälteexposition.<br />
Ist aufgrund mangelnder Transportressourcen der Transport in<br />
der genannten Zeitspanne nicht möglich, muss, falls es die<br />
Möglichkeiten erlauben, an ein Auftauen vor Ort mit anschließendem<br />
Schutz vor Wiedergefrierphänomenen gedacht werden.<br />
104
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http://www.feuerwehr-hamburg.org/brandbetten/<br />
Sichtung:<br />
http://www.vnh.org/FleetMedPocketRef/Triage.html<br />
Brandkatastrophen:<br />
http://www.writer-tech.com/pages/summaries/<br />
Lawinenrettung:<br />
http://www.provincia.bz.it/avalanche/<br />
Kaltwasser und Lawinenrettung:<br />
http://hypothermia.org/protocol.htm<br />
106
107
Spezielle Schädigungsmechanismen
11. Ärztliche Maßnahmen bei<br />
Strahlenunfällen und Strahlenkatastrophen<br />
W. Kirchinger<br />
1. Einleitung<br />
Unfallereignisse mit ionisierender Strahlung führen bei den<br />
Einsatzkräften oftmals zu apokalyptischen Schreckensvorstellungen<br />
bezüglich ihrer Eigengefährdung. Somit kann es zu<br />
Handlungsweisen der beteiligten Ärzte und Rettungskräfte am<br />
Einsatzort kommen, die das Leben und die Gesundheit der verunfallten<br />
Person in drastischer Weise, aus Unkenntnis über die<br />
Bewertung der tatsächlichen Gefahrensituation und aus Furcht<br />
vor eigener Bestrahlung, gefährden.<br />
Als mögliche Unfallszenarien kommen in Frage, dass erstens<br />
der Verunfallte durch externe Bestrahlung beaufschlagt wurde<br />
(bzw. sich in einem Feld erhöhter radioaktiver Strahlung aufhält),<br />
zweitens die Möglichkeit der radioaktiven Kontamination besteht<br />
und/oder drittens eine Inkorporation durch entsprechende<br />
Nuklide stattgefunden hat. Sofern sich eine verunfallte Person<br />
aus dem Bereich alleinig erhöhter externer Bestrahlung retten<br />
lässt oder die Strahlenquelle entfernt werden kann, ist eine<br />
Weiterversorgung außerhalb dieses Gebietes unkritisch. Hat<br />
eine Kontamination und/oder Inkorporation stattgefunden, kommen<br />
zusätzliche, das Geschehen beeinflussende Faktoren mit<br />
ins Spiel.<br />
Zu unterscheiden ist der sogenannte „Kleine Strahlenunfall“ mit<br />
einer bis wenigen betroffenen Personen, und die Strahlenkatastrophe<br />
(in Friedenszeiten) mit einer großen Anzahl betroffener<br />
oder vermeintlich betroffener Personen, die ein anderes<br />
Vorgehen, auch im Hinblick auf die medizinischen Möglichkeiten,<br />
erfordert. Im Zusammenhang mit einer solchen Katastrophe<br />
wird die sogenannte Notfallstation und die mögliche<br />
Ausgabe von Jod-Tabletten an die Bevölkerung (im Falle eines<br />
größeren kerntechnischen Unfalles) im Text erläutert werden.<br />
2. Gefährdung der Einsatzkräfte<br />
Ionisierende Strahlung, die, obwohl sie seit Urzeiten Bestandteil<br />
unserer Biosphäre ist, potenziell für den Menschen gefährlich<br />
werden kann, ist eine, sofern nicht sehr hohe Dosisleistungen<br />
auftreten, für unsere Sinnesorgane nicht wahrnehmbare Noxe.<br />
117
Das heißt, der Arzt im Einsatzgeschehen ist bezüglich der<br />
Abschätzung seines eigenen Gefährdungspotenzials und somit<br />
seiner Handlungsmöglichkeiten und auch Handlungsbereitschaft<br />
auf die Hilfe von Personen angewiesen, die mit Strahlennachweisgeräten<br />
umzugehen gelernt haben. Die Einschätzung<br />
der aus den abgelesenen Werten resultierenden “Gefährlichkeit“<br />
und die eventuelle persönliche Akzeptanz eines Risikos, das<br />
auch von gesellschaftlichen Zeitvorstellungen geprägt wird,<br />
bleibt immer ein Problem jedes einzelnen, selbst, wenn Experten<br />
auf diesem Gebiet vor Ort anwesend sind.<br />
Es stellt sich also für den behandelnden Arzt und seine Helfer die<br />
Frage, ob die Versorgung und Behandlung strahlenverunfallter<br />
Personen eine Gefährdung der eigenen Gesundheit beinhaltet, die<br />
sich eventuell auch erst in späteren Jahren oder Jahrzehnten als<br />
Schadensereignis manifestiert (z.B. Leukämie, solide Tumoren).<br />
Zur Bewertung der Gefährdung durch ionisierende Strahlung dient<br />
die Dosis bzw. Dosisleistung, die in Sievert (Sv) oder in Bruchteilen<br />
eines Sieverts (z. B. 1/ 1.000 Sv = 1 m Sv bzw. Sv/h) angegeben<br />
wird.<br />
An welchen Dosiswerten kann sich der Arzt bei seinem Handeln<br />
am Unfallort orientieren?<br />
Einen Hinweis darauf kann in Analogie zur Feuerwehrdienstvorschrift<br />
9/1 (FwDV 9/1) gefunden werden.<br />
Dosisrichtwerte für das Einsatzpersonal der Feuerwehr:<br />
Einsätze zum Schutz von Sachwerten 15 mSv/Einsatz/Jahr<br />
Einsätze zur Abwehr einer Gefahr<br />
für Personen 100 mSv/Einsatz/Jahr<br />
Einsätze zur Rettung von Menschenleben 250 mSv<br />
(einmalig im<br />
Arbeitsleben)<br />
Die Einsatzkräfte der Feuerwehren in Deutschland, die normalerweise<br />
keine beruflich strahlenexponierten Personen sind, dürfen,<br />
was im Falle des Strahlenunfalls mit Personenbeteiligung entscheidend<br />
ist, einmalig im Laufe des Arbeitslebens deutlich mehr<br />
an Dosis (effektive Dosis) aufnehmen als eine beruflich strahlenexponierte<br />
Person in einem Jahr (Grenzwert 20 mSv/a, Lebensarbeitszeitdosis<br />
maximal 400 mSv). Akute beeinträchtigende<br />
deterministische Schäden treten bei dieser Dosis nicht auf, wobei<br />
im Rahmen einer eventuell durchgeführten Chromosomenanalyse<br />
Abweichungen von der Norm festgestellt werden können. Aus<br />
strahlenbiologischer Sicht werden für den Notarzt und das weitere<br />
Rettungsdienstpersonal Werte der effektiven Dosis in diesem<br />
118
Bereich als vertretbar angesehen, unter der Vorgabe, dass bei<br />
Ausschöpfung des Maximalwertes auch diese Personen nur einmalig<br />
im Berufsleben für ein solches Szenario zum Einsatz kommen<br />
dürfen.<br />
Die nachfolgende Tabelle: „Frühsymptomatik beim Menschen nach<br />
akuter kurzzeitiger Ganzkörperbestrahlung“ zeigt, dass am Unfallort<br />
eine suffiziente Einschätzung des Schweregrades der Einwirkung<br />
ionisierender Strahlung bzw. der weiteren Prognose des Verunfallten<br />
nur sehr eingeschränkt möglich ist, sieht man vom rasch einsetzenden<br />
Symptom des Erbrechens nach hoher Exposition einmal ab.<br />
Dies bedeutet, dass das Strahlenunfallopfer, sofern es sein Zustand<br />
zulässt und eine nicht von vorneherein klare “Bagatelleinwirkung“<br />
vorlag, immer in ein im Strahlenunfallmanagement versiertes Zentrum<br />
zu bringen ist. Dies kann ein sogenanntes Regionales Strahlenschutzzentrum<br />
(RSZ) (siehe Anhang) sein oder eine Klinik, die<br />
Erfahrung mit der Behandlung kontaminierter Personen hat (nuklearmedizinische<br />
Abteilung sollte vorhanden sein) und in der Lage ist,<br />
hämatologische Krisensituationen bis hin zur Stammzelltransplantation<br />
zu meistern.<br />
119
Frühsymptomatik beim Menschen nach akuter kurzzeitiger Ganzkörperbestrahlung *)<br />
120<br />
Effektive Dosis 50–300 mSv 300 –1000 mSv 1–3 Sv 3–6 Sv 6 –15 Sv mehr als 15 Sv<br />
Frühsymptome:<br />
Abgeschlagenheit nein eventuell leicht mäßig ja stark sehr schnell auftretend<br />
sehr stark<br />
Übelkeit / Erbrechen nein vereinzelt 1 bis mehrfach mehrfach stark häufig stark unstillbar<br />
(Zeit nach Exposition) (2 bis 6 Std.) (2 bis 6 Std.) (1/2 bis 2 Std.) (ab 10 min) (ab 5 min)<br />
Kopfschmerz nein nein eventuell ja ständig ständig massiv quälend<br />
Bewusstsein klar klar klar klar getrübt stark getrübt<br />
Früherythem nein nein leicht ja ausgeprägt stark ausgeprägt<br />
(Zeit nach Exposition) (12 bis 24 Std.) ( 6 Std.) ( 6 Std.) ( 6 Std.)<br />
Konjunktivale Injektionen nein nein leicht ja ausgeprägt stark ausgeprägt<br />
(Zeit nach Exposition) (48 Std.) ( 6 Std.) ( 6 Std.) ( 6 Std.)<br />
Fieber nein nein nein subfebril subfebril febril<br />
*)Quelle: modifiziert nach: Strahlenschutzkommission (SSK) Band 4: Medizinische Maßnahmen bei Kernkraftwerksunfällen.<br />
2. Auflage G. Fischer-Verlag, 1995
Die bisherigen in Deutschland stattgefundenen Strahlenunfälle<br />
haben die Einsatzkräfte mit maximal wenigen Millisievert beaufschlagt.<br />
3. Vorstellbare Unfallszenarien<br />
Es lassen sich folgende relevante Unfallszenarien vorstellen:<br />
1.Betriebsunfälle (Klinik, Forschungseinrichtung, Industrie z. B.<br />
Großbestrahlungsanlage)<br />
2.Transportunfälle (Straße, Schiene, Luft- und Seewege)<br />
3.Abstürzende Satelliten<br />
4.Kernkraftwerksunfälle unterschiedlicher Relevanz für die Umwelt<br />
5.Einsatz spezieller militärischer Waffensysteme<br />
6.Kriminelle/terroristische Aktivitäten<br />
7.Kriegerischer Einsatz von Kernwaffen<br />
4. Praktisches Vorgehen bei Strahlenunfällen<br />
4.1 Maßnahmen vor dem Eintreffen am Unfallort<br />
Ist dem Arzt und den Rettungsdienstkräften noch vor dem<br />
Eintreffen am Unfallort bekannt, dass es sich um einen Strahlenunfall<br />
handelt, sollte nachgefragt werden, ob die verunfallte<br />
Person sich voraussichtlich weiterhin in einem Strahlenfeld<br />
befindet oder durch die vorhandenen Einsatzkräfte aus der unmittelbaren<br />
Gefahrenzone gerettet werden kann. Wichtig ist, ob<br />
es sich um Bestrahlung durch eine technische Strahlenquelle (z.<br />
B. Röntgenquelle, Linearbeschleuniger etc.) handelt, bei der die<br />
Stromzufuhr abgeschaltet werden kann und somit keine<br />
Gefährdung für die Einsatzkräfte mehr besteht (keine weiteren<br />
Schutzmaßnahmen nötig, keine Kontaminationsgefahr) oder um<br />
einen Vorgang, bei dem umschlossene oder offene radioaktive<br />
Stoffe (z. B. umschlossene Iridium-192-Strahlenquelle, Technetium-99m<br />
als flüssiger offener radioaktiver Stoff usw.) ein<br />
Gefährdungspotenzial darstellen (Kontaminations- und Inkorporationsgefahr<br />
sowohl für den Verunfallten als auch die Helfer).<br />
Der Arzt hat, sofern vorhanden, ein amtliches Dosimeter (Filmkassette)<br />
sowie Stabdosimeter oder ein elektronisches, sofort<br />
ablesbares Dosimeter zu tragen. Ist zu befürchten, dass eine<br />
Kontamination auftreten kann (es besteht dann auch immer die<br />
Möglichkeit der Inkorporation), ist, sofern es die Zeit zulässt,<br />
neben den obligaten Einmalhandschuhen, mindestens chirurgischer<br />
Mundschutz, besser noch eine Staubschutzmaske,<br />
Schutzbrille, Einmaloverall mit Kapuze und Füßlinge zum Über-<br />
121
streifen sowie eventuell eine wasserabweisende Schürze als<br />
zusätzliche persönliche Schutzausrüstung für die medizinischen<br />
Einsatzkräfte zu tragen. Der Arzt und die Rettungssanitäter sollten<br />
wie bei einem Einsatz mit erhöhter Infektionsgefahr vorgehen.<br />
Schmuck jeglicher Art ist abzulegen. Ein weitreichenderer<br />
Atemschutz und das Tragen von Filtermasken (die Feuerwehreinsatzkräfte<br />
tragen gemäß FwDV 9/1 eventuell umluftunabhängigen<br />
Atemschutz sowie Chemievollschutzanzüge) ist für<br />
den Notarzt nicht durchführbar. Eine Kontamination von Ausrüstungsgegenständen<br />
(z. B. Intubationsbesteck etc.) muss bei<br />
solchen Szenarien muss prinzipiell in Kauf genommen werden.<br />
Die Rettung von Menschenleben hat bei akzeptabler Gefährdung<br />
für die Einsatzkräfte immer Vorrang vor den Möglichkeiten des<br />
Kontaminationsschutzes der Helfer und deren Gerätschaften.<br />
Zustand an der Einsatzstelle Gefährdung der Einsatzkräfte<br />
Mit Strom betriebene<br />
technische Strahlenquelle:<br />
angeschaltet ja<br />
ausgeschaltet nein<br />
Umschlossene<br />
radioaktive Stoffe (dicht):<br />
Unfallopfer im Nahbereich ja, eventuell massiv!<br />
Unfallopfer nach Rettung nein<br />
Offene radioaktive Stoffe:<br />
Unfallopfer im Nahbereich<br />
oder bei Kontakt ja, möglich<br />
Unfallopfer nach Rettung:<br />
– nicht kontaminiert nein<br />
– kontaminiert nein bis gering<br />
4.2 Lagebeurteilung<br />
Der Arzt kann sich bezüglich des Gefährdungspotenzials für<br />
sich selbst, seine Helfer und den Patienten an den Aussagen<br />
folgender Personen, sofern vor Ort, orientieren:<br />
– Strahlenschutzverantwortlicher<br />
– Strahlenschutzbevollmächtigter<br />
– Strahlenschutzbeauftragter<br />
– Laborleiter (in Labors, die mit radioaktiven Stoffen umgehen,<br />
wichtiger Ansprechpartner)<br />
– Verantwortlicher Einsatzleiter der Feuerwehr (sofern selbst<br />
fachkundig nach FwDV 9/1)<br />
– Verantwortlicher Einsatzleiter anderer Hilfsorganisationen<br />
122
– Andere fachkundige Personen (wie z.B. Sachverständige,<br />
Mitarbeiter)<br />
– Einsatzkräfte Regionaler Strahlenschutzzentren (RSZ)<br />
Strahlenmessung:<br />
Eine Gefährdungsbeurteilung ist letztlich nur durch Messung der<br />
Dosisleistung und/oder der Quantität einer eventuellen Kontamination<br />
(in der Regel ist nur ein Kontaminationsnachweis erbringbar)<br />
zu erhalten. Nach FwDV 9/1 ist die Absperrgrenze durch<br />
Dosisleistung festzulegen. Außerhalb der Absperrgrenze darf die<br />
Dosisleistung nicht mehr 25 µSv/h betragen. Kontaminationsverdächtige<br />
Bereiche sind in den Absperrbereich miteinzubeziehen.<br />
Bis zur Festlegung der Absperrgrenze halten nicht direkt am<br />
Einsatz beteiligte Kräfte zunächst einen Mindestabstand von 25 m<br />
zum Schadensobjekt unter Beachtung der Windrichtung. Dies gilt<br />
nicht für das unmittelbar am Einsatz beteiligte Rettungsdienstpersonal.<br />
Dosisrichtwerte für den Arzt und die Rettungsdienstkräfte:<br />
Der Arzt und die im Strahlenschutzeinsatz tätigen Rettungsdienstkräfte<br />
gelten nicht als beruflich strahlenexponierte Personen<br />
gemäß der Röntgenverordnung (RöV) oder der Strahlenschutzverordnung<br />
(StrlSchV). Sinngemäß wird hier die Vorgabe<br />
des § 59 (StrlSchV) „Strahlenexposition bei Personengefährdung<br />
und Hilfeleistung“ angewendet. Eine effektive Dosis von 250 mSv<br />
darf nur in Ausnahmefällen überschritten werden und ist nur bei<br />
lebensrettenden Maßnahmen überhaupt vertretbar. Die Deutsche<br />
Strahlenschutzkommission (SSK) geht in diesen Fällen bis zu<br />
Dosiswerten von 1 Sv, wobei dann deterministische Effekte auftreten<br />
werden. Voraussetzung dafür ist jedoch die Freiwilligkeit<br />
der Einsatzkräfte bei vorheriger spezifischer Aufklärung. Zusammenfassend<br />
kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass<br />
für Strahlenschutzeinsätze die Rettungskräfte Werte der effektiven<br />
Dosis von 100 mSv im Jahr und 250 mSv im Laufe des<br />
gesamten Arbeitslebens nicht überschreiten sollten.<br />
4.2.1 Unfälle in Betrieben (außer Kernkraftwerken)<br />
Die größten Aktivitäten (außerhalb von Kernkraftwerken), teilweise<br />
bis zu 100 Peta-Becquerel = 10 15 Becquerel finden sich in<br />
Deutschland in Großbestrahlungsanlagen (zur Zeit sieben reine<br />
Gammabestrahlungseinrichtungen) zu Zwecken der Sterilisation,<br />
von z. B. medizinischen Einmal-Podukten wie: OP-Handschuhen,<br />
Spritzen, Nadeln etc. (Beispiel: Firma Beiersdorf Hamburg,<br />
Firma Gammaster Allershausen) und zur Veredelung von<br />
Werkstoffen, wie der „Vernetzung“ von Kunststoffen. In einigen<br />
Nachbarstaaten werden auch Lebensmittel zum Zwecke der<br />
123
Verlängerung der Haltbarkeit bestrahlt. Solche Anlagen können<br />
bei ausgefahrenen Strahlenquellen (sie befinden sich zu<br />
Abschirmungszwecken normalerweise in einem Wasserbecken)<br />
nicht betreten werden, ohne eine für den Menschen lebensbedrohliche<br />
bis tödliche Strahlendosis zu erhalten. Hier kommt<br />
dem Eigenschutz der Hilfskräfte besondere Bedeutung zu, und<br />
ein Vorgehen wird in der Regel nur mit Personen, die mit der<br />
Anlage vertraut sind, möglich sein.<br />
Generell lässt sich bei Unfällen in ortsfesten Anlagen ein Hinweis<br />
auf die mögliche auftretende Gefährdung anhand der<br />
Metallprägeschilder für den Feuerwehreinsatz finden.<br />
Gefahrengruppe Aktivitäts Hinweise und Einsatz<br />
bereich<br />
(x-fache der<br />
Freigrenze)<br />
I ≤ 10 4 ohne besonderen Schutz<br />
II 10 4 –10 7 nur mit Strahlenschutzsonderausrüstung<br />
und unter Strahlenschutzüberwachung<br />
III > 10 7 wie II und zusätzlich<br />
unter Hinzuziehung eines<br />
Sachverständigen<br />
Strahlenwarnzeichen zur Begrenzung des Kontrollbereiches<br />
bzw. der Hinweis „Kein Zutritt – Röntgen“ geben weitere Hinweise,<br />
ab welcher räumlichen Begrenzung mit einer zusätzlichen<br />
Gefährdung gerechnet werden muss.<br />
4.2.2 Transportunfälle<br />
In Deutschland finden jährlich ca. 445.000 Transporte mit radioaktiven<br />
Stoffen statt, wobei der überwiegende Teil für Mess- und<br />
Forschungszecke sowie für medizinische Anwendungen<br />
bestimmt ist. Von 1998 bis 2000 bestand ein Stop für den<br />
Transport abgebrannter Brennelemente und verglasten hochaktiven<br />
radioaktiven Abfalls (HAW-Kokillen). Transporte dieser Art finden<br />
seit geraumer Zeit wieder statt. Diese Güter machten in der<br />
Vergangenheit etwas unter 100 Transporte pro Jahr aus.<br />
Allerdings entfielen ca. 99,5 % der insgesamt beförderten Aktivität<br />
auf abgebrannte Brennelemente. Der Arzt und das Rettungsdienstpersonal<br />
müssen davon ausgehen, dass es nach den einschlägigen<br />
Transportvorschriften außer mit Strahlenwarnzeichen<br />
124
gekennzeichneten Transporten eine gewisse Zahl von genehmigungsfreien,<br />
äußerlich nicht gekennzeichneten Transporten gibt,<br />
deren jeweilige beförderte Aktivität durchaus (im Einklang mit der<br />
gültigen Strahlenschutzgesetzgebung) im Giga-Becquerel-Bereich<br />
liegen kann. In einem solchen Fall wird zunächst ohne<br />
Einsatz eines Messgerätes kein Beteiligter an die Noxe radioaktive<br />
Strahlung denken.<br />
Neben der Befragung der Betroffenen lassen sich bei Unfällen<br />
mit vorschriftsmäßiger Kennzeichnung des radioaktiven Stoffes<br />
bzw. des Transportbehälters Kenntnisse über die Intensität der<br />
Strahlung bzw. die Aktivität des radioaktiven Materials aus<br />
Warntafeln, Gefahrzetteln und Unfallmerkblättern in den Frachtbegleitpapieren<br />
herleiten.<br />
Man unterscheidet nach den Richtlinien der Internationalen<br />
Atomenergiebehörde (IAEO-Regulations) zwischen folgenden<br />
Arten von Versandstücken und Verpackungen:<br />
a) Freigestellte Versandstücke (z. B. Verpackungen für<br />
Feuermelder, klinische Reagenzien).<br />
b) Industrieverpackungen (IP) (z. B. für Stoffe geringer spezifischer<br />
Aktivität oder für oberflächenkontaminierte Gegenstände)<br />
Man unterscheidet hier in IP-1, IP-2 und IP-3.<br />
c) Typ A-Versandstücke (z. B. für Radiopharmazeutika).<br />
Sie sollen im Falle eines „normalen“ Zwischenfalles während<br />
der Beförderung unversehrt bleiben.<br />
d) Typ B-Versandstücke (z. B. Transportbehälter für bestrahlte<br />
Brennelemente).<br />
Diese Versandstücke müssen den Auswirkungen auch<br />
schwerster Unfälle während der Beförderung widerstehen.<br />
e) Typ C-Versandstücke für die Beförderung von radioaktiven<br />
Stoffen in besonderer<br />
Form (z. B. Pu-Pellets).<br />
Die Anforderungen an diese Versandstücke sind in einigen<br />
Punkten noch höher als an Typ B-Versandstücke.<br />
Aus der Farbe des aufgebrachten Gefahrzettels und der Kategorie<br />
lässt sich ein Überblick über die Dosisleistung an der<br />
Oberfläche eines intakten Versandstückes gewinnen. Desweiteren<br />
lassen sich Aussagen über das Nuklid und dessen Menge<br />
ablesen.<br />
125
Gefahrzettel zur Kennzeichnung von Versandstücken, die radioaktive<br />
Stoffe enthalten<br />
(nach GGVS)<br />
Kategorie max. zulässige Dosisleistung<br />
an der Oberfläche Transportkennzahl<br />
I weiss 5 µSv/h –<br />
II gelb 500 µSv/h ≤ 1<br />
III gelb 2.000 µSv/h ≤ 10<br />
Im Falle der Beförderung unter „ausschließlicher Verwendung“<br />
liegt der Grenzwert für Kategorie III-Transporte bei 10 mSv/h an<br />
der Oberfläche des Versandstückes.<br />
Kennzeichnung von Versandstücken und Transportfahrzeugen<br />
mit radioaktiven Stoffen:<br />
Aus der aufgedruckten Transportkennzahl (TK) lässt sich die<br />
Dosisleistung in mSv/h in einem Meter Entfernung folgendermaßen<br />
berechnen: Dosisleistung mSv/h (1m) = TK:100<br />
126
Die Einsatzkräfte der Feuerwehren haben bei Transportunfällen<br />
gemäß FwDV 9/1 mit Strahlenschutzsonderausrüstung und<br />
unter Strahlenschutzüberwachung vorzugehen. Sind vorhandene<br />
Behälter nicht beschädigt, ist von keiner akuten Gefahr für<br />
die Helfer auszugehen. Typ-B-Behälter widerstehen den im<br />
Straßenverkehr üblichen Unfallgeschehen. Typ-A-Behälter können<br />
bei Verkehrsunfällen durch die auftretenden Kräfte beschädigt<br />
oder zerstört werden.<br />
4.2.3 Abstürzende Satelliten<br />
Die Strahlenschutzkommission beschäftigt sich in Band 26<br />
auch mit diesem Thema. Zum Zweck der Energieerzeugung auf<br />
kleinstem Raum sind verschiedene Weltraumfahrzeuge mit<br />
Plutoniumbatterien ausgerüstet. Im Falle des Wiedereintritts in<br />
die Erdatmosphäre kann radioaktives Material über weite Teile<br />
der Erdoberfläche verteilt werden. Ebenso können Reaktorteile<br />
beim missglückten Start solcher Satelliten verloren gehen und<br />
eventuell zu einer Kontamination der Umwelt beitragen. Am<br />
18.05.1968 zum Beispiel ist in der Nähe von Santa Barbara der<br />
amerikanische Satellit „Nimbus“ mit Pu-239 im Meer versunken.<br />
Ähnliches ereignete sich im Osten Brasiliens am 07.02.1983, wo<br />
der Satellit „Cosmos“ (UdSSR) mit seiner radioaktiven Fracht<br />
verloren ging.<br />
4.2.4 Unfälle in Kernkraftwerken<br />
Die Organisation der ärztlichen Versorgung bei Kernkraftwerksunfällen<br />
ist Ländersache. Sind die Auswirkungen eines Unfalles in<br />
einer kerntechnischen Anlage auf diese beschränkt, wird der alarmierte<br />
Notarzt sowie die mitwirkenden Rettungsdienstkräfte auf ein<br />
im Management von kontaminierten und/oder verletzten Personen<br />
trainiertes Personal treffen. Der Betriebsarzt einer solchen Anlage<br />
hat die Ermächtigung im Strahlenschutz zur Untersuchung beruflich<br />
strahlenexponierter Personen und steht entweder vor Ort zur<br />
Verfügung oder kann auf Grund der Alarmpläne rasch mit in das<br />
Geschehen integriert werden. Durch Absprachen der Betreiber der<br />
Kernkraftwerke mit den umliegenden Krankenhäusern ist in der<br />
Regel eine Weiterversorgung von Verletzten auch unter der Vorgabe<br />
„Strahlenunfall“ gewährleistet. Aufgrund der Erfahrungen aus der<br />
Vergangenheit ist jedoch ein Szenario vorstellbar, wo der Notarzt<br />
und die Rettungsdienstkräfte im Rahmen eines vermeintlichen oder<br />
tatsächlichen Großschadensereignisses mit eingebunden werden.<br />
Eine Möglichkeit dazu ist der Einsatz in der Notfallstation oder<br />
deren Umfeld.<br />
Die Notfallstation ist eine optionale Einrichtung zur medizinischen<br />
Sichtung und Erstversorgung von Personen, die von<br />
127
einem Kernkraftwerksunfall direkt betroffen sind. Das heißt,<br />
dass sie sich beim Durchzug der radioaktiven Wolke, die aus<br />
der Anlage freigesetzt wurde, tatsächlich in dem betroffenen<br />
Gebiet aufgehalten haben. Die Mitarbeiter der Notfallstation<br />
sind für die Betreuung von Personen vorgesehen, bei denen der<br />
Verdacht auf eine Strahlenexposition, Kontamination, Inkorporation<br />
oder Verletzung mit radioaktivem Material vorliegt.<br />
Einrichtungen wie Schulen und öffentliche Schwimmbäder, wo<br />
Räumlichkeiten vorhanden sind, die dazu dienen können, eine<br />
größere Menge Menschen innerhalb kurzer Zeit aufzunehmen<br />
und je nach Grad der Kontamination zu separieren, eignen sich<br />
als Notfallstation. Auch sind hier eine große Anzahl von<br />
Waschgelegenheiten und Umkleidemöglichkeiten vorhanden<br />
sowie die Möglichkeit, kurzfristig eine Vielzahl von Personen<br />
witterungsunabhängig zu beherbergen und einen sinnvollen Anund<br />
Abtransport zu gewährleisten. Die Notfallstation dient auch<br />
dazu, ein geordnetes Weiterleiten von Menschenströmen zu<br />
ermöglichen und die Kapazität der Krankenhäuser sinnvoll für<br />
die betroffenen Personen auszunützen, die nach strahlenschutzärztlicher<br />
Begutachtung unter Zuhilfenahme der vorhandenen<br />
messtechnischen Methoden akuter Hilfe bzw. einer<br />
Weiterversorgung durch eine Klinik bedürfen. Die Standorte der<br />
Notfallstationen sind in der Katastrophenschutzplanung der<br />
Bundesländer festgelegt.<br />
Mindestanforderungen für die Notfallstation:<br />
– Ausreichende Entfernung von der kerntechnischen Anlage<br />
– Ausreichende Parkmöglichkeit<br />
– Räumlichkeiten zum vorübergehenden Aufenthalt<br />
– Sanitäre Einrichtungen<br />
– Duschen und Waschgelegenheiten zur Dekontamination<br />
Eine Versorgung von 1.000 Personen innerhalb eines Tages<br />
erscheint realistisch. Bezüglich der personellen Ausstattung der<br />
Notfallstationen obliegt die ärztliche Leitung dem Strahlenschutzarzt.<br />
Die Anzahl weiterer ermächtigter Ärzte richtet sich<br />
nach der Zahl der Betroffenen. Es war vorgesehen, nur im<br />
Strahlenschutz ermächtigte Ärzte in dieser Notfallstation einzusetzen,<br />
wobei länderspezifisch unterschiedlich versucht wird,<br />
hier einen Stamm speziell geschulter Fachärzte auch anderer<br />
Disziplinen, wie Anästhesisten, Unfallchirurgen etc., für diese<br />
Aufgabe auf Abruf vorzuhalten.<br />
4.2.5 Einsatz spezieller militärischer Waffensysteme<br />
Durch den Einsatz von uranhaltigen Geschossen kann es zu<br />
Inkorporationen von Radionukliden kommen, entweder durch<br />
128
direkte Einwirkung oder mittels Inhalation von Stäuben und Aerosolen.<br />
Von einer direkten Gefährdung der Helfer beim Umgang<br />
mit betroffenen Personen kann nicht ausgegangen werden.<br />
4.2.6 Kriminelle/terroristische Aktivitäten<br />
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands und des Zerfalls der<br />
ehemaligen UdSSR ist es mehrfach zu Vorgängen gekommen, die<br />
unter dem Schlagwort „Vagabundierende Quellen“ medienwirksam<br />
geworden sind. Beim Versuch, umschlossene radioaktive<br />
Quellen (z. B. Materialprüfungsquellen mit Cäsium-137 oder<br />
Kobalt-60) illegal in Deutschland zu verkaufen, wurden diese teilweise<br />
ohne Abschirmbehälter am Körper über mehrere Stunden<br />
transportiert und später auch Privatpersonen angeboten. Sobald<br />
die Strahlenquelle fachkundig geborgen und keine radioaktiven<br />
Stoffe ausgetreten sind, können eventuell erforderliche medizinische<br />
Maßnahmen an beteiligten Personen ohne Bedenken vom<br />
Rettungsdienstpersonal vorgenommen werden. Weder Kobalt-60<br />
noch Cäsium-137 sind in der Lage, Aktivierungen durch Kernreaktionen<br />
am Menschen oder nichtbiologischem Material zu<br />
machen, so dass eine von aussen bestrahlte Person nicht selbst<br />
zur Strahlenquelle wird. Terroristische Aktivitäten lassen alle<br />
Möglichkeiten des schädigenden Umgangs mit radioaktiven Stoffen<br />
als möglich erscheinen, wobei der involvierte Arzt sich hier auf<br />
das Fachwissen spezieller Einsatzkräfte verlassen muss.<br />
4.2.7 Militärischer Einsatz von Kernwaffen<br />
Die bewusste Herbeiführung einer solchen Katastrophe ist beim<br />
derzeitigen Stand der politischen Lage Deutschlands mit seinen<br />
direkten und auch weiter entfernten Nachbarstaaten als extrem<br />
unwahrscheinlich anzusehen und bedarf im Rahmen dieses<br />
Leitfadens keiner weiteren Ausführung.<br />
4.3 Allgemeine Grundsätze des Handelns<br />
Die nachbeschriebenen Grundsätze lassen sich teilweise beim<br />
Einsatz der Rettungsdienstkräfte, die direkt am Patienten tätig<br />
werden müssen, nur bedingt befolgen:<br />
4.3.1 Abschalten:<br />
Abschalten der Strahlenquelle (Röntgenröhre/Beschleuniger)<br />
oder Rückführung der Strahlenquelle (radioaktiver Stoff in<br />
umschlossener oder offener Form) in einen Abschirmbehälter.<br />
4.3.2 Abstand halten:<br />
Die Intensität der ionisierenden Strahlung nimmt mit zunehmendem<br />
Abstand zur Strahlenquelle ab (bei punktförmiger Gammastrahlenquelle<br />
mit dem Quadrat der Entfernung). Die akku-<br />
129
mulierte Dosis vermindert sich mit zunehmendem Abstand<br />
(Strahlenquellen nie mit der bloßen Hand anfassen; Hilfsmittel<br />
wie Ferngreifer etc. verwenden!).<br />
4.3.3 Aufenthaltsdauer verkürzen:<br />
Die Einsatzzeit bei vorhandener Strahlenexposition sollte so<br />
klein wie nötig sein. Wenn möglich, frühzeitige Ablösung des<br />
Einsatzteams am Unfallort.<br />
4.3.4. Abschirmungen nutzen:<br />
Vorhandene Abschirmungen wie Mauern, Erdwälle etc. sollten<br />
ausgenützt werden, um die Strahlenintensität zu minimieren.<br />
Eventuell sind verletzte Personen im Rahmen einer „Crash-<br />
Rettung“ aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich zu entfernen.<br />
Die Errichtung von Abschirmungen ist aus Zeitgründen in der<br />
Regel nicht praktikabel.<br />
4.3.5 Kontamination vermeiden:<br />
Die Verschmutzung mit radioaktiven Isotopen ist zu vermeiden<br />
bzw. auf ein unumgänglich notwendiges Maß zu reduzieren<br />
(ähnlich überlegtes Handeln wie bei sterilem Arbeiten im OP).<br />
4.3.6 Inkorporation vermeiden:<br />
Die Aufnahme radioaktiver Stoffe über die Atemwege oder<br />
den Gastrointestinaltrakt ist zu vermeiden. Am Einsatzort darf<br />
aus diesem Grund nicht gegessen, getrunken oder geraucht<br />
werden. Die für die Einsatzkräfte der Feuerwehren vorgeschriebene<br />
Schutzausrüstung mit umluftunabhängigem<br />
Atemschutzgerät (Pressluftatmer) sind für den Einsatz des<br />
Arztes und die sonstigen Rettungskräfte in der Regel nicht<br />
geeignet, da fehlende Atemschutztauglichkeit (Untersuchung<br />
nach dem berufsgenossenschaftlicher Grundsatz G26 liegt<br />
nicht vor) und keine persönliche Erfahrung für diesen Fall vorhanden<br />
ist. Einsatzkräfte mit offenen Wunden (Rhagaden,<br />
Ekzeme, Schürfverletzungen) sind, um eine Inkorporation zu<br />
vermeiden, nicht für Strahlenschutzeinsätze geeignet. Verletzungen<br />
während der Arbeitstätigkeit sollen so bald als<br />
möglich einem Strahlenschutzarzt gezeigt werden. Auch<br />
Bagatellverletzungen sollten zum Austausch der betroffenen<br />
Person am Einsatzort führen.<br />
130
4.4 Maßnahmen am Verunfallten<br />
4.4.1 Faustformeln für den Arzt zur Abschätzung der<br />
Strahlenexposition<br />
4.4.1.1 Externe Bestrahlung<br />
Abschätzung der Gamma-Dosisleistung einer externen<br />
Punktquelle:<br />
Eine Aktivität von 4 GBq erzeugt in 1 m Abstand eine Dosisleistung<br />
von ca. 1 mSv/h<br />
Abschätzung der Beta-Dosisleistung einer externen Punktquelle:<br />
Eine Aktivität von 1 MBq erzeugt in 10 cm Abstand eine Dosisleistung<br />
von ca. 1 mSv/h<br />
Im geringen Abstand von der Quelle ist bei gleicher Quellstärke<br />
die Oberflächendosisleistung der Beta-Strahlung etwa 30 mal<br />
so groß, wie die der Gamma-Strahlung<br />
Angaben zum Hauterythem bei Teilkörperbestrahlung:<br />
Das Hauterythem ist ein nicht geeigneter Indikator im akuten<br />
Unfallgeschehen. Ein Erythem tritt bei Hautdosen über 3–5 Gy<br />
auf. Der zeitliche Verlauf ist sinusförmig. Das erste Auftreten wird<br />
einige Stunden nach der Bestrahlung sichtbar mit einem<br />
Maximum nach etwa 24 Stunden. Die Erscheinung ebbt im Laufe<br />
von zwei bis maximal 60 Tagen ab. Die zweite Hauptwelle<br />
beginnt, je nach Dosis, nach etwa 8 Tagen, und die Rötung geht<br />
innerhalb von Wochen in eine Hyperpigmentierung (bis zu möglichen<br />
Nekrosen) über. Die Intensität und die Dauer der<br />
Pigmentierung ist von der akkumulierten Strahlendosis abhängig.<br />
Nach Dosen von 10 Gy bleibt sie über mehrere Wochen<br />
sichtbar.<br />
4.4.1.2 Kontamination<br />
Abschätzung der Beta-/Gamma-Hautdosisleistung bei Kontamination:<br />
Eine Flächenkontamination von 1 Bq/cm 2 eines Beta-/Gamma-<br />
Strahlers ruft eine Beta-Hautdosisleistung von 1 µSv/h hervor.<br />
Die Gamma-Hautdosisleistung beträgt dabei etwa Einhundertstel<br />
dieses Wertes, d. h. 0,01 µSv/h<br />
1 Curie (alte Einheit) entspricht 3,7 x 10 10 Becquerel<br />
131
Richtwerte für Maßnahmen bei Kontaminationen der Haut (SSK<br />
Band 27, S. 299 und SSK Band 4 [1995] S. 16)<br />
Stufe I II III IV V<br />
Kontamination<br />
(kBq/cm 2 ) < 0,04 0,04–0,4 0,4–4 4–40 > 40<br />
Dosisleistung in < 0,1 < 0,1–0,4 0,4–4 4–40 > 40<br />
1 m Abstand 1)<br />
(µSv/h)<br />
Zählrate von ≤ 1.500 ≤ 20 20 –200 200 – 2.000 3) > 2.000 3)<br />
Kontaminations- (nicht<br />
messgeräten 2) in abgedeckt,<br />
1 m Abstand nah)<br />
(abgedeckt, Ips)<br />
Dekontaminations- nicht zu erwägen empfohlen erforderlich vorrangig<br />
maßnahmen: erforderlich erforderlich<br />
β-Hautdosis < 1 < 10 10 –100 100 –1.000 > 1.000<br />
(mSv in 24 h)<br />
γ-Dosis für < 0,02 < 0,2 0,2 – 2 2 – 20 > 20<br />
Knochenmark 4)<br />
(mSv in 24 h)<br />
1) Werte basierend auf ΓΗ = 140 (fSv/h) / (Bq/m 2 ), 1 fSv/h = 10 15 Sv/h<br />
2) gemessen für Dosisleistung der darüberliegenden Zeile; gilt<br />
grob für Contamat (Butan), Minicont und Automess AD-K<br />
3) Messbereichsgrenze bei Contamat 2.000, bei Minicont<br />
10.000 und bei AD-K 20.000 Ips<br />
4) berechnet mit Dosisleistungsfaktoren nach Henrichs et al.:<br />
Dosisfaktoren für die Kontamination der Haut und Kleidung,<br />
GSF-Bericht /85, November 1985<br />
Dekontamination am Unfallort:<br />
Alle denkbaren Dekontaminationsmaßnahmen am Unfallort sind nur<br />
dann durchführbar, wenn der Zustand des Verletzten dies zulässt.<br />
Falls es zu einer Kontamination des Verunfallten mit radioaktiven<br />
Stoffen gekommen ist, sollte eine Verringerung der Kontamination<br />
durch Entkleiden (Kleidung in einen als radioaktiven Abfall gekennzeichneten<br />
Behälter zum Zweck der späteren messtechnischen<br />
Auswertung geben) auf einem provisorischen Dekontaminationsplatz<br />
innerhalb der Absperrung erreicht werden. An Ersatzkleidung<br />
und ausreichenden Wärmeschutz ist zu denken. Kontaminierte<br />
Körperteile sind unter fließendem Wasser abzuwaschen oder falls<br />
nicht möglich, wenigstens mit feuchten Tüchern abzuwischen.<br />
Dabei ist zu beachten, dass die Kontamination nicht auf andere<br />
Körperteile verschleppt wird und das Waschwasser aufgesammelt<br />
werden sollte. Bei beginnender Hautrötung alle weiteren Dekontaminationsmaßnahmen<br />
einstellen (Weiterbehandlung in Klinik oder<br />
RSZ durch spezielle Maßnahmen).<br />
132
Achtung:<br />
Bei Dekontaminationsmaßnahmen im Bereich des Kopfes besteht<br />
immer Inkorporationsgefahr, deshalb möglichst Anlegen<br />
eines Mund- und Nasenschutzes für den Verunfallten sowie<br />
eventuell Verschließen des äußeren Gehörganges mittels wasserabweisender<br />
Tamponade. Kein kontaminiertes Wasser in die<br />
Augen gelangen lassen. Die Dekontamination von Mund, Nase<br />
und/oder Ohren muss nach der Vorstellung der Deutschen<br />
Strahlenschutzkommission von einem HNO-Arzt durchgeführt<br />
werden. Ein Rachenraumabstrich sowie eine Sch<strong>neu</strong>zprobe aus<br />
der Nase wegen späterer Ausmessung bei Verdacht auf<br />
Inkorporationsgefahr sind abzunehmen (sofern der Zustand der<br />
Verunfallten dies erlaubt!).<br />
Kontaminierte Wunden, Besonderheiten der Ersten Hilfe:<br />
Kleine, kontaminationsverdächtige Wunden an den Extremitäten<br />
durch Anlegen einer venösen Stauung dem Prozess einer<br />
„Eigendekontamination“ unterziehen und/oder mit steriler 0,9<br />
%iger Kochsalzlösung spülen. Ansonsten Wunden, wie im<br />
Rettungsdienst üblich, akut versorgen und steril abdecken. Die<br />
Primärversorgung einschließlich Anästhesie und Intubation entspricht<br />
dem sonst üblichen Standard. Es gibt keine spezifische<br />
aus Strahlenschutzüberlegungen heraus resultierende Änderung<br />
der Ablaufschemata bei lebensrettenden Maßnahmen.<br />
4.4.1.3 Inkorporation<br />
Die Abschätzung der Inkorporationsdosis ist unter Unfallbedingungen<br />
ohne nähere messtechnische Angaben (Ganzkörperzähler,<br />
Teilkörperzähler, Ausscheidungsanalysen) nicht möglich<br />
und sollte speziellen Zentren vorbehalten bleiben. Allenfalls ist<br />
bei bekanntem Gesamtinventar des radioaktiven Stoffes im Vergleich<br />
zum Jahresaktivitätszufuhrwert (JAZ-Wert) der alten<br />
Strahlenschutzverordnung von 1989 eine grobe Orientierung<br />
möglich.<br />
Abnahme von Blut für Chromosomenaberrationsanalyse:<br />
Es sollte grundsätzlich bei jedem Strahlenunfall, bei dem zu vermuten<br />
ist, dass eine hohe Dosisbelastung des Verunfallten aufgetreten<br />
ist, Blut (jeweils 20 ml) für eine eventuelle Chromosomenanalyse<br />
zum Zweck der biologischen Dosimetrie bzw.<br />
HLA-Typisierung wegen eventuell später notwendiger Knochenmarkstransplantation<br />
abgenommen werden. Dies sollte noch<br />
am Unfallort (bei sehr hohen Strahlenexpositionen) oder bei<br />
Aufnahme in der Klinik im Laufe der ersten Stunden erfolgen,<br />
um eine genügende Anzahl noch zur Teilung stimulierbarer<br />
133
Lymphozyten zu erhalten. Für einen Massenanfall von Betroffenen<br />
ist diese in der Auswertung zeitintensive Methode nicht<br />
geeignet. Ebenso nicht für verabreichte effektive Dosen von<br />
weniger als 100 mSv.<br />
Technik der Blutabnahme:<br />
Abnahme von 20 ml peripheren Blutes mittels steriler Spritze,<br />
die etwa 1 bis 2 ml Heparin enthalten muss.<br />
Heparinisiertes Blut sofort (ohne Kühlung) nach telefonischer<br />
Voranmeldung in ein dementsprechendes Zentrum<br />
zur Anfertigung der Chromosomenaberrationsanalyse bringen<br />
lassen (aktuelle Adresse über das zuständige Regionale<br />
Strahlenschutzzentrum [RSZ] erfragen !).<br />
Bezüglich wichtiger Zusatzinformationen über die stattgehabte<br />
Exposition, Strahlenart usw. muss ein kompetenter Ansprechpartner<br />
dem Zentrum, das die biologische Dosimetrie durchführt,<br />
zumindest telefonisch, zur Verfügung stehen.<br />
4.5 Übergabe der verunfallten Person<br />
Theoretisch übergeben an der Absperrgrenze die Feuerwehreinsatzkräfte<br />
bzw. sonstiges Fachpersonal den Patienten an den<br />
Rettungsdienst. Dieses Szenario bleibt die Ausnahme, da, wie<br />
konventionelle Verkehrsunfälle zeigen, ein Eingreifen des Notarztes<br />
und des Rettungsdienstpersonals in der Regel vor Ort<br />
notwendig ist (unter Beachtung eines vernünftigen Selbstschutzes).<br />
4.6 Transport kontaminationsverdächtiger Personen<br />
Vor Verlassen der strahlengefährdeten Einsatzstelle (Gefahrenbereich)<br />
sollte das Rettungsdienstpersonal, das innerhalb<br />
der Absperrgrenze tätig war und den Patienten medizinisch versorgt<br />
und transportiert hat, die Oberbekleidung, Füßlinge<br />
und/oder zumindest die Handschuhe wechseln. Die zuständige<br />
Behörde hat später über den Verbleib kontaminierter<br />
Gegenstände und Stoffe, die zunächst innerhalb des Gefahrenbereichs<br />
gesammelt werden, zu entscheiden.<br />
Wird dem Rettungsdienst der Verunfallte an der Absperrgrenze<br />
übergeben, so sollte er dort umgebettet werden, z. B. von der<br />
Schaufeltrage auf die normale Transporttrage, die mit im Einsatzfahrzeug<br />
vorhandenen Decken ausgelegt ist. Sofern personell<br />
möglich, sollten zwei Teams tätig werden, eines, das nur<br />
innerhalb der Absperrgrenze tätig ist und ein zweites, das den<br />
Verunfallten an der Absperrung übernimmt.<br />
Kontaminierte Personen getrennt von sonstigen Personen befördern!<br />
Den transportfähigen Patienten abdecken (Achtung Wärmestau!),<br />
um eine Verschleppung der eventuell nicht festhaftenden<br />
134
Kontamination zu verringern. Nach Einladen in das Fahrzeug nochmals<br />
Handschuhwechsel des Rettungsdienstpersonals. Man muss<br />
sich klar darüber sein, dass das Fahrzeuginnere und die zum Einsatz<br />
kommenden Gegenstände nicht sicher vor Kontamination geschützt<br />
werden können. Nach Rücksprache mit der Rettungsleitstelle ist ein<br />
Krankenhaus oder RSZ mit strahlenmedizinischer Behandlungsmöglichkeit<br />
als Zielpunkt vorzuziehen. Die Rettungsleitstelle hat die<br />
Einlieferung radioaktiv kontaminierter Personen dem Zielkrankenhaus<br />
mitzuteilen, um dort den benötigten Vorlauf für strahlenschutzmäßige<br />
Vorkehrungen nicht zu verzögern. Bei Ankunft im<br />
Krankenhaus oder RSZ ist dem Aufnahmeteam die Tatsache oder<br />
Vermutung der radioaktiven Kontamination bzw. Inkorporation mitzuteilen.<br />
Der erstversorgende Notarzt und das beteiligte Rettungsdienstpersonal<br />
sollten in der Anfangsphase der klinischen Versorgung<br />
mit involviert sein, um auf die <strong>neu</strong> hinzugekommenen<br />
Kollegen/innen in dieser emotional belastenden Situation eines<br />
„exotischen“ Einsatzgeschehens motivierend einwirken zu können.<br />
4.7 Maßnahmen nach dem Transport<br />
Beteiligtes Rettungsdienstpersonal, Einsatzfahrzeuge und<br />
Gerätschaften sind einer Kontaminationskontrolle zu unterziehen<br />
(Strahlenschutzphysiker, sonstige fachkundige Person) und,<br />
soweit erforderlich, zu dekontaminieren. Das weitere Vorgehen<br />
entscheidet die zuständige Behörde. Ausgegebene Personendosimeter<br />
sind sicherzustellen und zur sofortigen Auswertung<br />
(betrifft nur amtliche Dosimeter) an die entsprechende Auswertungsstelle<br />
des Bundeslandes zu schicken mit der Bitte um<br />
Eilauswertung. Auf Grund der Seltenheit von Strahlenunfällen ist<br />
es vertretbar, die betroffenen Personen des Rettungsdienstes<br />
einem ermächtigten Arzt im Strahlenschutz baldmöglichst vorzustellen.<br />
Ist zu befürchten, dass sie in Anlehnung an die Strahlenschutzverordnung<br />
für beruflich strahlenexponierte Personen<br />
mehr als 50 mSv effektive Dosis erhalten haben (StrlSchV § 63:<br />
Besondere arbeitsmedizinische Vorsorge), ist diese Untersuchung<br />
unverzüglich durchzuführen. Die in Bayern gültige<br />
„Richtlinie für den Einsatz des Rettungsdienstes an strahlengefährdeten<br />
Einsatzstellen und für den Transport radioaktiv kontaminierter<br />
Personen“ sieht dies schon ab 15 mSv effektive Dosis<br />
vor. Bei Verdacht auf Inkorporation immer einen ermächtigten<br />
Arzt im Strahlenschutz in das weitere Prozedere mit einbeziehen.<br />
Ebenso kann die zuständige Behörde ein solches Eingreifen<br />
bestimmen. Inwieweit eine Ganzkörpermessung durch<br />
entsprechend kalibrierte Messanlagen oder das Sammeln von<br />
Stuhl und Urin über mehrere Tage zum Zwecke der Ausscheidungsanalyse<br />
sinnvoll ist, entscheidet der ermächtigte Arzt und<br />
letztlich die zuständige Behörde (gleiches gilt für die biologische<br />
135
Dosimetrie, z. B. Chromosomenaberrationsanalyse). Alle beteiligten<br />
Rettungsdienstkräfte sollten namentlich vermerkt, und<br />
diese Liste mit den gesammelten Daten mindestens 30 Jahre<br />
aufgehoben werden.<br />
4.8 Situation im Krankenhaus<br />
Im Krankenhaus ist die Anwesenheit eines Strahlenschutzarztes<br />
im Team der behandelnden Ärzte sinnvoll. Das nächstgelegene<br />
Regionale Strahlenschutzzentrum sollte, sofern nicht schon von<br />
Anfang an passiert, in das weitere Prozedere mit eingebunden<br />
werden und Beratungspersonal abstellen, um eine möglichst optimale<br />
Versorgung bei der Behandlung des Verunfallten zu gewährleisten.<br />
Dekorporierungsmaßnahmen werden frühestens in<br />
der Klinik beginnen können, da hier auch die entsprechende<br />
Labordiagnostik zur Verfügung steht. In den ersten Tagen der<br />
Versorgung wird die Entscheidung über das weitere Vorgehen<br />
durch sogenannte Sequentialdiagnostik, d. h. die Feststellung des<br />
klinischen Verlaufs der Reaktion des Patienten auf die stattgefundene<br />
Bestrahlung möglich. Diese gesammelten Daten können mit<br />
dem vorhandenen Datenmaterial aus Unfallereignissen in der<br />
Datenbank des WHO-Kollaborationszentrums für Strahlenunfallmanagement<br />
der Universität Ulm verglichen werden. Anhand der<br />
Schweregradeinteilung des individuellen Strahlenschadens werden<br />
Aussagen über das bestmögliche weitere therapeutische<br />
Vorgehen sowie die prognostische Entwicklung ermöglicht.<br />
5. Anhang<br />
5.1 Definitionen<br />
Umschlossene radioaktive Stoffe:<br />
radioaktive Stoffe, die von einer festen inaktiven Hülle umschlossen<br />
sind (üblicherweise eine Edelstahlkapsel mit einer<br />
Abmessung von mind. 0,2 cm) oder in festen inaktiven Stoffen<br />
ständig so eingebettet sind, dass ein Austritt verhindert wird.<br />
(modifiziert nach der Strahlenschutzverordnung vom August 2001,<br />
Anlage 1)<br />
Offene radioaktive Stoffe:<br />
alle mit Ausnahme der umschlossenen<br />
Dosis, effektive:<br />
Effektive risikogewichtete Dosisangabe für den Menschen, wird<br />
in der Einheit mSv oder µSv angegeben. Alte entsprechende<br />
Einheit ist das rem: 1 rem = 10 mSv<br />
136
Ortsdosisleistung:<br />
Sie wird in Einheit mSv/h oder µSv/h usw. angegeben.<br />
Messgeräte der Feuerwehr zeigen in dieser Einheit an. Es gibt<br />
für diese Geräte jedoch auch Außensonden für den Alpha- bzw.<br />
Beta-Strahlennachweis, die in Impulsen/sec. anzeigen. Die<br />
Angabe Impulse pro Zeiteinheit bedarf der Interpretation.<br />
Aktivität:<br />
1 Becquerel (Bq) = 1 Zerfall pro Sekunde (Einheit der Aktivität)<br />
5.2 Regionale Strahlenschutzzentren (RSZ)<br />
Bei schweren Strahlenunfällen kann die Spezialstation für<br />
Strahlengeschädigte der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik<br />
Ludwigshafen ( ) nach Vermittlung durch die Regionalen<br />
Strahlenschutzzentren in Anspruch genommen werden.<br />
137
Adressen:<br />
Allg. Krankenhaus St. Georg – Abt. Nuklearmedizin<br />
Lohmühlenstr. 5<br />
20099 Hamburg<br />
Tel.: 040/2890-2371 (-2256*)<br />
Medizinische Hochschule – Abt. Nuklearmedizin/Biophysik<br />
Carl-Neuberg-Str. 1<br />
30625 Hannover<br />
Tel.: 0511/532-3197<br />
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf<br />
Nuklearmedizinische Klinik<br />
Leo-Brandt-Strasse<br />
52428 Jülich<br />
Tel.: 02461/61-5763<br />
Universitätskliniken des Saarlandes – Abt. für Nuklearmedizin<br />
Gebäude 50<br />
66421 Homburg/Saar<br />
Tel.: 06841/16-2201 (-3305*)<br />
Forschungszentrum Karlsruhe<br />
Medizinische Abteilung<br />
Hermann-von-Helmholtz-Platz 1<br />
76344 Karlsruhe<br />
Tel.: 07247/82-3333<br />
Städtisches Krankenhaus Schwabing<br />
Institut für Medizinische Physik<br />
Kölner Platz 1<br />
80804 München<br />
Tel.: 089/3068-2541 (-0*)<br />
Uniklinikum Greifswald<br />
Klinik für Nuklearmedizin<br />
Fleischmannstr. 42 – 44<br />
17487 Greifswald<br />
Tel.: 03834/86-6975<br />
Universitätsklinikum Benjamin Franklin<br />
Abt. für Nuklearmedizin<br />
Hindenburgdamm 30<br />
12200 Berlin<br />
Tel.: 030/8445-2171 (-3992*)<br />
138
Universitätsklinikum „Carl Gustav Carus“ der TU Dresden<br />
Klinik für Nuklearmedizin<br />
Fetscherstr. 74<br />
01307 Dresden<br />
Tel.: 0351/458-2226<br />
Universität Würzburg<br />
Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin<br />
Luitpoldkrankenhaus Bau 9<br />
Josef-Schneider-Str. 2<br />
97080 Würzburg<br />
Tel.: 0931/201-5877<br />
GSF-Forschungszentrum<br />
Institut für Strahlenschutz<br />
Ingolstädter Landstr. 1<br />
85764 Neuherberg<br />
Tel.: 089/3187-333<br />
Berufsgenossenschaftliche Klinik<br />
Ludwigshafen-Oggersheim<br />
(nur nach Vermittlung über ein RSZ)<br />
* außerhalb der üblichen Dienstzeit<br />
Beachte:<br />
Das System der RSZ dient in erster Linie der Versorgung von<br />
Personen im Rahmen betrieblicher Strahlenunfälle und ist nicht<br />
primär Teil der staatlichen Vorsorgemaßnahmen für den<br />
Katastrophenfall.<br />
5.3 Jodprophylaxe<br />
Beim Betrieb von Kernreaktoren werden neben einer Vielzahl von<br />
Spaltprodukten radioaktive Jodisotope erzeugt. Im Unfallgeschehen<br />
kann es unter ungünstigen Bedingungen zur Abgabe<br />
von radioaktivem Jod in die Umgebung kommen. Über die Lungen<br />
wird radioaktives Jod fast vollständig resorbiert. Als Niederschlag<br />
auf Böden und Pflanzen kann es über die Nahrungskette,<br />
insbesondere die Milch, ebenso in den menschlichen Körper<br />
gelangen. Hauptspeicherorgan ist die Schilddrüse. Das Ausmaß<br />
der Speicherung von radioaktivem Jod hängt vom Funktions-<br />
139
zustand des Organs und vom natürlichen Jodangebot in der<br />
Nahrung ab. Auf Grund der Jodmangelsituation in bestimmten<br />
Teilen Deutschlands muss mit einer massiven Speicherung des<br />
resorbierten radioaktiven Jods (für Euthyreote) gerechnet werden.<br />
Die Abgabe der Jod-Tabletten (nichtradioaktives Jod) als Möglichkeit<br />
der Reduzierung der Aufnahme von radioaktivem Jod<br />
erfolgt auf behördliche Anordnung. Der Fetus nimmt ab der<br />
13. Schwangerschaftswoche Jod in die Schilddrüse auf. Ab<br />
dem 6. bis 9. Schwangerschaftsmonat ist die fetale Schilddrüse<br />
in der Lage, erhebliche Mengen Jod zu speichern. Radioaktives<br />
Jod wird beim Erwachsenen nach Blockade der Schilddrüse mit<br />
stabilem Jod mit einer Halbwertszeit von 6 Stunden über die<br />
Nieren ausgeschieden. Am günstigsten erfolgt die Aufnahme<br />
des stabilen Jods vor Inkorporation des radioaktiven Isotops.<br />
Vom Zeitpunkt der Inhalation radioaktiven Jods bis etwa 8 Stunden<br />
später erscheint die Verabreichung nichtradioaktiven Jods<br />
sinnvoll. Im Regelfall ist eine einmalige Einnahme der Jodtabletten<br />
ausreichend (Ausnahme: behördliche Anordnung)<br />
Empfohlenes Dosierungsschema:<br />
(Tabletten sind nach Anleitung in Flüssigkeit aufzulösen)<br />
Personengruppe:<br />
13 bis 45 Jahre, auch Schwangere und Stillende:<br />
Einmalig 1 Tablette 130 mg Kaliumjodid<br />
Alter von 3 – 12 Jahren:<br />
Einmalig 1/2 Tablette<br />
Alter vom 1. – 36. Lebensmonat:<br />
Einmalig 1/4 Tablette<br />
Neugeborene (bis zum 1. Lebensmonat):<br />
Einmalig 1/8 Tablette<br />
Mögliche gesundheitliche Risiken der Jod-Blockade:<br />
– Überempfindlichkeit (Jodallergie)<br />
– Induktion einer Hypothyreose nach Wochen bis Monaten<br />
– Hyperthyreose (bei vorbestehender funktioneller Autonomie)<br />
Kontraindikation für die Jodprophylaxe:<br />
– Dermatitis herpetiformis Duhring<br />
– Echte Jodallergie<br />
Erwachsene über 45 Jahre sollten keine Jodtabletten einnehmen<br />
wegen des Risikos schwerwiegender Schilddrüsenerkrankungen.<br />
140
Möglichkeiten der Schilddrüsenblockade durch andere Medikation:<br />
alternativ:<br />
– Natrium-Perchlorat (Irenat ® ) (1. Tag) 60 Tropfen, dann alle 6<br />
Stunden 15 Tropfen über 7 Tage.<br />
6. Internet Adressen – Stand: 04 / 2002<br />
Anbieter www-Adresse<br />
Verbände und Behörden<br />
Vereinigung deutscher Strahlenschutz- ..........www.strahlenschutz.<br />
ärzte (VDSÄ) org.<br />
Internationale Atomenergiebehörde IAEA ......www.iaea.org<br />
International Radiation<br />
Protection Association ..............................http://irpa.<br />
sfrp.asso.fr/<br />
Bundesamt für Strahlenschutz (D) ............www.bfs.de<br />
Fachverband für Strahlenschutz ................www.fs.fzk.de<br />
Bundesverwaltungsamt – ..........................www.bundesverwal-<br />
Zentralstelle für Zivilschutz tungsamt.de<br />
Bayerisches Staatsministerium für ............www.bayern.de/<br />
Landesentwicklung und Umweltfragen STMLU/strahlen/<br />
Hauptabteilung für die Sicherheit ..............www.hsk.psi.ch<br />
der Kernanlagen (CH)<br />
Nationale Alarmzentrale (CH) ....................www.naz.ch<br />
Strahlenschutzkommissionen<br />
Strahlenschutzkommission SSK (D) ..........www.ssk.de<br />
Eidgenössische Kommission für ................www.hsk.psi.ch/<br />
Strahlenschutz (CH) eks.html<br />
International Commission on ....................www.icrp.org/<br />
Radiological Protection<br />
Forschungszentren und -institute<br />
GRS Gesellschaft für Anlagen und ............www.grs.de<br />
Reaktorsicherheit mbH<br />
GSF-Forschungszentrum für Umwelt ........www.gsf.de<br />
und Gesundheit Neuherberg (D)<br />
Forschungszentrum Karlsruhe (D)..............www.fzk.de/hs/<br />
Hahn-Meitner-Institut (D)............................www.hmi.de/strahlenschutz/<br />
Paul Scherrer Institut (CH)..........................www.psi.ch/<br />
www_ash_hn/<br />
ash_home.html<br />
141
Forschungszentrum Seibersdorf (A) ..........www.arcs.ac.at/<br />
fzs/bereiche/<br />
_l/radi_d.html<br />
Radiation Effects Research Foundation ....www.rerf.or.jp/eigo/<br />
(J + USA) experhp/<br />
rerfhome.htm<br />
Viele weitere interessante Internetadressen finden sich auf der<br />
Homepage der GRS (www.grs.de) unter: Interessantes, „Links<br />
zu www-Adressen“<br />
7. Literatur<br />
1. Bayer, A. [Anleitung,1998]: Landwirtschaft, Umwelt und<br />
Kerntechnik: Was tun im Fall eines Unfalls?, Bundesamt für<br />
Strahlenschutz, Fachbereich Strahlenhygiene, Institut für<br />
Strahlenhygiene, Neuherberg: ISH-IB-8, September 1998<br />
2. Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik<br />
[Handbuch 1999]: Handbuch für Regionale Strahlenschutzzentren,<br />
Köln: Institut für Strahlenschutz, 1999<br />
3. Bundesamt für Zivilschutz [Empfehlungen,1998]: Empfehlungen<br />
für die Betreuungseinheit bei der Dekontamination<br />
von Personen. Merkblatt der Akademie für Notfallplanung<br />
und Zivilschutz, Bundesamt für Zivilschutz. Bad Neuenahr-<br />
Ahrweiler: Bundesamt für Zivilschutz, 1998<br />
4. Court, L. A.; Lallemand, J. [Bericht,1995]: L’accident radiologique,<br />
L’homme blessé, Grenoble (France): 10–12 avril<br />
1995<br />
5. Feuerwehr-Dienstvorschrift 9/1 [Dienstvorschrift, 1992]:<br />
Strahlenschutz – Rahmenvorschriften – FwDV 9/1, 1992<br />
6. Grunst, M. [Leitfaden, 1995]: Leitfaden für den Fachberater<br />
Strahlenschutz der Katastrophenschutzleitung bei kerntechnischen<br />
Notfällen. Im Anh.: Radiologische Grundlagen für<br />
Entscheidungen über Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung<br />
bei unfallbedingten Freisetzungen von Radionukliden<br />
[u.a.]. 2. Überarb. Aufl. (Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission,<br />
Bd. 13), G. Fischer, Stuttgart, Jena, New<br />
York, 1995, ISBN 3-437-11639-8<br />
7. Grunst, M. [SSK, 1994]: Strahlenschutzüberlegungen zum<br />
Messen und Bergen von radioaktiven Satellitenbruchstücken,<br />
(Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission,<br />
Band 26), Gustav Fischer, Stuttgart, Jena, New York,<br />
1994, ISBN 3-437-11629-0<br />
142
8. Gumprecht, D.; Hähnel, S. [SSK ,1996]: Der Strahlenunfall,<br />
(Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission, Band<br />
32), Gustav Fischer, Stuttgart, Jena, Lübeck, Ulm, 1996,<br />
ISBN-3-437-25208-9<br />
9. IAEA [Document 1996]: Assessment and treatment of external<br />
and internal radionuclide<br />
contamination, Viena: IAEA-TECDOC-869, April 1996<br />
10. IAEA [Document 1988]: Medical Handling of Accidentally<br />
exposed individuals, Vienna:<br />
International Atomic Energy Agency, 1988<br />
11. International Institute for Scientific Co-operation Schloss<br />
Reisensburg [Reisensburg meeting, 1996]: Medical Aspects of<br />
Radiation Accident management, Günzburg: 26 February –<br />
March 1996<br />
12. Mettler, F. A.; Upton, A. C. [Radiation-medicine, 1995]:<br />
Medical Effects of Ionizing Radiation, Philadelphia, London,Toronto,<br />
1995, ISBN 0-7216-6646-9<br />
13. Oehler, H.; Schulz, N. [Anleitung, 1999]: Rettungsdienst in<br />
Bayern, Muenchen: Kohlhammer, Januar 1999<br />
14. Reinöhl-Kompa, S. [Veröffentlichung, 1994]: Medizinische<br />
Maßnahmen bei Strahlenunfällen, (Veröffentlichungen der<br />
Strahlenschutzkommission, Band 27), G. Fischer, Stuttgart,<br />
Jena, New York, 1994, ISBN 3-437-11633-9<br />
15. Strahlenschutzkommission beim Bundesministerium für<br />
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Durchführung<br />
der Jodblockade der Schilddrüse bei kerntechnischen Unfällen.<br />
Stellungnahme der Strahlenschutzkommission. Verabschiedet<br />
in der 140. Sitzung am 17.11.1997, veröffentlicht<br />
in Band 41 der Veröffentlichungen der SSK.<br />
16. Strahlenschutzkommission (SSK): Fachgespräch zur Jodblockade<br />
der Schilddrüse bei kerntechnischen Unfällen.<br />
13./14. Dezember 2001 (175. Sitzung)<br />
143
12. Management von Gefahrgutunfällen<br />
und Massenvergiftungen<br />
Th. Zilker, N. Felgenhauer, R. Spörri<br />
1. Charakterisierung von Gefahrstoffunfällen<br />
Gemäß einer Definition von der WHO handelt es sich bei einem<br />
Gefahrstoffunfall um ein Unfallereignis, bei dem durch das Freiwerden<br />
einer oder mehrerer toxischer Substanzen eine Gefahr<br />
für Mensch und/oder Umwelt entsteht.<br />
Im Vergleich zu anderen Großschadensereignissen zeigen<br />
Gefahrstoffunfälle einige Besonderheiten. Werden gefährliche<br />
Chemikalien freigesetzt, so können sich diese rasch ausbreiten<br />
und schnell zu einem Massenanfall von exponierten und vergifteten<br />
Personen führen. Charakteristischerweise bildet sich um<br />
das Unfallgeschehen eine toxische Gefahrenzone aus, die nur<br />
mit bestimmten Schutzmaßnahmen begangen werden darf, so<br />
dass die Handlungsfähigkeit der Rettungskräfte dadurch wesentlich<br />
eingeschränkt wird. Erschwerend kommt hinzu, dass<br />
bei manchen Chemieunfällen die Identität des Gefahrstoffes zunächst<br />
unbekannt ist. Dies gilt für Anlagenunfälle mit der Freisetzung<br />
von unbekannten Stoffen oder komplexen Stoffgemischen,<br />
für außer Kontrolle geratene chemische Reaktionen,<br />
für Lagerbrände mit komplexem bzw. unbekanntem Lagergut,<br />
für Transportunfälle mit unbekanntem oder ungenügend gekennzeichnetem<br />
Gefahrgut oder für Transportunfälle mit Chemikalien-Mischladungen.<br />
Selbst bei bekanntem Gefahrstoff ist die<br />
Giftwirkung nicht immer sofort bekannt und kann mitunter erst<br />
mit einer gewissen Verzögerung eruiert werden. In manchen<br />
Fällen wie z.B bei den Reizgasen vom Latenztyp kann die<br />
Giftwirkung zunächst auch fehlen. Dies führt häufig zu diagnostischen<br />
Schwierigkeiten, zumal auch das tatsächliche Ausmaß<br />
der Giftexposition häufig nur schwer abzuschätzen ist. Schließlich<br />
müssen für die nicht unmittelbar exponierten Personen am<br />
Rande der toxischen Gefahrenzone das gesundheitliche Risiko<br />
abgeschätzt und die erforderlichen Schutzmaßnahmen getroffen<br />
werden.<br />
Eine Auswertung von 1200 Berichten aus den Jahren 1920 bis<br />
1988 über Schadensereignisse im Bereich der Chemischen<br />
Industrie ergab, dass die Explosion mit 46% die weitaus häufigste<br />
Unfallart darstellte. Eine Leckage wurde in 34% und Brände wurden<br />
in 13% beobachtet. Bei den freigesetzten Substanzen handel-<br />
144
te es sich in 54% der Gefahrstoffunfälle um Gase, in 16% um<br />
Feststoffe und in 12% um Lösemittel. Tabelle 1 zeigt die Stoffe<br />
bzw. Stoffgruppen, die bei den oben erwähnten Schadensereignissen<br />
am häufigsten beteiligt waren. An erster Stelle stehen<br />
hierbei die Flüssiggase; dies ist eine Sammelbezeichnung für<br />
Gase, die schon bei geringem Druck und bei Raumtemperatur in<br />
den flüssigen Zustand übergeführt werden können, und deren<br />
häufigste Vertreter Propan und Butan sind. Nach den Flüssiggasen<br />
liegt das Chlor an zweiter Stelle der am häufigsten an Unfällen<br />
beteiligten Stoffe.<br />
Tabelle 1: Anteil der Stoffe bei Gefahrstoffunfällen<br />
Stoff / Stoffgruppe Anteil<br />
Flüssiggas 14%<br />
Chlor 12%<br />
Mineralöle 9%<br />
Erdgas, Methan 8%<br />
Benzine 7%<br />
Ammoniak 4%<br />
Vinylchlorid 4%<br />
Chlorwasserstoff 3%<br />
Wasserstoff 3%<br />
Schwefelsäure 2%<br />
Andere Stoffe 34%<br />
2. Identifikation des Gefahrstoffes<br />
Von entscheidender Bedeutung für das praktische Vorgehen<br />
beim Management von Gefahrstoffunfällen ist die Frage, inwieweit<br />
die frei gewordenen Gefahrstoffe ein gesundheitliches<br />
Risiko darstellen. Voraussetzung für diese Risikobeurteilung ist<br />
zunächst, dass die Identität der freigewordenen Stoffe geklärt<br />
wird. Da diese in 20-25% der Unfallereignisse zunächst unklar<br />
ist, sind bei Gefahrstoffunfällen bestimmte Maßnahmen zur<br />
Identifikation der Gefahrstoffe unerlässlich.<br />
Erste Informationen über die frei gewordenen Stoffe erhält man<br />
in der Regel vom Anlagenbetreiber oder über die in Transportfahrzeugen<br />
mitzuführenden Unfallmerkblätter.<br />
Bei Gefahrguttransporten erhält man weitere Hinweise auch<br />
über die gesetzlich vorgeschriebene Kennzeichnung der Transportmittel.<br />
Diese müssen durch orangefarbene Warntafeln an<br />
Front- und Rückseite korrekt gekennzeichnet sein. Bei Mehr-<br />
145
kammertransporten mit verschiedener Ladung tragen die orangefarbenen<br />
Hinweistafeln an Front- und Rückseite keine Kennzeichnungen,<br />
der Inhalt der einzelnen Kammern ist in diesem<br />
Fall durch Warntafeln an der Seite beschrieben. Zur Kennzeichnung<br />
enthalten die orangefarbenen Warntafeln zwei übereinander<br />
angeordnete Zahlen. Die obere Zahl der Warntafel wird als<br />
sogenannte Kemler-Zahl bezeichnet, die die Hauptgefahren der<br />
Gefahrstoffe beschreibt (Tabelle 2). Die Kennzeichnung mit<br />
Kemler-Zahlen wird als mindestens zweistellige Kombination<br />
vorgenommen. Die untere Zeile der Warntafel trägt die sogenannte<br />
UN-Nummer (= United Nations–Nummer), die das<br />
Gefahrgut identifiziert. Die UN-Nummern sind in entsprechenden<br />
Verzeichnissen aufgelistet. Feuerwehren, Leitstellen und<br />
Giftinformationszentralen verfügen über die jeweils aktuellen<br />
Verzeichnisse.<br />
Tabelle 2: Kemler-Zahlen<br />
2 = Gas entweicht<br />
3 = entzündliche Gase und Flüssigkeiten<br />
4 = entzündliche Feststoffe<br />
5 = brandfördernd<br />
6 = giftig<br />
7 = radioaktiv<br />
8 = ätzend<br />
9= heftige spontane Reaktion<br />
X = gefährliche Reaktion mit Wasser<br />
0 = keine sonstige Gefahr<br />
Gefährliche Arbeitsstoffe sind außerdem durch Gefahrensymbole<br />
gekennzeichnet. Diese Symbole geben darüber Auskunft,<br />
ob der betreffende Stoff giftig, ätzend, gesundheitschädlich,<br />
reizend, explosionsgefährlich, brandfördernd oder leicht<br />
entzündlich ist (Abb. 1).<br />
Bei Brandereignissen sind bei bekanntem Brandgut häufig<br />
Rückschlüsse auf die entstehenden Brandgase möglich. Im Allgemeinen<br />
handelt es sich bei den Brandgasen um ein heterogenes<br />
Substanzgemisch, dessen Zusammensetzung von dem<br />
brennenden Material, von der Temperatur und von der Sauerstoffzufuhr<br />
abhängig ist. Bei normalen Bränden ist insbesondere mit<br />
den 4 Leitstoffen Kohlenmonoxid, Blausäure, Chlorwasserstoff<br />
und Formaldehyd zu rechnen. Bei speziellen Brandereignissen<br />
können in Abhängigkeit vom brennenden Material z.B. auch<br />
Nitrose Gase, Schwefeldioxid, Acrolein, Phosgen, Ammoniak<br />
oder Fluorwasserstoff entstehen (Tabelle 3).<br />
146
Abb.:1: Gefahrensymbole und Gefahrenbezeichnungen<br />
E<br />
Explosionsgefährlich<br />
F +<br />
Hochentzündlich<br />
T +<br />
Sehr giftig<br />
C<br />
Ätzend<br />
O<br />
Brandfördernd<br />
F<br />
Leicht entzündlich<br />
T<br />
Giftig<br />
X i<br />
Reizend<br />
Xn<br />
Gesundheitsschädlich<br />
N<br />
Umweltgefährlich<br />
147
Tabelle 3: Toxisch relevante Brandprodukte<br />
Brandprodukte Brandgut<br />
Kohlenmonoxid bei jedem Brandgut<br />
Cyanwasserstoff Wolle, Seide, Polyacrylnitril<br />
Chlorwasserstoff Polyvinylchlorid (PVC)<br />
Formaldehyd Zellulose, Papier,<br />
Nitrose Gase Nitrocellulose, Polyamide<br />
Schwefeldioxid Natur- und Kunstfasern<br />
Acrolein Fette, Öle, Baumwolle<br />
Isocyanate Polyurethanschaum<br />
Ammoniak Kunstharze, Wolle, Seide, Polyamide<br />
Phosgen Chlorierte Kohlenwasserstoffe<br />
Fluorwasserstoff Teflon<br />
2.1 Fachberatersysteme zur Identifikation des Gefahrstoffes<br />
– Giftinformationszentren (siehe Anhang IV)<br />
– Transport-Unfall-Informations- und Hilfeleistungssystem der<br />
Chemischen Industrie (TUIS) (Tel: 0621-6043333)<br />
– Beratungssystem MEDITOX der Deutschen Rettungsflugwacht<br />
e.V. (DRF) (Tel.: 0711-701070)<br />
2.2 Analysemöglichkeiten bei unbekannten Gefahrstoffen<br />
(siehe auch Anhang III)<br />
– Standardanalytik (flächendeckend bei Feuerwehren verfügbar):<br />
Prüfröhrchen (Standard-Ausrüstung der Feuerwehren)<br />
Simultantest-Sets (parallel angeordnete Prüfröhrchen)<br />
In beschränktem Umfang sind zusätzlich Halbleitersensoren<br />
(HL), Photoionisationsdetektoren (PID) und Elektrochemische<br />
Zellen (ECZ) vorhanden. Über das in Auslieferung befindliche<br />
ABC-Erkundungsfahrzeug des Bundes werden Ionen-Mobilitätsspektrometer<br />
(IMS) und Photoionisationsdetektoren (PID)<br />
für ausgewählte Feuerwehren verfügbar.<br />
– Präzisionsanalytik (regional verfügbar, transportabel): Gaschromatographie-Massenspektroskopie-Analysatoren(GC/MS-Einheit).<br />
Verfügbar bei den Berufsfeuerwehren (BF) Hamburg, Frankfurt,<br />
Mannheim sowie beim Institut der Feuerwehr Sachsen-Anhalt.<br />
Einsatz bei Bränden, bei denen kritische Substanzen betroffen<br />
sind, wie z.B. halogenierte Verbindungen (polychlorierte Biphenyle),<br />
Holzschutzmittel, Pflanzenschutzmittel und Vorratschutzmittel.<br />
148
BF Hamburg: 040-42851-4965 (Lufttransport möglich)<br />
BF Frankfurt/Main 069-21272170<br />
BF Mannheim 0621-81081 (Lufttransport möglich)<br />
IdF Sachsen-Anhalt 0171-4466007<br />
Der Asservierung toxisch relevanter Proben kommt eine besondere<br />
Bedeutung zu. Die dann zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommenen<br />
Messungen haben dann zwar keinen Einfluss<br />
mehr auf das Akutmanagement eines Gefahrstoffunfalls, sie<br />
sind jedoch zur Beurteilung eventuell zu erwartender Langzeitschäden<br />
von großer Bedeutung.<br />
3. Beurteilung der Gefahrstoffexposition<br />
Für die Risikobeurteilung beim Management von Gefahrstoffunfällen<br />
spielt die rasche Identifikation des Gefahrstoffes sicherlich<br />
die entscheidende Rolle. Darüber hinaus ist für eine Abschätzung<br />
der gesundheitlichen Gefährdung aber auch die<br />
Beurteilung der Gefahrstoffexposition von großer Bedeutung.<br />
Hierbei geht es zunächst um die Frage, ob Personen dem Gefahrstoff<br />
überhaupt exponiert waren bzw. wie groß die Anzahl<br />
der möglicherweise exponierten Personen ist. In der Regel ist<br />
bei Gefahrstoffunfällen zunächst immer von einem Massenanfall<br />
von exponierten Personen auszugehen. Dabei ist die Anzahl der<br />
exponierten Personen auch abhängig von der Reichweite der<br />
toxischen Gefahrenzone, deren Bestimmung zu den wesentlichen<br />
Grundprinzipien des Managements von Gefahrstoffunfällen<br />
gehört. Bei der Festlegung der toxischen Gefahrenzone ist<br />
immer zu berücksichtigen, dass deren Reichweite nicht nur von<br />
der Gefahrstoffemission, sondern auch von der Wetterlage und<br />
hier insbesondere von Windrichtung und Windgeschwindigkeit<br />
abhängig ist.<br />
Des Weiteren gilt es zu klären, wie lange die Personen dem<br />
Gefahrstoff exponiert waren, zumal die Gesundheitsgefährdung<br />
eine Funktion von Konzentration und Zeit der Gefahrstoffexposition<br />
ist.<br />
Zur Beurteilung der Gefahrstoffexposition gehört auch die<br />
Frage, in welcher Art und Weise der Gefahrstoff aufgenommen<br />
worden sein kann. Bei Gefahrstoffunfällen spielt die inhalatorische<br />
Giftaufnahme sicherlich die weitaus größte Rolle. Die<br />
Giftstoffe können dabei als Gase, Dämpfe, Aerosole oder bei<br />
Brandrauch auch rußpartikelgebunden aufgenommen werden.<br />
Eine Giftaufnahme über Haut, Augen oder Intestinaltrakt ist<br />
149
ebenfalls möglich, kommt bei Gefahrstoffunfällen jedoch weit<br />
seltener vor. Orale Massenvergiftungen wären z.B. über kontaminiertes<br />
Trinkwasser möglich. In der Mehrzahl der Gefahrstoffunfälle<br />
dürfte eine kombinierte Giftexposition über Atemwege,<br />
Haut und Augen vorliegen.<br />
Für die Interpretation dieser Exposition ist es schließlich auch<br />
wichtig zu wissen, zu welchen Auswirkungen die Gefahrstoffexposition<br />
führen kann. Insbesondere muss festgestellt werden,<br />
ob die Gefahrstoffexposition nur eine Geruchsbelästigung darstellt,<br />
oder ob darüber hinaus auch mit einer Gesundheitsgefährdung<br />
zu rechnen ist. Im Falle einer Reizgasexposition ist mit einer<br />
Reizung der Atemwege zu rechnen, wobei für die Abschätzung<br />
der Gesundheitsgefährdung auch zu berücksichtigen ist, dass die<br />
individuelle Empfindlichkeit recht unterschiedlich sein kann. So<br />
können Personen mit einem Asthma bronchiale oder einer chronisch<br />
obstruktiven Lungenerkrankung bereits bei viel niedrigeren<br />
Giftkonzentrationen symptomatisch werden als dies bei gesunden<br />
Personen der Fall ist. Gut resorbierbare Gifte können systemisch<br />
wirken und z.B. zu einer zentralnervösen Beeinträchtigung führen.<br />
Werden bei einem Gefahrstoffunfall Säuren oder Laugen frei, so<br />
können neben einer Reizung der Atemwege auch Verätzungen an<br />
Haut und an Augen auftreten.<br />
Unabhängig von der Giftwirkung muss bei der Beurteilung der<br />
Gefahrstoffexposition immer auch daran gedacht werden, dass<br />
ein Großteil der Gefahrstoffe nicht nur giftig, sondern auch explosionsfähig<br />
ist, und dass bei allen Rettungsmaßnahmen ein<br />
Funkenschlag unbedingt vermieden werden muss.<br />
4. Medizinische Erstbehandlungsmaßnahmen<br />
In Abhängigkeit vom Unfallereignis sind bestimmte Schutzvorkehrungen<br />
zu treffen, damit das Einsatzpersonal bei seinen<br />
Arbeiten ausreichend geschützt und ein direkter Kontakt mit<br />
dem Gefahrstoff vermieden wird. So kann bei Chemieunfällen<br />
z.B. das Tragen von speziellen Chemikalienschutzanzügen erforderlich<br />
sein, bzw. im Rahmen der Brandbekämpfung kann<br />
der Einsatz von umluftunabhängigen Atemschutzgeräten notwendig<br />
sein. Unzureichend ausgestattetes Personal darf daher<br />
im Gefahrenbereich nicht eingesetzt werden.<br />
Es gehört zum Management von Gefahrstoffunfällen, dass<br />
alle exponierten Personen rasch den notwendigen medizinischen<br />
Erstbehandlungsmaßnahmen zugeführt werden. Hierzu<br />
gehören in laufender Reihenfolge das Entfernen aus dem<br />
150
Gefahrenbereich, das Stabilisieren der Vitalfunktionen, die<br />
Frühdekontamination, die Antidottherapie, der Transport und<br />
die Asservierung.<br />
4.1. Entfernen aus dem Gefahrenbereich<br />
An erster Stelle der Sofortbehandlungsmaßnahmen steht immer<br />
das Entfernen exponierter Personen aus dem toxischen<br />
Gefahrenbereich, wobei zu beachten ist, dass dieser Bereich<br />
nur mit entsprechenden Schutzvorkehrungen betreten werden<br />
darf. Es gibt allerdings auch Situationen, in denen ein sofortiges<br />
Evakuieren nicht unbedingt sinnvoll ist. Erstreckt sich die toxische<br />
Gefahrenzone z.B. über ein Wohngebiet, so empfiehlt es<br />
sich, die betroffenen Personen zunächst in den Häusern in<br />
Sicherheit zu bringen, Türen und Fenster zu schließen sowie<br />
Klima-und Lüftungsanlagen auszuschalten. Auf diese Weise<br />
sind die betroffenen Personen zunächst meist besser geschützt,<br />
als dies bei einem überstürzten, eventuell ungeschützten Evakuieren<br />
durch den toxischen Gefahrenbereich der Fall wäre. Zu<br />
einem späteren Zeitpunkt können die betroffenen Personen<br />
dann unter geordneten und entsprechend geschützten Bedingungen<br />
mit weitaus geringerem Risiko evakuiert werden. Die<br />
Durchführung aller Rettungsmaßnahmen obliegt der technischen<br />
Einsatzleitung. Der Arbeitsbereich der medizinischen<br />
Einsatzkräfte liegt immer außerhalb der toxischen Gefahrenzone.<br />
4.2 Stabilisieren der Vitalparameter<br />
Nach der Rettung aus dem Gefahrenbereich kommen die exponierten<br />
Personen zunächst in den vorher dafür eingerichteten<br />
Behandlungsraum, der sich immer luvseitig der toxischen Gefahrenzone<br />
befinden sollte. Hier findet zunächst die Erstuntersuchung<br />
der exponierten Personen statt mit dem Ziel, eine<br />
eventuelle Akutbedrohung der Vitalfunktionen schnell zu erfassen<br />
und mit den erforderlichen ärztlichen Sofortmaßnahmen<br />
auch behandeln zu können. Absolute Priorität bei allen ärztlichen<br />
Behandlungsmaßnahmen hat die Stabilisierung der<br />
Vitalparameter, d.h. die Sicherung einer ausreichenden Atmungs-<br />
und Kreislauffunktion.<br />
4.3 Erste Dekontamination<br />
Im Anschluss daran werden die notwendigen Maßnahmen der<br />
Dekontamination durchgeführt. Hierzu wird bei den exponierten<br />
Personen die kontaminierte Kleidung entfernt und in speziellen<br />
Schutzbehältern asserviert. Die kontaminierte Haut wird mit<br />
Wasser und Seife gereinigt. Augenverätzungen werden einer<br />
sofortigen Spültherapie mit Wasser oder besser noch mit<br />
151
Ringerlaktatlösung unterzogen. Bei all diesen Maßnahmen ist<br />
darauf zu achten, dass die bei dieser Prozedur beteiligten Einsatzkräfte<br />
mit der entsprechen Schutzausrüstung ausgestattet<br />
sind, um eine sekundäre Kontamination des Personals zu vermeiden.<br />
Zur Durchführung der Dekontamination stehen bei ausgewählten<br />
Feuerwehren Einsatzfahrzeuge „Dekontamination<br />
Personen“ zur Verfügung.<br />
4.4 Antidottherapie und symptomatische Maßnahmen<br />
Nach Beendigung der ersten Dekontamination werden die betroffenen<br />
Personen in Decken gehüllt und in den angrenzenden<br />
Behandlungsabschnitt ausgeschleust. Dort findet dann die weitere<br />
symptomatische und spezifische Therapie statt. Während sich<br />
die symptomatische Therapie an den jeweiligen Beschwerden<br />
der Patienten orientiert, wird die spezifische Therapie mit den<br />
entsprechenden Antidoten durchgeführt. Zur Standardausrüstung<br />
für das Management von Gefahrstoffunfällen gehören die<br />
Antidote Atropin, 4-DMAP, Natriumthiosulfat, Hydroxocobalamin,<br />
Sauerstoff, Glucocorticoide als Dosieraerosol und Toluidinblau.<br />
Atropin ist das Antidot zur Behandlung von Vergiftungen mit<br />
Alkylphosphaten, wozu z. B. auch die Kampfstoffe Tabun, Sarin,<br />
Soman und VX gehören. 4-DMAP und Natriumthiosulfat werden<br />
zur Behandlung der Cyanidvergiftung eingesetzt. Kommt es im<br />
Rahmen einer Brandrauchexposition zu einer Mischvergiftung mit<br />
einem hohen Cyanidanteil, so darf 4-DMAP allerdings nicht verabreicht<br />
werden, da dieses zusammen mit dem im Brandrauch<br />
befindlichen Kohlenmonoxid die Sauerstofftransportkapazität<br />
weiter verschlechtern würde. Für diese Fälle ist zur Behandlung<br />
der Cyanidvergiftung das Hydroxocobalamin vorgesehen. Die<br />
Antidottherapie der Kohlenmonoxidvergiftung besteht in der<br />
Gabe von Sauerstoff, entweder als Sauerstoffinsufflation über<br />
eine Sonde oder mittels endotrachealer Intubation und kontrollierter<br />
Beatmung mit 100% Sauerstoff. Ein Glucocorticoid<br />
Dosieraerosol wird zur Behandlung einer Vergiftung mit einem<br />
Reizgas vom Latenztyp (z.B. Nitrose Gase), benötigt. Toluidinblau<br />
schließlich ist das Antidot zur Reduktionsbehandlung von<br />
Vergiftungen mit methämoglobinbildenden Substanzen wie z.B.<br />
Anilin oder Nitriten. Die oben erwähnten Antidote werden in manchen<br />
Bundesländern für den Massenanfall vorgehalten (Telefonnummern<br />
und Adressen siehe Anhang I). Nach Apothekenbetriebsordnung<br />
sind sämtliche Apotheken gehalten, Antidote zu<br />
bevorraten (siehe Anhang II).<br />
152
In Bayern werden folgende Antidote für Massenvergiftungen<br />
vorgehalten (Tabelle 4)<br />
Tabelle 4: Antidotdepot für Massenvergiftungen<br />
Atropin 1% 40 Amp.<br />
Auxiloson DA ® 200 Stück<br />
4-DMAP 200 Amp.<br />
Natriumthiosulfat 10% 30 Inf.-Fl.<br />
Primatene Mist ® 200 Pack.<br />
Toluidinblau 100 Amp.<br />
Toxogonin ® 200 Amp.<br />
Eine Empfehlung für die Toxikologische Notfallausrüstung im<br />
Individualfall, wie sie von den Notärzten in München vorgehalten<br />
wird, findet sich im Anhang (Anhang IV)<br />
5. Transport<br />
Nach der Versorgung mit den entsprechenden symptomatischen<br />
und spezifischen Maßnahmen wird der Patient zur weiteren<br />
stationären Behandlung in ein Krankenhaus transportiert.<br />
Die Organisation des Transports erfolgt hierbei in enger Kooperation<br />
zwischen dem Leitenden Notarzt und dem Einsatzleiter<br />
Rettungsdienst. Der Leitende Notarzt bestimmt die Transportdringlichkeit<br />
des Patienten, der Einsatzleiter Rettungsdienst<br />
hingegen ist für die Bereitstellung der erforderlichen<br />
Transportmittel sowie für die Bestimmung der Transportziele<br />
zuständig.<br />
6. Asservierung<br />
Zu guter Letzt gehört auch die Asservierung zu den Erstbehandlungsmaßnahmen<br />
bei Gefahrstoffunfällen. Hierbei sollte geeignetes<br />
Material unter Vermeidung weiterer Kontamination zum<br />
Giftnachweis sichergestellt werden. Bei Gefahrstoffunfällen<br />
kommen hierbei in erster Linie Chemikalienreste, Brandrauch,<br />
Luftproben, Löschwasser, Bodenproben und kontaminierte<br />
Kleidung in Frage. Wichtig ist hierbei, dass das asservierte<br />
Material in geeigneten Behältern aufbewahrt wird, um ein<br />
Austreten der Gefahrstoffe und damit eine sekundäre Kontamination<br />
der Umgebung zu vermeiden. Eine quantitative<br />
Untersuchung dieser Asservate ist immer anzustreben, da deren<br />
Analyseergebnisse für die Beurteilung eventueller Spätschäden<br />
153
nicht nur eine medizinische, sondern auch eine rechtliche und<br />
versicherungstechnische Bedeutung haben.<br />
7. Sichtung bei Massenvergiftungen<br />
Eine internationale Einteilung in Dringlichkeitskategorien bei<br />
Massenvergiftungen ist bisher nicht erarbeitet worden. Es<br />
existiert ein sogenannter Poison Severity Score (PSS) [siehe<br />
S. 175 ff sowie S. 274 ff]. Diese Schweregradeinteilung dient<br />
vorwiegend den Giftinformationszentren zur Beurteilung bei<br />
Vergiftungen im Individualfall. (PSS siehe im Anhang VI). Für<br />
den Massenanfall von Vergiftungen werden von uns folgende<br />
Dringlichkeitskategorien in Anlehnung an die üblichen Sichtungskategorien<br />
vorgeschlagen:<br />
Kategorie Dringlichkeit Vergiftung Transportpriorität<br />
der Behandlung<br />
I Erste Dringlichkeit: Bewusstlosigkeit zunächst nicht<br />
Lebensrettende GCS 5 transportfähig nach<br />
Soformaßnahmen Störung der Stabilisierung jedoch<br />
Atmung Transportpriorität I<br />
Cyanose (nicht bei<br />
CO oder HCN)<br />
Kreislaufinsuffizienz<br />
II Zweite Dringlichkeit: Bewusstlosigkeit Transportpriorität I<br />
Versorgung aus GCS 5-10 nach ärztlichen<br />
vitaler Indikation Störung der Sofortmaßnahmen<br />
oder zur Vermeidung Atmung ohne<br />
bleibender Schäden Cyanose, starker<br />
innerhalb 1 Stunden- Husten<br />
grenze nach<br />
Entfernung aus<br />
Giftatmosphäre<br />
III Leichtverletzte Bewusstseinsein- Spättransport<br />
schränkung GCS 10,<br />
Reizerscheinungen an<br />
Haut und Augen,<br />
leichter Husten<br />
IV Abwartende Nicht durch Antidot<br />
Behandlung oder einfache<br />
Soformaßnahmen<br />
behebbarer<br />
Kreislaufstillstand<br />
V Mit Verzögerung Lungenfunktions- nach Antidottherapie<br />
auftretende Schäden störungen vom 24 Std. unter<br />
Latenztyp Beobachtung lassen<br />
154
8. Präventive Maßnahmen<br />
Neben Planung, Risikobeurteilung, technischer Gefahrenabwehr<br />
und medizinischer Erstversorgung gehören schließlich auch Maßnahmen<br />
der Prävention zum Management von Gefahrstoffunfällen.<br />
Ziel der präventiven Maßnahmen ist es, Personen am Rande des<br />
Gefahrenbereichs vor einer gesundheitsschädigenden Exposition<br />
mit dem Gefahrstoff zu schützen. Vordringlichste Maßnahme in dieser<br />
Hinsicht ist die rechtzeitige Absperrung der Gefahrenzone.<br />
Mögliche weitere Schutzmaßnahmen sind die Evakuierung gefährdeter<br />
Personen, das Schließen von Türen und Fenstern sowie das<br />
Abschalten von Lüftungs-und Klimaanlagen in den betroffenen und<br />
angrenzenden Gebäuden und das Einrichten von geeigneten<br />
Kontrollmesspunkten.<br />
Am Ende eines Einsatzes sollten dann alle Beteiligten noch einmal<br />
über das stattgehabte Unfallereignis sowie über weitere,<br />
eventuell noch zu ergreifende Verhaltensmaßnahmen unterrichtet<br />
werden. Schließlich sollte die Öffentlichkeit über die Medien<br />
ausführlich über das Unfallereignis informiert werden.<br />
9. Spezielle Vergiftungen 1,3,4,5,6,8<br />
9.1 Kohlenmonoxid (CO)<br />
Maximale Arbeitsplatzkonzentration (MAK): 30 ppm<br />
Einsatztoleranzwert (ETW)*: 200 ppm<br />
Bei jedem Brandereignis muss mit der Bildung von Kohlenmonoxid<br />
gerechnet werden. Kohlenmonoxid entsteht hauptsächlich bei<br />
Verbrennungsprozessen unter ungenügender Sauerstoffzufuhr.<br />
Hauptursachen für schwere CO-Vergiftungen sind Autoabgase in<br />
schlecht belüfteten Garagen, schlecht ziehende Öfen, Durchlauferhitzer<br />
in nicht belüfteten Badezimmern und Schwelbrände in<br />
geschlossenen Räumen. Die wesentliche toxische Wirkung des<br />
CO beruht auf einer Bindung des CO an das 2-wertige Eisen des<br />
Hämoglobins, wobei das entstehende Kohlenmonoxid-Hämoglobin<br />
(COHb) für den Sauerstofftransport ausfällt. Eine Kohlenmonoxidkonzentration<br />
von 100 ppm = 0,01% führt zu einem<br />
COHb von ca.12%. Schwere akute Vergiftungen benötigen eine<br />
CO-Konzentration von 2000 ppm. Schwere subakute Vergiftungen<br />
werden bei einer CO-Konzentration von 500–2000 ppm<br />
beobachtet.<br />
Symptome:<br />
Die Vergiftungssymptome sind von der COHb-Konzentration<br />
abhängig.<br />
155
COHb 30%: Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit<br />
COHb 30-40%: Müdigkeit, Verwirrtheit<br />
COHb 40-60%: Bewusstlosigkeit, Hypotonie<br />
COHb 60%: rascher Tod durch Hypoxie<br />
Therapie:<br />
Entfernen aus dem toxischen Gefahrenbereich (Atemschutz).<br />
Antidottherapie mit Sauerstoff: bei leichten Vergiftungen Insufflation<br />
von Sauerstoff über eine Nasensonde, bei schweren<br />
Vergiftungen Intubation und Beatmung mit einem FiO 2 von 1,0.<br />
In Ausnahmefällen besteht bei der schweren CO-Vergiftung<br />
auch die Möglichkeit zur hyperbaren Sauerstofftherapie. Dieses<br />
Therapieverfahren ist allerdings nur dann sinnvoll, wenn es auch<br />
frühzeitig zum Einsatz kommt. Längere Transportzeiten bis zur<br />
nächsten Druckkammer sind sinnlos. Bei der Überwachung des<br />
Patienten ist zu berücksichtigen, dass man sich auf die Pulsoxymetrie<br />
nicht verlassen darf, da diese fälschlicherweise eine<br />
zu hohe periphere Sauerstoffsättigung anzeigt.<br />
* Die Einsatztoleranzwerte (ETW) markieren für einzelne Stoffe<br />
diejenige Konzentration, unterhalb der bei einer 4-stündigen<br />
Exposition keine gesundheitliche Gefährdung, weder bei den<br />
Einsatzkräften noch bei der Bevölkerung, zu erwarten ist.<br />
9.2 Cyanwasserstoff (HCN)<br />
Maximale Arbeitsplatzkonzentration (MAK): 10 ppm<br />
Einsatztoleranzwert (ETW): 15 ppm<br />
Cyanwasserstoff ist ein wichtiger Grundstoff in der chemischen<br />
Industrie mit einer weltweiten Jahresproduktion von 1,55 Mio.<br />
Tonnen. Hauptursache von HCN-Vergiftungen im Rahmen von<br />
Gefahrstoffunfällen sind Störfälle bei der Blausäureproduktion<br />
sowie Unfälle in Galvanisier- und Stahlhärtungsbetrieben. Das<br />
Ausgasen von Nitrilen kann ebenfalls zu HCN-Intoxikationen<br />
führen, wobei die HCN-Freisetzung bei den aliphatischen Nitrilen<br />
mit der Kettenlänge des aliphatischen Restes deutlich zunimmt.<br />
Eine große Bedeutung hat die HCN-Entwicklung im Brandrauch<br />
bei der Verbrennung und Verschwelung von stickstoffhaltigen<br />
Verbindungen. Bei der Verbrennung von Acrylfasern, polyacrylnitrilhaltigen<br />
Kunststoffen, Kunstharzen, Polyurethanschaum,<br />
Nylon, Seide, Wolle und Insektiziden muss an eine toxisch relevante<br />
HCN-Freisetzung gedacht werden. In der Regel erfolgt die<br />
HCN-Aufnahme bei Gefahrstoffunfällen auf dem inhalatorischen<br />
Weg.<br />
Symptome:<br />
Die klinischen Zeichen einer Cyanidintoxikation sind die Folge<br />
156
einer gestörten intrazellulären Sauerstoffutilisation durch das<br />
Cyanidion und damit Ausdruck einer zellulären Hypoxie. Nach<br />
der Einwirkung von Cyanverbindungen ist der Wirkungseintritt<br />
außerordentlich schnell. Bei Inhalation von Blausäure treten<br />
Symptome innerhalb von Sekunden auf; zum Tod kann es<br />
bereits innerhalb weniger Minuten kommen. Die potenziell letale<br />
Dosis von Blausäure liegt bei 100 ppm über einen Zeitraum von<br />
1 Stunde.<br />
Leichte Vergiftungen:<br />
Atemnot ohne Zyanose, thorakales Engegefühl,<br />
Angstzustände, Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit<br />
Schwere Vergiftungen:<br />
Verwirrtheit, Krampfanfälle, Koma,<br />
Atemstillstand, Arrhythmien, Herz-Kreislaufstillstand<br />
Therapie:<br />
Entfernen aus dem toxischen Gefahrenbereich (Atemschutz).<br />
Stabilisieren der Vitalparameter: Beatmung mit 100% O 2, Gabe<br />
von NaHCO 3.<br />
Antidottherapie:<br />
Für die Therapie der leichten HCN-Vergiftung genügt in der<br />
Regel die alleinige Gabe von Natriumthiosulfat in einer Dosierung<br />
von 100 mg/kgKG. Bei der Antidottherapie der schweren<br />
HCN-Vergiftung hat man prinzipiell zu unterscheiden, ob HCN<br />
im Rahmen eines Brandereignisses oder bei einem Unfall ohne<br />
Brandbeteiligung freigesetzt wurde. Bei einer brandrauchbedingten<br />
HCN-Vergiftung erfolgt die Antidottherapie mit<br />
Hydroxocobalamin in einer Dosierung von 50mg/kgKG bzw. 5g<br />
Hydroxocobalamin für den Erwachsenen. Bei einer HCN-<br />
Freisetzung ohne Brandbeteiligung kommt als Antidot 4-DMAP<br />
in einer Dosierung von 3-5 mg/kgKG zur Anwendung, wobei im<br />
Anschluss an die Gabe von 4-DMAP auch noch Natriumthiosulfat<br />
gegeben werden sollte.<br />
9.3 Reizgase<br />
Reizgase entstehen bei Brandereignissen und bei chemischen<br />
Reaktionen oder werden bei Leckagen freigesetzt. In Abhängigkeit<br />
von der Wasserlöslichkeit unterscheiden wir zwischen<br />
Reizgasen vom Sofort-Typ und Reizgasen vom Latenz-Typ. Die<br />
Reizgase vom Sofort-Typ zeigen eine relativ gute Wasserlöslichkeit<br />
und werden deshalb bereits im oberen Respirationstrakt<br />
abgefangen, mit dem Ergebnis einer frühzeitigen Symptomatik<br />
im Bereich der oberen Atemwege. Reizgase vom Latenz-Typ<br />
157
sind weniger gut wasserlöslich und können deshalb bei der<br />
Inspiration auch die tieferen Abschnitte des Respirationstraktes<br />
erreichen. Die Folge ist dann ein mit einer gewissen Verzögerung<br />
einsetzender Entzündungsprozess im Bereich der tieferen<br />
Atemwege.<br />
9.3.1 Reizgase vom Sofort-Typ<br />
Die häufigsten Reizgase vom Sofort-Typ sind HCl, NH 3, Cl 2, SO 2,<br />
HF und Acrolein<br />
Symptome:<br />
Im Bereich der Atemwege führen die Reizgase vom Sofort-Typ<br />
zu Reizhusten, Dyspnoe, Bronchospastik, retrosternalem Druck<br />
und nur bei massiver Exposition kann es zum toxischen Lungenödem<br />
kommen. Am Auge verursachen die Reizgase vom<br />
Sofort-Typ Augenbrennen, Tränenfluss und Konjunktivitis.<br />
Therapie:<br />
Entfernen aus dem Gefahrenbereich, Gabe von Sauerstoff, bei<br />
Atemwegsobstruktion inhalative ß 2-Sympathomimetika, bei<br />
starkem Husten Antitussiva, nur in Ausnahmefällen sind Glucocorticoide<br />
i.v., Intubation und Beatmung erforderlich.<br />
9.3.2 Reizgase vom Latenz-Typ<br />
Die häufigsten Reizgase vom Latenz-Typ sind Nitrose Gase,<br />
Phosgen und Cadmiumoxid<br />
Symptome:<br />
Nach der Inhalation von Reizgasen vom Latenz-Typ kommt es<br />
zunächst nur zu leichten Beschwerden in Form von Reizhusten<br />
und Konjunktivitis, mitunter auch Kopfschmerzen, Schwindel<br />
und Übelkeit. Im Anschluss daran kann sich mit einer Latenz<br />
von 3–24 Stunden jedoch auch ein toxisches Lungenödem entwickeln.<br />
Nur bei massiver Exposition ist bereits frühzeitig mit<br />
einem toxischen Lungenödem zu rechnen.<br />
Therapie:<br />
Entfernen aus dem Gefahrenbereich, Gabe von Sauerstoff,<br />
Lungenödemprophylaxe mit inhalativen Glucocorticoiden, bei<br />
Bronchialobstruktion inhalative ß 2-Sympathomimetika, bei Reizhusten<br />
Antitussiva, Bettruhe. Bei toxischem Lungenödem Glucocorticoide<br />
i.v. sowie ggf. Intubation und Beatmung.<br />
158
9.4 Methämoglobinbildende Gifte<br />
Bei Gefahrstoffunfällen mit aromatischen Aminen, Nitriten und<br />
Chloraten können Methämoglobinbildende Gifte freigesetzt<br />
werden.<br />
Bei Meth-Hb Konzentrationen kleiner 20% sind noch keine<br />
Beschwerden zu erwarten.<br />
Symptome:<br />
Meth Hb 10% Keine<br />
Meth Hb 10-20% Hautzyanose<br />
Meth Hb 20-30% Kopfschmerzen, Angstgefühl, Tachykardie<br />
Meth Hb 30-50% Schwäche, Verwirrtheit, Schläfrigkeit,<br />
Tachypnoe, Tachykardie<br />
Meth Hb 50-70% Koma, Krämpfe, Arrhythmie, Azidose<br />
Meth Hb 70% tödlich<br />
Therapie:<br />
Bei Methämoglobinämie Antidot-Therapie mit Toloniumchlorid<br />
(Toluidinblau ® ) in einer Dosierung von 2–4 mg/kg KG langsam<br />
i.v.. Bei ausgeprägter Methämoglobinämie und Hämolyse frühzeitiger<br />
Blutaustausch.<br />
Bei Chloratvergiftungen frühzeitige Gabe von Ascorbinsäure.<br />
Toluidinblau ist in diesen Fällen nicht effektiv.<br />
Die periphere O 2-Sättigung mittels Pulsoxymetrie ist nicht verlässlich,<br />
wenn Meth-Hb größer 20%.<br />
Asservierung von Blut für die Meth-Hb-Bestimmung: Mischung<br />
von 1ml Vollblut mit 9 ml Aqua.<br />
10. Verätzungen<br />
Verursacht durch Transportunfälle, Produktionsfehler, Sabotageakte<br />
und kontaminierte Getränke.<br />
Symptome:<br />
Schwere Haut- und Schleimhautschäden, oft Augenverätzungen.<br />
Die Inhalation von Dämpfen führt zu Reizungen der<br />
Atemwege.<br />
Laugen verursachen tiefgreifende Zerstörungen des Gewebes<br />
(Kolliquationsnekrosen). Die lokale Ätzwirkung organischer<br />
Säuren (Ameisensäure, Essigsäure, Oxalsäure) ist geringer als<br />
die bei anorganischen Säuren (Salzsäure, Schwefelsäure,<br />
Salpetersäure). Organische Säuren können zu Hämolyse und<br />
Nierenschäden führen. Flusssäure (Fluorwasserstoffsäure) verursacht<br />
tiefgreifende Nekrosen mit starken Schmerzen.<br />
159
Therapie:<br />
Sofort benetzte Kleidung entfernen und kontaminierte Haut unter<br />
fließendem Wasser spülen oder duschen. Bei Kontamination mit<br />
Flusssäure Hautreinigung mit Polyethylenglycol 400 (Lutrol 400 ® )<br />
und anschließende Lokalbehandlung mit Calciumgluconat.<br />
Bei Augenverätzungen ist eine sofortige Spültherapie der Augen<br />
erforderlich. Feste Bestandteile und Schmutzpartikel können<br />
durch Ektropionieren des Oberlides entfernt werden.<br />
Bei einer Augenverätzung mit Zement oder ungelöschtem Kalk<br />
dürfen die Augen nicht mit Wasser gespült werden, da hierbei<br />
durch das dabei entstehende Calciumhydroxid die Ätzwirkung<br />
nur noch verstärkt wird. In diesen Fällen wird eine mechanische<br />
Reinigung der Augen sowie eine wasserfreie Spülung der<br />
Bindehaut mit Speiseöl, z.B. Oliven- oder Sonnenblumenöl empfohlen,<br />
anschließend augenärztliche Weiterbehandlung.<br />
11. Organische Lösemittel<br />
Organische Lösemittel werden bei Tranportunfällen, bei<br />
Leckagen in Raffinerien, in chemischen Reinigungen sowie in<br />
der Chemischen Industrie freigesetzt. Es handelt sich dabei<br />
um aliphatische (z.B. Benzin, Petroleum, Dieselöl) und aromatische<br />
Kohlenwasserstoffe (z.B. Benzol, Toluol, Xylol) sowie<br />
um halogenierte Kohlenwasserstoffe (z.B. Trichlorethylen,<br />
Tetrachlorethylen, Tetrachlorkohlenstoff).<br />
Symptome:<br />
Haut- und Schleimhautreizung mit Erythem und Blasenbildung,<br />
Kopfschmerzen, Schwindel, Benommenheit, Rauschzustand,<br />
Koma, cerebrale Krampfanfälle.<br />
Therapie:<br />
Entfernen aus dem Gefahrenbereich, kontaminierte Kleidung<br />
entfernen, Haut mit Wasser, Seife und gegebenenfalls mit<br />
Polyethylenglykol (z.B. Lutrol 400 ® ) abwaschen.<br />
Nach Inhalation Gabe von Sauerstoff.<br />
Nach oraler Giftaufnahme kein Erbrechen auslösen (Aspirationsgefahr).<br />
12. Schwefelwasserstoff (H 2S)<br />
Maximale Arbeitsplatzkonzentration (MAK): 10 ppm<br />
Einsatztoleranzwert (ETW): 30 ppm<br />
160
Enthalten in Vulkangasen, (Massenvergiftungen bei Vulkanausbruch<br />
möglich), Stallgas: (Unfälle bei Einschalten des Rührwerkes<br />
in Güllegruben) und Kloakegas, das bei Bauarbeiten in<br />
Kanalisationen frei wird. Weiteres Vorkommen in Papierfabriken,<br />
Kohlebergwerken, Schwefelminen, Gerbereien, Zuckerrübenfabriken,<br />
Flachsröstereien und Petroleumraffinerien.<br />
H 2S führt zur Blockade der inneren Atmung, ist aber auch ein<br />
Reizgas vom Soforttyp. Es kommt zu schlagartiger Bewusstlosigkeit<br />
und einem Lungenödem, das sich rasch entwickelt.<br />
Geruchsschwelle: 0,007–0,2 mg/m 3 (1mg/m 3 = 0,71 ppm), Geruch<br />
nach faulen Eiern. Ab 100 ppm: Ausschaltung des Geruchsnerves,<br />
damit im höheren Konzentrationsbereich keine Warnwirkung mehr.<br />
Ab 300–600 ppm starke Reizwirkung, 600–800 ppm führen zu<br />
Koma und Krämpfen, ab 1000 ppm rascher Exitus.<br />
Symptome:<br />
Plötzlicher Kollaps und Bewusstlosigkeit in Folge ZNS-Hypoxie,<br />
Krämpfe und Herz-, Kreislaufinsuffizienz. Wird diese Phase<br />
durch therapeutisches Eingreifen überstanden, so ist innerhalb<br />
der ersten Stunden mit einem toxischen Lungenödem zu rechnen.<br />
Die Patienten sind in der Aufwachphase extrem agitiert.<br />
Sonstige Symptome: Haut und Augenreizung, Hypersalivation,<br />
Erbrechen, Bauchkrämpfe und Durchfall.<br />
Therapie:<br />
Schnelles Entfernen aus H 2S Atmosphäre, (Selbstschutz beachten!!).<br />
Intubation und Beatmung mit 100 % Sauerstoff, inhalatorische<br />
und parenterale Gabe von Glucocorticoiden, Diuretika zur<br />
Unterstützung der Lungenödemtherapie. Die Gabe von 4-DMAP<br />
wird nicht empfohlen, da dessen Wirksamkeit bisher nicht<br />
bewiesen ist und die Sauerstofftransportkapazität durch eine<br />
Methämoglobinbildung nur noch weiter verschlechtert würde.<br />
13. Arsenwasserstoff (Arsan, früher Arsin) (ASH 3 )<br />
Maximale Arbeitsplatzkonzentration (MAK): 0,05 ppm<br />
Einsatztoleranzwert (ETW): nicht definiert<br />
Hauptsächlich in der Industrie als Dotiergas bei der Microchipherstellung<br />
(wird in Gasflaschen angeliefert), in der metallverarbeitenden<br />
Industrie und bei der Bearbeitung von arsenhaltigen<br />
Schlämmen. Toxische Konzentrationen: MAK-Wert 0,05 ppm,<br />
toxisch ab 3,0 ppm, tödlich ab 250 ppm (nach längerer<br />
Exposition) , rasch tödlich ab 1500 ppm.<br />
161
Nachweis: Geruchsschwelle 0,5 ppm (Geruch nach Knoblauch),<br />
Draegerprüfröhrchen messen zwischen 0,05 und 3 ppm.<br />
Arsenwasserstoff führt zu Hämolyse. Ursache hierfür ist das bei<br />
der Oxidation von Arsenwasserstoff entstehende Wasserstoffperoxyd.<br />
Durch die Hämoglobinurie kommt es zum Nierenversagen.<br />
Die Hämolyse führt zu einem starken Anstieg des<br />
Bilirubins.<br />
Symptome:<br />
Symptomfreies Intervall von einigen Stunden nach Exposition,<br />
danach typische Symptomen-Trias: Hämoglobinurie (roter bis<br />
dunkelbrauner Urin), abdominelle Schmerzen und Sklerenikterus;<br />
dieser Symptomatik gehen Prodromi bestehend aus<br />
Schwindel, Kopfschmerzen, Fieber, Atemnot, allgemeiner<br />
Schwäche, abdominellen Krämpfen, Diarrhoe, Übelkeit und<br />
Erbrechen voraus.<br />
Therapie:<br />
Rettung des Geschädigten aus dem Giftbereich (Selbstschutz<br />
beachten!!). Da Giftwirkung mit Latenz auftritt, sind die Geschädigten<br />
häufig nicht mehr im kontaminierten Bereich. Sauerstoffgabe<br />
ist bei Atemnot indiziert. Zur Verhinderung des Nierenversagens<br />
mäßige Flüssigkeitszufuhr und Bicarbonatgabe zur<br />
Alkalisierung des Urins. Bluttransfusionen und in schwersten<br />
Fällen Austauschtransfusion. Chelatbildner sind wirkungslos.<br />
14. Phosphorwasserstoff (Phosphan, früher Phosphin) (PH 3 )<br />
Maximale Arbeitsplatzkonzentration (MAK): 0,1 ppm<br />
Einsatztoleranzwert (ETW): 0,5 ppm<br />
Phosphorwasserstoff wird durch Feuchtigkeitseinwirkung aus<br />
Metallphosphiden (Al, Ca, Zn) freigesetzt. Außerdem entsteht er<br />
bei der Ungeziefervernichtung in Getreidesilos sowie beim autogenen<br />
Schweißen. Es handelt sich um ein sehr giftiges Gas mit<br />
einem karbid- oder knoblauchartigen Geruch (gute Warnwirkung).<br />
Die toxische Wirkung beruht auf einer Blockade der zellulären<br />
Atmung und betrifft in erster Linie das zentrale Nervensystem.<br />
Symptome:<br />
Nach Inhalation oder Verschlucken phosphanbildender Präparate<br />
kommt es zunächst zu Kopfschmerzen, Erbrechen, Durchfall und<br />
Somnolenz. Bei schweren Vergiftungen werden Koma, cerebrale<br />
Krampfanfälle, Lungenödem und eine Methämoglobinaemie<br />
beobachtet.<br />
162
Therapie:<br />
Rettung aus dem Gefahrenbereich (Eigenschutz beachten),<br />
Stabilisieren der Vitalparameter.<br />
Bei Inhalation werden Sauerstoff und inhalative Glucocorticoide verabreicht.<br />
Nach oraler Aufnahme werden eine Magenspülung mit 1-1,5%iger<br />
Natriumbikarbonatlösung sowie die Gabe von Aktivkohle<br />
empfohlen. Bei einer Methämoglobinämie kann eine Antidottherapie<br />
mit Toluidinblau in einer Dosierung von 2-4 mg/kg KG<br />
i.v. angezeigt sein.<br />
15. Organophosphate, Nervenkampfstoffe (Sarin, Soman,<br />
Tabun, VX)<br />
Massenvergiftungen mit Organophosphaten können bei Unfällen<br />
während des Herstellungsprozesses oder bei unsachgemäßer<br />
Anwendung von Insektiziden auftreten. Einsatz bei<br />
kriegerischen Auseinandersetzungen erscheint möglich. Eine<br />
realistischere Gefahr besteht darin, dass Nervenkampfstoffe in<br />
die Hände von Terroristen und Erpressern gelangen (U-Bahn-<br />
Anschlag Tokio 1995).<br />
Die Wirkstoffe gelangen bei Einatmung von Dämpfen, Sprühnebel<br />
(Aerosol) und Stäuben in den Organismus, sie können<br />
aber auch leicht über die Haut resorbiert werden.<br />
Hemmung der Acetylcholinesterasen im gesamten Organismus<br />
mit Übererregung zunächst im sympatischen, dann im parasympathischen<br />
Nervensystem sowie Lähmung der motorischen<br />
Endplatte. Krampfgift für das ZNS.<br />
Symptome:<br />
Durch Übererregung der muskarinischen Rezeptoren: Enge<br />
Pupillen, Miosis, langsamer Puls, gesteigerte Sekretion der<br />
Schweiß-, Speichel- und Tränendrüsen sowie im Bereich des Bronchialsystems,<br />
Durchfälle, Erbrechen, Magen- und Darmkrämpfe.<br />
Durch Übererregung der nikotinischen Rezeptoren: Myoklonien,<br />
Fibrillieren bis Faszikulieren der Muskulatur, periphere Atemlähmung.<br />
ZNS-Symptomatik: Unruhe, Angst, Agitiertheit, Kopfschmerzen,<br />
Krampfanfall, Koma.<br />
Sympathikuswirkung: In der Initialphase kann es durch eine<br />
Entspeicherung des Adrenalins zu Mydriasis, Tachykardie und<br />
Hypertonie kommen.<br />
Besonderheit: Durch den Augenkontakt mit dem gifthaltigen<br />
Aerosol kann es, wie in Japan geschehen, zur Ausbildung einer<br />
Miosis mit stärksten Kopfschmerzen kommen, ohne dass eine<br />
systemische Giftwirkung vorliegt.<br />
163
Therapie:<br />
Möglichst vollständige Dekontamination, Kleidung entfernen,<br />
kontaminierte Haut entgiften. Antidot: Atropin in einer Dosierung<br />
von 2–10 mg i.v., Kinder 0,1 mg/kgKG. Nach einer Anfangsdosis<br />
sollte die Atropindosis biologisch titriert werden, wobei man<br />
sich nach der Pulsfrequenz und der Schweißneigung richten<br />
sollte.<br />
Während die orale Vergiftung mit Insektiziden einer hohen<br />
Atropindosierung bedarf, dürften bei den Nervenkampfstoffen<br />
bereits geringere Dosen ausreichen. Als zweites Antidot steht<br />
ein Cholinesterasereaktivator, das Obidoxim (Toxogonin ® ) zur<br />
Verfügung, das vorwiegend bei Diethylphosphorsäureester und<br />
bei den Nervenkampfstoffen – außer bei Soman – wirksam ist.<br />
Die ideale Dosierung besteht in einer Bolusgabe von 250 mg mit<br />
einer anschließenden Dauerinfusion von 750 mg in 24 Stunden.<br />
Die cerebralen Krämpfe werden mit einem Benzodiazepin, z.B.<br />
Diazepam behandelt. Die Patienten müssen in aller Regel tief<br />
sediert und über einen längeren Zeitraum beatmet werden. Die<br />
Erythrozyten- Acetylcholinesterase ist ein Marker, nach dem die<br />
Therapie gesteuert werden kann, d.h., wenn sie auf 20 % der<br />
Norm angestiegen ist, kann die Atropintherapie beendet werden.<br />
Bei der oralen Aufnahme von Alkylphosphaten im Massenanfall<br />
können 50 g Aktivkohle zur primären Giftentfernung<br />
angewandt werden. Ärztliche und sonstige Helfer benötigen<br />
einen ausreichenden Schutz, wobei Handschuhe bei Insektiziden<br />
ausreichend sind. Bei Chemiekampfstoffen dürfen die<br />
Patienten nur mit Atemschutz gerettet werden.<br />
16. Hautkampfstoffe (Alkylantienvergiftung, Lostvergiftung,<br />
Mustardgas)<br />
S S-Lost<br />
CH2CH2–Cl<br />
CH2CH2–Cl<br />
Schwerwiegende Massenvergiftungen sind beim Einsatz als<br />
Kampfstoffe (kriegerische Auseinandersetzungen oder terroristische<br />
Anschläge) zu erwarten. Da noch große Mengen<br />
Hautkampfstoffe aus den letzten Weltkriegen bei uns lagern,<br />
muss mit Arbeitsunfällen bzw. Unfällen bei zufälligem Auffinden<br />
von Munition gerechnet werden. Auch Ostseefischer sind gefährdet,<br />
da kampfstoffhaltige Munition in der Ostsee versenkt<br />
wurde.<br />
Symptome:<br />
S-Lostwirkung: Symptomloses Intervall von 30 Minuten bis 3<br />
164
Stunden, danach zunächst schwere Haut- und Schleimhauttoxizität,<br />
gefolgt von Lungentoxizität aufgrund zerstörter<br />
Schleimhaut im Respirationstrakt. Systemische Wirkung aufgrund<br />
einer Schädigung der Mitose. Schwere Blutbildungsstörung<br />
vorwiegend des weißen Blutbildes und der Thrombozyten.<br />
Bei oraler Aufnahme toxische Schädigung der Schleimhaut des<br />
Gastrointestinaltraktes mit blutigen Durchfällen.<br />
Wirkung auf der Haut: Bereits ein Tropfen, der 10 µg S-Lost enthält,<br />
führt zur Hautrötung mit nachfolgender Blasenbildung. Bei<br />
einer Ausdehnung von mehr als 25 % der KOF ist mit einem<br />
tödlichen Ausgang zu rechnen. Mit unterschiedlicher Geschwindigkeit,<br />
je nach Dosis in der Regel 3 Stunden nach Kontamination,<br />
entwickeln sich mit Flüssigkeit gefüllt Blasen, die<br />
Blasen platzen und hinterlassen eiternde tiefe Geschwüre.<br />
Wirkung auf das Auge: Am besten läßt sich die Exposition als<br />
Produkt von Giftkonzentration und Zeit der Exposition beschreiben.<br />
Ab einer Exposition von 10 mg/m 3<br />
x min treten die Wirkungen<br />
am Auge auf. Nach kurzer Latenz kommt es zu<br />
Tränenfluss, Lichtscheu, Reizerscheinungen, Blepharospasmus<br />
mit nachfolgender eitriger Konjunktivitis. Es kann zur Corneatrübung<br />
kommen, die Cornea kann perforieren. Dies führt zum<br />
Verlust der Sehkraft oder des gesamten Augapfels.<br />
Wirkung auf den Respirationstrakt: Außer dem direkten Kontakt<br />
mit flüssigem S-Lost muss das Einatmen von Dampf als kritisch<br />
betrachtet werden. Bei 10ϒC ist Lost fest. Mit zunehmender<br />
Temperatur steigt die Menge an verdampftem S-Lost stark an.<br />
Ab einer Exposition von 200 mg/m3 x min kommt es zur Wirkung<br />
auf den Respirationstrakt. Die ersten Symptome sind katarrhalische<br />
Beschwerden, Trockenheit im Hals, Hustenreiz, Heiserkeit<br />
bis Aphonie, im späteren Verlauf eitrige Bronchitis und herdförmige<br />
Bronchop<strong>neu</strong>monie. Es kommt zur Bildung von<br />
Pseudomembranen in den großen Bronchien, die zu Atemnot<br />
und Erstickung infolge Verlegung der Atemwege führen können.<br />
Therapie:<br />
Sorgfältige Dekontamination bei optimalem Selbstschutz<br />
(Schutzanzug, Schutzhandschuhe, Schutzstiefel, Atemschutzmaske).<br />
Das Lost sollte zunächst mit einem saugenden Material<br />
wie z.B. Zellstoff abgetupft werden, hierfür kann auch ein Puder<br />
Verwendung finden. Anschließend sollte mit kaltem Wasser<br />
gespült werden. 0,2 % ige Chloramin T-Lösung frühzeitig äußerlich<br />
eingesetzt, oxidiert das Lost auf der Haut und macht es<br />
unschädlich. Natriumthiosulfat in einer Dosis von 500 mg/kg KG<br />
i.v. kann, wenn innerhalb von 20 Minuten eingesetzt, die resorptive<br />
Lostwirkung aufheben. Der Einsatz von Steroiden ist<br />
165
umstritten, eine Antibiotikatherapie ist in jedem Fall indiziert, um<br />
eine sich aufpfropfende Infektion zu bekämpfen. Hautschäden<br />
sind wie Verbrennungsschäden zu behandeln.<br />
17. Lebensmittelvergiftung<br />
Diese entsteht nach Ingestion von Enterotoxinen, die von verschiedenen<br />
Bakterien in verdorbenen Lebensmitteln gebildet werden<br />
(Staphylococcus aureus, Clostridium perfringens, Clostridium<br />
botulinum) und nach dem Genuss von Lebensmitteln mit vermehrtem<br />
Befall durch grammnegative Bakterien (Salmonellen).<br />
Symptome:<br />
Staphylokokken-Enterotoxin: 2–4 Std. nach der Mahlzeit<br />
Erbrechen mit Durchfällen, selten Fieber; Kollapsneigung.<br />
Salmonellen: Inkubationszeit 8 –72 Std. Übelkeit, Erbrechen,<br />
kolikartige Bauchkrämpfe, Durchfall, häufig Fieber bis 39°C.<br />
Therapie:<br />
Gabe von Kohle, Elektrolyt- und Flüssigkeitssubstitution,<br />
Antiemetika.<br />
Meldepflicht beachten!<br />
18. Botulismus<br />
Lebensmittelvergiftung durch Toxin von Clostridium botulinum,<br />
unter anaeroben Bedingungen bei nicht ausreichend erhitzten,<br />
in der Regel selbst hergestellten Konserven (Fisch, Fleisch,<br />
Gemüse) oder geräuchertem Fleisch. Ist das Toxin für mehr als<br />
10 Minuten auf mehr als 100 ºC erhitzt, so wird es zerstört. 7<br />
unterschiedliche Neurotoxintypen (A-G) sind bekannt. Es handelt<br />
sich um Glykoproteine bestehend aus 2 Polypeptidketten.<br />
Die schwere Kette lagert sich spezifisch an den Synapsen der<br />
Nervenzellen an. Die leichte Kette wird aufgenommen und zerstört<br />
die Transportproteine der Acetylcholinvesikel. Das Botulinus-Toxin<br />
ist eines der stärksten Gifte, das wir kennen und ist<br />
bereits im µg-Bereich wirksam. In der Kälte ist das Botulinus-<br />
Toxin über Wochen stabil. Anwendung zu Sabotagezwecken<br />
erscheint möglich, da es zum bakteriologischen Kampfstoff<br />
entwickelt wurde.<br />
Symptome:<br />
Hemmung der Acetylcholinfreisetzung an vielen cholinergen<br />
Nervenendigungen. Ausfallserscheinungen vorwiegend im Be-<br />
166
eich der Hirnnerven einschließlich des Nervus vagus (Parasympathikus).<br />
Das Neurotoxin A befällt auch die Atemmuskulatur<br />
und führt zur Atemlähmung. Das ZNS ist in aller Regel nicht<br />
beteiligt. Die Symptome treten im Allgemeinen erst nach einer<br />
Latenz von 12–24 Stunden auf, sie können u.U. über Wochen<br />
bestehen bleiben. Das Leitsymptom besteht in Sehstörungen,<br />
insbesondere Doppelsehen und Akkomodationsstörungen. Die<br />
Pupillen sind mydriatisch und reaktionslos, es entsteht eine<br />
Ptose. Im weiteren Verlauf treten Schluckbeschwerden, Speichelfluss<br />
mit Übergang in eine vollständige Mundtrockenheit,<br />
Sprechstörungen, Schlundlähmungen und ein paralytischer<br />
Ileus auf. Sensibilitätsstörungen und cerebrale Krampfanfälle<br />
werden nicht gesehen. Der Tod kann ohne Therapie innerhalb<br />
von 4 –10 Tagen auf Grund von einer Aspirationsp<strong>neu</strong>monie<br />
oder durch Atemlähmung und Bulbärparalyse auftreten. Unter<br />
symptomatischer Therapie ist die Letalität gering.<br />
Therapie:<br />
Da beim Auftreten der Symptome das Toxin bereits an und in<br />
den Nervenendigungen fixiert ist, kann es nicht mehr <strong>neu</strong>tralisiert<br />
werden. Es steht ein polyvalentes Antitoxin der Fa. Behring<br />
für die Typen A, B, E zur Verfügung, das nur bei sehr frühem<br />
Einsatz wirksam ist. Die weitere Therapie besteht in symptomatischer<br />
Therapie, wie parenteraler- oder Sondenernährung,<br />
Infektionsprophylaxe und wenn notwendig kontrollierter Beatmung.<br />
Ein therapeutischer Versuch mit Cholinesterasehemmstoffen,<br />
wie z.B. Neostigmin, kann gemacht werden. Er verbessert<br />
in der Regel nur geringfügig die Darmlähmung.<br />
167
Wichtige Adressen und Telefonnummern bei Massenanfall<br />
von Vergiftungen Stand: 12 / 2000<br />
I. Antidotdepots<br />
Berlin<br />
14050 Berlin<br />
Dezentrale Vorratshaltung bei den Berliner<br />
Aufnahmekrankenhäusern und bei der Berliner Feuerwehr<br />
Auskunft erteilt Giftnotruf Berlin<br />
Tel.: 030-19240<br />
Fax: 030-30686 721<br />
Hamburg<br />
Antidotdepot<br />
Freie Hansestadt Hamburg<br />
Feuerwehr Hamburg<br />
Wendenstr. 251<br />
20537 Hamburg<br />
Tel.: 040-42851-4221<br />
Fax: 040-42851-2209<br />
Bremen<br />
Antidotdepot Zentralkrankenhaus<br />
Sankt-Jürgen-Str.<br />
Anästhesiologie/ Apotheke<br />
28205 Bremen<br />
Tel.: 0421 497-5465/ 5959/ 5312/ 3875/ 5216<br />
Fax: 0421-497-3411/ 3331<br />
Rheinland Pfalz<br />
Gegengiftdepot der Universität Mainz<br />
Langenfeldstr. 1<br />
55131 Mainz<br />
Tel.: 06131-19240, 06131-232466<br />
Fax: 06131-176605, 06131-232468<br />
Transport mit Rettungsdienst 06131-19222 o. Feuerwehr:<br />
06131-338212<br />
Bayern<br />
Gegengiftdepot des Bayerischen Staatsministerium des Innern<br />
an der Technischen Universität München, Klinikum r.d. Isar<br />
Ismaninger Str. 22<br />
81675 München<br />
Tel.: 089-19240, 089-4140 2466<br />
Fax: 089-4140 2467<br />
Transport über Rettungsleitstelle 089-19222 od. 089-2353-112<br />
168
Gegengiftdepot des Bayrischen Staatsministerium des Innern<br />
am Städtischen Klinikum Nürnberg<br />
Prof. Ernst-Nathan-Str. 1<br />
90419 Nürnberg<br />
Tel.: 0911-398 2451<br />
Fax: 0911-398 2205<br />
Transport über Rettungsleitstelle 0911-19222<br />
Baden Württemberg<br />
Notfalldepot „Toxisches Lungenödem“<br />
Gehrenbergstr. 7<br />
88677 Markdorf (Bodensee)<br />
Tel.: 07541-19222 (Rettungsleitstelle Friedrichshafen)<br />
Fax: 07541-504105<br />
(es handelt sich hier um eine Vorhaltung von Budesonid ® ca. 150<br />
Sprays)<br />
Nota bene:<br />
Anmerkung<br />
Diese Liste wurde nach eigenen Recherchen erstellt. Dabei wurden<br />
sämtliche Bundesländer angefragt. Nur ein Teil der<br />
Bundesländer hat auf die Anfrage reagiert.<br />
II. Apotheken<br />
Grundsätzlich besteht folgende gesetzliche Regelung: Nach §<br />
15 der Apothekenbetriebsordnung ist jede Apotheke verpflichtet,<br />
eine Bevorratung von Antidoten zu gewährleisten. Zusätzlich<br />
haben sämtliche Landesapothekerkammern Notdepots<br />
angelegt, die über teure, kühl zu lagernde Medikamente, vorwiegend<br />
Immunglobuline, verfügen.<br />
Diese Regelung ist zwar auf den individuellen Notfall abgestimmt,<br />
könnte aber beim Massenanfall unter günstigen<br />
Umständen hilfreich sein.<br />
Antidote, die von jeder Apotheke nach Anlage 3 (zu § 15 Abs. 1<br />
Satz 2) der Apothekenbetriebsordnung zu bevorraten sind:<br />
1. Antidote gegen Intoxikationen und Überdosierungen mit<br />
1.1 Opiaten<br />
1.2 Cholinesterase-Hemmern<br />
1.3 Cyanid<br />
1.4 Methämoglobinbildnern<br />
2. Emetika<br />
3. Kortikoid, hochdosiert, zur Injektion<br />
4. Mittel zur Behandlung von Rauchgasvergiftungen<br />
5. Antischaum-Mittel zur Behandlung von Tensid-Intoxikationen<br />
169
6. Medizinische Kohle<br />
7. Tetanus-Impfstoff<br />
8. Tetanus-Hyperimmun-Globulin 250 I.E.<br />
Notfalldepots der Landesapothekerkammern nach Anlage 4<br />
(zu § 15 Abs. 2) der Apothekenbetriebsordnung<br />
1. Botulismus-Antitoxin vom Pferd<br />
2. Diphtherie-Antitoxin vom Pferd<br />
3. Schlangengift-Immunserum, polyvalent, Europa<br />
4. Tollwut-Impfstoff<br />
5. Tollwut-Immunglobulin<br />
6. Tetanus-Immunglobulin 2 500 I.E.<br />
7. Prothrombinkonzentrat (PPSB)<br />
8. Polyvalentes Immunglobulin<br />
9. Röteln-Immunglobulin<br />
10. Varizella-Zoster-Immunglobulin<br />
11. Hepatitis-B-Immunglobulin<br />
III. Informationsdatenbank für Chemikalien und Abrufbarkeit<br />
des Gaschromatographen<br />
MEDITOX Beratungssystem bei der Deutschen Rettungsflugwacht<br />
e.V.<br />
Tel.: 0711-701070<br />
TUIS<br />
(Internationale Informationszentrale über Chemische Stoffe,<br />
International Chemical Environment)<br />
BASF AG<br />
DU/F-Werkfeuerwehr<br />
Carl-Bosch-Str. 123<br />
67056 Ludwigshafen/Rhein<br />
Tel.: 0621-6043333<br />
Fax: 0621-60-92664<br />
Mobile GC/MS-Analysegeräte<br />
Berufsfeuerwehr Mannheim<br />
(luft- und bodengebundener Transport möglich)<br />
Tel.: 0621-81081 (Zentrale)<br />
Berufsfeuerwehr Hamburg<br />
(luft- und bodengebundener Transport möglich)<br />
Tel.: 040-42851-4965 (Lagedienstführung)<br />
170
Berufsfeuerwehr Frankfurt/Main<br />
(nur bodengebundener Transport möglich)<br />
Tel.: 069-212-72170<br />
Institut der Feuerwehr Sachsen-Anhalt<br />
(nur bodengebundener Transport möglich)<br />
Tel.: 0171-4466007<br />
IV. Giftinformationszentren in Deutschland<br />
Stand: 12 / 2000<br />
Giftinformationszentren<br />
Bei allen Vergiftungen sollte, besonders wenn eine genaue<br />
Zusammensetzung des Giftes und das weitere Vorgehen unklar<br />
sind, umgehend vom behandelnden Arzt über die Rettungsleitstelle<br />
eine Informationszentrale für Vergiftungsfälle angerufen<br />
werden.<br />
171
Es sollten folgende Angaben gemacht werden:<br />
– Alter der verunglückten Person<br />
– Art und eventuelle Konzentration des Giftes<br />
– Zeitpunkt der Giftaufnahme<br />
– eingenommene Menge des Giftes<br />
– Anzeichen der Vergiftung<br />
– bereits durchgeführte Maßnahmen<br />
Zentren mit durchgehendem 24-Stunden-Dienst (Stand 12/2000):<br />
In folgenden Krankenanstalten und Kliniken bestehen offizielle<br />
Informationszentren für Vergiftungsfälle. Diese Zentren geben<br />
Tag und Nacht telefonisch Auskunft. Von diesen Zentren erhalten<br />
Sie auch Informationen über die nächstgelegenen toxikologischen<br />
Laborzentren mit 24-Stunden-Dienst.<br />
13353 BERLIN<br />
Reanimationszentrum des Universitätsklinikums Rudolf Virchow,<br />
Humboldt-Universität Berlin, Station 43 b<br />
Augustenburgerplatz 1<br />
T-030-450-53555 oder 030-450-53565 F-030-450-55909<br />
14050 BERLIN<br />
Beratungsstelle für Vergiftungserscheinungen<br />
und Embryonaltoxikologie<br />
Spandauerdamm 130, Haus 10<br />
T-030-19240, F-030-30686-721<br />
53113 BONN<br />
Informationszentrale gegen Vergiftungen, Zentrum für<br />
Kinderheilkunde der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität<br />
Adenauerallee 119<br />
T-0228-287-3211 oder 0228-287-3355, F-0228-287-3314<br />
99098 ERFURT<br />
Gemeinsames Giftinformationszentrum der Länder<br />
Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und<br />
Thüringen, c/o Klinikum Erfurt<br />
Nordhäuser Str. 74<br />
T-0361-730-730 oder T-0361-730-7311, F-0361-730-7317<br />
79106 FREIBURG<br />
Informationszentrale für Vergiftungen,<br />
Universitätskinderklinik Freiburg<br />
Mathildenstr. 1<br />
T-0761-19 240 (24 Std.-Dienst) oder<br />
0761-270-4300 (Zentrale), F-0761-270-4457<br />
172
37075 GÖTTINGEN<br />
Giftinformationszentrum-Nord der Länder Bremen,<br />
Hamburg, Niedersachsen und Schleswig Holstein (GIZ-NORD),<br />
Georg-August-Universität Göttingen<br />
Zentrum Pharmakologie u. Toxikologie<br />
Robert-Koch-Str. 40<br />
T-0551-19240 oder 0551-383-180, F-0551-3831881<br />
66421 HOMBURG / SAAR<br />
Universitätskliniken, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin<br />
im Landeskrankenhaus<br />
Robert-Koch-Str.<br />
T-06841-19 240, F-06841-16-8314<br />
55131 MAINZ<br />
Beratungsstelle bei Vergiftungen der II. Med. Klinik und Poliklinik<br />
der Johannes-Gutenberg-Universität<br />
Langenbeckstr. 1<br />
T-06131-19 240 oder 06131-232466, F-06131-176-605<br />
81675 MÜNCHEN<br />
Giftnotruf München, Toxikologische Abteilung der II. Med.<br />
Klinik, Klinikum rechts der Isar<br />
der Technischen Universität München<br />
Ismaninger Str. 22<br />
T-089-19 240, F-089-4140-2467<br />
Mobiles Gegengift-Depot:<br />
Wie Giftnotruf München oder über Berufsfeuerwehr München<br />
T.-112 (innerhalb des Ortsnetzes)<br />
90419 NÜRNBERG<br />
Toxikologische Intensivstation der II. Med. Klinik im Städt.<br />
Klinikum<br />
Professor-Ernst-Nathan-Str.1<br />
T-0911-398-2451 oder 0911-398-0 (Zentrale), F-0911-398-2205<br />
V. Toxikologische Notfallausrüstung<br />
Bei dieser sog. Toxikologischen Notfallausrüstung handelt es<br />
sich um einen Vorschlag zur Bestückung sämtlicher Notarztwagen<br />
(im Münchner Bereich ist diese Bestückung vorhanden).<br />
173
Geräte<br />
Magenschlauch 18 mm mit Trichter für Erwachsene Gasspürpumpe<br />
Magenschlauch 11 mm mit Trichter für Kinder Atem-CO-Röhrchen<br />
Satz Asservatgefäße (2 Becher,1 Sekretauffangbeutel) Blausäure-Röhrchen<br />
leere Augenwaschflasche Vergiftungstabelle<br />
1 Kleidersack (zum Asservieren gasverseuchter Kleidung) Legende<br />
(Tox. Notfallausrüstung)<br />
ALKYLPHOSPHATE-Notfallpäckchen<br />
Antidot ® Menge Gifte Dosis<br />
ATROPIN 1% Lösung ® 2x50 ml Alkylphosphate 5-100 mg i.v.<br />
TOXOGONIN ® Amp. zu 250 mg 4 Amp. Alkylphosphate 4 mg/kg KG i.v.<br />
BLAUSÄURE-Notfallpäckchen<br />
Antidot Menge Gifte Dosis<br />
4-DMAP ® , Amp. zu 250 mg 5 Amp. Zyanide 3-4 mg/kg KG i.v.<br />
NATRIUMTHIOSULFAT 10% ® 2x180 ml Zyanide 1 ml/kg KG i.v.<br />
AMPULLEN-ANTIDOTA<br />
Antidot Menge Gifte Dosis<br />
AKINETON ® 2 Amp. Neuroleptika 5 mg i.v.<br />
ANEXATE ® 2 Amp. Benzodiazepine 0,5 mg i.v.<br />
ANTICHOLIUM ® 2 Amp. Atropin 1-2 mg i.v.<br />
DIAZEPAM ® 10 Amp. Chloroquin 1-2 mg/kg KG i.v.<br />
SOLOSIN 0,42 ® 2 Inf.Fl. Reizgase 5 mg/kg KG i.v.<br />
ETHANOL 96% 50 ml Methanol 0,7 ml/kg KG i.v.<br />
Äthylenglykol<br />
NARCANTI ® 5 Amp. Opiate 0,4-0,8 mg i.v.<br />
SOLU-DECORTIN H ® 250 mg 3 Amp. Reizgase 250-750 mg i.v.<br />
TOLUIDINBLAU ®y 2 Amp. Methämoglobin- 2-4 mg/kg KG i.v.<br />
bildner<br />
SONSTIGE ANTIDOTA<br />
Antidot Menge Dosis<br />
AUXILOSON ® -Spray 5 Stück 2 Hübe alle 5 Min.<br />
KOHLE-Kompretten ® 2x50 Stück 50 Kompretten<br />
NATRIUMSULFAT 50g 1-2 EL<br />
POLYETHYLENGYLKOL ® 100 ml n. Bedarf zur äußerl. Anwendung<br />
SAB SIMPLEX ® 1 Flasche 1-2 TL<br />
SIRUP IPECACUANHAE 2 Flaschen 10-30 ml<br />
174
Poison Severity Score (PSS)<br />
ORGAN-SYSTEM OHNE -0- LEICHT -1- MITTEL -2- SCHWER -3keine<br />
leichte von selbst deutliche oder schwere oder<br />
Symptome abklingende Symptomatik länger anhaltende Symptomatik lebensbedrohliche Symptomatik<br />
Gastrointestinaltrakt Erbrechen (gelegentlich) Erbrechen (anhaltend) massives Erbrechen<br />
Durchfall (gelegentlich) Durchfall (anhaltend) Blutung<br />
Schmerzen (gering) Schmerzen heftig oder anhaltend Perforation<br />
Reizung (gering) Verätzungen I° an kritischen (gefährlichen) Stellen multilokuläre zweit- und drittgradige Verätzungen<br />
geringe Ulceration im Mund Verätzungen II° schwere Dysphagie<br />
Verätzungen I° Verätzungen III° auf wenige Stellen beschränkt Endoskopie:<br />
Endoskopie: Dysphagie Transmurale Ulcerationen,<br />
Rötung Endoskopie: Läsionen, die ganze Zirkumferenz betreffend,<br />
Ödem transmuköse Ulcerationen Perforationen<br />
Respirationstrakt leichte Reizerscheinungen anhaltender Husten Manifeste respiratorische Insuffizienz<br />
Husten (gering) Bronchospastik (auf Grund von z.B. schwerer Bronchospastik;<br />
Dyspnoe (gering) Dyspnoe Obstruktion der Atemwege, Glottisödem)<br />
Bronchospastik Stridor Lungenödem, ARDS, P<strong>neu</strong>monie, P<strong>neu</strong>monitis,<br />
Thorax-Röntgen; Hypoxämie (Sauerstoff-pflichtig) P<strong>neu</strong>mothorax<br />
pathologisch ohne oder nur mit Thorax-Röntgen: Thorax-Röntgen:<br />
geringen klinischen Symptomen pathologisch mit deutlich klinischen Symptomen pathologisch mit schweren klinischen Symptomen<br />
Nervensystem Ataxie Koma mit gerichteten Reaktionen auf Schmerz tiefes Koma ohne Reaktionen auf Schmerz<br />
Somnolenz kurzanhaltende Apnoe, Bradypnoe bzw. ungezielte oder pathologische Reaktion auf Schmerz<br />
Benommenheit Verwirrtheit, Agitiertheit Atemdepression mit Ateminsuffizienz<br />
Schwindel Halluzinationen schwerste Agitiertheit<br />
Ohrgeräusch Delir häufig generalisierte Krampfanfälle<br />
Unruhe deutliche extrapyramidalmotorische Symptomatik Status epilepticus<br />
leichte extrapyramidalmotorisches deutliche cholinerge/anticholinerge Symptomatik Opisthotonus<br />
Symptomatik<br />
175
ORGAN-SYSTEM OHNE -0- LEICHT -1- MITTEL -2- SCHWER -3keine<br />
leichte von selbst deutliche oder schwere oder<br />
Symptome abklingende Symptomatik länger anhaltende Symptomatik lebensbedrohliche Symptomatik<br />
Nervensystem leichte cholinerge/anticholinerge regional begrenzte Lähmungserscheinungen generalisierte Lähmungserscheinungen oder<br />
Symptomatik ohne Beeinträchtigung vitaler Funktionen<br />
Parästhesien Lähmungserscheinungen, wodurch vitale Funktionen<br />
beeinträchtigt werden<br />
leichte Störungen des Sehens Störungen des Sehens bzw. Hörens Blindheit und Taubheit<br />
bzw. Hörens<br />
Kardiovaskuläres vereinzelte Extrasystolen Sinusbradykardie (40-50 min-1 ) ausgeprägte Sinusbradykardie ( < 40 min-1 )<br />
System leicht und kurzdauerende Hypo-/ Sinustachykardie (140-180 min-1 ) ausgeprägte Sinustachykardie ( > 180 min-1 )<br />
Hypertonie gehäufte Extrasystolen lebensbedrohliche ventrikuläre Dysrhythmien<br />
Vorhofflimmern/-flattern AV-Block III°<br />
AV-Block I°-II° Asystolie<br />
verbreiteter QRS Komplex Schock<br />
verlängertes QT Intervall hypertensive Krise<br />
Repolarisationsstörungen (Ischämiezeichen) Myokardinfarkt<br />
Hypo-/Hypertonie<br />
Örtliche Reaktionen lokale Schwellung regionale Schwellung, die ganzen Extremitäten stärkste Schwellung die gesamten Extremitäten<br />
Juckreiz und auch angrenzende Teile des Stammes und angrenzende Regionen umfassend<br />
Schmerzen betreffend Schmerzen<br />
Metabolische leichte Störungen des Säure-, Basen- Störungen im Säure- Basen- und schwere Störungen im Säure-, Basen-<br />
Störungen und Wasser-, Elektrolythaushaltes: Wasser-, Elektrolythaushalt: Wasser-, Elektrolythaushalt:<br />
Azidose: HCO- 3 15 – 20 mmol/l Azidose: HCO- 3 – 10 – 14 mmol/l Azidose: HCO- 3 < 10 mmol/l<br />
pH 7,25 – 7,32 pH 7,15 – 7,24 pH < 7,15<br />
Alkalose: HCO- 3 30,0 – 40,0 mmol/l Alkalose: HCO- 3 > 40 mmol/l Alkalose: HCO- 3 > 40 mmol/l<br />
pH 7,50 – 7,59 pH 7,60 – 7,69 pH > 7,7<br />
176
ORGAN-SYSTEM OHNE -0- LEICHT -1- MITTEL -2- SCHWER -3keine<br />
leichte von selbst deutliche oder schwere oder<br />
Symptome abklingende Symptomatik länger anhaltende Symptomatik lebensbedrohliche Symptomatik<br />
Metabolische K +<br />
: 3,0 – 3,4 mmol/l K+: 2,5 – 2,9 mmol/l K+: < 2,5 mmol/l<br />
Störungen 5,2 – 5,9 mmol/l 6,0 – 6,9 mmol/l > 7,0 mmol/l<br />
leichte Hypoglykämie: 50 – 70 mg/dl Hypoglykämie: 30-50 mg/dl schwere Hypoglykämie: < 30 g/dl<br />
2,8 – 3,9 mmol/l 1,7 – 2,8 mmol/l < 1,7 mmol/l<br />
kurze Hyperthermie länger andauernde Hyperthermie lebensbedrohliche Hyperthermie<br />
Leber geringer Transaminasenanstieg Anstieg der Transaminasen 5 – 50 x der Norm Transaminasenanstieg ( > 50 x der Norm)<br />
(GOT, GPT bis 2 – 5 x der Norm) ohne biochemische oder klinische Zeichen für oder biochemische Zeichen (NH3 ↑↑, Gerinnungs-<br />
Leberversagen störungen) oder klinische Zeichen für Leberversagen<br />
Niere geringgradige Proteinurie ausgeprägte Hämaturie Nierenversagen (Anurie und S-Kreatinin > 500 µmol/l)<br />
Hämaturie Niereninsuffizienz (Oligurie bzw. Polyurie und<br />
S-Kreatinin 200-500 µmol/l)<br />
Blut leichte Hämolyse Hämolyse ausgeprägte Hämolyse<br />
leichte Methämoglobinämie Methämoglobinämie (30 – 50 %) schwere Methämoglobinämie ( > 50%)<br />
(10 – 30 %) Anämie Gerinnungsstörung mit Blutung<br />
Leukopenie schwere Leukopenie<br />
Thrombozytopenie schwere Thromozytopenie<br />
Gerinnungsstörung ohne Blutung schwere Anämie<br />
Muskelsystem Muskelverspannungen Schmerzen stärkste Schmerzen<br />
leichter Muskelschmerz Rigor ausgeprägter Rigor<br />
CPK 250 – 1500 U/L Krämpfe schwerste Muskelkrämpfe oder Muskelfaszikulieren<br />
Faszikulieren Rhabdomyolysis mit Komplikationen<br />
Rhabdomyolysis CPK > 10000 IU/L<br />
CPK 1500-10000 IU/L Kompartmentsyndrom<br />
Hautreaktionen Reizerscheinungen Verätzungen II° bei 10-50 % der KOF Verätzungen II° > 50% der KOF<br />
Verätzungen I° (Rötung) (Kinder 10-30 % d. KOF) (Kinder: > 30 % der KOF)<br />
177
ORGAN-SYSTEM OHNE -0- LEICHT -1- MITTEL -2- SCHWER -3keine<br />
leichte von selbst deutliche oder schwere oder<br />
Symptome abklingende Symptomatik länger anhaltende Symptomatik lebensbedrohliche Symptomatik<br />
Hautreaktionen Verätzungen II° 10% der KOF Verätzungen III° < 2% der KOF Verätzungen III° > 2% der KOF<br />
Örtliche Reaktion Reizung starke Reizung Hornhautulceration (größerflächig)<br />
am Auge Rötung Hornhautabschilferung Perforation<br />
Tränen geringe punktartige Hornhautulceration Dauerschaden<br />
leichtes Lidödem<br />
178
Literatur:<br />
1. Albrecht, K.: Intensivtherapie akuter Vergiftungen, Ullstein<br />
Mosby, Berlin, Wiesbaden 1997<br />
2. Buff, K.; Greim, H.: Abschätzung der gesundheitlichen<br />
Folgen von Großbränden. In: Bundesamt für Zivilschutz<br />
(Hrsg.): Zivilschutz-Forschung. Schriftenreihe der Schutzkommission<br />
beim Bundesminister des Innern, Band 25,<br />
Bonn, 1997<br />
3. Ellenhorn, M. J.: Ellenhorn`s Medical Toxicology: Diagnosis<br />
and Treatment of Human Poisoning, 2nd ed., Williams &<br />
Wilkins, Baltimore 1997<br />
4. Haddad, L. M.; Winchester, J. F.: Clinical management of<br />
poisoning and drug overdose, 2nd ed., W. B. Saunders<br />
Company, Philadelphia 1990<br />
5. Jaeger, A.; Vale, A.: Intoxications aigues, Elsevier, Paris,<br />
1999<br />
6. Marquardt, H.; Schäfer, S.G.: Lehrbuch der Toxikologie, BI-<br />
Wissenschafts-Verlag, Mannheim, Leipzig; Wien; Zürich,<br />
1994<br />
7. Matz, G.: Untersuchung der Praxisanforderung an die<br />
Analytik bei der Bekämpfung großer Chemieunfälle. In:<br />
Bundesamt für Zivilschutz (Hrsg.): Zivilschutz-Forschung.<br />
Schriftenreihe der Schutzkommission beim Bundesminister<br />
des Inneren, Band 30, Bonn, 1998<br />
8. Mühlendahl von, K. E. u. a.: Vergiftungen im Kindesalter, 3.<br />
Aufl., Ferdinand Enke, Stuttgart, 1995<br />
9. Organisation for Economic Co-Operation and Development.<br />
Environment Monograph No. 81. Health Aspects of Chemical<br />
Accidents. Guidance on Chemical Accident Awareness,<br />
Preparedness and Response for Health Professionals<br />
and Emergency Responders, Paris, 1994<br />
10. Persson, H. E. u.a.: Poison Severity Score. Grading of Acute<br />
Poisoning, In: J Toxicol Clin Toxicol, 1998, S. 205 –213<br />
11. Roth, L.: Chemie-Brände und Vorsorgemaßnahmen, ecomed,<br />
Landsberg / Lech,1989<br />
12. Sidell, F. R. u.a.: Medical Aspects of Chemical and Biological<br />
Warfare, Washington, D.C.: Borden Institute, Walter Reed<br />
Army Medical Center; Falls Church, Va.: Office of the<br />
Surgeon General, United States Army; Fort Sam Houston,<br />
Tex.: United States Army Medical Department Center and<br />
School; Fort Detrick, Frederick, Md.: United States Army<br />
Medical Research and Material Command; Bethesda, Md.:<br />
Uniformed Services University of Health Sciences, 1997<br />
179
13. Seuchenhygiene und –bekämpfung<br />
J. Knobloch, E.-J. Finke, B. Domres<br />
Infektionskrankheiten können infolge von Katastrophen gehäuft<br />
auftreten oder durch epidemische Ausbreitung selbst zur Katastrophe<br />
werden. Gegenwärtig müssen aus katastrophenmedizinischer<br />
Sicht etwa 50 Infektionserreger berücksichtigt werden,<br />
die im Rahmen von natürlichen Übertragungen oder durch<br />
gezielte bioterroristische, kriminelle oder militärische Kontamination<br />
Seuchen (Epidemien) verursachen können.<br />
1. Gemeinsame Leitsymptome im Seuchenfall<br />
Das gehäufte Auftreten von bestimmten gleichartigen Symptomen<br />
weist auf eine Epidemie hin. Solche bedeutsamen Leitsymptome<br />
sind<br />
– Fieber<br />
– Durchfall<br />
– Nervenschäden<br />
– Blutungsneigung<br />
Unter Berücksichtigung von epidemiologischen Gemeinsamkeiten<br />
in der betroffenen Population kann so die Differenzialdiagnose<br />
meistens rasch eingeengt werden. Üblicherweise<br />
kann bei systemischen Infektionskrankheiten mit Inkubationszeiten<br />
von 1 bis 21 Tagen gerechnet werden. Einige Infektionen<br />
können auch erst nach Jahren symptomatisch werden<br />
wie Melioidose, Histoplasmose, Malaria tertiana und Malaria<br />
quartana.<br />
1.1 Fieber<br />
Fieber ist ein vieldeutiges Symptom. Hilfreich für die Differenzialdiagnose<br />
von fieberhaften Infektionen sind zusätzliche klinische<br />
Befunde wie Hautausschläge (Exantheme), Rachenrötung, Milzvergrößerung<br />
(Splenomegalie) und Lymphknotenschwellung, orientierende<br />
Laborbefunde wie Blutbild, BSG (Blutkörperchen-Senkungsgeschwindigkeit),<br />
CRP (C-reaktives Protein) und leberspezifische<br />
Enzyme sowie Hinweise auf Läsionen in inneren Organen mit Hilfe<br />
der bildgebenden Diagnostik. Virustypische Blutbildveränderungen<br />
sind Thrombozytopenie (Verminderung der Blutplättchenkonzentration)<br />
und vermehrt aktivierte Lymphozyten. Eine Leukozytose mit<br />
Linksverschiebung (Vermehrung der weißen Blutkörperchen, insbesondere<br />
auch von jugendlichen Zellformen) weist auf eine bakte-<br />
180
ielle Allgemeininfektion hin. Hohe CRP-Werte sprechen eher für<br />
eine bakterielle, nur mäßig erhöhte eher für eine Virusinfektion. Die<br />
leberspezifischen Enzymwerte im Serum (z.B. GOT und GPT) sind<br />
bei den meisten systemischen viralen, bakteriellen, parasitären und<br />
Pilzbedingten Infektionen mäßig erhöht. Sehr hohe Werte (GPT/<br />
GOT) findet man typischerweise z.B. bei der Hepatitis A und der<br />
Hepatitis E sowie (GOT/GPT) beim viralen hämorrhagischen Fieber.<br />
Schwere Krankheiten ohne labortechnische Entzündungszeichen<br />
und ohne Splenomegalie sprechen eher für eine Vergiftung<br />
(Intoxikation), wobei die Gifte (Toxine) allerdings auch von Mikroorganismen,<br />
insbesondere Bakterien wie Clostridium sp., stammen<br />
können. Zu Beginn ähneln sich alle fieberhaften Erkrankungen,<br />
sodass insbesondere keine Prognose hinsichtlich der Sterberate<br />
der Erkrankten (Letalität) gestellt werden kann. Im Einzel- wie im<br />
Seuchenfall ist daher eine Frühdiagnose anzustreben, um insbesondere<br />
gezielt behandlungsbedürftige oder absonderungspflichtige<br />
Patienten schnellstmöglich zu identifizieren. Im Einzelnen kommen<br />
folgende fieberhafte Infektionskrankheiten als seuchenfähig<br />
infrage (alphabetisch):<br />
1.1.1 Affenpocken<br />
(Erreger: Affenpockenvirus, monkeypox virus, möglicher biologischer<br />
Kampfstoff) kommen im tropischen Regenwald Zentralund<br />
Westafrikas vor. Eine direkte Übertragung von Mensch zu<br />
Mensch auf dem Luftweg ist möglich. Typisch ist eine pockenartige<br />
Hautbläschenbildung. Der Erregernachweis gelingt mit<br />
Bläscheninhalt. Die Prophylaxe mit Pockenimpfstoffen ist effektiv.<br />
1.1.2 Brucellose<br />
(Erreger: Brucella melitensis, möglicher biologischer Kampfstoff)<br />
ist weltweit verbreitet. Man infiziert sich über Schleimhaut- oder<br />
Wundkontakt mit infizierten Nutztieren und deren Produkte wie<br />
Urin, Kot, Milch und Käse. Typisch sind grippeartige Symptome<br />
und ein wellenförmiger Fieberverlauf. Der Bakteriennachweis<br />
gelingt mit Blut oder Knochenmark und indirekt durch spezifische<br />
Serumantikörper. Die Therapie ist antibiotisch: Doxycyclin +<br />
Rifampicin, Doxycyclin + Streptomycin oder Azithromycin. Nach<br />
Kontakt mit nachgewiesenermaßen infizierten Tieren kann eine<br />
postexpositionelle Chemoprophylaxe mit Doxycyclin + Rifampicin<br />
durchgeführt werden. Impfstoffe für Menschen und Tiere sind<br />
regional verfügbar und in der Weiterentwicklung.<br />
1.1.3 Chikungunya<br />
(Erreger: Chikungunya-Virus, chikungunya virus, möglicher biologischer<br />
Kampfstoff) ist verbreitet in Afrika und Asien und wird<br />
181
durch verschiedene Stechmückenarten übertragen. Es entwickelt<br />
sich eine akute, grippeartige Erkrankung mit heftigen<br />
Gliederschmerzen und einem rötlichen, fleckförmigen, juckenden<br />
Exanthem. Der Erregernachweis gelingt mit Blut oder durch<br />
Nachweis spezifischer Serumantikörper. Die Therapie ist symptomatisch.<br />
1.1.4 Dengue, Dengue-Fieber<br />
(Erreger: Dengue-Virus 1-4, dengue virus 1-4, möglicher biologischer<br />
Kampfstoff) ist weltweit in den Tropen und Subtropen verbreitet<br />
und wird durch Stechmücken (Aedes spp.) übertragen.<br />
Die Krankheit verläuft akut grippeartig mit Gliederschmerzen<br />
und rötlichem Exanthem. Komplizierte Verläufe mit Kreislaufschock,<br />
Blutungsneigung und Enzephalitis sind möglich. Der<br />
Erregernachweis gelingt mit Blut oder durch Nachweis spezifischer<br />
IgM- und IgG-Serumantikörper. Die Therapie ist symptomatisch.<br />
Impfstoffe sind in der Erprobung.<br />
1.1.5 Diphtherie<br />
(Erreger: Corynebacterium diphtheriae) ist weltweit verbreitet,<br />
hauptsächlich in Ländern mit mangelhafter Durchimpfungsrate.<br />
Die Bakterien werden durch Tröpfcheninfektion übertragen. Die<br />
Erkrankung verläuft akut mit schmerzhafter Rachenentzündung<br />
und nachfolgender Ausbildung von gräulichen, nicht wegwischbaren<br />
Belägen (Pseudomembranen), beginnend meist auf den<br />
Tonsillen, danach Ausbreitung auf den gesamten Nasen-Rachenraum,<br />
bei kompliziertem Verlauf Erstickungstod in der akuten<br />
Phase oder toxische Herz-, Nieren- und Nervenschäden auch<br />
noch Wochen nach Beginn der Symptomatik. Auch Hautdiphtherie<br />
mit schmerzhaften, gräulich belegten Geschwüren ist möglich.<br />
Der Bakteriennachweis gelingt mit Rachen- oder Wundabstrichen,<br />
der zusätzliche Toxinnachweis ist erforderlich. Die<br />
spezielle Therapie wird mit Diphtherie-Antitoxin + Penicillin oder +<br />
Erythromycin durchgeführt. Die Impfung ist gut wirksam. Zudem<br />
kann eine postexpositionelle Chemoprophylaxe mit Penicillin<br />
oder Erythromycin bei ungeimpften Kontaktpersonen durchgeführt<br />
werden.<br />
1.1.6 Fleckfieber<br />
(Erreger: Rickettsia prowazekii, möglicher biologischer Kampfstoff)<br />
ist weltweit verbreitet, hauptsächlich in gemäßigten Klimazonen<br />
von Entwicklungsländern. Es handelt sich um eine typische<br />
Kriegs-, Lager- und Gefängnisseuche. Sie wird durch<br />
Läuse übertragen. Es entwickelt sich ein akutes Krankheitsbild<br />
mit starken Kopf- und Gliederschmerzen, Schüttelfrost und sich<br />
zentrifugal ausbreitendem Exanthem. Komplizierte Verläufe mit<br />
182
Eintrübung, Blutungsneigung sowie Finger- und Zehenbrand<br />
(Gangrän) sind möglich. Spätrückfälle können noch nach Jahren<br />
auftreten: Brill-Zinsser-Krankheit. Der Nachweis wird vorzugsweise<br />
durch spezifische IgM- und IgG-Serumantikörper geführt.<br />
Die antibiotische Therapie wird mit Doxycyclin, Tetracyclin,<br />
Chloramphenicol oder Ciprofloxacin durchgeführt. Ein inaktivierter<br />
Impfstoff ist regional verfügbar. Die postexpositionelle<br />
Chemoprophylaxe mit Doxycyclin oder Ciprofloxacin ist wahrscheinlich<br />
wirksam.<br />
1.1.7 Hepatitis A<br />
(Erreger: Hepatitis A-Virus, HAV, hepatitis A virus) ist weltweit verbreitet<br />
und wird fäkal-oral übertragen über kontaminierte<br />
Nahrungsmittel, selten direkt von Mensch zu Mensch. Die Krankheit<br />
verläuft im Kindesalter meist asymptomatisch, beim Erwachsenen<br />
besteht üblicherweise ein biphasisches Krankheitsbild mit<br />
Fieber und Allgemeinbeschwerden in der 1. Woche, Gelbsucht<br />
(Ikterus) ab der 2. Woche. Die leberspezifischen Enzymwerte im<br />
Serum sind stark erhöht (GPT-Wert höher als der GOT-Wert). Der<br />
Nachweis wird üblicherweise durch spezifische IgM- und IgG-<br />
Serumantikörper geführt. Die Therapie ist symptomatisch. Aktive<br />
und passive Impfungen sind gut wirksam.<br />
1.1.8 Hepatitis E<br />
(Erreger: Hepatitis E-Virus, HEV, hepatitis E virus) ist weltweit,<br />
überwiegend in tropischen Entwicklungsländern, verbreitet und<br />
wird fäkal-oral, überwiegend durch Lebensmittel und Trinkwasser,<br />
selten direkt von Mensch zu Mensch, übertragen. Es<br />
entwickelt sich eine akute Erkrankung mit Ikterus (Gelbsucht),<br />
die leberspezifischen Enzymwerte im Serum sind stark erhöht<br />
(GPT-Wert höher als der GOT-Wert. Gegen Ende der<br />
Schwangerschaft verläuft die Krankheit besonders schwer. Die<br />
Therapie ist symptomatisch. Impfstoffe sind in der Entwicklung.<br />
1.1.9 Histoplasmose<br />
(Erreger: Histoplasma capsulatum, möglicher biologischer<br />
Kampfstoff) ist herdförmig verbreitet in Amerika, Afrika, Indonesien,<br />
Australien, Europa und in der Karibik und wird fast ausschließlich<br />
durch Einatmen von Pilzsporen aus dem Erdreich<br />
übertragen. Der Verlauf ist schleichend chronisch oder auch<br />
akut mit wechselnden Allgemeinsymptomen, Brustschmerzen<br />
und Husten, gelegentlich auch mit einem rötlichen Hautausschlag<br />
(Erythema nodosum oder Erythema multiforme). Typisch<br />
ist eine tuberkuloseähnliche Lungenentzündung. Schwere<br />
Verläufe sowie Erst- und Reaktivierungen früherer Infektionen<br />
nach Jahren sind typisch für erworbene Immundefekte (Aids-<br />
183
definierende Erkrankung). Bei der afrikanischen Form ist weniger<br />
die Lunge als Haut und Knochen mit Geschwülsten, Geschwüren<br />
und eitrigen Einschmelzungen beteiligt. Der Nachweis<br />
wird bevorzugt durch molekularbiologische Methoden wie PCR<br />
(Polymerase-Kettenreaktion) mit Sputum, Blut, Knochenmark<br />
oder Organpunktaten geführt. Antimykotisch sind Itraconazol<br />
und Ketoconazol wirksam. Bei Immundefekt wird die postexpositionelle<br />
und Rezidiv-Chemoprophylaxe nach Erkrankung mit<br />
Itraconazol empfohlen.<br />
1.1.10 Influenza, Grippe, Virusgrippe<br />
(Erreger: Influenza A-, B-, C-Virus, influenza A, B, C virus, mögliche<br />
biologische Kampfstoffe) ist weltweit verbreitet. Influenza A- und B-<br />
Viren verändern häufig ihre für die Empfänglichkeit und Immunität<br />
des Wirtes wesentlichen Moleküle (Hämagglutinin-Glykoprotein, H,<br />
und Neuraminidase-Glykoprotein, N), was bei der Impfstoffherstellung<br />
berücksichtigt werden muss. Die Viren werden durch<br />
Tröpfcheninfektion übertragen und sind hoch infektiös. Influenza-<br />
Pandemien (weltweite Epidemien) mit hoher Erkrankungs- und<br />
Sterberate, wie die sog. Spanische Grippe von 1918 mit 30 bis 50<br />
Mio. Toten, traten bisher in Abständen von 11–40 Jahren auf. Die<br />
Erkrankung verläuft akut mit Hals-, Kopf- und Gliederschmerzen<br />
sowie trockenem Reizhusten. Komplizierte Verläufe mit Kreislaufschock,<br />
Blutungsneigung, Lungen- und Herzmuskelentzündung<br />
(P<strong>neu</strong>monie und Myokarditis) sowie Schäden im Bereich des zentralen<br />
Nervensystems (ZNS) wie im Verlauf einer Enzephalitis sind<br />
möglich. Der Erreger wird kulturell, immundiagnostisch oder molekularbiologisch<br />
im Rachenabstrich, Sputum oder Blut nachgewiesen.<br />
Die Therapie ist symptomatisch, Antibiotika werden nur bei<br />
Immundefekt gegeben. Bei Influenza A-Epidemien ist zu Beginn der<br />
Erkrankung Amantadin (auch postexpositionell für Kontaktpersonen<br />
geeignet), bei Influenza A- und B-Epidemien Zanamivir als<br />
spezifisches Virustatikum hilfreich. Die Impfung ist gut, aber nicht<br />
sehr gut wirksam. Optimierte Impfstoffe für Immundefizierte wurden<br />
bereits zugelassen. Bei Einsätzen in der südlichen Hemisphäre ist<br />
möglicherweise eine modifizierte Impfstoffzusammensetzung notwendig<br />
(lokale Impfstoffbeschaffung).<br />
1.1.11 Kokzidioidomykose<br />
(Erreger: Coccidioides immitis, möglicher biologischer Kampfstoff)<br />
ist überwiegend in Trockengebieten Amerikas verbreitet<br />
und wird meistens durch Inhalation von sporenhaltigem Staub<br />
übertragen. Es entwickelt sich eine eher schleichend verlaufende<br />
Lungenentzündung mit radiologisch darstellbaren Infiltraten,<br />
nachfolgend auch mit Aussaat auf andere Organe einschließlich<br />
der Haut mit Abszessen, Geschwüren und Fisteln. Eine häufige<br />
184
Todesursache ist die spezifische Hirnhautentzündung (Meningitis).<br />
Der Pilz wird in Abstrichen, Aspiraten und Biopsien durch<br />
Kultur und PCR nachgewiesen. Die antimykotische Therapie<br />
wird mit Itraconazol, Ketoconazol, Amphotericin B oder Fluconazol<br />
durchgeführt.<br />
1.1.12 Kryptokokkose<br />
(Erreger: Cryptococcus neoformans, möglicher biologischer<br />
Kampfstoff) kommt weltweit vor und wird durch Einatmen von<br />
kontaminiertem Staub übertragen. Der Verlauf ist eher schleichend<br />
und chronisch mit verschiedenen Symptomen je nach<br />
Organbefall: bevorzugt Lungen-, Gehirn- und Hirnhautentzündung<br />
(P<strong>neu</strong>monie, Enzephalitis, Meningitis). Der Erregernachweis<br />
ist möglich durch PCR oder Pilzkultur mit Hirnwasser<br />
(Liquor), Urin und Gewebeproben sowie durch spezifischen<br />
Antigennachweis mit Serum. Therapeutisch kann Amphotericin<br />
B + Flucytosin + Fluconazol gegeben werden. Als Rückfallprophylaxe<br />
werden Fluconazol oder Itraconazol über Monate,<br />
bei Immundefekt auch lebenslang gegeben.<br />
1.1.13 Läuse-Rückfallfieber<br />
(Erreger: Borrelia recurrentis) ist dem Fleckfieber epidemiologisch<br />
und klinisch sehr ähnlich. Es handelt sich um eine typische Lagerund<br />
Gefängniskrankheit der gemäßigten Zonen von Entwicklungsländern.<br />
Die Erreger können einfach mikroskopisch im<br />
Blutausstrich nachgewiesen werden. Therapeutisch sind Doxycyclin,<br />
Tetracyclin, Penicillin und Erythromycin wirksam.<br />
1.1.14 Legionellose<br />
(Erreger: Legionella p<strong>neu</strong>mophila, möglicher biologischer Kampfstoff)<br />
ist weltweit verbreitet. Primäres Reservoir ist das Süßwasser<br />
mit Idealtemperaturen zwischen 25 und 55°C, insbesondere<br />
mit Wasser benetzte Oberflächen, z. B. in Rohren,<br />
Armaturen und Klimaanlagen. Ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht<br />
besonders bei älteren und schlecht gewarteten oder auch<br />
nur zeitweilig genutzten Warmwasserleitungen und –behältern.<br />
Die Bakterien werden überwiegend durch Einatmen von<br />
Spritzwasser, z.B. beim Duschen, in klimatisierten Räumen oder<br />
in Whirlpools übertragen. Die Krankheit beginnt akut oder schleichend<br />
mit grippeartigen Symptomen, schwerem Krankheitsgefühl,<br />
Brustschmerzen und Husten, gelegentlich folgt Eintrübung<br />
oder Verwirrtheit. Typisch ist eine radiologisch<br />
nachweisbare Lungenentzündung. Der leichte Verlauf ohne Lungenentzündung<br />
wird als Pontiac-Fieber bezeichnet. Kulturelle,<br />
immundiagnostische und molekularbiologische Testsysteme für<br />
Urin-, Sputum- und Blutproben stehen zur Verfügung. Anti-<br />
185
iotisch wird mit Erythromycin, Azithromycin, Clarithromycin oder<br />
Ciprofloxacin, bei schweren Fällen zusätzlich mit Rifampicin<br />
behandelt. Bei <strong>neu</strong> zu planenden Trinkwassererwärmungs- und<br />
Leitungsanlagen sollen die Empfehlungen des Deutschen Vereins<br />
für das Gas- und Wasserfach beachtet werden: DVGW W 551.<br />
1.1.15 Malaria<br />
(Erreger: Plasmodium falciparum, Plasmodium vivax, Plasmodium<br />
ovale und Plasmodium malariae) ist weltweit in den<br />
Tropen und Subtropen verbreitet und wird durch Stechmücken<br />
(Anopheles sp.) übertragen. Vier klinische Formen werden unterschieden:<br />
unkomplizierte Malaria tropica und komplizierte<br />
Malaria tropica durch Plasmodium falciparum, Malaria tertiana<br />
durch Plasmodium vivax oder Plasmodium ovale, Malaria quartana<br />
durch Plasmodium malariae. Die Malaria tropica verläuft<br />
am schwersten, Malaria tertiana und quartana verursachen<br />
gelegentlich rhythmische Fieberschübe (jeden 2. oder 3. Tag).<br />
Es besteht eine akute Erkrankung mit grippeartigen Symptomen,<br />
bei Teilimmunität (nur Bewohner endemischer Gebiete)<br />
ist auch ein schleichender Verlauf möglich. Bei Komplikationen<br />
entwickeln sich Kreislaufschock, Blutungsneigung, Eintrübung<br />
und Tod durch Multiorganversagen. Der Erregernachweis<br />
gelingt mikroskopisch mit Blutproben (Dicker Tropfen, Fluoreszenz-Mikrohämatokrit-Anreicherung,<br />
Erregerdifferenzierung im<br />
fixierten Blutausstrich). Zur Therapie stehen Mefloquin,<br />
Atovaquon-Proguanil, Chinin, Doxycyclin, Clindamycin, Chloroquin<br />
sowie zusätzlich international erhältliche Präparate zur<br />
Verfügung, die kombiniert oder als Monotherapie eingesetzt<br />
werden. Chloroquin, Mefloquin, Atovaquon-Proguanil und Doxycyclin<br />
können auch prophylaktisch eingesetzt werden. Zur<br />
Rückfallprophylaxe der Malaria tertiana ist Primaquin geeignet.<br />
Impfstoffe sind in Erprobung.<br />
1.1.16 Malleus, Rotz, glanders<br />
(Erreger: Burkholderia mallei, möglicher biologischer Kampfstoff)<br />
ist weltweit in Einzelherden (gelegentlich im Zoo) verbreitet und wird<br />
über Schleimhäute und Hautläsionen nach engem Kontakt mit infizierten<br />
Pferden, Maultieren, Eseln und Mauleseln oder auch mit infizierten<br />
Menschen übertragen. Es entwickelt sich eine akute Erkrankung<br />
mit Hautpusteln, schmerzhaften Lymphknotenschwellungen<br />
und Abszessbildungen in inneren Organen. Chronische Verlaufsformen<br />
mit Rückfällen sind möglich. Der Bakteriennachweis wird<br />
kulturell mit Blut, Wundabstrichen und Abszesspunktaten geführt.<br />
Therapeutisch werden Ceftazidim, Imipenem, Doxycyclin, Ciprofloxacin<br />
oder Gentamicin, auch als Kombination entsprechend<br />
Sensibilitätsprüfung, eingesetzt.<br />
186
1.1.17 Melioidose<br />
(Erreger: Burkholderia pseudomallei, möglicher biologischer<br />
Kampfstoff) ist innerhalb des 20. nördlichen und südlichen<br />
Breitengrades heimisch, hauptsächlich in SO-Asien, und wird<br />
durch Kontakt (Wunden, Schleimhäute, Einatmen, Verschlucken)<br />
mit kontaminiertem Wasser oder Erdreich übertragen. In<br />
Einzelfällen geht eine jahrelange Inkubationszeit voraus<br />
(„Zeitbomben-Krankheit“), insbesondere bei erworbenen Immundefekten<br />
und Diabetes mellitus. Akute oder chronische Verläufe<br />
mit Lymphknotenschwellung, eitrigen Hautwunden, multiplen<br />
Abszessen und Lungenentzündung sind typisch. Der Erregernachweis<br />
gelingt durch Kultur aus Abszess-Aspirat, Wundabstrich,<br />
Sputum, Rachenabstrich und Blut. Therapeutisch werden<br />
Ceftazidim, Imipenem, Doxycyclin oder Ciprofloxacin, auch<br />
kombiniert entsprechend Sensibilitätsprüfung, eingesetzt.<br />
1.1.18 Pocken<br />
(Erreger: Pockenvirus, variola virus, möglicher biologischer<br />
Kampfstoff) gelten als ausgerottet, es werden jedoch noch<br />
Laborstämme des Virus vorgehalten. Nach Übertragung von<br />
Mensch zu Mensch durch Tröpfcheninfektion entwickeln sich<br />
schwere Allgemeinsymptome mit bläschenförmigem Hautausschlag;<br />
die Hautläsionen sind, im Gegensatz zu Windpocken,<br />
weitgehend im gleichen Entwicklungsstadium: Papel, Bläschen,<br />
Pustel oder verschorftes Geschwür. Der Nachweis gelingt durch<br />
Virusanzucht mit Bläscheninhalt. Eine Differenzierung gegenüber<br />
Windpocken-Viren (Varizella-Zoster-Virus 1 = humanes Herpesvirus<br />
3) ist elektronenmikroskopisch möglich. Die Therapie ist<br />
symptomatisch. Die wirksamen Impfstoffe sind nicht mehr allgemein<br />
verfügbar. Die Krankheit ist quarantäne- und hospitalisationspflichtig.<br />
1.1.19 Psittakose, Ornithose, Papageienkrankheit<br />
(Erreger: Chlamydophila psittaci, möglicher biologischer Kampfstoff)<br />
ist weltweit verbreitet und wird durch Einatmen erregerhaltigen<br />
Staubes übertragen, selten ist die direkte Übertragung von<br />
Mensch zu Mensch. Es entwickelt sich eine akute Erkrankung<br />
mit schwerem Krankheitsgefühl, Husten, Kopf- und Gliederschmerzen.<br />
Eine radiologisch nachweisbare Lungenentzündung<br />
(atypische P<strong>neu</strong>monie) ist üblich. Der Erregernachweis wird<br />
meistens indirekt über spezifische Serumantikörper geführt.<br />
Therapeutisch werden Doxycyclin, Tetracyclin, Erythromycin<br />
oder Ciprofloxacin gegeben.<br />
1.1.20 Q-Fieber<br />
(Erreger: Coxiella burnetii, möglicher biologischer Kampfstoff)<br />
187
ist weltweit verbreitet und wird durch Einatmen von kontaminiertem<br />
Staub oder direkt durch Kontakt mit infizierten Nutztieren<br />
und deren Urin, Fruchtwasser, Milch oder Fleisch übertragen.<br />
Es entwickelt sich eine akute Erkrankung mit Husten, Kopfund<br />
Muskelschmerzen. Typisch ist eine radiologisch nachweisbare<br />
Lungenentzündung (atypische P<strong>neu</strong>monie). Komplikationen<br />
bestehen in ZNS-Schäden (Enzephalitis), Nierenschäden<br />
(Immunkomplexnephritis) und chronischen Verläufen<br />
mit Leber- (granulomatöse Hepatitis) oder Herzklappenentzündung<br />
(Endokarditis). Der Erregernachweis wird üblicherweise<br />
indirekt über spezifische Serumantikörper geführt. Therapeutisch<br />
wird Doxycyclin verabreicht, bei Endokarditis eine<br />
Langzeittherapie mit Doxycyclin + Rifampicin. Eine Impfung für<br />
besonders Exponierte ist regional verfügbar. Eine postexpositionelle<br />
Chemoprophylaxe kann mit Doxycyclin oder Tetracyclin für<br />
5 Tage ab dem 8. Tag nach der Exposition durchgeführt werden.<br />
1.1.21 Rift Valley-Fieber<br />
(Erreger: Rift Valley-Fieber-Virus, Rift Valley fever virus, möglicher<br />
biologischer Kampfstoff) ist in Afrika heimisch. Menschliche<br />
Erkrankungen entstehen meistens im Rahmen von Seuchen unter<br />
den Reservoirtieren (Wiederkäuer). Das Virus wird durch verschiedene<br />
Stechmückenarten oder kontaminierte Aerosole von infizierten<br />
Schlachttieren und Tierkadavern auf den Menschen übertragen.<br />
Es entsteht eine akute grippeartige Erkrankung mit Kopf- und<br />
Muskelschmerzen, gelegentlich auch mit einer starken Leberentzündung<br />
(fulminante Hepatitis). Mögliche Komplikationen ab der<br />
2. Krankheitswoche sind ZNS-Schäden (Enzephalitis), Augenschäden<br />
(Retinitis) und Blutungsneigung. Der Erreger kann aus<br />
Serum oder Gewebe kulturell oder molekularbiologisch (PCR)<br />
nachgewiesen werden, zudem gibt es spezifische Serumantikörper-Tests.<br />
Die Therapie ist symptomatisch. Die Effektivität von<br />
Ribavirin und Immunplasma sind in Erprobung. Nutztiere in<br />
Endemiegebieten können geimpft werden. Ein Humanimpfstoff ist<br />
lokal für Epidemien verfügbar.<br />
1.1.22 Rocky Mountain-Fleckfieber, Rocky Mountain spotted<br />
fever, RMSF, Zeckentyphus, Sao Paulo-Fieber<br />
(Erreger: Rickettsia rickettsii, möglicher biologischer Kampfstoff) ist<br />
nur in Amerika verbreitet und wird durch Zeckenstiche übertragen.<br />
Es entwickelt sich eine akute, schwere Krankheit mit grippeartigen<br />
Symptomen, Nervenschäden, Magen-Darmbeschwerden, kleinfleckigem<br />
Hautausschlag mit zentripetaler Ausbreitung, Schockund<br />
Blutungsneigung. Gelegentlich sieht man eine persistierende<br />
Papel mit zentraler Nekrose (Eschar) an der Zeckenstichstelle. Der<br />
übliche Erregernachweis wird indirekt über spezifische Serum-<br />
188
antikörper geführt. Therapeutisch werden Tetracyclin, Doxycyclin<br />
oder Chloramphenicol und zusätzlich Cortison bei Schwerstkranken<br />
gegeben.<br />
1.1.23 Typhus abdominalis<br />
(Erreger: Salmonella typhi, möglicher biologischer Kampfstoff) ist<br />
weltweit verbreitet, hauptsächlich in Entwicklungsländern, und wird<br />
fäkal-oral übertragen, meistens über Trinkwasser oder Nahrungsmittel,<br />
selten von Mensch zu Mensch. Es entwickelt sich eine<br />
schleichend beginnende, grippeartige und nachfolgend eine<br />
schwere Krankheit mit anhaltend hohem Fieber (Kontinua), verschiedene<br />
Organkomplikationen einschließlich ZNS-Schäden,<br />
gelegentlich kleinen, wegdrückbaren, rötlichen Flecken auf der<br />
Bauchhaut (Roseolen). Ab der 4. Krankheitswoche ist ein Darmdurchbruch<br />
möglich (Typhusperforation). In Einzelfällen werden<br />
Bakterien mit dem Stuhl für 10 Wochen oder länger nach überstandener<br />
Erkrankung ausgeschieden (Dauerausscheider). In der<br />
Fieberphase fehlen regelmäßig die eosinophilen Granulozyten im<br />
Blutbild (Aneosinophilie). Der Erregernachweis wird kulturell<br />
geführt, zunächst mit Blut, ab der 3. Krankheitswoche auch mit<br />
Stuhl oder Urin. Therapeutisch wird Ciprofloxacin gegeben. Reservemittel<br />
sind Co-trimoxazol, Amoxicillin und Chloramphenicol. In<br />
jedem Fall soll die antibiotische Therapie entsprechend der<br />
Sensibilitätsprüfung optimiert werden. Impfstoffe sind weltweit verfügbar<br />
(oral und parenteral), jedoch noch nicht optimal wirksam.<br />
2. Durchfall<br />
Diarrhö als Leitsymptom weist auf Darminfektionen hin, obwohl<br />
er auch Begleitsymptom zahlreicher anderer Erkrankungen sein<br />
kann. Die Erreger werden dabei überwiegend mit dem Stuhl<br />
ausgeschieden und verunreinigen bei mangelhafter Hygiene<br />
Nahrungsmittel und Trinkwasser, wo sie sich halten oder sogar<br />
noch vermehren können, um so weitere Personen zu infizieren<br />
(fäkal-orale Übertragung). Durchfallerreger entfalten ihre krankmachende<br />
Wirkung durch Giftstoffe (Toxine), die auf die<br />
Darmwand wirken, oder durch Eindringen in die Darmwand<br />
(lokale Invasion), wodurch Entzündungen hervorgerufen werden.<br />
Zum Teil können sie auch Anschluss an die Blutbahn<br />
gewinnen und so komplizierende systemische Infektionen hervorrufen<br />
(systemische Invasion). Während sich bei der lokalen<br />
Darmintoxikation keine labortechnischen Entzündungszeichen<br />
finden, ist die Invasion neben Fieber durch entzündliche<br />
Veränderungen im Blutbild (z.B. Leukozytose) und im Serum<br />
(z.B. BSG- und CRP-Werte erhöht) gekennzeichnet. Die wesent-<br />
189
liche therapeutische Maßnahme besteht im oralen, ggf. parenteralen<br />
Flüssigkeits-, Elektrolyt- und Azidoseausgleich (Anhang<br />
4.). Eine zusätzliche antibiotische Behandlung ist bei bakteriellen<br />
Darminfektionen nur notwendig, wenn Komplikationszeichen<br />
bestehen und für Patienten mit Immundefekt oder<br />
Sichelzellerkrankung. Parasitäre Darminfektionen sollen immer<br />
auch mit dem entsprechenden antiparasitär wirksamen Medikament<br />
behandelt werden.<br />
2.1 Campylobacter-Enteritis<br />
(Erreger: Campylobacter jejuni, Campylobacter coli, Campylobacter<br />
fetus) ist weltweit verbreitet und wird über Trinkwasser<br />
und Nahrungsmittel, Kontakt mit infizierten Tieren und selten<br />
auch direkt von Mensch zu Mensch übertragen. Es entwickelt<br />
sich ein akuter, fieberhafter, wässriger, gelegentlich auch blutiger<br />
Durchfall mit grippeartigen Allgemeinsymptomen und<br />
Bauchschmerzen. Monozytose und Splenomegalie sind häufige<br />
Befunde. Die seltenen Komplikationen bestehen in Lähmungen<br />
(Guillain-Barré-Syndrom), Herzklappen- (Endocarditis lenta),<br />
Gelenks- (infektiöse Arthritis), Venen- (Phlebitis) oder Hirnhautentzündung<br />
(Meningitis). Der Erregernachweis wird durch<br />
Stuhlkultur geführt, die Feintypisierung zur Sicherung von<br />
Infektketten durch verschiedene molekularbiologische Methoden<br />
(PFGE, Flagellin-RFLP und AFLP). Die Therapie ist symptomatisch<br />
(Anhang 4.). Bei blutigem Durchfall und anhaltendem<br />
Fieber soll antibiotisch mit Erythromycin, Doxycyclin, Tetracyclin<br />
oder Ciprofloxacin behandelt werden, ggf. auch Umstellung<br />
nach Sensibilitätsprüfung.<br />
2.2 Cholera<br />
(Erreger: Vibrio cholerae, möglicher biologischer Kampfstoff) ist<br />
verbreitet in Entwicklungsländern Osteuropas, Asiens sowie<br />
Amerikas und wird fäkal-oral über Trinkwasser oder Nahrungsmittel,<br />
selten auch direkt von Mensch zu Mensch übertragen. Es<br />
entwickelt sich ein akuter, wässriger, typischerweise massiver<br />
Durchfall, nur selten mit Fieber oder anderen Invasionszeichen,<br />
hervorgerufen durch Bakterientoxine; nur der bekapselte<br />
Serotyp O139 kann invasiv werden. Rasch entsteht eine insbesondere<br />
für Kinder lebensgefährliche Austrocknung (Exsikkose).<br />
Der Erregernachweis wird in der Stuhlkultur geführt. Die<br />
Therapie ist symptomatisch (Anhang 4.), bei schwerem Durchfall<br />
zusätzlich mit Doxycyclin (Erwachsene) oder Co-trimoxazol<br />
(Kinder). Die Cholera ist eine quarantäne- und hospitalisationspflichtige<br />
Erkrankung. Die verfügbaren Impfstoffe sind nur eingeschränkt<br />
wirksam. Zu Beginn einer Epidemie in Lagern wird<br />
aber die Massenimpfung empfohlen.<br />
190
2.3 Giardiasis, Lambliasis<br />
(Erreger: Giardia lamblia) ist weltweit verbreitet, gehäuft in<br />
Regionen mit mangelhafter Hygiene, und wird fäkal-oral, meistens<br />
nahrungsvermittelt, selten direkt von Mensch zu Mensch,<br />
übertragen. Epidemien kommen u.a. in Lagern, Kindergärten und<br />
Altenheimen vor. Es entsteht eine akute, chronische oder wiederkehrende<br />
wässrige Diarrhö mit Blähungen ohne Allgemeinsymptomatik.<br />
Der Nachweis gelingt mikroskopisch im Stuhl nach<br />
Anreicherung und durch spezifischen Antigen-Nachweis mit<br />
Stuhlüberstand. Die Therapie wird vorzugsweise mit Tinidazol<br />
durchgeführt.<br />
2.4 Rotavirus-Enteritis<br />
(Erreger: Rotavirus, rotavirus) ist weltweit verbreitet und wird<br />
fäkal-oral über Trinkwasser und Nahrungsmittel, seltener direkt<br />
von Mensch zu Mensch, übertragen. Es entwickelt sich ein akuter,<br />
wässriger Durchfall, überwiegend bei Kindern. Komplikationen<br />
wie eine ZNS-Schädigung (Enzephalitis) sind selten.<br />
Die Diagnose wird durch Nachweis spezifischer Antigene im<br />
Stuhlüberstand geführt. Die Therapie ist symptomatisch (Anhang<br />
4.). Die Impfstoffentwicklung war noch nicht sehr erfolgreich.<br />
2.5 Salmonellen-Enteritis<br />
(Erreger: Salmonella enteritidis und Salmonella typhimurium) ist<br />
weltweit verbreitet und wird durch Verzehr von kontaminierten<br />
Speisen, z.B. rohe oder unzureichend gekochte Eier, Rohmilch,<br />
Fleisch- und Geflügelprodukte, übertragen. Die fäkal-orale<br />
Übertragung von Mensch zu Mensch ist selten. Es entwickelt<br />
sich eine akute, meist fieberhafte Erkrankung mit wässrigem,<br />
selten blutigem Durchfall, Bauch- und Kopfschmerzen, Übelkeit<br />
und Erbrechen. Bei Invasion in die Blutbahn sind Komplikationen<br />
möglich: Abszesse in inneren Organen, Meningitis,<br />
Endokarditis, P<strong>neu</strong>monie, Pyelonephritis, Cholezystitis und<br />
Osteomyelitis; der Erregernachweis wird durch Stuhlkultur geführt.<br />
Die Therapie ist symptomatisch (Anhang 4.). Bei Invasionszeichen,<br />
Immundefekt oder Sichelzellerkrankung wird<br />
zusätzlich mit Ciprofloxacin, Ofloxacin, oder Amoxicillin behandelt,<br />
ggf. Umsetzung nach Sensibilitätsprüfung. Die antibiotische<br />
Therapie verlängert die Erregerausscheidung.<br />
2.6 Shigellose, Bakterienruhr<br />
(Erreger: Shigella boydii, Shigella dysenteriae, Shigella flexneri<br />
und Shigella sonnei, mögliche biologische Kampfstoffe, insbesondere<br />
auch die Bakterien-Toxine) ist weltweit verbreitet und<br />
wird durch fäkal-orale Schmierinfektion, meist über Lebensmittel,<br />
seltener direkt von Mensch zu Mensch, schon in einer<br />
191
niedrigen Infektionsdosis übertragen. Es entwickelt sich eine<br />
akute Erkrankung mit Durchfall (typischerweise blutig-schleimiger<br />
Stuhl) und Bauchkrämpfen, bei Kindern auch Krampfanfälle<br />
und Septikämie (Bakterien im Blut). Komplikationen durch ein<br />
hämolytisch-urämisches Syndrom (Blutauflösung und Nierenversagen)<br />
sind möglich. Die Erreger werden in der Stuhlkultur<br />
nachgewiesen. Die Therapie ist symptomatisch (Anhang 4.), bei<br />
schwerer Krankheit auch antibiotisch, z.B. mit Ciprofloxacin.<br />
2.7 Staphylokokken-Enteritis<br />
(Erreger: Staphylococcus aureus, die Bakterien-Toxine werden<br />
als mögliche biologische Kampfstoffe angesehen) ist weltweit<br />
verbreitet und wird durch Nahrungsmittel übertragen. Es entwickeln<br />
sich akuter wässriger Durchfall und gelegentliche Komplikationen<br />
mit Kreislaufschock und Blutungsneigung. Erreger<br />
und Toxine werden in den zuvor aufgenommenen Nahrungsmitteln<br />
nachgewiesen. Die Therapie ist symptomatisch<br />
(Anhang 4.).<br />
2.8 Yersinien-Enteritis<br />
(Erreger: Yersinia enterocolitica) ist weltweit in gemäßigten<br />
Klimazonen verbreitet und wird durch Nahrungsmittel, besonders<br />
unzureichend erhitztes Schweinefleisch, Trinkwasser oder<br />
selten auch direkt von Mensch zu Mensch übertragen. Es entwickeln<br />
sich akuter wässriger Durchfall und Bauchschmerzen.<br />
Typische, aber seltene Begleit- und Nachkrankheiten: rötliche,<br />
erhabene, großfleckige Hautausschläge (Erythema nodosum),<br />
Gelenksentzündung (reaktive Arthritis), Harnröhrenreizung (Urethritis),<br />
Augenentzündung (Iritis). Der Erregernachweis gelingt in<br />
der Stuhlkultur. Die Therapie ist symptomatisch (Anhang 4.), bei<br />
schwerer Krankheit oder bekanntem Immundefekt auch antibiotisch<br />
mit Co-trimoxazol, Doxycyclin, Tetracyclin oder Ciprofloxacin.<br />
3. Nervenschäden<br />
Nervenschäden mit Fieber treten bei zahlreichen systemischen<br />
Infektionen auf. Ohne Fieber und andere Invasionszeichen sind<br />
sie häufig Ausdruck von Intoxikationen (Vergiftungen), wobei die<br />
Giftstoffe (Toxine) auch aus Infektionserregern stammen können.<br />
Bei Zeichen einer ZNS-Schädigung ist die diagnostische Punktion<br />
der Rückenmarkflüssigkeit (Liquor cerebrospinalis) bedeutsam.<br />
Ist der Liquor trübe und zellreich, so kann eine bakterielle<br />
Infektion unter Beteiligung der Hirnhäute (bakterielle Meningitis,<br />
z.B. durch Neisseria meningitidis) angenommen werden. Ist der<br />
192
Liquor eher klar und zellarm, so spricht der Befund bei<br />
Meningitis-Zeichen (z.B. Nackensteifigkeit) eher für eine<br />
Virusmeningitis. Bei ausschließlicher Schädigung des Gehirns<br />
(z.B. bei Enzephalitis) ist der Liquor immer klar und zellarm.<br />
3.1 Botulismus<br />
(Erreger: Clostridium botulinum, die Bakterien-Toxine werden<br />
als mögliche biologische Kampfstoffe angesehen) ist weltweit<br />
verbreitet und wird durch Verzehr oder Inhalation von Toxinen,<br />
die unter anaeroben (sauerstoffarmen) Bedingungen gebildet<br />
werden können, meistens mit hausgemachten und nicht ausreichend<br />
erhitzten Konserven aufgenommen. Zu Beginn kommt es<br />
zu Magen-Darmbeschwerden, nachfolgend treten verschwommenes<br />
Sehen, Doppelbilder, Lichtscheu, Schluckstörungen,<br />
trockener Mund und absteigende schlaffe Lähmungen auf.<br />
Fieber entwickelt sich nur bei komplizierenden Sekundärinfektionen.<br />
Die Erholungsphase ist verzögert, falls die Intoxikation<br />
überlebt wird. Die Sonderformen des infantilen und des<br />
Wundbotulismus kommen nicht epidemisch vor. Die Toxine werden<br />
in Serum-, Stuhl- oder Nahrungsmittelproben nachgewiesen.<br />
Die Therapie wird mit Antitoxin unter intensivmedizinischer<br />
Überwachung durchgeführt.<br />
3.2 Frühsommer-Meningo-Enzephalitis, FSME, TBE, RSSE<br />
(Erreger: FSME-Virus, tick-borne encephalitis virus, möglicher biologischer<br />
Kampfstoff) ist verbreitet von Europa nach Osten bis<br />
Hokkaido, Japan, und wird übertragen durch Zecken (Holzbock,<br />
Ixodes ricinus), möglicherweise auch durch Milch von Nutztieren.<br />
Es entsteht eine akute, fieberhafte, gelegentlich biphasische<br />
Erkrankung: grippeartig in der 1. Woche, in 10 % 2. Phase in der 2.<br />
Krankheitswoche mit er<strong>neu</strong>tem Fieberanstieg (39°C), heftigen<br />
Kopf- und Gliederschmerzen mit starkem Krankheitsgefühl bei klinischer<br />
Meningitis oder Enzephalitis mit entsprechenden ZNS-<br />
Schäden, dabei zu 10 % bleibende Defekte mit Lähmungen und<br />
Gemütsleiden. Die Diagnose wird gestellt durch Nachweis spezifischer<br />
IgM- und IgG-Serumantikörper oder molekularbiologisch<br />
(PCR) mit Blut und Liquor. Die Therapie ist symptomatisch. Immunprophylaxe<br />
ist möglich durch eine aktive Schutzimpfung mit<br />
inaktiviertem Virus sowie postexpositionell mit FSME-Hyperimmunglobulin<br />
(bei Kindern unter 14 Jahren in Deutschland nicht<br />
zugelassen). Die Wirkung dieser Maßnahmen ist nicht wissenschaftlich<br />
gesichert.<br />
3.3 Japanische Enzephalitis<br />
(Erreger: Japanische Enzephalitis-Virus, JE-Virus, Japanese<br />
encephalitis virus, möglicher biologischer Kampfstoff) ist nur in<br />
193
Asien verbreitet und wird durch Stechmücken (Culex sp.) übertragen.<br />
Es entwickelt sich eine akute, fieberhafte, grippeartige<br />
Erkrankung mit Hirnhaut- und Gehirnschädigung (Meningo-Enzephalitis)<br />
unter Bevorzugung von Kindern und Alten. Zu etwa<br />
80 % ist mit einer permanenten Nervenschädigung zu rechnen;<br />
Nachweis: spezifischer IgM- und IgG-Serumantikörper; spezifische<br />
PCR und Viruskultur vorzugsweise mit Liquor. Die Therapie<br />
ist symptomatisch. Die Schutzimpfung gilt als wirksam.<br />
3.4 Meningokokken-Meningitis<br />
(Erreger: Neisseria meningitidis, sog. Meningokokken, mit 12<br />
Serogruppen, z.B. A, C, Y, W135) ist weltweit verbreitet mit überwiegenden<br />
Einzelerkrankungen. Natürliche Epidemien gibt es<br />
vorwiegend im Meningitis-Gürtel (Sahel-Zone) Afrikas und in den<br />
Megastädten der Entwicklungsländer, dabei sind überwiegend<br />
Kinder und Jugendliche betroffen. Die Krankheit wird durch<br />
Tröpfcheninfektion von gesunden Bakterienträgern (Nasen-<br />
Rachenraum) übertragen. Es entwickelt sich eine akute, fieberhafte<br />
Erkrankung mit grippeartigen Symptomen, Schüttelfrost<br />
und Nackensteifigkeit (Meningismus) mit ZNS-Schäden (Meningitis).<br />
In Einzelfällen besteht eine komplizierende Sepsis mit<br />
Kreislaufschock, Exanthem und Blutungsneigung bei raschem<br />
Multiorganversagen (Waterhouse-Friderichsen-Syndrom). Vor<br />
allem bei Kleinkindern können die klinischen Zeichen der<br />
Meningitis zunächst auf Erbrechen und Fieber beschränkt sein,<br />
bei Säuglingen kann die Fontanelle aufgetrieben sein. Der<br />
Liquor (Hirnwasser) ist trübe und zellreich, Bakterien sind darin<br />
nicht immer mikroskopisch sichtbar Der Erregernachweis<br />
gelingt durch kulturelle Anzucht oder molekularbiologisch (PCR)<br />
mit Liquor oder Blut. Schnelltests zum spezifischen Antigennachweis<br />
in Liquor, Serum und Urin sind verfügbar. Die Therapie<br />
ist antibiotisch mit Penicillin G, Cephalosporinen oder Chloramphenicol<br />
sowie nach Sensibilitätsprüfung und anschließender<br />
Rifampicin-Nachbehandlung. Impfungen sind gegen Erreger der<br />
Serogruppen A, C, W 135, Y möglich. Die Patienten sollen für 24<br />
Stunden nach Beginn einer spezifischen Therapie abgesondert<br />
werden, zudem soll Schutzkleidung in der Krankenversorgung<br />
getragen werden. Eine postexpositionelle Chemoprophylaxe für<br />
Kontaktpersonen ist mit Rifampicin, Ceftriaxon oder Ciprofloxacin<br />
möglich.<br />
3.5 Nipah-Virus-Enzephalitis<br />
(Erreger: Nipah-Virus, Nipah virus) wurde erst 1999 im Rahmen<br />
einer Epidemie in Malaysia entdeckt. Es entwickelt sich eine<br />
rasch zunehmende ZNS-Schädigung (Enzephalitis) mit hoher<br />
Letalität, aber geringer Defektheilungsrate. Das Virus wird<br />
194
wahrscheinlich von Schweinen auf den Menschen übertragen.<br />
Das Virus kann in Hirnwasser (Liquor), Sputum und Urin nachgewiesen<br />
werden (Goh et al 2000). Die Therapie ist symptomatisch.<br />
3.6 Ostamerikanische Pferde-Enzephalitis, Eastern equine<br />
encephalitis, EEE<br />
(Erreger: Ostamerikanisches Pferde-Enzephalitis-Virus, Eastern<br />
equine encephalitis virus, EEEV, möglicher biologischer Kampfstoff)<br />
ist verbreitet in Amerika, in der Karibik und in Südostasien,<br />
vornehmlich in Sumpfgebieten mit Pferdehaltung, und wird<br />
durch verschiedene Stechmückenarten übertragen. Menschen<br />
und Pferde sind Fehlwirte und erkranken typischerweise<br />
schwer. Es entwickelt sich eine akute, fieberhafte Erkrankung,<br />
häufig im Rahmen einer Epidemie unter Pferden, mit grippeartigen<br />
Symptomen, Bewusstseinstrübung, Krämpfen und einer<br />
hohen Rate an bleibenden zentralnervösen Defekten. Die<br />
Diagnose wird durch Nachweis spezifischer IgM- und IgG-<br />
Serumantikörper sowie durch Viruskultur mit Blut und Liquor<br />
gestellt. Die Therapie ist symptomatisch. Impfstoffe für Pferde<br />
und Menschen sind lokal verfügbar.<br />
3.7 Poliomyelitis<br />
(Erreger: Poliovirus 1-3, human poliovirus 1-3) ist verbreitet in<br />
Europa, Afrika und Asien mit rückläufiger Tendenz, die Ausrottung<br />
durch globale Impfkampagnen mit Lebendimpfstoff wird<br />
für möglich gehalten. Der Mensch ist der einzige natürliche Wirt,<br />
die Krankheit wird durch direkten Kontakt, zumeist als fäkale<br />
Schmierinfektion, übertragen. Es entsteht ein akutes, fieberhaftes<br />
Krankheitsbild mit Kopfschmerzen, Übelkeit und gelegentlicher<br />
Nackensteifigkeit. Die Krankheit heilt entweder innerhalb<br />
von 2–3 Tagen aus (typisch für Kleinkinder), oder es entwickelt<br />
sich ein längerer Verlauf mit Bauchschmerzen, Durchfall, Muskelschmerzen,<br />
Gefühlsstörungen und schließlich Lähmungen,<br />
auch Atemlähmung. Die Ausheilung wird innerhalb von Tagen<br />
bis zu 2 Jahren beobachtet. Der Nachweis des Virus gelingt<br />
durch Kultur mit Stuhl, Liquor und Rachenspülflüssigkeit oder<br />
indirekt mit Hilfe spezifischer IgM- und IgG-Serumantikörpern.<br />
Die Therapie ist symptomatisch, ggf. unter intensivmedizinischer<br />
Behandlung (Beatmung). Die Impfung mit Totimpfstoff ist<br />
effektiv, bei Epidemien und zur globalen Ausrottung wird<br />
Lebendimpfstoff als Abriegelungsimpfung nach Anordnung der<br />
zuständigen Gesundheitsbehörde bevorzugt.<br />
195
3.8 Venezuelanische Pferde-Enzephalitis, Venezuelan equine<br />
encephalitis, VEE<br />
(Erreger: Venezuelanisches Pferde-Enzephalitis-Virus, Venezuelan<br />
equine encephalitis virus, möglicher biologischer Kampfstoff)<br />
ist nur in Amerika verbreitet und wird durch verschiedene<br />
Stechmückenarten übertragen. Es entsteht eine akute, fieberhafte<br />
Erkrankung mit Muskelschmerzen, ZNS-Schäden (Enzephalitis)<br />
mit seltenen bleibenden Behinderungen. Der Nachweis<br />
wird durch Viruskultur mit Blut oder durch die Bestimmung spezifischer<br />
IgM- und IgG-Serumantikörper geführt. Die Therapie<br />
ist symptomatisch. Impfstoffe für Menschen, Pferde und Esel<br />
sind regional verfügbar.<br />
3.9 Westamerikanische Pferde-Enzephalitis<br />
(Erreger: Westliches Pferde-Enzephalitis-Virus, Western equine<br />
encephalitis virus, möglicher biologischer Kampfstoff) ist verbreitet<br />
nur in Amerika und wird durch verschiedene Stechmückenarten<br />
übertragen Es entwickelt sich eine akute, fieberhafte Erkrankung<br />
mit grippeartigen Symptomen. Schwere Verläufe mit ZNS-<br />
Schäden sind eher selten. Der Erregernachweis gelingt durch<br />
Viruskultur mit Blut oder mit Hilfe von spezifische IgM- und IgG-<br />
Serumantikörpern. Die Therapie ist symptomatisch. Impfstoff für<br />
Tiere und Menschen ist regional verfügbar.<br />
4. Blutungsneigung<br />
Die Blutungsneigung (hämorrhagische Diathese) ist ein Komplikationszeichen<br />
zahlreicher systemischer Infektionen und Intoxikationen.<br />
Häufige Ursachen sind Gefäßschäden und Gerinnungsstörungen.<br />
Bei Virusinfektionen und bei der Malaria<br />
stehen Schäden kleiner Gefäße (Kapillaren, Venolen), bei bakteriellen<br />
Infektionen auch Gerinnungsstörungen (intravasale Gerinnung,<br />
DIC) im Vordergrund. Die virusbedingten systemischen<br />
Infektionen mit Blutungsneigung (virale hämorrhagische Fieber,<br />
VHF) sind quarantäne- und hospitalisationspflichtig.<br />
4.1 Argentinisches hämorrhagisches Fieber<br />
(Erreger: Junin-Virus, Junin virus, möglicher biologischer<br />
Kampfstoff) ist nur in ländlichen Gebieten Argentiniens verbreitet<br />
und wird über Nahrungsmittel, Staub oder Direktkontakt mit<br />
infizierten Mäusen oder Patienten übertragen. Es entwickelt sich<br />
eine akute, fieberhafte Erkrankung mit Blutungsneigung, Nierenversagen<br />
und Nervenschäden. Eine mögliche Spätkomplikation<br />
ist eine etwa 5-tägige fieberhafte Enzephalitis 4–6 Wochen nach<br />
dem akuten fieberhaften Stadium. Der Erregernachweis soll<br />
196
möglichst im Speziallabor (Sicherheitsstufe 4) geführt werden.<br />
Therapeutisch ist lokal verfügbares Plasma von immunen Spendern<br />
in der 1. Krankheitswoche wirksam. Ribavirin scheint<br />
zusätzlich wirksam zu sein. Das Medikament kann auch prophylaktisch<br />
für Kontaktpersonen und in der Krankenversorgung eingesetzt<br />
werden.<br />
4.2 Bolivianisches hämorrhagisches Fieber<br />
(Erreger: Machupo-Virus, Machupo virus, möglicher biologischer<br />
Kampfstoff) ist im Nordosten Boliviens verbreitet. Der<br />
Mensch infiziert sich über kontaminierte Lebensmittel, virushaltiges<br />
Wasser und direkt durch Kontakt mit Nagern oder infektiösem<br />
Material über Hautläsionen und Schleimhäute, selten ist die<br />
Übertragung von Mensch zu Mensch. Es entwickelt sich eine<br />
akute grippeartige Erkrankung mit Kopf- und Gliederschmerzen.<br />
Blutungsneigung besteht in etwa 30 % der Fälle, Kreislaufschock<br />
und ZNS-Schäden (Enzephalitis) sind weitere Komplikationen.<br />
Der Erregernachweis soll möglichst im Speziallabor<br />
(Sicherheitsstufe 4) durch Virusanzucht (Blut), spezifische PCR<br />
und spezifische IgM- und IgG-Serumantikörper geführt werden.<br />
Die Therapie ist symptomatisch. Die Patienten werden isoliert,<br />
und in der Krankenversorgung wird Schutzkleidung getragen.<br />
4.3 Ebola-Fieber<br />
(Erreger: Ebola-Virus, Ebola virus, mit den Arten Reston, Sudan<br />
und Zaire, nämlich EBO-R, EBO-S, EBO-Z, mögliche biologische<br />
Kampfstoffe) ist verbreitet im tropischen Afrika. EBO-R hat nach<br />
Import über Meerkatzen aus den Philippinen zu menschlichen<br />
Infektionen, nicht aber zu Erkrankungen geführt. Die Infektion wird<br />
über Schleimhäute und Hautläsionen nach engem Kontakt mit<br />
Affen oder Patienten und deren Untersuchungsproben erworben.<br />
Krankenhausausbrüche (nosokomiale Epidemien) im Rahmen der<br />
Krankenversorgung und über kontaminierte Kanülen sind typisch.<br />
Es entwickelt sich eine akute, fieberhafte Erkrankung mit schwerer<br />
grippeartiger Symptomatik, Bauch- und Brustschmerzen,<br />
Mundgeschwüren, verschiedenartigen Exanthemen und schon<br />
nach wenigen Tagen einsetzender allgemeiner Blutungsneigung,<br />
sowie ZNS-Schäden. Die Letalität ist durchschnittlich 70 %. Der<br />
Erregernachweis durch Viruskultur und spezifische PCR aus Blut<br />
oder Leichengewebe soll nur im Speziallabor (Sicherheitsstufe 4)<br />
geführt werden. Die Therapie ist symptomatisch, ggf. intensivmedizinisch.<br />
Die Krankheit ist quarantäne- und hospitalisationspflichtig,<br />
strikte Absonderung der Patienten, Schutzkleidung und strikte<br />
Hygienemaßnahmen in der Krankenversorgung sind erforderlich.<br />
197
4.4 Gelbfieber<br />
(Erreger: Gelbfieber-Virus, yellow fever virus, möglicher biologischer<br />
Kampfstoff) ist im tropischen Afrika und tropischen<br />
Südamerika verbreitet und wird durch verschiedene tagaktive<br />
Stechmückenarten zwischen Menschen und verschiedenen<br />
Affenarten übertragen. Es entwickelt sich eine akute Erkrankung,<br />
typischerweise biphasisch: in der 1. Woche grippeartig, in<br />
der 2. Woche Komplikationen mit Blutungsneigung, Kreislaufschock<br />
und Multiorganversagen, meistens keine Gelbsucht<br />
(Ikterus) in der akuten Phase, sondern erst in der Erholungsphase<br />
(Rekonvaleszenz) nach kompliziertem Verlauf. Die spezielle<br />
Diagnostik soll möglichst im Speziallabor (Sicherheitsstufe<br />
3) durchgeführt werden. Die Therapie ist symptomatisch. Der<br />
verfügbare Lebendimpfstoff ist sehr gut wirksam und im internationalen<br />
Reiseverkehr auf bestimmten Routen vorgeschrieben<br />
(WHO 2001).<br />
4.5 Hämorrhagisches Dengue-Fieber, DHF<br />
(Erreger: Dengue-Virus 1-4, dengue virus 1-4, möglicher biologischer<br />
Kampfstoff, s. auch Kapitel 1.1.4) ist weltweit in den<br />
Tropen und Subtropen als komplizierter Verlauf des Dengue-<br />
Fiebers verbreitet. Die schweren Verläufe des DHF und des<br />
Dengue-Schocksyndroms (DSS) treten meistens gemeinsam<br />
auf und entstehen wahrscheinlich überwiegend nach mehrfachen<br />
Infektionen mit verschiedenen Dengue-Virus-Arten in<br />
bestimmter Reihenfolge, vorübergehend Exponierte sind kaum<br />
betroffen. Meist bei Säuglingen und Kindern entwickelt sich in<br />
der 2. Krankheitswoche ein schweres Krankheitsbild mit Blutungsneigung,<br />
Kreislaufschock und Multiorganversagen. Der<br />
Nachweis gelingt mittels Viruskultur und spezifische PCR im<br />
Speziallabor (Sicherheitsstufe 3). Die Therapie ist symptomatisch<br />
und besteht insbesondere in der Schocktherapie durch<br />
Plasmaersatz-Infusionen. Impfstoffe sind in der Erprobung.<br />
4.6 Hämorrhagisches Fieber mit renalem Syndrom, HFRS<br />
(Erreger: verschiedene Arten, z.B. Hantaan-, Puumala-, Seoul-<br />
Virus, der Gattung Hantavirus, mögliche biologische Kampfstoffe)<br />
ist weltweit verbreitet, das Hantavirus-Lungensyndrom allerdings<br />
bisher nur in Amerika. Die Krankheit wird übertragen nach mittelbarem<br />
(z.B. über kontaminierte Nahrungsmittel) oder unmittelbarem<br />
Kontakt mit Reservoirtieren (Ratten und Mäuse), die das Virus<br />
mit dem Urin, Speichel und Fäkalien ausscheiden, eine direkte<br />
Übertragung von Mensch zu Mensch ist selten. Es entwickelt sich<br />
eine akute, fieberhafte Erkrankung mit grippeartigen Symptomen<br />
und Nierenfunktionsstörung, gelegentlich auch mit generalisierter<br />
Blutungsneigung, Kreislaufschock und Bewusstseinstrübung.<br />
198
Eine gefährliche Sonderform ist das Hantavirus-Lungensyndrom,<br />
HPS, mit schwerster Atemnot bei radiologisch nachweisbarer<br />
Lungenentzündung und -blutung. Typisch ist in allen Fällen Eiweiß<br />
im Urin (Proteinurie) und eine gestörte Nierenfunktion (Kreatinin-<br />
Wert im Serum erhöht). Die Diagnose wird durch Nachweis spezifischer<br />
IgM- und IgG-Serumantikörper sowie Viruskultur und PCR<br />
mit Blut im Speziallabor (Sicherheitsstufe 4) gestellt. Therapeutisch<br />
ist nur eine symptomatische, ggf. intensivmedizinische<br />
(Beatmung, Dialyse) Behandlung verfügbar. Schutzkleidung in der<br />
Krankenversorgung wird insbesondere bei HPS empfohlen.<br />
4.7 Hämorrhagisches Krim-Kongo-Fieber<br />
(Erreger: hämorrhagisches Krim-Kongo-Fieber-Virus, Crimean-<br />
Congo hemorrhagic fever virus, möglicher biologischer Kampfstoff)<br />
ist in Osteuropa, Asien sowie in Afrika verbreitet und wird<br />
durch verschiedene Zeckenarten oder Kontakt mit Patientenproben<br />
übertragen. Es entsteht ein akutes, fieberhaftes<br />
Krankheitsbild, zunächst grippeartig, dann vielfach mit Hautund<br />
Schleimhautblutungen. Die Diagnose wird durch Nachweis<br />
spezifischer IgM- und IgG-Serumantikörper sowie durch<br />
Viruskultur und spezifische PCR mit Blut im Speziallabor (Sicherheitsstufe<br />
4) gestellt. Die Therapie ist symptomatisch und<br />
virustatisch mit Ribavirin. In der Krankenversorgung soll Schutzkleidung<br />
getragen werden. Eine postexpositionelle Ribavirin-<br />
Prophylaxe ist möglich.<br />
4.8 Lassa-Fieber<br />
(Erreger: Lassa-Virus, Lassa virus, möglicher biologischer Kampfstoff)<br />
ist verbreitet in West- und Zentralafrika. Reservoir ist die<br />
Vielzitzenratte Mastomys natalensis, die Viren mit dem Urin ausscheidet<br />
und Betten, Böden und Lebensmittelvorräte kontaminiert,<br />
wo sich der Mensch schleimhautvermittelt infiziert, eine<br />
direkte Übertragung von Mensch zu Mensch ist ebenfalls möglich.<br />
Es entwickelt sich eine akute Erkrankung mit grippeartigen<br />
Symptomen, Hals- und Brustschmerzen. Nur in der Minderheit der<br />
Fälle kommt es zu Blutungs- und Schockneigung sowie schließlich<br />
Multiorganversagen ab der 2. Krankheitswoche. Der indirekte<br />
Erregernachweis durch spezifische IgM- und IgG-<br />
Serumantikörper und die Virusanzucht und die spezifische PCR<br />
mit Blut soll möglichst im Speziallabor (Sicherheitsstufe 4) durchgeführt<br />
werden. Die Therapie ist symptomatisch und virustatisch<br />
mit Ribavirin, das auch zur postexpositionellen Prophylaxe eingesetzt<br />
werden kann. Die Patienten werden isoliert, und in der<br />
Krankenversorgung wird Schutzkleidung getragen. Impfstoffe sind<br />
in der Entwicklung.<br />
199
4.9 Marburg-Krankheit<br />
(Erreger: Marburg-Virus, Marburg virus, möglicher biologischer<br />
Kampfstoff) ist nur in Afrika verbreitet und wird über infizierte<br />
Affen übertragen, seltener von Mensch zu Mensch über Blut<br />
und Ejakulat. Es entwickelt sich eine akute, fieberhafte, grippeartige<br />
Erkrankung, nach Tagen tritt ein fleckiger Hautausschlag<br />
auf, in der 2. Krankheitswoche Blutungsneigung, Kreislaufschock<br />
und Multiorganversagen. Die spezielle Diagnostik<br />
mit Hilfe der Virusanzucht und der spezifischen PCR mit Blut<br />
soll nur im Speziallabor (Sicherheitsstufe 4) durchgeführt werden.<br />
Die Therapie ist symptomatisch. Die Patienten werden isoliert,<br />
und in der Krankenversorgung wird Schutzkleidung getragen.<br />
4.10 Milzbrand, Anthrax<br />
(Erreger: Bacillus anthracis, möglicher biologischer Kampfstoff,<br />
bildet umweltresistente Dauerformen, die Sporen) ist weltweit<br />
verbreitet, vorzugsweise in wärmeren Klimazonen und Viehzuchtgegenden.<br />
Klinisch werden unterschieden:<br />
– Hautmilzbrand: Infektion durch Kontakt mit kontaminierten<br />
tierischen Materialien über kleine Hautverletzungen, rasch<br />
größer werdende Papel, die sich zu einem nicht schmerzhaften,<br />
mit schwärzlichem Schorf bedeckten Geschwür mit<br />
Umgebungsrötung entwickelt, Allgemeinsymptome mit Benommenheit,<br />
Kreislauf- und Herzrhythmusstörungen, komplizierende<br />
Erregeraussaat in die Blutbahn (Milzbrandsepsis)<br />
– Lungenmilzbrand: Inhalation von sporenhaltigem Staub oder<br />
Aerosolen (z.B. beim Schlachten), schwere, akute Lungenentzündung<br />
mit blutigem Auswurf<br />
– Darmmilzbrand: orale Aufnahme der Sporen mit ungenügend<br />
gekochtem Fleisch oder Innereien von erkrankten Tieren, akuter<br />
Durchfall mit blutigem Stuhl und schweren Allgemeinsymptomen<br />
Eine mittelbare Übertragung von Mensch zu Mensch ist möglich.<br />
Der Erregernachweis gelingt durch Kultur mit Sputum,<br />
Stuhl, Blut und Wundabstrichen. Die Therapie ist antibiotisch<br />
mit Ciprofloxacin, Doxycyclin, Penicillin, Erythromycin oder<br />
Chloramphenicol sowie gezielt nach Sensibilitätsprüfung.<br />
Wirksame Impfstoffe sind gegenwärtig nur für die USA-<br />
Streitkräfte verfügbar. Für den Epidemiefall wird die Kombination<br />
aus Impfung und Ciprofloxacin-Chemoprophylaxe favorisiert.<br />
Eine postexpositionelle Chemoprophylaxe ist möglich mit<br />
Doxycyclin oder Ciprofloxacin.<br />
4.11 Pest<br />
(Erreger: Yersinia pestis, möglicher biologischer Kampfstoff) ist<br />
verbreitet in Asien, Afrika, Mittel- und Südamerika sowie im<br />
200
Südwesten der USA und wird vom Tierreservoir (Nagetiere,<br />
Katzen) durch Stich verschiedener Floharten, durch direkten Kontakt<br />
mit eröffneten Tierkadavern (z.B. beim Häuten und Ausweiden<br />
erlegter Murmeltiere) und durch Tröpfcheninfektion von Patienten<br />
mit Lungenpest auf den Menschen übertragen. Es können sich<br />
verschiedene Krankheitsbilder entwickeln:<br />
– Beträchtliche, rasch zunehmende, schmerzhafte Lymphknotenschwellung<br />
mit Einschmelzungs- und Perforationsneigung<br />
in Abhängigkeit vom Flohstich (z.B. Leistenbeuge):<br />
Bubonenpest<br />
– Bei Durchbruch der Bakterien in die Blutbahn akute Verschlimmerung<br />
mit Fieber, Schüttelfrost, Eintrübung, Kopfund<br />
Gliederschmerzen: septikämische Pest<br />
– Absiedelung der Bakterien in der Lunge bei septikämischer<br />
Pest oder Primärbefall der Lunge durch Tröpfcheninfektion<br />
mit Atemnot und blutigem Auswurf: Lungenpest<br />
Der Nachweis des Erregers gelingt aus dem Blut, dem Buboneneiter<br />
oder dem Sputum mittels Mikroskopie (durch bipolare<br />
Färbung der Stäbchenbakterien mit Methylenblau, Aussehen wie<br />
eine geschlossene Sicherheitsnadel) und Kultur (möglichst im<br />
Speziallabor, Sicherheitsstufe 3) oder indirekt durch Nachweis<br />
spezifischer IgM- und IgG-Serumantikörper. Antibiotisch wird<br />
Ciprofloxacin, Tetracyclin, Gentamicin, Streptomycin oder Chloramphenicol,<br />
ggf. nach Sensibilitätsprüfung, gegeben. Die Pest ist<br />
in Europa seit über 650 Jahren quarantäne- und hospitalisationspflichtig.<br />
Eine postexpositionelle Prophylaxe ist mit Ciprofloxacin<br />
oder Doxycyclin möglich. In der Krankenversorgung wird Schutzkleidung<br />
getragen. Verbesserte Impfstoffe sind in der Entwicklung.<br />
4.12 Tularämie, Hasenpest<br />
(Erreger: Francisella tularensis, möglicher biologischer Kampfstoff),<br />
ist herdförmig verbreitet in der nördlichen Hemisphäre<br />
und wird durch Haut- oder Schleimhautkontakt mit infektiösem<br />
Tiermaterial, Verzehr von nicht ausreichend erhitztem, kontaminiertem<br />
Hasenfleisch, durch verschiedene Stechmücken- und<br />
Zeckenarten, Aufnahme mit kontaminiertem Wasser oder Staub<br />
übertragen. Es entsteht eine akute, fieberhafte Erkrankung mit<br />
Kopf- und Gliederschmerzen sowie schmerzlosem Geschwür<br />
an der Eintrittspforte und schmerzhafter regionaler Lymphknotenschwellung<br />
mit Einschmelzungstendenz: ulzeroglanduläre<br />
Form. Bei Durchbruch der Bakterien in die Blutbahn entwickelt<br />
sich die septikämische Tularämie unter<br />
Verschlimmerung des Allgemeinzustandes, Organmanifestation<br />
mit häufigem Lungenbefall: Sekundärstadium. Sonderformen<br />
sind die primäre Lungenentzündung nach Einatmen der<br />
Bakterien sowie Rachengeschwüre und Magen-Darmbe-<br />
201
schwerden nach Verzehr. Der Erregernachweis wird durch Kultur<br />
der Bakterien aus peripherem Blut, Abstrichen und Biopsien<br />
möglichst im Speziallabor (Sicherheitsstufe 3) geführt. Antibiotisch<br />
wird mit Streptomycin (Resistenzen bekannt), Gentamicin,<br />
Tobramycin, Doxycyclin oder Chloramphenicol behandelt.<br />
Postexpositionell und in der Krankenversorgung kann prophylaktisch<br />
Ciprofloxacin und Doxycyclin eingenommen werden.<br />
5. Maßnahmen zur Aufklärung einer Epidemie<br />
Bei epidemieverdächtigen Krankheitshäufungen soll schnellstmöglich<br />
kompetente Hilfe gesucht und die zuständigen Gesundheitsbehörden<br />
informiert werden. Schon vor Eintreffen der<br />
Experten kann versucht werden, Hinweise auf den Übertragungsmodus<br />
und die Art des zeitlichen Zugangs der Kranken<br />
(z.B. explosiv) zu sammeln. Hierbei wird gezielt nach epidemiologischen<br />
Gemeinsamkeiten der Patienten gefragt:<br />
– gemeinsame Trinkwasser- und Lebensmittelversorgung<br />
– gemeinsame raumlufttechnische Anlagen oder Exposition<br />
gegenüber Aerosolen<br />
– vorangegangene Kontakte unter den Erkrankten<br />
– Häufung der Fälle im Krankenhaus<br />
– gemeinsame Exposition gegenüber Blutsaugern (z.B. Stechmücken,<br />
Zecken, Läuse, Flöhe)<br />
– gemeinsame Exposition gegenüber bestimmten Wild- und<br />
Nutztieren oder deren Kadaver<br />
Durch die bekannten Verbreitungsgebiete der Infektionserreger<br />
kann die Differenzialdiagnose weiter eingeengt werden, allerdings<br />
nicht bei terroristischen, kriminellen oder militärischen<br />
Anschlägen mit B-Kampfmitteln.<br />
6. Verbreitung von Epidemien<br />
6.1 Wasser und Nahrungsmittel als Infektionsquelle<br />
Diese Infektionen kommen insbesondere bei einer gemeinsamen<br />
Trinkwasserversorgung und Gemeinschaftsküchen infrage,<br />
im Einzelnen:<br />
– Argentinisches hämorrhagisches Fieber<br />
– Bolivianisches hämorrhagisches Fieber<br />
– Botulismus<br />
– Brucellose<br />
– Campylobacter-Enteritis<br />
– Cholera<br />
– Darmmilzbrand<br />
202
– FSME (fraglich)<br />
– Giardiasis<br />
– Hepatitis A<br />
– Hepatitis E<br />
– HFRS<br />
– Lassa-Fieber<br />
– Melioidose<br />
– Poliomyelitis<br />
– Rotavirus-Enteritis<br />
– Salmonellen-Enteritis<br />
– Shigellose<br />
– Staphylokokken-Enteritis<br />
– Tularämie<br />
– Typhus abdominalis<br />
– Yersinien-Enteritis<br />
6.2 Aerogene Infektionen<br />
Auf dem Luftwege vermittelte (aerogene) Infektionen können<br />
vermutet werden, wenn Epidemien im Rahmen von Menschenansammlungen<br />
auf engem Raum auftreten wie bei:<br />
– Affenpocken<br />
– Diphtherie<br />
– Influenza<br />
– Lungenpest<br />
– Meningokokken-Meningitis<br />
– Pocken<br />
– Tularämie<br />
Aerogen vermittelte Epidemien werden zudem beobachtet nach<br />
Exposition gegenüber kontaminiertem Staub und Spritzwasser<br />
sowie kontaminierten Tieren, deren Kadaver und Produkte, im<br />
Einzelnen:<br />
– Argentinisches hämorrhagisches Fieber<br />
– Bolivianisches hämorrhagisches Fieber<br />
– Ebola-Fieber<br />
– Histoplasmose<br />
– Kokzidioidomykose<br />
– Kryptokokkose<br />
– Legionellose<br />
– Malleus<br />
– Melioidose<br />
– Nipah-Virus-Enzephalitis<br />
– Psittakose<br />
– Q-Fieber<br />
– Rift Valley-Fieber<br />
203
6.3 Infektionen durch Körperflüssigkeiten<br />
sind typisch für sexuell und durch verunreinigte Kanülen oder<br />
Blutprodukte übertragbare Krankheiten (z.B. Aids, Hepatitis B<br />
und C). Solche Infektionen verursachen allerdings überwiegend<br />
schleichend beginnende und anhaltende Epidemien chronischer<br />
Krankheiten und sind daher nicht Gegenstand der <strong>Katastrophenmedizin</strong>.<br />
Unter ungünstigen hygienischen Bedingungen<br />
entstehen aber durchaus Epidemien, die sich rasch<br />
ausbreiten können, wobei die verantwortlichen Erreger nicht<br />
unbedingt sehr infektiös sein müssen. Hierbei können sich<br />
Krankenhäuser im Rahmen der klinischen und labortechnischen<br />
Krankenversorgung wesentlich beteiligen (nosokomiale Epidemien).<br />
Im Einzelnen können folgende seuchenfähige Erkrankungen<br />
durch Blut, Urin, Speichel und Intimkontakt übertragen<br />
werden:<br />
– Affenpocken<br />
– Argentinisches hämorrhagisches Fieber<br />
– Bolivianisches hämorrhagisches Fieber<br />
– Diphtherie<br />
– Ebola-Fieber<br />
– Hämorrhagisches Krim-Kongo-Fieber<br />
–HFRS<br />
– Influenza<br />
– Lassa-Fieber<br />
– Marburg-Krankheit<br />
– Meningokokken-Meningitis<br />
– Milzbrand<br />
– Pest<br />
– Pocken<br />
– Psittakose<br />
– Typhus abdominalis<br />
6.4 Vektorvermittelte Infektionen<br />
Wesentliche Vektoren epidemiefähiger Infektionen sind Stechmücken,<br />
Zecken, Läuse und Flöhe. Stechmücken-assoziierte<br />
Epidemien entstehen nicht selten saisonal (z.B. nach einer<br />
Regenzeit) im Rahmen von Bevölkerungswanderungen und bei<br />
Biotop-Veränderungen (Anlegen <strong>neu</strong>er Brutplätze wie Stauseen),<br />
im Einzelnen:<br />
– Chikungunya<br />
– Dengue<br />
– Gelbfieber<br />
– Japanische Enzephalitis<br />
– Malaria<br />
– Ostamerikanische Pferde-Enzephalitis<br />
– Rift Valley-Fieber<br />
204
– Tularämie<br />
– Venezuelanische Pferde-Enzephalitis<br />
– Westamerikanische Pferde-Enzephalitis<br />
Infizierte Zecken werden z.B. bei Viehauftrieben eingeschleppt<br />
oder treten zusammen mit ihren Nutz- und Wildtierwirten gehäuft<br />
auf, um Epidemien mit Rocky Mountain-Fleckfieber, FSME, hämorrhagisches<br />
Krim-Kongo-Fieber und Tularämie zu verursachen.<br />
Läuse lieben das häusliche Milieu mit Menschen in engen<br />
Wohnverhältnissen (Lager, Gefängnis) und verursachen Epidemien<br />
mit Fleckfieber und Läuse-Rückfallfieber. Flöhe, schließlich, übertragen<br />
die Pest, die sich epidemieartig allerdings im Wesentlichen<br />
durch Tröpfcheninfektion als Lungenpest verbreitet.<br />
7. Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung<br />
7.1 Allgemeine Maßnahmen<br />
Für den Epidemiefall wird empfohlen, möglichst umgehend ein<br />
Seuchenbekämpfungsgremium zu bilden, bestehend aus politischen<br />
und medizinischen Entscheidungsträgern, die alle notwendigen<br />
Maßnahmen bestimmen, koordinieren, verantworten<br />
und bekanntgeben:<br />
– Panikbekämpfung mit Hilfe der Pressemedien<br />
– Anwerbung von Experten zur Aufklärung und Bekämpfung<br />
der Epidemie<br />
– Meldung nach BSeuchG (Bundes-Seuchengesetz), demnächst<br />
nach IfSG (Infektionsschutzgesetz), und Anzeige nach<br />
BKV (Berufskrankheitenverordnung)<br />
– Festlegen oder Bereitstellen von Behandlungs- und Diagnostikeinrichtungen<br />
inklusive zusätzlicher Mittel und Kräfte<br />
– Permanente Kommunikation mit klinischen und diagnostischen<br />
Kompetenzzentren<br />
– Bereitstellung von Isolationseinheiten<br />
– Bereitstellung von Schutzkleidung<br />
– Aufstellung eines Hygieneplans<br />
– Festlegung von Versorgungsprioritäten (Sichtung)<br />
– Festlegung der Absonderungsmaßnahmen für Patienten und<br />
Kontakte<br />
– Festlegung der gezielten Maßnahmen zum allgemeinen Gesundheitsschutz<br />
nach Aufklärung der Epidemie<br />
Bei direkt übertragbaren Erkrankungen hoher Infektiosität oder<br />
Letalität sollen im Patienten-, Leichen- und Laborprobenkontakt<br />
neben Einweg-Schutzhandschuhen und (Einweg-) Schutzkleidung<br />
auch Partikelschutz-Gesichts-Vollmasken mit HEPA-<br />
205
Filtern (high efficiency particulate air, z.B. Bilsom MX, Anhang 2.)<br />
getragen werden. Der Hygieneplan umfasst die Verfügbarkeit<br />
und Anwendung geeigneter Desinfektionsmittel nach möglicher<br />
Kontamination (Anhang 3.) unter sorgfältiger Trennung von<br />
Trink- und Abwasser einschließlich der Fäkalien. Für den Transport<br />
Hochinfektiöser stehen spezielle Isolatoren, z.B. ATI (aircraft<br />
transit isolator, Roberts, Anhang 2.), zur Verfügung. Mobile<br />
Isolierstationen (MIS, Dornier, Anhang 2.) sind in der Planung.<br />
Werden Großtransporte erforderlich, so soll baldmöglichst die<br />
zivilmilitärische Zusammenarbeit gesucht werden. Bei trinkwasservermittelten<br />
Infektionen sind rasch Alternativen zu installieren.<br />
Hier kann das Technische Hilfswerk (THW, Anhang 2.) mit<br />
einer spezialisierten Schnelleinsatzeinheit zur Wasserversorgung<br />
(SEEWA) in der Instandsetzung bestehender Systeme und<br />
mit mobilen Trinkwasseraufbereitungsanlagen helfen, die im<br />
Einzelfall auch kommerziell beschafft werden können (z.B. Kyll,<br />
Bergisch Gladbach, Anhang 2 dieses Kapitels).<br />
7.2 Sanitäre Versorgung in Flüchtlingslagern<br />
7.2.1 Allgemeine Maßnahmen<br />
Die wahllose Ansammlung von menschlichen und anderen Abfallprodukten<br />
in Lagern stellt eine Bedrohung für die Gesundheit<br />
Einzelner und der Gemeinschaft dar. Von besonderer Wichtigkeit<br />
hierbei ist es, für sauberes Wasser und eine fachgerechte Entsorgung<br />
der menschlichen Ausscheidungen, des Abwassers, sowie<br />
des Mülls zu sorgen. Insbesondere die kulturellen Gewohnheiten<br />
der entwurzelten Menschen sowie die örtlichen Gegebenheiten<br />
wie Geologie, Niederschlag, Wasserverfügbarkeit und die Ableitungsmöglichkeiten<br />
des Abwassers sollten hierbei berücksichtigt<br />
werden, im Einzelnen:<br />
– Art der Analhygiene<br />
– Bedürfnis nach Privatsphäre<br />
– Bevorzugte Position (sitzend oder hockend)<br />
– Trennung der Geschlechter oder anderer Gruppen, für die es<br />
unmöglich ist, eine gemeinsame Latrine zu benutzen<br />
– Kulturelle Tabus<br />
– Kulturelle Gewohnheiten bei Kindern, Latrinen müssen kindersicher<br />
sein<br />
– Nutzbarkeit in der Nacht, Beleuchtung<br />
– Distanz zu den Unterkünften: sind Latrinen zu weit entfernt,<br />
werden sie nicht genutzt<br />
– Überfüllte, zu nah an den Unterkünften gelegene Latrinen bergen<br />
wiederum gesundheitliche Gefahren<br />
– Die Entsorgung der Exkremente muss gewährleisten, dass<br />
der Wasservorrat nicht kontaminiert wird, um der Ausbreitung<br />
von Infektionen vorzubeugen.<br />
206
Es ist notwendig, durch Öffentlichkeitsarbeit die Flüchtlinge zur<br />
Benutzung der Latrinen zu ermutigen und auf die Zusammenhänge<br />
zwischen der Entsorgung von Exkrementen und der<br />
Ausbreitung von Krankheiten hinzuweisen. Übergangsweise<br />
können Grabenlatrinen verwendet werden, die später durch<br />
individuelle Familienlatrinen ersetzt werden sollten.<br />
7.2.2 Latrinenarten<br />
Es stehen vielfältige Arten von Latrinen zur Verfügung, hierbei<br />
sind solche, die einfach zu konstruieren, kostengünstig und in<br />
der Wartung leicht zu handhaben sind, von zentraler Bedeutung.<br />
Prinzipiell sind trockene von feuchten Latrinensystemen<br />
zu unterscheiden.<br />
Bei den Trockensystemen ist es wichtig, das Bohrloch so klein<br />
wie möglich zu halten und einen dicht sitzenden Deckel zu verwenden.<br />
Zu diesem System gehört die sehr kostengünstige flache<br />
Grabenlatrine, die allerdings nur wenige Tage benutzbar ist,<br />
und die tiefe Grabenlatrine, die mehrere Monate genutzt werden<br />
kann. Die Fallgrubenlatrine ist die am häufigsten verwendete<br />
Latrine. Hier können bis zu 300 Personen pro Hektar ihre Notdurft<br />
verrichten. Bohrlochlatrinen sind mit sieben Metern wesentlich<br />
tiefer als Fallgruben, doch bergen sie damit auch die<br />
Gefahr der Grundwasserkontamination. Weiterhin gibt es die<br />
kompostierende Latrine, die allerdings von der Anwendung her<br />
wesentlich aufwändiger ist.<br />
Die Feuchtsysteme umfassen das Wasser-Plomben-System, das<br />
zwar kostengünstig ist, allerdings einen permanenten Wasservorrat<br />
zur Spülung (1-3 Liter) voraussetzt. Wasserklosetts, die<br />
wesentlich kostenintensiver sind, setzen einen Wassertank mit<br />
1m 3 und weitere 5 Liter Wasser pro Person und Tag zur Spülung<br />
voraus. Die Oxfam Sanitation Unit ist die teuerste Form der<br />
Entsorgung, sie dient bis zu 1000 Personen pro Tag, wofür mit<br />
einem Wasserverbrauch von 3000 l/d gerechnet werden muss.<br />
7.2.3 Abwasser, Müll und Staub<br />
Um Seuchen zu vermeiden, sollte das Abwasser an bestimmten,<br />
vom Lager weit entfernten Stellen gesammelt und drainiert werden.<br />
Eine weitere Gefahr hinsichtlich der Ausbreitung krankheitsübertragender<br />
Insekten und Nager stellt die unkontrollierte<br />
Entsorgung von Müll dar. Dieser sollte an speziell ausgeschilderten<br />
Stellen gesammelt und der Zutritt hierzu ausdrücklich verboten<br />
werden. Speziell der Entsorgung medizinischer Abfälle muss<br />
besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Des Weiteren ist<br />
die gesundheitsgefährdende Wirkung großer Mengen Staub zu<br />
bedenken, die zu Irritationen der Augen, Atemwege und der Haut<br />
führen. Die besten Präventivmaßnahmen sind die Erhaltung der<br />
207
natürlichen Vegetation, das Befeuchten von Straßen, sowie eine<br />
kontrollierte Verkehrsführung.<br />
7.2.4 Bekämpfung von Insekten und Nagetieren<br />
Insekten und Nagetiere übertragen und verbreiten Krankheiten<br />
und können Nahrungsmittelvorräte verunreinigen. Daher<br />
ist einerseits auf eine ausreichende Hygiene sowie das<br />
Bedecken von Körper und Nahrungsmitteln zu achten, andererseits<br />
sind auch präventive Maßnahmen zur Limitierung und<br />
Eliminierung insbesondere der Brutplätze der Vektoren von<br />
Bedeutung. Werden Arthropoden als Mitverursacher einer<br />
Epidemie vermutet, so ist für die Bekämpfung der Rat von<br />
Spezialisten (Entomologen, Umweltbundesamt, Anhang 2<br />
dieses Kapitels) einzuholen.<br />
7.3 Impfungen<br />
Impfkampagnen sind eher zu Beginn als gegen Ende einer<br />
Epidemie sinnvoll.<br />
In Deutschland zugelassen sind Impfstoffe gegen<br />
– Cholera<br />
– Diphtherie<br />
– FSME<br />
– Gelbfieber<br />
– Hepatitis A<br />
– Influenza<br />
– Meningokokken-Meningitis<br />
– Poliomyelitis<br />
– Typhus abdominalis<br />
International verfügbar sind Impfstoffe gegen die<br />
– Japanische Enzephalitis<br />
Nur regional verfügbar sind Impfstoffe gegen<br />
– Affenpocken<br />
– Brucellose<br />
– Fleckfieber<br />
– Milzbrand<br />
– Pocken<br />
– Q-Fieber<br />
– Rift Valley-Fieber<br />
– Venezuelanische Pferde-Enzephalitis<br />
– Westamerikanische Pferde-Enzephalitis.<br />
Bei Bedarf sind RKI (Robert Koch-Institut), CDC (Centers for<br />
Disease Control and Prevention) oder WHO (Weltgesundheitsorganisation)<br />
zu kontaktieren (Anhang 2 dieses Kapitels).<br />
208
7.4 Chemoprophylaxe<br />
Die Chemoprophylaxe mit Arzneimitteln ist geeignet zur vorbeugenden<br />
Krankheitsbekämpfung in Einzelfällen bei oder nach<br />
besonderer Exposition gegenüber Infektionserregern sowie<br />
auch zur Sanierung gesunder Keimträger. Im Einzelnen sind folgende<br />
Medikamente anwendbar:<br />
Medikamente Krankheiten<br />
Amantadin Influenza A<br />
Ceftriaxon Lungenpest<br />
Chloramphenicol Pest-Meningitis<br />
Milzbrand-Meningitis<br />
Typhus abdominalis<br />
Chloroquin Malaria<br />
Chloroquin + Proguanil<br />
Mefloquin<br />
Ciprofloxacin Fleckfieber<br />
Meningokokken-Meningitis<br />
Milzbrand<br />
Pest<br />
Tularämie<br />
Doxycyclin Malaria<br />
Fleckfieber<br />
Q-Fieber<br />
Pest<br />
Tularämie<br />
Cholera<br />
Doxycyclin + Rifampicin Brucellose<br />
Doxycyclin + Streptomycin<br />
Erythromycin Diphtherie<br />
Itraconazol Histoplasmose<br />
Penicillin Diphtherie<br />
Ribavirin Argentinisches hämorrhagisches Fieber<br />
Hämorrhagisches Krim-Kongo-Fieber<br />
Lassa-Fieber<br />
Rifampicin Meningokokken-Meningitis<br />
Streptomycin Lungenpest<br />
Tetracyclin Q-Fieber<br />
Tularämie<br />
8. Rechtsgrundlagen der Seuchenbekämpfung<br />
In den meisten Ländern können Grundrechte im Rahmen der<br />
Seuchenbekämpfung eingeschränkt werden, in Deutschland<br />
auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes. Die Maßnahmen<br />
umfassen im Wesentlichen die Isolierung von<br />
Patienten und Kontaktpersonen sowie Impfungen, nicht aber<br />
die zwangsweise Therapie. Auf der Grundlage der Inter-<br />
209
national Health Regulations können permanente oder vorübergehende<br />
immun- und chemoprophylaktische Maßnahmen<br />
im internationalen Reiseverkehr angeordnet werden (WHO<br />
2000). Für Ärzte und Rettungshelfer kann im Katastrophenfall<br />
eine verminderte Haftbarkeit oder Haftung ohne Verschulden<br />
angenommen werden, wenn durch Versorgungsprioritäten<br />
(Sichtung) einzelne Opfer minderversorgt werden müssen.<br />
Jedenfalls hat der Weltärztebund (1994) die Mitgliedsstaaten<br />
und Versicherungsgesellschaften dazu aufgerufen, eine solche<br />
Regelung vorzusehen.<br />
9. Ethik der Seuchenbekämpfung<br />
Seuchen und andere Katastrophen können ein akutes und<br />
unvorhergesehenes Ungleichgewicht zwischen der medizinischen<br />
Kapazität und den Bedürfnissen der Opfer und Gefährdeten<br />
verursachen. Hierdurch entstehen ethische Konflikte durch Verteilungsentscheidungen,<br />
wenn bestimmte Untergruppen von Betroffenen<br />
bewusst unterversorgt werden. Ein mögliches Beispiel wäre<br />
die Vernachlässigung einzelner Schwerstkranker zugunsten eines<br />
Impfprogramms. Solche Verteilungsentscheidungen sind dem<br />
ärztlichen Ethos wesensfremd. Die ärztliche Berufsordnung, das<br />
Genfer Gelöbnis, der Hippokratische Eid, der Nürnberger Codex<br />
und die Deklaration von Helsinki enthalten jedenfalls keine Maßstäbe,<br />
an denen die Verteilungsentscheidungen auszurichten<br />
wären. Aus standesethischer Sicht sind nur bestimmte unverhandelbare<br />
Rechte des Patienten unstrittig, wie der Anspruch auf Hilfe<br />
ungeachtet der ethnischen, nationalen, politischen oder konfessionellen<br />
Zugehörigkeit sowie das Verbot der aktiven Sterbehilfe<br />
(Euthanasie). Die o.g. Verteilungsentscheidungen sind gesetzlich<br />
allerdings nicht geregelt. Es wird daher empfohlen, nach der „Erklärung<br />
des Weltärztebundes zur ärztlichen Ethik im Katastrophenfall“<br />
(Weltärztebund 1994) zu verfahren. Hiernach sollte<br />
der Arzt versuchen, eine Reihenfolge der Prioritäten für die Behandlung<br />
(Sichtung) aufzustellen, welche „die Rettung der größtmöglichen<br />
Zahl von Schwerverletzten, die eine Chance zu genesen<br />
haben, und die Begrenzung der Morbidität auf ein Minimum<br />
ermöglicht bei Hinnahme der umständebedingten Grenzen“. Die<br />
Sichtung sollte einem bevollmächtigten Arzt übertragen werden,<br />
dem kompetente Mitarbeiter zur Seite stehen. Der bevollmächtigte<br />
Arzt wäre sinnvollerweise von einem Gremium eingesetzt, das aus<br />
Delegierten der öffentlichen und privaten Seuchenbekämpfer<br />
besteht.<br />
210
10. Medizinischer Schutz vor biologischen Kampfmitteln<br />
(Med B-Schutz)<br />
Der Med B-Schutz wird von der Bundeswehr bearbeitet, bei<br />
Verdacht auf Einsatz von biologischen Kampfmitteln wird<br />
daher die Konsultation der Sanitätsakademie der<br />
Bundeswehr München empfohlen (s. u. Anhang 1).<br />
10.1 Aufgaben des Med B-Schutzes:<br />
– Aufklärung von ungewöhnlichen Krankheitsausbrüchen bei<br />
Verdacht auf B-Kampfmittel- Einwirkung<br />
– Nachweis von B-Kampfstoffen (Med B-Aufklärung) und<br />
Spezialdiagnostik von Folgen einer B-Exposition (Infektion,<br />
Krankheit, Tod) in Kooperation mit Referenz-, Konsiliar- oder<br />
Expertenlaboratorien (Anhang 1.)<br />
– Absonderung (d.h. Quarantäne oder medizinische Beobachtung)<br />
und ggf. notfallmedizinische Versorgung von B-<br />
Exponierten (Kranke und Verwundete) und Kontakten<br />
– Bergung und Registrierung von B-Exponierten (Krankheitsverdächtige<br />
und Verwundete)<br />
– Einstufung der krankheitsverdächtigen B-Exponierten nach<br />
Prioritäten für die nachfolgende Dekontamination (selbständig,<br />
liegend assistiert), notfallmedizinische Behandlung und<br />
Evakuierung (liegend, beatmet, sitzend)<br />
– Dekontamination (sofortiges Duschen der Körperoberfläche<br />
mit Seifenlösung und Warmwasser, Desinfektion der Kleidung<br />
und persönlichen Gegenstände)<br />
– Durchführung postexpositioneller chemo- und immunprophylaktischer<br />
Maßnahmen<br />
– Evakuierung der krankheitsverdächtigen B-Exponierten unter<br />
Bereitstellung geeigneter Transportmittel und Schutzkleidung<br />
zu ausgewiesenen Behandlungszentren mit Isolierstation (=<br />
Isolierung)<br />
– Abschließende Dekontamination der Kontaminationszone,<br />
der Dekontaminationsplätze für Exponierte und Material, der<br />
Isolierbereiche für B-Exponierten und der Transportmittel<br />
Der Transport von „B-Verwundeten“ in eine klinische Einrichtung<br />
sollte innerhalb von 6 Stunden abgeschlossen sein. Für<br />
den Transportmodus und die Einstufung der Dringlichkeit werden<br />
die Anzahl der Verwundeten, der klinische Zustand, die<br />
Prognose sowie das Ansteckungsrisiko berücksichtigt. Solange<br />
der B-Kampfstoff nicht identifiziert ist, sollten Krankheitsverdächtige<br />
und Kranke in gesonderten Transportmitteln evakuiert<br />
werden.<br />
211
10.2 B-Kampfmittel<br />
B-Kampfstoff und Einsatzmittel bilden die B-Kampfmittel. B-<br />
Kampfstoffe sind natürlich vorkommende oder veränderte Viren,<br />
Bakterien, Pilze und Gifte biologischen Ursprungs, die mit dem Ziel<br />
eingesetzt werden, Tod oder Krankheit bei Menschen, Tieren oder<br />
Pflanzen zu verursachen. Sie werden als Flüssigkeit (Suspension)<br />
oder Trockensubstanz (Lyophilisat, Spezialrezepturen) ausgebracht.<br />
Einsatzmittel dienen der Verbreitung von B-Kampfstoffen:<br />
Raketen, Bomben, Granaten, Absprühvorrichtungen, Aerosolgeneratoren,<br />
Trinkwasserversorgungssysteme, Vektoren (z.B. Flöhe).<br />
B-Kampfmittel werden von Streitkräften, aber auch Terroristen, Kriminellen<br />
und Geisteskranken eingesetzt.<br />
10.3 Wirkungen von B-Kampfstoffen<br />
B-Kampfstoffe ähneln in ihrer Wirkung denen bei vergleichbarer<br />
natürlicher Exposition (Mimikry-Potential), wodurch verdeckte Einsätze<br />
begünstigt werden; Modellrechnung einer WHO-Expertenkommission:<br />
nach einem Aerosolangriff mit 50 kg Milzbrandsporen<br />
von einem Flugzeug aus in einer Großstadt mit 500.000 ungeschützten<br />
Einwohnern wären 95.000 Tote und 125.000 Erkrankte an Lungenmilzbrand<br />
zu erwarten. Mit Hilfe der unterschiedlichen Kampfstoffeigenschaften<br />
können Personen vorzugsweise getötet oder<br />
geschädigt oder auch als Infektionsquelle für Sekundär-Epidemien<br />
benutzt werden. Prinzipiell muss damit gerechnet werden, dass<br />
Erkrankungen, die durch B-Kampfstoffe hervorgerufen werden, zum<br />
Teil erheblich von denen durch natürliche Infektion vermittelten<br />
abweichen können.<br />
Anhang<br />
Anhang 1.: Referenz- und Konsiliarlaboratorien (Stand: 04/2002)<br />
Das RKI hat für Deutschland Laboratorien benannt, die den<br />
Nachweis der aufgeführten Erreger als Dienstaufgabe wahrnehmen<br />
und bevorzugt berücksichtigt werden sollen. Vom Ausland<br />
aus kann neben dem RKI auch die WHO und das CDC konsultiert<br />
werden.<br />
Bakterielle Infektionen<br />
Campylobacter-Enteritis<br />
Prof. Dr. M. Kist<br />
Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene<br />
Klinikum der Universität Freiburg<br />
Hermann-Herder-Str. 11<br />
79104 Freiburg<br />
Tel. 0761 203 6590 / 6510<br />
Fax 0761 203 6562<br />
E-Mail kistmann@ukl.uni-freiburg.de<br />
212
Psittakose<br />
Prof. Dr. Eberhard Straube, Frau Dr. A. Groh<br />
Institut für Medizinische Mikrobiologie<br />
am Klinikum der FSU Jena<br />
Semmelweisstr. 4<br />
07740 Jena<br />
Tel. 03641 933106<br />
Fax 03641 933474<br />
E-Mail straube@bach.med.uni-jena.de<br />
Botulismus<br />
Dr. habil. H. P. Schau<br />
Thüringer Medizinal-, Lebensmittel- und Veterinäruntersuchungsamt<br />
(TMLVUA), Abt. Medizinaluntersuchung Erfurt<br />
FB Medizinische Mikrobiologie<br />
Nordhäuser Str. 74<br />
Haus 6<br />
99089 Erfurt<br />
Tel. 0361 740910<br />
Fax 0361 7409113<br />
Diphtherie<br />
Dr. A. Roggenkamp, Prof. Dr. Dr. J. Heesemann<br />
Max von Pettenkofer-Institut für Hygiene<br />
und Medizinische Mikrobiologie<br />
Pettenkoferstr. 9a<br />
80336 München<br />
Tel. 089 51605201<br />
Fax 089 51605202<br />
E-Mail sekretariat@m3401.mpk.med.uni-muenchen.de<br />
Tularämie<br />
PD Dr. R. Grunow<br />
Institut für Mikrobiologie<br />
Sanitätsakademie der Bundeswehr<br />
Bereich Studien und Wissenschaft<br />
Neuherbergstr. 11<br />
80937 München<br />
Tel. 089 3168 3277 / 2805<br />
Fax 089 3168 3277 / 2855<br />
E-Mail tb101cn@mail-lrz-muenchen.de<br />
Legionellose<br />
Dr. Chr. Lück<br />
Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene<br />
Medizinische Fakultät der TU Dresden<br />
213
Dürerstr. 24<br />
01307 Dresden<br />
Tel. 0351 463 8585 / 8572<br />
Fax 0351 463 8573<br />
E-Mail Christian.Lueck@mailbox.tu-dresden.de<br />
Meningokokken-Meningitis<br />
Prof. Dr. H.-G. Sonntag, Frau Dr. I. Erhard<br />
NRZ für Meningokokken am Hygiene-Institut<br />
der Universität Heidelberg<br />
Im Neuenheimer Feld 324<br />
69120 Heidelberg<br />
Tel. 06221 56 8310 / 7817 / 8281<br />
Fax 06221 56 5857 / 4343<br />
E-Mail hans-guenther_sonntag@med.uni-heidelberg.de<br />
ingrid_erhard@med.uni-heidelberg.de<br />
Pest<br />
Prof. Dr. Dr. J. Heesemann, Herr Dr. A. Rakin<br />
Max von Pettenkofer-Institut<br />
für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie<br />
Pettenkoferstr. 9a<br />
80336 München<br />
Tel. 089 51605200<br />
Fax 089 51605202<br />
E-Mail sekretariat@m3401.mpk.med.uni-muenchen.de<br />
Parasitosen<br />
Malaria<br />
Prof. Dr. B. Fleischer<br />
Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin Hamburg<br />
Bernhard-Nocht-Str. 74<br />
20359 Hamburg<br />
Tel.: 040 / 31182-401<br />
Fax: 040 / 31182-400<br />
E-Mail bfleischer@bni.uni-hamburg.de<br />
214
Pilzinfektionen<br />
Kryptokokkose, Histoplasmose, Kokzidioidomykose<br />
Frau Dr. K. Tintelnot<br />
Robert Koch-Institut Berlin – Mykologie<br />
Nordufer 20<br />
13353 Berlin<br />
Tel. 030 45472208<br />
Fax 030 45472614<br />
E-Mail tintelnotk@rki.de<br />
Virusinfektionen<br />
Lassa-Fieber, Argentinisches hämorrhagisches Fieber, Bolivianisches<br />
hämorrhagisches Fieber, Dengue, Ebola-Fieber<br />
Prof. Dr. H. Schmitz<br />
Bernhard-Nocht-Institut Hamburg<br />
Bernhard-Nocht-Str. 74<br />
20359 Hamburg<br />
Tel. 040 42818 401 / 460<br />
Fax 040 42818 400<br />
E-Mail schmitz@bni.uni-hamburg.de<br />
Marburg-Krankheit, Ebola-Fieber<br />
Prof. Dr. W. Slenczka, Dr. S. Becker<br />
Institut für Virologie<br />
Medizinisches Zentrum<br />
für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie<br />
der Philipps-Universität Marburg<br />
Robert-Koch-Str.17<br />
35037 Marburg<br />
Tel. 06421 286 4313<br />
Fax 06421 2865482<br />
Hepatitis A, Hepatitis E<br />
Prof. Dr. W. Jilg<br />
Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene<br />
der Universität Regensburg<br />
Franz-Josef-Strauß-Allee 11<br />
93053 Regensburg<br />
Tel. 0941 9446408<br />
Fax 0941 9446402<br />
215
Importierte Virusinfektionen<br />
Prof. Dr. H. Schmitz<br />
Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin Hamburg<br />
Bernhard-Nocht-Str. 74<br />
20359 Hamburg<br />
Tel. 040 42818 401 / 460<br />
Fax 040 42818 400<br />
E-Mail schmitz@bni.uni-hamburg.de<br />
Poxviren<br />
Prof. Dr. O.-R. Kaaden, Frau G. Burck<br />
Institut für Medizinische Mikrobiologie, Infektions- und<br />
Seuchenmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München<br />
Veterinärstr. 13<br />
80539 München<br />
Tel. Prof. Kaaden 089 2180 2527 / 2528, Frau Burck 089<br />
21802594<br />
Fax 089 21802597<br />
Rotavirus-Enteritis<br />
Prof. Dr. H. Werchau, Frau Dr. A. Rohwedder<br />
Ruhr-Universität Bochum –<br />
Abt. für Med. Mikrobiologie u. Virologie<br />
Universitätsstr. 150<br />
44801 Bochum<br />
Tel. Prof. Werchau 0234 7003189,<br />
Frau Dr. Rohwedder 0234 7002104<br />
Fax 0234 7094352<br />
E-Mail hermann.werchau@ruhr-uni-bochum.de<br />
angela.rohwedder@ruhr-uni-bochum.de<br />
EM-Schnelldiagnostik<br />
Dr. H. R. Gelderblom<br />
Robert Koch-Institut – Fachbereich Virologie – FG 16<br />
Nordufer 20<br />
13353 Berlin<br />
Tel. 030 45472337<br />
Fax 030 45472334<br />
E-Mail gelderblomh@rki.de<br />
216
Ausgewählte Syndrome (syndromorientierte Konsiliarlaboratorien)<br />
Bakterielle Enteritis<br />
Prof. Dr. J. Bockemühl<br />
Hygiene Institut Hamburg – Abteilung Bakteriologie<br />
Marckmannstr. 129a<br />
20539 Hamburg<br />
Tel. 040 42837 201 / 202<br />
Fax 040 42837 483 oder 040 783561<br />
Virus-Enteritis<br />
Prof. Dr. H. Werchau, Frau Dr. A. Rohwedder<br />
Ruhr-Universität Bochum – Abt. für Med. Mikrobiologie u. Virologie<br />
Universitätsstr. 150<br />
44801 Bochum<br />
Tel. Prof. Werchau 0234 7003189,<br />
Frau Dr. Rohwedder 0234 7002104<br />
Fax 0234 7094352<br />
E-Mail hermann.werchau@ruhr-uni-bochum.de<br />
angela.rohwedder@ruhr-uni-bochum.de<br />
Bakterielle Atemwegsinfektion<br />
Prof. Dr. E. Jacobs, Dr. C. Lück<br />
Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene<br />
des Universitätsklinikums der TU Dresden<br />
Dürerstr. 24<br />
01307 Dresden<br />
Tel. 0351 4638570<br />
Fax 0351 4638573<br />
E-Mail je4@int.tu-dresden.de<br />
Virale Atemwegsinfektion einschließlich Influenza<br />
Dr. Dr. R. Heckler<br />
Niedersächsisches Landesgesundheitsamt Hannover<br />
Roesebeckstr. 4–6,<br />
30449 Hannover<br />
Tel. 0511 4505 201<br />
Fax 0511 4505 140<br />
Anhang 2.: Klinische und technische Kompetenzzentren<br />
Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin<br />
der Ludwig-Maximilians-Universität München<br />
Leopoldstr. 5<br />
80802 München<br />
Tel. 089 21803517<br />
Fax 089 336038<br />
E-Mail tropinst@lrz.uni-muenchen.de<br />
217
Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin<br />
Klinik für Innere Medizin IV der Universität Leipzig<br />
Härtelstr. 16-18<br />
04107 Leipzig<br />
Tel. 03 41 9724971<br />
Fax 03 41 9724979<br />
Abteilung für Tropenmedizin und Infektionskrankheiten<br />
Klinik und Poliklinik für Innere Medizin der Universität Rostock<br />
Ernst-Heydemann-Str. 6<br />
18057 Rostock<br />
Tel. 03 81 494 75 11<br />
Fax 03 81 494 75 09<br />
Arbeitsgruppe <strong>Katastrophenmedizin</strong>,<br />
Krisenmanagement und Humanitäre Hilfe (AGKM)<br />
Chirurgische Klinik<br />
Hoppe-Seyler-Str. 3<br />
72076 Tübingen<br />
Tel. 07071 2986680<br />
Fax 07071 295600<br />
Augenklinik der Universität München<br />
Abteilung für Präventiv- und Tropenophthalmologie<br />
Mathildenstr. 8<br />
80336 München<br />
Tel. 089 5160 38 24<br />
Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin<br />
Bernhard-Nocht-Str. 74<br />
20359 Hamburg<br />
Tel. 040 428180<br />
Bilsom AB<br />
Box 550<br />
Schweden 26050 Billesholm<br />
218
Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW)<br />
Leitung<br />
Deutschherrenstr. 93-95<br />
53177 Bonn<br />
Postfach 200351<br />
53133 Bonn<br />
Tel. 0228 9400<br />
Fax 0228 9401520<br />
Centers for Disease Control and Prevention<br />
1600 Clifton Rd.<br />
Atlanta, GA 30333<br />
U.S.A.<br />
Tel. 001 404 639 3311<br />
Dornier GmbH<br />
88039 Friedrichshafen<br />
Tel. 07545 800<br />
Fax 07545 84411<br />
Institut für Medizinische Parasitologie<br />
der Universität Bonn<br />
Siegmund-Freud-Str. 25<br />
53127 Bonn<br />
Tel. 0228 2 875673<br />
Institut für Tropenhygiene und Öffentliches Gesundheitswesen<br />
der Universität Heidelberg<br />
Im Neuenheimer Feld 324<br />
69120 Heidelberg<br />
Tel. 06221 562905<br />
Fax 06221 565948<br />
Institut für Tropenmedizin Berlin<br />
Spandauer Damm 130<br />
14050 Berlin<br />
Tel. 030 301166<br />
Institut für Tropenmedizin<br />
Städtisches Klinikum Dresden-Friedrichstadt<br />
Friedrichstr. 39<br />
01067 Dresden<br />
Tel. 0351 4803805<br />
219
Institut für Tropenmedizin<br />
Universitätsklinikum Tübingen<br />
Keplerstr. 15<br />
72074 Tübingen<br />
Tel. 07071 29 823 65<br />
Fax 07071 29 52 67<br />
E-Mail reisemedizin@med.uni-tuebingen.de<br />
Kyll GmbH<br />
Schneppruthe 4<br />
51469 Bergisch Gladbach<br />
Robert Koch Institut<br />
Nordufer 20<br />
13357 Berlin<br />
Tel. 01888 7540<br />
Roberts Isolators Limited<br />
Ellerton House – Wistanswick<br />
NR. Market Drayton<br />
Shropshire TF9 2BD<br />
England<br />
Tel. 0044 1630638382<br />
Fax 0044 1630638707<br />
Mobil 0044 850990662<br />
Sektion Infektiologie und klinische Immunologie<br />
Medizinische Klinik und Poliklinik der Universität Ulm<br />
Robert-Koch-Str. 8<br />
89081 Ulm<br />
Tel. 0731 5024421<br />
Fax 0731 5024422<br />
E-Mail sekretariat.infektiologie@medizin.uni-ulm.de<br />
Städtisches Klinikum St. Georg<br />
II. Klinik für Innere Medizin<br />
Delitzscher Str. 141<br />
04129 Leipzig<br />
Tel. 0341 9092619<br />
Fax 0341 9092630<br />
220
Städtisches Krankenhaus Schwabing<br />
IV. Medizinische Abteilung<br />
Kölner Platz 1<br />
80804 München<br />
Tel. 089 30 68 2601<br />
Fax 089 30 68 3910<br />
Tropenklinik Paul Lechler-Krankenhaus<br />
Paul-Lechler-Str. 24<br />
72074 Tübingen<br />
Tel. 07071 2060<br />
Fax 07071 22359<br />
Tropenmedizinische Abteilung<br />
Missionsärztliche Klinik<br />
Salvatorstr. 7<br />
97074 Würzburg<br />
Tel. 0931 791 28 21<br />
Fax 0931 791 24 53<br />
Umweltbundesamt<br />
FB IV 1.5 – Dr. G. Hoffmann<br />
Bismarckplatz 1<br />
14193 Berlin<br />
Tel. 030 8903 (0) 1332 / 1383<br />
Fax 030 89032285<br />
Universitätsklinikum Rudolf Virchow<br />
Standort Wedding<br />
II. Medizinische Abteilung<br />
Augustenburger Platz 1<br />
13353 Berlin<br />
Tel. 030 45050<br />
World Health Organization<br />
Avenue Appia 20<br />
CH-1211 Genf 27<br />
Schweiz<br />
Tel. 0041 22 791 2111<br />
Fax 0041 22 791 3111<br />
E-Mail info@who.int<br />
221
Anhang 3.: Desinfektionsmittel<br />
Objekt Mittel (Beispiele von Handelspräparaten)<br />
Hände Desderman N<br />
Promanum N<br />
Spitacid<br />
Bedienungsknöpfe Buraton 10F<br />
Betten Incidin Perfect<br />
Fußboden Incidin PLUS<br />
Geräte Melsitt<br />
Mobiliar<br />
Toiletten<br />
Untersuchungsliege<br />
Verbandswagen<br />
Blutdruckmanschette Alkohol 70 %<br />
Kunststoff<br />
Stethoskop<br />
Anhang 4.: Flüssigkeits-, Elektrolyt- und Azidoseausgleich<br />
bei schweren Durchfallkrankheiten<br />
Orale Rehydratationslösung (ORS) nach WHO<br />
NaCl 3,5 g/l<br />
Trinatriumcitratdihydrat 2,9 g/l<br />
KCl 1,5 g/l<br />
Glukose 20,0 g/l<br />
Kommerziell erhältlich z.B. als Elotrans ® (Pulver)<br />
Parenterale Rehydrierung<br />
Ringer-Lactat-Lösung<br />
Anhang 5.: Melde- und Anzeigepflicht<br />
Formal besteht für einige der o.g. Infektionen keine Meldepflicht<br />
nach dem Infektionsschutzgesetz. Grundsätzlich ist jedoch<br />
auch jedes Auftreten einer bedrohlichen Krankheit oder von<br />
mehreren gleichartigen Erkrankungen (wenn ein epidemischer<br />
Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird) zu melden,<br />
wenn dies auf eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit<br />
hinweist und Krankheitserreger als Ursache in Betracht<br />
kommen. Meldepflichtig ist im Regelfall der feststellende Arzt.<br />
Für Notärzte entfällt die Meldepflicht dann, wenn der Patient<br />
unverzüglich in eine ärztlich geleitete Einrichtung gebracht<br />
wurde. In Deutschland erfolgen die Meldungen an das regionale<br />
Gesundheitsamt und von dort über die Landesbehörden an das<br />
222
RKI. Das RKI wiederum informiert im Rahmen internationaler<br />
Gesundheitsvorschriften WHO, EU und die einzelnen EU-Länder.<br />
Bei Infektionen der beteiligten Ärzte und Rettungshelfer ist<br />
die Anzeigepflicht nach der BKV zu beachten. Anzeigepflichtig<br />
bei Verdacht auf eine Berufskrankheit sind der behandelnde<br />
Arzt und der Arbeitgeber.<br />
Literatur<br />
1. De Boer, J.; Dubouloz, M. (Hrsg.): Handbook of disaster<br />
medicine, Van der Wees, Utrecht, 2000<br />
2. DSMZ: Bacterial nomenclature up-to-date. http://www.<br />
dsmz.de/bactnom/bactname.htm<br />
3. Goh, K. J. et al: Clinical features of Nipah virus encephalitis<br />
among pig farmers in Malaysia. N. Engl. J. Med. 342 (2000)<br />
S. 1229 –1235<br />
4. Hofmann, F. (Hrsg.): Infektiologie, ecomed, Landsberg /<br />
Lech 1991 (wird ständig aktualisiert und ergänzt)<br />
5. Index Virum: The Universal Virus Database. http://life.anu.<br />
edu.au/viruses/Ictv/fr-indv0.htm<br />
6. Knobloch, J. (Hrsg.): Tropen- und Reisemedizin. Gustav<br />
Fischer, Jena, 1996<br />
7. Robert Koch-Institut (Hrsg.): Nationale Referenzzentren und<br />
Konsiliarlaboratorien. Robert Koch-Institut, Berlin, 1999<br />
8. Sohns, A. et al: Gesundheitsschäden durch ABC-Kampfmittel<br />
und ähnliche Noxen, in: Hempelmann, G. et al (Hrsg.):<br />
Notfallmedizin 3, Georg Thieme, Stuttgart, 1999, S. 612–625<br />
9. Weltärztebund: Erklärung des Weltärztebundes zur ärztlichen<br />
Ethik im Katastrophenfall, verabschiedet von der 46.<br />
Generalversammlung des Weltärztebundes Stockholm,<br />
Schweden, September 1994<br />
10. WHO: International travel and health. Vaccination requirements<br />
and health advice. WHO, Genf, 2001 (wird jährlich<br />
aktualisiert)<br />
Danksagung<br />
Wir danken Herrn Prof. Dr. U. Wiesing, Lehrstuhl für Ethik in der<br />
Medizin, Eberhard-Karls-Universität Tübingen, für seine Hilfe<br />
bei der Ausarbeitung des Kapitels „Ethik der Seuchenbekämpfung“.<br />
223
224
Aspekte zum Management in<br />
Katastrophensituationen
14. Katastrophenmanagement<br />
im Krankenhaus –<br />
Empfehlungen für den Ärztlichen Dienst<br />
H. Strauss, J. Schüttler<br />
Um im Katastrophenfall auch die Versorgung der Betroffenen in<br />
den Krankenhäusern sicherzustellen, bedarf es einer Vorplanung<br />
und Vorsorge, damit nicht die Katastrophe lediglich vom<br />
Schadensort in die aufnehmende Klinik verlagert wird. Aus der<br />
Sicht des Krankenhauses sind dabei zwei grundlegende Szenarien<br />
zu berücksichtigen: die „interne Schadenslage“ bei großen<br />
Notfallsituationen innerhalb des Krankenhauses und die „externe<br />
Schadenslage“. Wichtig für die Vorplanungen ist dabei, dass<br />
möglichst viele Abläufe in beiden Situationen identisch und möglichst<br />
wenig vom Routineablauf abweichend vorgesehen werden,<br />
um Missverständnisse und Unklarheiten auszuschließen.<br />
Interne Katastrophenlage<br />
Bei der internen Katastrophenlage kommt es durch Schadensereignisse<br />
innerhalb der Klinik – in Ausnahmefällen auch außerhalb<br />
der Klinikgebäude – zu Einschränkungen bis hin zum kompletten<br />
Ausfall der Patientenversorgung. Beispiele für derartige<br />
Szenarien können sein:<br />
– Brand / Rauchentwicklung<br />
– Austritt von Schadstoffen (Gase, Dämpfe)<br />
– Wasserrohrbruch mit Wasserschäden<br />
– Bombendrohung<br />
– Ausfall der Medien, insbesondere Strom, Sauerstoff etc.<br />
– Ausfall der Kommunikationssysteme<br />
– Ausfall der Nachschubeinrichtungen (z.B. Brand in Lagerhaltungen,<br />
Naturkatastrophen)<br />
– Beeinträchtigung des Klinikbetriebs durch extern freigesetzte<br />
Schadstoffe<br />
Betreffen diese Ereignisse nur bestimmte Teile einer Klinik (einzelne<br />
Stationen, Gebäude), so soll versucht werden, die betroffenen<br />
Patienten innerhalb der Klinik zu verteilen. Hierzu müssen vorhandene<br />
Not-Kapazitäten bekannt und vorbereitet sein (Nebenräume,<br />
Flure etc.). Grundsätzlich gilt dabei für Brandereignisse, dass eine<br />
Verlagerung möglichst immer in den übernächsten autarken<br />
Brandschutzabschnitt zu erfolgen hat; dabei soll die Verlegung auf<br />
einer identischen baulichen Ebene der Verlegung über verschiede-<br />
227
ne Ebenen (Aufzugsproblematik!) vorgezogen werden. Gleichzeitig<br />
muss auch an die Entlassung geeigneter Patienten nach Hause<br />
zur Schaffung weiterer Kapazitäten gedacht werden. Hier wird<br />
man nur in begrenztem Umfang auf Fahrzeuge des Rettungsdienstes<br />
zurückgreifen können, aber auch den Einsatz von Taxen<br />
für gehfähige Personen ins Auge fassen müssen. Verlegungen in<br />
andere Kliniken werden insbesondere dann erforderlich werden,<br />
wenn mit einem Komplettausfall der betroffenen Einrichtung<br />
gerechnet werden muss. Problematisch wird die Situation dann,<br />
wenn durch den Ausfall eines Krankenhauses in einem Bereich<br />
das routinemäßige Patientenaufkommen auf die noch funktionsfähigen<br />
Häuser umgeleitet werden muss und damit deren Auslastung<br />
ohnehin zunimmt. In diesen Fällen sollte auch eine organisierte<br />
Verlegung in weiter entfernte Krankenhäuser etwa im Sinne<br />
des Sammeltransports, ggf. auch mit Bussen des öffentlichen<br />
Personennahverkehrs oder Privatunternehmen erwogen werden.<br />
Die Auslagerung kompletter Einheiten -etwa einzelner Bettenstationen-<br />
in vorgeplante Ersatzräume kommt dann in Frage,<br />
wenn geeignete Räumlichkeiten in der Nähe vorhanden sind.<br />
Hierbei bewähren sich Sporthallen (auch Veranstaltungssäle) in<br />
besonderem Maße, da zum einen eine gute Straßenanbindung<br />
besteht, und zum anderen die erforderliche Infrastruktur (Heizung/Lüftung,<br />
Toiletten, Duschen, Kochmöglichkeiten, Umkleideräume<br />
etc.) bereits betriebsbereit vorhanden ist. So schafft<br />
das Auslegen der in Sporthallen zahlreich vorhandenen Turnmatten<br />
in kürzester Zeit behelfsmäßige Liege- und Pflegekapazität<br />
für eine große Anzahl von Patienten. Bei Schulen stehen<br />
zudem die Klassenzimmer ohne großen Aufwand als<br />
Aufenthalts- und Überwachungsräume für gehfähige, sitzende<br />
Personen zur Verfügung.<br />
Externe Katastrophenlage<br />
Bei der externen Katastrophenlage wird das Krankenhaus mit<br />
einer großen Anzahl von Patienten konfrontiert, die durch den<br />
Rettungsdienst mehr oder minder versorgt und koordiniert angeliefert<br />
werden. Bei traumatologischen Schadensereignissen<br />
– Verkehrsunfälle (Straße/Schiene/Wasser/Luft)<br />
– Großbrände<br />
– Explosionen<br />
– Gebäudeeinstürze<br />
werden die meisten Patienten zunächst einer allgemein- oder<br />
unfallchirurgischen Klinik zugewiesen werden und von dort in<br />
die verschiedenen Disziplinen (etwa Neurochirurgie, Hals-<br />
228
Nasen-Ohren-Klinik, Zahn-Mund- und Kieferklinik, Kinderklinik)<br />
weitergeleitet.<br />
Eine Katastrophensituation mit überwiegend internistischer<br />
Ausrichtung<br />
– Austritt von Schadstoffen (Gase/Dämpfe/C-Kampfstoffe)<br />
– Oberflächenkontamination/inhalative Kontamination (Massenvergiftung)<br />
– infektiöse Erkrankungen (Epidemien/B-Kampfstoffe)<br />
führt demgegenüber zu einer primären Belastung der internistischen<br />
Kliniken, wobei aus Kapazitätsgründen häufig auch die<br />
operativen Disziplinen mit einbezogen werden.<br />
Vorteilhaft bei diesen Ereignissen ist der Umstand, dass die nötigen<br />
Abläufe für einige wenige Patienten im täglichen Betriebsablauf<br />
etabliert und bewährt sind. Die Herausforderung besteht<br />
daher darin, die Versorgungskapazität innerhalb kürzester Frist zu<br />
vervielfachen und dennoch keine Abstriche bei der Qualität machen<br />
zu müssen. Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist hier der<br />
Schlüssel zu einer erfolgreichen Bewältigung der Katastrophensituation,<br />
denn die Basismaßnahmen einer Patientenversorgung<br />
sind unabhängig vom Patientengut zunächst einander vergleichbar<br />
und sollten jedem Kliniker geläufig sein, so dass ein<br />
Delegieren von Aufgaben und Unterstützung auch durch auf den<br />
ersten Blick unbeteiligte Disziplinen möglich und sinnvoll ist.<br />
Katastrophenalarmplan<br />
Wichtigstes Instrument der vorsorglichen Planungen ist ein entsprechender<br />
Katastrophen- und Alarmplan, in dem die grundlegenden<br />
Maßnahmen zur Bewältigung des Schadensereignisses<br />
festgeschrieben werden. Dieser Plan umfasst also nicht nur die<br />
Namen, Anschriften und Telefonnummern aller Mitarbeiter –<br />
geordnet nach Prioritäten für die Patientenversorgung – sondern<br />
auch organisatorische Hinweise auf vorbereitete Abläufe<br />
und Vorgänge. Man muss sich jedoch davor hüten, hier jede<br />
Maßnahme bis ins kleinste Detail vorzudenken und festlegen zu<br />
wollen; dies führt nur dazu, dass bei kleinen, an sich unbedeutenden<br />
Abweichungen, der gesamte Ablauf ins Stocken gerät.<br />
Richtig ist vielmehr die Vorgabe einer groben Leitstruktur, die im<br />
Schadensfall durch die Einsatzleitung des Krankenhauses und<br />
die leitenden Mitarbeiter vor Ort entsprechend der aktuellen<br />
Situation angepasst und modifiziert werden muss. Aus diesem<br />
Grund sind auch vorgefertigte Pläne, die etwa von der Bayerischen<br />
Krankenhausgesellschaft angeboten werden, kritisch zu<br />
229
sehen, da diese Pläne immer sehr allgemein und damit für den<br />
Einzelfall entweder zu unpräzise oder auch unausgewogen<br />
detailliert ausfallen.<br />
Krankenhaus-Einsatzleitung<br />
Möglichst frühzeitig muss beim Eintritt einer internen oder externen<br />
Schadenslage eine interne Klinik-Einsatzleitung etabliert<br />
werden, die die weitere Steuerung der Abläufe und Maßnahmen<br />
verantwortlich übernimmt. Daher sind in der Alarmierungspriorität<br />
deren Mitglieder bereits in einer sehr frühen Phase einzuplanen.<br />
Diese Einsatzleitung kann bestehen aus:<br />
– Ärztlicher Direktor der Einrichtung<br />
– Pflegedienstdirektion/Pflegedienstleitung<br />
– Verwaltungsdirektor<br />
– Katastrophenschutzbeauftragter der Einrichtung<br />
– Leiter der Betriebstechnik<br />
– Protokollführer<br />
– Schreibkräfte<br />
– Hilfskräfte/Boten/Telefonisten<br />
Für jede der Führungspositionen ist ein (oder mehrere) Vertreter<br />
zu benennen. Bedarfsweise kann die Krankenhaus-Einsatzleitung<br />
durch weitere Spezialisten beraten oder ergänzt werden; eine<br />
Anbindung an und eine Abstimmung der Entscheidungen mit der<br />
externen Einsatzleitung der Hilfsorganisationen (Feuerwehr, Rettungsdienste,<br />
Katastrophenschutz), etwa durch ausgetauschte<br />
Verbindungspersonen, ist obligat. Für diese Krankenhaus-Einsatzleitung<br />
sind entsprechend dimensionierte Räumlichkeiten<br />
– Besprechungs-/Lagezimmer<br />
– Schreibzimmer/Sekretariat<br />
– Kommunikationszimmer<br />
– ggf. Ruhezimmer<br />
– sanitäre Einrichtungen<br />
– Telefonanschlüsse („nicht-öffentliche“ Rufnummern)<br />
– Telefax-Anschlüsse („nicht-öffentliche“ Rufnummern)<br />
– Betriebsfunk<br />
– BOS- (ggf. CB-) Funkgerät<br />
– Kopiergerät<br />
– Computernetz-Zugang<br />
vorzusehen; ein Ausweichquartier in einem zweiten, unabhängigen<br />
Krankenhausabschnitt ist einzuplanen, falls das interne<br />
Schadensereignis ausgerechnet den Bereich der ersten Einsatzleitung<br />
betreffen sollte. Sinnvoll ist eine Einrichtung dieser<br />
230
Einsatzleitung in nicht mit Patienten belegten Gebäudebereichen,<br />
die mit geringem Aufwand (Sicherheitsdienst, Polizei)<br />
hermetisch abgeschirmt werden können, um Störungen wirkungsvoll<br />
zu verhindern. Zu den Aufgaben einer Klinik-Einsatzleitung<br />
gehören<br />
– Entscheidungen über klinikinterne Fragen (Nachalarmierung,<br />
Infrastruktur, Personalplanung für die Zeit nach dem Schadensereignis,<br />
Kommunikation)<br />
– Dokumentation der Abläufe im Krankenhaus (Personal,<br />
Patienten)<br />
– Kommunikation mit umliegenden Kliniken und der Rettungsleitstelle<br />
(Behandlungskapazitäten, Personalressourcen)<br />
– Information der Öffentlichkeit, etwa in Form einer gemeinsamen<br />
Pressekonferenz in engster Abstimmung mit der Katastrophenschutzbehörde<br />
Auch die Einrichtung von Informationstelefonen oder einer zentralen<br />
Auskunftsstelle, an der nach vermissten Angehörigen<br />
oder stationären Patienten gesucht werden kann, muss frühzeitig<br />
ins Auge gefasst werden. Dabei ist eine mit der Katastropheneinsatzleitung<br />
abgestimmte Vorgehensweise unter Verwendung<br />
aller verfügbarer valider Daten zwingend erforderlich;<br />
über ein Telekommunikationsunternehmen oder notfalls auch<br />
die Fernmeldeeinheiten des Katastrophenschutzes sind ausreichend<br />
zusätzliche Amtsleitungen zu schalten, die von kompetenten<br />
Personen rund um die Uhr zu besetzen sind. Diese<br />
Rufnummern der Auskunftstelefone können am schnellsten und<br />
zuverlässigsten über die Medien, allen voran Rundfunk und<br />
Fernsehen, aber auch die Tagespresse, der Bevölkerung<br />
bekannt gegeben werden.<br />
Alarmierung<br />
Hier muss unterschieden werden zwischen der hereinkommenden<br />
Alarmmeldung, also der Information an das Krankenhaus,<br />
dass ein Großschadensereignis eingetreten ist oder droht, und<br />
den hinausgehenden Alarmierungen der Klinikmitarbeiter, also<br />
deren Verständigung und Aktivierung.<br />
Bei der hereinkommenden Meldung muss bereits im Rahmen der<br />
Planung ein zuverlässiger Meldekopf festgelegt und dessen<br />
Erreichbarkeit -möglichst auf mehreren voneinander unabhängigen<br />
Wegen (Telefon/Telefax/BOS – oder CB-Funk/Computernetz) -<br />
sichergestellt werden. Da derartige Informationsmeldungen in aller<br />
Regel von Einsatzzentralen professioneller Organisationen, Rettungsleitstellen,<br />
Einsatzzentralen der Polizei und Feuerwehr,<br />
231
Krisenstäbe der Verwaltungsbehörden erfolgen, muss diesen der<br />
korrekte Kommunikationsweg bekannt sein. Als Meldekopf in einem<br />
Krankenhaus kommen nur rund um die Uhr mit zuverlässigen, fähigen<br />
Mitarbeitern besetzte Stellen in Frage:<br />
– Telefonzentrale<br />
– Pfortendienst<br />
– Notaufnahme<br />
– Intensivstation<br />
– zentrale Leitwarte<br />
sind hierfür prädestiniert. Bei Auflaufen einer entsprechenden<br />
Meldung muss sofort der zuständige, vorbestimmte Mitarbeiter<br />
– z. B. der diensthabende Oberarzt der betroffenen Fachdisziplin-<br />
direkt ans Telefon geholt bzw. schnellstmöglich informiert<br />
werden. Gegebenenfalls erfolgt jetzt eine Rückversicherung<br />
und Bestätigung der Erstmeldung, um zum einen<br />
Informationsverluste durch zwischengeschaltete Stellen zu vermeiden<br />
und zum anderen den Wahrheitsgehalt und die<br />
Tragweite der Schadensmeldung einzuschätzen.<br />
Erst jetzt erfolgt die Umsetzung der einzelnen hereinkommenden<br />
Meldung in mehrere herausgehende Alarmrufe an einzelne Mitarbeiter.<br />
Zu diesem Zweck stehen mehrere Verfahren zur Verfügung.<br />
Das Einfachste ist zweifelsohne der direkte Anruf an<br />
jeden Einzelnen. Hier muss jedoch der hohe Zeitbedarf (pro Anruf<br />
mindestens 2 Minuten) und die daraus resultierende Blockierung<br />
von Personal und Telefonleitung berücksichtigt werden. Letztlich<br />
ist dieses Vorgehen nur bei kleinen Einheiten mit einer begrenzten<br />
Personenzahl praktikabel. Für größere Zahlen wären auf diesem<br />
Prinzip aufbauende Schneeballsysteme, bei denen jeder erreichte<br />
Mitarbeiter weitere Kollegen verständigt, geeignet. Nachteilig<br />
ist hier das Abreißen der Alarmkette und damit der Ausfall weiterer<br />
Mitarbeiter, der um so gravierender ausfällt, je weiter oben in<br />
der Alarmpyramide ein Abbruch erfolgt. Quervernetzungen zwischen<br />
den einzelnen Alarmsträngen können derartige Ausfälle<br />
zwar kompensieren, machen das ganze System jedoch umständlicher<br />
und insgesamt langsamer.<br />
Computergestützte Alarmsysteme, die über mehrere Telefonleitungen<br />
automatisiert parallel die Mitarbeiter entsprechend<br />
einem vorbereiteten Schema aktivieren, können entweder lokal<br />
für das entsprechende Krankenhaus beschafft werden oder<br />
auch an einen externen Dienstleister vergeben werden. Nachteil<br />
derartiger einfacher (preisgünstigerer) Systeme ist der Umstand,<br />
dass keine Rückmeldung über das wirkliche Erreichen einer<br />
ganz bestimmten Person nämlich des Mitarbeiters persönlich<br />
232
erfolgt, im Einzelfall also auch das Ansprechen des Anrufbeantworters<br />
eines im Urlaub befindlichen Mitarbeiters dessen erfolgreiche<br />
Verständigung suggeriert. Aufwändigere und daher kostenintensivere<br />
Systeme arbeiten mit einer Rückmeldung des<br />
Angerufenen, wobei dieser entweder unter Verwendung des<br />
Mehr-Frequenz-Wahl-Verfahrens (MFV) nach Aufforderung durch<br />
das System einen vorbestimmten Geheimcode als Bestätigung<br />
seiner Alarmierung über die Tastatur des Telefonapparates eingeben<br />
muss oder mit Hilfe eines auf ihn persönlich programmierten<br />
Signalgebers – ähnlich den Modellen zur Fernabfrage<br />
eines Abrufbeantworters – sein Erreichen quittiert.<br />
Es hat sich bewährt, die Alarmierung außerhalb der regulären<br />
Arbeitszeit nicht nach dem „Alles-oder-Nichts“-Prinzip zu organisieren,<br />
sondern eine angemessene Abstufung vorzusehen. So<br />
hat eine dreistufige (ggf. vierstufige) Alarmhierarchie:<br />
Stufe 1: Verstärkung der vorhandenen Kräfte auf etwa das<br />
Doppelte mit universell einsetzbaren Mitarbeitern<br />
(Leistungsträger!) sowie Entscheidungsträgern<br />
(Einsatzleitung) [Zeitrahmen: max. 1 Stunde]<br />
Stufe 2: Verstärkung der vorhandenen Kräfte auf etwa das<br />
Leistungsniveau des regulären Dienstbetriebes<br />
mit Mitarbeitern aller Leistungsstufen bei gleichzeitiger<br />
Reservenbildung [Zeitrahmen: max. 3<br />
Stunden]<br />
Stufe 3: Alarmierung aller erreichbaren Mitarbeiter (Maximalvariante)<br />
[ggf. Stufe 4: Alarmierung externer Hilfskräfte über Katastropheneinsatzleitung<br />
zur Kapazitätserweiterung]<br />
hat den Vorteil, in Anpassung an die Erstmeldungen<br />
von Außen nur die wirklich benötigten<br />
Mitarbeiter anfordern zu können und je nach<br />
Lageentwicklung die Alarmstufe erhöhen oder<br />
reduzieren bzw. beenden zu können.<br />
Bei dieser initialen Alarmierung muss bereits die Dynamik des<br />
Schadensereignisses mit berücksichtigt werden. Handelt es<br />
sich um ein abgeschlossenes Geschehen, bei dem das Maximalausmaß<br />
bereits eingetreten ist und eine Ausweitung nicht zu<br />
befürchten steht, kann großzügig alarmiert werden, damit eine<br />
schnelle Patientenversorgung gewährleistet ist. Nach deren<br />
Abschluss kann dann eine entsprechende Ruhe- und Erholungsphase<br />
für das Personal eingeplant werden. Beispiele hierfür<br />
sind der Massenunfall auf Verkehrswegen, Explosionen,<br />
Einstürze etc. Handelt es sich hingegen um ein Schadensereignis,<br />
bei dem noch eine Weiterentwicklung im Sinne einer<br />
233
Ausbreitung (räumlich und/oder zeitlich) denkbar ist, dürfen<br />
nicht in der kurzen Initialphase bereits alle verfügbaren Kräfte<br />
eingesetzt werden, um Reserven für Ablösung und Ersatz zu<br />
haben. Zwar kann auch in dieser Situation ein Mehr an Personal<br />
ein Schneller an Versorgung bedeuten, doch würde schon nach<br />
wenigen Stunden durch die Erschöpfung der Mitarbeiter die weitere<br />
Behandlungskapazität für Verletzte drastisch bis auf ein<br />
Minimum absinken, ohne dass Aussicht auf ausgeruhtes, leistungsfähiges<br />
Personal besteht. Andauernde Naturkatastrophen<br />
(Überschwemmung, Erdbeben), Großbrände, gewalttätige Auseinandersetzungen<br />
oder Epidemien müssen unter diesem Gesichtspunkt<br />
betrachtet werden.<br />
Unabhängig vom vorgesehenen Alarmierungsweg ist die frühzeitige<br />
Alarmierung und Bereitstellung von Personal von fundamentaler<br />
Bedeutung für die Bewältigung einer Katastrophensituation. Da<br />
externe Schadenslagen in der Regel erst mit einer geringen Verzögerung<br />
durch qualifizierte Sichtung und Erstversorgung vor Ort<br />
sowie den Transport auf die Kliniken treffen, besteht hier die<br />
Chance, bei rechtzeitiger Alarmierung von Mitarbeitern die Kapazität<br />
hochzufahren, bevor es zu ernsten Engpässen kommt.<br />
Während der regulären Dienstzeiten wird im Allgemeinen ein<br />
großer Anteil der Mitarbeiter an ihren Arbeitsplätzen zur Verfügung<br />
stehen und die Zahl der zusätzlich alarmierbaren Kräfte überschaubar<br />
sein (Urlaub, Freizeitausgleich, Freistellungen). Durch die<br />
Beendigung laufender Eingriffe, ein Stoppen der elektiven Operationen/Untersuchungen<br />
sowie die Entlassung nicht zwingend<br />
krankenhauspflichtiger Patienten kann zusätzlich Raum und<br />
Personal für die Versorgung von Katastrophenopfern geschaffen<br />
werden. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass für die<br />
Bewältigung längerdauernder Schadenslagen auch ein Potenzial<br />
an Mitarbeitern für eine Ablösung vorgehalten werden muss. Es<br />
hat keinen Sinn, Spät- und Nachtdienste bereits tagsüber einzusetzen,<br />
um dann spätestens am folgenden Tag vor aufgebrauchten<br />
Personal-Ressourcen zu stehen. Es bedarf natürlich keiner<br />
Diskussion, dass in einem solchen Schadensfall gesetzliche Arbeitszeitregelungen<br />
vorübergehend außer Kraft gesetzt sind und<br />
eine Disposition nach Leistungsfähigkeit, nicht nach Stundenzahl,<br />
erfolgen muss.<br />
Genau umgekehrt sieht es außerhalb der regulären Dienstzeiten<br />
aus: hier ist in der Regel nur eine kleine Anzahl von Mitarbeitern<br />
im Haus oder unmittelbar im Rufdienst, um die Notfallversorgung<br />
einzelner Patienten sicherzustellen. Demgegenüber befindet<br />
sich eine große Anzahl an Personal in der Freizeit und muss<br />
dort erreicht und alarmiert werden. Je nach Tages-, Wochen-<br />
234
und Jahreszeit ist damit zu rechnen, dass zwischen 30 und 60%<br />
der Mitarbeiter einer Klinik erreicht werden können.<br />
Um einen Überblick über die verfügbaren Mitarbeiter zu bekommen,<br />
ist die Erstellung und ständige Aktualisierung (je nach<br />
Personalfluktuation 1/4- bis 1/2-jährlich) eines Mitarbeiterverzeichnisses<br />
als Bestandteil eines Alarmplanes unabdingbar. Dabei sollten<br />
diese Aufstellungen jeweils für einen zusammengehörenden<br />
Bereich (etwa Anästhesie, Chirurgie-Bettenstationen, Chirurgie-<br />
OP-Betrieb, Zentrallager, Apotheke, Wäscherei, Speisenversorgung,<br />
Verwaltung etc.) gefertigt werden, damit vor Ort in den<br />
betroffenen Bereichen eine Nachalarmierung unter Berücksichtigung<br />
des aktuellen Bedarfs und der Ablösung erfolgen kann.<br />
Bereits im Vorfeld ist abzuklären, auf welchen Wegen die alarmierten<br />
Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz erreichen sollen. Günstig wäre<br />
hier eine von den Rettungsdiensten getrennte Anfahrtsroute, um<br />
gegenseitige Behinderungen zu minimieren. Ferner ist zu klären,<br />
wo Fahrzeuge provisorisch abgestellt werden können (Wiese,<br />
Acker etc.), damit nicht die Zufahrtswege durch geparkte PKW<br />
blockiert werden. Ein Mitarbeiterausweis dient dazu, auch bei<br />
Straßensperrungen durch die Polizei die ungehinderte Weiterfahrt<br />
zur Klinik zu ermöglichen und ein Abschleppen abgestellter<br />
Fahrzeuge zu verhindern. Als Treffpunkt nachrückender Kräfte bewährt<br />
sich der im allgemeinen Dienstbetrieb betreute Arbeitsplatz<br />
(d.h. z.B. Stationszimmer für Pflegekräfte) oder für Abteilungen mit<br />
mehreren Einsatzorten ein allgemein bekannter Platz (z.B.<br />
Zentralanästhesie, Besprechungszimmer, Casino).<br />
Kapazitätserweiterung<br />
Bei einem Massenanfall von Verletzten wird es nötig sein, auch<br />
die räumlichen Versorgungskapazitäten im Krankenhaus zu<br />
erweitern, um Wartezeiten zu vermeiden oder zumindest minimieren<br />
zu können. Geeignete Maßnahmen hierzu sind:<br />
– Unterbrechen der laufenden Patientenversorgung – soweit<br />
möglich –<br />
– Beendigung aller laufenden und Absetzen aller elektiven<br />
Eingriffe<br />
– Schaffung zusätzlicher OP-Kapazitäten in Notaufnahmen/<br />
Schockräumen/Behandlungsräumen<br />
– Freimachen von regulären Intensivbehandlungsbetten durch<br />
Verlegung auf Normalstationen oder andere Krankenhäuser<br />
– Schaffung zusätzlicher Intensivbehandlungsplätze in Aufwacheinheiten/Intermediate-Care-Bereichen<br />
– Schaffung von Bettenkapazität durch Aufrüsten mit Einmalbettwäsche<br />
235
– Nutzung anderer Räume zur Patientenversorgung (z.B. Krankenpflegeschulen)<br />
– Inbetriebnahme von Hilfskrankenhäusern des Zivilschutzes<br />
– Aufbau extern ausgelagerter Einheiten im Sinne einer<br />
Dependance (Schulen/Veranstaltungshallen/Kasernen etc.)<br />
Insbesondere für die beiden letztgenannten Punkte zur Kapazitätserweiterung<br />
muss der Zeitfaktor berücksichtigt werden.<br />
Selbst bei entsprechender Vorplanung wird ein sinnvoller Betrieb<br />
nicht vor 12 bis 24 Stunden etabliert werden können.<br />
Limitierender Faktor neben der Zeit ist der Personalbedarf.<br />
Können klinikinterne Maßnahmen zur begrenzten Kapazitätserweiterung<br />
noch bei reduzierter Personalausstattung durch<br />
Stammpersonal abgedeckt werden, muss für externe Arbeitsbereiche<br />
zusätzliches (Hilfs-) Personal bereitgestellt werden. Die<br />
Alarmierung und Bereitstellung dieser Kräfte muss über die<br />
jeweilige Katastropheneinsatzleitung auch etwa durch Rundfunkaufrufe<br />
erfolgen. An Ressourcen können genutzt werden:<br />
– niedergelassene Ärzte verschiedener Fachrichtungen<br />
– aus dem Berufsleben ausgeschiedenes ärztliches und<br />
Krankenpflegepersonal<br />
– Krankenpflegepersonal ambulanter Dienste und Sozialstationen<br />
– Bundeswehrangehörige aus dem San-Bereich (ärztlich/nichtärztlich)<br />
– Schwesternhelferinnen, die durch Hilfsorganisationen im<br />
Rahmen des Zivilschutzes ausgebildet wurden<br />
– Freiwillige ohne fachspezifische Vorbildung (Hilfstätigkeiten)<br />
Um diese, in der klinischen Tätigkeit ungeübten Kräfte, nutzbringend<br />
einsetzen zu können, muss auf eine Besetzung aller<br />
Arbeitsbereiche mit einer ausgewogenen Mischung aus Stammpersonal<br />
(Führungs- und Anweisungsfunktion) und externen<br />
Helfern (Basismaßnahmen, unterstützende Arbeiten) geachtet<br />
werden.<br />
Patientenwege<br />
Für den Weg der eingelieferten Patienten beim Großschadensfall<br />
sollten die auch im Routinebetrieb etablierten Strecken gelten. Für<br />
die Anfahrt der rettungsdienstlichen Fahrzeuge muss – falls irgend<br />
möglich – eine kreuzungsfreie Einbahnstraßen-Regelung vorgesehen<br />
und durch Ordnungskräfte bzw. Polizei eingerichtet und gesichert<br />
werden. Bei einer funktionierenden Triage durch die Sanitäts-<br />
Einsatzleitung und Erstversorgung am Schadensort werden die<br />
236
Patienten relativ geordnet und mit angemessener zeitlicher<br />
Verzögerung in der Notaufnahme eintreffen. Hier muss als erste<br />
Station – auch an mehreren Arbeitsplätzen – eine er<strong>neu</strong>te Sichtung<br />
unter den speziellen Aspekten klinischer Versorgung erfolgen;<br />
hierfür sind die klinisch erfahrensten Ärzte einzuplanen.<br />
Gleichzeitig muss bereits an dieser Stelle eine Registrierung der<br />
eingelieferten Patienten erfolgen, wobei unbedingt darauf geachtet<br />
werden muss, dass die im Krankenhaus eingeführte Methodik<br />
frühestmöglich zum Einsatz kommt. Dieses Regime erlaubt die<br />
Nutzung im Alltag erprobter Abläufe z.B. in Labors, Blutbanken<br />
und Stationen, gewährleistet einen lückenlosen Informationsfluss<br />
und ermöglicht frühzeitig Auskünfte über behandelte Patienten.<br />
Deshalb sind für diesen Arbeitsplatz neben dem ärztlichen und<br />
pflegerischen Personal auch Hilfskräfte der Verwaltung sowie<br />
Krankenträger einzuplanen. Es muss durch entsprechende Maßnahmen<br />
sichergestellt werden, dass kein einziger Patient – und sei<br />
er noch so schwer oder leicht verletzt – an diesem sinnvollen<br />
„Nadelöhr“ Sichtungsstelle vorbei in die Klinik gelangt.<br />
Patienten, die einer Dekontamination von atomaren, biologischen<br />
oder chemischen Noxen bedürfen, sind dieser zuzuführen, bevor<br />
sie weiter innerhalb der Klinik verteilt werden können. Patienten<br />
der Sichtungsgruppe T1 (immediate treatment – sofortige Versorgung<br />
– Behandlungspriorität) werden schnellstmöglich in die<br />
Versorgungsräume, z.B. einer Poliklinik/Notaufnahme verbracht,<br />
um dort lebensrettende Maßnahmen durchzuführen. Patienten der<br />
Sichtungsgruppe T2 (delayed treatment – aufgeschobene (Klinik-)<br />
Behandlung – Transportpriorität) benötigen baldmöglichst einen<br />
freien OP zur definitiven Versorgung oder aber einen Bettplatz auf<br />
einer Intensiv-/Intermediate-Care-/Aufwach-Station bis zu ihrer<br />
definitiven Versorgung. Patienten der Sichtungsgruppe 3 (minimal<br />
treatment – ambulante Versorgung/Kameradenhilfe – Leicht-(Unverletzte)<br />
bedürfen einer lückenlosen Sammelüberwachung durch<br />
kompetentes Personal (Pflegekräfte mit Arzt in Rufweite) sowie<br />
angemessene (d. h. auf das sinnvolle Mindestmaß beschränkte)<br />
Basisversorgung. Für diese zahlenmäßig größte Gruppe an Patienten<br />
eignen sich z.B. Turn- und Gymnastiksäle oder auch Besprechungs-<br />
und Vorlesungsräume. Diese Räumlichkeiten dürfen<br />
und sollen auch etwas abseits der „Akutbehandlungsebene“ liegen<br />
und sorgen so dafür, dass Störungen durch <strong>neu</strong>gierige,<br />
umherstreifende Personen unterbleiben. Der Sichtungsgruppe T4<br />
(expectant treatment – abwartende Behandlung – Schwerstverletzte<br />
ohne aktuelle Rettungschance) sollten Patienten in der<br />
Klinik nach Möglichkeit nicht mehr zugeordnet werden müssen,<br />
wenn die Verteilung auf die zur Verfügung stehenden Krankenhäuser<br />
gut funktioniert hat. Falls dies jedoch unter Berück-<br />
237
sichtigung der aktuellen Situation dennoch erforderlich wird, müssen<br />
diese Patienten mit einer effektiven Schmerztherapie versorgt,<br />
unter sorgfältiger qualifizierter Überwachung (Arzt verfügbar!) und<br />
menschlicher Betreuung (auch Seelsorger!) schnellstmöglich wieder<br />
in die Gruppen T1 und T2 umgesichtet und behandelt werden,<br />
sobald die Situation dies zulässt. Für derartige Patienten bieten<br />
sich ruhige Räume an, die jedoch in der Nähe der „Akutbehandlungsebene“<br />
liegen sollten, um sofortige Interventionen zu gewährleisten.<br />
Für tot eingelieferte oder verstorbene Patienten werden<br />
die normalerweise vorgehaltenen Kapazitäten an<br />
Leichenkühlräumen zur kriminaltechnischen Untersuchung und<br />
Identifikation nicht ausreichen. Insbesondere im Sommer bei<br />
hohen Außentemperaturen muss rechtzeitig nach Alternativen<br />
Ausschau gehalten werden; Kühlräume/Kühlanlagen der Nahrungsmittelindustrie<br />
sowie kliniknah abgestellte Tiefkühl-LKWs<br />
des Speditionsgewerbes können hier hilfreich sein.<br />
Lagerhaltung<br />
Im Bereich der Lagerung und Vorratshaltung treffen zwei konträre<br />
Auffassungen aufeinander. Während aus der Sicht des Katastrophenmanagements<br />
ein möglichst großer Vorrat an essentiellen<br />
Medikamenten und Verbrauchsmaterial wünschenswert ist, zwingen<br />
logistische und finanzielle Argumente zu Beschränkungen.<br />
Immer mehr gehen heute in der Zeit knapper Mittel die Krankenhausverwaltungen<br />
dazu über, Lagerbestände vor Ort abzubauen<br />
und Nachlieferungen „just-in-time“ zu organisieren. Bei diesem<br />
Vorgehen können bereits kleine Störungen der Infrastruktur<br />
(Straßen, Witterungsverhältnisse etc.) oder plötzlicher Mehrverbrauch<br />
wie im Falle großer Schadensereignisse zu Engpässen<br />
führen. Wichtig ist hier ein gesundes Mittelmaß zwischen großzügiger<br />
Bevorratung absolut unverzichtbarer Artikel und reduzierter<br />
Vorhaltung entbehrlicher Güter. Die Faustregel lautet hier: „Von<br />
Wenigem (= Essentiellem) Viel, von Vielem (= Entbehrlichem)<br />
Wenig!“ Es hat sich bewährt, eine Staffelung hinsichtlich der<br />
Vorratshaltung einzuführen. So sollen an den Arbeitsplätzen in den<br />
einzelnen Bereichen (z.B. Station, OP-Suite, Notfallaufnahme,<br />
Intensivstation) die Verbrauchsgüter für einen durchschnittlichen<br />
Wochenbedarf vorgehalten werden. In den nachgeschalteten<br />
Lagern der Klinik (Zentrallager, Apotheke, Wäscherei, Küche etc.)<br />
wird der Bedarf für etwa 4 Wochen bereitgehalten und nur darüber<br />
hinausgehende Mengen müssen direkt beim Hersteller geordert<br />
werden. Berücksichtigt man, dass auch unter günstigsten<br />
Bedingungen die gesamte Kapazität einer Klinik wochentags wohl<br />
kaum um mehr als den Faktor 2, für sehr kurze Zeitabschnitte (einzelne<br />
Tage) vielleicht auch um den Faktor 3 gesteigert werden<br />
kann, ergibt sich die Notwendigkeit eines Nachschubs aus den kli-<br />
238
nikeigenen Lagern auf die einzelnen Bereiche nach etwa 2 Tagen;<br />
externe Lieferungen vom Großhandel bzw. den Herstellern in die<br />
Zentrallager würden dann nach ca. 7 Tagen erforderlich. Bei diesem<br />
Konzept ist es den einzelnen Teilbereichen eines Krankenhauses<br />
möglich, sofort auf einen gestiegenen Bedarf für etwa<br />
2 bis 3 Tage autark zu agieren; diese Frist sollte ausreichen, den<br />
Nachschub aus den übergeordneten Lagern zu organisieren. Die<br />
Zentrallager können – bei entsprechender Information durch die<br />
Einsatzleitung – diesen kleinen Vorlauf ihrerseits nutzen, die Logistik<br />
den gestiegenen Bedürfnissen anzupassen und rechtzeitig<br />
Ergänzungen zu ordern. Selbst bei einer durch Schadensereignisse<br />
überregionaler Ausdehnung (etwa Erdbeben) bedingten Zerstörung<br />
der Infrastruktur (Verkehrswege!) kann in Industriestaaten<br />
nach einer Frist von einer Woche mit einer funktionierenden<br />
Notversorgung aus unbetroffenen Regionen gerechnet werden.<br />
Essentiell für eine geordnete Patientenversorgung im Massenanfall<br />
von Verletzen sind:<br />
– Analgetika / Sedativa / Narkotika<br />
– Verbandmaterial (Basisartikel!)<br />
– Infusionslösungen (Elektrolytlösungen, Volumenersatzstoffe,<br />
parenterale Ernährung, Blutprodukte)<br />
– Infusions- /Injektionsbedarf<br />
– Antidota<br />
– Einmal-Bettwäsche / Patienten-/Personalkleidung<br />
Übungen<br />
Der für eine Klinik erstellte Alarmplan muss nicht nur regelmäßig<br />
aktualisiert werden, sondern seine Richtigkeit und Praktikabilität<br />
muss auch durch Übungen nachgewiesen werden. Die<br />
Katastrophenschutzgesetze der einzelnen Bundesländer fordern<br />
deshalb sowohl die Durchführung eigener Übungen wie<br />
auch die Teilnahme von Krankenhäusern an den Katastrophenschutzübungen<br />
der Kommunen.<br />
Für den Bereich der Kliniken können abgestufte Übungen, je nach<br />
Fragestellung, empfohlen werden. Die reine Alarmierungsübung<br />
ohne Anfahrt stellt die Erreichbarkeit von Mitarbeitern zu bestimmten<br />
Zeiten fest und erlaubt die Einschätzung der im Realfall zu erwartenden<br />
Personalstärke. Rahmenübungen der Einsatzleitung ohne echte<br />
Einbindung des Klinikbetriebes mit entsprechenden Einspielungen<br />
von Außen durch eine Regie erlauben die Überprüfung der vorhandenen<br />
Unterlagen und Kommunikationswege sowie der Zusammenarbeit<br />
der einzelnen Klinikstrukturen. Übungen mit dem Einsatz von<br />
Mimen und dem Klinikpersonal sowie einer Einbindung der Rettungsdienste<br />
geben die Möglichkeit, die Schnittstellen innerhalb der<br />
Klinik und zu den externen Organisationen zu überprüfen und stellen<br />
239
ein wünschenswertes Optimum dar. Es soll aber nicht verschwiegen<br />
werden, dass derartige Übungen nicht unerhebliche Material- und<br />
insbesondere Personalkosten verursachen können und mit dem<br />
regulären Krankenhausbetrieb interferieren. Durch geschickte Zeitwahl<br />
(außerhalb des regulären Betriebs, z. B. Samstag) und Verwendung<br />
nicht-intensiv genutzter, unsensibler Bereiche (leerstehende<br />
Stationen, Bereiche mit laufenden Baumaßnahmen) können jedoch<br />
die Beeinträchtigungen für Personal und Patienten reduziert werden.<br />
Die Teilnahme an turnusmäßig von den Kommunen durchzuführenden<br />
Katastrophenschutz-Vollübungen bindet das Krankenhaus und<br />
seine Strukturen in den gesamten Ablauf der Bewältigung eines<br />
großen Schadensereignisses mit ein und sollte, wann immer möglich,<br />
genutzt werden. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse führen<br />
nicht nur zu einer Optimierung der klinikinternen Planungen, sondern<br />
geben Patienten und Mitarbeitern auch das begründete Gefühl,<br />
einer derartigen Ausnahmesituation nicht hilflos gegenüber zu stehen<br />
und fördern so deren Motivation zu aktiver Teilnahme.<br />
RLSt<br />
EZ POL/FW<br />
KEL<br />
Dienst 1<br />
z.B. CHIR<br />
Alarm<br />
Abb. 1: Alarmwege<br />
(RLSt: Rettungsleitstelle; EZ POL / FW: Einsatzzentrale Polizei /<br />
Feuerwehr; KEL: Katastropheneinsatzleitung)<br />
240<br />
Bereich A<br />
Info<br />
Notfallmeldung<br />
Rückbestätigung<br />
Dienst 2<br />
z.B. AN<br />
Bereich A<br />
Info<br />
Dienst 3<br />
z.B. ICU<br />
Info<br />
Bereich A<br />
Klinikinterner<br />
Meldekopf<br />
diensthabender<br />
Arzt<br />
Erst-Alarm Folge-Alarm<br />
Dienst 4<br />
z.B. MED<br />
Bereich A<br />
Info<br />
Dienst 5<br />
z.B. XYZ<br />
Bereich A<br />
Info<br />
Alarm<br />
Klinik –<br />
Einsatzleitung<br />
Info<br />
Infra 1<br />
Alarm<br />
Klinik 1<br />
XYZ 1
T4<br />
Betreuung/<br />
Überwachung<br />
(Versammlungsraum)<br />
T3<br />
Überwachung<br />
(Gymnastikhalle)<br />
Anfahrt (Einbahnregelung)<br />
T1/T2/T3/T4<br />
Stauzone<br />
Sichtung<br />
Registrierung<br />
(Eingangsbereich)<br />
Pflegestationen<br />
Entlassung/Verlegung/Dependance<br />
Abb. 2: Patientenwege im Krankenhaus (Beispiel)<br />
T1<br />
Sofortmaßnahmen<br />
(Notaufnahme)<br />
Intensivtherapie<br />
(ICU)<br />
T2<br />
Notfall-OP<br />
(Op-Suite)<br />
241
242
Anhang
Einsatzablauf-Flussdiagramm<br />
H. Peter, J.W. Weidringer, P. Sefrin<br />
Das nachfolgend dargestellte Schema stellt keinen idealtypischen<br />
Ablauf dar, sondern nur eine mögliche Entscheidungsgrundlage,<br />
die aufgrund unterschiedlicher Rechtsgrundlagen in<br />
verschiedenen Bundesländern ggf. regional different zu handhaben<br />
ist.
Fragestellung Entscheidung Veranlassung Kontrolle<br />
1.0. Was ist passiert? Meldung<br />
sofortige Dokumentation<br />
Personal/Patienten/Material<br />
1.1. Art Absicherung der Unfallstelle nach Gefährdungsgesichtspunkten Festlegung der Aufteilung<br />
ungefähre Anzahl der Verletzten, Erkrankten abschätzen Einteilung kontrollieren<br />
1.1.1. Massenanfall<br />
ja<br />
a) allgemeine Probleme Planung und Festlegung der Transportwege, Abklärung der<br />
Behandlungsgsmöglichkeiten (personell, materiell, Meldewesen<br />
Ablauf) orientierende Präferenzbildung (Verletzteneinteilung,<br />
Einrichten von Behandlungseinheiten und Einsatzabschnittsbildung)<br />
Organisation der medizinischen Behandlung, ständige Überprüfung evtl.<br />
nein<br />
Transportkapazitäten anfordern und einteilen, Ergänzung durch nachfolgen-<br />
An- und Abfahrtswege für Rettungseinheiten de Kräfte und Material<br />
sowie Rettungsdienstfahrzeuge festlegen,<br />
Bereitstellungsräume (Aufgabe OrgL)<br />
b) besondere Massenunfälle<br />
ja<br />
1.1.1.1. Verkehrsunfall Absperrung veranlassen (großräumig, Sicherheit, Einhaltung der Absperrbereiche<br />
Betriebsunfall Zu- und Abfahrt sichern) kontrollieren<br />
nein<br />
Tox. Unfall, radioaktiver<br />
oder chemischer Unfall<br />
245
Fragestellung Entscheidung Veranlassung Kontrolle<br />
zusätzliche Anforderung von Personal und Material (z. B. Infusionen, Absprache mit der Feuerwehrja<br />
Analgetika, spezielle Medikamente) zur Behandlung, / Gesamteinsatzleitung<br />
Einrichtung (mit OrgL) von sicheren Behandlungsplätzen,<br />
1.1.1.2. Großbrand Pers. Aufteilung; spezielle Gefahren wie Messen und Messwerte beurei-<br />
Explosion, toxische Stoffe; Personal- und Patienteneinteilung nach len, Zusammenarbeit mit .... und<br />
Absprache mit Feuerwehr anderen Behörden<br />
246<br />
Behandlung u. Transport; Vorinformation v. Spezialabteilungen<br />
(Brandverletztenzentren, viele Infusionen, ausreichend Analgetika,<br />
Antidota, oper. Verbandmaterial – Rückgriff auf Vorräte Dritter<br />
nein<br />
Inhalationsgefahr von tox. Stoffen, Identifikationen durch FW Dokumentation für spätere<br />
(Tox-Röhrchen, hyperbare Ox., Medifax, Meditox ® , TUIS) Untersuchungen von Verletzten<br />
und Erkrankten<br />
1.1.1.3. Hauseinsturz, Absicherungsmaßnahmen bei Gefahren für Verletzte und Personal in<br />
Verschüttung, Behandlung einplanen; Zusammenarbeit mit anderen (techn.)<br />
(Crush-Syndrom) ja<br />
Organisationen abstimmen – Eingreifen nur nach<br />
Freigabe durch FW-Einsatzleitung<br />
medizinische Behandlung: Besonderheit – frühzeitige Notfallmedizinische<br />
Infusionstherapie mit großen Volumina Behandlung vor dem Freilegen<br />
1.1.1.4. Explosion<br />
nein<br />
weitere Gefährdungen (Reexplosion, tox. Stoffe, Verletzungsmuster), Verschütteter; medizinische<br />
Eingreifen nur nach Freigabe durch FW-Einsatzleitung, spezielle Behandlung im Trümmer-<br />
Behandlung nötig (blast injuries) – Hinweise s.o. bereich nur nach Absprache<br />
Veranlassung der Bereitstellung von besonderen Substanzen wie mit Gesamteinsatzleitung
Fragestellung Entscheidung Veranlassung Kontrolle<br />
Antidota, Infusionen, spez. Komb. Verletzungen (siehe auch<br />
ja<br />
Brandverletzungen)<br />
– Cave! Wichtig bei Verteilung auf und Anmeldung in Spezialkliniken<br />
1.1.2. Unfälle mit<br />
gesonderter zusätzlicher<br />
nein<br />
Entscheidung<br />
ja<br />
1.1.2.1. DB-Unfälle DB-Sonderregelung – Rettungszüge (Fahrdienstleiter) Einsatz erst nach Abschalten<br />
(Notfallmanager, BGS) und Erden der Oberleitung<br />
nein<br />
Zugang zu Verletzten –<br />
ja<br />
Denken an ICE-Bauweise<br />
1.1.2.2. Hochspannungsunfall örtliche Elektrizitätswerke bzw. Energieversorgungsunternehmen<br />
informieren (Polizei) zum Abschalten der Stromzufuhr, (ansonsten<br />
siehe spez. Unfallmuster) und ggf. Erden<br />
1.1.2.3. Unfall durch spezielle Witterungsbedingungen (Nebel, Hochwasser bei weiter auseinanderlie-<br />
Naturereignisse Rettungsmöglichkeiten!) genden Orten (Unfallversorgung)<br />
Überschwemmung, nein<br />
Schwierigkeiten bei Kontrolle,<br />
Sturm, Schnee, spez. Rettungsmittel/ Transportmittel (Vorortversorgung nicht deshalb diszipliniert und<br />
Eis, Erdbeben, möglich!) zuverlässig durchführen,<br />
Waldbrand „Abschnittsleiter“ berufen<br />
Gefahrenausbreitungsmöglichkeiten mit einplanen (Windrichtung, -stärke)<br />
Verzögerungsmöglichkeiten mit einplanen (Versorgung mit<br />
Personen und Material), Einsatzabschnittsbildung mit Verantwortlichen<br />
247
Fragestellung Entscheidung Veranlassung Kontrolle<br />
1.1.2.4. See-/Binnen- Leitern (Rückmeldung!)<br />
gewässer Unfälle<br />
ja<br />
entferntere Grundversorgung ermöglichen (Kapazitätsprobleme)<br />
248<br />
örtliche Polizei (Wasserschutzpolizei),Feuerwehr oder<br />
Wasserrettungsorganisationen (DLRG, Wasserwacht, DGzRS)<br />
1.1.2.5 Flugzeugabsturz / Patienten-Behandlung (CAVE: Gefahren durch Kerosin: Großveranstaltung?<br />
Notlandung Surfactant-Zerstörung)<br />
1.1.2.6 Radioaktiver ja<br />
Anforderung von Messeinheiten (techn., personell) ja nach Messergebnis<br />
Unfall patientenorientiert, Kontaktaufnahme mit FW (Strahlung oder )<br />
Spezialeinheiten anfordern (Schutzkleidung, Dekonta- Behandlungstaktik angleichen<br />
nein<br />
minationseinheiten) und abstimmen z.B. GSF<br />
Spezielle Sicherungseinheiten (Kleidung, Evakuierung, Sicherung, FwDv 9 + 1<br />
Zugangswege)<br />
Gefährdung von Personal, Umgebung, Bevölkerung, Entwicklung Kontaktaufnahme mit<br />
des Schadens Strahlenschutzzentren<br />
Spezielle Versorgung und Transport, Spezialeinheiten, -betten,<br />
-abteilungen<br />
1.1.2.7. Unfall m. Agenzien ja<br />
Stoffklassifikation (spezielle Messeinheiten) – Fernabfrage spezifischer Konzentrationsmessung und<br />
- toxisch Maßnahmen über Leitstelle Entwicklung bzgl. Gefahr, Zeit<br />
- biologisch u. Ausmaß<br />
Warnung der Bevölkerung Angleichung der Maßnahmen
Fragestellung Entscheidung Veranlassung Kontrolle<br />
Einheiten a) personell (Spezialeinheit, Sicherung,<br />
Atemschutz) Rettungs-/ Evakuierungs- c/o BFV, WFV, KatS,<br />
maßnahmen regionale LSt, Meditox ®<br />
b) materiell (Antidota) – Gerätewagen-FW, Gefahren<br />
Einrichtung der Leit- und Behandlungsstellen aus „präventiver“ Sicht<br />
(Witterung, Entwicklungsmöglichkeit), Gefährdung;<br />
Evakuierung von Patienten und Bevölkerung nach Plan Information und Rücksprache<br />
Entwicklungsmöglichkeiten abschätzen und Vorsorge treffen mit Gesamteinsatzleitung<br />
1.1.2.8. Militärunfälle ggf. Unterstützung via SAR-RCC (2.1.) über Leitstelle<br />
ja<br />
BW<br />
NATO Verbindungsaufnahme mit dem nächsten VBK, WBK, Vorhandene Störfallpläne /<br />
nächster Bundeswehrdienststelle (OvWa) Sonderschutzpläne berück-<br />
1.1.2.9. Munitionsunfälle nein<br />
Siehe auch Militärunfälle sichtigen (CAVE: Munition !)<br />
Siehe auch<br />
- Tox-Unfall / radioaktiver Unfall<br />
- Explosion<br />
- Großbrand<br />
- Verschüttung<br />
- Problemunfälle<br />
1.1.2.10. Geiselnahme ja<br />
Absprache mit POL-EL direkt<br />
Entsprechend Verlauf oder möglicher Konsequenz<br />
Kapazitäten bereitstellen<br />
nein<br />
249
Fragestellung Entscheidung Veranlassung Kontrolle<br />
auf beweglichen Einsatz vorbereiten<br />
250<br />
1.1.2.11. Panik/Lethargie ja<br />
überaktive Reaktion (Panik) – Beruhigung durch Information,<br />
Einbeziehung in Aktivitäten, Grundbedürfnisse stillen<br />
depressive Reaktion (Lethargie) –Vorsicht: suizidale Reaktion;<br />
rasche Entfernung aus dem Gefahrenbereich<br />
ggf. Kooperation und Vorstellung bei Polizeipsychologen oder<br />
Notfallseelsorger oder Kriseninterventionsteam zuziehen (über Leitstelle)<br />
nein<br />
1.2. Ort<br />
1.2.1. Stadt<br />
Gefahrenpotential, Spezielle ortsbedingte Maßnahmen einleiten Abstimmung von<br />
spez. Zufahrten im großräumig Transportwege sichern (Polizei, Feuerwehr) Bereitstellungsräumen<br />
Stadtbereich Polizei und RD, Fw, BW,<br />
1.2.2. Land<br />
1.2.2.1. gut zugänglich kein weiteres Problem Maßnahmenveranlassung nach Art des Unfalls und der Witterung<br />
1.2.2.2. unwegsames Gelände Entscheidung über spez. Anforderung z.B. von geländegängigen Transportmitteln, Notwendigkeit gegeben bei<br />
Behandlungs- und Hubschrauber über Leitstelle (z.B. RCC Münster) größeren Entfernungen<br />
Transportmöglichkeiten spezielle Boote „Abschnittsleiter“<br />
zur Vor-Ort-Kontrolle<br />
einzusetzen:
Fragestellung Entscheidung Veranlassung Kontrolle<br />
1.2.2.3. Tunnels<br />
Eisenbahn, Straße siehe Punkt 1.1.2.1<br />
1.2.3. Industriegebiet mit Zusatzrisiko erkunden spezielle Maßnahmen einleiten zusammen mit WF, Sonderschutzpläne kennen,<br />
besonderer Gefahr Naturwissenschaftlern; Beginn der medizinischen Behandlung Regelungen berücksichtigen<br />
(z.B. Tanks) erst nach Freigabe durch Verantwortlichen<br />
1.3. Zeit<br />
1.3.1. Tag kein Problem Witterungsabhängige Einsatzmöglichkeiten Boden/Luft<br />
1.3.2. Nacht Rettungsmittel festlegen eingeschränkte Behandlungsmöglichkeiten bedingen teilw. anderes<br />
Vorgehen Boden/Luft, Beleuchtungsmöglichkeiten anfordern (THW)<br />
1.4. Ausmaß siehe Schadensart Anm.: 1.0 nur in Zusammenarbeit mit OrgL, anderen Fachverbänden<br />
unter 1.1 und oder -personal<br />
Schadensentwicklung<br />
unter 2.0<br />
2.0. Wie ist die<br />
Schadensentwicklung? Rücksprache mit<br />
Siehe dazu: Gesamteinsatzleitung<br />
Ablaufdiagramm 1.0.<br />
Zusätzlich gilt:<br />
2.1. Anzahl / Schwere LNA koordiniert, sichtet u. bildet gemeinsam mit OrgL effektives personalsparendes<br />
der Verletzten Einsatzabschnittsleitung Arbeiten<br />
251
Fragestellung Entscheidung Veranlassung Kontrolle<br />
frühzeitig SEG auch prophylaktisch alarmieren (Personal- und Einteilung mit ständiger<br />
Materialreserve) Kontrolle<br />
252<br />
a) Behandlungs- personaleffektives Arbeiten erfüllt? Personal – Material,<br />
priorität<br />
Schwerverletzte mehrere NA, Rettungsassistenten, limitierte Behandlungskapazitäten,<br />
Behandlungsplatz 1-2 NA, Rettungspersonal, Behandlungsplatz<br />
Mittelschwer<br />
Verletzte weitere Ärzte, Rettungssanitäter und Rettungshelfer, Behandlungsplatz<br />
Leichtverletzte<br />
b) Transportpriorität<br />
Schwerverletzte NAW, RTH, GRTH*, DB (z.B. auch Rettungszug), SAR<br />
mit vital Bedr.<br />
Mittelschwer RTW, RTH, GRTW*, KTW<br />
Verletzte<br />
ohne vital Bedr.<br />
Leichtverletzte Busse, GRTW*, KTW<br />
* GRTW / GRTH nur, wenn Behandlungsplätze<br />
(ortsfest) installiert sind<br />
c) Verteilungspriorität<br />
Schwerverletzte nächste Akutklinik oder auch entfernte Spezialkliniken<br />
(auch im europäischen Ausland)
Fragestellung Entscheidung Veranlassung Kontrolle<br />
(z. B. Primärphase nach Verbrennung)<br />
Mittelschwer entferntere Kliniken, ggf. Spezialkliniken<br />
Verletzte<br />
Leichtverletzte Ambulanzen, bei niedergelassenen Ärzten, entfernte KH<br />
2.2. Welche Kapazitäten<br />
stehen zur Verfügung?<br />
2.2.1. Aus medizinischer Sicht a) Behandlung nach Schadensentwicklung ständige Aktualisierung<br />
b) Transport (Personal/Material) und SIV<br />
c) Delegations- durchführen<br />
fähigkeit Anpassen an Gelegenheiten<br />
2.2.2. Aus taktischer Sicht a) Festlegen von Ort,<br />
Personal,<br />
Materialbedarf<br />
b) Nachschub,<br />
Transporteinheiten<br />
2.2.3. Soll-Ist-Vergleich (SIV) a) Patientenzufluss = keine Nachforderung, da Mittel ausreichend<br />
Abtransport +<br />
Behandlung<br />
b) Patientenzufluss Abbestellung von zusätzlichen Kapazitäten<br />
Abtransport +<br />
Behandlung<br />
c) Patientenzufluss Nachforderung, sowie ggf. Bereitstellung von weiteren Behandlungs-<br />
Abtransport + u. Transporteinheiten<br />
253
Fragestellung Entscheidung Veranlassung Kontrolle<br />
Behandlung<br />
d) unklare frühzeitige Bereitstellung und zumindest Voralarmierung von weiteren<br />
Entwicklung personellen/ materiellen Kapazitäten – Reservebildung<br />
254<br />
2.3. Welche Koordinations- a) durch Anzahl der z. B. GRTH, GRTW, DB-Rettungszug, Busse, Feuerwehr, THW,<br />
möglichkeiten gibt es Verletzten und der Polizeihubschrauber, Intensiv-Transporthubschrauber, Boote usw.<br />
zusätzlich? Schwere der Verletzungsart<br />
bedingt<br />
(Frage folgt aus 2.2.)<br />
b) durch Art des<br />
Unfalls<br />
c) durch Engpässe bei SEG, Einheiten des Sanitätsdienstes der Hilfsorganisation<br />
Behandlung und<br />
Materialbeschaffung<br />
d) durch Engpässe bei Spezialabteilungen, Transportkapazitäten außerhalb des RD<br />
Transport / Behand- (K-Schutz, Private)<br />
lungskapazitäten<br />
e) bei Anmeldungs- zusätzlich bei Anmeldung Vorinformation an das Behandlungszentrum<br />
prioritäten u. geben, z.B. Antidota usw. frühzeitig<br />
Verlegungen anfordern zu können.<br />
2.4. Ist die Anforderung a) siehe spez. Mitteilung über benötigtes Personal/Material an OrgL<br />
zusätzlicher Mittel Unfälle<br />
notwendig, die sich erst unter 1.0<br />
aus der Schadensentwicklung<br />
ergibt
Fragestellung Entscheidung Veranlassung Kontrolle<br />
b) zusätzliches<br />
Fachpersonal /<br />
Technik / Mittel<br />
wie Analysegeräte<br />
usw.<br />
2.5 Besteht zusätzliche siehe spezielle Punkte<br />
Gefährdung? unter 1.0.<br />
2.5.1 bei Patienten ständige Neuorientierung Veranlassung von zusätzlichen Maßnahmen z. B. Verlegung des<br />
Behandlungsplatzes, Tragen von Schutzkleidung im<br />
Gefahrenbereich usw.<br />
2.5.2 bei Personal siehe 1.0<br />
Einleitung der erwähnten<br />
Mittel z. B. Verlegung von<br />
Behandlungsplätzen<br />
2.6. Funktionsfähigkeit a) Abgleichung der personelle/materielle Anpassung an Schadensentwicklung Gesamteinsatzleitung fordern<br />
der Kooperation Einsatzkapazitäten und einrichten<br />
der Hilfseinheiten<br />
b) Meldekontrolle der Exakte Anweisung, Disziplin fordern, evtl. personell umbesetzen<br />
verschiedenen<br />
255
Fragestellung Entscheidung Veranlassung Kontrolle<br />
Einheiten zuverlässig<br />
u. genau?<br />
256<br />
c) Personalführung soweit möglich <strong>neu</strong>e Personalaufteilung nach Zuverlässigkeit,<br />
zufriedenstellend? Fachkompetenz und Erfordernis<br />
2.7. Ist der Einsatz beendet? Dokumentationszusammenja<br />
Patientenzahl = 0 stellung; Schlussbericht erstellen<br />
Behandlung = 0<br />
Abtransport = 0 ÖEL/TEL / EL beendet Einsatz<br />
nein<br />
Patientenzufuhr = 0<br />
dann wieder Raster 2.0. durchlaufen bis zutreffendenfalls<br />
Einsatz wird fortgeführt 2.7. erreicht ist<br />
Vollständig überarbeitete Fassung aus:<br />
Sefrin, P. (Hrsg.): Handbuch für den Leitenden Notarzt, ecomed, Landsberg / Lech, 1991, III, 20-(1) mit freundlicher Genehmigung des<br />
ecomed-Verlags.
Aus Kapitel 11: Ärztliche Maßnahmen bei Strahlenunfällen und<br />
Strahlenkatastrophen, S. 117<br />
Regionale Strahlenschutzzentren (RSZ), Stand 12 / 2000<br />
Bei schweren Strahlenunfällen kann die Spezialstation für Strahlengeschädigte<br />
der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik<br />
Ludwigshafen ( ) nach Vermittlung durch die Regionalen Strahlenschutzzentren<br />
in Anspruch genommen werden.<br />
257
Adressen:<br />
Allg. Krankenhaus St. Georg<br />
Abt. Nuklearmedizin<br />
Lohmühlenstr. 5<br />
20099 Hamburg<br />
Tel.: 040/2890-2371 (-2256*)<br />
Medizinische Hochschule<br />
Abt. Nuklearmedizin/Biophysik<br />
Carl-Neuberg-Str. 1<br />
30625 Hannover<br />
Tel.: 0511/532-3197<br />
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf<br />
Nuklearmedizinische Klinik<br />
Leo-Brandt-Str.<br />
52428 Jülich<br />
Tel.: 02461/61-5763<br />
Universitätskliniken des Saarlandes<br />
Abt. für Nuklearmedizin<br />
Gebäude 50<br />
66421 Homburg/Saar<br />
Tel.: 06841/16-2201 (-3305*)<br />
Forschungszentrum Karlsruhe<br />
Medizinische Abteilung<br />
Hermann-von-Helmholtz-Platz 1<br />
76344 Karlsruhe<br />
Tel.: 07247/82-3333<br />
Städtisches Krankenhaus Schwabing<br />
Institut für Medizinische Physik<br />
Kölner Platz 1<br />
80804 München<br />
Tel.: 089/3068-2541 (-0*)<br />
Uniklinikum Greifswald<br />
Klinik für Nuklearmedizin<br />
Fleischmannstr. 42–44<br />
17487 Greifswald<br />
Tel.: 03834/86-6975<br />
258
Universitätsklinikum Benjamin Franklin<br />
Abt. für Nuklearmedizin<br />
Hindenburgdamm 30<br />
12200 Berlin<br />
Tel.: 030/8445-2171 (-3992*)<br />
Universitätsklinikum „Carl Gustav Carus“ der TU Dresden<br />
Klinik für Nuklearmedizin<br />
Fetscherstr. 74<br />
01307 Dresden<br />
Tel.: 0351/458-2226<br />
Universität Würzburg<br />
Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin<br />
Luitpoldkrankenhaus Bau 9<br />
Josef-Schneider-Str. 2<br />
97080 Würzburg<br />
Tel.: 0931/201-5877<br />
GSF-Forschungszentrum<br />
Institut für Strahlenschutz<br />
Ingolstädter Landstr. 1<br />
85764 Neuherberg<br />
Tel.: 089/3187-333<br />
Berufsgenossenschaftliche Klinik<br />
Ludwigshafen-Oggersheim<br />
(nur nach Vermittlung über ein RSZ)<br />
* außerhalb der üblichen Dienstzeit<br />
Beachte:<br />
Das System der RSZ dient in erster Linie der Versorgung von<br />
Personen im Rahmen betrieblicher Strahlenunfälle und ist nicht<br />
primär Teil der staatlichen Vorsorgemaßnahmen.<br />
259
260
261
Aus Kapitel 12: Management von Gefahrgutunfällen und<br />
Massenvergiftungen, S. 144<br />
Giftinformationszentren in Deutschland – Stand 12/2000<br />
270<br />
Giftinformationszentren
Bei allen Vergiftungen sollte, besonders wenn eine genaue Zusammensetzung<br />
des Giftes und das weitere Vorgehen unklar sind, umgehend<br />
vom behandelnden Arzt über die Rettungsleitstelle eine<br />
Informationszentrale für Vergiftungsfälle angerufen werden.<br />
Es sollten folgende Angaben gemacht werden:<br />
– Alter der verunglückten Person<br />
– Art und eventuelle Konzentration des Giftes<br />
– Zeitpunkt der Giftaufnahme<br />
– eingenommene Menge des Giftes<br />
– Anzeichen der Vergiftung<br />
– bereits durchgeführte Maßnahmen<br />
Zentren mit durchgehendem 24-Stunden-Dienst (Stand 12/2000)<br />
In folgenden Krankenanstalten und Kliniken bestehen offizielle<br />
Informationszentren für Vergiftungsfälle. Diese Zentren geben<br />
Tag und Nacht telefonisch Auskunft. Von diesen Zentren erhalten<br />
Sie auch Informationen über die nächstgelegenen toxikologischen<br />
Laborzentren mit 24-Stunden-Dienst.<br />
13353 BERLIN<br />
Reanimationszentrum des Universitätsklinikums Rudolf Virchow,<br />
Humboldt-Universität Berlin, Station 43 b<br />
Augustenburgerplatz 1<br />
T-030-450-53555 oder 030-450-53565, F-030-450-55909<br />
14050 BERLIN<br />
Beratungsstelle für Vergiftungserscheinungen<br />
und Embryonaltoxikologie<br />
Spandauerdamm 130, Haus 10<br />
T-030-19240, F-030-30686-721<br />
53113 BONN<br />
Informationszentrale gegen Vergiftungen, Zentrum für Kinderheilkunde<br />
der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität<br />
Adenauerallee 119<br />
T-0228-287-3211 oder 0228-287-3355, F-0228-287-3314<br />
99098 ERFURT<br />
Gemeinsames Giftinformationszentrum der Länder Mecklenburg-Vorpommern,<br />
Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen<br />
c/o Klinikum Erfurt<br />
Nordhäuser Str. 74<br />
T-0361-730-730 oder T-0361-730-7311, F-0361-730-7317<br />
271
79106 FREIBURG<br />
Informationszentrale für Vergiftungen, Universitätskinderklinik<br />
Freiburg<br />
Mathildenstraße 1<br />
T-0761-19 240 (24 Std.-Dienst) oder 0761-270-4300 (Zentrale),<br />
F-0761-270-4457<br />
37075 GÖTTINGEN<br />
Giftinformationszentrum-Nord der Länder Bremen, Hamburg,<br />
Niedersachsen und Schleswig Holstein (GIZ-NORD), Georg-<br />
August-Universität Göttingen<br />
Zentrum Pharmakologie u. Toxikologie<br />
Robert-Koch-Str. 40<br />
T-0551-19240 oder 0551-383-180, F-0551-3831881<br />
66421 HOMBURG / SAAR<br />
Universitätskliniken, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin<br />
im Landeskrankenhaus<br />
Robert-Koch-Str.<br />
T-06841-19 240, F-06841-16-8314<br />
55131 MAINZ<br />
Beratungsstelle bei Vergiftungen der II. Med. Klinik und Poliklinik<br />
der Johannes-Gutenberg-Universität<br />
Langenbeckstr. 1<br />
T-06131-19 240 oder 06131-232466, F-06131-176-605<br />
81675 MÜNCHEN<br />
Giftnotruf München, Toxikologische Abteilung der II. Med.<br />
Klinik, Klinikum rechts der Isar<br />
der Technischen Universität München<br />
Ismaninger Str. 22<br />
T-089-19 240, F-089-4140-2467<br />
Mobiles Gegengift-Depot:<br />
Wie Giftnotruf München oder über Berufsfeuerwehr München<br />
T.-112 (innerhalb des Ortsnetzes)<br />
90419 NÜRNBERG<br />
Toxikologische Intensivstation der II. Med. Klinik<br />
im Städt. Klinikum<br />
Professor-Ernst-Nathan-Str. 1<br />
T-0911-398-2451 oder 0911-398-0 (Zentrale), F-0911-398-<br />
2205<br />
272
Aus Kapitel 12: Management von Gefahrgutunfällen und Massenvergiftungen,<br />
S. 144<br />
Gefahrensymbole und Gefahrenbezeichnungen<br />
E<br />
Explosionsgefährlich<br />
F +<br />
Hochentzündlich<br />
T +<br />
Sehr giftig<br />
C<br />
Ätzend<br />
O<br />
Brandfördernd<br />
F<br />
Leicht entzündlich<br />
T<br />
Giftig<br />
X i<br />
Reizend<br />
Xn<br />
Gesundheitsschädlich<br />
N<br />
Umweltgefährlich<br />
273
Poison Severity Score (PSS)<br />
Organ-System Ohne -0- Leicht -1- Mittel -2- Schwer -3keine<br />
leichte von selbst deutliche oder schwere oder<br />
Symptome abklingende Symptomatik länger anhaltende Symptomatik lebensbedrohliche Symptomatik<br />
Gastrointestinaltrakt Erbrechen (gelegentlich) Erbrechen (anhaltend) massives Erbrechen<br />
Durchfall (gelegentlich) Durchfall (anhaltend) Blutung<br />
Schmerzen (gering) Schmerzen heftig oder anhaltend Perforation<br />
Reizung (gering) Verätzungen I° an kritischen (gefährlichen) multilokuläre zweit- und<br />
Stellen drittgradige Verätzungen<br />
geringe Ulceration im Mund Verätzungen II° schwere Dysphagie<br />
Verätzungen I° Verätzungen III° auf wenige Stellen Endoskopie:<br />
beschränkt<br />
Endoskopie: Dysphagie Transmurale Ulcerationen,<br />
Rötung Endoskopie: Läsionen, die ganze<br />
Ödem transmucöse Ulcerationen Zirkumferenz betreffend,<br />
Perforationen<br />
Respirationstrakt leichte Reizerscheinungen anhaltender Husten Manifeste respiratorische Insuffizienz<br />
Husten (gering) Bronchospastik (auf Grund von z.B. schwerer<br />
Bronchospastik)<br />
Dyspnoe (gering) Dyspnoe Obstruktion der Atemwege, Glottisödem,<br />
Bronchospastik Stridor Lungenödem, ARDS, P<strong>neu</strong>monie,<br />
P<strong>neu</strong>monitis,<br />
Thorax-Röntgen; Hypoxämie (Sauerstoff-pflichtig) P<strong>neu</strong>mothorax<br />
pathologisch ohne oder Thorax-Röntgen: Thorax-Röntgen:<br />
nur mit geringen klinischen pathologisch mit deutlich klinischen pathologisch mit schweren klinischen<br />
Symptomen Symptomen Symptomen<br />
274
Organ-System Ohne -0- Leicht -1- Mittel -2- Schwer -3keine<br />
leichte von selbst deutliche oder schwere oder<br />
Symptome abklingende Symptomatik länger anhaltende Symptomatik lebensbedrohliche Symptomatik<br />
Nervensystem Ataxie Koma mit gerichteten Reaktionen auf tiefes Koma ohne Reaktionen auf<br />
Schmerz Schmerz bzw. ungezielte oder<br />
Somnolenz kurzanhaltende Apnoe, Bradypnoe pathologische Reaktion auf Schmerz<br />
Benommenheit Verwirrtheit, Agitiertheit Atemdepression mit Ateminsuffizienz<br />
Schwindel Halluzinationen schwerste Agitiertheit<br />
Ohrgeräusch Delir häufig generalisierte Krampfanfälle<br />
Unruhe deutliche extrapyramidalmotorische Status epilepticus<br />
Symptomatik<br />
leichte extrapyramidalmotori- deutliche cholinerge/anticholinerge Opisthotonus<br />
sches Symptomatik Symptomatik<br />
leichte cholinerge/anticholin- regional begrenzte generalisierte generalisierte Lähmungserscheinungen<br />
erge Symptomatik Lähmungserscheinungen ohne oder Lähmungerscheinungen wodurch<br />
Parästhesien Beeinträchtigung vitaler Funktionen vitale Funktionen beeinträchtigt werden<br />
leichte Störungen der Sehens Störungen des Sehens bzw. Hörens Blindheit und Taubheit<br />
bzw. Hörens<br />
Kardiovaskuläres vereinzelte Extrasystolen Sinusbradykardie (40-50 min-1) ausgeprägte Sinusbradykardie (< 40 min-1 )<br />
System leicht und kurzdauerende Hypo-/ Sinustachykardie (140-180 min-1) ausgeprägte Sinustachykardie (>180 min-1 )<br />
Hypertonie gehäufte Extrasystolen lebenbedrohliche ventrikuläre Dysrhythmien<br />
Vorhofflimmern/-flattern AV-Block III°<br />
AV-Block I°-II° Asystolie<br />
verbreiteter QRS Komplex Schock<br />
275
Organ-System Ohne -0- Leicht -1- Mittel -2- Schwer -3keine<br />
leichte von selbst deutliche oder schwere oder<br />
Symptome abklingende Symptomatik länger anhaltende Symptomatik lebensbedrohliche Symptomatik<br />
verlängertes QT Intervall hypertensive Krise<br />
Repolarisationsstörungen Myokardinfarkt<br />
(Ischämiezeichen)<br />
Hypo-/Hypertonie<br />
Örtliche Reaktionen lokale Schwellung regionale Schwellung, die ganzen stärkste Schwellung die gesamte<br />
Juckreiz Extremitäten betreffend und auch Extremitäten und angrenzende Regionen<br />
Schmerzen angrenzende Teile des Stammes umfassend<br />
betreffend Schmerzen<br />
Metabolische leichte Störungen des Säure-, Störungen im Säure- Basen- und schwere Störungen im Säure-, Basen-<br />
Störungen Basen- und Wasserelektrolyt- Wasserelektrolythaushalt: Wasserelektrolythaushalt:<br />
haushaltes:<br />
Azidose: HCO- 3 15 – 20 mmol/l Azidose: HCO- 3 10 – 14 mmol/l Azidose: HCO- 3 < 10 mmol/l<br />
pH 7,25 – 7,32 pH 7,15 – 7,24 pH < 7,15<br />
Alkalose: HCO- 3 30,0 – 40,0 mmol/l Alkalose: HCO- 3 > 40 mmol/l Alkalose:<br />
pH 7,50 – 7,59 pH 7,60 – 7,69 pH > 7,7<br />
K + : 3,0 – 3,4 mmol/l K + : 2,5 – 2,9 mmol/l K + : 2,5 mmol/l<br />
5,2 – 5,9 mmol/l 6,0 – 6,9 mmol/l 7,0 mmol/l<br />
leichte Hypoglykämie: 50 – 70 mg/dl Hypoglykämie: 30 – 50 mg/dl schwere Hypoglykämie: 30 g/dl<br />
2,8 – 3,9 mmol/l 1,7 – 2,8 mmol/l 1,7 mmol/l<br />
kurze Hyperthermie länger andauernde Hyperthermie lebensbedrohliche Hyperthermie<br />
Leber geringer Transaminasenanstieg Anstieg der Transaminasen Transaminasenanstieg ( 50 x der Norm)<br />
5 – 50 x der Norm<br />
276
Organ-System Ohne -0- Leicht -1- Mittel -2- Schwer -3keine<br />
leichte von selbst deutliche oder schwere oder<br />
Symptome abklingende Symptomatik länger anhaltende Symptomatik lebensbedrohliche Symptomatik<br />
(GOT, GPT bis 2 – 5 x der Norm) ohne biochemische oder oder biochemische Zeichen (NH3 ↑↑<br />
klinische Zeichen für Leberversagen Gerinnungs störungen) oder klinische<br />
Zeichen für Leberversagen<br />
Niere geringgradige Proteinurie ausgeprägte Hämaturie Nierenversagen (Anurie und S-Kreatinin<br />
> 500 µmol/l)<br />
Hämaturie Niereninsuffizienz (Oligurie bzw. Polyurie<br />
und S-Kreatinin 200-500 µmol/l)<br />
Blut leichte Hämolyse Hämolyse ausgeprägte Hämolyse<br />
leichte Methämoglobinämie Methämoglobinämie (30 – 50 %) schwere Methämoglobinämie ( > 50%)<br />
(10 – 30 %)<br />
Anämie Gerinnungsstörung mit Blutung<br />
Leukopenie schwere Leukopenie<br />
Thrombozytopenie schwere Thromozytopenie<br />
Gerinnungsstörung ohne Blutung schwere Anämie<br />
Muskelsystem Muskelverspannungen Schmerzen stärkste Schmerzen<br />
leichter Muskelschmerz Rigor ausgeprägter Rigor<br />
CPK 250 – 1500 U/L Krämpfe schwerste Muskelkrämpfe oder<br />
Muskelfaszikulieren<br />
Faszikulieren Rhabdomyolysis mit Komplikationen<br />
Rhabdomyolysis CPK 10000 IU/L<br />
CPK 1500-10000 IU/L Kompartmentsyndrom<br />
Hautreaktionen Reizerscheinungen Verätzungen II° bei 10-50 % der KOF Verätzungen II° > 50% der KOF<br />
277
Organ-System Ohne -0- Leicht -1- Mittel -2- Schwer -3keine<br />
leichte von selbst deutliche oder schwere oder<br />
Symptome abklingende Symptomatik länger anhaltende Symptomatik lebensbedrohliche Symptomatik<br />
Verätzungen I° (Rötung) (Kinder 10-30 % d. KOF) (Kinder: 30 % der KOF)<br />
Verätzungen II° 10% der KOF Verätzungen III° < 2% der KOF Verätzungen III° > 2% der KOF<br />
Örtliche Reaktion Reizung starke Reizung Hornhautulceration (größerflächig)<br />
am Auge Rötung Hornhautabschilferung Perforation<br />
Tränen geringe punktartige Hornhautulceration Dauerschaden<br />
leichtes Lidödem<br />
278
Statistiken/Übersichten
MRNatCatSERVICE<br />
Bedeutende Naturkatastrophen 2001 in Europa<br />
Datum Land, Region Ereignis Todes- Gesamt- Versicherte<br />
opfer schäden Schäden<br />
(Mio. US $) (Mio. US $)<br />
14.1. Griechenland Unwetter 13<br />
5.3. Portugal Überschwem- 70<br />
mungen<br />
April - Mai Frankreich Überschwem- 100 75<br />
mungen<br />
2.-3.5. Spanien Hagel 50<br />
6.-8.7. Deutschland, Unwetter, 25 500 200<br />
Frankreich, Tornados<br />
Italien,<br />
Belgien,<br />
Österreich<br />
24.-31.7. Polen, Überschwem- 26 700 30<br />
Slowakei mung<br />
3.8. Deutschland, Unwetter, 3 300 200<br />
Polen, Hagel<br />
Tschechien<br />
16.9. Italien Unwetter 2 100<br />
10.-16.11 Spanien Unwetter 11 6<br />
Dezember Ost- und Kältewelle 37<br />
Südeuropa<br />
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285
MRNatCatSERVICE<br />
Bedeutende Naturkatastrophen 2001<br />
Datum Land, Region Ereignis Todes- Gesamt- Versicherte<br />
opfer schäden Schäden<br />
(Mio. US $) (Mio. US $)<br />
13.1. El Salvador: Erdbeben 845 1.500 300<br />
Z, Santa Tecla<br />
26.1. Indien: Erdbeben 14.000 4.500 100<br />
W, Gujarat<br />
Jan. - Febr. Rußland, Kältewelle 850 100<br />
China,<br />
Mongolei<br />
Afghanistan<br />
28.2. USA: WA, Seattle Erdbeben 1 2.000 305<br />
6.-12.4. USA: bes. MO, Unwetter 1 2.500 1.900<br />
Kansas City Hagel<br />
30.4.-1.5. USA: IO, MN, Unwetter 650 485<br />
WS, NE<br />
5.-17.6. USA: TX, Tropischer 25 6.000 3.500<br />
bes. Houston Sturm Allison<br />
9.-12.6. USA: WI, MN, Unwetter 450 335<br />
IA, IL, ND, MI<br />
Juli - Aug. Indien, Überschwem- 150 90<br />
Orissa mungen<br />
24.-31.7. Polen Überschwem- 26 700 30<br />
mung<br />
Aug. - Sept. Nigeria, Überschwem- 210 5<br />
Sudan, mung<br />
Chad<br />
Aug. - Okt. Vietnam, Überschwem- 441 120<br />
Kambodscha mung<br />
21.-23.8. Japan: W, Z Taifun Pabuk 8 800 500<br />
10.-13.9. Japan: O Taifun Danas 5 500 300<br />
17.-19.9. Taiwan, Taifun Nari 93 800 500<br />
bes. Taipeh<br />
Okt. - Nov. Argentinien Überschwem- 1 750<br />
mung<br />
30.10.-5.11. Karibik, Hurrikan 16 1.000 200<br />
Mittelamerika Michelle<br />
7.-12.11. Vietnam, Tropischer 300 80<br />
Philippinen Sturm Lingling<br />
9.-13.11. Algerien Überschwem- 750 300<br />
mung<br />
25.12.01- Australien Waldbrände 50 35<br />
4.1.02<br />
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http://www.bt.cdc.gov/agent/smallpox/index.asp<br />
http://bundesverwaltungsamt.de<br />
http://ccep.ca<br />
http://www.cpmcnet.columbia.edu/dept/sph/popfam/refugee<br />
http://www.crid.or.cr<br />
http://www.disaster.info.desastres.net<br />
http://www.disasterrelief.org<br />
http://www.drugdonations.org<br />
http://www.fema.gov<br />
http://www.feuerwehr-hamburg.org/brandbetten<br />
http://www.fs.fzk.de<br />
http://www.fzk.de/hs/<br />
http://www.grs.de<br />
http://www.gsf.de<br />
http://www.hamburg.de/Behoerden/BAGS/<br />
http://www.hmi.de/strahlenschutz/<br />
http://www.hsk.psi.ch<br />
http://www.iaea.org<br />
http://www.icrp.org/<br />
http://www.iom.edu/IOM/IOMHome.nsf/Pages/Recently+Relea<br />
sed+Reports<br />
http://mbittle@new-focus.org<br />
http://www.munichre.com<br />
http://www.mvorat.com<br />
293
http://www.naz.ch<br />
http://www.nlm.nih.gov/medlineplus/smallpox.html<br />
http://www.phf.org<br />
http://www.phppo.cdc.gov/PHTN/Smallpox0129.asp<br />
http:// www.psi.ch/www_ash_hn/ash_home.html<br />
http://www.provincia.bz.it/avalanche/resid.html<br />
http://www.rerf.or.jp/eigo/experhp/rerfhome.htm<br />
http://www.rki.de<br />
http://www.soziologie.uni-kiel.de/%7ekfs/<br />
http://www.ssk.de<br />
http://www.staffing@un.org<br />
http://www.stmgev.bayern.de/blickpunkt/gesundheit/bioterror/f<br />
aq_pocken.htm<br />
http://www.swissre.com<br />
http://www.trauma.org<br />
http://www.vnh.org/FleetMedPocketRef/Triage.html<br />
http://www.who.int/eha/resource/manuals/index.htm<br />
http://www.who.int/emc/diseases/smallpox<br />
http://www.writer-tech.com/pages/summaries/<br />
294
Autorenverzeichnis<br />
295
Autoren<br />
Professor Dr. med. Bernd D. Domres<br />
Chirurgische Klinik, Abteilung für Allgemeine Chirurgie und Poliklinik<br />
Klinikum Schnarrenberg<br />
Hoppe-Seyler-Str. 3<br />
72076 Tübingen<br />
Telefon: 07071/29-6680<br />
Telefax: 07071/29-5600<br />
Professor Dr. med. Axel Ekkernkamp<br />
Ärztlicher Direktor des Unfallkrankenhauses Berlin<br />
Erwin-Payr-Lehrstuhl Greifswald<br />
Warener Str. 7<br />
12683 Berlin<br />
Telefon: 030/5681-3001<br />
Telefax: 030/5681-3003<br />
Dr. med. Norbert Felgenhauer<br />
Abteilung für Toxikologie, II. Medizinische Klinik,<br />
Klinikum rechts der Isar der TU-München<br />
Ismaninger Str. 22<br />
81675 München<br />
Telefon: 089/4140-2240/41<br />
Telefax: 089/4140-4789<br />
Dr. med. Ernst-Jürgen Finke<br />
Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr<br />
Neuherbergstr. 11<br />
80937 München<br />
Telefon: 089/3168-2805<br />
Professor Dr. med. Rüdiger R. E. Fock<br />
Robert-Koch-Institut<br />
Postfach 65 02 61<br />
13302 Berlin<br />
Telefon: 01888/754-3701<br />
Telefax: 01888/754-3715<br />
Dr. med. Herbert Haller<br />
Unfallkrankenhaus Linz<br />
(vormals Direktor des Zentrums für Schwerbrandverletzte<br />
Unfallkrankenhaus Berlin)<br />
Blumauer Platz 1<br />
A-4020 Linz<br />
Telefon: 0043/732/69200<br />
Telefax: 0043/732/6920-353<br />
297
Dr. med. Werner Kirchinger<br />
GSF – Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit GmbH<br />
Institut für Strahlenschutz<br />
Ingolstädter Landstr. 1<br />
85764 Neuherberg<br />
Telefon: 089/3187-4040/3<br />
Telefax: 089/3187-3323<br />
Professor Dr. med. Jürgen Knobloch<br />
Institut für Tropenmedizin<br />
Universitätsklinikum Tübingen<br />
Keplerstr. 15<br />
72074 Tübingen<br />
Telefon: 07071/29-86022<br />
Telefax: 07071/29-5267<br />
Dr. rer. nat. Willy Marzi<br />
Bundesministerium des Innern – Referat 04<br />
Graurheindorfer Str. 198<br />
53117 Bonn<br />
Telefon: 01888-681-3339<br />
Telefax: 01888-681-3828 / 29<br />
Dr. med. Gerrit Matthes<br />
Berufsgenossenschaftliches Unfallkrankenhaus Berlin<br />
Warener Str. 7<br />
12683 Berlin<br />
Telefon: 030/5681-3001 bzw. 0171-5226 458<br />
Telefax: 030/5681-3003<br />
ORR Dipl. Päd. Hanno F. Peter<br />
Bundesverwaltungsamt<br />
Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und<br />
Zivilschutz<br />
Ramersbacher Str. 95<br />
53474 Bad Neuenahr-Ahrweiler<br />
Telefon: 02641/381-203<br />
Telefax: 02641/381-218 oder 02641/381-210<br />
Professor Dr. med. Ernst Pfenninger<br />
Universitätsklinik für Anästhesiologie<br />
Klinikum der Universität Ulm<br />
Steinhövelstr. 9<br />
89070 Ulm<br />
Telefon. 0731/502-7931<br />
Telefax: 0731/502-7969<br />
298
Professor Dr. med. Ernst Rebentisch<br />
Postfach 1427<br />
82035 Deisenhofen<br />
Telefon: 089/6134312<br />
Professor Dr. Dr. h.c. mult. Arthur Scharmann<br />
I. Physikalisches Institut der Justus-Liebig-Universität<br />
Heinrich-Buff-Ring 16<br />
35392 Giessen<br />
Telefon: 0641/9933110<br />
Telefax: 0641/9933139<br />
Professor Dr. med. Jürgen Schüttler<br />
Direktor der Klinik für Anaesthesiologie,<br />
Universitätsklinikum Erlangen<br />
Krankenhausstr.12<br />
91054 Erlangen<br />
Telefon: 09131/85-33296<br />
Telefax: 09131/85-36452<br />
Professor Dr. med. Peter Sefrin<br />
Leiter der Sektion für Präklinische Notfallmedizin<br />
Klinik für Anästhesiologie, Universität Würzburg<br />
Josef-Schneider-Str. 2<br />
97080 Würzburg<br />
Telefon: 0931/201-30124/8<br />
Telefax: 0931/201-30354<br />
Dr. med. Dipl. Chem. Richard Spörri<br />
Oberarzt der Klinik für Anaesthesiologie,<br />
Ärztlicher Leiter<br />
MEDITOX<br />
Fürst-Stirum-Klinik Bruchsal<br />
Gutleutstr. 1-14<br />
76646 Bruchsal<br />
Telefon: 07251/7080<br />
Telefax: 07251/708-5424<br />
Dr. med. Harald Strauss<br />
Oberarzt der Klinik für Anaesthesiologie,<br />
Universitätsklinikum Erlangen<br />
Krankenhausstr. 12<br />
91054 Erlangen<br />
Telefon: 09131/85-33296<br />
Telefax: 09131/85-36452<br />
299
Dr. med. Norbert Vogt<br />
St. Hedwig Krankenhaus<br />
Große Hamburger Str. 5-11<br />
10115 Berlin<br />
Telefon: 030/23110<br />
Dipl. Theol. Frank Waterstraat<br />
Fachberater Seelsorge des Landesfeuerwehrverbandes<br />
Niedersachsen<br />
Referent für Soziale Rehabilitation bei der<br />
Feuerwehrunfallkasse Niedersachsen<br />
Postfach 280<br />
30002 Hannover<br />
Telefon: 0511/9895436 oder 05723/3516<br />
Telefax: 0511/9895433<br />
Dr. med. Johann Wilhelm Weidringer<br />
Geschäftsführender Arzt<br />
Bayerische Landesärztekammer<br />
Mühlbaurstr. 16<br />
81677 München<br />
Telefon: 089/4147-233<br />
Telefax: 089/4147-831<br />
Direktor und Professor Dr. rer. nat. Wolfgang Weiss<br />
Geschäftsführer der Schutzkommission beim<br />
Bundesminister des Innern<br />
c/o Bundesamt für Strahlenschutz<br />
Institut für Strahlenhygiene<br />
Ingolstädter Landstr. 1<br />
85764 Oberschleißheim / Neuherberg<br />
Telefon: 01888/333-2100/2101<br />
Telefax: 01888/333-2105<br />
Professor Dr. med. Thomas Zilker<br />
Leiter der Abteilung für Toxikologie,<br />
II. Medizinische Klinik, Klinikum rechts der Isar<br />
der Technischen Universität München<br />
Ismaninger Str. 22<br />
81675 München<br />
Telefon: 089/4140-2240/41<br />
Telefax: 089/4140-4789<br />
300
Stichwortverzeichnis<br />
301
A<br />
Abdomenverletzungen ............................................................84<br />
Absaugung ..............................................................................48<br />
Abszess ....................................................................186,187,191<br />
Abwasser........................................................................206, 207<br />
Affenpocken ..................................................181, 203, 204, 208<br />
Aids ................................................................................183, 204<br />
Akademie für Kriesenmanagement,Notfallplanung........142, 296<br />
und Zivilschutz<br />
Alarm- und Einsatzpläne ..........................................................87<br />
Alarmhierarchie ......................................................................233<br />
Alarmierung ......................39, 87, 230, 231, 233, 234– 236, 237<br />
Alarmplan ..............................................................229, 235, 239<br />
ALS / advanced life support ....................................................53<br />
Amantadin ......................................................................184, 209<br />
Ampelschema ..........................................................................28<br />
Amphotericin ..........................................................................185<br />
Analgesie..........................................................65, 70, 71, 73, 98<br />
Analgetika ..........................................................70, 71, 239, 246<br />
Anästhesie ..............................................70, 72–77, 94, 133, 135<br />
Angst ........................................................................35, 157, 162<br />
Anordnungen....................................................................40, 327<br />
Anthrax ..................................................................................200<br />
Antidote ..................................................................152, 168, 246<br />
Antidotdepots ................................................................153, 168<br />
Antidottherapie..................................150,151, 153, 155,156,162<br />
ARDS........................................................................94, 175, 274<br />
Arsenwasserstoff............................................................161, 162<br />
Ärztliche Ethik ..............................................13, 14, 24, 210, 223<br />
Asservierung ..................................................149, 150, 152, 159<br />
Asystolie ..............................................55, 60, 99, 102, 176, 275<br />
Atemspende ................................................................48, 49, 50<br />
Atmung..........................................34, 45, 46, 48, 50, 52, 64, 65,<br />
73, 81, 83, 150, 153, 160, 161<br />
Auftrag..............................................................24, 324, 329, 331<br />
Auskunftsstelle ......................................................................231<br />
Azithromycin ..................................................................181, 186<br />
äußere Herzdruckmassage ......................................................51<br />
B<br />
Baxter-Formel ..........................................................................93<br />
Beatmung............................................46– 52, 65, 73–75, 77, 83,<br />
94, 95, 102, 151, 155–157,<br />
160, 166, 195, 199<br />
Beckentrauma ..........................................................................84<br />
303
Begleitverletzungen......................................................93, 97, 98<br />
Behandlung ........................................................8, 9, 15, 18– 23,<br />
26, 27, 33, 45, 56, 79–81, 84,<br />
86, 87, 97, 98, 101, 102, 103, 119,<br />
134, 136, 151, 152, 153, 169, 190,<br />
195, 199, 205, 210, 211, 237, 246,<br />
248, 252, 253, 256, 323, 331, 332<br />
Behandlungsplatz ..................................................................255<br />
Bereitstellungsräume......................................................245, 250<br />
Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte ............17<br />
Beta-Dosisleistung ................................................................131<br />
Betreuung ..........................................40, 41, 128, 142, 238, 241<br />
Beutel-Masken ..................................................................50, 52<br />
Beutel-Masken-Beatmung ................................................50, 52<br />
Bewusstsein ........................................................36, 45, 52, 120<br />
BGB..........................................................................5, 19, 21, 24<br />
BGS ........................................................................................247<br />
Biotop ....................................................................................204<br />
Blutung ..........................................48, 63, 65, 79, 81, 82, 84, 85,<br />
95, 96,175, 177, 199, 274, 277<br />
Botulismus..............................................166, 170, 193, 202, 213<br />
Brandgut ........................................................................146, 147<br />
Brandkatastrophen ..................................................90, 106, 335<br />
Brandprodukte ......................................................................148<br />
Brennelemente ..............................................................124, 125<br />
Brucellose ......................................................181, 202, 208, 209<br />
Bundesanstalt Technisches Hilfswerk....................................219<br />
Bundesgrenzschutz..................................................................43<br />
Bundeswehr ..............................43, 44, 211, 213, 236, 319–321,<br />
323–331, 333–337, 340, 341<br />
C<br />
Campylobacter ......................................................190, 202, 212<br />
Ceftazidim ......................................................................186, 187<br />
Ceftriaxon ......................................................................194, 209<br />
Chemikalienschutzanzüge......................................................150<br />
Chemieunfälle ........................................................144, 149, 179<br />
Chikungunya ..................................................................181, 204<br />
Chloramphenicol ............................183, 189, 194, 200–202, 209<br />
Chloroquin..............................................................174, 186, 209<br />
Cholera ..........................................................190, 202, 208, 209<br />
Chromosomenaberrationsanalyse..................................133–136<br />
Ciprofloxacin ................................................183, 186, 187, 189,<br />
190–192, 194, 200–202, 209<br />
Clarithromycin ........................................................................186<br />
Co-trimoxazol ................................................................189–192<br />
304
Computergestützte Alarmsysteme ........................................232<br />
Critical Stress Incident Management / CISM ....................42, 44<br />
Cyanid ................................................................94, 95, 156, 169<br />
Cyanwasserstoff ............................................................148, 156<br />
D<br />
Debriefing ................................................................................41<br />
Defibrillation..........................................................53, 55, 56, 102<br />
Defusing ..................................................................................41<br />
Dekompensation des Schocks ................................................64<br />
Dekontamination ............................33, 128, 132, 133, 142, 150,<br />
151, 163, 164, 211, 237<br />
Dekontaminationsmaßnahmen ..............................................132<br />
Dengue ..........................................................182, 198, 204, 215<br />
Desinfektion............................................................................211<br />
Deutsche Gesellschaft für <strong>Katastrophenmedizin</strong> e.V. ..............10<br />
Diphtherie ......................................................169, 182, 203, 204,<br />
208, 209, 213<br />
Disziplinarvorgesetzte ..............................................................42<br />
Dokumentation ............................28, 80, 96, 231, 245, 246, 256<br />
Dosimeter ......................................................................121, 135<br />
Dosimetrie ..............................................................133, 134, 135<br />
Dosisleistung ..................................117, 123, 125, 126, 130–132<br />
Dosisrichtwerte ..............................................................118, 123<br />
Doxycyclin ......................181, 183, 185–190, 192, 200–202, 209<br />
Durchfall ........................................160, 161, 165, 175, 180, 189,<br />
190–192, 195, 200, 274<br />
Durchführung ................................21, 24, 46–51, 53–55, 57, 95,<br />
96, 101, 104, 151, 152, 211,<br />
239, 321, 326, 329, 339, 341<br />
E<br />
Ebola ..............................................................197, 203, 204, 215<br />
Einbahnstraßen-Regelung......................................................236<br />
Einsatzfahrzeuge ............................................................135, 151<br />
Einsatzleitung / EL ........................150, 173, 230– 231, 233, 236<br />
239, 240, 246, 249, 339, 340<br />
Einsatznachgespräch ........................................................41, 42<br />
Einsatznachsorge ..................................................37, 39, 42, 43<br />
Elektromechanische Entkoppelung..........................................55<br />
EMD..........................................................................................55<br />
endobronchiale Medikamentenapplikation ..............................54<br />
Enteritis ..................................................191–192, 203, 212, 217<br />
Enzephalitis ..................................................................185, 188,<br />
193–197, 203–205, 208<br />
305
Epidemie................................180, 184, 188, 190, 191, 194, 195,<br />
197, 204–205, 208, 212, 229, 234<br />
Erfrierungen ....................................................................104–106<br />
Ermunterungen ........................................................................41<br />
Erschöpfung ..............................................................34, 35, 234<br />
Erythromycin ..........................................185–187, 190, 200, 209<br />
Escharotomie ....................................................................95–98<br />
Esmarch’scher Handgriff ..........................................................47<br />
Ethik........................................................................13–15, 16, 25<br />
Europäische Union ..................................................................27<br />
Externe Bestrahlung ......................................................117, 130<br />
Externe Katastrophenlage......................................................228<br />
Externe Schadenslage ..................................................227, 234<br />
Extremitätenverletzungen ............................................80, 81, 85<br />
F<br />
Faszienspaltung ................................................................95, 96<br />
Fleckfieber..............................................185, 188, 205, 208, 209<br />
Fluconazol ..............................................................................185<br />
Flöhe ......................................................................204, 205, 214<br />
Flüssigkeitssubstitution....................................................94, 166<br />
Frösteln ....................................................................................91<br />
Frustrationstoleranz..................................................................36<br />
Frühdekontamination ............................................................151<br />
FSME..............................................................193, 203, 205, 208<br />
Führung ..........................................................236, 331, 339, 340<br />
Führungskraft ....................................................................40, 41<br />
Führungspositionen................................................................230<br />
G<br />
Gamma-Dosisleistung............................................................131<br />
Gammabestrahlungseinrichtungen ........................................123<br />
Ganzkörperbestrahlung..................................................119, 120<br />
GCS (Glasgow Coma Scale) ......................................80, 82, 154<br />
Gefahrenbericht........................................................................11<br />
Gefahrensymbole ......................................7, 146, 147, 174, 273<br />
Gefahrenzone ........................................121, 144, 149, 150, 154<br />
Gefahrgut..............................................................7, 33, 144, 146<br />
Gefahrstoffexposition ....................................................149, 150<br />
Gefahrstoffunfälle ..................................................144, 145, 149<br />
Gefahrstoffunfall ....................................................144, 148, 149<br />
Gefäßverletzung ................................................................84, 85<br />
Gelbfieber ..............................................................198, 204, 208<br />
Gentamicin ............................................................186, 201, 202<br />
Giardiasis........................................................................191, 203<br />
306
Giftexposition ................................................................144, 149<br />
Giftinformationszentren ..................................148, 154, 171, 270<br />
Giftnachweis ..........................................................................152<br />
Glasgow-Coma-Scale ................................................80, 82, 154<br />
Grenzen der Reanimation ........................................................56<br />
Großbestrahlungsanlagen ......................................................123<br />
Großschadensereignis ........................11, 12, 17, 25, 26, 27, 32,<br />
45, 46, 50, 52, 55, 57,<br />
79, 89, 127, 146, 231<br />
Großschadensfall ......................................................26, 33, 236<br />
Großschadensfälle..........................................................9, 10, 56<br />
GRTW ............................................................................252, 254<br />
Grundgesetz ......................................................................16, 28<br />
GSF ................................................131, 139, 142, 159, 248, 298<br />
Guedel-Tubus ..............................................................47, 55, 77<br />
H<br />
Hautkampfstoffe ....................................................................164<br />
hämorrhagischer Schock ........................................................63<br />
hämorrhagisches Fieber ........196–198, 202, 203, 206, 209, 215<br />
HDM ........................................................................................51<br />
HEPA-Filter ............................................................................205<br />
Hepatitis ........................170, 181, 183, 188, 203, 204, 208, 215<br />
HFRS ......................................................................198, 203, 204<br />
Hilfsorganisationen..................................17, 122, 230, 236, 318,<br />
321, 323, 329, 338, 339,<br />
Hippokrates........................................................................14, 25<br />
Histoplasmose........................................180, 183, 203, 209, 215<br />
Humanitas ................................................................................14<br />
humanitär ............................................................................7, 10<br />
Hydroxyethylstärke ......................................................56–58, 67<br />
hypertone Lösung ....................................................................58<br />
hypovolämischer Schock ........................................................63<br />
Hypothermie ..................................60, 76, 92, 99, 101, 102, 105<br />
I<br />
Identifikation des Gefahrstoffes ............................145, 148, 149<br />
Impfstoff ........................................170, 181, 182–184, 186, 187,<br />
189–191, 195, 196, 198–201, 208<br />
Impfung ........................................................182–184, 188, 190,<br />
194, 195, 200, 208, 209<br />
Individualmedizin............................................................9, 26, 45<br />
307
Infektion ..................................95, 122, 166, 180, 181, 183, 185,<br />
189, 192, 196–198, 200, 202–204,<br />
206, 211, 212, 216–218, 222, 223<br />
Influenza ........................................184, 203, 204, 208, 209, 217<br />
Infrastruktur ..................................9, 27, 228, 231, 238, 239, 329<br />
Inhalationsanalgetika................................................................60<br />
Inhalationsanästhesie ........................................................75, 76<br />
Inhalationsanästhetika........................................................75–77<br />
inhalative Anästhetika ..............................................................75<br />
inhalatorische Giftaufnahme ..................................................149<br />
Inkorporation ..................117, 121, 128, 130, 132, 133, 135, 140<br />
Inkorporationen von Radionukliden ......................................128<br />
internationale Gemeinschaft ....................................................27<br />
interne Schadenslage ............................................................227<br />
intern ..............................................................................227, 230<br />
Intoxikation ......................95, 156, 168, 169, 181, 192, 193, 196<br />
Intravenöse Narkose ................................................................74<br />
Intravenöse Narkotika ..............................................................74<br />
Intubation ................................52, 54, 60, 65, 75, 77, 82, 83, 86,<br />
89, 94, 95, 97, 98, 122, 133, 151,<br />
156, 158, 161<br />
Intubations- und Beatmungsindikationen ................................94<br />
Intubationsindikationen ............................................................94<br />
Ionisierende Strahlung............................................................117<br />
Itraconazol..............................................................184, 185, 209<br />
J<br />
Jod-Blockade ........................................................................141<br />
Jod-Tabletten ................................................................117, 140<br />
Jodprophylaxe................................................................139, 141<br />
K<br />
Kammerflimmern und -flattern ................................................55<br />
Kampfmittel ....................................................202, 211, 212, 223<br />
Kampfstoff ......................................152, 163–165,181, 182–193,<br />
195–201, 211, 212, 229<br />
Kalium-Jodid ..........................................................................140<br />
Kaltwasserdusche ....................................................................92<br />
Kapazitätserweiterung............................................233, 235, 236<br />
kardiopulmonale Reanimation............................................50, 51<br />
Katastrophe..............8–11, 25–27, 13, 17–19, 22, 24, 31–33, 39,<br />
41, 43, 44, 46, 90, 91, 117, 129, 180, 210,<br />
227, 229, 288, 289, 320, 326, 331, 334, 336<br />
Katastrophenalarmplan ..........................................................229<br />
Katastropheneinsatzleitung....230, 231, 233, 236, 240, 330, 334<br />
308
<strong>Katastrophenmedizin</strong> ............................8–15, 24, 25, 43, 46, 52,<br />
56, 63, 67, 104, 204, 218<br />
Katastrophenschutz ........................16–18, 23, 25, 63, 230, 231,<br />
240, 318, 319, 325, 328, 330, 336<br />
Katastrophenschutzgesetz ..............................................17, 239<br />
Katastrophenschutzplanung ..................................................128<br />
Katastrophensituationen ................11, 12, 43, 48, 56, 57, 60, 73<br />
Kemler-Zahl ............................................................................146<br />
Kernkraftwerke ......................................................................127<br />
Kernkraftwerksunfall ..............................................................127<br />
Kerntemperatur ..................................................92, 99–101, 103<br />
Kernwaffen ....................................................................121, 129<br />
Ketamin ............................................................65, 71, 75, 77, 94<br />
Ketoconazol ..................................................................184, 185<br />
Klinik ..........................14, 88, 98, 101, 119, 121, 128, 132, 133,<br />
136, 138, 139, 167, 169, 172, 173, 212, 213,<br />
218–221, 227–231, 234, 235, 237–239,<br />
240, 253, 258, 259, 271, 272, 296–298, 330<br />
Knochenmarkstransplantation ..............................................133<br />
Kohlenmonoxid ..................................93, 94, 146, 148, 152, 155<br />
Kokzidioidomykose ................................................184, 203, 213<br />
Kolloidsubstitution....................................................................93<br />
kolloidale Volumenersatzmittel ..........................................56, 58<br />
Kombinationstraumen ........................................................63, 79<br />
Kontraindikation für die Jodprophylaxe ................................140<br />
Kontamination ..............................117, 121, 122, 123, 127, 128,<br />
130–132, 134, 135, 152, 153,<br />
158, 165, 180, 211, 229<br />
Körperoberfläche........................................................92, 93, 211<br />
Krankenhaus........................19, 23, 91, 101, 134–136, 138, 153,<br />
202, 221, 227–232, 235, 237–241,<br />
258, 323, 329, 331<br />
Kreislauf............................45, 46, 48, 50, 52, 57, 60, 65, 73, 101<br />
Krim-Kongo-Fieber ........................................199, 204, 205, 209<br />
Kryptokokkose ......................................................185, 203, 215<br />
Kühlung ......................................................................91, 92, 134<br />
L<br />
Lagebeurteilung......................................................................122<br />
Lager ........................................46, 52, 54, 55, 79, 83, 102, 182,<br />
185, 190, 191, 205–207, 238, 239<br />
Lassa ......................................................199, 203, 204, 209, 215<br />
Latrine ............................................................................206, 207<br />
Läuse......................................................182, 185, 202, 204, 205<br />
Lawinenunfälle........................................................................100<br />
Lebensmittelvergiftung ..........................................................166<br />
309
lebensrettende Sofortmaßnahmen ............................45, 55, 331<br />
Legionellose ..........................................................185, 203, 214<br />
Leitender Notarzt..................................................17, 21, 23, 251<br />
Linearbeschleuniger ..............................................................121<br />
LNA ........................................................................................251<br />
Lokalanästhetika ................................................................70–73<br />
LSt ..........................................................................................249<br />
M<br />
Malaria............................................180, 186, 196, 204, 209, 214<br />
Malleus ..........................................................................186, 203<br />
Marburg-Krankheit ................................................200, 204, 215<br />
Massenvergiftungen ................................................95, 270, 273<br />
Massenanfall ..........................14, 15, 19, 21, 22, 23, 25, 26, 31,<br />
79, 85, 96, 98, 99, 133, 144, 149,<br />
151, 152, 163, 169, 235, 239,<br />
245, 323, 334<br />
MBO-Ä ........................................................................17, 21, 22<br />
Melioidose ..............................................................180, 187, 203<br />
MEDITOX........................................................................148, 169<br />
Medizinbericht..........................................................................11<br />
Mefloquin........................................................................186, 209<br />
Meningitis ......................185, 190–194, 203, 204, 208, 209, 214<br />
Meningokokken..............................194, 203, 204, 208, 209, 214<br />
Menschenwürde ................................................................15, 16<br />
Methämoglobinbildende Gifte................................................159<br />
Milzbrand................................................200, 204, 208, 209, 212<br />
Missverhältnis ..........................................................................26<br />
Monitoring ..............................................................73, 75, 85, 86<br />
Multiorganversagen ..................................63, 186, 194, 198–200<br />
Musterberufsordnung für Ärzte ................................................17<br />
Müll ................................................................................206, 207<br />
Mund-zu-Nase-Beatmung ................................................48, 49<br />
Myokarditis ............................................................................184<br />
N<br />
Narbenspaltung..................................................................95, 96<br />
Narkose ........................................................................74, 75, 77<br />
Narkose in Ausnahmesituationen ............................................77<br />
Naturkatastrophen ......................9, 16, 227, 234, 285, 287, 317,<br />
319, 321, 322, 325, 327, 328, 341<br />
Nervenkampfstoffe ........................................................163, 164<br />
Neuner-Regel ..........................................................................92<br />
Neurologischer Status..............................................................80<br />
NFS ....................................................................................39, 40<br />
310
Nipah ......................................................................194, 203, 223<br />
Notarzt................................................................................17, 23<br />
Notfallseelsorge....................................................38, 39, 43, 250<br />
Notfallstation ..........................................................117, 127, 128<br />
Notkompetenz..........................................................................23<br />
O<br />
ÖEL ........................................................................................256<br />
Opiate ................................................................71, 76, 169, 174<br />
Organisation ....................................4, 11, 31, 33, 39, 44, 79, 89,<br />
105, 127, 153, 179, 231, 239,<br />
245, 246, 324, 327, 328, 333, 334<br />
Organische Lösemittel............................................................160<br />
Organophosphate ..................................................................163<br />
Organisatorischer Leiter<br />
Rettungsdienst / OrgL ....................................245, 246, 251, 254<br />
P<br />
Patientenaufkommen ............................................................228<br />
PEA ..........................................................................................55<br />
Penicillin ..........................................104,182, 185, 194, 200, 209<br />
periphere Analgetika ................................................................71<br />
Pest ................................................200, 201, 204, 205, 209, 214<br />
Phosphorwasserstoff ............................................................162<br />
Pilz..................................................................................185, 212<br />
Plutoniumbatterien ................................................................127<br />
P<strong>neu</strong>monie ............................175, 184, 185, 187, 188, 191, 274<br />
Pocken ..................................................................................181<br />
Poison Severity Score ................................................7, 154, 179<br />
Polizei-Einsatzleiter / POL-EL ................................................249<br />
Poliomyelitis ..........................................................195, 203, 208<br />
Polytrauma ........................................................................81, 90<br />
Post Traumatic Stress Disorder / PTSD ............................32, 36<br />
präkordialer Faustschlag..........................................................53<br />
Präventive Maßnahmen..........................................................155<br />
Pressekonferenz ....................................................................231<br />
Psittakose ......................................................187, 203, 204, 213<br />
PSS ....................................................................................7, 154<br />
psychisch-physische Befindlichkeit ........................................37<br />
Psychologie der Katastrophe ............................................33, 43<br />
psychologische Begleitung ................................................39, 43<br />
psychologische Problematik ....................................................32<br />
Psychologische Einsatzbegleitung ..........................................32<br />
pulslose elektrische Aktivität....................................................55<br />
311
Q<br />
Q-Fieber ........................................................187, 203, 208, 209<br />
R<br />
radioaktive Quellen ................................................................129<br />
radioaktive Stoffe ..........................................121, 122, 126, 136<br />
radioaktive Wolke ..................................................................128<br />
RCC................................................................................249, 250<br />
RD ..................................................................................250, 254<br />
Rechtsstellung....................................................................18, 22<br />
Regelkompetenz ......................................................................23<br />
Regionales Strahlenschutzzentrum........................119, 134, 136<br />
Registrierungssysteme ............................................................28<br />
Reizgase ................................................................157, 158, 174<br />
Reizgase vom Latenz-Typ ..............................................157, 158<br />
Reizgase vom Sofort-Typ ..............................................157, 158<br />
Relaxierung ..............................................................................75<br />
Reserven ..........................................................................63, 234<br />
Rettungssanitäter ....................................................22, 122, 330<br />
Rettungsassistent ....................................22, 23, 53, 252, 326, 330<br />
Rettungshubschrauber ..........................................321, 326, 333<br />
Ribavirin..........................................................188, 197, 199, 209<br />
Rifampicin ..............................................181, 186, 188, 194, 209<br />
Rift Valley-Fieber ....................................................188, 203, 208<br />
Ringerlaktat ......................................................................68, 152<br />
Rotavirus ................................................................191, 203, 216<br />
RTH ................................................................................252, 254<br />
RTW................................................................................252, 254<br />
Rückfallfieber..................................................................185, 205<br />
S<br />
Salmonellen....................................................................191, 203<br />
SAR ......................................................249, 252, 320, 321, 324,<br />
325, 329, 330, 333, 334, 341<br />
Sauerstoff ............................................48, 50, 52, 53, 56, 60, 70,<br />
74, 75, 95, 102, 152, 156, 157,<br />
160, 161, 162, 175, 227, 275, 320<br />
Schnelleinsatzgruppen / SEG ..................................23, 252, 254<br />
Schmerzbehandlung ..........................................................70, 94<br />
Schock ..........................................54–56, 63, 73, 74, 81, 84, 93,<br />
94, 102, 176, 188, 274, 332<br />
Schocklagerung ......................................................................65<br />
Schuss- und Splitterverletzungen ......................................86, 87<br />
Schutzausrüstung ..................................................................152<br />
Schutzkleidung ..............194, 197, 199–201, 205, 211, 248, 255<br />
312
Schutzkommission ........................................8, 11, 12, 179, 300<br />
Schwefelwasserstoff ..............................................................160<br />
seelsorgerlich-psychologische Begleitung ..............................39<br />
Seuche ..........................................................180, 188, 207, 210<br />
Shigellose ......................................................................191, 203<br />
Sichtung ......................................15, 21, 33, 79, 80, 96–98, 106,<br />
127, 154, 205, 210, 234, 237, 241<br />
Sichtungs-Arzt..........................................................................80<br />
Sichtungsgruppen ....................................................................27<br />
Sichtungskategorien ........................................................27, 153<br />
Sichtungsverfahren ............................................................15, 28<br />
SIV ..........................................................................................253<br />
stabile Seitenlage ..............................................................46, 65<br />
Staphylokokken......................................................166, 192, 203<br />
Stechmücken ................................182, 186, 194, 201, 202, 204<br />
StGB ............................................................................16, 19, 20<br />
Strafgesetzbuch ......................................................................16<br />
Strahlendosis..................................................................124, 131<br />
Strahlenexposition..........................................123, 128, 130, 132<br />
Strahlenkatastrophe ..............................................................117<br />
Strahlenmessung....................................................................123<br />
Strahlennachweisgeräte ........................................................118<br />
Strahlenquelle ........................................117, 121, 122, 124, 129<br />
Strahlenschutzbeauftragter....................................................122<br />
Strahlenschutzbevollmächtigter ............................................122<br />
Strahlenschutzkommission ............120, 123, 127, 133, 141, 143<br />
Strahlenschutzverantwortlicher..............................................122<br />
Strahlenunfälle................117, 121, 135, 137, 139, 143, 257, 259<br />
Strahlenunfall..................................117, 118, 121, 127, 133, 143<br />
Strahlenunfallopfer ................................................................119<br />
Streptomycin ..................................................181, 201, 202, 209<br />
Stressoren ................................................................................33<br />
Supervision ..............................................................................39<br />
T<br />
TEL ........................................................................................256<br />
Tetracyclin ..............183, 185, 187, 188, 189, 190, 192, 201, 209<br />
Therapiemöglichkeiten ............................................................45<br />
Thermische und kombinierte Verletzungen ............................100<br />
Thoraxtrauma ..........................................................................83<br />
Thoraxverletzungen............................................................83, 86<br />
THW................................................................206, 219, 254, 329<br />
Tobramycin ............................................................................202<br />
Total Intravenöse Anästhesie..............................................74, 77<br />
Toxin ......................................165, 166, 181, 189, 191, 192, 193<br />
313
toxische Gefahrenzone ..................................................144, 151<br />
Toxikologische Notfallausrüstung ..................................153, 173<br />
Tracheotomie............................................................................94<br />
Transport..................83, 85, 89, 92, 98, 101–104, 124, 125, 126,<br />
134, 135, 147, 151, 153, 167–170, 206,<br />
211, 234, 246, 248, 253, 254, 319, 320,<br />
323, 328, 329, 332, 335, 336<br />
Transportmittel ..............22, 88, 89, 92, 145, 153, 211, 247, 250<br />
Tranportunfälle........................................................144, 158, 159<br />
Trinkwasser ............................................150, 183, 189–192, 202<br />
Trommelfellperforation..............................................................91<br />
Trost..........................................................................................40<br />
Tubus..........................................................47, 54, 55, 77, 83, 94<br />
TUIS........................................................................148, 170, 246<br />
Tularämie ................................................201, 203, 205, 209, 213<br />
Typhus ............................................189, 190, 203, 204, 208, 209<br />
U<br />
umluftunabhängiges Atemschutzgerät ..................................130<br />
UN-Nummer ..........................................................................146<br />
Unterkühlung......................................................91, 92, 100, 101<br />
Überforderung ................................................................9, 34, 35<br />
Übungen ....................................17, 38, 239, 240, 320, 321, 340<br />
V<br />
Verätzungen............150, 151, 159, 175, 177, 178, 274, 277, 278<br />
Verbrennung ........................................67, 81, 89–93, 95, 94, 96,<br />
97, 98, 102, 156, 253, 335<br />
Verbrühungen ..........................................................................90<br />
Vergiftungen ..................................152–157, 161, 167, 170–172,<br />
179, 192, 271, 272<br />
Verletztenanhängekarte......................................................28, 80<br />
Verlust der Kontrolle ................................................................35<br />
Verpflichtung des Arztes ....................................................14, 25<br />
Verschüttungstraumen ............................................................86<br />
Versorgung ....................8, 10, 11, 14, 18, 26, 45, 53, 63, 77, 79,<br />
80, 81, 87, 91, 93, 96, 97, 98, 103, 104,<br />
106, 118, 127, 128, 135, 136, 139, 153,<br />
154, 206, 211, 227, 234, 237, 259, 245,<br />
246, 247, 248, 250, 251,<br />
253, 254, 331, 337<br />
Verteidigungsfall ..................................................11, 12, 28, 336<br />
Vertraulichkeit ..........................................................................42<br />
vitale Funktionsstörungen ........................................................45<br />
Volumenersatz ..............................................................45, 65–68<br />
314
Volumenmangel......................................................52, 54, 68, 73<br />
Volumenmangelschock ..........................................54, 63, 65, 84<br />
W<br />
Wendl-Tubus ............................................................................47<br />
WF ..................................................................................249, 251<br />
Y<br />
Yersinien ........................................................................192, 203<br />
Z<br />
Zecken....................................................188, 193, 202, 204, 205<br />
Zielklinik........................................................................79, 88, 89<br />
315
316
Varia<br />
317
318<br />
Inspekteur des Sanitätsdienstes<br />
der Bundeswehr<br />
Handbuch<br />
für sanitätsdienstliche Hilfeleistungen<br />
der Bundeswehr<br />
bei Naturkatastrophen, besonders schweren<br />
Unglücksfällen und im Rahmen der dringenden Nothilfe<br />
Sanitätsdienst<br />
der Bundeswehr<br />
Hot-Line außerhalb<br />
regulärer Dienstzeiten:<br />
Führungszentrum der<br />
Bundeswehr<br />
+49-2 28-12-49 11 oder -55 00<br />
Auszugsweiser Abdruck<br />
mit freundlicher Genehmigung<br />
des Bundesministeriums der<br />
Verteidigung<br />
– InSan II.1 –<br />
Postfach 1328<br />
D-53003 Bonn<br />
Telefon +49-2 28-12 00,<br />
Telefax +49-2 28-12-53 57
Bundesministerium<br />
der Verteidigung<br />
Inspekteur des<br />
Sanitätsdienstes der<br />
Bundeswehr<br />
In San II 1 – Az 13–29<br />
Großschadensereignisse wie zuletzt das Zugunglück in<br />
Eschede oder die Oderflut machen deutlich, dass wir weiterhin<br />
auf die Bewältigung solcher Katastrophen vorbereitet sein müssen.<br />
Alle mit Katastrophenschutz beauftragten Dienststellen<br />
und Einrichtungen sind dabei auf gegenseitige Unterstützung<br />
angewiesen.<br />
Dieses Handbuch soll Hilfestellung bei der zivil-militärischen<br />
Zusammenarbeit geben. Es ist kein Ersatz für Dienstvorschriften,<br />
zeigt aber den militärischen Kommandobehörden und dem<br />
fachdienstlich nachgeordneten Bereich sowie den zivilen Behörden<br />
und Hilfsorganisationen Wege auf, die einen koordinierten<br />
und effektiven Einsatz der verfügbaren Kräfte und Mittel des<br />
Sanitätsdienstes der Bundeswehr ermöglichen.<br />
Die strukturellen und organisatorischen Änderungen im Sanitätsdienst<br />
der Bundeswehr in den zurückliegenden Jahren und<br />
redaktionelle Gründe erforderten eine Aktualisierung des Textes<br />
und der Anlagen aus dem Jahr 1995.<br />
Ich würde mich freuen, wenn insbesondere der zivile Bereich<br />
dieses Handbuch weiterhin kritisch begleitet und Verbesserungsvorschläge<br />
einbringt.<br />
Dr. Karl W. Demmer<br />
Generaloberstabsarzt<br />
Bonn, 23. Juni 1999<br />
Telefon (0228) 12-62 85/63 75<br />
Telefax (0228) 12-91 77<br />
319
Inhaltsverzeichnis zum Handbuch für<br />
Sanitätsdienstliche Hilfeleistungen der<br />
Bundeswehr<br />
1. Vorbemerkungen ..............................................................1<br />
2. Begriffsbestimmungen ....................................................3<br />
2.1 Naturkatastrophen ..................................................3<br />
2.2 Besonders schwere Unglücksfälle ..........................3<br />
2.3 Dringende Nothilfe ..................................................4<br />
2.4 Primäreinsatz............................................................4<br />
2.5 Sekundäreinsatz ......................................................4<br />
2.6 Such- und Rettungseinsatz......................................4<br />
2.7 Such- und Rettungsmittel ........................................5<br />
3. Rechtliche Grundlagen / Zuständigkeiten......................6<br />
3.1 Einsatz von Truppenteilen oder Dienststellen ..........6<br />
3.2 Tatsächliche Hilfeleistung ........................................6<br />
3.3 Teilnahme am Rettungsdienst..................................6<br />
3.4 Hilfeersuchen der Katastrophenschutzbehörden ....7<br />
3.5 Zuständigkeiten beim Einsatz der Bundeswehr ......7<br />
3.6 Art und Umfang des Einsatzes ................................8<br />
3.7 Unterstellungen / Zuordnungen ..............................8<br />
3.8 Zuständigkeit für den Katastrophenschutz ..............8<br />
3.9 Regelungen für Hilfeleistungen der Bundeswehr<br />
im Ausland und auf hoher See ................................9<br />
4. Einsatz des Sanitätsdienstes ..........................................9<br />
4.1 Allgemeine Grundsätze ............................................9<br />
4.1.1 Unterstützungsmöglichkeiten im Rahmen<br />
der dringenden Nothilfe..........................................10<br />
4.1.2 Hilfeersuchen ........................................................10<br />
4.2 Umfang der Kräfte und Mittel ................................11<br />
4.2.1 Einsatz Sanitätsoffiziere Arzt..................................11<br />
4.2.2 Einsatz von Sanitätseinheiten und -teileinheiten....12<br />
4.3 Transport der Kräfte und Mittel ..............................13<br />
4.3.1 Ärztliche Einsatzgruppen ......................................13<br />
4.3.2 Sanitätsteileinheiten ohne Großgerät ....................13<br />
4.3.3 Sanitätseinheiten, -teileinheiten mit Großgerät ......13<br />
5. Krankentransport / Materialtransport ..........................13<br />
5.1 Kranken- und Verletztentransport ..........................13<br />
5.2 Ersttransport ..........................................................14<br />
5.3 Entlastender Folgetransport ..................................15<br />
5.4 Transport Schwerbrandverletzter ..........................16<br />
6. Sanitätsmaterial ..............................................................16<br />
6.1 Materielle Ausstattung ..........................................16<br />
320
6.2 Erste-Hilfeausstattung, Brandwundenbehandlung<br />
für 2 Brandverletzte (Burn-Set) ..............................17<br />
6.3 Notfallbehandlungseinheit, Sanitätsmaterial<br />
für Brandverwundete..............................................17<br />
6.4 Notfallbehandlungseinheit, Sanitätsmaterial<br />
für Katastropheneinsatz ........................................17<br />
6.5 Abruf, Bereitstellung und Transport<br />
der Notfallbehandlungseinheiten ..........................17<br />
6.6 Regelung der Sanitätsmaterialversorgung ............18<br />
6.7 Verfahren bei Ausfuhr von Material ins Ausland ....18<br />
7. Führungsorganisation<br />
sanitätsdienstlicher Einsätze ........................................18<br />
7.1 Grundsätze ............................................................18<br />
7.2 Erkundungskommando (San) ................................19<br />
7.3 Leitender Sanitätsoffizier im Einsatzgebiet ............19<br />
8. Melde- und Berichtswesen ............................................19<br />
8.1 Sanitätsdienstliche Meldungen ..............................20<br />
8.2 Sanitätsdienstlicher Erfahrungsbericht ..................20<br />
9. Durchführung von Übungen<br />
und Großveranstaltungen ..............................................20<br />
Anhang<br />
Anlage 1 Telefon/Fax-Verzeichnis der wichtigsten Ansprechstellen<br />
für sanitätsdienstliche Hilfe bei Katastrophen/<br />
schweren Unglücksfällen<br />
Anlage 2 Standorte San-Truppenteile und Dienststellen<br />
Anlage 3 Ständige SAR – Einrichtungen der Bundeswehr<br />
Anlage 4 Standorte der SAR – und Rettungshubschrauber<br />
Anlage 5 Ärztliche Einsatzgruppen<br />
Anlage 6 Liste der am Vermittlungsverfahren der „Zentralen<br />
Anlaufstelle (ZA) Schwerbrandverletzte“ beteiligten<br />
Krankenhäuser<br />
Anlage 7 Notfalldepots für Sera und Plasmaderivate<br />
Anlage 8 Blutspendedienste und Blutspendezentralen<br />
Anlage 9 Standorte von Sauerstoff – Druckkammern<br />
Anlage 10 Informationszentren für Vergiftungsfälle in der Bundesrepublik<br />
Deutschland<br />
Anlage 11 Sanitätslagemeldung<br />
Anlage 12 Sanitätssofortmeldung<br />
Anlage 13 Sanitätsmeldung<br />
Anlage 14 Erfahrungsbericht<br />
Änderungsnachweis<br />
Verteiler<br />
321
1. Vorbemerkungen<br />
Es werden die Kräfte, Mittel und Möglichkeiten des Sanitätsdienstes<br />
der Bundeswehr dargestellt, die bei Naturkatastrophen,<br />
besonders schweren Unglücksfällen und im Rahmen der<br />
dringenden Nothilfe unter Berücksichtigung rechtlicher Vorgaben<br />
im In- und Ausland zum Einsatz kommen können.<br />
Durch dieses Handbuch sollen Kommandobehörden, Dienststellen,<br />
zivile Hilfs- und Rettungsorganisationen sowie Katastrophenschutzbehörden<br />
in die Lage versetzt werden, im Bedarfsfall<br />
die notwendige sanitätsdienstliche Unterstützung und Hilfe<br />
schnell und unbürokratisch planen, anfordern und gewähren zu<br />
können.<br />
Rechtsgrundlage für sanitätsdienstliche Hilfeleistungen der<br />
Bundeswehr bei Naturkatastrophen, besonders schweren Unglücksfällen<br />
und im Rahmen dringender Nothilfe sind Art. 35 GG<br />
und Art. 98 Seerechtsübereinkommen (SRÜ). Bei Hilfeleistungen<br />
dieser Art sind nachfolgende Erlasse in der jeweils gültigen<br />
Fassung zu beachten:<br />
– VMBl 1981 S. 297 Grundsatzweisung für den militärischen<br />
Such- und Rettungsdienst der Bundeswehr<br />
(SAR-Search and Rescue)<br />
– VMBl 1988 S. 270 Einsatz von Rettungsmitteln der Bundeswehr<br />
im Rahmen des zivilen Rettungswesens<br />
(Neufassung)<br />
– VMBl 1988 S. 279 Hilfeleistungen der Bundeswehr bei Naturkatastrophen<br />
oder besonders schweren<br />
Unglücksfällen und im Rahmen der dringenden<br />
Nothilfe (Neufassung)<br />
– VMBl 1988 S. 285 Kostenerstattung bei Hilfeleistungen der<br />
Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe<br />
– VMBl 1999 S. 86 Erstattungskostensätze zu den Einzelerlassen<br />
über Hilfeleistungen der Bundeswehr<br />
im Frieden<br />
Um die Zusammenarbeit zwischen militärischen und zivilen Dienststellen<br />
zu erleichtern und im Vorfeld größerer Übungen und Veranstaltungen<br />
Planungen und Absprachen zu verbessern, werden die<br />
wesentlichen Ansprechstellen des zivilen Rettungswesens und der<br />
Hilfsorganisationen aufgeführt.<br />
Die Rufnummern für die Rettungsleitstellen, der Zentrale des<br />
Notfalldienstes der niedergelassenen Ärzte und für die zuständige<br />
Katastrophenschutzbehörde sind auf örtlicher Ebene nachzufragen<br />
und zu dokumentieren.<br />
322
– Rettungsleitstelle ...........................................................<br />
– Feuerwehr ...........................................................<br />
– Katastrophenschutzleitung<br />
...........................................................<br />
– Deutsches Rotes Kreuz ...........................................................<br />
– Malteser-Hilfsdienst ...........................................................<br />
– Johanniter-Unfall-Hilfe ...........................................................<br />
– Arbeiter-Samariter-Bund...........................................................<br />
– Deutsche-Lebensrettungs-Gesellschaft<br />
...........................................................<br />
– Deutsche Gesellschaft zur<br />
Rettung Schiffbrüchiger ...........................................................<br />
– Technisches Hilfswerk ...........................................................<br />
Wichtige, telefonisch erreichbare Ansprechstellen für sanitätsdienstliche<br />
Hilfe enthält die Anlage 1.<br />
Dieses Handbuch erscheint in Loseblattform, damit es laufend ergänzt<br />
oder geändert werden kann. Änderungsbeiträge sind zu richten an:<br />
Bundesministerium der Verteidigung<br />
In San II 1, Postfach 1328, 53003 Bonn<br />
2. Begriffsbestimmungen<br />
2.1 Naturkatastrophen<br />
Naturkatastrophen sind unmittelbar drohende Gefahrenzustände<br />
oder Schädigungen von erheblichem Ausmaß, die durch<br />
Naturereignisse wie insbesondere<br />
–Dürre<br />
– Waldbrände<br />
– Erdbeben<br />
– Unwetter<br />
– Hochwasser, Überschwemmungen<br />
– Sturmflut<br />
– extremer Schneefall<br />
– Eisgang<br />
ausgelöst werden.<br />
323
2.2 Besonders schwere Unglücksfälle<br />
Besonders schwere Unglücksfälle sind Schadensereignisse von<br />
großem Ausmaß und von Bedeutung für die Öffentlichkeit, die<br />
durch Unfälle, technisches oder menschliches Versagen ausgelöst<br />
oder von Dritten absichtlich herbeigeführt werden. Hierunter<br />
fallen z.B.:<br />
– Explosionen<br />
– Massenerkrankungen und Tierseuchen<br />
– Massenanfall von Verletzten<br />
– besonders schwere Verkehrsunfälle<br />
– schwere Flugzeug-, Eisenbahn- oder Schiffsunglücke<br />
– Stromausfall mit Auswirkungen für lebenswichtige Einrichtungen<br />
– Großbrände<br />
– Unfälle in Chemie- und anderen Industrieanlagen, bei denen<br />
in großem Umfang giftige Stoffe in die Umwelt gelangen<br />
– Unfälle in Kernenergieanlagen<br />
– andere Unfälle mit Strahlenrisiko.<br />
2.3 Dringende Nothilfe<br />
Dringende Nothilfe ist die Hilfeleistung von Bundeswehrangehörigen,<br />
ggf. unter Verwendung von Kraftfahrzeugen, Luftfahrzeugen,<br />
Wasserfahrzeugen und Geräten, z .B. bei Rettung von<br />
Menschenleben oder zur Vermeidung schwerer gesundheitlicher<br />
Schäden oder bei drohendem Verlust von für die Allgemeinheit<br />
wertvollem Material, bei denen geeignete zivile Hilfskräfte<br />
und geeignetes Material der zuständigen Behörden und /<br />
oder der Hilfsorganisationen nicht, nicht ausreichend oder nicht<br />
rechtzeitig zur Verfügung stehen.<br />
2.4 Primäreinsatz<br />
Primäreinsatz ist die schnelle Heranführung des Notarztes /<br />
medizinischen Fachpersonals zu dem Ort eines Notfalles<br />
zwecks Behandlung von Patienten, bei denen Lebensgefahr<br />
oder die Gefahr schwerer gesundheitlicher Schäden gegeben<br />
sein könnten und/oder der medizinisch erforderliche Transport<br />
zur ersten notwendigen Behandlung in ein Krankenhaus.<br />
2.5 Sekundäreinsatz<br />
Sekundäreinsatz ist der Transport von Patienten aufgrund medizinischer<br />
Indikation von einem Krankenhaus in ein anderes<br />
Krankenhaus zur Weiterbehandlung.<br />
2.6 Such- und Rettungseinsatz<br />
Einsatz von Such- und Rettungsmitteln (SAR – Search and<br />
Rescue), um<br />
324
– überfällige, abgestürzte oder vermisste Luftfahrzeuge zu<br />
suchen<br />
– die Insassen zu retten.<br />
Daneben kann der SAR – Dienst auch im Rahmen der dringenden<br />
Nothilfe, bei Naturkatastrophen, schweren Unglücksfällen und in<br />
Notlagen im militärischen und zivilen Bereich eingesetzt werden.<br />
Die verzuglose Hilfe durch den SAR – Dienst ist durch die ständige<br />
Bereitschaft der SAR – Mittel gewährleistet. Die dem Lufttransportkommando<br />
unterstellte SAR – Leitstelle MÜNSTER ist zuständig<br />
für den Festlandbereich der Bundesrepublik Deutschland mit<br />
Ausnahme der Bundesländer Schleswig – Holstein und Hamburg.<br />
Die dem Flottenkommando unterstellte SAR – Leitstelle<br />
GLÜCKSBURG ist zuständig für die der Bundesrepublik<br />
Deutschland gemäß ICAO – Regionalplan (ICAO = International<br />
Civil Aviation Organization = Internationale Zivilluftfahrtorganisation)<br />
zugewiesenen Seegebiete sowie die Bundesländer<br />
Schleswig-Holstein und Hamburg (siehe Anlage 3).<br />
Durch Verwaltungsvereinbarungen zwischen den Bundesministerien<br />
für Verkehr und der Verteidigung ist festgelegt, dass der<br />
SAR – Dienst der Bundeswehr zugleich Teil des nationalen<br />
Such- und Rettungsdienstes für Luftfahrzeuge ist bzw. den<br />
Rettungsdienst in den Seegebieten vor der deutschen Nordund<br />
Ostseeküste unterstützt.<br />
2.7 Such- und Rettungsmittel<br />
SAR – Mittel sind besonders für ihren Auftrag ausgerüstete und<br />
mit entsprechend ausgebildetem Personal besetzte<br />
– Hubschrauber und Flugzeuge der Luftwaffe und Marine<br />
– Seenotrettungskreuzer der Deutschen Gesellschaft zur Rettung<br />
Schiffbrüchiger ( DGzRS).<br />
Sie sind raumdeckend über die Bundesrepublik Deutschland<br />
verteilt.<br />
Es werden SAR – Mittel 1. und 2. Grades unterschieden. SAR –<br />
Mittel 1. Grades der Bundeswehr sind die SAR – Leitstellen und<br />
die für den SAR – Dienst bereitgestellten Kräfte des / der<br />
– Marinefliegergeschwaders 3 in NORDHOLZ (Breguet Atlantic<br />
BR 1150)<br />
– Marinefliegergeschwaders 5 in KIEL-HOLTENAU (Sea King<br />
MK 41)<br />
– Lufttransportgeschwaders (LTG) 61 in PENZING (Bell UH – 1D)<br />
– Lufttransportgruppe des LTG 62 in HOLZDORF (Bell UH – 1D)<br />
– Lufttransportgeschwaders 63 in HOHN (Bell UH – 1D)<br />
– Flugbereitschaft Bundesministerium der Verteidigung in<br />
NÖRVENICH (Bell UH – 1D)<br />
325
SAR – Mittel 2. Grades sind alle anderen Kräfte der Bundeswehr<br />
und der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten verbündeten<br />
Streitkräfte oder aus dem zivilen Bereich, soweit sie<br />
für SAR – Aufgaben herangezogen werden.<br />
SAR – Mittel 2. Grades sind auch die drei Großraumrettungshubschrauber<br />
(GRH) CH 53 G, die in den Standorten RHEINE<br />
(HFlgRgt 15), LAUPHEIM<br />
(HFlgRgt 25) und MENDIG (HFlgRgt 35) bereitgehalten werden.<br />
– primär für das Heranführen von medizinischem Fachpersonal<br />
und Sanitätsmaterial und<br />
– sekundär für die Verlegung von vorversorgten Verletzten in<br />
geeignete Schwerpunktkrankenhäuser und Spezialkliniken<br />
dienen.<br />
Ein Start ist während der Dienstzeit nach 30 Minuten, zu den<br />
übrigen Zeiten nach 60 Minuten möglich. Beide GRH werden<br />
ausschließlich durch die SAR – Leitstelle MÜNSTER eingesetzt.<br />
3. Rechtliche Grundlagen / Zuständigkeiten<br />
3.1 Einsatz von Truppenteilen oder Dienststellen<br />
Der Einsatz von Truppenteilen oder Dienststellen der Bundeswehr<br />
bei Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen<br />
ist grundsätzlich nur zulässig, wenn<br />
a) in Fällen regionaler Gefährdung das betroffene Land oder<br />
die nach jeweiligem Landesrecht mit der Wahrnehmung<br />
der Aufgaben des Katastrophenschutzes beaufragte Behörde<br />
die Hilfe der Bundeswehr anfordert (Art. 35 Abs.2,<br />
Satz 2 GG)<br />
b) in Fällen überregionaler Gefährdung die Bundesregierung<br />
diesen Einsatz beschließt (Art. 35 Abs. 3 GG) und der<br />
Bundesminister der Verteidigung eine entsprechende Weisung<br />
erteilt. Dabei stehen der Bundeswehr hoheitliche Befugnisse<br />
auch polizeilicher Art zu, soweit sie zur Durchführung<br />
der Hilfeleistungen erforderlich sind.<br />
3.2 Tatsächliche Hilfeleistung<br />
a) Bei Hilfeleistungen, die nicht unter den Einsatz gemäß Nr.<br />
3.1 fallen, sind im Rahmen der dringenden Nothilfe auf Ersuchen<br />
von Behörden (Art. 35 Abs. 1 GG), privaten Organisationen<br />
oder Einzelpersonen nur tatsächliche und technische<br />
Hilfeleistungen der Bundeswehr möglich.<br />
Die Hilfeleistung erstreckt sich auf den Einsatz von Bundeswehrangehörigen<br />
und gegebenenfalls von Fahrzeugen<br />
und Geräten.<br />
326
) Bei Hilfeleistungen der Bundeswehr im Rahmen der dringenden<br />
Nothilfe im Ausland sind nur tatsächliche Hilfeleistungen<br />
möglich<br />
3.3 Teilnahme am Rettungsdienst<br />
Die Bundeswehr nimmt auf vertraglich geregelter Basis an der<br />
Sicherstellung des zivilen Luftrettungsdienstes und des zivilen<br />
straßengebundenen Rettungsdienstes teil. Dazu stellt sie Notarztwagen<br />
und an zivilen und militärischen (Bundeswehrkrankenhäuser)<br />
Luftrettungszentren Rettungshubschrauber bereit. An den<br />
zivilen Luftrettungszentren stellt die Bundeswehr neben dem<br />
Hubschrauber nur die fliegerische Besatzung, an militärischen<br />
Zentren auch die medizinische (Notarzt u. Rettungsassistent). Der<br />
Einsatz innerhalb des zugewiesenen Einsatzraumes erfolgt grundsätzlich<br />
über die regional zuständige Rettungsleitstelle.<br />
3.4 Hilfeersuchen der Katastrophenschutzbehörden<br />
Hilfeersuchen sind von den Katastrophenschutzbehörden grundsätzlich<br />
an die zuständige territoriale Wehrorganisation zu richten:<br />
– Land (Innenminister/Innensenator) – Wehrbereichskommando/Division<br />
(WBK/Div)<br />
– Regierungsbezirk/Regierungs- Verteidigungsbezirkspräsidium<br />
(Regierungspräsident) kommando (VBK)<br />
– Landkreis (Landrat/Oberkreisdirektor) – Verbindungskommando<br />
Land- kreisfreie Stadt (Oberbürgermeister/kreis/kreisfreie<br />
Stadt Oberstadtdirektor) Beauftragter der Streitkräfte für<br />
regionale Aufgaben<br />
Die Hilfeersuchen sind von den militärischen Dienststellen dem<br />
Bundesministerium der Verteidigung zur Entscheidung vorzulegen,<br />
wenn die geforderte Hilfeleistung mit besonderer Gefahr<br />
verbunden oder politisch sensitiv ist.<br />
Handelt es sich bei der beantragten Unterstützung um Amtshilfe<br />
(kein Katastrophen-, großer Unglücksfall oder dringende Nothilfe),<br />
ist im Bundesministerium der Verteidigung das Referat R I<br />
2 zuständig.<br />
3.5 Zuständigkeiten beim Einsatz der Bundeswehr<br />
Bei großflächigen Gefährdungslagen ( z.B. in Fällen überregionaler<br />
Gefährdung im Bundesgebiet ) entscheidet grundsätzlich<br />
die Bundesregierung über Art und Umfang der Katastrophenhilfe/Hilfeleistungen<br />
durch Truppenteile und sonstige militärische<br />
Dienststellen der Bundeswehr auf Antrag<br />
– eines oder mehrerer Länder oder des Bundesministeriums<br />
des Inneren<br />
– eines anderen Staates über das Auswärtige Amt (bei Kata-<br />
327
strophen oder Unglücksfällen im Ausland)<br />
– einer internationalen Organisation über das Auswärtige Amt.<br />
In Fällen geringeren Ausmaßes (z. B. bei regionalen Gefährdungslagen<br />
im Bundesgebiet) entscheidet der Bundesminister<br />
der Verteidigung.<br />
Der Koordinierungsstab für Einsatzaufgaben (KSEA) und das<br />
Führungszentrum der Bundeswehr (FüZBw) unterstützen hierbei<br />
die Leitung, soweit entsprechend dem Ausmaß im Einzelfall die<br />
Notwendigkeit ministerieller Steuerung besteht.<br />
In allen übrigen Fällen entscheiden die regional oder örtlich zuständigen<br />
territorialen Befehlshaber/Kommandeure (WBK/Div,<br />
VBK/Brig) über Art und Umfang der Hilfeleistungen. Die vorgesetzten<br />
militärischen Dienststellen sind zu informieren.<br />
3.6 Art und Umfang des Einsatzes<br />
Ist bei Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen<br />
sowie im Rahmen der dringenden Nothilfe sofortige Hilfe<br />
geboten und liegt eine Anforderung der Bundeswehr durch die<br />
zuständigen Katastrophenschutzbehörden nicht vor, hat jeder<br />
Kommandeur, Dienststellenleiter und Einheitsführer selbständig<br />
die für die sofortige Hilfe erforderlichen Maßnahmen zu treffen.<br />
In diesem Falle ist die zuständige Behörde unverzüglich über die<br />
Hilfeleistung der Bundeswehr zu unterrichten. Die verantwortliche<br />
Gesamtleitung des Einsatzes geht auf den Katastropheneinsatzleiter<br />
der zuständigen Behörde der inneren Verwaltung<br />
über, sobald dieser zur Stelle ist oder Anordnungen trifft.<br />
Infolge der begrenzten Verfügbarkeit sind die Luftrettungsmittel<br />
möglichst wirtschaftlich einzusetzen. Es ist immer abzuwägen, ob<br />
im Einzelfall nicht andere geeignete Mittel (z.B. Rettungswagen)<br />
verfügbar gemacht werden können. Bei der Rettung von Menschenleben<br />
sind wirtschaftliche Überlegungen zurückzustellen.<br />
3.7 Unterstellungen / Zuordnungen<br />
Die zur Hilfeleistung eingesetzten Angehörigen der Streitkräfte<br />
bleiben ihren Kommandeuren, Dienststellenleitern und<br />
Einheitsführern unterstellt. Werden mehrere Truppenteile und<br />
Dienststellen oder Angehörige verschiedener Truppenteile<br />
und Dienststellen der Bundeswehr eingesetzt, übernimmt der<br />
dienstgradhöchste und bei gleichem Dienstgrad der dienstälteste<br />
Soldat die Befehlsbefugnis, bis durch den regional<br />
zuständigen territorialen Befehlshaber/Kommandeur oder<br />
den nächsten gemeinsamen Vorgesetzten ein Offizier mit der<br />
Leitung der militärischen Hilfsmaßnahmen beauftragt wird.<br />
Der den Einsatz der Truppenteile und Dienststellen leitende Offizier<br />
erhält seine Weisungen für den Einsatz von dem für den Gesamt-<br />
328
einsatz aller beteiligten Helfer verantwortlichen Katastropheneinsatzleiter<br />
der zuständigen Katastrophenschutzbehörde der Länder.<br />
3.8 Zuständigkeit für den Katastrophenschutz<br />
Durch den Einsatz der Bundeswehr bei Naturkatastrophen und<br />
besonders schweren Unglücksfällen sowie bei Hilfeleistungen<br />
im Rahmen der dringenden Nothilfe wird die Zuständigkeit der<br />
Länder oder der von der Landesregierung mit der Wahrnehmung<br />
der Aufgabe des Katastrophenschutzes beauftragten<br />
Behörde nicht berührt.<br />
Die Bundeswehr leistet nur so lange Hilfe, bis zivile Einrichtungen<br />
und Organisationen wie z.B. Polizei, Feuerwehr, Technisches<br />
Hilfswerk, Arbeiter-Samariter-Bund, Deutsches Rotes Kreuz, Johanniter-Unfall-Hilfe<br />
und Malteser-Hilfsdienst zur Durchführung<br />
einer ausreichenden Hilfe am Katastrophenort einsatzbereit sind<br />
und die Ablösung erfolgen kann.<br />
3.9 Regelungen für Hilfeleistungen der Bundeswehr im<br />
Ausland und auf hoher See<br />
Hilfeersuchen ausländischer Stellen erfolgen im Allgemeinen<br />
über die Botschaften der Bundesrepublik Deutschland. Bei<br />
Eingang eines Hilfeersuchens prüft das Auswärtige Amt (AA) als<br />
zuständiges Ressort Möglichkeiten der Hilfeleistung durch die<br />
Bundesrepublik Deutschland. Es beteiligt alle Bundesressorts,<br />
die Kräfte und Mittel zur Verfügung stellen können.<br />
Hierzu gehören u.a.:<br />
– Bundesministerium des Inneren (THW, Bergung)<br />
– Bundesministerium für Verkehr (Transport)<br />
– Bundesministerium für Finanzen (Finanzierung)<br />
– Bundesministerium für Wirtschaft (Wirtschaftshilfe)<br />
– Bundesministerium der Verteidigung (sonstige<br />
Hilfeleistungen)<br />
Das Auswärtige Amt führt daraufhin die Entscheidung der Bundesregierung<br />
herbei.<br />
Im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) erfolgt eine<br />
interne Entscheidungsfindung nach Anfrage des Auswärtigen<br />
Amtes.<br />
Grundsätzlich nimmt die Bundeswehr in einem solchen Einsatz<br />
im Ausland keine hoheitlichen Aufgaben wahr.<br />
4. Einsatz des Sanitätsdienstes<br />
4.1 Allgemeine Grundsätze<br />
Der Sanitätsdienst der Bundeswehr wird grundsätzlich nur dann<br />
329
eingesetzt, wenn zivile sanitätsdienstliche Kräfte und Einsatzmittel<br />
nach Eintritt einer Naturkatastrophe oder eines besonders<br />
schweren Unglücksfalls nicht oder noch nicht ausreichend zur<br />
Verfügung stehen.<br />
Ausgenommen hiervon sind die nachstehenden sanitätsdienstlichen<br />
Einrichtungen, die sich gemäß vertraglicher Regelung am<br />
zivilen Rettungsdienst beteiligen:<br />
– Notarztwagen: BwZKrhs Koblenz, BwKrhs Berlin und<br />
Hamburg<br />
– Luftrettungszentrum:<br />
– +mit SAR–Hubschrauber: BwKrhs Hamburg und Ulm<br />
– +mit ADAC-Hubschrauber: BwZKrhs Koblenz<br />
4.1.1 Unterstützungsmöglichkeiten im Rahmen der dringenden<br />
Nothilfe<br />
Im Rahmen der dringenden Nothilfe sind durch den Sanitätsdienst<br />
der Bundeswehr folgende Unterstützungsmöglichkeiten<br />
denkbar:<br />
– Einsätze zur Rettung von Menschenleben bzw. zur Vermeidung<br />
schwerer gesundheitlicher Schäden, die den Transport<br />
eines Arztes zum Unfallort und/oder den Transport von<br />
Verletzten vom Unfallort zu Sofortmaßnahmen in ein Krankenhaus<br />
erfordern<br />
– Einsätze zur Rettung aus Berg- und Seenot, bei denen<br />
Personen sanitätsdienstlich versorgt und abtransportiert werden<br />
– Zeitlich dringende Krankentransporte sowie Transporte von<br />
Arzneimitteln, Blutkonserven und Transplantaten<br />
– Entlastende Sekundärtransporte<br />
– Hilfeleistungen durch die ärztlichen Einsatzgruppen der<br />
Bundeswehr<br />
– Einsatz von Sanitätseinheiten/-teileinheiten.<br />
4.1.2 Hilfeersuchen<br />
Grundsätzlich sind Ersuchen um sanitätsdienstliche/medizinische<br />
Hilfe oder Unterstützung an die für den jeweiligen Rettungsdienstbereich<br />
zuständige Rettungsleitstelle des Rettungsdienstes und nur in<br />
Ausnahmefällen an die nächste Dienststelle der Polizei, Feuerwehr<br />
oder Hilfsorganisationen zu richten.<br />
Die Rettungsleitstelle hat den gesetzlichen Auftrag, den wirksamen<br />
Einsatz der Rettungsmittel und -kräfte zu koordinieren, da sie<br />
ständig besetzt und erreichbar ist und zusätzlich einen zentralen<br />
Krankenbettennachweis im zuständigen Rettungsdienstbereich<br />
führt. Bundeswehrkrankenhäuser haben deshalb Hilfeersuchen<br />
unverzüglich der örtlichen Rettungsleitstelle mitzuteilen.<br />
Insbesondere in ländlichen Regionen ist es sinnvoll, unmittelba-<br />
330
en Kontakt zum Notfalldienst der niedergelassenen Ärzte herzustellen.<br />
Da diese Einrichtungen noch nicht bundeseinheitlich<br />
telefonisch erreicht werden können, sind die örtlichen Telefonnummern<br />
bzw. Ansprechpartner in einem Verzeichnis zu vermerken<br />
(siehe Seite 2).<br />
Bundeseinheitliche Notrufnummern sind:<br />
Notruf 1 10<br />
Feuerwehrruf 1 12<br />
Rettungsstelle 1 92 22<br />
4.2 Umfang der Kräfte und Mittel<br />
Der Umfang der einzusetzenden Kräfte und Mittel der<br />
Bundeswehr ist gezielt nach Feststellen von Ausmaß und Größe<br />
des Schadensereignisses in Absprache mit dem zuständigen<br />
territorialen Befehlshaber/Kommandeur und der örtlichen Katastropheneinsatzleitung<br />
festzulegen und, falls Kräfte des<br />
Sanitätsdienstes der Bundeswehr zum Einsatz kommen, in folgenden<br />
abgestuften Maßnahmen durchzuführen:<br />
– Nach Eintritt des Ereignisses ist das Sanitätspersonal der<br />
Sanitätseinrichtungen oder der Sanitätstruppenteile, die der<br />
Schadensstelle am nächsten liegen, zur Rettung und Erstversorgung<br />
einzusetzen; vor allem zum Rettungssanitäter und<br />
zum Rettungsassistenten ausgebildete Soldaten und deren<br />
Erreichbarkeit sollten in einer aktuellen Liste standortbezogen<br />
bereitgehalten werden.<br />
– Bei Bedarf können die Soldaten der nächstgelegenen Truppenteile<br />
unterstützend mitwirken. Zusätzlich können handelsübliche<br />
und geländegängige Krankenkraftwagen sowie für<br />
den Krankentransport umrüstbare Kraftomnibusse, die in<br />
Sanitätseinrichtungen und den verschiedenen Sanitätseinheiten<br />
der Teilstreitkräfte vorhanden sind, den Abtransport der<br />
Verletzten übernehmen.<br />
– Bei Engpässen im zivilen Luftrettungsdienst können Verletzte<br />
auch durch Ersttransport oder entlastenden Folgetransport<br />
einer endbehandelnden Klinik zugeführt werden.<br />
– Besonders ausgebildete ärztliche Einsatzgruppen stehen im<br />
Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz sowie in den Bundeswehrkrankenhäusern<br />
Berlin, Hamburg und Ulm zur Verfügung.<br />
Die Räumung blockierter Zufahrtswege, Beseitigung zerstörter<br />
Infrastruktur usw. wird in der Regel durch andere Kräfte der<br />
Bundeswehr (z.B. Pioniere) durchgeführt, sofern zivile Kräfte<br />
und Einsatzmittel des Katastrophenschutzes/Technischen<br />
Hilfswerkes nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung stehen.<br />
331
4.2.1 Einsatz von Sanitätsoffizieren Arzt<br />
Neben den Sanitätsoffizieren bei Truppenteilen und Dienststellen<br />
stehen im Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz und in den<br />
Bundeswehrkrankenhäusern Berlin, Hamburg und Ulm je eine<br />
Ärztliche Einsatzgruppe<br />
– Notfallchirurgie<br />
– Anaesthesie, Reanimation, Schockbekämpfung<br />
– Innere Medizin bereit (Anlage 5).<br />
Diese Ärztlichen Einsatzgruppen mit kleiner Notfallausrüstung<br />
sind für den Soforteinsatz über<br />
– die Inspektion des Sanitätsdienstes (InSan) im BMVg oder<br />
– das Sanitätsamt der Bundeswehr oder<br />
– die SAR – Leitstellen anzufordern.<br />
Der Auftrag der Ärztlichen Einsatzgruppen beschränkt sich am<br />
Notfallort auf lebensrettende Sofortmaßnahmen zur Abwendung<br />
akut lebensbedrohlicher Zustände im Rahmen der ersten ärztlichen<br />
Hilfe, Schock- und Schmerzbekämpfung und zur Herstellung<br />
der Transportfähigkeit.<br />
Nach Abschluss aller Maßnahmen der ersten ärztlichen Hilfe<br />
können das Personal und Material zur Unterstützung des<br />
nächstgelegenen Krankenhauses bei der fachärztlichen Behandlung<br />
eingesetzt werden.<br />
Über die Rettungsleitstellen können Notärzte unmittelbar angesprochen<br />
werden.<br />
Der Umfang der Materialausstattung ermöglicht eine 48stündige<br />
unabhängige Hilfeleistung.<br />
4.2.2 Einsatz von Sanitätseinheiten und Sanitätsteileinheiten<br />
Bei großen und größeren Katastrophen kann der Einsatz von<br />
Sanitätseinheiten oder deren Teileinheiten im Rahmen verfügbarer<br />
Kapazitäten angeordnet werden.<br />
Die für einen Einsatz vorgesehenen Sanitätseinheiten können<br />
über<br />
– mobile Elemente zur chirurgischen Akutversorgung und verlegefähige<br />
Elemente zur multidisziplinären fachärztlichen Versorgung<br />
– bewegliche Arzttrupps zur ambulanten sanitätsdienstlichen<br />
Versorgung, auch in entlegenen Regionen<br />
– Teileinheiten für<br />
+ Krankentransport<br />
+ Hygienische Maßnahmen, einschließlich Wasserversorgung<br />
+ Führung und Verbindung<br />
+ Versorgung, einschließlich Sanitätsmaterial verfügen.<br />
332
Diese Einheiten oder Teileinheiten sind in der Lage, weitgehend<br />
autark zu arbeiten, wenn es die Gegebenheiten im Einsatzraum<br />
erfordern.<br />
Vorliegende Informationen über das Schadensausmaß, die<br />
Einsatzart, die voraussichtliche Einsatzdauer, der Einsatzort, die<br />
Führungsverantwortung und die Verfügbarkeit bestimmen Art<br />
und Umfang der einzusetzenden Kräfte und Mittel.<br />
4.3 Transport der Kräfte und Mittel<br />
4.3.1 Ärztliche Einsatzgruppen<br />
Für den Transport ärztlicher Einsatzgruppen ist in aller Regel aus<br />
Gründen der Eilbedürftigkeit Lufttransport vorgesehen.<br />
Innerhalb der Bundesrepublik Deutschland kann in der Regel<br />
jeder Ort von einem leichten oder mittleren Transporthubschrauber<br />
ohne Zwischenbetankung erreicht werden.<br />
Der Katastrophenplan des Bundeswehrzentralkrankenhauses / der<br />
Bundeswehrkrankenhäuser enthält alle Maßnahmen, die die<br />
schnelle Anforderung und Bereitstellung von Transporthubschraubern<br />
ermöglichen.<br />
Bei Einsätzen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland werden<br />
die Transporte zu den jeweiligen Abflughäfen mit Kraftfahrzeugen,<br />
Eisenbahn oder Hubschrauber durch BMVg-InSan koordiniert.<br />
4.3.2 Sanitätsteileinheiten ohne Großgerät<br />
Der Transport von Teileinheiten ohne Großgerät erfolgt wie der der<br />
ärztlichen Einsatzgruppen im Hubschraubertransport. Bei Nutzung<br />
von Flugzeugen der Luftwaffe (C-160 TRANSALL/Luftfahrzeugen<br />
der Flugbereitschaft BMVg) ist der Straßentransport zum<br />
Abflug- und vom Ankunftsflugplatz sicherzustellen.<br />
4.3.3 Sanitätseinheiten, -teileinheiten mit Großgerät<br />
Die Sanitätseinheit, -teileinheit mit Fahrzeugen und Großgerät<br />
erreicht ihren Bestimmungsort in der Regel im Marsch mit<br />
Kraftfahrzeugen oder im Eisenbahntransport.<br />
Nur bei Verlegung über weite Strecken kommen der Luft- oder<br />
Schiffstransport in Betracht.<br />
5. Krankentransport / Materialtransport<br />
5.1 Kranken- und Verletztentransport<br />
Um die Überlebenschance der Patienten zu erhöhen, sind die<br />
Verkürzung der Transportzeit, die Qualität des Transportes und<br />
eine qualifizierte Transportbegleitung vom Ort der Erkrankung/<br />
Verletzung bis zur stationären Behandlung von entscheidender<br />
Bedeutung.<br />
333
Bei Schwerkranken/Schwerverletzten sind, wo immer möglich,<br />
Rettungshubschrauber zu nutzen (Standorte in der Bundesrepublik<br />
Deutschland siehe Anlage 4).<br />
Dabei sind folgende Möglichkeiten zu unterscheiden:<br />
– der Ersttransport (vergleiche: Primäreinsatz, Ziffer 2.4.)<br />
– der entlastende Folgetransport (vergleiche: Sekundäreinsatz,<br />
Ziffer 2.5.).<br />
5.2 Ersttransport<br />
Der Ersttransport ist in der Regel bei besonders schweren Unglücksfällen<br />
und im Rahmen der dringenden Nothilfe durchzuführen.<br />
Es werden dabei vorrangig diejenigen Erkrankten/Verletzten<br />
abtransportiert, die aufgrund ihres besonders gefährdeten Gesundheitszustandes<br />
mit hoher Wahrscheinlichkeit sterben würden,<br />
wenn sie nicht unmittelbar einer Intensivbehandlung oder<br />
Operation zugeführt werden. Sanitätsdienstliches Begleitpersonal<br />
ist soweit wie möglich heranzuziehen.<br />
Für diesen Zweck eignen sich besonders die Rettungshubschrauber<br />
der Rettungszentren (Anlage 4) und die SAR – Hubschrauber,<br />
die ständig in Bereitschaft stehen und infolge der guten<br />
Raumabdeckung jeden Punkt der Bundesrepublik in spätestens 1<br />
Stunde erreichen können. 4 militärische SAR – Hubschrauber sind<br />
in den zivilen Rettungsdienst integriert (Anlage 3). Zusätzliche<br />
Funkausrüstungen (4m-Band) ermöglichen eine direkte Zusammenarbeit<br />
zwischen SAR – Hubschraubern mit der Polizei und<br />
den Rettungsdiensten / -organisationen. Durch eingebaute Rettungswinden<br />
und Rettungsgerätesätze, die den jeweiligen<br />
Bedürfnissen angepasst werden, sind die SAR – Hubschrauber<br />
besonders für Seenotfälle, Bergunfälle und bei sonstigen komplizierten<br />
Unfällen geeignet, wenn in Ermangelung von Landemöglichkeiten<br />
das Retten/Bergen mittels Rettungswinde<br />
(Rettungsschlinge) durchgeführt werden muss. Hubschraubertransport<br />
ist grundsätzlich zunächst bei der für den jeweiligen<br />
Rettungsdienstbereich zuständige Rettungsleitstelle anzufordern.<br />
Diese veranlasst den Einsatz des nächstgelegenen einsatzbereiten<br />
Rettungshubschraubers des zivilen Luftrettungsdienstes.<br />
Sind diese Rettungshubschrauber nicht oder nicht rechtzeitig verfügbar,<br />
so fordert die Rettungsleitstelle den Einsatz von SAR –<br />
Hubschraubern bei einer der SAR Leitstellen der Bundeswehr an.<br />
Telefon – / Telefaxanschlüsse der SAR – Leitstellen<br />
Verbindung MÜNSTER GLÜCKSBURG<br />
Telefon (02 51) 13 57 57/58 (0 46 31) 60 13<br />
Bw-Vermittlung (02 51) 9 36 (0 46 31) 6 66<br />
- App 13 68 -App 4 75 / 4 76<br />
Telefax (02 51) 13 57 59 (0 46 31) 66 65 54<br />
334
Reichen die bereitgehaltenen Lufttransportmittel der SAR –<br />
Kommandos und Rettungszentren nicht aus, können zusätzliche<br />
Lufttransportmittel des Heeres, der Luftwaffe und der<br />
Marine über die SAR – Leitstellen angefordert werden. Eine<br />
besondere Rolle kommt bei Massenanfall von Verletzten/<br />
Kranken den mittleren Transporthubschraubern (MTH) CH 53 G<br />
mit einer Beladekapazität bis zu 24 liegenden Patienten zu, die<br />
zusätzlich zu den leichten Transporthubschraubern (LTH) Bell<br />
UH-1 D (Transportkapazität bis zu 6 liegende Patienten) einzusetzen<br />
sind. Bei Nachteinsätzen und Einsatz der mittleren<br />
Transporthubschrauber CH 53 G ist darauf zu achten, dass die<br />
aufnehmenden Krankenhäuser über geeignete Hubschrauberlandeplätze<br />
verfügen.<br />
Ein direkter Funkkontakt zwischen diesen Hubschraubern und<br />
den verschiedenen zivilen Rettungsorganisationen ist derzeit<br />
noch nicht möglich. Die Funkverbindung kann durch Abstellen<br />
eines entsprechenden Funktrupps der Bundeswehr zur<br />
Katastropheneinsatzleitung oder über Mobiltelefone sichergestellt<br />
werden.<br />
5.3 Entlastender Folgetransport<br />
Hubschrauber der Heeresfliegertruppe können vor allem den<br />
entlastenden Folgetransport durchführen. Sie konzentrieren<br />
sich dazu auf die Verletzten, die nach sanitätsdienstlicher<br />
Erstversorgung ohne akute Lebensgefahr auf weiter entfernt liegende<br />
Krankenhäuser verteilt werden müssen.<br />
Von den Verbänden der Heeresfliegerbrigade 3 werden im festgelegten<br />
allgemeinen Bereitschaftsdienst täglich von Sonnenaufgang<br />
bis Sonnenuntergang Hubschrauber wie folgt bereitgehalten:<br />
– 1 LTH Bell UH-1 D ITZEHOE Heeresfliegerregiment 6<br />
– 1 LTH Bell UH-1 D FASSBERG Heeresfliegerregiment 10<br />
– 1 LTH Bell UH-1 D NIEDERSTETTEN Heeresfliegerregiment 30<br />
– 1 MTH CH 53 G RHEINE-BENTLAGE Heeresfliegerregiment 15<br />
– 1 MTH CH 53 G LAUPHEIM Heeresfliegerregiment 25<br />
– 1 MTH CH 53 G MENDIG Heeresfliegerregiment 35<br />
Diese Hubschrauber können auch bei Katastrophen eingesetzt<br />
werden; Anforderungen sind an die SAR-Leitstellen zu richten.<br />
Die Anforderung von Luftfahrzeugen für alle nicht dringlichen<br />
Sekundäreinsätze (Inland/Ausland) für zusätzliche Krankentransporte<br />
hat über den Kommandoarzt des Lufttransportkommandos<br />
in MÜNSTER zu erfolgen.<br />
335
im Dienst Telefon 0251 / 936 App 2350 oder 2351<br />
Telefax 0251 / 936-2352<br />
nach Dienst Einsatzstabsoffizier im Gefechtsstand<br />
Telefon 0251 / 936 - 2213<br />
Telefax 0251 / 936 - 2228<br />
Der Abruf von Luftfahrzeugen der Flugbereitschaft des BMVg<br />
erfolgt<br />
im Dienst über das Büro des zuständigen Staatssekretärs,<br />
Flugbereitschaft<br />
Telefon 0228 / 12 - 9109<br />
nach Dienst über das Führungszentrum der Bundeswehr<br />
Telefon 0228 / 12 - App 4911 oder 5500<br />
5.4 Transport Schwerbrandverletzter<br />
Wichtiger Hinweis!<br />
Der Transport von Schwerbrandverletzten muss innerhalb der<br />
ersten 24 Stunden nach der Verbrennung erfolgen. Ein Brandverletzter<br />
ist daher immer schnellstmöglich der für die Endbehandlung<br />
seiner Brandverletzung geeigneten Einrichtung zuzuführen.<br />
Siehe Fachdienstliche Anweisung Inspekteur des<br />
Sanitätsdienstes der Bundeswehr „Verfahren zur Einweisung<br />
von Schwerbrandverletzten in geeignete Krankenhäuser (FA<br />
Insp San K 15.01)“.<br />
Brandverletzte Soldaten sind, wenn immer möglich und vom ärztlichen<br />
Standpunkt vertretbar, in die Abteilung Unfallchirurgie /<br />
Verbrennungsmedizin des Bundeswehrzentralkrankenhauses Koblenz<br />
zu transportieren.<br />
Um Zeitverluste bei der Unterbringung Schwerbrandverletzter zu<br />
vermeiden und zur Verfügung stehende Behandlungskapazitäten<br />
optimal zu nutzen, wurde die Zentrale Anlaufstelle für die Vermittlung<br />
von Betten für Schwerbrandverletzte (Zentrale Anlaufstelle<br />
Schwerbrandverletzte) in HAMBURG geschaffen.<br />
Die Zentrale Anlaufstelle Schwerbrandverletzte ist ständig<br />
erreichbar.<br />
Telefon: (0 40) 428 51-39 98<br />
(0 40) 428 51-39 99<br />
Fax: (0 40) 428 51-4269<br />
Liste der beteiligten Krankenhäuser siehe Anlage 6.<br />
6. Sanitätsmaterial<br />
6.1 Materielle Ausstattung<br />
Hilfeleistungen durch die Bundeswehr umfassen auch den Einsatz<br />
und die Bereitstellung von Sanitätsmaterial. Dabei ist auf die STAN<br />
336
– Ausstattung eingesetzter Sanitätstruppenteile sowie auf die<br />
Einsatzvorräte an Einzelverbrauchsgütern (EVGSan) zurückzugreifen.<br />
Ärztliche Einsatzgruppen entnehmen ihre materielle Ausstattung<br />
den Beständen der abstellenden Bundeswehrkrankenhäuser.<br />
Eine besondere Vorratshaltung für Hilfseinsätze wird grundsätzlich<br />
nicht betrieben. Zusätzliche EVGSan werden im Bedarfsfall<br />
auf dem Versorgungsweg für Sanitätsmaterial nachgeschoben.<br />
Die Entscheidung zur Abgabe von Sanitätsmaterial über den<br />
Bedarf der eingesetzten Truppenteile der Bundeswehr hinaus<br />
bleibt BMVg-InSan II 5 vorbehalten. Ausgenommen hiervon ist<br />
das unter 6.2. und 6.3. genannte Material.<br />
6.2 Erste-Hilfe-Ausstattung, Brandwundenbehandlung<br />
für 2 Brandverletzte (Burn-Set)<br />
Die Ausstattung dient der Erstversorgung Brandverletzter. Sie<br />
ist Teil der STAN-Ausstattung der Bundeswehrkrankenhäuser<br />
und kommt im Bedarfsfall mit Notärzten, ärztlichen Einsatzgruppen<br />
oder sonstigem ärztlichen Personal der Krankenhäuser<br />
zum Einsatz.<br />
Das Bundeswehrzentralkrankenhaus KOBLENZ und die Bundeswehrkrankenhäuser<br />
BERLIN, HAMBURG und ULM verfügen<br />
über je vier solcher Erste-Hilfe-Ausstattungen, die anderen<br />
Bundeswehrkrankenhäuser (siehe Anlage 1) über je zwei.<br />
6.3 Notfallbehandlungseinheit, Sanitätsmaterial für Brandverwundete<br />
Dieser Satz dient der schnellen und gezielten Ergänzung der<br />
materiellen Ausstattung von Sanitätseinrichtungen bei Brandkatastrophen.<br />
Die Menge der Infusionslösungen ist so dimensioniert,<br />
dass 8 Brandverletzte über ca. 24 Stunden damit versorgt<br />
werden können.<br />
6.4 Notfallbehandlungseinheit, Sanitätsmaterial für Katastrophenschutz<br />
Der Satz enthält Sanitätsverbrauchsmaterial für die notfallmedizinische<br />
Erstversorgung, das bei Katastrophen erfahrungsgemäß<br />
in größerer Menge benötigt wird. Damit können vor Ort<br />
befindliche sanitätsdienstliche Kräfte bei Bedarf materiell unterstützt<br />
werden.<br />
6.5 Abruf, Bereitstellung und Transport der Notfallbehandlungseinheiten<br />
Die in Nr. 6.3 und 6.4 genannten Notfallbehandlungseinheiten<br />
dürfen im Frieden durch die regional zuständigen WBK/Div, das<br />
HFüKdo oder das SanABw, im Spannungs- und Verteidigungsfall<br />
durch HFüKdo, HUKdo, KorpsKdo, LwUstKdo, LwKdo<br />
337
Nord u. Süd, LSO West u. Ost der Marine oder SanABw abgerufen<br />
werden.<br />
Für den sofortigen Lufttransport werden bei den Heeresfliegerregimentern<br />
– 15 in RHEINE<br />
– 25 in LAUPHEIM<br />
– 35 in MENDIG<br />
je 1 Satz – luftverlastbar verpackt – bereitgehalten.<br />
Daneben bevorraten die Sanitätshauptdepots<br />
– BRAMSTEDTLUND<br />
– BLANKENBURG<br />
– EFRINGEN-KIRCHEN<br />
– EPE<br />
– LORCH<br />
– NEUGABLONZ<br />
– QUAKENBRÜCK<br />
je 2 Sätze Notfallbehandlungseinheit, Sanitätsmaterial für Brandverwundete<br />
und je 1 Satz Notfallbehandlungseinheit, Sanitätsmaterial<br />
für Katastropheneinsatz, die im Straßen- oder Lufttransport (auch als<br />
Außenlast) an den Einsatzort gebracht werden.<br />
6.6 Regelung der Sanitätsmaterialversorgung<br />
Die Versorgung eingesetzter Truppenteile mit Sanitätsmaterial<br />
wird durch den Befehl für die Regelung der Einsatzunterstützung<br />
geregelt.<br />
6.7 Verfahren bei Ausfuhr von Material ins Ausland<br />
Material, das nach dem Einsatz im Ausland nicht wieder eingeführt<br />
werden soll, ist in der Ladeliste Bw (LogFormBw 0193/82/F)<br />
zu kennzeichnen.<br />
Für Material, das wieder eingeführt werden soll, ist eine „Ein-<br />
/Ausfuhranmeldung“ (LogFormBw 2-7/68) zu erstellen.<br />
7. Führungsorganisation sanitätsdienstlicher Einsätze<br />
7.1 Grundsätze<br />
Bei Einsätzen für sanitätsdienstliche Hilfeleistungen der Bundeswehr,<br />
die in der Entscheidung des Bundesministers der<br />
Verteidigung liegen, werden Art, Stärke und Umfang der Kräfte<br />
im Koordinierungsstab für Einsatzaufgaben (KSEA) oder im<br />
Führungszentrum der Bundeswehr (FüZBw) in Abstimmung mit<br />
den zuständigen Führungsstäben der Teilstreitkräfte (FüTSK) /<br />
Organisationsbereichen (OrgBer) geplant und dem Minister zur<br />
Entscheidung vorgelegt. Ansprechstelle im BMVg für sanitäts-<br />
338
dienstliche Hilfeleistungen ist InSan II 1.<br />
Telefon: (02 28) 12 - 62 85 (RefLtr) Telefax: (02 28) 12-66 89<br />
12 - 65 36 12-18 39<br />
12 - 63 75<br />
12 - 63 97 (Geschäftszimmer)<br />
In der Regel wird bei Hilfeleistungen in Not- und Katastrophenfällen<br />
im Ausland die Steuerung der Durchführung einem<br />
Leitführungskommado übertragen. Sollte der Organisationsbereich<br />
des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr (OrgBer<br />
ZSanDBw) beauftragt werden, wird der Einsatz durch das Sanitätsamt<br />
der Bundeswehr geführt.<br />
Im Einsatzgebiet unterstehen alle sanitätsdienstlichen Kräfte<br />
dem nationalen Befehlshaber im Einsatzgebiet. Ist ein Leitender<br />
Sanitätsoffizier (LSO) im Einsatzgebiet befohlen, unterstehen die<br />
sanitätsdienstlichen Kräfte fachdienstlich diesem LSO.<br />
Sofern der LSO im Einsatzgebiet noch nicht bestimmt oder dort<br />
noch nicht eingetroffen ist, nimmt der dienstälteste Sanitätsoffizier<br />
vor Ort die Aufgaben des LSO im Einsatzgebiet wahr.<br />
7.2 Erkundungskommando (San)<br />
Zur Vorbereitung des sanitätsdienstlichen Einsatzes wird grundsätzlich<br />
ein Erkundungskommando (San) in Marsch gesetzt. Es<br />
stellt vor Ort die sanitätsdienstlichen Einsatzbedingungen fest<br />
und meldet das Erkundungsergebnis der beauftragten Kommandobehörde.<br />
Das Erkundungskommando (San) sollte von dem SanStOffz<br />
geführt werden, dem die Aufgaben des LSO im Einsatzgebiet<br />
übertragen werden sollen.<br />
Stärke und Ausstattung des Erkundungskommandos (San) hängen<br />
von den Voraussetzungen im Einsatzgebiet und davon ab,<br />
ob es vor Ort verbleibt oder zurückkehrt.<br />
7.3 Leitender Sanitätsoffizier im Einsatzgebiet<br />
Um bei Bedarf schnell einen Leitenden Sanitätsoffizier im<br />
Einsatzgebiet einteilen zu können, hält das Sanitätsamt der<br />
Bundeswehr in Abstimmung mit den Generalärzten/Admiralarzt<br />
der Teilsteitkräfte und BMVg – Abteilung PSZ IV 7 sowie Personalamt<br />
der Bundeswehr Abteilung IV alle als LSO in Betracht<br />
kommenden Sanitätsoffiziere und deren Erreichbarkeit in einer<br />
aktuellen Liste bereit.<br />
Aufgaben des LSO<br />
– Ermitteln des Bedarfs sanitätsdienstlicher Unterstützung im<br />
Einsatzgebiet in Abstimmung mit den Behörden des Einsatzlandes<br />
und den dort tätigen Hilfsorganisationen<br />
– Leiten des Sanitätsdienstes im Einsatzgebiet<br />
– Beraten des Führers im Einsatzgebiet und oder der örtlichen<br />
339
Einsatzleitung über Hilfsmöglichkeiten des deutschen Sanitätskontingents<br />
– Teilnahme an Lagebesprechungen, Berichte über den Sanitätsdienst<br />
an die Einsatzleitung<br />
– Herstellen und Halten der Verbindung mit dem Einsatzführer<br />
oder, sofern zugleich Führer der Kräfte im Einsatzraum, mit<br />
der befehlsgebenden Kommandobehörde<br />
– Absetzen von Meldungen gem. Melde- und Berichtwesen ab<br />
Eintreffen im Einsatzraum<br />
– Verbindung halten zur /zum deutschen Botschaft/Generalkonsulat<br />
im Aufenthaltsstaat (bei Auslandeinsätzen und wenn<br />
LSO zugleich nationaler Einsatzführer) und den im Einsatzland<br />
tätigen Hilfsorganisationen.<br />
8. Melde- und Berichtswesen<br />
Sanitätsdienstliche Meldungen geben dem Führungszentrum,<br />
der Inspektion des Sanitätsdienstes, den Führungsstäben der<br />
Teilstreitkräfte und ggf. anderen Abteilungen die fortlaufenden<br />
nötigen Informationen, die als Beitrag zur Feststellung und Beurteilung<br />
der Gesamtlage im Einsatzgebiet sowie zur Unterrichtung<br />
der politischen Leitung und der militärischen Führung<br />
erforderlich sind.<br />
8.1 Sanitätsdienstliche Meldungen<br />
Es werden folgende sanitätsdienstliche Meldungen unterschieden:<br />
– Sanitätslagemeldung<br />
Bei Beginn der Hilfsmaßnahme wird erstmals diese Meldung<br />
erstellt. Sie dient zur Unterrichtung der politischen Leitung<br />
und der militärischen Führung und muss als Entscheidungshilfe<br />
für den weiteren Einsatz verwendet werden können. Meldefolge<br />
ist wöchentlich; abweichend davon, wenn die Lageentwicklung<br />
es erfordert oder der Meldeempfänger eine<br />
Sanitätslagemeldung anfordert (Gliederung Anlage 11).<br />
– Sanitätssofortmeldung<br />
Die Sanitätssofortmeldung dient dazu, den Meldeempfänger<br />
über solche Ereignisse/Entwicklungen zu unterrichten, die<br />
+ der Leitung/militärischen Führung möglichst schnell zur<br />
Kenntnis gelangen müssen<br />
+ mit eigenen Kräften und Mitteln nicht beherrscht werden<br />
können<br />
+ vom Meldeempfänger sofortige Maßnahmen erfordern<br />
(Gliederung Anlage 12).<br />
– Sanitätsmeldung<br />
340
Sie dient der täglichen Unterrichtung der truppen- und fachdienstlichen<br />
Führung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr<br />
(Gliederung Anlage 13).<br />
8.2 Sanitätsdienstlicher Erfahrungsbericht<br />
Ein Erfahrungsbericht wird jeweils unmittelbar nach Abschluss<br />
des Einsatzes durch den LSO im Einsatzgebiet und durch den<br />
Führer des eingesetzten Sanitätstruppenteils erstellt. Die Auswertung<br />
der Erfahrungsberichte dient dazu, Fehler abzustellen, notwendige<br />
Materialergänzungen durchzuführen und die Erfahrungen<br />
zu nutzen, um künftige Hilfsmaßnahmen gezielter und<br />
wirkungsvoller durchführen zu können (Gliederung Anlage 14).<br />
9. Durchführung von Übungen und Großveranstaltungen<br />
Im Vorfeld von Übungen und Großveranstaltungen müssen klare<br />
Absprachen getroffen sowie eindeutige Aufgabenzuweisungen<br />
und Zuständigkeiten aller beteiligten Dienststellen überprüft und<br />
festgelegt werden.Um alle Sicherheitsmaßnahmen einschließlich<br />
Brandschutz, Rettungs- und Sanitätsdienst bei zivil-militärischen<br />
Veranstaltungen optimal koordinieren zu können, ist, wo<br />
immer möglich, eine gemeinsame Einsatzleitung einzurichten.<br />
Bei militärischen Großveranstaltungen (z. B. Flugveranstaltungen<br />
ZDv 44/31 „Sicherheitsbestimmungen für Flugveranstaltungen<br />
der Bundeswehr“, Tag der offenen Tür) sind der Katastrophenschutzstab<br />
des zuständigen Landkreises und die gesetzlichen<br />
Leistungsträger des Rettungsdienstes sowie Ärztekammern /<br />
Kassenärztliche Vereinigungen regelmäßig an den sanitätsdienstlichen<br />
Planungen und Vorbereitungen zu beteiligen.<br />
Bei Teilnahme an Übungen und Großveranstaltungen der<br />
Katastrophenschutzbehörden ist nach dem Erlass 82 „Förderung<br />
der Ausbildung der Truppe durch Übernahme von Arbeiten<br />
auf wirtschaftlichem Gebiet“ (VMBl 1988 S. 283 ff) zu verfahren.<br />
341
Anlage 1<br />
zu BMVg – InspSan/InSan II 1<br />
Az 13-29 vom 23.06.1999<br />
Telefon/ Fax-Verzeichnis der wichtigsten Ansprechstellen<br />
für Sanitätsdienstliche Hilfe bei Naturkatastrophen /<br />
schweren Unglücksfällen<br />
Dienststelle/Einrichtung Vorwahl Rufnummer Faxnummer<br />
Notruf 1 10<br />
Feuerwehr 1 12<br />
Rettungsleitstelle 1 92 22 und 112<br />
Zentrale Anlaufstelle (0 40) 28 82-39 98 24 86 56 47<br />
Schwerbrandverletzte (0 40) 28 82-39 98<br />
HAMBURG<br />
SAR-Leitstelle MÜNSTER (02 51) 13 57 57 13 57 59<br />
13 57 58<br />
Flugbereitschaft BMVg (02 28) 12-91 09 12-64 44<br />
Büro Staatssekretär 12-99 09<br />
BONN<br />
BMVg Führungszentrum (02 28) 12-49 11 12-66 36<br />
BONN 12-55 00<br />
BMVg InSan II 1BONN (02 28) 12-62 85 12-91 77<br />
12-65 36<br />
12-63 75<br />
Sanitätsamt der Bundeswehr (02 28) 9 42-28 93 9 42-24 06<br />
BONN nach Dienst 9 42-29 94<br />
9 42-26 01<br />
Sanitätsakademie der (0 89) 31 68-0 31 68-33 95<br />
Bundeswehr MÜNCHEN (0 89) 31 68-27 49 31 68-39 25<br />
-Institut für Radiobiologie (0 89) 31 68-5045 3 15-50 63<br />
-Institut für Pharmakologie<br />
u. Toxikologie<br />
Bundeswehrzentralkrankenhaus (02 61) 2 81-1 2 81-3 01<br />
KOBLENZ<br />
Bundeswehrkrankenhaus (0 96 21) 8 70-1 8 72 33<br />
AMBERG<br />
Bundeswehrkrankenhaus (0 30) 28 41-0 28 41 22 25<br />
BERLIN<br />
Bundeswehrkrankenhaus (0 44 03) 9 76-0 9 76-2 13<br />
BAD ZWISCHENAHN<br />
Bundeswehrkrankenhhaus (0 40) 69 47-0 69 47-29 30<br />
HAMBURG<br />
Bundeswehrkrankenhaus (0 23 81) 9 07-0 9 07-3 80<br />
HAMM<br />
Bundeswehrkrankenhaus (03 41) 5 28-0 5 28-11 03<br />
LEIPZIG<br />
342
Dienststelle/Einrichtung Vorwahl Rufnummer Faxnummer<br />
Bundeswehrkrankenhaus (07 31) 1 71-1 1 71-20 06<br />
ULM<br />
Wehrbereichsarzt WBK I KIEL (04 31) 3 84 0 3 84-64 91<br />
Wehrbereichsarzt WBK II (05 11) 67 98-0 67 98-5 09<br />
HANNOVER<br />
Wehrbereichsarzt WBK III (02 11) 6 19-1 6 19-24 32<br />
DÜSSELDORF<br />
Wehrbereichsarzt WBK IV (0 61 31) 56-1 56-33 09<br />
MAINZ<br />
Wehrbereichsarzt WBK V (0 75 71) 76-0 76-1508<br />
SIGMARINGEN<br />
Wehrbereichsarzt WBK VI (0 89) 31 68-0 31 68-33 73<br />
MÜNCHEN<br />
Wehrbereichsarzt WBK VII (03 41) 5 95-0 5 95-26 90<br />
LEIPZIG<br />
Sanitätsbrigade 1 LEER (04 91) 1 20 78 1 51 96<br />
gemischtes Lazarettregiment 11 (0 59 01) 6 11-614 79 18<br />
FÜRSTENAU<br />
gemischtes Lazarettregiment 12 (0 94 20) 3 12 15 48<br />
FELDKIRCHEN<br />
Sanitätsregiment 1 HILDESHEIM (0 51 21) 74 96-0 74 96-32 35<br />
Sanitätsregiment 5 RENNEROD (0 26 64) 5 02-3 5 02-4 62<br />
Sanitätsregiment 6 (0 48 21) 8 30-0 8 30-2 95<br />
BREITENBURG<br />
Sanitätsregiment 7 HAMM (0 23 81) 9 07-0 9 07-1 37<br />
Gebirgssanitätsregiment 8 (08 31) 57 19-0 57 19-3 79<br />
KEMPTEN<br />
Sanitätsregiment 10 HORB (0 74 51) 5 33-0 5 33-3 05<br />
Sanitätsregiment 13 HALLE (03 45) 55 57-0 55 57-3 38<br />
Luftlandesanitätskompanie 260 (0 68 81) 9 30-0 9 30-3 98<br />
LEBACH<br />
Luftlandesanitätskompanie 270 (0 44 51) 9 16-0 9 16-3 26<br />
VAREL<br />
2. (Sanitäts) Kompanie gem (04 91) 1 20 78 1 20 38<br />
LazRgt 11 LEER<br />
2. (Sanitäts) Kompanie gem (0 89) 31 68-0 31 68-36 75<br />
LazRgt 12 MÜNCHEN<br />
8. (Sanitäts) Kompanie (0 23 72) 9 05-0 9 05-4 42<br />
SanRgt 7 HEMER<br />
6. (Krankenkraftwagen) (0 23 72) 9 05-0 9 05-4 40<br />
Kompanie SanRgt 7 HEMER<br />
5. (Sanitätsmaterial) Kompanie (0 25 94) 9 69-0 9 69-6 64<br />
gem LazRgt 11 DÜLMEN<br />
5. (Sanitätsmaterial) (0 75 71) 76-0 76-20 40<br />
Kompanie gem LazRgt 12<br />
SIGMARINGEN<br />
5. (Sanitätsmaterial) Kompanie (03 97 79) 61-0 61-43 18<br />
gem LazRgt 13<br />
EGGESIN/KARPIN<br />
343
Dienststelle/Einrichtung Vorwahl Rufnummer Faxnummer<br />
Lufttransportkommando (02 51) 9 36-22 13 9 36-22 28<br />
MÜNSTER (02 51) 9 36-23 50 9 36-23 52<br />
– Einsatzstabsoffizier<br />
im Gefechtsstand<br />
– Kommandoarzt<br />
Flugbereitschaft BMVg (0 22 03) 6 02-48 55 69 97 84<br />
KÖLN-WAHN (0 22 03) 6 02-32-67<br />
– Einsatzstabsoffizier<br />
– Offizier vom Gefechtsstand<br />
Luftwaffensanitätsstaffel (0 22 03) 6 02-44 44 6 02-21 97<br />
KÖLN-WAHN (0 22 03) 6 02-35 84<br />
– Arzt vom Dienst (0 22 039) 6 02-48 80<br />
– Unteroffizier vom Dienst<br />
Geschäftszimmer<br />
Stabsfeldwebel<br />
344
Großschadensanlagen durch<br />
biologische Agenzien<br />
345
15. Großschadenslagen durch<br />
biologische Agenzien<br />
R. Fock<br />
Potenzielle Ursachen für Großschadensfälle durch biologische<br />
Agenzien sind (1) Naturkatastrophen, (2) Laborunfälle und Havarien<br />
– vor allem in der Trinkwasserversorgung und im Abwassersystem<br />
-, (3) Einsatz biologischer Agenzien zu kriminellen, terroristischen<br />
oder militärischen Zwecken und – nicht zuletzt – (4)<br />
eine natürlicherweise etwa alle 20 bis 40 Jahre auftretende<br />
Influenzapandemie.<br />
Problematische Seuchenlagen durch Naturereignisse dürften in<br />
Deutschland am ehesten als Folge von außerordentlichen Überschwemmungen<br />
bzw. Flutkatastrophen auftreten. In solchen<br />
Fällen muss grundsätzlich mit Ausbrüchen und lokalen Epidemien,<br />
ausgelöst durch fäkal-oral übertragbare Krankheitserreger<br />
wie Hepatitis A-Virus, Enteroviren, Rotaviren, Norwalk-Viren,<br />
Leptospiren, Salmonella typhimurium, S. typhi u. a. Salmonellen,<br />
Shigellen, pathogenen E. coli, u. a. auch als Folge von<br />
Havarien in Kläranlagen, gerechnet werden. Diese Erreger bzw.<br />
die durch sie verursachten Krankheiten stellen bei größeren<br />
Ausbrüchen hinsichtlich der zu ergreifenden Schutzmaßnahmen<br />
allerdings mehr ein quantitatives als ein qualitatives und vornehmlich<br />
auf das Gesundheitswesen begrenztes Problem dar<br />
und werden meist überschätzt. Katastrophenlagen durch natürliche<br />
Ereignisse erhöhen im Allgemeinen allenfalls das Risiko,<br />
dass die Inzidenz sporadischer Erkrankungsfälle – unterhalb der<br />
Schwelle zur Epidemie – ansteigt.<br />
Großschadenslagen in Folge von Laborunfällen oder durch den<br />
Einsatz biologischer Agenzien zu kriminellen oder terroristischen<br />
Zwecken sowie eine Influenzapandemie stellen im Vergleich<br />
dazu eine weitaus größere Herausforderung dar hinsichtlich<br />
der zu ergreifenden Schutzmaßnahmen sowohl für die<br />
Einsatzkräfte als auch für die Bevölkerung.<br />
Biologische Kampfstoffe<br />
Biologische Kampfmittel bestehen aus B-Kampfstoff (=biologisches<br />
Agens) und Einsatzmittel. Aus epidemiologischer Sicht<br />
lassen sich B-Kampfstoffe einteilen in Erreger ansteckender<br />
346
Krankheiten, Erreger nicht ansteckender Krankheiten und<br />
Toxine. Das Spektrum der potenziellen Auslöser biologischer<br />
Angriffe umfasst mehr als 70 natürlich vorkommende humanund<br />
tierpathogene Bakterien, Rickettsien, Chlamydien, Pilze<br />
und Viren sowie eine noch unbestimmte Zahl pflanzlicher,<br />
mikrobieller und tierischer Toxine. Darüber hinaus sind auch<br />
gentechnisch veränderte Organismen (GVO) in Betracht zu ziehen.<br />
Aus Sicht der Weltgesundheitsorganisation (WHO), des B-<br />
Waffen-Übereinkommens und der NATO kommen ca. 30 humanpathogene<br />
Krankheitserreger aus den Risikogruppen 3 und<br />
4 sowie hoch toxische, relativ leicht zu produzierende biologische<br />
Gifte in die engere Auswahl. Die Problematik der ätiologischen<br />
Aufklärung von B-Großschadenslagen resultiert nicht nur<br />
aus einer unbestimmten Zahl von denkbaren B-Szenarien (nach<br />
US-Schätzungen >1.600 militärische Optionen), sondern auch<br />
aus der Komplexität der zur Anwendung kommenden Agenzien<br />
(einzeln oder in Kombination mit weiteren Organismen, Toxinen,<br />
radioaktivem Material oder chemischen Noxen). Wie die Erfahrungen<br />
mit früheren kriminellen oder terroristischen Aktionen<br />
zeigen, muss neben der Anwendung „typischer“ B-Kampfstoffe<br />
auch mit dem Einsatz „konventioneller“ Erreger endemischer<br />
oder enzootischer Krankheiten gerechnet werden (z. B. Salmonella<br />
typhimurium durch die Rajneshee-Sekte in den USA 1987).<br />
Es erscheint sinnvoll, das Hauptaugenmerk hier zunächst auf<br />
die Agenzien zu richten, die bereits zur Anwendung kamen und<br />
munitioniert wurden und deshalb als sog. „Dirty Dozen“ bezeichnet<br />
werden: Anthrax, Brucellose, Pest, Pocken, Tularämie,<br />
Q-Fieber, Melioidose, Marburg-Virus-Krankheit, Venezolanische<br />
Pferdeenzephalitis (VEE). Toxine (Botulinum, Rizin, Staphylokokken-Enterotoxin<br />
B) sind, auch wenn sie durch biologische<br />
Verfahren gewonnen wurden, von ihrer Wirkungsweise – sie<br />
führen zu einer Vergiftung, nicht zu einer Infektionskrankheit –<br />
und der aus Sicht der Schadensbewältigung zu ergreifenden<br />
Maßnahmen eher den C-Kampfstoffen vergleichbar.<br />
B-Kampfstoffe können als Flüssigkeit (Suspension) oder als<br />
Trockensubstanz (z. B. gefriergetrocknet) freigesetzt werden.<br />
Als Einsatzmittel für B-Kampfstoffe kommen Raketen, Clusterbomben<br />
und Granaten in Frage, die bei ihrer Detonation den B-<br />
Kampfstoff in Aerosolform überführen und ggf. auch mechanische<br />
oder thermische Verletzungen setzen können. Weitere<br />
Einsatzmittel sind tragbare und mobile Sprühvorrichtungen oder<br />
Aerosolgeneratoren. Letztlich können auch Trinkwasserversorgungseinrichtungen,<br />
Vektoren (Insekten, Nagetiere) oder Briefund<br />
Paketsendungen als Einsatzmittel verwendet werden.<br />
347
Erkundung der Lagen<br />
Anders als bei Naturkatastrophen und Laborunfällen oder etwa<br />
einem Sprengstoff-Attentat ist bei einem bioterroristischen<br />
Anschlag der Zeitpunkt des Erkennens der Gefahrenlage nicht<br />
unbedingt identisch mit dem Ereigniszeitpunkt. B-Kampfstoffe<br />
sind lautlos und unsichtbar zu verbreiten, mit menschlichen<br />
Sinnessorganen nicht wahrnehmbar und derzeit mit Warnsystemen<br />
auch nicht nachweisbar. Die Wirkungen biologischer<br />
Kampfstoffe sind zudem natürlichen Infektionsgeschehen weitgehend<br />
ähnlich (sogenanntes Mimikry). Neben nachrichtendienstlichen<br />
oder kriminalistischen Hinweisen können aber<br />
infektionsepidemiologische Beobachtungen wie ein plötzliches,<br />
synchronisiertes Auftreten von uniformen, unspezifischen Allgemeinsymptomen,<br />
häufig mit nachfolgender pulmonaler<br />
Symptomatik, rascher Progredienz und verbunden mit einer<br />
hohen Morbidität und Letalität, einer auffälligen geographischen<br />
Verteilung, einer ungewöhnlichen Jahreszeit, das Fehlen typischer<br />
Vektoren/Reservoire bzw. natürlicher Ursachen oder ein<br />
Massensterben von Tieren Anlass geben, einen B-Terrorangriff<br />
zu vermuten. Die jeweiligen Inkubations- bzw. Latenzzeiten sind<br />
zu beachten. So ist mit dem Auftreten klinischer Symptome in<br />
Folge von Lungenpest oder Botulismus-, Rizin- oder Staphylokokken-Enterotoxin-B-Vergiftung<br />
bereits in den ersten Stunden<br />
bis zu fünf Tagen zu rechnen, bei Brucellose und Q-Fieber erst<br />
nach fünf bzw. zehn bis zu 90 Tagen. Drohende Sekundärinfektionen<br />
bei direkter Mensch-zu-Mensch-Übertragung infektiöser<br />
B-Kampfstoffe oder z. B. wochen- bis jahrzehntelange<br />
Persistenz des Erregers in der Umwelt bedingen unterschiedliche<br />
Maßnahmen.<br />
Bei biologischen Gefahrenlagen ist die Erkundung der Lage<br />
deshalb in besonderem Maße abhängig von dem Ausgangsszenarium:<br />
(1) Ist der Anschlag offensichtlich oder wurde der Anschlag, ggf.<br />
unter Angabe des verwendeten Agens, angekündigt oder liegt<br />
ein sog. Bekennerschreiben vor?<br />
(2) Handelt es sich um ein plötzlich auftretendes Krankheitsund<br />
Infektionsgeschehen, das aufgrund seines Ausmaßes, seiner<br />
Ungewöhnlichkeit oder anderer Umstände sofort als ein aus<br />
dem Rahmen fallendes, besondere Maßnahmen erforderndes<br />
Ereignis erkannt wird oder zumindest zu einem entsprechenden<br />
Verdacht führt? Oder:<br />
(3) Entwickelt sich die biologische Großschadenslage ohne<br />
erkennbares initiales Ereignis eher schleichend, „infiltrierend“,<br />
und ist als solche und möglicherweise auch als Infektionsge-<br />
348
schehen für einige Tage, Wochen oder sogar Monate nicht zu<br />
erkennen?<br />
Hieraus wird deutlich, dass wir sowohl eine kontinuierliche Überwachung<br />
des Infektionsgeschehens (Surveillance) benötigen als<br />
auch die personellen und institutionellen Voraussetzungen für<br />
eine gezielte Aufklärung eines verdächtigen Ereignisses im<br />
Bedarfsfall. Ist eine Früh- oder Echtzeit-Erkennung von B-Anschlägen<br />
nicht möglich, können anti-epidemische Maßnahmen<br />
nicht rechtzeitig ergriffen werden und sich ansteckende Krankheiten<br />
unter Umständen auch über ein weites Areal verbreiten.<br />
Surveillance<br />
Auf der Grundlage des <strong>neu</strong>en Infektionsschutzgesetzes (IfSG)<br />
verfügt Deutschland gegenwärtig über ein effizientes Instrument<br />
zur kontinuierlichen Überwachung, Beobachtung und Meldung<br />
in Deutschland üblicher und auch ungewöhnlicher Infektionskrankheiten.<br />
Durch Online-Vernetzung des Robert Koch-<br />
Institutes (RKI) mit den Landesgesundheitsbehörden und den<br />
rund 430 Gesundheitsämtern können die Meldungen jetzt zeitnah<br />
und in geographischer Zuordnung ausgewertet und Alarme<br />
beim Auftreten ungewöhnlicher Krankheitsausbrüche ausgelöst<br />
werden (24h-Rufbereitschaft am RKI). Außerdem können Task-<br />
Force-Teams für „Aufsuchende Epidemiologie“ für On-site-<br />
Untersuchungen in Amtshilfe zur Unterstützung der regionalen<br />
Gesundheitsbehörden bereitgestellt werden. Das RKI ist gleichzeitig<br />
im Early-Warning-System der Europäischen Union (EU)<br />
und in Programmen zur Surveillance bestimmter Infektionskrankheiten<br />
integriert. Zur Zeit besteht allerdings keine Möglichkeit,<br />
eine syndromorientierte Surveillance durchzuführen.<br />
Viel zu wenig beachtet und systematisch erforscht wurden bisher<br />
die Möglichkeiten zur Frühwarnung, die sich aus unverzüglichen<br />
Meldungen klinisch auffallender Beobachtungen im Rettungsdienst,<br />
bei der niedergelassenen Ärzteschaft und in der Krankenhausaufnahme<br />
ergeben könnten. Eine ungewöhnliche Häufung<br />
bestimmter (vergleiche oben!) Symptome oder Syndrome beim<br />
Krankentransport oder bei der Aufnahme in Kliniken könnte frühzeitig<br />
und bereits vor der infektionsepidemiologischen Surveillance<br />
Hinweise auf ein außergewöhnliches Infektionsgeschehen<br />
liefern. Voraussetzung dafür ist, dass Ärzteschaft und Rettungsdienst<br />
über das hierfür notwendige Fachwissen verfügen und<br />
entsprechend „sensibilisiert“ sind und einen kompetenten<br />
Ansprechpartner im Öffentlichen Gesundheitsdienst finden.<br />
349
Gezielte Aufklärung eines verdächtigen Ereignisses im<br />
Bedarfsfall<br />
Von den ABC-Schadenslagen sind die biologischen am schwierigsten<br />
zu erkunden. Während an zahlreichen Stellen mobile<br />
Messsysteme für nukleare Materialien und chemische Verbindungen<br />
vorgehalten werden, ist zur Analyse von biologischen<br />
Agenzien bisher nichts Praxiserprobtes vorhanden. Es fehlt ein<br />
Screening, um noch vor Ort die notwendige Entscheidungssicherheit<br />
für Maßnahmen zu gewinnen, die u. U. auch erhebliche<br />
Grundrechtseinschränkungen mit sich bringen, und um die<br />
Fehlbeanspruchung hochqualifizierter personal-, material- und<br />
zeitaufwendiger Laboruntersuchungen zu reduzieren. [Zu diesen<br />
Einschränkungen gehören nach dem IfSG: das Recht auf<br />
Körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG); Freiheit der<br />
Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG); Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1<br />
GG); Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG); Unverletzlichkeit der<br />
Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG); Brief- und Postgeheimnis (Art. 10<br />
GG); vergleiche unter Anti-epidemische Maßnahmen]. Klassifizierende<br />
Systeme wie das chemisch-biologische Massenspektrometer<br />
und identifizierende Methoden wie PCR- und<br />
immunologische Techniken müssen für diese Zwecke weiterentwickelt<br />
und aufeinander abgestimmt werden.<br />
Labordiagnostik<br />
Derzeit stehen für die Diagnostik von Krankheitserregern der<br />
Risikogruppe 4 zwei Einrichtungen in Hamburg bzw. Marburg<br />
zur Verfügung (Tab. 1). Ein drittes Labor soll in den nächsten<br />
Jahren am RKI in Berlin eingerichtet werden. Krankheitserreger<br />
der Risikogruppe 3 sowie Toxine können in zahlreichen anderen<br />
Einrichtungen diagnostiziert werden. Ansprechpartner für spezielle<br />
Fragen zur Aufklärung von Infektionskrankheiten und von<br />
Symptomkomplexen sind auch die Nationalen Referenzzentren<br />
und Konsiliarlaboratorien (http://www.rki.de/INFEKT/NRZ/NRZ<br />
2002.PDF).<br />
Selbstschutz<br />
Abgesehen von den durch kontaminierte Nahrungsmitteln und<br />
Trinkwasser ausgehenden Gefahren müssen in erster Linie<br />
Atemwege, Augen und Schleimhäute vor biologischen Agenzien<br />
geschützt werden. Für die Bevölkerung heißt dieses im Alarmfall:<br />
Menschenansammlungen zu vermeiden, Fenster und Türen<br />
350
zu verschließen (ggf. Klimaanlage abzuschalten) und im Hause<br />
zu verbleiben. Das Anlegen eines kleinen Vorrates an Lebensmittel-<br />
und Trinkwasservorräten kann unter diesem Gesichtspunkt<br />
durchaus sinnvoll sein. Eine Bevorratung von Antiinfektiva<br />
(etwas von Antibiotika zur Postexpositionsprophylaxe) durch<br />
Laien wird, unabhängig von der rechtlichen Problematik, da es<br />
sich um verschreibungspflichtige Arzneimittel handelt, derzeit<br />
von den meisten Fachleuten nicht befürwortet, da die möglichen<br />
Folgen eines unsachgemäßen Gebrauches höher bewertet<br />
werden als der zu erwartende Nutzen.<br />
Auch das Tragen von Ganzkörper-Schutzanzügen durch Laien<br />
kann nicht ohne weiteres empfohlen werden: wer einen Schutzanzug<br />
nach bereits erfolgter Exposition anlegt, erhöht die<br />
Infektionsgefahr, da er die Krankheitserreger dadurch um so<br />
fester an sich bindet. Partikeldichte Halbmasken zur Filterung<br />
der Atemluft (siehe auch weiter unten bei Einsatzkräfte) könnten<br />
einen (zusätzlichen) individuellen Schutz bieten, werden derzeit<br />
aber offiziell nicht empfohlen. Wichtig ist es aber, in diesem<br />
Zusammenhang an die allgemeine, altbekannte Hygiene zu erinnern:<br />
persönliche Sauberkeit, entsprechend häufiges und sorgfältiges<br />
Händewaschen mit Wasser und Seife, Nahrungsmittelhygiene<br />
(ggf. Nahrungsmittel ausreichend erhitzen!),<br />
Wäschehygiene, Bekämpfung von Ungeziefer, sachgemäße<br />
Abfallentsorgung u.s.w. Die Anwendung von speziellen Flächenund<br />
Instrumenten-Desinfektionsmitteln in Privathaushalten ist<br />
im allgemeinen nicht sinnvoll, die Verwendung von (milden)<br />
Händedesinfektionsmitteln mit nachfolgender Hautpflege dagegen<br />
schon. Auch das Tragen von Schutzhandschuhen kann für<br />
den Bürger im Einzelfall (z. B. bei Erhalt von Postsendungen<br />
ungewöhnlicher Herkunft) eine sinnvolle Vorbeugung sein. Es<br />
versteht sich von selbst, dass verdächtige Gegenstände bei<br />
entsprechender Gefahrenlage grundsätzlich nicht berührt, verdächtige<br />
Behältnisse (z. B. Briefe, Pakete) nicht geöffnet werden<br />
sollen (vergleiche http://www.rki.de/INFEKT/BIOTERROR/BT-<br />
VERDACHT.PDF und http://www.rki.de/INFEKT/BIOTERROR/<br />
POSTSTELLEN.PDF).<br />
Potenziellen Einsatzkräften und Ersthelfern kann, sofern diese<br />
über keine spezielle eigene Schutzausrüstung verfügen, zu<br />
relativ geringen Kosten die Anschaffung eines sog. „Infektionsschutz-Sets“<br />
angeraten werden, bestehend aus flüssigkeitsabweisendem<br />
Einmal-Overall, einer partikelfiltrierenden Halbmaske<br />
FFP 3 S, einer Arbeits-Schutzbrille, Schutzhandschuhen<br />
und einem Entsorgungsbeutel (siehe Tab. 2). Zu beachten ist,<br />
dass diese Ausrüstung einen guten Schutz in biologischen<br />
Gefahrenlagen, nicht aber vor chemischen Noxen bietet.<br />
351
Schadensbewältigung<br />
Im Gegensatz zu rein physikalisch-mechanischen Einwirkungen<br />
(wie z. B. Detonationen, Zug- oder Flugzeugunglücke etc.) und<br />
unvergleichlich mehr als durch chemische (z. B. Giftgas) oder<br />
nukleare Noxen (z. B. Havarie des Reaktors in Tschernobyl) verursachten<br />
Lagen besteht bei biologischen Agenzien die Gefahr<br />
der Sekundärkontamination bzw. -infektion und damit die Entwicklung<br />
eines sich vom eigentlichen Anschlag oder Unfall verselbständigenden<br />
Infektionsgeschehens. Neben und während<br />
der Krankenversorgung, der Bestattung der Verstorbenen und<br />
weiterer Maßnahmen für die unmittelbar Betroffenen muss deshalb<br />
der Kontrolle der Weiterverbreitung von Krankheitserregern<br />
Vorrang eingeräumt werden. – Die durch biologische Agenzien,<br />
die nicht direkt von Mensch-zu-Mensch übertragbar sind (wie<br />
insbesondere Toxine, z. B. Botulismus), ausgelösten Lagen sind<br />
hingegen aus Sicht der Schadensbewältigung und der zu treffenden<br />
Maßnahmen vergleichbar mit den durch chemische<br />
Noxen hervorgerufenen. (Empfehlungen des Robert Koch-<br />
Instituts zur Vorgehensweise bei Verdacht auf Kontamination<br />
mit gefährlichen Erregern (z. B. Verdacht auf bioterroristischen<br />
Anschlag) finden sich unter http://www.rki.de/INFEKT/<br />
BIOTERROR/BT-VERDACHT.PDF).<br />
Probennahme<br />
Zur Bestätigung eines mutmaßlichen biologischen Anschlages<br />
und zur Sicherung der Diagnose sowie zur Bestimmung der<br />
Erregereigenschaften (u. a. auch der Empfindlichkeit gegenüber<br />
Antiinfektiva) müssen geeignete Untersuchungsmaterialien<br />
sichergestellt werden. Hierzu gehören sowohl Umweltproben<br />
(wie z. B. Lebensmittel, Trinkwasser, Pulver aus einem Briefumschlag<br />
etc.) als auch Körperflüssigkeiten (Venenblut, Urin,<br />
Liquor, Punktate, Sekrete, Stuhl, Erbrochenes) sowie Nasenund<br />
Rachen-Abstriche. Auch an eine Biopsie von Tieren oder<br />
Tierkadavern sollte gedacht werden. Grundsätzlich sollten vier<br />
Teilmengen (Aliquote) einer jeden Probe gewonnen werden: eine<br />
für eine sofortige, orientierende Untersuchung mit einfachen<br />
Mitteln (z. B. Mikroskop oder Massenspektrometer), sowie drei<br />
weitere für weitergehende diagnostische Verfahren in hochspezialisierten<br />
Laboratorien (z. B. Elektronenmikroskopie, Kultur,<br />
Nukleinsäureanalyse, Serologie, Tierversuch). Die Probennahme<br />
muss vor der Dekontamination und vor einer antiinfektiösen<br />
Therapie erfolgen.<br />
352
Dekontamination<br />
Stellenwert und Durchführung einer Dekontamination in B-<br />
Lagen sind mit der in C-Lagen nur sehr bedingt vergleichbar.<br />
Die Einwirkungszeit biologischer Agenzien auf intakter Haut<br />
spielt in der Regel eine geringere Rolle als die chemischer Gifte<br />
und Kampfstoffe, der Einwirkungsdauer der Dekontaminationsmittel<br />
kommt bei biologischen Kampfstoffen hingegen größere<br />
Bedeutung zu. Entsprechend des Ergebnisses der zur Verfügung<br />
stehenden Zeit und der vorzunehmenden Sichtung (mit<br />
Inspektion und Anamneseerhebung) stehen an erster Stelle eine<br />
Reinigung des Gesichts und eine Reinigung und Desinfektion<br />
der Hände, an zweiter Stelle ein Wechsel der Oberbekleidung<br />
und der Schuhe mit anschließender Desinfektion derselben, an<br />
dritter Stelle die Ganzkörperdusche (mit oder ohne desinfizierende<br />
Mittel).<br />
Da die fachgerechte Dekontamination Exponierter und Verletzter<br />
einen relativ hohen Personalbedarf geschulter Einsatzkräfte<br />
erfordert, wird bei einem Massenanfall von Exponierten<br />
bzw. Verletzten kritisch zu prüfen sein, ob diese Maßnahme vordringlich<br />
bzw. tatsächlich notwendig ist, zumal bis zur Einsatzbereitschaft<br />
der Hilfskräfte und dem Aufbau eines Dekontaminationsplatzes<br />
mindestens 60 bis 120 Minuten vergehen.<br />
Andererseits ist die Dekontamination B-Exponierter wichtig, um<br />
die Kontamination der Körperoberflachen und ggf. Wunden zu<br />
verringern und eine weitere Verschleppung des Kampfstoffes<br />
(insbesondere in medizinische Versorgungsbereiche) zu verhindern.<br />
Händedesinfektion: Nach gründlichem Händewaschen (nicht<br />
Schrubben!) Desinfektion mit 0.2% Peressigsäure (z. B.<br />
0,5%ige Lösung von Wofasteril®), Einwirkzeit 2 x 1 Minute.<br />
Flächendesinfektion: 1%ige Peressigsäure (z. B. 2,5%ige Lösung<br />
von Wofasteril®). Einwirkzeit 30 Minuten oder 10%ige<br />
Formaldehydlösung (Einwirkzeit 2 Stunden; danach gut lüften).<br />
Die Sicherheitshinweise der Hersteller sind unbedingt zu beachten!<br />
Auch flüssigkeitsdichte Schutzkleidung kann mit einer<br />
1%iger Peressigsäurelösung dekontaminiert werden; eine Einwirkzeit<br />
von 5 Minuten führt zu einer hohen Keimreduktion, so<br />
dass das Ablegen der Schutzkleidung nur mit einem geringen<br />
Risiko verbunden ist.<br />
Wunden können mit 3%iger Wasserstoffperoxidlösung gespült<br />
werden.<br />
353
Postexpositionsprophylaxe<br />
Solange das biologische Agens unbekannt ist, wird eine kalkulierte<br />
postexpositionelle Prophylaxe (PEP) empfohlen, die möglichst<br />
viele Krankheitserreger erfassen sollte. Für Toxine und<br />
Viren – von einigen wenigen Ribavirin-empfindlichen Arten und<br />
z. B. der Influenza, für die Amantadin und die <strong>neu</strong> entwickelten<br />
Neuraminidase-Hemmer zur Verfügung stehen, abgesehen –<br />
sind derzeit noch keine ausreichend effektiven Mittel für die PEP<br />
verfügbar. Für Bakterien sollten oral applizierbare Antibiotika<br />
mit einem breiten Wirkungsspektrum und guter Verträglichkeit<br />
angewandt werden. Grundsätzlich sind mindestens zwei Stoffklassen<br />
einzusetzen, die bei evtl. Unverträglichkeit (z. B. Allergie,<br />
Schwangerschaft) ausgetauscht werden können. Um einer<br />
eventuell vorliegenden oder sich entwickelnden Resistenz zu<br />
begegnen, wird die Kombination eines Tetrazyklinpräparates<br />
(z. B. Doxycyclin 2 x 100 mg) mit einem Gyrasehemmer ab 3.<br />
Generation (z. B. Ciprofloxacin 2 x 500 mg oder Levofloxacin 1 x<br />
500 mg oder Moxyfloxacin 1 x 400 mg) empfohlen. Alternativ<br />
sind beim Vorliegen von Kontraindikationen, Unverträglichkeiten<br />
oder Allergien etc. folgende Monoprophylaxen anwendbar:<br />
Doxycyclin 2 x 100 mg, Gyrasehemmer (siehe oben), Clarithromycin<br />
2 x 500 mg oder Roxythromycin 3 x 300 mg/Tag.<br />
Krankenversorgung<br />
Die Versorgung der unmittelbar Betroffenen bzw. Exponierten<br />
umfasst die Sichtung, den Krankentransport, die ambulante und<br />
stationäre medikamentöse, die ärztliche und pflegerische Behandlung,<br />
die Postexpositionsprophylaxe sowie ggf. die Bestattung.<br />
Handelt es sich um biologische Agenzien der Risikogruppen<br />
4 oder 3, sind unter Umständen noch besondere<br />
Isolierungsbedingungen (Absonderung, Quarantäne) zu beachten.<br />
Für eine erste orientierende Hilfe wurde für die in der Notfallversorgung,<br />
im Rettungsdienst und im Katastrophenschutz, wie<br />
auch für die in Klinikambulanzen, Arztpraxen und im öffentlichen<br />
Gesundheitswesen Tätigen ein Handbuch zur Diagnose und<br />
Therapie von Erkrankungen durch biologische Kampfstoffe aus<br />
dem Amerikanischen übersetzt und an die deutschen Gegebenheiten<br />
angepasst 1 . Es wird durch zweimal jährliche „Updates“<br />
1 Rega, P. Bio-Terry (Hrsg. der deutschen Ausgabe: Moecke, Hp., Finke, E.-J., Fleischer,<br />
K., Fock, R., Rechenbach, P., Schlögel, R.) Handbuch zur Diagnose und Therapie von<br />
Erkrankungen durch biologische Kampfstoffe. ABW Wissenschafts-Verlag Berlin. 2002<br />
354
jeweils dem <strong>neu</strong>esten Kenntnisstand angepasst. Aus dem<br />
Amerikanischen übersetzt und bearbeitet ist auch ein Handbuch<br />
für den Sanitätsdienst der US-Armee, das sog. „Blue Book“ des<br />
USAMRIID, deren Original (www.usamriid.army.mil/education/<br />
bluebook.html) und deutsche Fassung (www.lga-bw.de/bt/<br />
Bluebook.pdf) auch über das Internet verfügbar sind.<br />
Sofortmaßnahmen<br />
Die Erstversorgung vor Ort beinhaltet die üblichen Maßnahmen<br />
zur Kreislaufstabilisierung (ggf. Infusion über zentral-venösen<br />
Zugang) und Schockprophylaxe bzw. Schockbekämpfung,<br />
Unterstützung der Atmung (ggf. Intubation, Beatmung), Sedierung<br />
(bei Angstzuständen und Panikreaktionen), kalkulierte<br />
Verabreichung von Antibiotika. Diese Maßnahmen haben grundsätzlich<br />
Vorrang vor der Diagnostik oder einer Dekontamination.<br />
Krankentransport<br />
Der Transport von B-Kampfstoff-Exponierten kann nur nach<br />
erfolgter Dekontamination oder ggf. auch in ausschließlich für<br />
den Transport von nicht-dekontaminierten Personen bestimmten<br />
Fahrzeugen erfolgen. Priorität haben hier einfache Transportmittel<br />
(KTW u. ä.). Der Transport intensivpflichtiger infektiöser<br />
Patienten erscheint in der Phase der Erstversorgung beim<br />
Massenanfall von Patienten kaum realisierbar. Evakuierungsbzw.<br />
Transportprioritäten sind vorher festzulegen.<br />
Stationäre Krankenversorgung und Absonderung (Quarantäne)<br />
Handelt es sich um ansteckende Infektionskrankheiten, sind alle<br />
mutmaßlich ungeschützten B-Exponierten grundsätzlich als<br />
potentiell infiziert und somit als Ansteckungsverdächtige zu<br />
behandeln. Können Pest, Pocken und bestimmte virale hämorraghische<br />
Fieber (VHF) nicht ausgeschlossen werden, sind alle<br />
Ansteckungsverdächtigen abzusondern und medizinisch zu<br />
überwachen. Für die Behandlung einzelner schwerer Krankheitsfälle<br />
stehen spezielle Sonderisoliereinheiten in den Behandlungszentren<br />
in Hamburg, Berlin, Leipzig, Frankfurt a.M.,<br />
Würzburg, München und in Saarbrücken zur Verfügung (siehe<br />
Tab. 1).<br />
355
Bei einer größeren Zahl von Erkrankten sind behelfsmäßig<br />
Isolierstationen einzurichten. Die Unterbringung der Patienten<br />
selbst wäre in geräumten Krankenhausgebäuden und ggf. auch<br />
in Hilfskrankenhäusern („Behelfskrankenhäusern“, „Notkrankenhäusern“)<br />
möglich. Problematisch wäre jedoch, dass das für<br />
den Betrieb der Hilfskrankenhäuser notwendige Personal aus<br />
den umgebenden Krankenhäusern und aus dem niedergelassenen<br />
Bereich zusammengestellt werden müsste. Eine weitere<br />
Möglichkeit wäre die Versorgung in Sanatorien und Kurkliniken.<br />
Die notwendige personelle Aufstockung durch Fachpersonal<br />
würde die sonstige ambulante und stationäre Versorgung nicht<br />
ernsthaft gefährden. Die Nutzung abseits gelegener größerer<br />
Hotels und die Beschaffung eines zentral bereit gestellten<br />
Container-Krankenhauses mit entsprechender Ausstattung,<br />
Schleusen und Lüftungstechnik wären weitere Möglichkeiten.<br />
Den regionalen Gegebenheiten kommt hier die entscheidende<br />
Rolle zu. Mit Unterstützung der Kompetenzzentren und mit<br />
fachlicher Beratung und ggf. auch Konsiliardiensten vor Ort<br />
durch die Behandlungszentren sollte sich die stationäre Unterbringung<br />
und Versorgung in den einzelnen Regionen vorbereiten<br />
lassen. (Hinsichtlich der notwendigen Ausbildung des medizinischen<br />
Personals kommt dem in Zusammenarbeit mit dem<br />
Robert Koch-Institut an der Missionsärztlichen Klinik in Würzburg<br />
[Prof. Dr. K. Fleischer] etablierten Trainingsprogramm zum<br />
Management von Patienten mit hochkontagiösen Erkrankungen<br />
eine hohe Bedeutung zu.)<br />
Seuchenhygienisches Management und antiepidemische<br />
Maßnahmen<br />
Entscheidend bei direkt von Mensch zu Mensch übertragbaren<br />
Krankheiten ist das adäquate Management der Exponierten und<br />
Kontaktpersonen durch den Öffentlichen Gesundheitsdienst<br />
und die hierfür eingerichteten Kompetenzzentren. Zu diesem<br />
Management gehören insbesondere die Ermittlung, Klassifizierung<br />
und Beratung der Personen mit Risiko, die Festlegung und<br />
Koordination der notwendigen Maßnahmen (z. B. Dekontamination,<br />
Postexpositionsprophylaxe, Beobachtung, Absonderung)<br />
sowie die Koordinierung der Amtshilfe und die Risikokommunikation.<br />
Für die Akzeptanz dieser – im Infektionsschutzgesetz<br />
vom 20.7.2000 festgelegten – Maßnahmen seitens der Betroffenen,<br />
ihrer Darstellung in den Medien und für das Vertrauen der<br />
Bevölkerung in die Fachkompetenz der Behörden ist ein möglichst<br />
konsistentes Vorgehen in den 16 Bundesländern bzw. ca.<br />
430 Gesundheitsamtsbezirken und eine adäquate Risikokom-<br />
356
munikation erforderlich. Für diese Zwecke wurden von der zivilmilitärischen<br />
Bund-Länder-Fachgruppe Seuchenschutz folgende<br />
Hilfsmittel bzw. Formulare erarbeitet: Risikoeinteilung der<br />
Exponierten und Kontaktpersonen, Maßnahmenkataloge für die<br />
Angehörigen der verschiedenen Risikogruppen mit Empfehlungen<br />
zur Beobachtung, Absonderung, Isolierung, Tätigkeitsverboten,<br />
Postexpositionsprophylaxe etc., Aussteigekarte bzw.<br />
Verletztenanhänger mit persönlichen Angaben, Hinweisen zur<br />
Exposition (Anamnese) und zum weiteren Vorgehen nach entsprechender<br />
Sichtung. Diese Materialien können über das<br />
Internet heruntergeladen und ausgedruckt werden wie auch<br />
Leitlinien für zweckmäßige Vorgehensweisen und seuchenhygienisch<br />
erforderliche Sicherheitsmaßnahmen beim Krankentransport,<br />
der Patientenbehandlung und -pflege sowie bei der<br />
Bestattung an besonders kontagiösen und gefährlichen Infektionskrankheiten<br />
leidenden Patienten bzw. Verstorbenen.<br />
Bei Verdacht auf Vorliegen einer B-Schadenslage sind – auch<br />
unabhängig von den bestehenden gesetzlichen Meldepflichten<br />
– unbedingt die zuständigen Gesundheitsbehörden unverzüglich<br />
zu informieren und ggf. zur Abklärung des Sachverhaltes<br />
und zur Festlegung des weiteren Vorgehens sowie der<br />
notwendigen Schutzmaßnahmen hinzuziehen. Das Gesundheitsamt<br />
ist bei der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten<br />
ermächtigt, alle notwendigen Ermittlungen über Art, Ursache<br />
und Ansteckungsquelle bzw. Ausbreitung der Krankheit zu<br />
ermitteln (§ 25 IfSG). Die Betroffenen haben diese Ermittlungen<br />
zu dulden. Kranke, Krankheitsverdächtige und Ansteckungsverdächtige<br />
sowie Ausscheider können einer Beobachtung unterworfen<br />
werden (§ 29 IfSG) und ihnen kann die Ausübung einer<br />
bestimmten beruflichen Tätigkeit ganz oder teilweise untersagt<br />
werden (§ 31 IfSG). Für an Lungenpest oder an von Mensch zu<br />
Mensch übertragbarem hämorrhagischen Fieber erkrankte oder<br />
dessen verdächtige Personen ist eine Absonderung („Quarantäne“)<br />
vorgeschrieben (§ 30 IfSG). Als notwendige Schutzmaßnahmen<br />
können ausdrücklich auch Veranstaltungen oder sonstige<br />
Ansammlungen einer größeren Zahl von Menschen<br />
beschränkt oder verboten werden (§ 28 IfSG). Unerlässlich ist<br />
die Beratung der Betroffenen. – Da nicht in jedem Gesundheitsamt<br />
entsprechende Fachkompetenz für hochinfektiöse<br />
Krankheiten oder für bioterroristisch verwendete Erreger vorgehalten<br />
werden kann, sind in verschiedenen Regionen die Kompetenzzentren<br />
Infektionsschutz eingerichtet worden (Tab. 1).<br />
357
Tab. 1:<br />
358<br />
Gesetzliche Meldepflicht: zuständiges (örtliches) Gesundheitsamt<br />
Das örtliche, gemäß Infektionsschutzgesetz zuständige Gesundheitsamt muss immer verständigt werden!<br />
MANAGEMENT-BERATUNG: Kompetenzzentren Infektionsschutz1 :<br />
Frankfurt/M.: Kompetenzzentrum Hessen (ganztätig über Flugleitstelle Frankfurt am Main): (069) 44 10 33<br />
Hamburg: Fachstab Seuchenschutz (Alarmierung ganztägig über Bernhard-Nocht-Institut): (040) 42 81 80<br />
Leipzig: Kompetenzzentrum Sachsen (ganztätig über Quarantäne-Team Leipzig): (0170) 761 82 44<br />
Stuttgart: Kompetenzzentrum Baden-Württemberg im LGA Baden-Württemberg 8-16h2 : (0711) 1849-247<br />
München (städtisch:) Referat für Gesundheit und Umwelt der Stadt München (089)233-37660, -37570<br />
Robert Koch-Institut, Berlin: http://www.rki.de/INFEKT/ALARM/ALARM.HTM (01888) 754-0<br />
http://www.rki.de/GESUND/GESUND-BT.HTM<br />
BEHANDLUNG: Behandlungszentren/Sonderisoliereinheiten Infektiologie3 :<br />
Frankfurt/M.: Universitätsklinikum, Zentrum Innere Medizin, Abt. Infektiologie 24h: (069) 63 01-74 10, -7411<br />
Hamburg: Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin 24h: (040) 42 81 80<br />
Berlin: Charite, Campus Virchow-Klinikum, Med. Klinik/Infektiologie 7-16h: (030) 450 55 30 52; ab 16h: (030) 450 50<br />
Leipzig: Städtisches Klinikum St. Georg, 2. Med. Klinik (0341) 909 40 05<br />
Würzburg4 : Missionsärztliche Klinik, Tropenmedizinische Abteilung 8-16h: (0931) 791-28 21; ab 16h:(0931) 791-0<br />
München Städtisches Krankenhaus München-Schwabing (089) 3068-2620<br />
Saarbrücken Klinikum Saarbrücken, Medizinische Klinik 24 h: (0681) 963-2525 oder -2316<br />
LABORDIAGNOSTIK: nächst gelegenes L3-Labor5 : ...........................................................................................................................<br />
Virale hämorrhagische Fieber (L4):<br />
Nationales Referenzzentrum für tropische Infektionserrreger u. Konsiliarlabor für importierte Virusinfektonen Bernhard-Nocht-Institut,<br />
Hamburg 24h: (040) 428 18-0 oder -240<br />
Ebola-, Marburg-Virus (L4):, Institut für Virologie, Univ. Marburg (06421) 286-6253 oder -6254<br />
Robert Koch-Institut Berlin (L3) 24h: (01888) 754-0
Pocken: Konsiliarlabor Elektronenmikropskopische Erregerdiagnostik am RKI, Berlin: (01888)754-2337 oder (030) 4547-4<br />
Konsiliarlabor für Poxviren, Institut für Med. Mikrobiologie, LMU München (089) 21 80-2594 oder 2180-2527<br />
Botulismus: Thüringer Landesamt für Lebensmittelsicherheit u. Verbraucherschutz, Erfurt (0361) 7409-10 oder 7409-110<br />
Pest: Konsiliarlabor für Yersinia pestis, Max von Pettenkofer-Institut, München (089) 5160-5201 oder (0171) 422 60 26<br />
Robert Koch-Institut, Wernigerode (03943) 679-206 oder 679-0<br />
Institut für Mikrobiologie, Sanitätsakademie der Bundeswehr, München (089) 3168-3277 oder 3168-2805<br />
Tularämie: Konsiliarlabor für Tularämie, Sanitätsakademie der Bundeswehr, München (089) 3168-3277 oder 3168-2805<br />
Influenza: NRZ für Influenza, Niedersächsischen Landesgesundheitsamt, Hannover (0511) 45 05-201<br />
NRZ für Influenza, Robert Koch-Institut, Berlin (01888) 754-24 56 oder -2464<br />
Liste aller Nationalen Referenzzentren und weiterer Konsiliarlaboratorien: http://www.rki.de/INFEKT/NRZ/NRZ2002.PDF<br />
PROBENVERSAND: Gefahrguttransportunternehmen (Beispiele ohne Anspruch auf Vollständigkeit):.......................................................<br />
Trans-o-flex, Abt. Gefahrgut, Zentralleitung Weinheim, http://www.trans-o-flex.de/index_ie.htm (06201) 988-0 oder 988-110<br />
World Courier Deutschland GmbH, http://www.worldcourier.de/german/offices/offices.htm# (030)243 14 20 (Berlin), (040) 511 12 22<br />
1 Die Organisation und Zusammensetzung der einzelnen Kompetenzzentren ist unterschiedlich (ÖGD, Intensivmedizin, Infektiologie, Tropenmedizin, Epidemiologie, Krankenhaushygiene,<br />
Rettungsdienst/Feuerwehr, Ordnungsbehörden/Polizei, Katastrophenschutz, z.T. auch Toxikologie u.s.w.). Nicht alle Bundesländer haben ein Kompetenzzentrum Infektionsschutz für<br />
lebensbedrohende hochkontagiöse Infektionskrankheiten und biologische Großschadenslagen bzw. Katastrophenfälle eingerichtet oder entsprechende Kooperationsvereinbarungen mit<br />
dem Kompetenzzentrum eines benachbarten Bundeslandes getroffen. Primäre Partner der Kompetenzzentren sind die Behörden des ÖGD (zuständiges Gesundheitsamt) und ggf. andere<br />
Behörden bzw. Institutionen der Gefahrenabwehr. In der Regel sollte der Kontakt zu einem kooperierenden Kompetenzzentrum durch das zuständige Gesundheitsamt vermittelt werden.<br />
- Primäre Ansprechpartner des Robert Koch-Institutes sind die obersten Landesgesundheitsbehörden (§ 4 IfSG).<br />
2 außerhalb der Dienstzeiten über die örtlichen Gesundheitsämter (www.lga-bw.de/ifsg), bei deren Nichterreichbarkeit über die Polizeidienststellen erreichbar.<br />
3 Die Verlegung in ein Behandlungszentrum bzw. eine Sonderisoliereinheit sollte nur nach Rücksprache mit dem zuständigen Kompetenzzentrum bzw. mit dem aufnehmenden<br />
Krankenhaus erfolgen.<br />
4 Trainingszentrum mit Sonderisoliereinheit<br />
5 sollte rechtzeitig beim Gesundheitsamt oder den regional zuständigen Katastrophenschutzbehörden erfragt werden.<br />
359
Tab. 2:<br />
Schutzanzug<br />
INFEKTIONSSCHUTZ-SET<br />
Einmal-Overall mit Kapuze,<br />
flüssigkeitsabweisend<br />
- möglichst mit integriertem Füßling –<br />
1 Stück<br />
Kopfhaube - kann entfallen bei Overall-Kapuze - (1 Stück)<br />
Mund-Nasen-Schutz Partikelfiltrierende Halbmaske FFP3S/L/V<br />
EN 149 (mit oder ohne Ventil)<br />
1 Stück<br />
Arbeits-Schutzbrille Mit indirekter Belüftung und seitlichem<br />
Spritzschutz<br />
1 Stück<br />
Schutzhandschuhe Vinyl, extra lang,<br />
Dichtigkeit gemäß DIN EN 455-1<br />
2 Paar<br />
Schutzhandschuhe kurz, unsteril, zum schnellen Wechseln 1 Paket<br />
Überziehschuhe 2 Paar<br />
Entsorgungsbeutel Kennzeichnung: Abfallgruppe C<br />
(für die Schutzausrüstung)<br />
1 Stück<br />
Verpackung Folienschutzbeutel mit Snap-Verschluss 1 Stück<br />
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