Nationales Krisenmanagement im ... - deNIS - Bund.de
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Band 1<br />
<strong>Nationales</strong> <strong>Krisenmanagement</strong><br />
<strong>im</strong> Bevölkerungsschutz<br />
Praxis <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz<br />
1
2<br />
Impressum<br />
<strong>Nationales</strong> <strong>Krisenmanagement</strong> <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz<br />
© <strong>Bund</strong>esamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK)<br />
Provinzialstraße 93, 53127 Bonn<br />
Telefon: +49-(0)22899-550-0<br />
Telefax: +49-(0)22899-550-1620<br />
E-Mail: poststelle@bbk.bund.<strong>de</strong><br />
URL: www.bbk.bund.<strong>de</strong><br />
ISBN: 3-939347-12-4<br />
ISBN: 978-3-939347-12-5<br />
Urheberrechte:<br />
Der vorliegen<strong>de</strong> Band stellt die Meinung <strong>de</strong>r Autoren dar und spiegelt nicht<br />
grundsätzlich die Meinung <strong>de</strong>s Herausgebers.<br />
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.<br />
Eine Vervielfältigung dieses Werkes o<strong>de</strong>r von Teilen dieses Werkes ist<br />
nur in <strong>de</strong>n Grenzen <strong>de</strong>s gelten<strong>de</strong>n Urheberrechtsgesetzes erlaubt.<br />
Zitate sind bei vollständigem Quellenverweis jedoch ausdrücklich erwünscht.<br />
Grafische Gestaltung:<br />
Anna Müller, www.<strong>de</strong>signflavour.<strong>de</strong>, Hennef<br />
Druck:<br />
Werbedruck GmbH Horst Schreckhase, www.schreckhase.<strong>de</strong>, Spangenberg<br />
Auflage:<br />
10.2008 / 8.000
Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
Christoph Unger<br />
Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>esamtes für Bevölkerungsschutz<br />
und Katastrophenhilfe<br />
<strong>de</strong>r vor Ihnen liegen<strong>de</strong> erste Band <strong>de</strong>r Veröffentlichungsreihe<br />
„Praxis <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz“ <strong>de</strong>s<br />
<strong>Bund</strong>esamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe<br />
ist aus <strong>de</strong>r Intention heraus entstan<strong>de</strong>n,<br />
die vielfältigen Erfahrungen und Erkenntnisse, die in<br />
<strong>de</strong>n letzten Jahren auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
<strong>im</strong> Bevölkerungsschutz gewonnen wor<strong>de</strong>n<br />
sind, einem breiteren Fachpublikum vorzustellen.<br />
Die Publikation will über <strong>de</strong>n Stand und die absehbaren<br />
Entwicklungen auf diesem wichtigen Gebiet<br />
<strong>de</strong>r Krisenvorsorge und -bewältigung informieren<br />
und zum Nach<strong>de</strong>nken anregen. Ihr Titel „<strong>Nationales</strong><br />
<strong>Krisenmanagement</strong> <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz“ steht<br />
für die Schwerpunktsetzung <strong>de</strong>r Beiträge: Sie behan<strong>de</strong>ln<br />
hauptsächlich Aspekte <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
<strong>de</strong>r „strategischen Ebene“ – <strong>de</strong>r Ebene also, auf <strong>de</strong>r<br />
län<strong>de</strong>r- und bereichsübergreifend die Gefahrenabwehrpotentiale<br />
<strong>de</strong>s Staates zu einem funktionsfähigen<br />
Hilfeleistungssystem zusammengeführt wer<strong>de</strong>n<br />
müssen.<br />
Die Sammlung von 32 Aufsätzen spiegelt die Komplexität<br />
<strong>de</strong>s Themas aus unterschiedlichsten Perspektiven<br />
wi<strong>de</strong>r. In <strong>de</strong>n ersten bei<strong>de</strong>n Kapiteln wer<strong>de</strong>n<br />
die Grundlagen <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s <strong>im</strong> fö<strong>de</strong>ralen<br />
System <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>esrepublik aus <strong>de</strong>r Sicht von<br />
<strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>rn behan<strong>de</strong>lt. Dabei wird <strong>de</strong>utlich,<br />
dass <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong> trotz eher begrenzter Kompetenz <strong>im</strong><br />
Bevölkerungsschutz <strong>de</strong>nnoch eine wichtige Rolle<br />
spielt, wenn es darum geht, in län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong>n,<br />
national be<strong>de</strong>utsamen Gefahrenlagen alle verfügbaren<br />
Kräfte und Mittel zu bün<strong>de</strong>ln. Das ist vor<br />
allem bei <strong>de</strong>r Bewältigung großflächiger Gefahrenlagen<br />
erfor<strong>de</strong>rlich, die schnelle Entscheidungen und<br />
Prioritätensetzungen, vor allem be<strong>im</strong> Einsatz von<br />
Mangelressourcen, verlangen. Es muss jedoch betont<br />
wer<strong>de</strong>n, dass nach <strong>de</strong>r fö<strong>de</strong>ralen Ordnung unseres<br />
Grundgesetzes die Zuständigkeit für die allgemeine<br />
Gefahrenabwehr <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz bei <strong>de</strong>n<br />
<strong>Bund</strong>eslän<strong>de</strong>rn liegt. Alle sechzehn Län<strong>de</strong>r haben inzwischen<br />
min<strong>de</strong>stens einmal an einer LÜKEX-Übung<br />
teilgenommen; stellvertretend für sie bringen drei von<br />
ihnen – Ba<strong>de</strong>n-Württemberg, Hamburg und Sachsen-<br />
Anhalt – wertvolle Erfahrungen für das Verständnis<br />
<strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz in<br />
die Publikation ein. Dabei wird auch <strong>de</strong>utlich, dass<br />
bei gleicher Zielsetzung durchaus unterschiedliche<br />
Strukturen und Verfahren angewen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n können,<br />
abgest<strong>im</strong>mt auf die jeweilige Beson<strong>de</strong>rheit <strong>de</strong>s<br />
Lan<strong>de</strong>s.<br />
Die Ebene <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong>n und Ämter, <strong>de</strong>r Organisationen<br />
und Unternehmenspartner aus <strong>de</strong>r Wirtschaft<br />
ist Gegenstand <strong>de</strong>s dritten Kapitels. Auf dieser Ebene<br />
muss <strong>Krisenmanagement</strong> die Entscheidungen <strong>de</strong>s<br />
<strong>Bund</strong>es und <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r in gemeinsamer Anstrengung<br />
aller Partner in einem bun<strong>de</strong>sweiten „Netzwerk“ in<br />
die Praxis umsetzen. Das <strong>Bund</strong>esamt für Bevölkerungsschutz<br />
und Katastrophenhilfe hat nach seinem<br />
Aufgabenverständnis als zentraler Partner für die Behör<strong>de</strong>n<br />
aller Verwaltungsebenen sowie die <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz<br />
mitwirken<strong>de</strong>n Organisationen und<br />
Institutionen dabei eine beson<strong>de</strong>re Rolle. Das schlägt<br />
sich naturgemäß in <strong>de</strong>r Zahl und Art <strong>de</strong>r Beiträge nie<strong>de</strong>r.<br />
Breiter Raum ist dabei u.a. <strong>de</strong>m wichtigen Gebiet<br />
<strong>de</strong>s Schutzes kritischer Infrastrukturen gewidmet, zu<br />
<strong>de</strong>m auch vier bun<strong>de</strong>sweit agieren<strong>de</strong> Unternehmen<br />
ihre <strong>Krisenmanagement</strong>-Philosophien vorstellen.<br />
1
2<br />
Beson<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>utung für die Entwicklung <strong>de</strong>s strategischen<br />
<strong>Krisenmanagement</strong>s hat die <strong>Krisenmanagement</strong>übung<br />
LÜKEX, bei <strong>de</strong>r län<strong>de</strong>r- und ressortübergreifend<br />
das Zusammenwirken zwischen <strong>Bund</strong>,<br />
Län<strong>de</strong>rn und Privatwirtschaft anhand unterschiedlicher<br />
Szenarien geübt wird. Den Erfahrungen aus<br />
dieser Übungsserie – vor allem aus LÜKEX 2007,<br />
<strong>de</strong>r dritten Übung dieser Art – ist das abschließen<strong>de</strong><br />
vierte Kapitel <strong>de</strong>r Publikation gewidmet. LÜKEX ist<br />
das größte Übungsprojekt <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen<br />
Bevölkerungsschutzes mit übergreifen<strong>de</strong>r strategischer<br />
Zielsetzung, <strong>de</strong>ssen Zweck es u.a. ist, das Bewusstsein<br />
für die Notwendigkeit gemeinschaftlichen<br />
Han<strong>de</strong>lns zu schärfen. Denn die Zusammenarbeit in<br />
außergewöhnlichen Scha<strong>de</strong>nslagen auf strategischer<br />
Ebene kann und darf nicht erst <strong>im</strong> Ereignisfall beginnen,<br />
sie muss auf ein eingespieltes Netzwerk zurückgreifen<br />
und auf erprobten, belastbaren Strukturen<br />
und Verfahren aufbauen können. LÜKEX leistet<br />
dazu einen wichtigen Beitrag, die Erkenntnisse aus<br />
<strong>de</strong>r Übungsserie geben wichtige Impulse für die zukünftige<br />
Entwicklung.<br />
Dank gilt <strong>de</strong>n Autoren, die in ihren engagierten Namensbeiträgen<br />
die vielfältigen Herausfor<strong>de</strong>rungen<br />
aufzeigen, <strong>de</strong>nen sich mo<strong>de</strong>rne Industriegesellschaften<br />
wie Deutschland stellen müssen. Die Beiträge<br />
zeigen die Fortschritte, die be<strong>im</strong> nationalen strategischen<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz in<br />
<strong>de</strong>n letzten Jahren gemacht wor<strong>de</strong>n sind. Sie weisen<br />
zugleich <strong>de</strong>n Weg, <strong>de</strong>r in einem Kernbereich staatlicher<br />
und gesellschaftlicher Vorsorge – <strong>de</strong>r Sicherheit<br />
<strong>de</strong>r Bürgerinnen und Bürger – noch zu gehen ist. Die<br />
Publikation will <strong>de</strong>shalb auch Sie, liebe Leserinnen<br />
und Leser, dafür gewinnen, mit Ihren Erfahrungen in<br />
Ihrem Verantwortungsbereich Ihren Beitrag auf diesem<br />
Weg zu leisten.<br />
Christoph Unger<br />
Präsi<strong>de</strong>nt<br />
<strong>Bund</strong>esamt für Bevölkerungsschutz und<br />
Katastrophenhilfe
<strong>Nationales</strong> <strong>Krisenmanagement</strong> <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz<br />
Inhalt<br />
1<br />
I. Kapitel<br />
7<br />
9<br />
14<br />
18<br />
22<br />
28<br />
32<br />
38<br />
45<br />
49<br />
Editorial<br />
Christoph Unger<br />
<strong>Nationales</strong> <strong>Krisenmanagement</strong> <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz: Grundlagen,<br />
Rolle <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es, internationale Aspekte<br />
<strong>Nationales</strong> <strong>Krisenmanagement</strong>: Konzentration komplexer Fähigkeiten<br />
auf eine strategische Zielsetzung<br />
Dr. Manfred Schmidt<br />
Die Rolle <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es <strong>im</strong> nationalen <strong>Krisenmanagement</strong><br />
René Du Bois<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> bei kerntechnischen und radiologischen Ereignissen –<br />
die Rolle <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>esministeriums für Umwelt und Strahlenschutz<br />
Wolfgang Renneberg<br />
Das <strong>Krisenmanagement</strong> <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>esministeriums für Verkehr,<br />
Bau und Stadtentwicklung<br />
Robert Scholl<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> <strong>im</strong> Ernährungsbereich – wesentliche Komponente <strong>de</strong>r<br />
Daseinsvorsorge in einer Krise<br />
Dr. Dieter Schnei<strong>de</strong>r<br />
Das <strong>Krisenmanagement</strong> <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>s Gesundheitswesens<br />
Dr. Johannes Blasius / Dr. Gesa Lücking LL.M.<br />
Opt<strong>im</strong>ierung <strong>de</strong>r Zivil-Militärischen Zusammenarbeit: Das neue „Territoriale<br />
Netzwerk“ <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr<br />
Frank Baumgard<br />
Die Polizei <strong>im</strong> gesamtstaatlichen <strong>Krisenmanagement</strong><br />
Klaus Neidhardt / Ulrich Sei<strong>de</strong>l<br />
Krisen und Katastrophen außerhalb Deutschlands: Das <strong>Krisenmanagement</strong><br />
<strong>im</strong> Auswärtigen Amt<br />
Klaus Streicher<br />
Europäische Union und strategischer Bevölkerungsschutz<br />
Norbert Reez<br />
3
4<br />
II. Kapitel<br />
61<br />
66<br />
70<br />
III. Kapitel<br />
77<br />
85<br />
89<br />
94<br />
100<br />
103<br />
110<br />
113<br />
118<br />
<strong>Nationales</strong> <strong>Krisenmanagement</strong> <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz: Grundlagen und<br />
Zuständigkeiten aus Sicht <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eslän<strong>de</strong>r<br />
Ein Rä<strong>de</strong>rwerk starker Partner: <strong>Krisenmanagement</strong> in Ba<strong>de</strong>n-Württemberg<br />
Reinhard Klee<br />
Das <strong>Krisenmanagement</strong> <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Sachsen-Anhalt aus Sicht <strong>de</strong>r<br />
Gesundheitsvorsorge<br />
Dr. Gerlin<strong>de</strong> Kuppe<br />
Das <strong>Krisenmanagement</strong> <strong>de</strong>r Freien und Hansestadt Hamburg: Die Elbe ruft<br />
Holger Poser / Thomas Melchert<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz:<br />
Ein gesamtgesellschaftliches Netzwerk<br />
Die Rolle <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>esamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe<br />
<strong>im</strong> <strong>Krisenmanagement</strong><br />
Christoph Unger<br />
Fachkonzeption <strong>im</strong> <strong>Bund</strong>esamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe<br />
– wichtiger Aspekt <strong>de</strong>r Vorsorge <strong>im</strong> <strong>Krisenmanagement</strong><br />
Dr. Karsten Michael<br />
Der Schutz Kritischer Infrastrukturen – Gemeinschaftsaufgabe von Staat<br />
und Wirtschaft <strong>im</strong> Rahmen einer gesamtstaatlichen Notfallvorsorge<br />
Dr. Wolfram Geier<br />
Psychosoziales Krisen- und Katastrophenmanagement<br />
Dr. Jutta Helmerichs<br />
Das Einsatzpotential <strong>de</strong>s Technischen Hilfswerks für Katastrophenhilfe und<br />
<strong>Krisenmanagement</strong><br />
Katrin Klüber<br />
Die Hilfsorganisationen als Partner <strong>de</strong>s Staates. Ein Plädoyer für ihre Unverzichtbarkeit<br />
zum Wohl <strong>de</strong>r Bürger aus Sicht <strong>de</strong>s Malteser Hilfsdienstes<br />
Benedikt Lieflän<strong>de</strong>r<br />
IT - basierte Entscheidungsunterstützung <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz<br />
Hans-Gerrit Möws<br />
Der Schutz nationaler Informationsinfrastrukturen<br />
Stefan Ritter<br />
Der Beitrag <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bund</strong>esbank zum Nationalen <strong>Krisenmanagement</strong><br />
<strong>im</strong> Bevölkerungsschutz<br />
Karsten Salzburg
121<br />
124<br />
127<br />
IV. Kapitel<br />
131<br />
139<br />
145<br />
154<br />
157<br />
167<br />
172<br />
179<br />
183<br />
<strong>Krisenmanagement</strong>planung <strong>de</strong>r Deutsche Bahn AG<br />
Burkhard Arnold<br />
Das <strong>Krisenmanagement</strong>system <strong>de</strong>r EnBw Energie Ba<strong>de</strong>n-Württemberg AG<br />
Dr.-Ing. Wolf-Dieter Erhard<br />
Pan<strong>de</strong>mie – eine globale Herausfor<strong>de</strong>rung.<br />
Erfahrungen <strong>im</strong> <strong>Krisenmanagement</strong> aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>s Unternehmens IBM<br />
Lars Gielg<br />
Das System LÜKEX: Strategisches Forum <strong>de</strong>s nationalen<br />
<strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
Das System LÜKEX als Motor <strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>s strategischen<br />
<strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
Manfred Klink / Tanja Thie<strong>de</strong><br />
<strong>Krisenmanagement</strong> ist Chefsache.<br />
Sechs Grundregeln für Krisenmanager<br />
Dietrich Läpke<br />
Die strategische Be<strong>de</strong>utung von Krisenkommunikation<br />
Werner Baach / Ralf Burmeister<br />
Sozialwissenschaftliche Aspekte <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
in Übung und Einsatz<br />
Prof. Dr. Wolf R. Dombrowsky / Dipl. Psych. Horst Schuh<br />
LÜKEX 2007: Wichtige Erkenntnisse für strategisches <strong>Krisenmanagement</strong><br />
und nationale Pan<strong>de</strong>mieplanung<br />
Botho von Schrenk / Wolfgang Grambs<br />
Informationstechnologie <strong>im</strong> <strong>Krisenmanagement</strong>.<br />
Der Einsatz von <strong><strong>de</strong>NIS</strong> IIplus bei LÜKEX 2007<br />
Bernhard Corr<br />
Zukunftsperspektiven <strong>de</strong>s nationalen <strong>Krisenmanagement</strong>s <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz<br />
Wolfgang Grambs / Tanja Thie<strong>de</strong><br />
Abkürzungsverzeichnis<br />
Bildnachweis<br />
5
8<br />
I. Kapitel<br />
<strong>Nationales</strong> <strong>Krisenmanagement</strong><br />
<strong>im</strong> Bevölkerungsschutz:<br />
Grundlagen, Rolle <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es,<br />
internationale Aspekte<br />
„Die Bürgerinnen und Bürger vor Gefahren<br />
zu schützen und für ihre Sicherheit Sorge<br />
zu tragen, ist eine <strong>de</strong>r wichtigsten Aufgaben<br />
<strong>de</strong>s Staates.“<br />
Dr. Manfred Schmidt, Leiter <strong>de</strong>r Abteilung <strong>Krisenmanagement</strong><br />
und Bevölkerungsschutz <strong>im</strong> <strong>Bund</strong>esministerium <strong>de</strong>s Innern
<strong>Nationales</strong> <strong>Krisenmanagement</strong>: Konzentration<br />
komplexer Fähigkeiten auf eine strategische<br />
Zielsetzung<br />
Dr. Manfred Schmidt<br />
Die Bürgerinnen und Bürger vor Gefahren zu schützen<br />
und für ihre Sicherheit Sorge zu tragen, ist eine<br />
<strong>de</strong>r wichtigsten Aufgaben <strong>de</strong>s Staates. Auch wenn<br />
nach <strong>de</strong>r fö<strong>de</strong>ralen Ordnung unseres Grundgesetzes<br />
die allgemeine Gefahrenabwehr Sache <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r ist<br />
und <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong> <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz eine eher begrenzte<br />
Kompetenz hat, trägt er <strong>de</strong>nnoch große Verantwortung<br />
be<strong>im</strong> strategischen <strong>Krisenmanagement</strong>.<br />
Durch sein Engagement sollen in län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong>n<br />
nationalen Gefahrenlagen die staatlichen und<br />
gesellschaftlichen Ressourcen opt<strong>im</strong>al zur Krisenbewältigung<br />
zusammengeführt und eingesetzt wer<strong>de</strong>n.<br />
Mit <strong>de</strong>r Einrichtung <strong>de</strong>r Abteilung „<strong>Krisenmanagement</strong><br />
und Bevölkerungsschutz“ <strong>im</strong> <strong>Bund</strong>esministerium<br />
<strong>de</strong>s Innern wird das strategische <strong>Krisenmanagement</strong><br />
innerhalb <strong>de</strong>s Hauses BMI nunmehr auch<br />
organisatorisch als notwendiger Pfeiler einer mo<strong>de</strong>rnen<br />
Sicherheitsarchitektur hervorgehoben. In meiner<br />
Abteilung sind daher eine Vielzahl verschie<strong>de</strong>nster<br />
Aufgaben <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s und <strong>de</strong>s Bevölkerungsschutzes<br />
konzentriert. Das betrifft nicht nur das<br />
Koordinierungszentrum <strong>Krisenmanagement</strong> und das<br />
Lagezentrum <strong>de</strong>s BMI, son<strong>de</strong>rn auch die Fachaufsicht<br />
über <strong>Bund</strong>esamt für Bevölkerungsschutz und<br />
Katastrophenhilfe (BBK) und Technisches Hilfswerk<br />
(THW) sowie die Koordination <strong>de</strong>s Schutzes Kritischer<br />
Infrastrukturen.<br />
In vielfältigen Gremien werbe ich dafür, ein einheitliches<br />
Verständnis für die Bewältigung national be<strong>de</strong>utsamer<br />
Lagen zu entwickeln. <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>r<br />
haben sich in verschie<strong>de</strong>nen Fachgremien auf ebenenübergreifen<strong>de</strong><br />
Verfahren einer Krisenbewältigung<br />
verständigt. Ich erinnere an die „Neue Strategie zum<br />
Schutz <strong>de</strong>r Bevölkerung“, die von <strong>de</strong>r Innenministerkonferenz<br />
beschlossen wur<strong>de</strong>. Im Ressortkreis <strong>Nationales</strong><br />
<strong>Krisenmanagement</strong> fin<strong>de</strong>t die Abst<strong>im</strong>mung<br />
<strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>esressorts zu Strukturen, Verfahren und<br />
Ministerialdirektor<br />
Dr. Manfred Schmidt, Leiter<br />
<strong>de</strong>r Abteilung „<strong>Krisenmanagement</strong><br />
und Bevölkerungsschutz“<br />
<strong>im</strong> BMI<br />
benötigten Fähigkeiten statt. Im strategischen Beirat<br />
für <strong>de</strong>n Zivil- und Katastrophenschutz wer<strong>de</strong>n durch<br />
das BMI die Hilfsorganisationen und <strong>de</strong>r Deutsche<br />
Feuerwehrverband in die strategischen-operativen<br />
Überlegungen <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es und <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r zur Reorganisation<br />
<strong>de</strong>r nationalen Notfallvorsorgesysteme<br />
eingebun<strong>de</strong>n. Über die Schutzkommission be<strong>im</strong><br />
<strong>Bund</strong>esminister <strong>de</strong>s Innern und die Einbindung in<br />
eine Reihe von Forschungsprojekten stellen wir eine<br />
enge Verbindung mit <strong>de</strong>r Wissenschaft sicher. Durch<br />
gemeinsame Aktivitäten zum Schutz kritischer Infrastrukturen<br />
und die Einbeziehung in ressort- und<br />
län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong> <strong>Krisenmanagement</strong>übungen soll<br />
ein gemeinsames Verständnis und eine Verbesserung<br />
<strong>de</strong>r Zusammenarbeit zur Krisenbewältigung erreicht<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Opt<strong>im</strong>ierung <strong>de</strong>s staatlichen Krisen-<br />
managements ermöglicht die Konzentrati-<br />
on komplexer Fähigkeiten auf eine strate-<br />
gische Zielsetzung und die synergetische<br />
Ergänzung <strong>im</strong> Han<strong>de</strong>ln.<br />
Flexible Handlungsfähigkeit, unabhängig von einem<br />
konkreten Szenario, soll das opt<strong>im</strong>ierte <strong>Krisenmanagement</strong><br />
kennzeichnen. Nur so ist es möglich, <strong>de</strong>n bestehen<strong>de</strong>n<br />
und künftigen Herausfor<strong>de</strong>rungen gerecht<br />
zu wer<strong>de</strong>n.<br />
7
8<br />
In <strong>de</strong>n letzten Jahren wur<strong>de</strong>n neue Formen und Zentren<br />
<strong>de</strong>r Zusammenarbeit zwischen <strong>de</strong>m <strong>Bund</strong> und<br />
<strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn entwickelt, die sicherstellen, dass wir <strong>im</strong><br />
Rahmen unserer fö<strong>de</strong>ralen Struktur noch flexibeler<br />
agieren können. So wird u.a. <strong>im</strong> Marit<strong>im</strong>en Sicherheitszentrum,<br />
<strong>im</strong> Gemeinsamen Lagezentrum von<br />
<strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s BBK, <strong>im</strong> Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum<br />
o<strong>de</strong>r <strong>im</strong> Nationalen Lage- und<br />
Führungszentrum für Sicherheit <strong>im</strong> Luftraum ressort-<br />
o<strong>de</strong>r/und län<strong>de</strong>rübergreifend zusammengearbeitet.<br />
Daneben haben wir auch für die ressortgemeinsame<br />
Krisenbewältigung Strukturen geschaffen. So hat<br />
sich das <strong>Bund</strong>esministerium <strong>de</strong>s Innern sowohl mit<br />
<strong>de</strong>m <strong>Bund</strong>esministerium für Gesundheit als auch<br />
<strong>de</strong>m <strong>Bund</strong>esministerium für Umwelt auf die Bildung<br />
gemeinsamer Krisenstäbe für best<strong>im</strong>mte Lagen verständigt.<br />
Neben <strong>de</strong>r weiteren Verbesserung unserer Handlungsfähigkeit<br />
in nationalen Gefahren- o<strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>nslagen<br />
halte ich es für wichtig, auch die Fähigkeiten zur<br />
internationalen Hilfeleistung weiterzuentwickeln, um<br />
z.B. innerhalb <strong>de</strong>s EU-Gemeinschaftsverfahrens unseren<br />
Verpflichtungen nachkommen zu können.<br />
Beson<strong>de</strong>re Gefährdung bei<br />
großen Menschenansammlungen:<br />
Public Viewing während<br />
<strong>de</strong>r Fußball WM 2006<br />
auf <strong>de</strong>m Heiligengeistfeld in<br />
Hamburg<br />
Schutz und Hilfe – Opfer kann je<strong>de</strong>r sein<br />
Es gilt, diesen Weg <strong>de</strong>r kooperativen Zusammenarbeit<br />
mit allen Akteuren <strong>im</strong> <strong>Krisenmanagement</strong> weiterzugehen.<br />
Wir wer<strong>de</strong>n durch entsprechen<strong>de</strong> Ausbildungsangebote<br />
<strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie für <strong>Krisenmanagement</strong>,<br />
Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ), durch die<br />
Bereitstellung und Fortentwicklung ebenenübergreifen<strong>de</strong>r<br />
Informationstechnologien und durch strategische<br />
<strong>Krisenmanagement</strong>übungen unseren Beitrag für<br />
die Opt<strong>im</strong>ierung <strong>de</strong>s län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong>n und ressortgemeinsamen<br />
<strong>Krisenmanagement</strong>s leisten.<br />
Zum Autor: Ministerialdirektor Dr. Manfred Schmidt ist Leiter <strong>de</strong>r Abteilung „<strong>Krisenmanagement</strong> und Bevölkerungsschutz“ <strong>im</strong><br />
<strong>Bund</strong>esministerium <strong>de</strong>s Innern, Berlin.
Die Rolle <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es <strong>im</strong> nationalen <strong>Krisenmanagement</strong><br />
René Du Bois<br />
In <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>esrepublik Deutschland hat sich zur Bewältigung<br />
außergewöhnlicher Gefahren- o<strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>nslagen<br />
<strong>im</strong> Inland ein leistungsfähiges Hilfeleistungssystem<br />
entwickelt. Im Rahmen <strong>de</strong>s durch die<br />
Län<strong>de</strong>r getragenen Katastrophenschutzes sollen die<br />
durch Naturkatastrophen, Industrieunfälle, Seuchen<br />
und auch durch Gefahren <strong>de</strong>s internationalen Terrorismus<br />
entstehen<strong>de</strong>n Lagen bewältigt wer<strong>de</strong>n. Der<br />
<strong>Bund</strong> unterstützt hierbei die Län<strong>de</strong>r bei beson<strong>de</strong>rs<br />
großflächigen Scha<strong>de</strong>nslagen o<strong>de</strong>r solchen von nationaler<br />
Be<strong>de</strong>utung in vielfältiger Weise, so zum Beispiel<br />
durch Information, Beratung und Bereitstellung<br />
von Ressourcen.<br />
Die Terroranschläge vom 11. September 2001 in <strong>de</strong>n<br />
USA und das Elbehochwasser <strong>im</strong> August 2002 offenbarten<br />
eine neue D<strong>im</strong>ension <strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>nsszenarien,<br />
vor <strong>de</strong>ren Hintergrund eine Revision <strong>de</strong>s bisherigen<br />
Zivil- und Katastrophenschutzes unumgänglich war.<br />
Die Ständige Konferenz <strong>de</strong>r Innenminister und -senatoren<br />
<strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r (IMK) beschloss <strong>de</strong>shalb am 8.<br />
November 2001, die Leistungsfähigkeit <strong>de</strong>s Hilfeleistungssystems<br />
in Deutschland kritisch zu überprüfen.<br />
Im Rahmen <strong>de</strong>r „Neuen Strategie zum Schutz <strong>de</strong>r Bevölkerung“<br />
wur<strong>de</strong>n die bestehen<strong>de</strong>n Systeme zur Bewältigung<br />
von Scha<strong>de</strong>nslagen durch <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>r<br />
fortentwickelt. In diesem Zusammenhang wur<strong>de</strong>n<br />
eine Reihe von neuen Kooperationsverfahren vereinbart.<br />
So wur<strong>de</strong> <strong>im</strong> <strong>Bund</strong>esamt für Bevölkerungsschutz<br />
und Katastrophenhilfe (BBK) ein gemeinsames Lagezentrum<br />
von <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>rn eingerichtet. Zur<br />
Vereinheitlichung <strong>de</strong>r Führungsstrukturen auf <strong>de</strong>n<br />
unterschiedlichen Ebenen <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s in<br />
<strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn haben diese sich darauf verständigt, <strong>im</strong><br />
Rahmen eines Gesamtführungssystems (unter Beachtung<br />
<strong>de</strong>r län<strong>de</strong>rspezifischen Beson<strong>de</strong>rheiten) auf vereinheitlichen<strong>de</strong>n<br />
Grundsatzempfehlungen zurückzugreifen.<br />
In diesem Zusammenhang wur<strong>de</strong> auch das<br />
Konzept für eine bun<strong>de</strong>sweite län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong><br />
Katastrophenhilfe aktualisiert und zwischen <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn<br />
vereinbart.<br />
Schematische Darstellung <strong>de</strong>s Konzepts für eine bun<strong>de</strong>sweite län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong> Katastrophenhilfe<br />
9
10<br />
Eine Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Verfassung, die <strong>de</strong>m <strong>Bund</strong> neben<br />
seiner Zuständigkeit für <strong>de</strong>n Zivilschutz auch<br />
Aufgaben <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz zuweist, haben<br />
die Län<strong>de</strong>r bislang jedoch abgelehnt. Eine län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong><br />
Koordination <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
bei nationalen Lagen ist somit nur <strong>im</strong> Einvernehmen<br />
mit <strong>de</strong>n betroffenen Län<strong>de</strong>rn möglich. Angesichts<br />
von Gefahren wie die Bedrohung durch <strong>de</strong>n internationalen<br />
Terrorismus, die Proliferation von Massenvernichtungswaffen,<br />
das Auftreten von Seuchen und<br />
Pan<strong>de</strong>mien, zivilisatorisch bedingte Scha<strong>de</strong>nslagen<br />
und die Zunahme von natürlichen Gefahren (Kl<strong>im</strong>awan<strong>de</strong>l)<br />
stellt sich jedoch die Frage, ob die bestehen<strong>de</strong><br />
Aufgabenzuweisungen an <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />
umfassen<strong>de</strong>n Präventions- und Bewältigungsanfor<strong>de</strong>rungen<br />
noch ausreichend gerecht wer<strong>de</strong>n können.<br />
Bei län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong>n, nationalen Gefahren- o<strong>de</strong>r<br />
Scha<strong>de</strong>nslagen besteht die Notwendigkeit, eine Vielzahl<br />
von unterschiedlichen Führungs- und Kommunikationsstrukturen<br />
<strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es und <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r zu<br />
einem einheitlichen <strong>Krisenmanagement</strong> zusammenzuführen.<br />
Ressort- und län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong> Koordination <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
Um die aktuellen und künftigen Heraus-<br />
for<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s nationalen Krisenmana-<br />
gements meistern zu können, ist es unab-<br />
dingbar die Ziele, Prozesse und Strukturen<br />
sowie die Fähigkeiten und Mittel aller<br />
relevanten Akteure bewusst miteinan<strong>de</strong>r<br />
zu vernetzen. Diese Aufgabe kann in nati-<br />
onal be<strong>de</strong>utsamen Lagen nur durch eine<br />
ressort- und län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong> Koordi-<br />
nation <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s auf Bun-<br />
<strong>de</strong>sebene bewältigt wer<strong>de</strong>n.<br />
Die <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r Nachbereitung <strong>de</strong>s Reaktorunglücks<br />
von Tschernobyl <strong>im</strong> Jahr 1988 von <strong>Bund</strong> und<br />
Län<strong>de</strong>rn zur Bewältigung von großflächigen nationalen<br />
Gefährdungslagen als ressort- und län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong>s<br />
Gremium geschaffene Interministerielle<br />
Koordinierungsgruppe (IntMinKoGr) kann diese<br />
komplexe Aufgabe während einer Gefahren- o<strong>de</strong>r<br />
Scha<strong>de</strong>nslage jedoch nicht bewältigen. Aufgabe <strong>de</strong>s<br />
Gremiums ist es, eine abgest<strong>im</strong>mte Koordination <strong>de</strong>r<br />
Entscheidungsfindung <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>esressorts und die<br />
Beratung und Unterstützung <strong>de</strong>r betroffenen Län<strong>de</strong>r<br />
vorzunehmen. Die jeweiligen Län<strong>de</strong>r- und Ressortzuständigkeiten<br />
bleiben dabei unberührt. Mit dieser<br />
Ausrichtung kann die Interministerielle Koordinierungsgruppe<br />
insbeson<strong>de</strong>re bei <strong>de</strong>r Nachbereitung<br />
<strong>de</strong>r Lagebewältigung o<strong>de</strong>r in Langzeitlagen einen<br />
wichtigen Beitrag zur Koordination sowie zur Vorbereitung<br />
von Entscheidungen leisten.<br />
In diesem Sinne soll das nationale <strong>Krisenmanagement</strong><br />
die Konzentration komplexer Fähigkeiten auf<br />
eine strategische Zielsetzung und die synergetische<br />
Ergänzung <strong>im</strong> Han<strong>de</strong>ln ermöglichen. Die dazu notwendigen<br />
strukturellen Vorkehrungen wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n<br />
letzten Jahren durch die <strong>Bund</strong>esressorts getroffen.<br />
Die <strong>Bund</strong>esregierung hat sich in <strong>de</strong>r Kabinettssitzung<br />
am 22. August 2007 durch einen Bericht <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>esministeriums<br />
<strong>de</strong>s Innern zum Sachstand <strong>de</strong>s nationalen<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> unterrichten lassen und<br />
zugleich <strong>de</strong>r Neuausrichtung <strong>de</strong>r Aufgaben und <strong>de</strong>r<br />
Rolle <strong>de</strong>r Interministeriellen Koordinierungsgruppe<br />
<strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es und <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r zugest<strong>im</strong>mt.<br />
Für das <strong>Krisenmanagement</strong> auf <strong>Bund</strong>esebene ist in<br />
Abhängigkeit von <strong>de</strong>r konkreten Gefahren- o<strong>de</strong>r<br />
Scha<strong>de</strong>nslage das jeweils fachlich überwiegend zuständige<br />
Ressort fe<strong>de</strong>rführend. Eine beson<strong>de</strong>re Rolle<br />
<strong>im</strong> <strong>Krisenmanagement</strong> <strong>im</strong> Inland n<strong>im</strong>mt das <strong>Bund</strong>esministerium<br />
<strong>de</strong>s Innern (BMI) ein. Bei schwerwiegen<strong>de</strong>n<br />
Gefahren für die Innere Sicherheit wird hier
Strukturen <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
<strong>de</strong>r Krisenstab aufgerufen. Der Krisenstab übern<strong>im</strong>mt<br />
die Koordinierung <strong>im</strong> <strong>Bund</strong> sowie die Abst<strong>im</strong>mung<br />
mit <strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r Gefahren- o<strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>nslage betroffenen<br />
Län<strong>de</strong>rn. Darüber hinaus wer<strong>de</strong>n bei Bedarf<br />
weitere Akteure in <strong>de</strong>n Krisenstab eingebun<strong>de</strong>n. Das<br />
Zusammenwirken von Krisenstäben unterschiedlicher<br />
Ebenen zur Bewältigung von Gefahren- o<strong>de</strong>r<br />
Scha<strong>de</strong>nslagen wird über <strong>de</strong>n Austausch von Verbindungspersonen<br />
bzw. über technische Medien (Telefon-<br />
und Vi<strong>de</strong>okonferenzen) gewährleistet.<br />
Die Komplexität nationaler Lagen erfor<strong>de</strong>rt anstelle<br />
<strong>de</strong>r bisherigen szenarienbasierten Planungsansätze,<br />
die <strong>im</strong>mer nur eine Teilmenge <strong>de</strong>r Wirkungen <strong>im</strong><br />
Blick haben konnten, einen vernetzten fähigkeitsorientierten<br />
Handlungsansatz, <strong>de</strong>r flexibel auf die nicht<br />
vorhersehbaren Wirkungsverkettungen reagieren<br />
kann. Die zwischen <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>rn vereinbarten<br />
Strukturen und Verfahren <strong>im</strong> <strong>Krisenmanagement</strong> sollen<br />
diesen Anfor<strong>de</strong>rungen Rechnung tragen.<br />
Durch die Bildung ressortgemeinsamer<br />
Krisenstäbe wer<strong>de</strong>n ressortspezifische<br />
Interessen gebün<strong>de</strong>lt und ein einheitlicher<br />
ressortübergreifen<strong>de</strong>r Ansatz <strong>de</strong>r Krisenbe-<br />
wältigung gewählt, <strong>de</strong>r die Möglichkeiten<br />
einräumt, alle vorhan<strong>de</strong>nen Handlungsop-<br />
tionen ergänzend auszunutzen.<br />
So hat sich das <strong>Bund</strong>esministerium <strong>de</strong>s Innern mit<br />
<strong>de</strong>m <strong>Bund</strong>esministerium für Umwelt, Naturschutz<br />
und Reaktorsicherheit <strong>im</strong> Falle von gravieren<strong>de</strong>n<br />
Gefahren- o<strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>nslagen durch Straftaten mit<br />
radioaktiven Stoffen sowie mit <strong>de</strong>m <strong>Bund</strong>esministerium<br />
für Gesundheit <strong>im</strong> Falle einer Pan<strong>de</strong>mie o<strong>de</strong>r<br />
bei Bio-Terrorismus darauf verständigt, gemeinsame<br />
Krisenstäbe nach <strong>de</strong>m Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>s Krisenstabes BMI<br />
zu bil<strong>de</strong>n.<br />
11
12<br />
Die Rolle <strong>de</strong>r Interministeriellen Koordinierungsgruppe<br />
<strong>im</strong> System <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s wur<strong>de</strong><br />
gemeinsam von <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>rn dahingehend<br />
präzisiert, dass sie künftig eine wichtige Ergänzungsfunktion<br />
für das Zusammenwirken <strong>de</strong>r Krisenstäbe<br />
von <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>rn in wenigen beson<strong>de</strong>ren, lang<br />
anhalten<strong>de</strong>n, län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong>n Gefahren- o<strong>de</strong>r<br />
Scha<strong>de</strong>nslagen – z.B. Unfälle in Kernkraftwerken<br />
<strong>im</strong> In- und Ausland, Pan<strong>de</strong>mien, Naturkatastrophen<br />
erheblichen Ausmaßes – wahrnehmen kann. Ihre<br />
Aufgabe wird darin bestehen, in Fällen eines erhöhten<br />
Abst<strong>im</strong>mungs- und Beratungsbedarfs Entscheidungsvorschläge<br />
für die Krisenstäbe zu erarbeiten.<br />
Im <strong>Bund</strong>esministerium <strong>de</strong>s Innern wur<strong>de</strong>n Vorkehrungen<br />
getroffen, um in kurzer Zeit die räumlichen<br />
und organisatorischen Voraussetzungen für die Arbeitsfähigkeit<br />
<strong>de</strong>r Interministeriellen Koordinierungsgruppe<br />
zu schaffen.<br />
Der Ressortkreis „<strong>Nationales</strong> <strong>Krisenmanagement</strong>“<br />
unter Fe<strong>de</strong>rführung <strong>de</strong>s BMI bietet die Plattform für<br />
die Ressortabst<strong>im</strong>mung zu konzeptionellen, organisatorischen<br />
und verfahrensmäßigen Themen <strong>de</strong>s<br />
<strong>Krisenmanagement</strong>s. In diesem Gremium fin<strong>de</strong>n die<br />
LÜKEX 2007: Verbindungspersonal <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es und <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r<br />
<strong>im</strong> gemeinsamen Krisenstab von BMI und BMG in Berlin<br />
Koordination <strong>de</strong>s interministeriellen Zusammenwirkens,<br />
die Information und Abst<strong>im</strong>mung zu aktuellen<br />
Fachplanungen, die gemeinsame Erstellung von<br />
Grundsatzunterlagen (z.B. Auskunftsunterlage <strong>Krisenmanagement</strong><br />
<strong>de</strong>r Ressorts <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>esregierung,<br />
Fähigkeitsübersicht <strong>im</strong> <strong>Krisenmanagement</strong>) und eine<br />
anlassbezogene Koordinierung statt.<br />
Seit <strong>de</strong>m Jahr 2004 wird das System <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
zwischen <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>rn durch ressort-<br />
und län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong> <strong>Krisenmanagement</strong>übungen<br />
(LÜKEX) und Planbesprechungen <strong>de</strong>r Interministeriellen<br />
Koordinierungsgruppe beübt. In die Übungsserie<br />
LÜKEX wer<strong>de</strong>n neben <strong>de</strong>n Krisenstäben verschie<strong>de</strong>ner<br />
Verwaltungsebenen (<strong>Bund</strong>esressorts, Län<strong>de</strong>r,<br />
Regierungspräsidien und Landkreise) je nach Szenarienschwerpunkt<br />
auch Unternehmen <strong>de</strong>r Wirtschaft,<br />
Verbän<strong>de</strong> und Hilfsorganisationen einbezogen. Neben<br />
<strong>de</strong>r Erprobung <strong>de</strong>r Strukturen und Verfahren <strong>de</strong>s<br />
<strong>Krisenmanagement</strong>s besteht ein wesentliches Ziel <strong>de</strong>r<br />
Übungsserie darin, anhand <strong>de</strong>s gewählten Szenarios<br />
die Planungen <strong>de</strong>r Akteure zu harmonisieren und<br />
Impulse für eine weitere Opt<strong>im</strong>ierung zu geben.<br />
Mit <strong>de</strong>r Übung LÜKEX 2007 Anfang November 2007<br />
haben nunmehr alle 16 <strong>Bund</strong>eslän<strong>de</strong>r gemeinsam mit<br />
<strong>de</strong>m <strong>Bund</strong> die abgest<strong>im</strong>mte Bewältigung nationaler<br />
Lagen erprobt und zugleich die jeweils eigene Struktur<br />
auf ein Zusammenwirken ausgerichtet. <strong>Bund</strong> und<br />
Län<strong>de</strong>r haben sich darauf verständigt, diese Übungsserie<br />
auch künftig in einem zweijährigen Rhythmus<br />
fortzuführen<br />
Das inzwischen geschaffene System <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
von <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>rn ist geeignet, <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen<br />
zur Koordinierung <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>esressorts<br />
und <strong>Bund</strong>eslän<strong>de</strong>rn während einer nationalen Krise<br />
<strong>im</strong> fö<strong>de</strong>ralen System gerecht zu wer<strong>de</strong>n. Es setzt jedoch<br />
voraus, dass sich alle am <strong>Krisenmanagement</strong><br />
beteiligten Akteure abgest<strong>im</strong>mt aufeinan<strong>de</strong>r und in<br />
Bezug auf die Bewältigung <strong>de</strong>r Gesamtlage harmonisch<br />
und gegenseitig unterstützend verhalten.
Darstellung eines gemeinsamen Krisenstabes, hier gebil<strong>de</strong>t aus BMG und BMI<br />
Raumaufteilung <strong>im</strong> Krisenstab <strong>im</strong> BMI – hier: Raumplan für die Interministerielle Koordinierungsgruppe von <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>rn<br />
Zum Autor: René Du Bois leitet das für Grundsatzfragen <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s zuständige Referat KM 1 in <strong>de</strong>r Abteilung<br />
„<strong>Krisenmanagement</strong> und Bevölkerungsschutz“ <strong>im</strong> <strong>Bund</strong>esministerium <strong>de</strong>s Innern, Berlin.<br />
13
14<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> bei kerntechnischen und radiologischen<br />
Ereignissen – die Rolle <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>esministeriums<br />
für Umwelt und Strahlenschutz<br />
Wolfgang Renneberg<br />
Gesetzliche Grundlage: Das Strahlenschutzvorsorgegesetz<br />
Der Unglückreaktor von Tschernobyl <strong>im</strong> Beton-Sarkophag<br />
Aber auch bei einem radiologischen Ereignis <strong>im</strong> Inland<br />
mit katastrophalen Auswirkungen, bei <strong>de</strong>m die<br />
jeweiligen Katastrophenschutzbehör<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r<br />
<strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r Gefahrenabwehr zuständig sind und<br />
tätig wer<strong>de</strong>n, ist das BMU nach <strong>de</strong>m Strahlenschutzvorsorgegesetz<br />
über die lokalen Katastrophenschutzmaßnahmen<br />
hinaus <strong>im</strong> weiteren Umfeld für Maßnahmen<br />
<strong>de</strong>r Strahlenschutzvorsorge zuständig. Diese<br />
fö<strong>de</strong>ral bedingte Zuständigkeitsregelung erfor<strong>de</strong>rt<br />
ein hohes Maß an Abst<strong>im</strong>mung zwischen <strong>de</strong>n lokalen<br />
Behör<strong>de</strong>n am Ort <strong>de</strong>s Geschehens und <strong>de</strong>r Strahlenschutzvorsorgebehör<strong>de</strong><br />
(BMU) auf <strong>Bund</strong>esebene.<br />
Kurz nach <strong>de</strong>r Reaktorkatastrophe von Tschernobyl am 26. April 1986 wur<strong>de</strong><br />
das <strong>Bund</strong>esministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU)<br />
gegrün<strong>de</strong>t, um die zuvor auf verschie<strong>de</strong>ne Ressorts verteilten Zuständigkeiten<br />
<strong>de</strong>r Umweltpolitik zu bün<strong>de</strong>ln. Im selben Jahr wur<strong>de</strong> unter <strong>de</strong>m Eindruck <strong>de</strong>r<br />
Auswirkungen dieser Katastrophe auf Deutschland und <strong>de</strong>r Erkenntnisse bei <strong>de</strong>r<br />
Bewältigung <strong>de</strong>r Krise das Strahlenschutzvorsorgegesetz verabschie<strong>de</strong>t, das <strong>de</strong>m<br />
BMU ein<strong>de</strong>utige Kompetenzen für das <strong>Krisenmanagement</strong> bei Ereignissen mit<br />
großräumigen, län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong>n radiologischen Auswirkungen einräumt.<br />
Dazu gehören insbeson<strong>de</strong>re die Empfehlungen von Vorsorgemaßnahmen zum<br />
Schutz <strong>de</strong>r Bevölkerung und die Festlegung von einheitlichen Dosis- und Kontaminationsgrenzwerten<br />
bei Ereignissen, <strong>de</strong>ren radiologische Auswirkungen unterhalb<br />
<strong>de</strong>r Gefahrenschwelle liegen.<br />
Die Zuständigkeit <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r für <strong>de</strong>n Katastrophenschutz<br />
wird dadurch nicht berührt. Die Gefahrenabwehr<br />
ist nach Artikel 70 Grundgesetz Aufgabe <strong>de</strong>r<br />
Län<strong>de</strong>r, die hierzu Katastrophenschutzgesetze erlassen<br />
und entsprechen<strong>de</strong> organisatorische Vorkehrungen<br />
für die Umsetzung getroffen haben. Für Fälle<br />
<strong>de</strong>s nuklearen Katastrophenschutzes wur<strong>de</strong>n jedoch<br />
vom BMU mit <strong>de</strong>n „Rahmenempfehlungen für <strong>de</strong>n<br />
Katastrophenschutz“ die speziellen Anfor<strong>de</strong>rungen<br />
festgelegt, die für die beson<strong>de</strong>re und vor allem einheitliche<br />
Katastrophenschutzplanung <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r für<br />
einen radiologischen o<strong>de</strong>r kerntechnischen Unfall erfor<strong>de</strong>rlich<br />
sind.<br />
Während die lokalen Katastrophenschutzbehör<strong>de</strong>n<br />
die Aufgabe haben, unmittelbare Schä<strong>de</strong>n – insbeson<strong>de</strong>re<br />
Strahlenschä<strong>de</strong>n durch hohe Strahlendosen<br />
– für die betroffene Bevölkerung zu verhin<strong>de</strong>rn, hat<br />
das BMU neben <strong>de</strong>n o. g. Befugnissen <strong>im</strong> Wesentlichen<br />
die Aufgabe, durch Empfehlungen von einheitlichen<br />
Verhaltensmaßnahmen für die Bevölkerung<br />
sowie für <strong>de</strong>n landwirtschaftlichen Bereich dafür zu<br />
sorgen, dass die Beeinträchtigungen durch <strong>de</strong>n Eintrag<br />
radioaktiver Stoffe in die Umwelt und damit die<br />
mittelbare Strahlenbelastung <strong>de</strong>r großräumig betroffenen<br />
Bevölkerung möglichst gering sind.
<strong>Krisenmanagement</strong> <strong>im</strong> BMU – lagebezogene Stabsorganisation<br />
Vor diesem Hintergrund hat das BMU eine beson<strong>de</strong>re<br />
Organisation aufgebaut, um bei radiologischen<br />
Notstandssituationen, Unfällen, Störfällen o<strong>de</strong>r sonstigen<br />
kerntechnisch be<strong>de</strong>utsamen Ereignissen mit<br />
radiologischen Auswirkungen unterhalb <strong>de</strong>r Gefahrenschwelle<br />
alle notwendigen Maßnahmen zum<br />
Schutz <strong>de</strong>r Bevölkerung einleiten zu können. Diese<br />
Stabsorganisation <strong>im</strong> BMU wird in einem Ereignisfall<br />
lageangepasst aufgebaut und ist unmittelbar <strong>de</strong>r<br />
Hausleitung unterstellt. Ihre Hauptaufgaben sind die<br />
Lagebewertung, die Erarbeitung von Entscheidungen<br />
über entsprechen<strong>de</strong> Vorsorgemaßnahmen, die Abst<strong>im</strong>mung<br />
mit an<strong>de</strong>ren Ressorts und <strong>de</strong>n betroffenen<br />
Län<strong>de</strong>rn sowie bei grenzüberschreiten<strong>de</strong>n Auswirkungen<br />
die internationale Abst<strong>im</strong>mung. Unterstützt<br />
Vorsorge <strong>im</strong> Strahlenschutz:<br />
Der Hochvolumensammler<br />
für Luftstaubproben weist<br />
selbst geringste Spuren<br />
radioaktiver Stoffe in <strong>de</strong>r<br />
Luft nach<br />
und beraten wird die Stabsorganisation durch die<br />
Strahlenschutzkommission (SSK) und ggf. durch die<br />
Reaktorsicherheitskommission (RSK).<br />
Neben einem Führungsstab, <strong>de</strong>r über Art und Umfang<br />
erfor<strong>de</strong>rlicher Maßnahmen entschei<strong>de</strong>t, erfolgt<br />
in <strong>de</strong>n Stäben „Strahlenschutz“ und „Anlagentechnik“<br />
eine notwendige fachliche Beurteilung und Bewertung<br />
<strong>de</strong>r Lage. Dazu gehören neben <strong>de</strong>r Einschätzung<br />
<strong>de</strong>r Gefährdung <strong>de</strong>r Bevölkerung durch die in<br />
die Umwelt eingetragenen radioaktiven Stoffe hinsichtlich<br />
<strong>de</strong>r radiologischen Auswirkungen auch die<br />
fachliche technische Beurteilung <strong>de</strong>s Unfallablaufs in<br />
<strong>de</strong>r Anlage; hierbei wird das BMU von <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />
für Anlagen- und Reaktorsicherheit beraten.<br />
Die äußere Strahlenbelastung lässt sich durch Son<strong>de</strong>n messen,<br />
hier auf <strong>de</strong>m Schauinsland bei Freiburg<br />
15
16<br />
Hinsichtlich <strong>de</strong>r Bewertung <strong>de</strong>r radiologischen<br />
Auswirkungen wird das BMU vom <strong>Bund</strong>esamt für<br />
Strahlenschutz unterstützt, das insbeson<strong>de</strong>re die zur<br />
Lageermittlung und zur Lagedarstellung notwendigen<br />
IT-gestützten Systeme betreibt. Das „Integrierte<br />
Mess- und Informationssystem für die Überwachung<br />
<strong>de</strong>r Umweltradioaktivität (IMIS)“ erfasst rund um die<br />
Uhr die radiologische Lage in allen relevanten Umweltbereichen<br />
und stellt damit die Grundlage für die<br />
erfor<strong>de</strong>rliche Lagebewertung sicher. Mit <strong>de</strong>m von<br />
<strong>de</strong>r EU entwickelten und auf <strong>de</strong>utsche Verhältnisse<br />
angepassten Entscheidungshilfesystem RODOS können,<br />
die Auswirkungen <strong>de</strong>s Ereignisses abgeschätzt<br />
und die Folgen <strong>de</strong>r beabsichtigten und empfohlenen<br />
Maßnahmen prognostiziert wer<strong>de</strong>n. Damit sind in<br />
Deutschland die für das <strong>Krisenmanagement</strong> erfor<strong>de</strong>rlichen<br />
technischen Voraussetzungen geschaffen<br />
wor<strong>de</strong>n, um auf einer ständig aktuellen Basis Entscheidungen<br />
zum vorsorgen<strong>de</strong>n Schutz <strong>de</strong>r Bevölkerung<br />
vor, während und nach einem unfallbedingten<br />
Eintrag radioaktiver Stoffe in die Umwelt zu treffen.<br />
Die Stabsorganisation <strong>de</strong>s BMU wird darüber hinaus<br />
noch durch Stäbe ergänzt, welche die Kommunikation<br />
nach außen sicherstellen und Presseanfragen in<br />
Zwei Ressorts – ein gemeinsames <strong>Krisenmanagement</strong><br />
Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>m Pressereferat beantworten<br />
sowie die internationalen Mel<strong>de</strong>verpflichtungen gegenüber<br />
<strong>de</strong>r EU und gegenüber <strong>de</strong>r internationalen<br />
Atomenergiebehör<strong>de</strong> IAEA wahrnehmen. Wegen<br />
<strong>de</strong>s grenzüberschreiten<strong>de</strong>n Charakters <strong>de</strong>r Auswirkungen<br />
schwerer kerntechnischer Ereignisse wur<strong>de</strong><br />
hierfür auf europäischer Ebene das ECURIE-System<br />
(European Community Urgent Radiological Information<br />
Exchange) zur schnellen Benachrichtigung und<br />
Information <strong>de</strong>r europäischen Nachbarstaaten entwickelt.<br />
Auf internationaler Ebene dient hierfür das von<br />
<strong>de</strong>r IAEA konzipierte System EMERCON.<br />
Der Aufbau <strong>de</strong>r RS-Stabsorganisation kann innerhalb<br />
weniger Stun<strong>de</strong>n erfolgen. Außerhalb <strong>de</strong>r Dienstzeiten<br />
sind die Reaktionsfähigkeit <strong>de</strong>s BMU und die<br />
Alarmierung <strong>de</strong>r Stabsorganisation durch das Lagezentrum<br />
<strong>de</strong>s BMI sichergestellt.<br />
Neben <strong>de</strong>r Aufgabe <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s bei<br />
kerntechnischen Ereignissen nach <strong>de</strong>m Strahlenschutzvorsorgegesetz<br />
kann das BMU jedoch auch<br />
bei sonstigen Ereignissen mit radiologischem Hintergrund<br />
einbezogen wer<strong>de</strong>n.<br />
Gefahren- bzw. Scha<strong>de</strong>nslagen durch Straftaten mit<br />
radioaktiven Stoffen (Kernbrennstoffe und sonstige<br />
radioaktive Stoffe) o<strong>de</strong>r durch Anschläge auf kerntechnische<br />
Anlagen und Einrichtungen erfor<strong>de</strong>rn in<br />
aller Regel sofortiges gemeinsames Han<strong>de</strong>ln sowohl<br />
<strong>de</strong>r Innen- als auch <strong>de</strong>r Strahlenschutz- o<strong>de</strong>r Umweltbehör<strong>de</strong>n<br />
zunächst auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r.<br />
In „gravieren<strong>de</strong>n Lagen“ kann es jedoch erfor<strong>de</strong>rlich<br />
sein, auf <strong>Bund</strong>esebene alle vorhan<strong>de</strong>nen Ressourcen<br />
zu bün<strong>de</strong>ln und ihren Einsatz zu koordinieren.<br />
Gravieren<strong>de</strong> Lagen sind gegeben, wenn das Leben,<br />
die körperliche Unversehrtheit zahlreicher Menschen<br />
o<strong>de</strong>r be<strong>de</strong>utsame Sachwerte in erheblichem Maß<br />
gefähr<strong>de</strong>t sind o<strong>de</strong>r bereits geschädigt wur<strong>de</strong>n und<br />
wenn diese Lage durch die zuständigen Behör<strong>de</strong>n<br />
mit <strong>de</strong>n ihnen zur Verfügung stehen<strong>de</strong>n Mitteln allein<br />
nicht bewältigt wer<strong>de</strong>n kann.
BMU - Stabsorganisation „Schmutzige Bombe“<br />
Informations-/<br />
Entscheidungshilfesysteme<br />
Stab D<br />
Dokumentation<br />
Stab S<br />
Strahlenschutz<br />
BfS/Stab SW<br />
SSK<br />
Hausleitung<br />
Pressereferat<br />
Ressorts<br />
Stab F<br />
Län<strong>de</strong>r Bewertungsteam Führungsstab Stab I<br />
Ressorts<br />
Nachsorge<br />
Information<br />
Län<strong>de</strong>r<br />
gemeinsamer Krisenstab<br />
BMI/BMU<br />
Ein gemeinsamer Krisenstab <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>esministeriums<br />
<strong>de</strong>s Innern (BMI) und <strong>de</strong>s BMU stellt die für diese<br />
Aufgabe notwendige Kompetenz und die erfor<strong>de</strong>rliche<br />
Organisationsform zur Verfügung – ohne eine<br />
grundsätzlich neue und zusätzliche Speziallösung zu<br />
schaffen. Aufbauend auf <strong>de</strong>n bewährten Modulen<br />
<strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s sowohl <strong>im</strong> BMI in Berlin als<br />
auch <strong>im</strong> BMU in Bonn kann <strong>de</strong>r gemeinsame Krisenstab<br />
lageangepasst auf Ersuchen eines o<strong>de</strong>r mehrerer<br />
Län<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r eines <strong>de</strong>r beteiligten Ressorts schnell<br />
aufgerufen wer<strong>de</strong>n. Dazu integriert das BMU seine<br />
für diese Son<strong>de</strong>rfälle angepasste Stabsorganisation in<br />
die Krisenorganisation <strong>de</strong>s BMI.<br />
Bei<strong>de</strong> Ressorts arbeiten hochrangig bereits auf <strong>de</strong>r<br />
Leitungsebene <strong>de</strong>s gemeinsamen Krisenstabes zusammen.<br />
Im Verhältnis zu <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn gibt dieser<br />
Stab ausschließlich Empfehlungen. Diese haben keine<br />
leiten<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r führen<strong>de</strong> Wirkung für das Län<strong>de</strong>r-<br />
Ressorts<br />
Län<strong>de</strong>r<br />
Abteilung ZG<br />
(Servicedienste)<br />
Medien<br />
Bevölkerung<br />
Int. Behör<strong>de</strong>n /<br />
Organisationen<br />
han<strong>de</strong>ln. Das Weisungsrecht <strong>de</strong>s BMU gegenüber <strong>de</strong>n<br />
atomrechtlichen Genehmigungs- und Aufsichtsbehör<strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r sowie das Strahlenschutzvorsorgegesetz<br />
bleiben hiervon unberührt. Entscheidungs- und<br />
Handlungsverantwortung bleiben bei <strong>de</strong>n zuständigen<br />
Lan<strong>de</strong>sbehör<strong>de</strong>n.<br />
Damit wur<strong>de</strong> <strong>im</strong> Juli 2006 <strong>de</strong>r frühere gemeinsame<br />
Führungsstab „Nukleare Nachsorge“ <strong>de</strong>s BMI und<br />
<strong>de</strong>s BMU durch eine neue und mo<strong>de</strong>rne Form <strong>de</strong>s<br />
gemeinsamen <strong>Krisenmanagement</strong>s zweier Ressorts<br />
an unterschiedlichen Standorten abgelöst. Die <strong>Bund</strong>esregierung<br />
verbesserte damit nicht nur die Reaktionsfähigkeit<br />
bei Straftaten mit Kernbrennstoffen und<br />
sonstigen radioaktiven Stoffen, son<strong>de</strong>rn entschärfte<br />
vor allem auch die problematische Schnittstelle zwischen<br />
<strong>de</strong>n <strong>de</strong>nkbaren Gefahrenlagen mit eher präventivem<br />
Charakter und plötzlich eintreten<strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>nslagen<br />
ohne o<strong>de</strong>r mit nur geringer Vorwarnzeit.<br />
Zum Autor: Ministerialdirektor Wolfgang Renneberg ist Leiter <strong>de</strong>r Abteilung „Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen, Strahlenschutz,<br />
nukleare Ver- und Entsorgung“ <strong>im</strong> <strong>Bund</strong>esministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.<br />
17
18<br />
Das <strong>Krisenmanagement</strong> <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>esministeriums<br />
für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung<br />
Robert Scholl<br />
Das <strong>Bund</strong>esministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) n<strong>im</strong>mt<br />
mit seinen Aufgaben eine Schlüsselstellung innerhalb <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>esregierung ein.<br />
Die Gewährleistung <strong>de</strong>r Sicherheit und Leichtigkeit <strong>de</strong>s Verkehrs, national wie<br />
international, ist dabei eine <strong>de</strong>r wesentlichen Herausfor<strong>de</strong>rungen.<br />
Nicht ohne Grund wird <strong>de</strong>r Verkehr als<br />
eine <strong>de</strong>r wichtigsten kritischen Infrastruk-<br />
turen bezeichnet. Für Deutschland als eine<br />
<strong>de</strong>r führen<strong>de</strong>n Exportnationen ist <strong>de</strong>r<br />
Schutz dieser Infrastruktur <strong>de</strong>shalb lebens-<br />
wichtig.<br />
Januar 2007: Orkan „Kyrill“ legt weite Teile <strong>de</strong>s Verkehrsnetzes in Deutschland lahm<br />
Unsere hoch technisierte Welt ist darauf angewiesen,<br />
dass Waren- und Personenströme reibungslos funktionieren.<br />
Je<strong>de</strong> Störung hat <strong>im</strong>mense volkswirtschaftliche<br />
und gesellschaftliche Auswirkungen. Einen<br />
kleinen Eindruck, wie empfindlich unsere Systeme<br />
sind und welche Auswirkungen eine Störung dieser<br />
komplizierten und komplexen Strukturen haben<br />
kann, haben wir be<strong>im</strong> Sturmtief Kyrill <strong>im</strong> Januar 2007<br />
bekommen.
Die Zuständigkeiten <strong>de</strong>s BMVBS <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
reichen von <strong>de</strong>r zivilen Notfallsorge<br />
und Bewältigung von großen Scha<strong>de</strong>nsereignissen<br />
über Betriebssicherheit und Umweltschutz bei<br />
<strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Verkehrsträgern bis hin zum baulichen<br />
Zivilschutz.<br />
Während <strong>de</strong>r letzten LÜKEX-Übung <strong>im</strong> Jahre 2007<br />
wur<strong>de</strong> das Szenario einer Influenzapan<strong>de</strong>mie geübt.<br />
Kern dieser Übung war die Annahme, dass ein großer<br />
Teil von Arbeitskräften (bis zu 50 Prozent) ausfallen<br />
wür<strong>de</strong>. Für das BMVBS stand dabei die Frage,<br />
welche Auswirkungen ein solches Ereignis auf die<br />
Verkehrswirtschaft und auf die gesamte Volkswirtschaft<br />
haben wür<strong>de</strong>, <strong>im</strong> Vor<strong>de</strong>rgrund. Je intensiver<br />
wir uns mit dieser Problematik beschäftigten, umso<br />
vielfältiger wur<strong>de</strong>n die Probleme und Fragestellungen,<br />
die in diesem Zusammenhang zu klären waren.<br />
Nicht vorhergesehene Domino- o<strong>de</strong>r Kaska<strong>de</strong>neffekte<br />
wur<strong>de</strong>n plötzlich sichtbar.<br />
Wie geht man damit um, wenn ein großer Teil von<br />
Lokführern, Piloten o<strong>de</strong>r technischem Personal ausfällt?<br />
Hochqualifizierte Berufsgruppen, wie z.B. Fluglotsen,<br />
können nicht einfach ersetzt wer<strong>de</strong>n. Was tun,<br />
wenn Kraftwerke nicht mehr mit Kohle versorgt wer<strong>de</strong>n<br />
können? Wie begegnet man <strong>de</strong>m Containerstau<br />
in Hafenanlagen, wenn <strong>de</strong>r Hinterlandtransport nicht<br />
mehr funktioniert? Wie kann die Versorgung <strong>de</strong>r Bevölkerung<br />
trotz<strong>de</strong>m weiter sichergestellt wer<strong>de</strong>n, wie<br />
sichert man die Zulieferung <strong>de</strong>r Industrie mit wichtigen<br />
Gütern zur Aufrechterhaltung <strong>de</strong>r Produktion?<br />
Menschenansammlungen sind <strong>im</strong>mer potentiell gefähr<strong>de</strong>t,<br />
beispielsweise auf großen Bahnhöfen, wie hier <strong>im</strong> Hamburger<br />
Hauptbahnhof<br />
Welche Maßnahmen, eventuell gesetzliche Regelungen,<br />
Lenk- und Ruhezeiten, Sonntagsfahrverbot, etc.<br />
muss man außer Kraft setzen?<br />
Ein wichtiges Instrument zur Sicherstellung von Verkehrsleistungen<br />
ist die Anwendung <strong>de</strong>s Verkehrsleistungsgesetzes,<br />
<strong>de</strong>ssen Umsetzung in <strong>de</strong>r Verantwortung<br />
<strong>de</strong>s BMVBS liegt.<br />
Das Verkehrsleistungsgesetz erlaubt es, auf<br />
<strong>de</strong>r Basis eines Beschlusses <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>es-<br />
regierung die jeweiligen Verkehrsunter-<br />
nehmen in Krisenfällen und beson<strong>de</strong>ren<br />
Notlagen zu Verkehrsleistungen zu ver-<br />
pflichten.<br />
Unsere hoch technisierte Welt ist darauf angewiesen, dass<br />
Waren- und Personenströme reibungslos funktionieren – <strong>im</strong><br />
Bild: Lastwagen auf Hamburger Containerterminals<br />
19
20<br />
Die <strong>Krisenmanagement</strong>-Struktur <strong>de</strong>s BMVBS<br />
Schon nach <strong>de</strong>m Sturmtief Kyrill <strong>im</strong> Januar 2007 wur<strong>de</strong><br />
in unserem Hause damit begonnen, das <strong>Krisenmanagement</strong><br />
neu zu über<strong>de</strong>nken und umzustrukturieren.<br />
Eine <strong>de</strong>r ersten Maßnahmen war die Verlegung<br />
<strong>de</strong>s Lagezentrums (LZ) von Bonn nach Berlin, um<br />
hier auch die Nähe zur Hausleitung herzustellen.<br />
Gleichzeitig wur<strong>de</strong> in Bonn ein Technisches Unterstützungszentrum<br />
(TUZ) eingerichtet.<br />
In einem Krisenfall bil<strong>de</strong>t das BMVBS unter Leitung<br />
<strong>de</strong>s Ministers o<strong>de</strong>r eines Staatssekretärs einen Krisenstab.<br />
Das Lagezentrum dient dann in erster Linie <strong>de</strong>r<br />
Informationsbeschaffung, -auswertung, -dokumentation<br />
und -verarbeitung sowie als Führungsinstrument<br />
für <strong>de</strong>n Krisenstab <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s.<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> BMVBS in einem Krisenfall
Der Schutz wichtiger Verkehrsinfrastrukturen ist für Deutschland lebenswichtig – <strong>im</strong> Bild: Autobahndreieck in Berlin-Neukölln<br />
Das Lagezentrum in Berlin wird in <strong>de</strong>r Regel durch<br />
die (Verbindungs-)Referate <strong>de</strong>r Fachabteilungen<br />
Luft- und Raumfahrt, Wasserstraßen und Schifffahrt,<br />
Straßenbau und Straßenverkehr, Eisenbahnen und<br />
Bauwesen verstärkt, die dann zu <strong>de</strong>n jeweiligen Fachreferaten<br />
ihrer Abteilungen die Verbindung halten.<br />
Eine <strong>de</strong>r wichtigsten Aufgaben <strong>de</strong>s Lagezentrums<br />
ist es, die notwendigen Kommunikationsstrukturen<br />
aufzubauen und je nach Lage <strong>im</strong> regelmäßigen Informationsaustausch<br />
mit <strong>de</strong>m Krisenstab <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>esregierung<br />
<strong>im</strong> BMI, <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Ressorts und <strong>de</strong>n<br />
nachgeordneten Bereichen, <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn und <strong>de</strong>r<br />
Verkehrswirtschaft (z.B. <strong>de</strong>r DB AG, Lufthansa, DFS)<br />
zu stehen.<br />
Um eine reibungslose Kommunikation sicherzustellen,<br />
wer<strong>de</strong>n das Lagezentrum und das Technische<br />
Unterstützungszentrum bis En<strong>de</strong> 2008 mit mo<strong>de</strong>rnster<br />
Kommunikationstechnik ausgestattet und das BMVBS<br />
mit seinen nachgeordneten Behör<strong>de</strong>n an das Notfallinformationssystem<br />
<strong><strong>de</strong>NIS</strong> II plus angeschlossen.<br />
Im Organigramm <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s <strong>de</strong>s<br />
BMVBS sind die horizontalen und vertikalen Vernetzungen<br />
dargestellt. Dabei wird die Aufbauorganisation<br />
<strong>im</strong> Hause <strong>de</strong>utlich. Das Lagezentrum fungiert als<br />
Informationsdrehscheibe mit <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n<br />
Verbindungen zum eigenen nachgeordneten Bereich<br />
und zur Wirtschaft. Deutlich wird auch die Vernetzung<br />
zur <strong>Bund</strong>esebene und zu <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn, bis hin<br />
zur Entsendung von Verbindungsbeamten in <strong>de</strong>n Krisenstab<br />
<strong>de</strong>s BMI und zur Interministeriellen Koordinierungsgruppe<br />
<strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es und <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r.<br />
Die Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>n neuen Anfor<strong>de</strong>rungen<br />
an das <strong>Krisenmanagement</strong> hat gezeigt, dass<br />
wir die künftigen Herausfor<strong>de</strong>rungen, ob Terroranschläge,<br />
Katastrophen o<strong>de</strong>r extreme Wetterlagen, nur<br />
dann meistern, wenn die Ressorts, ihre nachgeordneten<br />
Behör<strong>de</strong>n und die betroffenen gesellschaftlichen<br />
Bereiche ihre Ziele, Prozesse und Strukturen sowie<br />
ihre Fähigkeiten und Mittel bewusst miteinan<strong>de</strong>r vernetzen.<br />
Zum Autor: Ministerialdirektor Robert Scholl ist Abteilungsleiter Z <strong>im</strong> <strong>Bund</strong>esministerium für Verkehr, Bau und<br />
Stadtentwicklung<br />
21
22<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> <strong>im</strong> Ernährungsbereich – wesentliche<br />
Komponente <strong>de</strong>r Daseinsvorsorge in einer Krise<br />
Dr. Dieter Schnei<strong>de</strong>r<br />
Vogelgrippe auf Rügen <strong>im</strong> Februar 2005: Soldaten in Schutzanzügen<br />
an einem Dekontaminationspunkt am Fähranleger<br />
Saßnitz-Mukran<br />
Die Bürgerinnen und Bürger in Krisenzeiten zu<br />
schützen und zu versorgen ist eine hoheitliche Aufgabe.<br />
Auch wenn dies <strong>im</strong> Grundgesetz <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>esrepublik<br />
Deutschland nicht ausdrücklich als Aufgabe<br />
<strong>de</strong>s Staates <strong>de</strong>finiert ist, lässt sie sich aus <strong>de</strong>r verfassungsrechtlichen<br />
allgemeinen Verteidigungsaufgabe<br />
<strong>de</strong>s Staates und <strong>de</strong>r staatlichen Pflicht zur Daseinsvorsorge<br />
ableiten.<br />
Eine <strong>de</strong>r elementarsten Komponenten <strong>de</strong>r<br />
Daseinsvorsorge ist ohne Zweifel die Ver-<br />
sorgung <strong>de</strong>r Bevölkerung mit Nahrungs-<br />
mitteln.<br />
I. <strong>Krisenmanagement</strong> <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>r Ernährungsnotfallvorsorge<br />
Die Ernährungsnotfallvorsorge (ENV) umfasst alle<br />
Maßnahmen zur Bewältigung von Versorgungskrisen<br />
<strong>im</strong> Ernährungsbereich. Zuständigkeiten <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es<br />
ergeben sich, wenn in wesentlichen Teilen <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>esgebietes<br />
die Deckung <strong>de</strong>s Bedarfs an lebenswichtigen<br />
Erzeugnissen <strong>de</strong>r Land- und Ernährungswirtschaft<br />
ernsthaft gefähr<strong>de</strong>t ist.<br />
Auf <strong>de</strong>r Grundlage bestehen<strong>de</strong>r Rechtsvorschriften,<br />
<strong>de</strong>m Ernährungssicherstellungsgesetz (ESG) für <strong>de</strong>n<br />
Spannungs- und Verteidigungsfall, <strong>de</strong>m Ernährungsvorsorgegesetz<br />
(EVG) für die Sicherstellung <strong>de</strong>r Versorgung<br />
<strong>im</strong> Frie<strong>de</strong>n und weiterer Rechtsverordnun-<br />
Zu <strong>de</strong>n vielfältigen Aufgaben <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
<strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>r Ernährung gehören die Ernährungsnotfallvorsorge,<br />
die Sicherheit von Lebensmitteln<br />
und Futtermitteln sowie die Bekämpfung von<br />
Tierseuchen.<br />
gen können die entsprechen<strong>de</strong>n Maßnahmen zur<br />
Sicherung einer ausreichen<strong>de</strong>n Versorgung durch<br />
<strong>Bund</strong>, Län<strong>de</strong>r und Gemein<strong>de</strong>n vorgenommen wer<strong>de</strong>n.<br />
ESG und EVG geben <strong>de</strong>m Staat einen Katalog<br />
von Ermächtigungen für Rechtsverordnungen an die<br />
Hand, mit <strong>de</strong>nen u. a. Vorschriften über <strong>de</strong>n Anbau<br />
von Nutzpflanzen und die Haltung von Tieren, die<br />
Be- und Verarbeitung, Festsetzung von Preisen sowie<br />
die Abgabe von Produkten erlassen wer<strong>de</strong>n können.<br />
Somit kann auf allen Marktstufen, von <strong>de</strong>r landwirtschaftlichen<br />
Erzeugung bis hin zum Absatz <strong>de</strong>r Lebensmittel<br />
an <strong>de</strong>n Verbraucher, durch <strong>de</strong>n Staat eingegriffen<br />
wer<strong>de</strong>n.
Neben <strong>de</strong>n genannten rechtlichen Aspekten gibt es<br />
<strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>r Ernährungsvorsorge auch materiellinvestive<br />
Maßnahmen (Lagerhaltung) auf <strong>Bund</strong>esebene.<br />
Die staatliche Notreserve <strong>im</strong> Nahrungsmittelbereich<br />
besteht zum einen aus Getrei<strong>de</strong> (so genannte<br />
<strong>Bund</strong>esreserve Getrei<strong>de</strong>); daraus soll <strong>im</strong> Krisenfall u.<br />
a. Mehl für die Brotversorgung <strong>de</strong>r Bevölkerung hergestellt<br />
wer<strong>de</strong>n. Zum an<strong>de</strong>ren wer<strong>de</strong>n <strong>im</strong> Rahmen<br />
<strong>de</strong>r so genannten Zivilen Notfallreserve (ZNR) Reis,<br />
Erbsen und Linsen, Kon<strong>de</strong>nsmilch sowie Vollmilchpulver<br />
eingelagert. Diese verbrauchsfertigen Nahrungsmittel<br />
sollen <strong>im</strong> Krisenfall über Gemeinschaftsverpflegungseinrichtungen<br />
vor allem an Verbraucher<br />
in Ballungsregionen abgegeben wer<strong>de</strong>n.<br />
Bei <strong>de</strong>r Auswahl <strong>de</strong>r Produkte spielt neben <strong>de</strong>m ernährungsphysiologischen<br />
Aspekt vor allem die Lagerfähigkeit<br />
eine Rolle. Die Nahrungsmittel müssen<br />
relativ unempfindlich gegen Ver<strong>de</strong>rb sein und sich<br />
verhältnismäßig lange lagern lassen, um die für <strong>de</strong>n<br />
Austausch <strong>de</strong>r Ware entstehen<strong>de</strong>n Kosten (Wälzungskosten)<br />
möglichst niedrig zu halten.<br />
Die <strong>Bund</strong>esanstalt für Landwirtschaft und Ernährung<br />
(BLE), eine nachgeordnete Dienststelle <strong>de</strong>s BMELV,<br />
n<strong>im</strong>mt sowohl <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>r Ernährungssicherstellung<br />
als auch <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>r Ernährungsvorsorge<br />
wichtige Aufgaben wahr. Diese umfassen die zentrale<br />
Feststellung <strong>de</strong>r Bestän<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r Erzeugung und<br />
<strong>de</strong>s Verbrauchs ernährungs- und landwirtschaftlicher<br />
Erzeugnisse sowie best<strong>im</strong>mter Produktionskapazitäten.<br />
Ferner erstellt die BLE zentrale Versorgungs- und<br />
Bevorratungspläne. Zu<strong>de</strong>m kauft, kontrolliert und<br />
verkauft sie <strong>im</strong> Auftrag <strong>de</strong>s BMELV die staatlichen<br />
Nahrungsmittelnotvorräte.<br />
Die staatlichen Notvorräte sind zur kurz-<br />
fristigen Überbrückung von Engpässen in<br />
<strong>de</strong>r Versorgung gedacht. Hilfreich in sol-<br />
chen Situationen sind natürlich auch pri-<br />
vate Vorräte. Aus diesem Grund sollte je<strong>de</strong>r<br />
daran <strong>de</strong>nken, einen persönlichen Vorrat<br />
an Lebensmitteln anzulegen.<br />
Die staatliche Notreserve <strong>im</strong> Nahrungsmittelbereich: ein<br />
Schüttlager <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>esreserve Getrei<strong>de</strong><br />
Zivile Notfallreserve: Sacklager mit Hülsenfrüchten und Reis<br />
Ein solcher Vorrat macht sich selbst schon bei einem<br />
längeren Stromausfall (z. B. <strong>im</strong> Münsterland 2005)<br />
o<strong>de</strong>r be<strong>im</strong> witterungsbedingten Abgeschnittensein<br />
von <strong>de</strong>r Lebensmittelversorgung durch Hochwasser<br />
(z. B. Elbehochwasser 2002) o<strong>de</strong>r Schnee bezahlt.<br />
Empfehlungen zur privaten Lagerhaltung fin<strong>de</strong>n interessierte<br />
Verbraucherinnen und Verbraucher <strong>im</strong> Internet<br />
unter www.ernaehrungsvorsorge.<strong>de</strong>, einem Informationsportal<br />
<strong>de</strong>s BMELV und <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eslän<strong>de</strong>r.<br />
23
24<br />
Dieses Portal ist <strong>de</strong>r öffentlich zugängliche Teil <strong>de</strong>s<br />
computergestützten Informationssystems Ernährungsnotfallvorsorge<br />
(IS ENV). Die zwei an<strong>de</strong>ren<br />
Module <strong>de</strong>s IS ENV dienen <strong>de</strong>n Verantwortlichen<br />
auf <strong>Bund</strong>es-, Lan<strong>de</strong>s- und kommunaler Ebene dazu,<br />
das <strong>Krisenmanagement</strong> zu erleichtern. Mit Hilfe dieses<br />
Fachinformationssystems wer<strong>de</strong>n u. a. wichtige<br />
Empfehlungen zur privaten Lagerhaltung gibt es <strong>im</strong> Internet<br />
II. <strong>Krisenmanagement</strong> <strong>im</strong> Bereich von Lebensmitteln und Futtermitteln<br />
Die Kontamination von Lebens- und Futtermitteln<br />
mit mikrobiologischen, toxischen o<strong>de</strong>r radioaktiven<br />
Stoffen durch zufällige, fahrlässig o<strong>de</strong>r vorsätzlich<br />
herbeigeführte Verunreinigungen stellt ein potentielles<br />
Risiko für die menschliche Gesundheit dar. Daher<br />
sind Zwischenfälle in diesem Bereich <strong>im</strong>mer von<br />
Dokumente zur Verfügung gestellt und Informationen<br />
ausgetauscht. Durch das geografische Informationssystem<br />
GIS ENV sind die Verantwortlichen auf<br />
<strong>Bund</strong>es- und Lan<strong>de</strong>sebene in <strong>de</strong>r Lage, auf Basis einer<br />
Gebietsauswahl sowie <strong>de</strong>r Beschreibung eines<br />
eingetretenen Krisenfalls Entscheidungsgrundlagen<br />
für das <strong>Krisenmanagement</strong> zu gewinnen.<br />
einem großen öffentlichen Interesse begleitet, das ein<br />
beson<strong>de</strong>rs sorgfältiges <strong>Krisenmanagement</strong> erfor<strong>de</strong>rt.<br />
Auf Grund <strong>de</strong>r internationalen Warenströme fußt in<br />
diesem Bereich das <strong>Krisenmanagement</strong> in Deutschland<br />
auf <strong>de</strong>n Vorgaben <strong>de</strong>r Europäischen Union.
Die Grundlage für das <strong>Krisenmanagement</strong> <strong>im</strong> Bereich<br />
Lebens- und Futtermittel ist die Verordnung<br />
(EG) Nr. 178/2002 1 . Die Kommission <strong>de</strong>r Europäischen<br />
Gemeinschaft erstellt danach einen allgemeinen<br />
Plan für das <strong>Krisenmanagement</strong> in enger<br />
Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>r Europäischen Behör<strong>de</strong> für<br />
Lebensmittelsicherheit und <strong>de</strong>n Mitgliedstaaten. Der<br />
allgemeine Plan legt insbeson<strong>de</strong>re fest, in welchen<br />
Fällen auf Lebensmittel o<strong>de</strong>r Futtermittel zurückzuführen<strong>de</strong><br />
unmittelbare o<strong>de</strong>r mittelbare Risiken für<br />
die menschliche Gesundheit voraussichtlich nicht<br />
durch bereits vorhan<strong>de</strong>nen Vorkehrungen verhütet,<br />
beseitigt o<strong>de</strong>r auf ein akzeptables Maß gesenkt wer<strong>de</strong>n<br />
o<strong>de</strong>r ausschließlich durch Anwendung <strong>de</strong>r in<br />
<strong>de</strong>n einschlägigen Abschnitten <strong>de</strong>r Verordnung (EG)<br />
Nr. 178/2002 genannten Maßnahmen angemessen<br />
bewältigt wer<strong>de</strong>n können. Der Plan legt auch fest,<br />
welche praktischen Verfahren erfor<strong>de</strong>rlich sind, um<br />
eine Krise zu bewältigen, welche Transparenzgrundsätze<br />
hier Anwendung fin<strong>de</strong>n sollen und welche<br />
Kommunikationsstrategie gewählt wer<strong>de</strong>n soll. Ferner<br />
schreibt die Verordnung (EG) Nr. 882/2004 2 über<br />
amtliche Futter- und Lebensmittelkontrollen vor, dass<br />
zur Durchführung <strong>de</strong>s allgemeinen Plans für das <strong>Krisenmanagement</strong><br />
entsprechend <strong>de</strong>r Verordnung (EG)<br />
Nr. 178/2002 operative Notfallpläne aufzustellen sind.<br />
In diesen Notfallplänen sind die Maßnahmen aufzuführen,<br />
die unverzüglich durchgeführt wer<strong>de</strong>n müssen,<br />
sobald sich herausstellt, dass Futtermittel o<strong>de</strong>r<br />
Lebensmittel ein ernstes Risiko für die Gesundheit<br />
von Mensch und Tier entwe<strong>de</strong>r direkt o<strong>de</strong>r über die<br />
Umwelt darstellen.<br />
Die <strong>Bund</strong>esrepublik Deutschland verfügt über einen<br />
fö<strong>de</strong>ralistischen Staatsaufbau. Die Aufgaben <strong>de</strong>r<br />
Überwachung von Futtermitteln und Lebensmitteln<br />
sind sowohl auf <strong>de</strong>n <strong>Bund</strong> als auch auf die Län<strong>de</strong>r<br />
verteilt. Die Rechtsetzung erfolgt durch <strong>de</strong>n <strong>Bund</strong>,<br />
die Län<strong>de</strong>r sind für die Durchführung <strong>de</strong>r lebensmittel-<br />
und futtermittelrechtlichen Vorschriften, namentlich<br />
die Überwachung, zuständig. Daher wer<strong>de</strong>n<br />
Notfallpläne für die Überwachung von Futtermitteln<br />
und Lebensmitteln von <strong>de</strong>n zuständigen obersten<br />
Lan<strong>de</strong>sbehör<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>m <strong>Bund</strong>esministerium für<br />
Verteidigung für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich<br />
erstellt.<br />
Im BMELV sind <strong>im</strong> „Leitfa<strong>de</strong>n zum <strong>Krisenmanagement</strong><br />
Lebensmittelsicherheit“ die Abläufe <strong>de</strong>r Krisenbewältigung<br />
<strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>r Lebens- und Futtermittelsicherheit,<br />
auch in Bezug zum <strong>Bund</strong>esamt für<br />
Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL)<br />
sowie zum <strong>Bund</strong>esinstitut für Risikobewertung (BfR),<br />
aufgeführt. Sobald <strong>de</strong>m zuständigen Fachreferat Informationen<br />
über ein Ereignis mit potenziellen Krisenauswirkungen<br />
vorliegen, kann durch <strong>de</strong>n Abteilungsleiter<br />
das Ereigniskernteam (EKT), das zentrale<br />
Managementinstrument <strong>de</strong>s Bereiches Lebensmittelsicherheit<br />
<strong>im</strong> BMELV, einberufen wer<strong>de</strong>n. Das EKT<br />
prüft die vorliegen<strong>de</strong>n Informationen zur Lage und<br />
legt die Folgeschritte fest. Hierzu kann es eine Risikobewertung<br />
durch das BfR einholen und weitere<br />
Arbeitseinheiten wie z.B. Fachreferate, das BVL o<strong>de</strong>r<br />
weitere Forschungsanstalten einbin<strong>de</strong>n. Als Ergebnis<br />
<strong>de</strong>r Bewertung <strong>de</strong>s Ereignisses durch das EKT kann<br />
die weitere Abwicklung bei fehlen<strong>de</strong>r Krisenrelevanz<br />
wie<strong>de</strong>r in die Referatsarbeit übergeben wer<strong>de</strong>n, o<strong>de</strong>r<br />
es wird <strong>de</strong>m Staatssekretär <strong>de</strong>r Vorschlag vorgetragen,<br />
<strong>de</strong>n Krisenstab einzusetzen. Alternativ dazu kann <strong>de</strong>r<br />
Staatssekretär das EKT mit <strong>de</strong>r weiteren Bearbeitung<br />
<strong>de</strong>r Krise beauftragen. Der Krisenstab setzt sich aus<br />
<strong>de</strong>m Staatssekretär, <strong>de</strong>m EKT und <strong>de</strong>n Vertretern <strong>de</strong>r<br />
Pressestellen <strong>de</strong>s BMELV und <strong>de</strong>s BVL zusammen.<br />
Der Krisenstab wird durch eine Koordinierungsstelle<br />
Lebensmittelsicherheit unterstützt.<br />
Die Gesamtverantwortung und die politische Leitung<br />
<strong>de</strong>s Krisenstabes obliegen <strong>de</strong>m Staatssekretär.<br />
Die Leitung <strong>de</strong>s operativen Bereiches erfolgt jedoch<br />
durch <strong>de</strong>n Abteilungsleiter für Lebensmittelsicherheit<br />
und Veterinärwesen. Der Krisenstab erarbeitet die geeigneten<br />
Maßnahmen zur Bewältigung <strong>de</strong>r Krise und<br />
leitet <strong>de</strong>ren Umsetzung ein. Ebenso ist er für die ausführliche<br />
und transparente Information <strong>de</strong>r Öffentlichkeit<br />
zuständig. Er hält enge Verbindung zu <strong>de</strong>n<br />
auf Lan<strong>de</strong>sebene eingerichteten Krisenstäben / Verwaltungsstäben<br />
und koordiniert ggf. einzuleiten<strong>de</strong><br />
Maßnahmen. Die Koordinierungsstelle Lebensmittelsicherheit<br />
übern<strong>im</strong>mt die Organisation und administrative<br />
Unterstützung <strong>de</strong>s Krisenstabes. Sie ist die Informationsschnittstelle<br />
für das <strong>Krisenmanagement</strong> <strong>im</strong><br />
BMELV und bil<strong>de</strong>t die Geschäftsstelle für <strong>de</strong>n Stab.<br />
25
26<br />
III. <strong>Krisenmanagement</strong> <strong>im</strong> Bereich von Tierseuchen<br />
Das Auftreten von Tierseuchen kann bei möglicher<br />
Übertragung auf Menschen eine Bedrohung für die<br />
menschliche Gesundheit darstellen (so genannte<br />
Zoonosen). Aber auch an<strong>de</strong>re Tierseuchen, die<br />
nicht auf Menschen übertragbar sind, können wegen<br />
<strong>de</strong>r Gefahr <strong>de</strong>r Verschleppung und möglichen<br />
starken Ausbreitungsten<strong>de</strong>nz eine große Gefahr für<br />
die Landwirtschaft und die vor- und nachgelagerten<br />
Wirtschaftsbereiche darstellen. Das <strong>Krisenmanagement</strong><br />
in Deutschland <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>r Tierseuchenbekämpfung<br />
beruht auf rechtlichen Vorgaben <strong>de</strong>r Europäischen<br />
Union.<br />
Im Krisenfall wer<strong>de</strong>n dazu auf allen Ebenen <strong>de</strong>r Veterinärverwaltung<br />
(<strong>Bund</strong>, Län<strong>de</strong>r und Kreise) jeweils<br />
eigenständige Krisenzentren eingerichtet. Der <strong>Bund</strong><br />
gibt die legislativen Rahmenbedingungen durch <strong>de</strong>n<br />
Vogelgrippe auf Rügen: Bergen toter Schwäne an <strong>de</strong>r<br />
Wittower Fähre<br />
Erlass <strong>de</strong>r hierfür erfor<strong>de</strong>rlichen Rechtsvorschriften<br />
vor. Zur Gewährleistung eines einheitlichen Vollzugs<br />
<strong>de</strong>s Tierseuchenrechts in <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn hat <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong><br />
eine Schlüsselstellung bei allen Koordinierungsaufgaben.<br />
Grundlagen für das <strong>Krisenmanagement</strong> in diesem<br />
Bereich sind das Tierseuchengesetz (TSG von<br />
2001), die auf Grund <strong>de</strong>s TSG erlassen Verordnungen,<br />
<strong>de</strong>r „<strong>Bund</strong>esmaßnahmenkatalog Tierseuchen“,<br />
die Tierseuchen-Bekämpfungsrichtlinien <strong>de</strong>r EU und<br />
die Krisenpläne <strong>de</strong>r zuständigen Behör<strong>de</strong>n.<br />
Die Koordination und Krisenkommunikation mit <strong>de</strong>n<br />
Län<strong>de</strong>rn, <strong>de</strong>n Verbän<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Europäischen Kommission,<br />
<strong>de</strong>n Mitgliedstaaten und Drittlän<strong>de</strong>rn ist Aufgabe<br />
<strong>de</strong>s Nationalen Krisenzentrums Tierseuchen <strong>im</strong><br />
BMELV, das die Tierseuchensituation <strong>im</strong> Inland und<br />
Ausland beobachtet und bewertet sowie für die Tierseuchenabwehr<br />
gegenüber Mitgliedstaaten <strong>de</strong>r EU<br />
und Drittlän<strong>de</strong>rn zuständig ist. Zur Lagebeobachtung<br />
wer<strong>de</strong>n spezielle Tierseuchennachrichtensysteme<br />
<strong>im</strong> In- und Ausland (Tierseuchennachrichtensystem<br />
TSN, An<strong>im</strong>al Disease Notification System ADNS) ausgewertet<br />
und Statistiken zur Tierseuchenlage erstellt.<br />
Das Nationale Krisenzentrum n<strong>im</strong>mt auch die Geschäftsführung<br />
für die Task Force Tierseuchenbekämpfung<br />
und für <strong>de</strong>n Zentralen Krisenstab auf <strong>de</strong>r<br />
Ebene <strong>de</strong>r Amtschefs wahr.<br />
Die Task Force Tierseuchenbekämpfung, die für<br />
hochkontagiöse und neuartige Tierkrankheiten zuständig<br />
ist, wur<strong>de</strong> nach <strong>de</strong>r Maul- und Klauenseuchenkrise<br />
von 2001 gegrün<strong>de</strong>t. Sie ist eine gemeinsame<br />
Einrichtung von <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>rn und setzt sich<br />
aus in Fragen <strong>de</strong>r Tierseuchenbekämpfung erfahrenen<br />
Vertretern <strong>de</strong>s BMELV, <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>s BMVg<br />
und <strong>de</strong>s Friedrich-Loeffler-Institutes, <strong>de</strong>m <strong>Bund</strong>esforschungsinstitut<br />
für Tiergesundheit (FLI), zusammen.<br />
Der Leiter <strong>de</strong>s Nationalen Krisenzentrums ist gleichzeitig<br />
Leiter <strong>de</strong>r Task Force, die mit einem ständigen<br />
Arbeitsstab <strong>im</strong> BMELV vertreten ist. Die Personalkapazitäten<br />
für <strong>de</strong>n Arbeitsstab wer<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n<br />
Län<strong>de</strong>rn zur Verfügung gestellt, das BMELV trägt <strong>de</strong>n<br />
Aufwand für die räumliche Unterbringung und die<br />
erfor<strong>de</strong>rlichen Sachmittel.
Die betroffenen Län<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n durch die Task Force<br />
Tierseuchenbekämpfung beratend unterstützt; sie<br />
sorgt für eine vertiefen<strong>de</strong> län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong> Koordinierung<br />
<strong>de</strong>r Tierseuchenbekämpfungsmaßnahmen,<br />
ohne jedoch in die Län<strong>de</strong>rzuständigkeiten einzugreifen.<br />
Die Task Force erstellt und aktualisiert die<br />
Empfehlungen zur Bekämpfung hoch kontagiöser<br />
Tierseuchen, insbeson<strong>de</strong>re <strong>im</strong> Hinblick auf län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong><br />
und grenzüberschreiten<strong>de</strong> Belange und<br />
führt Übersichten über die Standards <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r für<br />
die Durchführung von Maßnahmen <strong>de</strong>r Tierseuchenbekämpfung.<br />
Über die Task Force können <strong>im</strong> Falle<br />
<strong>de</strong>s Ausbruchs o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Verdachts eines Ausbruchs<br />
einer Tierseuche <strong>de</strong>n betroffenen Län<strong>de</strong>rn Sachverständige<br />
zur Personalverstärkung zur Verfügung gestellt<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Task Force ist weiterhin für die Pflege und Fortschreibung<br />
<strong>de</strong>r „Handbücher Tierseuchenbekämpfung“<br />
und für Vorschläge zur Durchführung von<br />
Fortbildungs- und Schulungsmaßnahmen sowie län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong>r<br />
Übungen und Trainingsprogramme<br />
zuständig. Sie hat die Beschaffung eines mobilen<br />
Bekämpfungszentrums durch die Län<strong>de</strong>r koordiniert,<br />
die En<strong>de</strong> 2006 abgeschlossen wur<strong>de</strong>.<br />
Als oberstes Koordinationsgremium kann <strong>im</strong> Ereignisfall<br />
<strong>de</strong>r Zentrale Krisenstab Tierseuchen auf Amtschefebene<br />
unter Leitung <strong>de</strong>s Staatssekretärs <strong>de</strong>s BMELV<br />
einberufen wer<strong>de</strong>n. Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Krisenstabes sind<br />
die Amtschefs <strong>de</strong>r für die Tierseuchenbekämpfung<br />
zuständigen Ressorts in <strong>de</strong>n <strong>Bund</strong>eslän<strong>de</strong>rn und ggf.<br />
die Amtschefs <strong>de</strong>r für die Landwirtschaft zuständigen<br />
Ressorts. Als Vertreter <strong>de</strong>r Wirtschaft nehmen Delegierte<br />
<strong>de</strong>s Deutschen Bauernverban<strong>de</strong>s e.V. und <strong>de</strong>s<br />
<strong>Bund</strong>esmarktverban<strong>de</strong>s für Vieh und Fleisch e.V. an<br />
<strong>de</strong>n Sitzungen teil. Auf Antrag können auch Sachverständige<br />
zu <strong>de</strong>n Sitzungen <strong>de</strong>s Zentralen Krisenstabes<br />
hinzugezogen wer<strong>de</strong>n.<br />
Furcht vor <strong>de</strong>r Maul- und Klauenseuche: Auf einem Bauernhof<br />
in Neuss wer<strong>de</strong>n <strong>im</strong> Februar 2001 Kadaver von 750 gekeulten<br />
Schafen beseitigt<br />
Der Zentrale Krisenstab hat die Aufgabe, ein koordiniertes<br />
Vorgehen von <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>rn sowie<br />
ein einheitliches Han<strong>de</strong>ln <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>r Bekämpfung<br />
von Tierseuchen sicherzustellen und die<br />
zur Durchführung erfor<strong>de</strong>rlichen Maßnahmen abzust<strong>im</strong>men.<br />
Er analysiert die Tierseuchenlage und gibt<br />
Empfehlungen für die erfor<strong>de</strong>rlichen Bekämpfungs-<br />
und Vorbeugungsstrategien. Die Empfehlungen <strong>de</strong>s<br />
Krisenstabes wer<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n betroffenen Län<strong>de</strong>rn<br />
und <strong>de</strong>m <strong>Bund</strong> jeweils <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r gegebenen<br />
Zuständigkeiten umgesetzt.<br />
Zum Autor: Ministerialrat Dr. Dieter Schnei<strong>de</strong>r ist Referatsleiter Notfallvorsorge <strong>im</strong> <strong>Bund</strong>esministerium für Ernährung,<br />
Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Bonn<br />
1 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 <strong>de</strong>s Europäischen Parlaments und <strong>de</strong>s Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung <strong>de</strong>r allgemeinen<br />
Grundsätze und Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Lebensmittelrechts, zur Errichtung <strong>de</strong>r Europäischen Behör<strong>de</strong> für Lebensmittel<br />
sicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. EG Nr. L 31, S. 1).<br />
2 Verordnung (EG) Nr. 882/2004 <strong>de</strong>s Europäischen Parlaments und <strong>de</strong>s Rates vom 29. April 2004 über amtliche Kontrollen<br />
zur Überprüfung <strong>de</strong>r Einhaltung <strong>de</strong>s Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie <strong>de</strong>r Best<strong>im</strong>mungen über Tiergesundheit und<br />
Tierschutz (ABl. EG Nr. L 165, S. 1; Berichtigung <strong>de</strong>r Verordnung (EG) Nr. 882/2004 (ABl. EG Nr. L 191, S. 1).<br />
27
28<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>s<br />
Gesundheitswesens<br />
Dr. Johannes Blasius / Dr. Gesa Lücking, LL.M.<br />
Die Anschläge <strong>de</strong>s 11. September 2001, die Milzbrandbriefe und die mögliche<br />
rasche Verbreitung übertragbarer Krankheiten aufgrund <strong>de</strong>r fortschreiten<strong>de</strong>n<br />
Globalisierung veranschaulichen, dass gesundheitlicher Bevölkerungsschutz auf<br />
<strong>Bund</strong>es- und Lan<strong>de</strong>sebene gemeinsame Konzepte sowie nationale und internationale<br />
Kooperation und Koordination erfor<strong>de</strong>rt.<br />
Labor in <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>suntersuchungsanstalt für das Gesundheits- und Veterinärwesen in Sachsen am Standort Chemnitz<br />
Die Zuständigkeiten für das <strong>Krisenmanagement</strong> <strong>im</strong> Gesundheitswesens<br />
Ein solcher Krisenzustand war in <strong>de</strong>r Vergangenheit<br />
prinzipiell nur <strong>im</strong> Verteidigungsfall <strong>de</strong>nkbar. Daher<br />
knüpft das Grundgesetz <strong>im</strong> Gesundheitsbereich an<br />
die Zuständigkeitsverteilung an, wie sie in dieser<br />
Publikation <strong>im</strong> Grundsatzbeitrag <strong>de</strong>s BMI „Die Rolle<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>s Gesundheitswesens setzt ins-<br />
beson<strong>de</strong>re dann ein, wenn es be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Engpässe <strong>im</strong> Rahmen<br />
<strong>de</strong>r medizinischen Versorgung bzw. <strong>de</strong>r Arzne<strong>im</strong>ittelversorgung<br />
<strong>de</strong>r Bevölkerung gibt.<br />
<strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es <strong>im</strong> nationalen <strong>Krisenmanagement</strong>“ beschrieben<br />
ist: Das <strong>Bund</strong>esministerium für Gesundheit<br />
(BMG) ist für Gesundheitsbedrohungen durch<br />
biologische Agenzien <strong>im</strong> Zivilschutzfall (Gesundheitssicherstellung)<br />
zuständig. Dies basiert auf <strong>de</strong>r
BLALAG<br />
In allen übrigen Fällen gesundheitlicher Scha<strong>de</strong>nslagen,<br />
z.B. bei terroristischen Anschlägen, liegt die<br />
Zuständigkeit bei <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn. Dies gilt auch für alle<br />
nicht vorsätzlich verursachten Szenarien wie Naturkatastrophen,<br />
eine Influenzapan<strong>de</strong>mie, einen Laborunfall<br />
mit biologischen Agenzien o<strong>de</strong>r auch, wenn<br />
ein infizierter Tourist aus <strong>de</strong>m Ausland einreist (Gesundheitsvorsorge).<br />
Die bun<strong>de</strong>srechtlichen Grundlagen<br />
für Maßnahmen <strong>de</strong>s Infektionsschutzes sind <strong>im</strong><br />
Der Krisenstab <strong>de</strong>s BMG – Koordination bei großflächigen gesundheitlichen Gefahrenlagen<br />
Für das gesundheitliche <strong>Krisenmanagement</strong> ist <strong>im</strong><br />
BMG ein Krisenstab eingerichtet, <strong>de</strong>r <strong>im</strong> Bedarfsfall<br />
kurzfristig einberufen wer<strong>de</strong>n kann. Er dient <strong>de</strong>r Koordination<br />
von Maßnahmen <strong>im</strong> Zusammenhang mit<br />
großflächigen, national und ggf. international be<strong>de</strong>utsamen<br />
gesundheitlichen Gefahrenlagen. Da das<br />
BMG für <strong>de</strong>n Infektionsschutz zuständig ist, steht die<br />
Bewältigung von biologischen Szenarien <strong>im</strong> Vor<strong>de</strong>rgrund.<br />
Der Krisenstab ist nach Sachgebieten geglie<strong>de</strong>rt.<br />
Diese stellen u.a. sicher, dass die Leitung und <strong>de</strong>r<br />
Stab insgesamt je<strong>de</strong>rzeit die aktuellen Informationen<br />
über die Scha<strong>de</strong>nslage erhalten, dass diese fachlich<br />
bewertet wer<strong>de</strong>n, die politische Leitung regelmäßig<br />
informiert und in Entscheidungen einbezogen wird<br />
Ressorts<br />
Schaubild 1<br />
Fachreferate RKI<br />
Interministerielle<br />
PEI, BfARM<br />
Koordinierungsgruppe<br />
(IntMinKoGr)<br />
BBK, UBA<br />
generellen Zuständigkeit <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es für <strong>de</strong>n Verteidigungs-<br />
und Zivilschutzfall sowie <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>esministeriums<br />
für Gesundheit für <strong>de</strong>n Infektionsschutz.<br />
Nationale Kontakte<br />
BMG<br />
Krisenstab<br />
Gemeinsamer<br />
Krisenstab<br />
BMI / BMG<br />
Infektionsschutzgesetz (IfSG) geregelt, welches von<br />
<strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn vollzogen wird.<br />
Ungeachtet dieser Zuständigkeitsverteilung ist das<br />
BMG für die internationale Zusammenarbeit <strong>im</strong> gesundheitlichen<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> zuständig. Hier<br />
wer<strong>de</strong>n Informationen z.B. über aufgetretene übertragbare<br />
Krankheiten international <strong>im</strong> Rahmen von<br />
Früh- und Schnellwarnsystemen ausgetauscht. Die<br />
Staaten arbeiten grenzüberschreitend bei planerischorganisatorischen<br />
Vorkehrungen zusammen (z.B. bei<br />
Maßnahmen zum Infektionsschutz <strong>im</strong> Reiseverkehr)<br />
und leisten sich gegenseitig Hilfe.<br />
und die Maßnahmen z.B. mit an<strong>de</strong>ren Ressorts sowie<br />
international abgest<strong>im</strong>mt wer<strong>de</strong>n. Ein weiterer wichtiger<br />
Sachbereich beschäftigt sich mit <strong>de</strong>r Presse- und<br />
Medienarbeit. Diese Stabsfunktionen wer<strong>de</strong>n lageangepasst<br />
besetzt. Eine Rufbereitschaft stellt sicher, dass<br />
das Ministerium außerhalb <strong>de</strong>r Dienstzeiten je<strong>de</strong>rzeit<br />
für Alarmmeldungen erreichbar ist.<br />
Der Krisenstab wird einberufen, wenn eine Lage<br />
nicht in <strong>de</strong>r normalen Dienstzeit und unter Einhaltung<br />
<strong>de</strong>r normalen Arbeitsabläufe bearbeitet wer<strong>de</strong>n<br />
kann. Ebenso kann es zweckmäßig sein, <strong>de</strong>n Krisenstab<br />
einzusetzen, wenn das Ausmaß <strong>de</strong>r Lage umfassen<strong>de</strong><br />
Zusammenarbeit o<strong>de</strong>r internationale Kooperation<br />
erfor<strong>de</strong>rt.<br />
29
30<br />
Nationale und internationale Koordination und Vernetzung<br />
Bei großflächigen und national be<strong>de</strong>utsamen biologische<br />
Gefahrenlagen außerhalb eines Verteidigungsfalles,<br />
bei <strong>de</strong>nen kooperiert und Maßnahmen koordiniert<br />
wer<strong>de</strong>n müssen, bietet das BMG <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn<br />
<strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r Amtshilfe Koordinierungshilfe und<br />
Expertise an, vor allem durch seine nachgeordneten<br />
Behör<strong>de</strong>n.<br />
Der <strong>im</strong> BMG eingerichtete Krisenstab erleichtert es,<br />
Informationen zu bün<strong>de</strong>ln und Strategien zur Bewältigung<br />
<strong>de</strong>r Krise gemeinsam mit Robert Koch-Institut<br />
(RKI), Paul-Ehrlich-Institut (PEI), <strong>Bund</strong>esinstitut für<br />
Arzne<strong>im</strong>ittel und Medizinprodukte (BfArM) und <strong>de</strong>r<br />
für Trinkwasser zuständigen Abteilung <strong>de</strong>s Umweltbun<strong>de</strong>samtes<br />
(UBA) zu entwickeln. Eine wesentliche<br />
Rolle spielt hierbei auch die Risikokommunikation<br />
unter nationalen und internationalen Behör<strong>de</strong>n und<br />
mit <strong>de</strong>r Öffentlichkeit. Für spezielle fachliche Fragen<br />
existieren Expertenkreise; so wird das RKI <strong>im</strong><br />
Hinblick auf spezielle wissenschaftliche Expertise<br />
<strong>im</strong> Falle <strong>de</strong>r Influenzapan<strong>de</strong>mie durch die Influenza-Kommission<br />
für <strong>de</strong>n Pan<strong>de</strong>miefall beraten (siehe<br />
auch Schaubild 1 auf Seite 29).<br />
Auf <strong>Bund</strong>esebene hält <strong>de</strong>r BMG-Krisenstab Kontakt<br />
zu entsprechen<strong>de</strong>n Krisenstäben in an<strong>de</strong>ren Ressorts,<br />
vor allem <strong>im</strong> BMI. Bei einer schweren Krise <strong>im</strong> Sinne<br />
einer biologischen Gefahrenlage von nationaler und<br />
internationaler Be<strong>de</strong>utung wie einer Influenzapan<strong>de</strong>mie<br />
o<strong>de</strong>r einem Pockenausbruch wird be<strong>im</strong> BMI<br />
<strong>de</strong>r Gemeinsame Krisenstab <strong>de</strong>s BMI und <strong>de</strong>s BMG<br />
eingerichtet und ggf. die Interministerielle Koordinierungsgruppe<br />
einberufen 1 .<br />
Joint Medical<br />
Committee<br />
(JMC)<br />
NATO EU<br />
Höherer Planungsausschuss<br />
für zivile Notfälle<br />
(SCEPC)<br />
Euro-atlantisches<br />
Koordinierungszentrum<br />
für Katastrophenhilfe<br />
(EADRCC)<br />
RKI<br />
WHO<br />
BMI<br />
BMI LZ<br />
Internationale Kontakte<br />
BMG<br />
Krisenstab<br />
Global Health Security Initialive<br />
(GHSI)<br />
Nottransport eines kontaminierten, verletzten Patienten<br />
Auch nach Einrichtung <strong>de</strong>s Gemeinsamen Krisenstabes<br />
mit <strong>de</strong>m BMI bewertet <strong>de</strong>r Krisenstab <strong>de</strong>s BMG<br />
die Strategie <strong>de</strong>r Krisenbewältigung zu gesundheitlichen<br />
und medizinischen Fragestellungen. Diese<br />
st<strong>im</strong>mt er mit <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r Arbeitsgemeinschaft<br />
<strong>de</strong>r obersten Lan<strong>de</strong>sgesundheitsbehör<strong>de</strong>n<br />
(AOLG) bzw. <strong>im</strong> speziellen Falle <strong>de</strong>r Influenzapan<strong>de</strong>mie<br />
mit <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>-Län<strong>de</strong>r-Abteilungsleiter-Arbeitsgemeinschaft<br />
(BLALAG) ab.<br />
Im internationalen Bereich arbeiten das BMG und<br />
sein Geschäftsbereich mit <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n Gremien<br />
auf EU-Ebene, z.B. <strong>de</strong>m Health Security Committee,<br />
<strong>de</strong>m Europäischen Zentrum für die Prävention<br />
und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC),<br />
<strong>de</strong>r Weltgesundheitsorganisation (WHO), <strong>de</strong>r Global<br />
Health Security Initiative (GHSI), bestehend aus <strong>de</strong>n<br />
G7-Staaten, Mexiko und <strong>de</strong>r EU-Kommission und<br />
<strong>de</strong>m Joint Medical Committee <strong>de</strong>r NATO zusammen<br />
(siehe auch Schaubild 2).<br />
Health Security Committee<br />
(HSC)<br />
Schnellwarnsystem für<br />
biologische und chemische<br />
Anschläge und Bedrohungen<br />
(RAS-BICHAT)<br />
RKI<br />
RKI<br />
PEI<br />
Europäische Arzne<strong>im</strong>ittelagentur<br />
(EMEA)<br />
Schaubild 2<br />
Frühwarnsystem für<br />
übertragbare Krankheiten<br />
(EWRS)<br />
Verwaltungsrat<br />
(MB)<br />
(wissenschaftlicher)<br />
Beirat<br />
(AF)<br />
Europäisches<br />
Zentrum für<br />
die Prävention<br />
und Kontrolle<br />
von Krankheiten<br />
(ECDC)
Spezielle Planungen für gesundheitliche Scha<strong>de</strong>nsereignisse<br />
Für best<strong>im</strong>mte Szenarien – z.B. Pocken und Influenza<br />
– sind Pläne und Konzepte zum Management<br />
<strong>de</strong>rartiger Gefahrenlagen vorbereitet und die entsprechen<strong>de</strong>n<br />
Verfahren mit <strong>de</strong>n beteiligten an<strong>de</strong>ren<br />
Ressorts sowie <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn über die Arbeitsgemeinschaft<br />
<strong>de</strong>r obersten Lan<strong>de</strong>sgesundheitsbehör<strong>de</strong>n<br />
(AOLG) <strong>im</strong> Vorfeld abgest<strong>im</strong>mt wor<strong>de</strong>n. Die Planungen<br />
wer<strong>de</strong>n regelmäßig fachlich überarbeitet und<br />
durch Übungen auf internationaler, nationaler 2 und<br />
regionaler Ebene praktisch überprüft.<br />
Diese Planungen betreffen <strong>de</strong>n gesamten Ablauf <strong>de</strong>s<br />
jeweiligen biologischen Scha<strong>de</strong>nsereignisses. Dabei<br />
geht es sowohl um die Behandlung <strong>de</strong>s einzelnen<br />
Menschen (Diagnostik, Patiententransport, Behandlung<br />
mit Impfstoffen und Arzne<strong>im</strong>itteln) als auch um<br />
die öffentliche Gesundheit. Die Maßnahmen <strong>im</strong> Bereich<br />
<strong>de</strong>r öffentlichen Gesundheit umfassen rechtliche<br />
Mel<strong>de</strong>verpflichtungen be<strong>im</strong> Auftreten best<strong>im</strong>mter<br />
Krankheiten. Damit sich die Krankheit möglichst<br />
nicht weiter verbreitet, bestehen Absprachen, wie<br />
beispielsweise ansteckungsverdächtige Kontaktpersonen<br />
ermittelt und aufgesucht wer<strong>de</strong>n und inwieweit<br />
die Bewegungsfreiheit eingeschränkt wer<strong>de</strong>n<br />
muss.<br />
Risikokommunikation in Richtung Bevölkerung,<br />
Presse und Fachöffentlichkeit ist ein wesentlicher Bestandteil<br />
eines guten <strong>Krisenmanagement</strong>s. Hier sind<br />
entsprechen<strong>de</strong> Vorbereitungen getroffen wor<strong>de</strong>n, so<br />
sind z.B. vorab Informationsblätter erstellt und Verhaltensregeln<br />
für die Allgemeinheit abgest<strong>im</strong>mt wor<strong>de</strong>n.<br />
Diese können <strong>im</strong> Ereignisfall genutzt wer<strong>de</strong>n.<br />
Weiterhin liegen Planungen, angefangen von Labordiagnostik<br />
über stationäre Behandlungskapazitäten,<br />
Probenübergabe <strong>im</strong> abgesicherten Bereich <strong>de</strong>s<br />
Robert-Koch-Instituts<br />
Hygiene- und Schutzmaßnahmen in Krankenhäusern<br />
für Patienten und Personal, Organisation von<br />
Schutz<strong>im</strong>pfungen (Einrichtung von Impfstellen,<br />
Impfbescheinigungen) bis hin zur Bevorratung von<br />
Impfstoffen und Hilfsmitteln und Verteilung von Arzne<strong>im</strong>itteln<br />
vor.<br />
Diese Vorbereitungsmaßnahmen sind – da es sich<br />
hier um Vorbereitungen auf die größtmöglichen biologischen<br />
Scha<strong>de</strong>nslagen han<strong>de</strong>lt – auf an<strong>de</strong>re biologische<br />
Scha<strong>de</strong>nslagen entsprechend übertragbar.<br />
Die Planungen haben zu einer engen Zusammenarbeit<br />
aller Akteure geführt. Sie bil<strong>de</strong>n vor <strong>de</strong>m Hintergrund<br />
<strong>de</strong>r gegebenen rechtlichen Rahmenbedingungen<br />
ein tragfähiges Konzept, um das bestmögliche<br />
Zusammenwirken aller <strong>im</strong> <strong>Krisenmanagement</strong> von<br />
gesundheitlichen Großscha<strong>de</strong>nslagen tätigen Akteure<br />
sicherzustellen.<br />
Zu <strong>de</strong>n Autoren: Ministerialrat Dr. Johannes Blasius ist Referatsleiter, Oberregierungsrätin Dr. Gesa Lücking, LL.M., Referentin<br />
<strong>im</strong> <strong>Bund</strong>esministerium für Gesundheit, Bonn<br />
1 Details zur Interministeriellen Koordinierungsgruppe <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es und <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r enthält in Kapitel I dieser Publikation <strong>de</strong>r<br />
Grundsatzartikel „Die Rolle <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es <strong>im</strong> <strong>Krisenmanagement</strong>“.<br />
2 Zur Influenzapan<strong>de</strong>mieplanung bei LÜKEX 2007 <strong>im</strong> Detail siehe auch Kapitel IV dieser Publikation, S. 157 ff. Beitrag<br />
„LÜKEX 2007: Wichtige Erkenntnisse für strategisches <strong>Krisenmanagement</strong> und nationale Pan<strong>de</strong>mieplanung“<br />
31
32<br />
Opt<strong>im</strong>ierung <strong>de</strong>r Zivil-Militärischen Zusammenarbeit:<br />
Das neue „Territoriale Netzwerk“ <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr<br />
Frank Baumgard<br />
Hochwasser-Einsatz <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr an <strong>de</strong>r Prignitz <strong>im</strong> April<br />
2006<br />
Die territorialen Strukturen <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr <strong>im</strong> Wan<strong>de</strong>l<br />
Während <strong>de</strong>s Kalten Krieges waren zivile und militärische<br />
Verteidigung unter <strong>de</strong>m Begriff „Gesamtverteidigung“<br />
zusammengefasst. Diese war Bestandteil<br />
nationaler Sicherheitsvorsorge und diente unmittelbar<br />
<strong>de</strong>r Unterstützung <strong>de</strong>s Einsatzes bündnisgemeinsamer<br />
Streitkräfte zum Schutz <strong>de</strong>s Staatsgebietes und<br />
<strong>de</strong>r Bevölkerung gegen Angriffe von außen. Im Mittelpunkt<br />
stan<strong>de</strong>n dabei Planung und Führung <strong>de</strong>r<br />
Operationen zum Raum- und Objektschutz sowie die<br />
Koordination <strong>de</strong>r zivilen und militärischen nationalen<br />
Operationen <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r Gesamtverteidigung.<br />
Mit <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Wie<strong>de</strong>rvereinigung wur<strong>de</strong>n diese<br />
Strukturen überflüssig. Eine neue territoriale Struktur,<br />
das „Territoriale Netzwerk“, hat heute zum Ziel, <strong>de</strong>n<br />
Beitrag <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr zum Schutz Deutschlands<br />
und seiner Bürger unter <strong>de</strong>n geän<strong>de</strong>rten strukturellen<br />
Gegebenheiten weiter zu verbessern.<br />
Seit 2001 wird die <strong>Bund</strong>eswehr auf breiter Basis neu<br />
ausgerichtet. Ziel dieses als Transformation bezeichneten<br />
Prozesses ist es, die Fähigkeit <strong>de</strong>r Streitkräfte<br />
zum weltweiten Einsatz zu verbessern, da Deutschland<br />
<strong>de</strong>n Bedrohungen dort entgegen treten muss,<br />
wo sie entstehen. Dennoch trägt die <strong>Bund</strong>eswehr<br />
auf <strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>r gesetzlichen Grundlagen weiterhin<br />
in einem vernetzten gesamtstaatlichen Ansatz<br />
zum Schutz <strong>de</strong>r Bürger und Bürgerinnen und von lebenswichtiger<br />
Infrastruktur <strong>im</strong> Inland bei. Für diesen<br />
Zweck ist die auftragsgerechte Ausgestaltung <strong>de</strong>r Zivil-Militärischen<br />
Zusammenarbeit Inland (ZMZ) eine<br />
wichtige Voraussetzung, damit Truppenteile und<br />
Dienststellen <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr zur Unterstützung ziviler<br />
Behör<strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>r Bewältigung von Naturkatastrophen<br />
und beson<strong>de</strong>rs schweren Unglücksfällen nach<br />
<strong>de</strong>m Subsidiaritätsprinzip opt<strong>im</strong>al eingesetzt wer<strong>de</strong>n<br />
können. Die Streitkräftebasis (SKB) – <strong>de</strong>r zentrale<br />
militärischen Organisationsbereich zur Unterstützung<br />
<strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr in Einsatz und Grundbetrieb – stellt<br />
die dazu erfor<strong>de</strong>rliche Führungsorganisation sicher.<br />
Das neue „Territoriale Netzwerk“ besteht aus<br />
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Köln-Wahn;<br />
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Mainz, Erfurt und München;<br />
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ligen Lan<strong>de</strong>sregierung, einschließlich <strong>de</strong>s<br />
Standortkommandos Berlin;<br />
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rungsbezirken bzw. vergleichbaren Behör<strong>de</strong>n<br />
sowie allen Landkreisen und kreisfreien Städten;<br />
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stützungstrupps (RegPl / UstgTrp), und <strong>de</strong>n<br />
ZMZ-Stützpunkten.
Bezirks- und Kreisverbindungskommandos – Effizienzsteigerung <strong>de</strong>r ZMZ<br />
Der <strong>de</strong>rzeitigen fö<strong>de</strong>ralen Glie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>esrepublik<br />
folgend sind 31 Bezirks- und 426 Kreisverbindungskommandos<br />
aufgestellt wor<strong>de</strong>n; sie sind<br />
Teileinheiten <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>skommandos. Im Fall einer<br />
Zusammenlegung von Kreisen wird die Zahl dieser<br />
Kommandos entsprechend angepasst. Diese Verbindungskommandos<br />
wer<strong>de</strong>n ausschließlich mit regional<br />
ansässigen Reservisten und Reservistinnen besetzt.<br />
Je<strong>de</strong>s Verbindungskommando umfasst 12 Dienstposten,<br />
so dass insgesamt rund 5.500 Reservisten und<br />
Reservistinnen, davon 3.650 Offiziere, die Aufgaben<br />
in <strong>de</strong>n Kommandos wahrnehmen. Ihre Kernaufgaben<br />
sind:<br />
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über Möglichkeiten und Grenzen <strong>de</strong>r Unterstüt-<br />
zung durch die <strong>Bund</strong>eswehr;<br />
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schutzstabes zur aktuellen Lage und Beteiligung<br />
an <strong>de</strong>n operativen Folgeplanungen zur Gefah-<br />
renabwehr;<br />
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und Meldung an das Lan<strong>de</strong>skommando;<br />
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wehrkräfte und Informieren <strong>de</strong>s Krisenstabes<br />
über die Lage <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehrkräfte;<br />
Kooperationsebenen <strong>im</strong><br />
Rahmen <strong>de</strong>r Zivil-<br />
Militärischen Zusammenarbeit<br />
� ������ ��� ���������� ��� ��� ���������� ����<br />
geplanungen, Absichten und Schwerpunkte <strong>de</strong>s<br />
leiten<strong>de</strong>n zivilen Katastrophenstabes an das Lan-<br />
<strong>de</strong>skommando.<br />
Die Leiter <strong>de</strong>r Verbindungskommandos stehen als<br />
„Beauftragte <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr für die Zivil-Militärische<br />
Zusammenarbeit“ (BeaBwZMZ) <strong>de</strong>n zugeordneten<br />
zivilen Dienststellen auch außerhalb von<br />
Katastrophenfällen als Ansprechpartner in Fragen<br />
möglicher Unterstützungsleistungen zur Verfügung.<br />
Die Planung <strong>de</strong>s Katastrophenschutzes kann dadurch<br />
bereits in sehr frühen Phasen unter Berücksichtigung<br />
militärischer Expertise erfolgen, und realistische Unterstützungsmöglichkeiten<br />
<strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr für die<br />
Hilfeleistung können aufgezeigt wer<strong>de</strong>n. Dies trägt<br />
dazu bei, dass auf <strong>de</strong>r zivilen Seite frühzeitig, d.h. bereits<br />
in <strong>de</strong>r Planung, Fähigkeitslücken ggf. geschlossen<br />
wer<strong>de</strong>n können. Die Leiter <strong>de</strong>r Verbindungskommandos<br />
wer<strong>de</strong>n zum Zweck opt<strong>im</strong>aler Verfügbarkeit<br />
<strong>de</strong>shalb auch nicht in einer militärischen Liegenschaft<br />
untergebracht, son<strong>de</strong>rn in einem Büro <strong>de</strong>r jeweiligen<br />
zivilen Behör<strong>de</strong>, um bereits <strong>im</strong> Grundbetrieb in das<br />
„kommunale Netzwerk Katastrophenhilfe“ eingebun<strong>de</strong>n<br />
zu sein.<br />
33
34<br />
Regionale Zuständigkeiten <strong>de</strong>r vier Wehrbereichskommandos<br />
Im Einsatz tritt <strong>de</strong>r BeaBwZMZ mit seinem Verbindungskommando<br />
in schichtfähiger Besetzung zum<br />
jeweiligen Krisen-/Verwaltungsstab. Dadurch kann<br />
sowohl <strong>de</strong>r Entscheidungsprozess <strong>de</strong>r zivilen Seite<br />
zur Anfor<strong>de</strong>rung von Unterstützungsleistungen durch<br />
eine schnellere Bewertung <strong>de</strong>r Fähigkeiten <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr<br />
als auch die bun<strong>de</strong>swehrinterne Bewertung<br />
möglicher Unterstützleistungen beschleunigt und<br />
qualitativ verbessert wer<strong>de</strong>n. Der Zeitaufwand für die<br />
Einsatzplanung wird verkürzt, für Unterstützungsleistungen<br />
vorgesehene Kräfte <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr können<br />
schneller zum Einsatz kommen. Der BeaBwZMZ <strong>de</strong>s<br />
Bezirksverbindungskommandos ist ein Oberst <strong>de</strong>r<br />
Reserve, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Kreisverbindungskommandos ein<br />
Oberstleutnant <strong>de</strong>r Reserve.<br />
Um <strong>de</strong>n beson<strong>de</strong>ren Belangen <strong>de</strong>s zivilen Gesundheitswesens<br />
bei <strong>de</strong>r Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>m Zentralen<br />
Sanitätsdienst <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr gerecht zu wer<strong>de</strong>n,<br />
sind <strong>im</strong> Einsatzfall zu<strong>de</strong>m ein „Beauftragter Sanitätsstabsoffizier<br />
für die Zivil-Militärische Zusammenarbeit<br />
Gesundheitswesen“ (BeaSanStOffzZMZGesWes) und<br />
ein Sanitätsfeldwebel in je<strong>de</strong>s Verbindungskommando<br />
integriert. Sie sind be<strong>im</strong> zuständigen Sanitätskommando<br />
(SanKdo) beor<strong>de</strong>rt und wer<strong>de</strong>n dort fachlich<br />
aus- und weitergebil<strong>de</strong>t. In Fragen <strong>de</strong>s Sanitätsdienstes<br />
steht <strong>de</strong>r Sanitätsstabsoffizier <strong>de</strong>r zivilen Seite<br />
auch außerhalb <strong>de</strong>s Einsatz- und Übungsfalles als<br />
Ansprechpartner zur Verfügung. Die Dotierung <strong>de</strong>s<br />
Dienstpostens ist vergleichbar <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s BeaBwZMZ.<br />
Kommen Kräfte <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr zum Einsatz, wer<strong>de</strong>n<br />
sie <strong>de</strong>m zuständigen Wehrbereichskommando<br />
zugewiesen und dort mit Blick auf eine län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong><br />
Unterstützung geführt. Für die Führung<br />
vor Ort greift die Truppe auf ihre Führungsmittel<br />
und Führungsorganisation zurück. Dies kann zum<br />
Beispiel ein Bataillonsgefechtsstand o<strong>de</strong>r ein Briga<strong>de</strong>stab<br />
<strong>de</strong>s Heeres sein. Dem Lan<strong>de</strong>skommando obliegt<br />
die Abst<strong>im</strong>mung an <strong>de</strong>n Schnittstellen zwischen<br />
<strong>de</strong>n zivilen Krisen- und Verwaltungsstäben und <strong>de</strong>m<br />
militärischen Führer <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehrkräfte.
ZMZ-Stützpunkte – Spezialfähigkeiten für beson<strong>de</strong>re Krisenlagen<br />
For<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eslän<strong>de</strong>r auf subsidiär zu leisten<strong>de</strong><br />
Unterstützung durch die <strong>Bund</strong>eswehr in Krisenlagen<br />
beziehen sich beson<strong>de</strong>rs auf <strong>de</strong>ren Fähigkeiten<br />
zur Abwehr von Schä<strong>de</strong>n durch ABC-Kampfmittel,<br />
zur Bewältigung eines Massenanfalls von Verletzten<br />
sowie zur Pionier- und Transportunterstützung<br />
(Land und / o<strong>de</strong>r Luft), auf <strong>de</strong>n Brandschutz und die<br />
Kampfmittelbeseitigung. Das „Territoriale Netzwerk“<br />
wird für diesen Zweck durch die geplante Schaffung<br />
von 16 ZMZ-Stützpunkten mit entsprechen<strong>de</strong>n speziellen<br />
Fähigkeiten abgerun<strong>de</strong>t, und zwar zur sanitätsdienstlichen<br />
Unterstützung (9 Stützpunkte), zur<br />
Unterstützung durch Pioniere / Spezialpioniere (5<br />
Stützpunkte) und zur ABC-Abwehr (2 Stützpunkte).<br />
Hierfür wer<strong>de</strong>n nichtaktive Einheiten / Teileinheiten<br />
aufgestellt, <strong>de</strong>ren Angehörige <strong>im</strong> Rahmen von „Hilfe-<br />
Rechtliche Rahmenbedingungen für Hilfeleistungen <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr<br />
Die Hilfeleistung bei Naturkatastrophen und beson<strong>de</strong>rs<br />
schweren Unglücksfällen ist keine originäre Aufgabe<br />
<strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr, son<strong>de</strong>rn <strong>im</strong>mer ein subsidiärer<br />
Auftrag zur Unterstützung <strong>de</strong>r zuständigen zivilen<br />
Stellen bei <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>rn. Unterstützungsleistungen<br />
wer<strong>de</strong>n <strong>im</strong>mer nur <strong>im</strong> Rahmen freier Kapazitäten<br />
und in Abhängigkeit vom Hauptauftrag (<strong>de</strong>r Truppe)<br />
bereitgestellt.<br />
Hilfe durch die <strong>Bund</strong>eswehr kann durch die zuständigen<br />
Behör<strong>de</strong>n / Dienststellen angefor<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n<br />
bei<br />
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leistungen <strong>im</strong> Inneren“ – eine neue, eigenständige<br />
Wehrdienstart, die <strong>im</strong> Wehrpflicht- und Soldatengesetz<br />
nunmehr verankert ist – einberufen und mit <strong>de</strong>n zum<br />
Zeitpunkt <strong>de</strong>s Einsatzes verfügbaren aktiven Truppenteilen<br />
am Standort <strong>de</strong>s Stützpunktes aktiv wer<strong>de</strong>n<br />
können. Daraus folgt jedoch keine Exklusivität zur<br />
Hilfeleistung. Die Einrichtung <strong>de</strong>r ZMZ-Stützpunkte<br />
setzt das bisherige Prinzip, grundsätzlich alle Verbän<strong>de</strong><br />
/ Dienststellen <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr zur Hilfeleistung<br />
<strong>im</strong> Bedarfsfall heranzuziehen, nicht außer Kraft. Das<br />
BMVg erarbeitet zurzeit die konzeptionellen Grundlagendokumente<br />
für das Stützpunktkonzept. Ziel ist<br />
es, die Stützpunkte ab 2009 aufzustellen und nach<br />
<strong>de</strong>rzeitiger Planung 2010 abzuschließen<br />
Die <strong>Bund</strong>eswehr will künftig durch neue ZMZ- Stützpunkte<br />
bei beson<strong>de</strong>ren Krisenlagen unterstützen, unter an<strong>de</strong>rem zur<br />
sanitätsdienstlichen Versorgung <strong>de</strong>r Bevölkerung.<br />
Im Bild: Einsatzübung be<strong>im</strong> Lazarettreg<strong>im</strong>ent 31, Berlin.<br />
35
36<br />
Daneben steht die technisch-logistische Amtshilfe,<br />
die sowohl <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r zuvor genannten Anlässe<br />
geleistet wer<strong>de</strong>n kann, die aber auch ohne diese<br />
Anlässe auf Anfor<strong>de</strong>rung gegenüber <strong>de</strong>n Behör<strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es und <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r (z.B. <strong>Bund</strong>espolizei,<br />
Polizeien <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r, Katastrophenschutzbehör<strong>de</strong>n,<br />
etc.) zu leisten ist (Art. 35 Abs. 1 Grundgesetz). Dies<br />
schließt technisch-logistische Amtshilfe für planbare<br />
Ereignisse ein (z.B. Fußballweltmeisterschaft 2006,<br />
G8-Gipfel 2007). Zur Amtshilfe verpflichtet sind auch<br />
die Streitkräfte sowie die Wehrverwaltung gegenüber<br />
Behör<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r unmittelbaren <strong>Bund</strong>es-, Lan<strong>de</strong>s- und<br />
Kommunalverwaltungen. Diese Pflicht wird durch §§<br />
4 - 8 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es<br />
konkretisiert.<br />
Auf dieser Grundlage kann die <strong>Bund</strong>eswehr auf Ersuchen<br />
von Behör<strong>de</strong>n Fähigkeiten, Kräfte, Mittel und<br />
Leistungen (auch bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen)<br />
bereitstellen, solange dabei nicht hoheitliche<br />
Befugnisse ausgeübt wer<strong>de</strong>n. Hierbei können<br />
z.B. Auskünfte erteilt, Liegenschaften, Transportkapazität<br />
und an<strong>de</strong>re Sachleistungen bereitgestellt sowie<br />
personelle und sonstige Unterstützung geleistet wer<strong>de</strong>n.<br />
Amtshilfe beschränkt sich auf ergänzen<strong>de</strong> Hilfe<br />
auf Anfor<strong>de</strong>rung einer Behör<strong>de</strong> in Einzelfällen und<br />
schließt eine auf Dauer angelegte, institutionalisierte<br />
Zusammenarbeit zwischen Behör<strong>de</strong>n aus. Amtshilfe<br />
hat nicht <strong>de</strong>n Zweck, einer an<strong>de</strong>ren Behör<strong>de</strong> die für<br />
ihre Aufgaben benötigten Ressourcen und Ausgabemittel<br />
zu ersparen.<br />
Für <strong>de</strong>n Katastrophenschutz sind originär die Län<strong>de</strong>r<br />
zuständig. Das bedingt grundsätzlich die Übernahme<br />
<strong>de</strong>r <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r Katastrophenhilfe entstan<strong>de</strong>nen<br />
Aufwendungen <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr durch die entsprechen<strong>de</strong>n<br />
Behör<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r. Für die angefor<strong>de</strong>rte<br />
Unterstützung <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr wird <strong>de</strong>r reduzierte<br />
Amtshilfesatz (ohne Personalkosten) in Rechnung gestellt.<br />
Dieser Betrag kann weiter gemin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n,<br />
wenn ein überwiegen<strong>de</strong>s Ausbildungsinteresse für<br />
die <strong>Bund</strong>eswehr vorliegt. Nach <strong>de</strong>m Haushaltsrecht<br />
<strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es sind einzelfallbezogene Ausnahmen zulässig;<br />
diese bedingen aber z.B. die Feststellung <strong>de</strong>s<br />
<strong>Bund</strong>esinteresses bei Katastrophen von überregionalem<br />
Ausmaß.<br />
<strong>Bund</strong>eswehr-Flugzeuge <strong>de</strong>s Typs Airbus A 310 MRT stehen für Krankentransporte zur Verfügung
Die neu gefassten „Hilfeleistungserlasse“ sind <strong>im</strong><br />
„Ministerialblatt <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>esministeriums <strong>de</strong>r Verteidigung“<br />
(VMBl) 1/2008 veröffentlicht wor<strong>de</strong>n.<br />
Die Neufassung berücksichtigt <strong>de</strong>n Wan<strong>de</strong>l in <strong>de</strong>r<br />
Organisation und <strong>de</strong>n Zuständigkeiten in <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr.<br />
Sie trägt daneben <strong>de</strong>n Erkenntnissen aus<br />
<strong>de</strong>n Unterstützungsleistungen <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r Katastrophenhilfe<br />
und anlässlich von Großveranstaltun-<br />
Zusammenfassung: Verlässlichkeit <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr in <strong>de</strong>r ZMZ<br />
Die <strong>Bund</strong>eswehr trägt auch weiterhin in einem vernetzten<br />
gesamtstaatlichen Ansatz mit ihren Fähigkeiten<br />
zum Schutz <strong>de</strong>r Bürger und Bürgerinnen <strong>im</strong><br />
Inland bei. Das neu strukturierte „Territoriale Netzwerk“<br />
<strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr ist hierzu ein wesentlicher<br />
und wirkungsvoller Beitrag. Zentrales Element dieses<br />
neuen Konzeptes sind die Verbindungselemente zu<br />
<strong>de</strong>n kommunalen Behör<strong>de</strong>n, die sich ausschließlich<br />
aus Reservistinnen und Reservisten rekrutieren. Das<br />
„Territoriale Netzwerk“ hat seine Funktionsfähigkeit<br />
gen <strong>de</strong>r vergangenen Jahre Rechnung. Die für die<br />
<strong>Bund</strong>eswehr <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r Amtshilfe spezifischen<br />
Best<strong>im</strong>mungen zu Art und Umfang, <strong>de</strong>n rechtlichen<br />
Voraussetzungen und Entscheidungszuständigkeiten<br />
und zur Kostenlast – auch und insbeson<strong>de</strong>re bei <strong>de</strong>r<br />
Unterstützung von Polizeikräften – sind <strong>im</strong> Erlass<br />
„Hilfeleistung <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r technischen<br />
Amtshilfe“ geregelt.<br />
nicht nur <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong>n <strong>Krisenmanagement</strong>übung<br />
LÜKEX 2007 unter Beweis gestellt,<br />
die <strong>Bund</strong>eswehr hat ihre Verlässlichkeit auch<br />
insgesamt in <strong>de</strong>r Zivil-Militärischen Zusammenarbeit<br />
durch Unterstützung <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>nsbekämpfung<br />
bewiesen, zum Beispiel bei <strong>de</strong>r Beseitigung<br />
<strong>de</strong>r durch <strong>de</strong>n Orkan Kyrill angerichteten<br />
Schä<strong>de</strong>n, bei Hubschrauberlöscheinsätzen und vielen<br />
an<strong>de</strong>ren Gelegenheiten.<br />
Zivil-Militärische Zusammenarbeit (ZMZ)<br />
Bezeichnung für das Zusammenwirken von Organen <strong>de</strong>r zivilen Verteidigung mit <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r militärischen<br />
Verteidigung <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r Gesamtverteidigung sowohl <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sverteidigung<br />
als auch <strong>de</strong>r NATO-Verteidigung; umfasst alle Maßnahmen, die gemeinsam von militärischen<br />
und zivilen, nationalen o<strong>de</strong>r NATO-Dienststellen bzw. Behör<strong>de</strong>n <strong>im</strong> Frie<strong>de</strong>n, in einer Krise<br />
o<strong>de</strong>r <strong>im</strong> Krieg zur Sicherstellung einer wirksamen Gesamtverteidigung ergriffen wer<strong>de</strong>n.<br />
Auskunftsunterlage <strong>Krisenmanagement</strong> Ressorts <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>esregierung vom 13.05.2008<br />
Zum Autor: Oberstleutnant i.G. Frank Baumgard ist Angehöriger <strong>de</strong>s für die Zivil-Militärische Zusammenarbeit zuständigen<br />
Referats FüS IV 3 <strong>im</strong> Führungsstab <strong>de</strong>r Streitkräfte, <strong>Bund</strong>esministerium <strong>de</strong>r Verteidigung, Bonn<br />
37
38<br />
Die Polizei <strong>im</strong> gesamtstaatlichen <strong>Krisenmanagement</strong><br />
Klaus Neidhardt / Ulrich Sei<strong>de</strong>l<br />
Bevölkerungsschutz und Polizeiauftrag<br />
Die Polizei ist, neben <strong>de</strong>n Behör<strong>de</strong>n und Organisationen<br />
<strong>de</strong>r nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr (Feuerwehr,<br />
Rettungsdienste, Hilfsorganisationen), <strong>de</strong>r<br />
<strong>Bund</strong>eswehr (unter Beachtung <strong>de</strong>r verfassungsmäßigen<br />
Grenzen) und <strong>de</strong>n Gehe<strong>im</strong>diensten eine <strong>de</strong>r<br />
vier Säulen <strong>de</strong>r Sicherheitsarchitektur zum Schutz <strong>de</strong>r<br />
Bevölkerung. Im Rahmen ihrer gesetzlich normierten<br />
Aufgaben, die <strong>im</strong> Wesentlichen aus Gefahrenabwehr<br />
und Strafverfolgung bestehen, leistet die Polizei in<br />
vielerlei Hinsicht einen unverzichtbaren Beitrag<br />
In <strong>de</strong>r Vergangenheit kam es in Deutschland <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r zu Großscha<strong>de</strong>nslagen<br />
aufgrund von Unfällen und Naturkatastrophen mit zahlreichen Toten und<br />
Verletzten sowie erheblichen Sachschä<strong>de</strong>n. Alle diese Einsatzlagen sind meistens<br />
Sofortlagen mit komplexen Rahmenbedingungen, weil unterschiedlichste Behör<strong>de</strong>n<br />
und Organisationen schnell und koordiniert zusammenwirken müssen.<br />
Zumeist sind bei Großscha<strong>de</strong>nslagen hochwertige Rechtsgüter<br />
wie Leben und Gesundheit gefähr<strong>de</strong>t, und es besteht großes Inte-<br />
resse bei Medien und Öffentlichkeit. Aufgrund ihrer Erfahrungen<br />
und Professionalität wird von <strong>de</strong>r Polizei in <strong>de</strong>rartigen Lagen<br />
eine stabilisieren<strong>de</strong> Rolle <strong>im</strong> Gesamteinsatzgeschehen erwartet.<br />
In diesem Beitrag soll die Rolle <strong>de</strong>r Polizei <strong>im</strong> Rahmen eines gesamtstaatlichen<br />
<strong>Krisenmanagement</strong>s unter Berücksichtigung aktueller Herausfor<strong>de</strong>rungen, <strong>de</strong>r<br />
Kooperationsnotwendigkeiten mit nichtpolizeilichen Akteuren sowie <strong>de</strong>r Aus-<br />
und Fortbildung dargestellt wer<strong>de</strong>n. Der Begriff „polizeiliches <strong>Krisenmanagement</strong>“<br />
bezieht sich dabei auf die strategischen und taktischen Anfor<strong>de</strong>rungen<br />
polizeilichen Einsatzhan<strong>de</strong>lns bei GGSK (Größere Gefahren- und Scha<strong>de</strong>nslagen,<br />
Katastrophen).<br />
zum Bevölkerungsschutz. Sie muss sowohl die Gefahrenabwehr<br />
als auch die Strafverfolgung <strong>im</strong> Blick<br />
haben, wobei sich die Polizei bei <strong>de</strong>rartigen Gemengelagen<br />
mit gleichzeitig zu erfüllen<strong>de</strong>n präventiven<br />
und repressiven Aufgaben <strong>im</strong> Rahmen einer Dominanzentscheidung<br />
vorrangig für die Gefahrenabwehr<br />
entschei<strong>de</strong>n wird. Dies be<strong>de</strong>utet aber selbst bei unmittelbaren<br />
Gefahren für Leib o<strong>de</strong>r Leben nicht, dass<br />
die Polizei auf strafverfolgen<strong>de</strong> Ermittlungen völlig<br />
verzichten kann.
Gefahrenabwehr<br />
Die Polizei ist für die unaufschiebbaren Maßnahmen<br />
<strong>de</strong>r Gefahrenabwehr und die Aufrechterhaltung von<br />
Sicherheit und Ordnung zuständig. In dieser Hinsicht<br />
gehört es auch zu <strong>de</strong>n Aufgaben <strong>de</strong>r Polizei, die Bevölkerung<br />
vor entsprechen<strong>de</strong>n Gefahren zu warnen<br />
und zu schützen, Ursachen zu ermitteln und eine<br />
Ausweitung <strong>de</strong>s Scha<strong>de</strong>ns zu verhin<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st<br />
zu verringern.<br />
Bei GGSK besteht für die Polizei die Beson<strong>de</strong>rheit,<br />
dass nicht vorrangig sie, son<strong>de</strong>rn die nichtpolizeilichen<br />
Gefahrenabwehrorganisationen die eigentliche<br />
Lage bewältigen. Die Polizei gewährleistet dazu <strong>de</strong>n<br />
schnellen und ungehin<strong>de</strong>rten Einsatz von Feuerwehr<br />
und Rettungsdiensten, z.B. durch Absperr- und<br />
Verkehrsmaßnahmen, um Aktionsraum für diese zu<br />
schaffen, ihre zügige An- und Abfahrt zu gewährleisten<br />
und Not- und Rettungswege freizuhalten. Daneben<br />
führt die Polizei weitere Maßnahmen, häufig<br />
mit Eingriffscharakter für die Betroffenen, durch.<br />
Dies können z.B. Schutzmaßnahmen für Personen<br />
und Eigentum sein, um Plün<strong>de</strong>rungen o<strong>de</strong>r Gewalttätigkeiten<br />
zu verhin<strong>de</strong>rn. Die Ereignisse in <strong>de</strong>n USA<br />
bei <strong>de</strong>r Flutkatastrophe von New Orleans <strong>im</strong> August<br />
2005 haben gezeigt, welche Konsequenzen es haben<br />
kann, wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung<br />
in einem größeren Scha<strong>de</strong>nsgebiet zusammenbricht.<br />
In einer solchen Lage ist auch ein gefahrloser Einsatz<br />
nichtpolizeilicher Gefahrenabwehrorganisationen<br />
unmöglich.<br />
Dachte man bis zu <strong>de</strong>n Anschlägen vom 11. September<br />
2001 in New York bei GGSK in erster Linie an Einsatzlagen<br />
mit Gefahrenpotentialen, die sich als Folge von<br />
Unfällen (z.B. in chemischen o<strong>de</strong>r kerntechnischen<br />
Anlagen o<strong>de</strong>r auf Straßen, Wasserstraßen, Luft- und<br />
Schienenverkehrswegen) o<strong>de</strong>r Naturkatastrophen<br />
(z.B. Hochwasser, Waldbrän<strong>de</strong>) ereignen können, so<br />
ist seit<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s Gefahrenpotentials weiter<br />
zu sehen. Auch Terroranschläge können in ihrer<br />
Folge zu GGSK mit erheblichen Ausmaßen führen.<br />
Sowohl die versuchten Kofferbombenanschläge in<br />
zwei Regionalzügen <strong>im</strong> Juli 2006 als auch die Festnahme<br />
von drei verdächtigen Personen <strong>im</strong> Sauerland<br />
<strong>im</strong> September 2007 haben <strong>de</strong>utlich gemacht, dass<br />
auch Deutschland <strong>im</strong> Zielspektrum <strong>de</strong>s islamistischen<br />
Terrorismus liegt. Dies umfasst auch das Phänomen<br />
<strong>de</strong>s sog. „Homegrown Terrorism“. Die <strong>im</strong> Sauerland<br />
festgenommenen mutmaßlichen Terroristen hatten<br />
bereits ca. 730 kg Wasserstoffperoxidlösung gelagert,<br />
die wahrscheinlich gegen amerikanische Einrichtungen<br />
in Deutschland eingesetzt wer<strong>de</strong>n sollten. Die<br />
Folgen eines <strong>de</strong>rartigen Anschlags wären gewaltig<br />
gewesen.<br />
Mit <strong>de</strong>r Festnahme dieser Täter ist die Gefahr von<br />
Anschlägen allerdings nicht gebannt. Die Existenz<br />
weiterer Terrorzellen in Deutschland kann nicht ausgeschlossen<br />
wer<strong>de</strong>n. So wur<strong>de</strong>n mit Stand Februar<br />
2008 allein 70 weitere Personen in Deutschland als<br />
sog. „Gefähr<strong>de</strong>r“ eingestuft, die polizeilich intensiv<br />
zu überwachen sind.<br />
Nach <strong>de</strong>r Festnahme von drei Terrorverdächtigen <strong>im</strong><br />
Sauerland <strong>im</strong> Juli 2006: eines <strong>de</strong>r sichergestellten Fässer mit<br />
Wasserstoffperoxidlösung zum Bau von Sprengsätzen<br />
39
40<br />
Eine vorrangige Aufgabe <strong>de</strong>r Polizei be-<br />
steht darin, terroristische Anschläge zu<br />
verhin<strong>de</strong>rn. Alle Polizeien <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r, das<br />
BKA und die <strong>Bund</strong>espolizei konzentrieren<br />
ihre Maßnahmen <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r jewei-<br />
ligen Zuständigkeit auf dieses Ziel und<br />
leisten damit einen wichtigen Beitrag zum<br />
Bevölkerungsschutz.<br />
Dazu wer<strong>de</strong>n z.B. Schutzmaßnahmen an gefähr<strong>de</strong>ten<br />
Objekten durchgeführt, wobei ein umfassen<strong>de</strong>r<br />
Schutz auch sog. „weicher“ Ziele, wie z.B. <strong>de</strong>r Einrichtungen<br />
<strong>de</strong>s ÖPNV, nicht leistbar ist. Wichtig ist<br />
es in diesem Zusammenhang auch, die Bevölkerung<br />
in eine Verdachtsgewinnung gegen mutmaßliche Attentäter<br />
einzubin<strong>de</strong>n. So wur<strong>de</strong> z.B. <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>s<br />
-9-<br />
<strong>Bund</strong>espolizeidirektionen<br />
-68-<br />
<strong>Bund</strong>espolizeiinspektionen<br />
-9-<br />
<strong>Bund</strong>espolizeiinspektionen<br />
Kr<strong>im</strong>inalitätsbekämpfung<br />
-9-<br />
Mobile Kontroll- und<br />
Überwachungseinheiten<br />
(MKU)<br />
Struktur <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>espolizei<br />
<strong>Bund</strong>esministerium <strong>de</strong>s Inneren<br />
- Abteilung <strong>Bund</strong>espolizei -<br />
<strong>Bund</strong>espolizeipräsidium<br />
Potsdam<br />
<strong>Bund</strong>espolizeiaka<strong>de</strong>mie<br />
Lübeck<br />
-5-<br />
<strong>Bund</strong>espolizeiausund<br />
- fortbildungszentren<br />
<strong>Bund</strong>espolizeischule<br />
Bad Endorf<br />
Leistungssportprojekt<br />
Cottbus<br />
„Programms Polizeiliche Kr<strong>im</strong>inalprävention <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r<br />
und <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es“ (ProPK) eine Sensibilisierungskampagne<br />
für Bedienstete von Verkehrsbetrieben<br />
und die Nutzer <strong>de</strong>s ÖPV gestartet. Ein Ziel <strong>de</strong>r Kampagne<br />
ist es, die Möglichkeiten zur Früherkennung<br />
geplanter Terroranschläge zu verbessern.<br />
Gleichzeitig tun die Sicherheitsbehör<strong>de</strong>n alles, Anschlagspläne<br />
frühzeitig aufzu<strong>de</strong>cken und zu unterbin<strong>de</strong>n.<br />
Dies geschieht durch täterorientierte Informationserhebung<br />
und Vernetzung <strong>de</strong>r Informationen.<br />
Ein wichtiges Instrument dabei ist das <strong>im</strong> Jahr 2004<br />
eingerichtete „Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum“<br />
(GTAZ). Darin sind alle mit <strong>de</strong>r Bekämpfung<br />
<strong>de</strong>s islamistischen Terrorismus befassten Behör<strong>de</strong>n<br />
Deutschlands, z.B. Lan<strong>de</strong>skr<strong>im</strong>inalämter, BKA, <strong>Bund</strong>espolizei,<br />
<strong>Bund</strong>esamt für Verfassungsschutz, Verfassungsschutzbehör<strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r und <strong>de</strong>r BND,<br />
vertreten. In gewisser Weise wur<strong>de</strong> terroristischen<br />
Netzwerken mit <strong>de</strong>m GTAZ ein staatliches Sicherheitsnetzwerk<br />
entgegengesetzt, um angesichts <strong>de</strong>s<br />
fö<strong>de</strong>ralen Aufbaus <strong>de</strong>r Sicherheitsbehör<strong>de</strong>n eine opt<strong>im</strong>ale<br />
Informationsvernetzung zu gewährleisten.<br />
Direktion<br />
<strong>Bund</strong>esbereitschaftspolizei<br />
Fuldatal<br />
-10-<br />
<strong>Bund</strong>espolizeiabteilungen<br />
GSG 9 <strong>de</strong>r<br />
<strong>Bund</strong>espolizei<br />
<strong>Bund</strong>espolizei-<br />
Fliegergruppe<br />
-5-<br />
<strong>Bund</strong>espolizei-<br />
Fliegerstaffeln
Insbeson<strong>de</strong>re bei län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong>n Krisenlagen<br />
hat die <strong>Bund</strong>espolizei eine hohe Be<strong>de</strong>utung. Sie ist<br />
<strong>im</strong> Rahmen ihrer gesetzlich zugewiesenen Aufgaben<br />
für die Abwehr von Gefahren auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r<br />
Bahnanlagen, für die Abwehr von Angriffen auf <strong>de</strong>n<br />
Luftverkehr, <strong>de</strong>n Schutz von Verfassungsorganen <strong>de</strong>s<br />
<strong>Bund</strong>es und <strong>Bund</strong>esministerien sowie für die Abwehr<br />
bzw. Verhin<strong>de</strong>rung von Terroranschlägen an<br />
diesen beson<strong>de</strong>rs gefähr<strong>de</strong>ten Einrichtungen zuständig.<br />
Darüber hinaus kann <strong>de</strong>r Einsatz <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>espolizei<br />
gemäß Art. 35 Abs. 2 GG auf Anfor<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r<br />
<strong>Bund</strong>eslän<strong>de</strong>r zur Unterstützung bei Großeinsätzen<br />
sowie Katastrophen und beson<strong>de</strong>ren Unglücksfällen<br />
erfolgen. Dies umfasst auch <strong>de</strong>nkbare Krisenlagen<br />
aufgrund von Terroranschlägen.<br />
Die <strong>Bund</strong>espolizei stellt mit ihren ca. 5.500 Polizeibeamten<br />
<strong>de</strong>r Direktion <strong>Bund</strong>esbereitschaftspolizei<br />
ungefähr ein Viertel aller Bereitschaftspolizeikräfte<br />
Deutschlands.<br />
Allein dieses Kräfteverhältnis macht <strong>de</strong>utlich, dass<br />
große, län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong> Krisenlagen nur mit Unterstützung<br />
<strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>espolizei bewältigt wer<strong>de</strong>n können.<br />
Sie stellt insofern auch eine wichtige strategische<br />
Reserve <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Polizeien für <strong>de</strong>rartige<br />
Lagen dar.<br />
Mit <strong>de</strong>r Neuorganisation <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>espolizei zum<br />
01.03.2008, die u.a. aufgrund <strong>de</strong>r gestiegenen terroristischen<br />
Bedrohung mit Auswirkung auf die Sicherheit<br />
auf Flughäfen und <strong>im</strong> Bahnbereich erfolgte,<br />
wur<strong>de</strong>n die Organisation <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>espolizei gestrafft<br />
und <strong>de</strong>r operative Bereich gestärkt.<br />
Strafverfolgung<br />
Neben <strong>de</strong>r Gefahrenabwehr hat die Polizei bei GGSK<br />
auch die eigenständige Aufgabe, von Beginn an die<br />
Strafverfolgung wahrzunehmen, <strong>de</strong>nn die Scha<strong>de</strong>nslage<br />
kann, mit Ausnahme von Naturkatastrophen, die<br />
Folge einer Straftat sein. Einschlägig können hier z.B.<br />
Straftaten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit<br />
(Fahrlässige Tötung, Körperverletzung),<br />
Gefährdungen <strong>de</strong>s bzw. Eingriffe in <strong>de</strong>n Straßen-,<br />
Bahn-, Schiffs- o<strong>de</strong>r Luftverkehr o<strong>de</strong>r Straftaten gegen<br />
die Umwelt (z.B. Gewässer- o<strong>de</strong>r Bo<strong>de</strong>nverunreinigungen)<br />
sein. Daher sind aus polizeilicher Sicht<br />
Für polizeiliche Einsätze und Luftrettung wird die <strong>Bund</strong>espolizei<br />
ab 2011 über insgesamt 88 Hubschrauber verfügen<br />
Scha<strong>de</strong>nsorte zugleich auch mögliche Tatorte. Eine<br />
frühzeitig einsetzen<strong>de</strong> Beweissicherung (z.B. Dokumentation<br />
<strong>de</strong>s Scha<strong>de</strong>nsortes, Ermittlung und Befragung<br />
von Zeugen, Sicherstellen von Beweismitteln)<br />
ist zur Erforschung von Ursachen und Verantwortlichkeiten<br />
erfor<strong>de</strong>rlich. Dies kann <strong>im</strong> Einzelfall zu<br />
unterschiedlichen Sichtweisen zwischen Polizei und<br />
nichtpolizeilichen Gefahrenabwehrorganisationen<br />
führen, weil nur die Polizei, nicht zuletzt wegen <strong>de</strong>s<br />
Legalitätsprinzips, zur Strafverfolgung rechtlich verpflichtet<br />
ist.<br />
41
42<br />
Die Strafverfolgung beeinflusst das strategisch-taktische<br />
Han<strong>de</strong>ln <strong>de</strong>r Polizei <strong>im</strong> <strong>Krisenmanagement</strong>.<br />
Dies zeigt sich insbeson<strong>de</strong>re vor <strong>de</strong>m Hintergrund<br />
<strong>de</strong>r Gefährdung durch <strong>de</strong>n internationalen Terrorismus.<br />
Trotz intensivster Bemühungen <strong>de</strong>r Polizei zur<br />
Verhin<strong>de</strong>rung von Anschlägen muss bei einer größeren<br />
Scha<strong>de</strong>nslage bereits bei <strong>de</strong>n ersten polizeilichen<br />
Reaktionen, aber auch <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r weiteren<br />
Ermittlungen, die Möglichkeit eines terroristischen<br />
Anschlags in Betracht gezogen wer<strong>de</strong>n. Dies gilt<br />
insbeson<strong>de</strong>re bei GGSK, die <strong>im</strong> Zusammenhang mit<br />
<strong>de</strong>r Schädigung von wichtigen Infrastruktursystemen<br />
(z.B. Energie-, Trinkwasserversorgung, Verkehr) stehen.<br />
In <strong>de</strong>rartigen Fällen lägen schwerste Straftaten<br />
vor. Da gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Anfangsphase Informationen<br />
gesammelt wer<strong>de</strong>n können, die <strong>im</strong> Nachhinein nur<br />
mit großem Ermittlungsaufwand o<strong>de</strong>r überhaupt<br />
Kooperation <strong>de</strong>r Polizei mit <strong>de</strong>r nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr<br />
Bei <strong>de</strong>r Bewältigung von GGSK ist ein enges Zusammenwirken<br />
<strong>de</strong>r Polizei mit <strong>de</strong>r Feuerwehr, <strong>de</strong>n<br />
Rettungsdiensten, <strong>de</strong>m Technischen Hilfswerk und,<br />
je nach Lage, weiteren Behör<strong>de</strong>n und Organisationen<br />
erfor<strong>de</strong>rlich. Die Zusammenarbeit ist durch zuvor<br />
abgest<strong>im</strong>mte Regelungen, einen engen Kontakt<br />
und gegenseitige Beratung und Unterstützung zu<br />
opt<strong>im</strong>ieren, ohne dass grundsätzlich gegenseitige<br />
Weisungsbefugnisse bestehen. Bei Feststellung <strong>de</strong>s<br />
Katastrophenfalles durch die zuständige Katastrophenschutzbehör<strong>de</strong><br />
sind allerdings zumeist nicht die<br />
polizeilichen, son<strong>de</strong>rn die Führungsstäbe <strong>de</strong>r kreisfreien<br />
Städte, Kreise o<strong>de</strong>r Regierungsbezirke fe<strong>de</strong>rführend.<br />
Die polizeilichen und nichtpolizeilichen<br />
Führungsstrukturen sollten unter Berücksichtigung<br />
<strong>de</strong>r lan<strong>de</strong>sspezifischen Regelungen aufeinan<strong>de</strong>r abgest<strong>im</strong>mt<br />
wer<strong>de</strong>n. Der frühzeitige Austausch von<br />
Verbindungsbeamten, die für diese Aufgabe geschult<br />
sind und ihre Ansprechpartner aus gemeinsamen<br />
Übungen kennen, erleichtert die Kommunikation<br />
zwischen <strong>de</strong>n Führungsstäben <strong>de</strong>r beteiligten Einrichtungen.<br />
Dies gilt trotz <strong>de</strong>r heute zur Verfügung<br />
stehen<strong>de</strong>n mo<strong>de</strong>rnen Kommunikationsmittel, insbeson<strong>de</strong>re<br />
wenn über einen längeren Zeitraum ein hoher<br />
Kooperationsbedarf besteht.<br />
nicht mehr gewonnen wer<strong>de</strong>n können, müssen z.B.<br />
polizeiliche Fahndungsmaßnahmen nach verdächtigen<br />
Personen, Fahrzeugen usw. <strong>im</strong> Umfeld <strong>de</strong>s Scha<strong>de</strong>nsortes<br />
zeitnah zum Scha<strong>de</strong>nseintritt eingeleitet<br />
wer<strong>de</strong>n. Eine zügige Strafverfolgung und Festnahme<br />
dient zugleich auch <strong>de</strong>r Verhin<strong>de</strong>rung weiterer Anschläge<br />
dieser Täter(-gruppe).<br />
Die I<strong>de</strong>ntifizierung von Opfern gehört ebenfalls zu<br />
<strong>de</strong>n polizeilichen Ermittlungsaufgaben bei GGSK.<br />
Bei einer hohen Opferzahl können die zuständigen<br />
Behör<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>spolizei die I<strong>de</strong>ntifizierungskommission<br />
<strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>eskr<strong>im</strong>inalamtes (IDKO) anfor<strong>de</strong>rn.<br />
Diese wird dann in <strong>de</strong>n Einsatzabschnitt Ermittlungen<br />
<strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren Aufbauorganisation <strong>de</strong>r Polizei<br />
eingebun<strong>de</strong>n.<br />
Alle beteiligten Stellen benötigen ein möglichst umfassen<strong>de</strong>s<br />
Gesamtlagebild. Die Polizei kann dazu<br />
aufgrund ihrer Kenntnisse über Gefährdungspotentiale<br />
einen wesentlichen Beitrag leisten. Sie sammelt<br />
eigene und fachfrem<strong>de</strong> Informationen und verdichtet<br />
diese zu einem Lagebild, das sie <strong>de</strong>n beteiligten<br />
Fachdiensten (z.B. Feuerwehr, Rettungsdienste) zur<br />
Verfügung stellen kann. Berechtigte Gehe<strong>im</strong>haltungserfor<strong>de</strong>rnisse<br />
<strong>de</strong>r Polizei, z.B. hinsichtlich personenbezogener<br />
Informationen zu potentiellen Straftätern,<br />
müssen dabei gewahrt bleiben. Im I<strong>de</strong>alfall ergibt<br />
sich ein Gesamtlagebild, das die Teillagebil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />
Polizei und <strong>de</strong>r nichtpolizeilichen Akteure umfasst<br />
und dadurch aussagefähiger ist als die Einzellagebil<strong>de</strong>r.<br />
Auf <strong>de</strong>r operativen Ebene sind <strong>im</strong> Einsatzfall eine<br />
Vielzahl von Maßnahmen eng abzust<strong>im</strong>men, wie<br />
z.B. Warnungen <strong>de</strong>r Bevölkerung, Evakuierungen<br />
und die Öffentlichkeitsarbeit. Das gilt auch für die<br />
Einrichtung von Personenauskunftsstellen. Diese<br />
wer<strong>de</strong>n je nach <strong>Bund</strong>esland unter Fe<strong>de</strong>rführung <strong>de</strong>r<br />
Polizei bzw. <strong>de</strong>s Katastrophenschutzes eingerichtet.<br />
Die Datenerhebung und Auskunftserteilung – beispielsweise<br />
über Verletzte o<strong>de</strong>r Vermisste – basiert
auf umfassen<strong>de</strong>n IT-Lösungen. So kommt <strong>de</strong>n Personenauskunftsstellen,<br />
wie z.B. <strong>de</strong>r „Gemeinsamen<br />
Auskunftsstelle/ Notfallinformationszentrum“ (GAST/<br />
EPIC) am Flughafen München, eine wichtige Filterfunktion<br />
zu, in<strong>de</strong>m unwesentliche Informationen<br />
zurückgehalten und nur die für die Sachbearbeitung<br />
relevante Daten, insbeson<strong>de</strong>re für die I<strong>de</strong>ntifizierung<br />
von Opfern, erfasst und aufbereitet wer<strong>de</strong>n.<br />
Vorausschauen<strong>de</strong>s gesamtstaatliches <strong>Krisenmanagement</strong><br />
muss angesichts gestiegener Gefahrenpotentiale<br />
berücksichtigen, dass Personenauskunftsstellen einzelner<br />
Län<strong>de</strong>r an Kapazitätsgrenzen stoßen können<br />
o<strong>de</strong>r Parallellagen in mehreren Län<strong>de</strong>rn gleichzeitig<br />
zu bewältigen sind. Dies bedingt die Entwicklung einer<br />
modularen Verbundlösung, auf <strong>de</strong>ren Grundlage<br />
die Auskunftsstellen <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r <strong>im</strong> Bedarfsfall vernetzt<br />
wer<strong>de</strong>n können. Taktische und fachliche Anfor<strong>de</strong>rungen<br />
an eine <strong>de</strong>rartige Lösung wur<strong>de</strong>n dazu<br />
bereits erarbeitet.<br />
„Der Polizei als <strong>de</strong>r für die unaufschiebbaren Maßnahmen <strong>de</strong>r Gefahrenabwehr und<br />
für die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung zuständigen Organisation<br />
kommt bei Krisen und Großscha<strong>de</strong>nslagen eine Schlüsselrolle zu. Sie hat angesichts<br />
<strong>de</strong>r Herausfor<strong>de</strong>rungen, <strong>de</strong>nen sie sich in <strong>de</strong>n letzten Jahrzehnten u. a. <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>s<br />
Terrorismus stellen musste, Fähigkeiten entwickelt, die zur Opt<strong>im</strong>ierung <strong>de</strong>r gesamt-<br />
staatlichen Maßnahmen <strong>de</strong>s Bevölkerungsschutzes genutzt wer<strong>de</strong>n können.“<br />
Einsatz-Übung <strong>de</strong>r Zentralen<br />
Unterstützungsgruppe <strong>de</strong>s<br />
<strong>Bund</strong>es für gravieren<strong>de</strong> Fälle<br />
nuklearspezifischer<br />
Gefahrenabwehr (ZUB)<br />
Zur Bewältigung von schwerwiegen<strong>de</strong>n Bedrohungslagen,<br />
die durch Straftaten mit radioaktiven<br />
Stoffen entstehen, ist auf <strong>Bund</strong>esebene die „Zentrale<br />
Unterstützungsgruppe <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es für gravieren<strong>de</strong><br />
Fälle nuklearspezifischer Gefahrenabwehr“ (ZUB)<br />
eingerichtet wor<strong>de</strong>n. Die ZUB, in <strong>de</strong>r Spezialkräfte<br />
von <strong>Bund</strong>eskr<strong>im</strong>inalamt, <strong>Bund</strong>espolizei und <strong>Bund</strong>esamt<br />
für Strahlenschutz mitwirken, unterstützt die für<br />
die Gefahrenabwehr originär zuständigen Län<strong>de</strong>r auf<br />
<strong>de</strong>ren Anfor<strong>de</strong>rung. Ziel <strong>de</strong>r ZUB ist es, alle multidisziplinären<br />
Fachkenntnisse und Erfahrungen sowie<br />
personelle und materielle Logistik zusammenzufassen.<br />
Im Ergebnis wer<strong>de</strong>n Maßnahmen <strong>de</strong>r polizeilichen<br />
Gefahrenabwehr mit <strong>de</strong>r Expertise aus <strong>de</strong>m<br />
Strahlenschutzsektor verknüpft. Die ZUB kam <strong>im</strong> Dezember<br />
2006 erfolgreich zum Einsatz, als sich nach<br />
<strong>de</strong>m durch radioaktive Substanzen verursachten Tod<br />
von Alexan<strong>de</strong>r Litwinenko in London Bezüge nach<br />
Hamburg ergaben.<br />
43
44<br />
Aus- und Fortbildung bei <strong>de</strong>r Deutschen Hochschule <strong>de</strong>r Polizei<br />
Die Einsatzbewältigung bei GGSK stellt hohe Anfor<strong>de</strong>rungen<br />
an polizeiliche Führungskräfte und an ihr<br />
Führungsverhalten. Sie geht einher mit einem außeror<strong>de</strong>ntlichen,<br />
durch Dynamik und Unbest<strong>im</strong>mtheit<br />
verursachten Beurteilungs- und Entscheidungsdruck.<br />
Führungsentscheidungen sind zu<strong>de</strong>m mit benachbarten<br />
Organisationen abzust<strong>im</strong>men. Die Vermittlung<br />
entsprechen<strong>de</strong>r theoretischer, taktischer, organisatorischer<br />
und technischer Handlungs- und Fachkompetenzen<br />
ist <strong>de</strong>shalb ein wichtiger Baustein <strong>de</strong>r Aus-<br />
und Fortbildung.<br />
Bei Gründung <strong>de</strong>r Deutschen Hochschule <strong>de</strong>r Polizei<br />
(DHPol) in Münster-Hiltrup, <strong>de</strong>r zentralen Aus- und<br />
Fortbildungseinrichtung für <strong>de</strong>n höheren Dienst <strong>de</strong>r<br />
Polizeien <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es und <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r, ist zu diesem<br />
Zweck ein eigenständiges Lehrgebiet „Polizeiliches<br />
<strong>Krisenmanagement</strong>“ eingerichtet wor<strong>de</strong>n. Inhaltlich<br />
beschäftigt sich dieses Lehrgebiet <strong>im</strong> Wesentlichen<br />
mit <strong>de</strong>n spezifischen strategischen und taktischen Anfor<strong>de</strong>rungen<br />
<strong>de</strong>s polizeilichen Einsatzmanagements<br />
bei GGSK sowie bei terroristischen Bedrohungen<br />
und Anschlägen. Darüber hinaus sollen grundlegen<strong>de</strong><br />
Theorien und Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r polizeilichen Einsatzlehre,<br />
bezogen auf die beson<strong>de</strong>ren Erfor<strong>de</strong>rnisse<br />
<strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s, Gegenstand von Forschung<br />
und Lehre wer<strong>de</strong>n.<br />
Um die Bewältigung von GGSK zu trainieren, führt<br />
die DHPol mit <strong>de</strong>r be<strong>im</strong> <strong>Bund</strong>esamt für Bevölkerungsschutz<br />
und Katastrophenhilfe angesie<strong>de</strong>lten<br />
Aka<strong>de</strong>mie für <strong>Krisenmanagement</strong>, Notfallplanung<br />
und Zivilschutz (AKNZ) seit 2004 jährlich eine Stabsrahmenübung<br />
durch, an <strong>de</strong>r alle an <strong>de</strong>r DHPol studieren<strong>de</strong>n<br />
Ratsanwärter/-anwärterinnen teilnehmen.<br />
In diesen Übungen wird unter möglichst realistischen<br />
Bedingungen das reibungslose Zusammenwirken<br />
polizeilicher Führungsstäbe mit nichtpolizeilichen<br />
Führungsstäben trainiert. Auf diese Weise wird allen<br />
Studieren<strong>de</strong>n an <strong>de</strong>r DHPol die Be<strong>de</strong>utung einer organisations-<br />
und ebenenübergreifen<strong>de</strong>n Zusammenarbeit<br />
bei GGSK ver<strong>de</strong>utlicht. Umgekehrt unterstützt<br />
die DHPol die AKNZ bei <strong>de</strong>ren operativ-taktischen<br />
Übungen für Führungsstäbe <strong>de</strong>r nichtpolizeilichen<br />
Gefahrenabwehr. Darüber hinaus wer<strong>de</strong>n auch gemeinsame<br />
Fortbildungsseminare für Polizeibeamte<br />
<strong>de</strong>s höheren Dienstes und für Angehörige <strong>de</strong>r nichtpolizeilichen<br />
Gefahrenabwehr durchgeführt.<br />
Die Polizei wird auch in Zukunft einen wichtigen<br />
Beitrag zum gesamtstaatlichen <strong>Krisenmanagement</strong><br />
leisten müssen. Im Bereich <strong>de</strong>r Naturereignisse ist<br />
aufgrund <strong>de</strong>s globalen Kl<strong>im</strong>awan<strong>de</strong>ls eher ein Anstieg<br />
polizeilicher Einsatzanlässe zu erwarten. Durch<br />
ein erhöhtes Aufkommen <strong>im</strong> Flug-, Bahn- und Straßenverkehr<br />
steigt daneben z.B. auch das Unfallrisiko<br />
<strong>im</strong> Bereich „beweglicher Gefahrenpotentiale“. Terroristische<br />
Bedrohungsszenarien mit Anschlägen auch<br />
in Deutschland sind lei<strong>de</strong>r nicht auszuschließen. Derartige<br />
Herausfor<strong>de</strong>rungen erfor<strong>de</strong>rn eine verantwortungsvolle<br />
und professionelle Reaktion aller an <strong>de</strong>r<br />
Lösung beteiligten Organisationen. Dies kann dabei<br />
helfen, Leben zu retten, eingetretene Schä<strong>de</strong>n einzudämmen,<br />
Ursachen aufzuklären und somit die Bevölkerung<br />
möglichst umfassend zu schützen.<br />
Studieren<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Deutschen Hochschule <strong>de</strong>r Polizei während einer Stabsrahmenübung an <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie für <strong>Krisenmanagement</strong>,<br />
Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ) in Bad Neuenahr-Ahrweiler<br />
Zu <strong>de</strong>n Autoren: Klaus Neidhardt ist Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Deutschen Hochschule <strong>de</strong>r Polizei, Polizeidirektor Ulrich Sei<strong>de</strong>l ist Lehrgebietsleiter<br />
an <strong>de</strong>r Deutschen Hochschule <strong>de</strong>r Polizei, Münster
Krisen und Katastrophen außerhalb Deutschlands:<br />
Das <strong>Krisenmanagement</strong> <strong>im</strong> Auswärtigen Amt<br />
Klaus Streicher<br />
Das Auswärtige Amt (AA) ist zuständig für die Beziehungen<br />
Deutschlands zu frem<strong>de</strong>n Staaten sowie<br />
zu zwischen- und überstaatlichen Organisationen. Es<br />
ist die zentrale Stelle, in <strong>de</strong>r die <strong>de</strong>utsche Außenpolitik<br />
formuliert wird und Analysen, Konzepte sowie<br />
Handlungsanweisungen für die <strong>de</strong>utschen Auslandsvertretungen<br />
erarbeitet wer<strong>de</strong>n.<br />
Bei Krisen und Katastrophen außerhalb <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>esrepublik<br />
Deutschland, bei <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>utsche Interessen<br />
betroffen sind, wird ein Krisenstab <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>esregierung<br />
<strong>im</strong> Auswärtigen Amt einberufen. Das Auswärtige<br />
Amt koordiniert unter Beteiligung <strong>de</strong>r relevanten<br />
Ressorts und ggf. unter Einbeziehung an<strong>de</strong>rer Stellen<br />
und nichtstaatlicher Einrichtungen die erfor<strong>de</strong>rlichen<br />
Maßnahmen.<br />
Krisenreaktion<br />
<strong>Bund</strong>esminister <strong>de</strong>s<br />
Leitungsstab Auswärtigen<br />
Planungsstab<br />
Staatssekretär Staatssekretär Staatssekretär Staatsminister Staatsminister<br />
Krisenreaktionszentrum<br />
Beamter vom Dienst /<br />
Krisenfrüherkennung<br />
Verbindung BMVg Verbindung BKA<br />
Im Auswärtigen Amt ist das Krisenreaktionszentrum<br />
(KRZ) zuständig für das Management von Krisen <strong>im</strong><br />
Ausland, bei <strong>de</strong>nen Leben, Gesundheit o<strong>de</strong>r Freiheit<br />
<strong>de</strong>utscher Staatsangehöriger akut gefähr<strong>de</strong>t sind. Zum<br />
Aufgabenspektrum <strong>de</strong>s KRZ rechnen insbeson<strong>de</strong>re<br />
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zeugabstürze, Naturkatastrophen);<br />
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gen<br />
Bürgerservice<br />
Verbindung BND<br />
Koordinierunggstelle Reise- und Sicherheitshinweise<br />
45
46<br />
Das Krisenreaktionszentrum ist unmittelbar <strong>de</strong>r Leitung<br />
<strong>de</strong>s Auswärtigen Amts unterstellt. Seine Aufgaben<br />
umfassen neben <strong>de</strong>m operativen <strong>Krisenmanagement</strong><br />
auch die Bereiche Krisenfrüherkennung<br />
und Krisenvorsorge. Es ist ferner zuständig für die<br />
Koordinierung <strong>de</strong>r Reise- und Sicherheitshinweise<br />
<strong>de</strong>s Auswärtigen Amts sowie für die Bearbeitung von<br />
Warnhinweisen bzw. Terrordrohungen, die sich gegen<br />
<strong>de</strong>utsche Interessen <strong>im</strong> Ausland richten.<br />
Verbindungsbeamte <strong>de</strong>s BMVg, BKA und BND haben<br />
ihren ständigen Arbeitsplatz <strong>im</strong> Krisenreaktionszentrum<br />
und stellen so einen kontinuierlichen Informationsfluss<br />
und eine enge Zusammenarbeit sicher. Der<br />
in das Krisenreaktionszentrum integrierte Bürgerservice<br />
<strong>de</strong>s Auswärtigen Amts ist die zentrale Anlaufstelle<br />
für alle Bürgeranfragen, die das Dienstleistungsangebot<br />
<strong>de</strong>s Auswärtigen Amts betreffen.<br />
Zum Krisenreaktionszentrum gehört auch das rund<br />
um die Uhr besetzte Lagezentrum, <strong>de</strong>r Ansprechpartner<br />
für alle außerhalb <strong>de</strong>r Dienstzeit auftreten<strong>de</strong>n<br />
Notfälle. Aufbau und Einbindung <strong>de</strong>s Krisenreaktionszentrums<br />
in die Struktur <strong>de</strong>s Auswärtigen Amtes<br />
zeigt die Abbildung auf Seite 45.<br />
Im Rahmen <strong>de</strong>r Krisenfrüherkennung wer<strong>de</strong>n weltweit<br />
Krisenfaktoren erfasst und prognostisch bewertet.<br />
Zur Krisenvorsorge wer<strong>de</strong>n Experten an die Auslandsvertretungen<br />
entsandt, um dort Vorsorgemaßnahmen<br />
für mögliche Krisenfälle durchzuführen. Diese so<br />
genannten Krisenunterstützungsteams (KUT) beraten<br />
die Auslandsvertretungen und an<strong>de</strong>re <strong>de</strong>utsche<br />
Institutionen (Goethe-Institute, Auslandshan<strong>de</strong>lskammern,<br />
Deutsche Schulen) und die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>utschen Gemein<strong>de</strong> in krisengefähr<strong>de</strong>ten Regionen<br />
über Maßnahmen zur Krisenvorsorge, und sie unterstützen<br />
ggf. be<strong>im</strong> Management einer akuten Krise.<br />
Das zentrale Steuerungsinstrument für das <strong>Krisenmanagement</strong><br />
<strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>esregierung <strong>im</strong> Ausland ist <strong>de</strong>r<br />
Krisenstab. Er wird <strong>im</strong> Krisenreaktionszentrum bei<br />
Bedarf gebil<strong>de</strong>t. Dort beraten und entschei<strong>de</strong>n Auswärtiges<br />
Amt und die übrigen zuständigen Behör<strong>de</strong>n<br />
gemeinsam die erfor<strong>de</strong>rlichen Maßnahmen.<br />
Die Zusammensetzung <strong>de</strong>s Krisenstabes ist<br />
flexibel und erfolgt so, dass alle zur Prob-<br />
lemlösung relevanten Stellen hochrangig<br />
genug und mit einem Mandat zum Treffen<br />
sofortiger Entscheidungen ausgestattet<br />
vertreten sind.<br />
Bei Bedarf wird ein Krisenstab um Stellen außerhalb<br />
<strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>esregierung erweitert, z.B. um Vertreter <strong>de</strong>r<br />
Tourismusbranche bei Krisen in einer Urlaubsregion.<br />
In Krisen mit einer großen Zahl Betroffener richtet<br />
das Auswärtige Amt bei Bedarf eine Son<strong>de</strong>rrufnummer<br />
(Telefon-Hotline) ein. Die darüber eingehen<strong>de</strong>n<br />
Anrufe wer<strong>de</strong>n <strong>im</strong> Telefonpool <strong>de</strong>s Krisenreaktionszentrums<br />
(mit bis zu 70 Arbeitsplätzen) bearbeitet.<br />
Mit Hilfe eines speziellen Computerprogramms wer<strong>de</strong>n<br />
Anrufer- und Vermisstendaten erfasst, so dass<br />
schnell Listen mit vermissten Personen und <strong>de</strong>nen,<br />
die nach ihnen suchen, erstellt wer<strong>de</strong>n können. Die<br />
Mitarbeiter <strong>im</strong> Telefonpool – Freiwillige aus <strong>de</strong>r Zentrale<br />
<strong>de</strong>s Auswärtigen Amts in Berlin – wer<strong>de</strong>n für<br />
diese Aufgaben geson<strong>de</strong>rt geschult.<br />
Für die personelle Verstärkung von Auslandsvertretungen,<br />
die von einer Krise betroffen sind, wer<strong>de</strong>n<br />
speziell geschulte Krisenreaktionsteams aus freiwilligen<br />
Mitarbeitern <strong>de</strong>s gesamten Auswärtigen Dienstes<br />
vorgehalten. Bei Bedarf wer<strong>de</strong>n die Auslandsvertretungen<br />
durch die Entsendung weiterer Fachleute<br />
(z.B. Krisenunterstützungsteams <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr zur<br />
Vorbereitung einer Evakuierung; Kriseninterventionsteams,<br />
bestehend aus Ärzten, Psychologen und<br />
Sanitätern zur medizinischen Betreuung Betroffener;<br />
BKA-Beamte zur I<strong>de</strong>ntifizierung von Opfern usw.)<br />
unterstützt.
Evakuierung aus <strong>de</strong>m Libanon <strong>im</strong> Juli 2006: Flüchtlinge verlassen ein Landungsboot<br />
Evakuierung aus <strong>de</strong>m Libanon, Juli 2006: größte Evakuierungsoperation <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen<br />
Nachkriegsgeschichte.<br />
Evakuierung <strong>de</strong>utscher Bürger aus <strong>de</strong>m Libanon<br />
Die Krisenreaktion <strong>im</strong> Ausland soll am Beispiel <strong>de</strong>s<br />
Libanon erläutert wer<strong>de</strong>n: Mitte Juli 2006 eskalierte<br />
<strong>de</strong>r Konflikt zwischen Israel und Libanon. Als Folge<br />
<strong>de</strong>r Kampfhandlungen mussten rund 6.300 <strong>de</strong>utsche<br />
Staatsangehörige und in Deutschland leben<strong>de</strong> libanesische<br />
Staatsangehörige aus <strong>de</strong>m Libanon evakuiert<br />
wer<strong>de</strong>n, zum Teil unter schwierigsten Bedingungen.<br />
Für das Auswärtige Amt, die betroffenen <strong>de</strong>utschen<br />
Botschaften und die an<strong>de</strong>ren in das <strong>Krisenmanagement</strong><br />
involvierten Behör<strong>de</strong>n (u.a. BMVg, BMI) war<br />
dies die größte Evakuierungsoperation <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen<br />
Nachkriegsgeschichte.<br />
47
48<br />
Die Krise in Zahlen:<br />
Mehr als 4.000 Personen wur<strong>de</strong>n mit Bus-Konvois ab<br />
Beirut nach Damaskus (Syrien) sowie zum Teil nach<br />
Adana (Türkei) und Amman (Jordanien) evakuiert<br />
und von dort mit Evakuierungsflügen nach Deutschland<br />
ausgeflogen. Zahlreiche Personen mussten dafür<br />
zuerst mit Hilfe eines Krisenunterstützungsteams<br />
<strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr aus <strong>de</strong>m umkämpften Süd-Libanon<br />
evakuiert und nach Beirut gebracht wer<strong>de</strong>n. Über<br />
2.000 Evakuierte erreichten Zypern auf gecharterten<br />
Schiffen, darunter die von Deutschland angemietete<br />
„Princesa Marissa“, die am 24. Juli 226 Personen<br />
(83 Deutsche sowie Angehörige an<strong>de</strong>rer Nationen)<br />
aus <strong>de</strong>r süd-libanesischen Stadt Tyros nach Zypern<br />
brachte. Für <strong>de</strong>n Weitertransport <strong>de</strong>r Evakuierten<br />
von Syrien, Jordanien, <strong>de</strong>r Türkei sowie Zypern nach<br />
Deutschland organisierte das Auswärtige Amt insgesamt<br />
27 Charterflüge (darunter 10 Flüge <strong>de</strong>r Luftwaffe).<br />
Viele Evakuierte konnten auch mit Flügen an<strong>de</strong>rer<br />
europäischer Partner mitreisen.<br />
Die <strong>de</strong>utschen Botschaften in Beirut, Damaskus und<br />
Nikosia wur<strong>de</strong>n massiv personell verstärkt durch die<br />
Entsendung<br />
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wehr nach Beirut, u.a. zur Organisation<br />
einer Sammelstelle in Beirut, zur Evakuierung<br />
von Personen aus <strong>de</strong>m Südlibanon (Saida und<br />
Nabatiyeh) sowie zur Planung und Durchfüh-<br />
rung <strong>de</strong>r Schiffsevakuierung aus <strong>de</strong>m<br />
süd-libanesischen Tyros;<br />
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Amts;<br />
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gen) zur Betreuung <strong>de</strong>r Evakuierten;<br />
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tischen Unterstützung <strong>de</strong>r Botschaft.<br />
Libanonkrieg Sommer 2006 – <strong>im</strong> Bild: Landung einer <strong>Bund</strong>eswehrmaschine aus Damaskus (Syrien) in Köln<br />
mit über 200 Evakuierten aus <strong>de</strong>m Libanon.<br />
Zum Autor: Klaus Streicher ist Angehöriger <strong>de</strong>s Krisenreaktionszentrums <strong>im</strong> Auswärtigen Amt, Berlin
Europäische Union und strategischer<br />
Bevölkerungsschutz<br />
Norbert Reez<br />
I. Hintergrund<br />
„Krisenbewältigung“ (engl.: crisis management) hat<br />
<strong>im</strong> Sprachgebrauch <strong>de</strong>r Europäischen Union (EU)<br />
aufgrund unterschiedlicher rechtlicher Anknüpfungspunkte<br />
verschie<strong>de</strong>ne Be<strong>de</strong>utungen. 1 Grundsätzlich<br />
zu unterschei<strong>de</strong>n sind (zivile bzw. militärische) Maßnahmen<br />
und Verfahren <strong>de</strong>r EU <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r sog.<br />
Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)<br />
und solche, die auf gemeinschaftsrechtlicher Grundlage<br />
stattfin<strong>de</strong>n. <strong>Krisenmanagement</strong> <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r<br />
GASP stützt sich auf Art. 17 Abs. 2 EU-Vertrag 2 und<br />
vollzieht sich <strong>im</strong> Wege <strong>de</strong>r Regierungszusammenarbeit.<br />
Demgegenüber ist zivile Krisenbewältigung<br />
(engl. civilian crisis management) <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>s Bevölkerungsschutzes<br />
(engl.: disaster response and civil<br />
protection) gemeinschaftsrechtlicher Natur. Grundlage<br />
für das Tätigwer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r EU auf diesem Feld ist die<br />
Generalklausel <strong>de</strong>s Art. 308 EG-Vertrag. Von dieser<br />
Kompetenz hat die EU Gebrauch gemacht. Gelten<strong>de</strong><br />
EU-Verfahren sind damit Teil <strong>de</strong>r ersten Säule und<br />
bil<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n aquis communautaire <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>s Bevölkerungsschutzes.<br />
Neue konkrete Ziele für die Sicherheit <strong>de</strong>r EU hat <strong>de</strong>r<br />
Rat am 12. Dezember 2003 durch die Verabschiedung<br />
<strong>de</strong>r Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS) 3 vorgegeben.<br />
Die Regierungschefs weisen <strong>de</strong>r „zivilen Krisenbewältigung“<br />
dabei eine Schlüsselrolle zu: „ ... Dies<br />
gilt für die gesamte Palette <strong>de</strong>r uns zur Verfügung<br />
stehen<strong>de</strong>n Instrumente <strong>de</strong>r Krisenbewältigung und<br />
Konfliktverhütung, einschließlich unserer Maßnahmen<br />
<strong>im</strong> politischen, diplomatischen, militärischen<br />
Terroranschläge auf <strong>de</strong>n öffentlichen Personennahverkehr in<br />
Madrid for<strong>de</strong>rn am 11. März 2004 mehr als 180 Tote<br />
und zivilen, han<strong>de</strong>ls- und entwicklungspolitischen<br />
Bereich. Es bedarf einer aktiveren Politik, um <strong>de</strong>n<br />
neuen, ständig wechseln<strong>de</strong>n Bedrohungen entgegenzuwirken.<br />
Wir müssen eine Strategie-Kultur entwickeln,<br />
die ein frühzeitiges, rasches und wenn nötig<br />
robustes Eingreifen för<strong>de</strong>rt.“ 4<br />
More active in pursuing our strategic objectives.This applies to the full spectrum of instruments<br />
for crisis management and conflict prevention at our disposal, including political, diplomatic,<br />
military and civilian, tra<strong>de</strong> and <strong>de</strong>velopment activities. Active policies are nee<strong>de</strong>d to counter the<br />
new dynamic threats. We need to <strong>de</strong>velop a strategic culture that fosters early, rapid, and when<br />
necessary, robust intervention.<br />
European Security Strategy 2003<br />
49
50<br />
Corona-Viren – Auslöser <strong>de</strong>r Lungenerkrankung SARS (Schweres Akutes Atemwegssyndrom)<br />
Die strategische Zielvorgabe in <strong>de</strong>r ESS bil<strong>de</strong>t <strong>de</strong>n<br />
Auftakt zu einer dynamischen Weiterentwicklung<br />
<strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>-Konzepts <strong>de</strong>r EU. Das Fünfjahresprogramm<br />
2005 – 2010 <strong>de</strong>r EU (sog. Haager<br />
Programm 5 ) vom 5. Dezember 2004 knüpft explizit<br />
an die ESS an und enthält bereits <strong>de</strong>n konkreten Auftrag<br />
an die EU-Kommission, das Handlungsfeld <strong>de</strong>r<br />
zivilen Krisenbewältigung neu und integrativ zu ordnen:<br />
„Eine wirksame Bewältigung grenzüberschreiten<strong>de</strong>r<br />
Krisen innerhalb <strong>de</strong>r EU erfor<strong>de</strong>rt nicht nur<br />
<strong>de</strong>n Ausbau <strong>de</strong>r <strong>de</strong>rzeitigen Maßnahmen <strong>im</strong> Bereich<br />
<strong>de</strong>s Katastrophenschutzes und <strong>de</strong>r lebenswichtigen<br />
Infrastruktur, son<strong>de</strong>rn sie muss auch die die öffentliche<br />
Sicherheit und Ordnung betreffen<strong>de</strong>n Aspekte<br />
solcher Krisen und die Koordinierung zwischen diesen<br />
bei<strong>de</strong>n Bereichen konkret mit einbeziehen. Der<br />
Europäische Rat for<strong>de</strong>rt daher <strong>de</strong>n Rat und die Kommission<br />
auf, innerhalb ihrer bestehen<strong>de</strong>n Strukturen<br />
und unter uneingeschränkter Wahrung <strong>de</strong>r nationalen<br />
Zuständigkeiten integrierte und koordinierte EU-Krisenbewältigungsreglungen<br />
für Krisen mit grenzüberschreiten<strong>de</strong>r<br />
Wirkung innerhalb <strong>de</strong>r EU auszuarbei-<br />
ten (…). Diese Regelungen sollten sich zunächst<br />
mit folgen<strong>de</strong>n Fragen befassen: weitere Bewertung<br />
<strong>de</strong>r Fähigkeiten <strong>de</strong>r Mitgliedstaaten, Vorratshaltung,<br />
Ausbildung, gemeinsame Übungen und gemeinsame<br />
Operationspläne für die zivile Krisenbewältigung.“ 6<br />
Mit <strong>de</strong>m Haager Programm existiert – neben <strong>de</strong>r<br />
ESS – ein weiteres wichtiges Bezugsdokument zum<br />
Verständnis <strong>de</strong>s sicherheitspolitischen Engagements<br />
<strong>de</strong>r EU <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>s Bevölkerungsschutzes 7 . Bei<strong>de</strong>,<br />
ESS und Haager Programm, sind Hauptwurzeln,<br />
Impulsgeber und Planungsgrundlage zugleich für<br />
nachfolgen<strong>de</strong> konkretisieren<strong>de</strong> EU-Rechtsakte und<br />
Verfahrensregelungen. 8 In <strong>de</strong>r neuen Strategie <strong>de</strong>r EU<br />
seit 2003 spiegelt sich die Antwort <strong>de</strong>r Mitgliedstaaten<br />
auf die verän<strong>de</strong>rte weltweite Bedrohungslage.<br />
Die neue Situation, mit <strong>de</strong>n Chiffren „11. September“,<br />
„London“, Madrid“, „Neuer Terrorismus“, „Anthrax“,<br />
„BSE“, „SARS“, „Vogelgrippe“, „Kl<strong>im</strong>awan<strong>de</strong>l“ usw.<br />
nur höchst unvollkommen umrissen, erfor<strong>de</strong>rte eine<br />
neue Ausrichtung, insbeson<strong>de</strong>re auf <strong>de</strong>m Feld <strong>de</strong>s<br />
strategischen <strong>Krisenmanagement</strong>s.
Das Konzept „<strong>Krisenmanagement</strong>“ bietet heute <strong>im</strong><br />
EU-Kontext <strong>de</strong>n konzeptionellen Rahmen für die verschie<strong>de</strong>nsten<br />
Aktivitäten und Initiativen <strong>de</strong>r Krisenbewältigung<br />
durch die EU. „Ziviles <strong>Krisenmanagement</strong>“<br />
steht für einen Querschnitts- und Gesamtansatz <strong>de</strong>r<br />
EU, in <strong>de</strong>m alle relevanten Sicherheitsaspekte gebün<strong>de</strong>lt<br />
sind und <strong>de</strong>r bewusst auch eine säulenübergrei-<br />
II. Die Europäische Union und strategischer Bevölkerungsschutz<br />
Es ist <strong>im</strong> vorliegen<strong>de</strong>n Rahmen nicht beabsichtigt, die<br />
aktuell für <strong>de</strong>n Bevölkerungsschutz gelten<strong>de</strong>n EU-Verfahrensregelungen<br />
(sog. „Finanzierungsinstrument“ 10 ;<br />
sog. „EU-Gemeinschaftsverfahren“ 11 ) o<strong>de</strong>r aktuelle<br />
Initiativen 12 vorzustellen. Statt<strong>de</strong>ssen soll <strong>de</strong>r allgemeineren<br />
Frage <strong>de</strong>s Gesamtansatzes <strong>de</strong>r EU auf <strong>de</strong>m<br />
Gebiet <strong>de</strong>s Bevölkerungsschutzes nachgegangen<br />
wer<strong>de</strong>n. Im Vor<strong>de</strong>rgrund steht dabei die Frage nach<br />
<strong>de</strong>m konzeptionellen Ansatz, d. h. das Verhältnis <strong>de</strong>s<br />
supranationalen <strong>Krisenmanagement</strong>s zu <strong>de</strong>n nationalen<br />
Bevölkerungsschutzsystemen innerhalb <strong>de</strong>r EU.<br />
BSE-Krise in Europa: Anfang 2001 mussten allein in <strong>de</strong>r<br />
Großviehanlage in Mücheln über 1000 Rin<strong>de</strong>r mit Giftspritzen<br />
getötet wer<strong>de</strong>n.<br />
fen<strong>de</strong> (engl.: cross-pillar) D<strong>im</strong>ension aufweist. Das<br />
neu erwachte Interesse <strong>de</strong>r EU am strategischen <strong>Krisenmanagement</strong><br />
ist damit Ausdruck <strong>de</strong>r pro-aktiven<br />
„Strategie-Kultur“, <strong>de</strong>r sich die Mitgliedstaaten in <strong>de</strong>r<br />
ESS angesichts <strong>de</strong>r neuen Herausfor<strong>de</strong>rungen verschrieben<br />
haben. 9<br />
1. Handbuch <strong>de</strong>r EU für die Notfall- und Krisenkommunikation<br />
Aufschlussreich ist insoweit die seit Juni 2007 vorliegen<strong>de</strong><br />
überarbeitete Fassung <strong>de</strong>s „Handbuchs <strong>de</strong>r<br />
EU für die Notfall- und Krisenkoordination“ (engl.:<br />
Manual on EU Emergency and Crisis Coordination)<br />
vom 20. Juni 2007. 13 Der Inhalt lässt sich grob wie<br />
folgt umreißen: Es besteht neben <strong>de</strong>r Einleitung aus<br />
drei Kapiteln sowie zwei Anlagen. In <strong>de</strong>r Einleitung<br />
wer<strong>de</strong>n Hinweise zur Anwendung <strong>de</strong>s Handbuchs<br />
gegeben, insbeson<strong>de</strong>re zur Aktivierung <strong>de</strong>r jeweiligen<br />
EU-Instrumente. Kapitel 1 beschreibt, unterstützt<br />
durch graphische Ablaufdiagramme 14 , das Verfahren<br />
zur Einrichtung eines Krisenstabes auf EU-Ebene in<br />
beson<strong>de</strong>ren Fällen. In Kapitel 2 sind sog. Standard-<br />
Kontaktstellen in <strong>de</strong>n Mitgliedstaaten aufgelistet. In<br />
<strong>de</strong>r vollständigen (nicht-öffentlichen) Fassung sind<br />
konkrete Erreichbarkeitsdaten (Anschrift, Telefon,<br />
Fax, Email, Ansprechstelle, Ansprechperson, Sprache<br />
etc.) <strong>de</strong>r betreffen<strong>de</strong>n nationalen Lagezentren<br />
und Stellen aufgeführt. In Kapitel 3 gibt das Handbuch<br />
schließlich einen Überblick über existieren<strong>de</strong><br />
Netzwerke <strong>de</strong>r EU und relevanter Organisationen <strong>im</strong><br />
Bereich <strong>de</strong>s zivilen <strong>Krisenmanagement</strong>s. Die Darstellung<br />
reicht von <strong>de</strong>m Gemeinsamen Lagezentrum <strong>de</strong>r<br />
EU <strong>im</strong> Generalsekretariat <strong>de</strong>s Rates <strong>de</strong>r EU (SITCEN)<br />
und <strong>de</strong>m Beobachtungs- und Informationszentrum<br />
für Katastrophenschutz bei <strong>de</strong>r EU-Kommission (MIC<br />
/ engl.: Monitoring and Information Centre for Civil<br />
Protection) über die verschie<strong>de</strong>nen Frühwarnsysteme<br />
ARGUS (Allgemeines Frühwarnsystem <strong>de</strong>r EU-Kommission),<br />
EWRS (Frühwarnsystem für übertragbare<br />
Krankheiten), ADNS (Tierseuchen-Mel<strong>de</strong>system),<br />
RAPEX (Schnellwarnsystem für unsichere Produkte),<br />
51
52<br />
RASFF (Schnellwarnsystem für Lebensmittel und Futtermittel),<br />
BICHAT (Schnellwarnsystem für biologische<br />
und chemische Anschläge und Bedrohungen),<br />
ECURIE (System für radiologische Notfälle), EISS<br />
(Europäisches Influenza-Überwachungssystem) bis<br />
zu internationalen Organisationen und Einrichtungen<br />
(z. B. EUROCONTROL, Internationale Atomenergiebehör<strong>de</strong><br />
/IAEA, Interpol, VN-Büro für die Koordinierung<br />
humanitärer Angelegenheiten / OCHA, NATO<br />
Euro-atlantisches Koordinierungszentrum für Katastrophenhilfe<br />
/ EADRCC), Weltgesundheitsorganisation<br />
/ WHO). Die Darstellung folgt dabei einem<br />
einheitlichen Schema: So wer<strong>de</strong>n jeweils zunächst<br />
Kontaktadressen angegeben, gefolgt von einer Tätigkeits-<br />
und Zweckbeschreibung; zum Schluss wer<strong>de</strong>n<br />
Mitglie<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r Beteiligte, eine Internetadresse<br />
(„Link“) und die jeweilige Rechtsgrundlage genannt.<br />
Es dürfte nicht zuviel gesagt sein, in <strong>de</strong>m vorliegen<strong>de</strong>n<br />
Handbuch <strong>de</strong>r EU für die Notfall- und Kri-<br />
Was ist nun in konzeptioneller Hinsicht das Charakteristische<br />
<strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>ansatzes <strong>de</strong>r EU?<br />
Gleich zu Beginn wird ausdrücklich Bezug genommen<br />
auf <strong>de</strong>n Auftrag <strong>de</strong>s Rates <strong>im</strong> Haager Programm<br />
(Nummer 2.4), wo <strong>de</strong>r Europäische Rat „die Ausarbeitung<br />
integrierter EU-Regelungen für die Bewältigung<br />
von Krisen mit grenzüberschreiten<strong>de</strong>r Wirkung“ verlangt<br />
hatte. Das Handbuch ist damit auch das Ergebnis<br />
einer konsequenten Implementierungsstrategie.<br />
In diesem Sinne ist es augenfälliger Ausdruck <strong>de</strong>s<br />
neuen Gestaltungswillens <strong>de</strong>r EU <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>s zivilen<br />
<strong>Krisenmanagement</strong>s. Ist <strong>de</strong>shalb die Eigenverantwortlichkeit<br />
<strong>de</strong>r EU-Mitgliedstaaten <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>s<br />
Bevölkerungsschutzes gefähr<strong>de</strong>t? Die Antwort auf<br />
diese Frage gibt die EU <strong>im</strong> Handbuch selbst:<br />
2. Europäischer strategischer Bevölkerungsschutz<br />
senkoordination, das sich selbst als ständig „fortzuschreiben<strong>de</strong>s<br />
Dokument“ 15 begreift, ein praktisches<br />
Kompendium <strong>de</strong>s EU-aquis in Sachen <strong>Krisenmanagement</strong><br />
zu sehen. Das Handbuch ist aber nicht nur<br />
ein Schlüsseldokument für je<strong>de</strong>n Praktiker, <strong>de</strong>r sich<br />
über getroffene organisatorische Vorkehrungen für<br />
<strong>de</strong>n Krisenfall auf EU- Ebene und <strong>de</strong>ren Zusammenspiel<br />
mit an<strong>de</strong>ren <strong>Krisenmanagement</strong>strukturen<br />
informieren will. Durch die integrative Gesamtdarstellung<br />
von konkreter EU-Notfall- bzw. Krisenplanung,<br />
von weltweit existieren<strong>de</strong>n Frühwarnsystemen<br />
und von konkreten Ansprechstellen in <strong>de</strong>n Mitgliedstaaten<br />
unter Zugrun<strong>de</strong>legung von Min<strong>im</strong>alstandards<br />
(z. B. 24-Stun<strong>de</strong>n-Erreichbarkeit) wird die komplexe<br />
Vielfalt <strong>de</strong>r interagieren<strong>de</strong>n Akteure und <strong>de</strong>r, je<br />
nach Krisenszenario, anzuwen<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Mechanismen<br />
<strong>de</strong>utlich. In <strong>de</strong>m Handbuch n<strong>im</strong>mt <strong>de</strong>r Gesamtansatz<br />
<strong>de</strong>r EU <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>s zivilen <strong>Krisenmanagement</strong>s in<br />
Konturen bereits Gestalt an.<br />
„Das Handbuchs <strong>de</strong>r EU für die Notfall-<br />
und Krisenkoordination beruht durchge-<br />
hend auf <strong>de</strong>m Grundprinzip <strong>de</strong>r Subsidi-<br />
arität – die Mitgliedstaaten sind für die<br />
Bewältigung von Krisen in ihrem Hoheits-<br />
gebiet in erster Linie selbst zuständig. Das<br />
Handbuch erlegt we<strong>de</strong>r Verpflichtungen<br />
auf, noch än<strong>de</strong>rt es bestehen<strong>de</strong> Zuständig-<br />
keiten. Durch das Handbuch soll <strong>de</strong>r Wert<br />
gegenseitiger solidarischer Unterstützung<br />
zwischen <strong>de</strong>n Mitgliedstaaten bei <strong>de</strong>r<br />
Reaktion auf größere Notfälle anerkannt<br />
wer<strong>de</strong>n.“ 16
Sehr <strong>de</strong>utlich kommt dieser Gedanke auch in <strong>de</strong>n<br />
neuesten Verlautbarungen <strong>de</strong>r EU zum Ausdruck. In<br />
<strong>de</strong>n Schlussfolgerungen <strong>de</strong>s Rates vom 18. April 2008<br />
„BETONT (<strong>de</strong>r Rat, d. Verf.), dass die Stärkung <strong>de</strong>r<br />
Katastrophenabwehrkapazitäten <strong>de</strong>r Union durch ein<br />
ausgewogenes Konzept erzielt wer<strong>de</strong>n sollte, das auf<br />
zwei Grundsätzen beruht, nämlich zum einen auf <strong>de</strong>r<br />
nationalen Verantwortung, wonach je<strong>de</strong>r Staat geeignete<br />
operative und präventive Maßnahmen für <strong>de</strong>n<br />
Schutz und die Sicherheit seiner Bürger trifft, und<br />
zum an<strong>de</strong>ren auf <strong>de</strong>r Solidarität <strong>de</strong>r EU, die gewährleistet,<br />
dass gefähr<strong>de</strong>te Mitglieds- und Drittstaaten<br />
durch die EU unterstützt wer<strong>de</strong>n.“ 17 Auch die neuen<br />
Vorschläge <strong>de</strong>r EU-Kommission 18 zum Ausbau <strong>de</strong>s<br />
<strong>Krisenmanagement</strong>systems <strong>de</strong>r EU bewegen sich in<br />
diesem Rahmen. Um die neuen Herausfor<strong>de</strong>rungen<br />
<strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>s Bevölkerungsschutzes annehmen zu<br />
können, plädiert die Kommission für ein „umfassen<strong>de</strong>s<br />
und integriertes Gesamtkonzept“, das es ermöglicht,<br />
in allen Phasen einer Krise die Fähigkeiten <strong>de</strong>r<br />
verschie<strong>de</strong>nen EU-Mitgliedstaaten schnellstmöglich<br />
und koordiniert zu mobilisieren und synergetisch zu<br />
verbin<strong>de</strong>n:<br />
Banda Aceh in Südostasien:<br />
Ein Seebeben und <strong>de</strong>r<br />
folgen<strong>de</strong> Tsunami töten<br />
<strong>im</strong> Dezember 2004 über<br />
200.000 Menschen<br />
„Die Katastrophen von heute betreffen<br />
häufig mehrere Län<strong>de</strong>r zugleich und erfor-<br />
<strong>de</strong>rn daher eine multilaterale, koordinier-<br />
te Reaktion. Gleichzeitig verschw<strong>im</strong>men<br />
die Grenzen zwischen inländischen und<br />
ausländischen Katastrophen zusehends:<br />
Die Flutkatastrophe <strong>im</strong> Indischen Ozean<br />
traf europäische Touristen ebenso wie die<br />
einhe<strong>im</strong>ische Bevölkerung, Hochwasser<br />
wie auch Waldbrän<strong>de</strong> betreffen sowohl die<br />
Mitgliedstaaten <strong>de</strong>r EU als auch ihre Nach-<br />
barlän<strong>de</strong>r, Epi<strong>de</strong>mien können schnell von<br />
einem Erdteil auf <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren übersprin-<br />
gen, und ebenso schnell kann beispielswei-<br />
se die Notwendigkeit entstehen, EU-Bürger<br />
aus Krisengebieten zu evakuieren.“ 19<br />
53
54<br />
Wie in <strong>de</strong>r Einleitung zum Handbuch unterstreicht<br />
die Kommission erneut die Grundprinzipien für ein<br />
integriertes <strong>Krisenmanagement</strong>system, nämlich nationale<br />
Eigenverantwortung und europäische Solidarität:<br />
„Die Komplexität und <strong>de</strong>r Umfang dieser<br />
vielschichtigen Herausfor<strong>de</strong>rungen erfor<strong>de</strong>rn ein<br />
Gesamtkonzept <strong>de</strong>r EU für eine kontinuierliche Risikobewertung,<br />
Vorhersage, Prävention, Vorsorge und<br />
(vor- und nachgeschaltete) Katastrophenmil<strong>de</strong>rung,<br />
das die verschie<strong>de</strong>nen Strategien, Instrumente und<br />
Maßnahmen, die bei einer Zusammenarbeit zwischen<br />
<strong>de</strong>r Gemeinschaft und <strong>de</strong>n Mitgliedstaaten zur<br />
Verfügung stehen, in sich vereint und so dazu beiträgt,<br />
ein ausgewogenes Verhältnis zwischen nationaler<br />
Verantwortung und europäischer Solidarität zu<br />
schaffen.“ 20 Ausdrücklich macht die EU-Kommission<br />
in ihrer Mitteilung an das Europäische Parlament und<br />
<strong>de</strong>n Rat vom März 2008 darauf aufmerksam, dass <strong>de</strong>r<br />
Begriff <strong>de</strong>r „Katastrophe“ (engl.: disaster) sehr weit<br />
verstan<strong>de</strong>n wird: „In <strong>de</strong>r Mitteilung wird <strong>de</strong>r Begriff<br />
<strong>de</strong>r ‚Katastrophe’ <strong>im</strong> weiteren Sinne verwen<strong>de</strong>t, um<br />
sowohl Naturkatastrophen als auch von Menschenhand<br />
verursachte Unglücke und größere konfliktbedingte<br />
Notsituationen in- und außerhalb <strong>de</strong>r EU<br />
zu erfassen.“ 21 Der Hinweis ist nötig und <strong>de</strong>nnoch<br />
nicht geeignet, Missverständnisse zu vermei<strong>de</strong>n. Das<br />
gilt insbeson<strong>de</strong>re für Deutschland. Dort ist auf <strong>de</strong>r<br />
Grundlage <strong>de</strong>r Katastrophenschutzgesetze <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r<br />
und <strong>de</strong>s Zivilschutzgesetzes ein sehr viel engerer<br />
Begriff von „Katastrophe“ und „Notfall“ etabliert<br />
und geläufig. Die EU-Kommission verfährt hier selbst<br />
nicht vollends stringent und systematisch. Blickt man<br />
nämlich in die Einleitung zum Handbuch so wird<br />
dort – wenn auch in genauso weitem Sinne – nicht<br />
<strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r „Katastrophe“ (engl.: disaster), son<strong>de</strong>rn<br />
<strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r „Krise“ (engl.: crisis) bzw. „Notfall“<br />
(engl.: emergency) zugrun<strong>de</strong> gelegt.<br />
Das Handbuch unterschei<strong>de</strong>t drei Typen von Krisen bzw. Notfällen<br />
(engl.: crisis / emergencies):<br />
�<br />
�<br />
�<br />
Schwerste Krisen / Notfälle mit so weit reichen<strong>de</strong>n Auswirkungen o<strong>de</strong>r einer<br />
so umfassen<strong>de</strong>n politischen Be<strong>de</strong>utung, dass eine abgest<strong>im</strong>mte Reaktion <strong>de</strong>r<br />
EU auf politischer Ebene erfor<strong>de</strong>rlich ist. Anwendbar sind in solchen Fällen<br />
die <strong>im</strong> Handbuch (Kap. 1) ausführlich beschriebenen „EU-Regelungen zur Koordinierung<br />
in Notfällen und Krisen“ (engl.: EU Emergency and Crisis Coordination<br />
Arrangements / CCA).<br />
Krisen / Notfälle, die ein Tätigwer<strong>de</strong>n und bisweilen eine gegenseitige operative<br />
Unterstützung durch Nachbarstaaten, an<strong>de</strong>re Mitgliedstaaten, die EU-<br />
Strukturen und/o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rer Organisationen erfor<strong>de</strong>rlich machen, ohne dass<br />
eine abgest<strong>im</strong>mte politische Reaktion <strong>de</strong>r EU auf politischer Ebene notwendig<br />
wäre; grenzüberschreiten<strong>de</strong> Notfälle/Krisen dieser Art können in <strong>de</strong>r Regel<br />
durch gut funktionieren<strong>de</strong> regionale, bilaterale und multilaterale Übereinkünfte<br />
und Regelungen, EU-Verfahren (z. B. MIC) o<strong>de</strong>r sonstige Übereinkünfte<br />
abge<strong>de</strong>ckt wer<strong>de</strong>n.<br />
Notfälle / Krisen, die von <strong>de</strong>n betroffenen Mitgliedstaaten ohne direkte Hilfe<br />
seitens an<strong>de</strong>rer Mitgliedstaaten o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r EU-Organe bewältigt wer<strong>de</strong>n können;<br />
Grundlage sind einzelstaatliche Regelungen zur Bewältigung von Notfällen/<br />
Krisen.
Die Unterscheidung <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Krisenarten<br />
bringt an<strong>de</strong>utungsweise das auf <strong>de</strong>n Begriff, was<br />
die EU-Kommission offenbar auch mit <strong>de</strong>m erweiterten<br />
Katastrophenbegriff <strong>im</strong> Sinn hat. Man könnte<br />
von Krisen erster, zweiter und dritter Ordnung<br />
sprechen. Setzt man diese Kategorien systematisch<br />
in Beziehung zu <strong>de</strong>n genannten Grundprinzipien<br />
<strong>de</strong>s Systems (Subsidiarität bzw. nationale Eigenverantwortung<br />
und europäische Solidarität), so gewinnt<br />
man Maßstäbe für das Han<strong>de</strong>ln in <strong>de</strong>r Krise auf <strong>de</strong>r<br />
jeweiligen Ebene. Die EU-Anstrengungen, die auf die<br />
nachhaltige Stärkung <strong>de</strong>r „Katastrophenabwehrkapazitäten“<br />
und die Errichtung eines „integrierten EU-<br />
Katastrophenbewältigungssystems“ gerichtet sind,<br />
führen damit in <strong>de</strong>utscher Übersetzung sprachlich<br />
in die Irre. Der Sache nach geht es um <strong>de</strong>n Aufbau<br />
eines europäischen <strong>Krisenmanagement</strong>systems. Aus<br />
<strong>de</strong>utscher Sicht gilt es, die zweifellos vorhan<strong>de</strong>ne Begriffsverwirrung<br />
um die Bezeichnungen „Krise“ und<br />
„Katastrophe“ aufzulösen. Was ist also <strong>Krisenmanagement</strong><br />
an<strong>de</strong>res als Katastrophenmanagement bzw.<br />
was spricht für Krise, was für Katastrophe?<br />
Der Begriff <strong>de</strong>r „Krise“ beschreibt besser das zu lösen<strong>de</strong><br />
Problem, bringt er doch das Kernproblem<br />
<strong>de</strong>r neuen Sicherheitslage, nämlich die beson<strong>de</strong>re<br />
Störungsanfälligkeit und Verwundbarkeit <strong>de</strong>r hoch<br />
industrialisierten Gesellschaften mit ihren unzähligen<br />
krisenanfälligen Infrastrukturen <strong>im</strong> öffentlichen<br />
wie <strong>im</strong> privaten Sektor genauer zum Ausdruck. Dies<br />
macht eine neue phasen- und prozessorientierte Betrachtung<br />
und Behandlung von Sicherheitsrisiken <strong>im</strong><br />
Vorfeld von sicherheitsrelevanten Ereignissen erfor<strong>de</strong>rlich.<br />
Notwendig sind Früherkennung, Frühaufklärung,<br />
Risikoanalyse, das, was in <strong>de</strong>r ESS als „Strategie-Kultur“<br />
bezeichnet wur<strong>de</strong>. <strong>Krisenmanagement</strong><br />
ist insoweit <strong>de</strong>r neue konzeptionelle Ansatz, um die<br />
Katastrophe, wenn nicht zu verhin<strong>de</strong>rn, so doch<br />
durch systematisches strategisches Management <strong>im</strong><br />
Vorfeld eines potentiell katastrophalen Ereignisses<br />
auf nationaler und internationaler Ebene in ihren<br />
Auswirkungen zu mil<strong>de</strong>rn. <strong>Krisenmanagement</strong> in<br />
Opposition zum „Katastrophenschutz“ o<strong>de</strong>r zum „Katastrophenmanagement“<br />
zu bringen, greift auf je<strong>de</strong>n<br />
Fall zu kurz. Katastrophen- und Einsatzmanagement<br />
sind nicht min<strong>de</strong>r wichtig, ja – <strong>im</strong> Ereignisfall – unabdingbar.<br />
Nur betreffen sie <strong>im</strong> Gesamtprozess einen<br />
spezifischen Ausschnitt <strong>de</strong>r neuerdings zusätzlich zu<br />
leisten<strong>de</strong>n, präventiven Sicherheitsarbeit.<br />
Mit <strong>Krisenmanagement</strong> ist eine Verbreiterung <strong>de</strong>s Sicherheitskonzepts<br />
und eine Akzentverschiebung von<br />
<strong>de</strong>r Katastrophe zur Krise verbun<strong>de</strong>n. Zugleich wird<br />
<strong>de</strong>r Interventionszeitpunkt für die Bewältigung <strong>de</strong>r<br />
möglichen Krise <strong>im</strong> Wege <strong>de</strong>r Krisenvorsorge, Krisenprävention,<br />
<strong>de</strong>n Aufbau von Krisenstäben, die<br />
Einrichtung von Frühwarnsystemen, die Bildung von<br />
Krisenreaktionsteams, die Vernetzung von Betreibern<br />
kritischer Infrastrukturen nach vorne verlagert. Das<br />
in Aussicht genommene „integrierte Gesamtkonzept<br />
zur Krisenbewältigung <strong>de</strong>r EU“ ist damit ein eminent<br />
strategisches. Bestätigt wird diese Sichtweise<br />
durch entsprechen<strong>de</strong> Ausführungen <strong>im</strong> Handbuch:<br />
„In diesem Handbuch umfasst <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r Krisenbewältigung<br />
ein breites Spektrum an Bereichen, zu<br />
<strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Katastrophenschutz, die Strafverfolgung,<br />
die öffentliche Ordnung und auch <strong>de</strong>r private Sektor<br />
gehören. Die <strong>im</strong> Handbuch enthaltenen Regelungen<br />
sind säulenübergreifend und gelten sowohl für externe<br />
Krisen als auch für Krisen innerhalb <strong>de</strong>r EU;<br />
sie sollen <strong>de</strong>n Mitgliedstaaten bei Notfällen eine Hilfe<br />
sein.“ 22<br />
In the context of this manual, the notion of crisis management encompasses a wi<strong>de</strong> range of<br />
sectors including civil protection, law enforcement, public or<strong>de</strong>r and the private sector. The manual<br />
is cross pillar and relevant both to external crises and crises within the EU and a<strong>im</strong>s to<br />
assist Member States during emergencies.<br />
Manual on EU Emergency and Crisis Coordination 2007<br />
55
56<br />
So gesehen betreibt die EU auf supranationaler Ebene<br />
die Entwicklung eines neuen strategischen Bevölkerungsschutzkonzepts<br />
nach <strong>de</strong>n Grundsätzen <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s.<br />
Man kann insoweit mit guten Grün<strong>de</strong>n<br />
von strategischem Bevölkerungsschutz sprechen.<br />
Strategischer Bevölkerungsschutz soll heißen, dass<br />
die EU <strong>de</strong>n Schutz <strong>de</strong>r Bevölkerung <strong>im</strong> Wesentlichen<br />
durch eine aktive Notfall- und Krisenkoordination<br />
bewerkstelligen will. Hierzu gehört freilich auch <strong>de</strong>r<br />
präventive Aufbau von Entscheidungsstrukturen und<br />
das Treffen allgemeiner organisatorischer Vorkehrungen<br />
auf EU-Ebene – und mittelbar in <strong>de</strong>n Mitglied-<br />
III. Ausblick<br />
Wie sich das Konzept <strong>de</strong>r EU für einen strategischen<br />
Bevölkerungsschutz, das als „umfassen<strong>de</strong>s und integriertes<br />
Krisenbewältigungssystem“ konzipiert wer<strong>de</strong>n<br />
soll, in <strong>de</strong>r Praxis weiterentwickeln wird, ist zur Zeit<br />
offen. Irland hat <strong>de</strong>n Reformvertrag <strong>de</strong>r EU (Vertrag<br />
von Lissabon) am 12. Juni 2008 in einem Referen-<br />
Verbindungsbeamter <strong>de</strong>s Monitoring Information Centre <strong>de</strong>r<br />
EU <strong>im</strong> Rahmen einer gemeinsamen Erkundungsmission mit<br />
<strong>de</strong>n Vereinten Nationen nach einer Ölkatastrophe <strong>im</strong> Dezember<br />
2007 in Südkorea<br />
staaten (<strong>Krisenmanagement</strong>strukturen). Strategischer<br />
Bevölkerungsschutz in diesem Sinne erfor<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>mzufolge<br />
zwingend <strong>de</strong>n flankieren<strong>de</strong>n Aufbau „analoger“,<br />
besser: interoperabler bzw. korrespondieren<strong>de</strong>r<br />
<strong>Krisenmanagement</strong>strukturen in <strong>de</strong>n Mitgliedstaaten.<br />
Ohne anschlussfähige Strukturen in <strong>de</strong>n Mitgliedstaaten,<br />
<strong>de</strong>nen gemeinsame Standards zugrun<strong>de</strong> liegen,<br />
wird, davon ist auszugehen, <strong>de</strong>r EU-Mechanismus<br />
für einen strategischen Bevölkerungsschutz nach <strong>de</strong>n<br />
Grundsätzen <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s kaum funktionsfähig<br />
sein.<br />
dum abgelehnt; <strong>de</strong>r Ratifizierungsprozess ist dadurch<br />
ins Stocken geraten. Ziel <strong>de</strong>s Vertrages ist u. a., <strong>de</strong>n<br />
Bevölkerungsschutz aufgrund seiner herausragen<strong>de</strong>n<br />
Be<strong>de</strong>utung für die Zukunft pr<strong>im</strong>ärrechtlich zu verankern<br />
und durch eine Neufassung <strong>de</strong>s Art. 308 EG-<br />
Vertrag Mehrheitsentscheidungen zu ermöglichen. 23<br />
An <strong>de</strong>r Notwendigkeit eines solchen Systems, das in<br />
Konturen auf EU-Ebene bereits sichtbar ist, kann in<strong>de</strong>ssen<br />
kein ernsthafter Zweifel bestehen. Am Beginn<br />
<strong>de</strong>s 21. Jahrhun<strong>de</strong>rts wird zusehends klarer, dass<br />
sich die Grundkoordinaten für eine nationale und<br />
internationale Sicherheitsarbeit verschoben haben. 24<br />
<strong>Nationales</strong> wie transnationales <strong>Krisenmanagement</strong><br />
muss <strong>im</strong> Vorstadium <strong>de</strong>r Katastrophe beginnen, muss<br />
versuchen, frühzeitig Anzeichen für eine solche zu<br />
erkennen bzw. zu antizipieren. Die Umstellung <strong>de</strong>s<br />
Gesamtsystems von <strong>de</strong>n hergebrachten Kategorien<br />
<strong>de</strong>s Katastrophenschutzes auf ein neu ausgerichtetes<br />
<strong>Krisenmanagement</strong>system verläuft gera<strong>de</strong> auf EU-<br />
Ebene aufgrund <strong>de</strong>r Sprachbarrieren und konkurrieren<strong>de</strong>r<br />
Begrifflichkeiten nicht reibungslos. <strong>Krisenmanagement</strong><br />
bleibt von daher <strong>im</strong> nationalen wie <strong>im</strong><br />
internationalen Rahmen aktuell auch eine beson<strong>de</strong>re<br />
konzeptionelle Herausfor<strong>de</strong>rung. Wo für die Fortentwicklung<br />
<strong>de</strong>s Systems die Grenzen <strong>de</strong>r Prinzipien<br />
Solidarität und Subsidiarität in die eine o<strong>de</strong>r die an<strong>de</strong>re<br />
Richtung zu sehen sind, muss die Politik verantwortlich<br />
festlegen. 25 Vernünftigerweise aber kann mit<br />
einem integrierten Krisenbewältigungssystem <strong>de</strong>r EU<br />
kein operatives <strong>Krisenmanagement</strong> in <strong>de</strong>n Mitgliedstaaten<br />
bei Krisen dritter Ordnung gemeint sein.
Waldbrän<strong>de</strong> bedrohen vor allem <strong>de</strong>n trockenen Sü<strong>de</strong>n Europas: Einsatz <strong>de</strong>r Feuerwehr in Südfrankreich <strong>im</strong> August 2000<br />
Über die Fragen <strong>de</strong>r konzeptionellen und normativen<br />
Weiterentwicklung <strong>de</strong>s EU-Systems hinaus besteht<br />
die eigentliche und viel größere Herausfor<strong>de</strong>rung in<br />
<strong>de</strong>r Herausbildung einer Krisenbewältigungskultur –<br />
auf nationaler wie auf supranationaler Ebene.<br />
Krisenbewältigung, also gesellschaftlich<br />
<strong>de</strong>stabilisieren<strong>de</strong> Situationen zu meistern,<br />
erfor<strong>de</strong>rt eine kollektive Kraftanstrengung<br />
ganz beson<strong>de</strong>rer Art. Das be<strong>de</strong>utet, dass<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> nicht nur konzipiert,<br />
son<strong>de</strong>rn auf allen Ebenen praktiziert<br />
wer<strong>de</strong>n muss.<br />
Auch die EU hat dies erkannt. Im Herbst 2008 wird<br />
sie daher eine Stabsrahmenübung mit <strong>de</strong>m Szenario<br />
„Doppelter Wirbelsturm“ (engl.: „twin storm“) durchführen.<br />
An <strong>de</strong>r EU-Übung wer<strong>de</strong>n sich zehn Mitgliedstaaten<br />
(Belgien, Dänemark, Frankreich, Lettland, Litauen,<br />
Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>, Rumänien, Spanien, Schwe<strong>de</strong>n<br />
und Großbritannien) beteiligen. Die Übung heißt<br />
„CCAEX 08“ (engl.: Crisis Coordination Arrangements<br />
Exercise). 26<br />
Zum Autor: Norbert Reez leitet <strong>de</strong>n Lehrbereich IV.6 an <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie für <strong>Krisenmanagement</strong>, Notfallplanung und Zivilschutz<br />
(AKNZ) <strong>im</strong> <strong>Bund</strong>esamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe und ist zugleich Projektleiter <strong>de</strong>r Projektgruppe LÜKEX<br />
(Ressort- und län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong> <strong>Krisenmanagement</strong>übungen)<br />
57
58<br />
1 Zum Ganzen NOWAK, A. (Hrsg.), 2006, Civilian Crisis Management: The EU way, Paris (Institute for Security Studies, Chaillot<br />
Paper No. 90)<br />
2 Vertrag über die Europäische Union vom 7. Februar 1992 in <strong>de</strong>r Fassung vom 26. Februar 2001/Dok. CONFER 4820/00 – Vertrag<br />
von Nizza), BGBl 2002 II S. 1666; Art. 17.2 EU-Vertrag lautet: „Die Fragen, auf die in diesem Artikel Bezug genommen<br />
wird, schließen humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, frie<strong>de</strong>nserhalten<strong>de</strong> Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei <strong>de</strong>r<br />
Krisenbewältigung einschließlich frie<strong>de</strong>nschaffen<strong>de</strong> Maßnahmen ein.“.<br />
3 European Security Strategy / A SECURE EUROPE IN A BETTER WORLD - Europäische Sicherheitsstrategie / EIN SICHERES<br />
EUROPA IN EINER BESSEREN WELT vom 12. Dezember 2003, Brüssel<br />
4 ebenda. S. 11<br />
5 Rat <strong>de</strong>r EU, 2004, Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in <strong>de</strong>r Europäischen Union, Brüssel,<br />
<strong>de</strong>n 12. Dezember 2004 (16054/04)<br />
6 ebenda, S. 24<br />
7 Mit „Bevölkerungsschutz“ ist hier die Gesamtheit von Zivil- und Katastrophenschutz umfasst unbescha<strong>de</strong>t <strong>de</strong>r Beson<strong>de</strong>rheit<br />
in Deutschland, wonach insoweit verfassungsrechtlich verschie<strong>de</strong>ne Kompetenzbereiche für <strong>de</strong>n <strong>Bund</strong> und die Län<strong>de</strong>r existieren;<br />
dazu MEYER-TESCHENDORF, K., 2007, Rechtsfortbildung <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz. Zum Diskussionsstand zwischen<br />
<strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>rn, in: Bevölkerungsschutz, Heft 2, S. 23-30<br />
8 Dazu unten II.<br />
9 Vgl. MISSIROLI, A. (Hrsg.), 2005, Disasters, Disruptions: a new D-drive for the EU, Paris (Institute for Security Studies, Chail-<br />
lot Paper No. 83)<br />
10 Entscheidung (2007/162/EG, Euratom) <strong>de</strong>s Rates vom 5. März 2007 zur Schaffung eines Finanzierungsinstruments für <strong>de</strong>n<br />
Katastrophenschutz<br />
11 Rat <strong>de</strong>r EU, 2007, Entscheidung (2007/779/EG, Euratom) <strong>de</strong>s Rates vom 8. November 2007 über ein Gemeinschaftsverfahren<br />
für Katastrophenschutz (Neufassung)<br />
12 z. B. das Europäische Programm zum Schutz Kritischer Infrastrukturen (EPSKI), hierzu JOHN-KOCH, M., 2007, EPSKI. Das<br />
Europäische Programm zum Schutz Kritischer Infrastrukturen, in: Bevölkerungsschutz, Heft 2, S. 15-18<br />
13 Vgl. Rat <strong>de</strong>r EU, 2007, Bericht und überarbeitete Fassung <strong>de</strong>s Handbuchs <strong>de</strong>r EU für die Notfall- und Krisenkommunikation –<br />
Billigung vom 20. Juni 2007 (10011/07 REV 1), Brüssel (72 Seiten)<br />
14 ebenda S. 6, 11<br />
15 ebenda, S. 4<br />
16 ebenda, S. 4<br />
17 Rat <strong>de</strong>r EU, 2008, Entwurf von Schlussfolgerungen <strong>de</strong>s Rates über die Stärkung <strong>de</strong>r Katastrophenabwehrkapazitäten <strong>de</strong>r<br />
Europäischen Union – auf <strong>de</strong>m Weg zu einem integrierten Konzept für die Katastrophenbewältigung vom 18. April 2008 (EU<br />
Dok. 8592/08), S. 3<br />
18 EU-KOM, 2008, Mitteilung <strong>de</strong>r Kommission an das Europäische Parlament und <strong>de</strong>n Rat. Stärkung <strong>de</strong>r Katastrophenabwehr<br />
kapazitäten <strong>de</strong>r Europäischen Union (Brüssel <strong>de</strong>n 5.3.2008 KOM (2008) 130 endgültig)<br />
19 ebenda, S. 3<br />
20 ebenda<br />
21 ebenda, S. 2<br />
22 ebenda<br />
23 vgl. Entwurf <strong>de</strong>s Lissabon-Vertrages Art. 6, 196 EU-Vertrag (konsolidierte Fassung)<br />
24 vgl. AMMANN, W. J. et. al. (Hrsg), 2006, RISK21 – Coping with Risks due to Natural Hazards in the 21st Century, London;<br />
BECK, U., 2007, Weltrisikogesellschaft. Auf <strong>de</strong>r Suche nach <strong>de</strong>r verlorenen Sicherheit, Frankfurt a. M.<br />
25 Umstritten insoweit BARNIER, M., 2006, For a European civil protection force: Europe aid. Report by Michel Barnier, Brüssel<br />
26 EU-KOM, 2008, CCAEX 08, Planning Team First Meeting 22 February 2008, Bruxelles
Literatur und Quellen<br />
AMMANN, W. J. et. al. (Hrsg), 2006, RISK21 – Coping with Risks due to Natural Hazards in the 21st Century, London<br />
BECK, U., 2007, Weltrisikogesellschaft. Auf <strong>de</strong>r Suche nach <strong>de</strong>r verlorenen Sicherheit, Frankfurt a. M.<br />
European Security Strategy / A SECURE EUROPE IN A BETTER WORLD - Europäische Sicherheitsstrategie / EIN SICHERES<br />
EUROPA IN EINER BESSEREN WELT vom 12. Dezember 2003, Brüssel<br />
EU-KOM, 2008, Mitteilung <strong>de</strong>r Kommission an das Europäische Parlament und <strong>de</strong>n Rat. Stärkung <strong>de</strong>r Katastrophenabwehrkapazitäten<br />
<strong>de</strong>r Europäischen Union (Brüssel <strong>de</strong>n 5.3.2008 KOM (2008) 130 endgültig)<br />
EU-KOM, 2008, CCAEX 08, Planning Team First Meeting 22 February 2008, Bruxelles<br />
JOHN-KOCH, M., 2007, EPSKI. Das Europäische Programm zum Schutz Kritischer Infrastrukturen, in: Bevölkerungsschutz,<br />
Heft 2, S. 15-18<br />
MEYER-TESCHENDORF, K., 2007, Rechtsfortbildung <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz. Zum Diskussionsstand zwischen <strong>Bund</strong> und<br />
Län<strong>de</strong>rn, in: Bevölkerungsschutz, Heft 2, S. 23-30<br />
MISSIROLI, A. (Hrsg.), 2005, Disasters, Disruptions: a new D-drive for the EU, Paris (Institute for Security Studies, Chaillot<br />
Paper No. 83)<br />
NOWAK, A. (Hrsg.), 2006, Civilian Crisis Management: The EU way, Paris (Institute for Security Studies, Chaillot Paper No. 90)<br />
Rat <strong>de</strong>r EU, 2004, Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in <strong>de</strong>r Europäischen Union, Brüssel, <strong>de</strong>n<br />
12. Dezember (16054/04)<br />
Rat <strong>de</strong>r EU, 2007, Entscheidung (2007/162/EG, Euratom) <strong>de</strong>s Rates vom 5. März 2007 zur Schaffung eines Finanzierungsinstruments<br />
für <strong>de</strong>n Katastrophenschutz<br />
Rat <strong>de</strong>r EU, 2007, Bericht und überarbeitete Fassung <strong>de</strong>s Handbuchs <strong>de</strong>r EU für die Notfall- und Krisenkommunikation – Billigung<br />
vom 20. Juni 2007 (10011/07 REV 1), Brüssel<br />
Rat <strong>de</strong>r EU, 2007, Entscheidung (2007/779/EG, Euratom) <strong>de</strong>s Rates vom 8. November 2007 über ein Gemeinschaftsverfahren<br />
für Katastrophenschutz (Neufassung)<br />
Rat <strong>de</strong>r EU, 2008, Entwurf von Schlussfolgerungen <strong>de</strong>s Rates über die Stärkung <strong>de</strong>r Katastrophenabwehrkapazitäten <strong>de</strong>r Europäischen<br />
Union – auf <strong>de</strong>m Weg zu einem integrierten Konzept für die Katastrophenbewältigung vom 18. April 2008 (EU Dok.<br />
8592/08)<br />
59
62<br />
II. Kapitel<br />
<strong>Nationales</strong> <strong>Krisenmanagement</strong><br />
<strong>im</strong> Bevölkerungsschutz:<br />
Grundlagen und Zuständigkeiten<br />
aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eslän<strong>de</strong>r<br />
„<strong>Krisenmanagement</strong> ist Teamwork…Gemein<strong>de</strong>n,<br />
Landkreise, Regierungspräsidien,<br />
Län<strong>de</strong>r, <strong>Bund</strong>, Organisationen und Wirtschaft<br />
haben <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz jeweils<br />
ihren eigenverantwortlichen Part. Gemeinsam<br />
bil<strong>de</strong>n sie ein Rä<strong>de</strong>rwerk starker Partner.<br />
Und das bedarf <strong>de</strong>r Pflege.“<br />
Reinhard Klee, Innenministerium Ba<strong>de</strong>n-Württemberg
Ein Rä<strong>de</strong>rwerk starker Partner: <strong>Krisenmanagement</strong> in<br />
Ba<strong>de</strong>n-Württemberg<br />
Reinhard Klee<br />
Ba<strong>de</strong>n-Württemberg ist sowohl nach seiner Fläche<br />
(35.742 qkm) als auch nach seiner Einwohnerzahl<br />
(über 10,7 Millionen Menschen) das drittgrößte <strong>de</strong>r<br />
16 <strong>Bund</strong>eslän<strong>de</strong>r. So vielfältig wie Landschaft, Kultur<br />
und Wirtschaft sind allerdings auch die potenziellen<br />
Herausfor<strong>de</strong>rungen an <strong>de</strong>n Bevölkerungsschutz <strong>im</strong><br />
Land, wie das Ergebnis <strong>de</strong>r bun<strong>de</strong>seinheitlichen Gefährdungsabschätzung<br />
dokumentiert:<br />
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Massenanfall an Verletzten;<br />
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gen bei Transportunfällen;<br />
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Stromversorgung.<br />
Diese und an<strong>de</strong>re Gefahren bestehen nahezu in allen<br />
Teilen <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s. Viele davon teilen wir mit unseren<br />
unmittelbaren Nachbarn Bayern, Hessen, Rheinland-<br />
Pfalz, Frankreich und Schweiz sowie – über <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>nsee<br />
– mit Österreich. Das erfor<strong>de</strong>rt eine Vernetzung<br />
<strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s.<br />
Behör<strong>de</strong>narchitektur<br />
Ein Scha<strong>de</strong>nsereignis ist zunächst grundsätzlich Sache<br />
<strong>de</strong>r Polizei soweit nicht spezialgesetzliche Regelungen,<br />
etwa für Feuerwehren und Rettungsdienste,<br />
greifen. Der Polizeivollzugsdienst hat (nur) so lange<br />
das Sagen, bis eine Polizeibehör<strong>de</strong> tätig wer<strong>de</strong>n<br />
kann. Dies sind in Ba<strong>de</strong>n-Württemberg 1.108 Bürgermeisterämter,<br />
35 Landratsämter und 37 Verwaltungsgemeinschaften,<br />
vier Regierungspräsidien und die<br />
jeweils betroffenen Fachministerien. Ein größeres Ereignis<br />
mit überörtlichen Auswirkungen verlangt entsprechen<strong>de</strong>n<br />
überörtlichen Koordinierungsbedarf.<br />
Dies kann schwierig und langwierig wer<strong>de</strong>n.<br />
Bei einem Ereignis <strong>im</strong> Sinne <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>skatastrophenschutzgesetzes<br />
wer<strong>de</strong>n diese Strukturen drastisch gestrafft:<br />
Die Verantwortung für die Koordinierung von<br />
Verwaltungsmaßnahmen (administrativ-organisatorische<br />
Aufgaben) und Einsatzmaßnahmen (operativtaktische<br />
Aufgaben) liegt jetzt allein bei <strong>de</strong>r zuständigen<br />
Katastrophenschutzbehör<strong>de</strong>.<br />
Die Gemein<strong>de</strong>n und an<strong>de</strong>re Behör<strong>de</strong>n bleiben <strong>im</strong><br />
Katastrophenfall für ihre originären Fachaufgaben<br />
weiterhin zuständig und als gesetzlich Mitwirken<strong>de</strong><br />
<strong>im</strong> Katastrophenschutz dann weisungsgebun<strong>de</strong>n in<br />
<strong>de</strong>r Pflicht.<br />
Neues Stabsmo<strong>de</strong>ll – Verwaltungsstäbe flexibel<br />
<strong>de</strong>r Lage angepasst<br />
Eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiches<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> ist die ressort-, fach- und ggf.<br />
grenzübergreifen<strong>de</strong> Zusammenarbeit aller, die an <strong>de</strong>r<br />
Gefahrenabwehr beteiligt sind. Alle Kräfte müssen<br />
schnell, planvoll und koordiniert zusammenwirken<br />
und ein einheitliches Führungsverständnis haben.<br />
Für die Kompatibilität <strong>de</strong>r Stabsarbeit bil<strong>de</strong>n die von<br />
<strong>de</strong>r Innenministerkonferenz <strong>im</strong> November 2003 gebilligten<br />
bun<strong>de</strong>seinheitlichen „Hinweise zur Bildung<br />
von Stäben <strong>de</strong>r administrativ-organisatorischen Komponente<br />
(Verwaltungsstab – VwS)“ eine opt<strong>im</strong>ale Basis.<br />
Im operativ-taktischen Bereich gab es bereits eine<br />
vergleichbare Grundlage: Die bun<strong>de</strong>seinheitliche<br />
Feuerwehr-Dienstvorschrift 100 „Führung und Leitung<br />
<strong>im</strong> Einsatz – Führungssystem (FwDV 100)“. Mit einer<br />
Verwaltungsvorschrift („VwV Stabsarbeit“) haben wir<br />
<strong>im</strong> August 2004 das bun<strong>de</strong>seinheitliche Stabsmo<strong>de</strong>ll<br />
für alle Behör<strong>de</strong>n <strong>im</strong> Land und die FwDV 100 auch<br />
für die Hilfsorganisationen als Träger <strong>de</strong>r Katastrophenhilfe<br />
verbindlich gemacht.<br />
61
62<br />
Nach diesen durchgängigen Organisationsformen<br />
kann sich die jeweilige Behör<strong>de</strong>nleitung bei Katastrophen<br />
und auch bei Ereignissen unterhalb dieser<br />
Schwelle für Verwaltungsmaßnahmen eines Verwaltungsstabs,<br />
für Einsatzmaßnahmen eines Führungsstabs<br />
bedienen. Dies bün<strong>de</strong>lt Kompetenzen und<br />
verkürzt Entscheidungswege. Bei<strong>de</strong> Stäbe können<br />
unabhängig voneinan<strong>de</strong>r einberufen wer<strong>de</strong>n.<br />
Ein Verwaltungsstab setzt sich entsprechend <strong>de</strong>r bun<strong>de</strong>seinheitlichen<br />
Hinweise zusammen aus<br />
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Angriffstrupp be<strong>im</strong> Eindringen in einen Brandraum <strong>im</strong><br />
Feuerwehr-Übungshaus <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sfeuerwehrschule Ba<strong>de</strong>n-<br />
Württemberg<br />
Der Stab glie<strong>de</strong>rt sich in die aus <strong>de</strong>r Grafik ersichtlichen folgen<strong>de</strong>n Verwaltungsstabsbereiche (Vb):
„Ereignisspezifische Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Stabs“ können<br />
beispielsweise aus <strong>de</strong>n Bereichen Landwirtschaft,<br />
Forsten, Veterinärwesen, Straßenwesen, Verkehr,<br />
Schulen und Wirtschaft kommen.<br />
Ein wesentlicher Vorteil dieses Mo<strong>de</strong>lls ist, dass Verwaltungsstäbe<br />
nun flexibel und lageangepasst aufwachsen<br />
und die Mitwirken<strong>de</strong>n dort dann grundsätzlich<br />
nur die Aufgaben wahrnehmen, mit <strong>de</strong>nen sie<br />
bereits aus ihrem Tagesgeschäft vertraut sind. Den<br />
Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Stabs (Vb-Leitungen) bleibt es zu<strong>de</strong>m<br />
überlassen, wie viele Mitarbeiter sie als „backoffice“<br />
zur Unterstützung hinzuziehen. Bestandteil<br />
Krisenmanager benötigen schnelle und verlässliche Informationen<br />
Das Wichtigste für Krisenmanager sowohl am Einsatzort<br />
als auch in Verwaltungs- und Führungsstäben<br />
ist „die Lage“. Dafür benötigen sie möglichst schnell<br />
erste (und gerne zunächst auch formlose) Informationen,<br />
die sich <strong>im</strong> Lauf <strong>de</strong>r Zeit <strong>im</strong>mer weiter verdichten<br />
wer<strong>de</strong>n. Hier gelten die Grundsätze „Schnelligkeit<br />
vor Schönheit“ und „Information ist Bringschuld“. Situationen,<br />
in <strong>de</strong>nen Behör<strong>de</strong>n erst durch Presse- und<br />
Bürgeranfragen von einem Scha<strong>de</strong>nsereignis erfahren,<br />
sind bekannt und fatal.<br />
Ebenso erwarten die (auch die nur vermeintlich)<br />
betroffene Bevölkerung sowie die Presse gera<strong>de</strong> in<br />
Krisensituationen schnell qualifizierte Informationen.<br />
Eine offensive und aktive Informationspolitik<br />
ist zu<strong>de</strong>m ein wichtiges Instrument, um die operativen<br />
Einsatzkräfte zu entlasten o<strong>de</strong>r, zum Beispiel<br />
bei Evakuierungen, zu unterstützen. Dafür müssen<br />
alle, die für das <strong>Krisenmanagement</strong> Verantwortung<br />
tragen und auch in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit Kompetenz zeigen<br />
müssen, auf je<strong>de</strong>r Ebene möglichst <strong>de</strong>n gleichen<br />
Kenntnisstand haben.<br />
Wi<strong>de</strong>rsprüchliche Kommunikation kann<br />
das gesamte <strong>Krisenmanagement</strong> in Miss-<br />
kredit bringen und die Arbeit <strong>de</strong>r Helfer<br />
vor Ort erheblich erschweren.<br />
je<strong>de</strong>r Stabsdienstordnung ist eine Matrix, in <strong>de</strong>r die<br />
behör<strong>de</strong>nspezifischen Aufgaben <strong>de</strong>r jeweiligen Verwaltungsstabsbereiche<br />
aufgelistet und ihnen jeweils<br />
best<strong>im</strong>mte Personen sowie namentlich benannte Verstärkungen<br />
und Ablösungen zugeordnet sind. Zuvor<br />
war „<strong>de</strong>r Stab“ oft in toto alarmiert wor<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>r<br />
Folge, dass je nach Behör<strong>de</strong>ngröße bis zu Dutzen<strong>de</strong>n<br />
von Mitarbeitern ad hoc auf die Zuweisung von und<br />
Einweisung in Aufgaben <strong>im</strong> Rä<strong>de</strong>rwerk <strong>de</strong>r Stabsarbeit<br />
harrten. Dadurch gingen wertvolle Zeit und<br />
Effizienz, lei<strong>de</strong>r manchmal bei Einzelnen auch die<br />
Motivation verloren.<br />
Dem tragen wir Rechnung:<br />
In die VwV Stabsarbeit haben wir wesentliche Elemente<br />
aus <strong>de</strong>m „Handbuch Krisenkommunikation“<br />
übernommen, das für uns <strong>im</strong> Jahr 2003 erarbeitet<br />
wor<strong>de</strong>n ist. Dazu zählt <strong>de</strong>r „Koordinierungsstab<br />
Kommunikation (KoKo)“. Dieses Kernteam setzt sich<br />
aus <strong>de</strong>n Leitungen <strong>de</strong>r Verwaltungsstabsbereiche 1<br />
bis 4 zusammen und stellt die vorläufigen Weichen<br />
für das <strong>Krisenmanagement</strong>. Der KoKo bewertet ein<br />
erstes Lagebild, schafft ggf. die Voraussetzungen für<br />
eine reibungslose Arbeitsaufnahme <strong>de</strong>s Verwaltungsstabs<br />
und n<strong>im</strong>mt erste Koordinierungs- und Kommunikationsaufgaben<br />
wahr, etwa mit öffentlichen Warnhinweisen,<br />
zur einheitlichen Handlungsweise und zu<br />
einheitlichen Sprachregelungen. Dem KoKo gehört<br />
auch ein „Informations-Koordinator (IKO)“ an. Er<br />
hat eine Scharnier- und Bün<strong>de</strong>lungsfunktion <strong>im</strong> gegenseitigen<br />
Informationsaustausch auf <strong>de</strong>r jeweiligen<br />
horizontalen Ebene und zu <strong>de</strong>n unmittelbar über-<br />
und nachgeordneten Stellen, die von <strong>de</strong>m Ereignis<br />
ebenfalls betroffen sein könnten. Dieser „schnelle“<br />
Informationsstrang greift an<strong>de</strong>ren Mel<strong>de</strong>wegen und<br />
ausführlichen Lageberichten vor, ersetzt sie aber<br />
nicht. Mit <strong>de</strong>r Arbeitsfähigkeit <strong>de</strong>s Verwaltungsstabs<br />
nehmen die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s KoKo und damit auch <strong>de</strong>r<br />
IKO dort ihre originären Aufgaben wahr.<br />
63
64<br />
Stabsausbildung an <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sfeuerwehrschule Ba<strong>de</strong>n-Württemberg in Bruchsal<br />
Die Projektgruppe LÜKEX <strong>de</strong>s BBK führt in ihrem<br />
Auswertungsbericht zu „LÜKEX 05“ aus: „Der in Ba<strong>de</strong>n-Württemberg<br />
eingerichtete ´Informationskoordinator<br />
(IKO) hat zur Koordination und Verdichtung<br />
<strong>de</strong>r Informationen, die <strong>im</strong> Verwaltungsstab o<strong>de</strong>r für<br />
Dritte beson<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>utung erlangen, wesentlich<br />
beigetragen. Dadurch ist eine bessere Bün<strong>de</strong>lung<br />
und Priorisierung von Informationen möglich, Informationsunterschie<strong>de</strong><br />
und Defizite können so eher<br />
ausgeglichen wer<strong>de</strong>n.“ Und: „Nach <strong>de</strong>n positiven<br />
Erfahrungen in Ba<strong>de</strong>n-Württemberg wird angeregt,<br />
einen Informationskoordinator (IKO) auch in <strong>de</strong>n<br />
Verwaltungsstäben <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren <strong>Bund</strong>eslän<strong>de</strong>r einzurichten<br />
und so das Informationsmanagement zu verbessern.“<br />
Dies wür<strong>de</strong>n wir begrüßen.<br />
Für die externe und interne Kommunikation in Krisensituationen<br />
halten die Ministerien <strong>im</strong> Internet seit<br />
2003 einen beson<strong>de</strong>rs leistungsstarken und ausfallsicheren<br />
Son<strong>de</strong>rinformationsdienst vor (www.infodienst-bw.<strong>de</strong>),<br />
<strong>de</strong>r bisher jedoch nur bei Übungen genutzt<br />
wer<strong>de</strong>n musste.<br />
Ein rechnergestütztes Kommunikationssystem wie<br />
<strong><strong>de</strong>NIS</strong> II plus ist grundsätzlich geeignet, die Stabsarbeit<br />
innerhalb <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s zu unterstützen und mit<br />
an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn sowie <strong>de</strong>m <strong>Bund</strong> zu vernetzen. Wir<br />
haben uns <strong>de</strong>shalb <strong><strong>de</strong>NIS</strong> II plus <strong>im</strong> Innenministerium<br />
angeschlossen und <strong>de</strong>m <strong>Bund</strong>esamt für Bevölkerungsschutz<br />
und Katastrophenhilfe punktuell funktionale<br />
Verbesserungen vorgeschlagen. Die lan<strong>de</strong>sweite<br />
Implementierung wäre zwar wünschenswert, bleibt<br />
jedoch für Ba<strong>de</strong>n-Württemberg als Flächenland lei<strong>de</strong>r<br />
auf lange Zeit finanziell wohl unerschwinglich.<br />
Übung macht <strong>de</strong>n Meister<br />
Zum Krisenmanager wird man nicht geboren, hierfür<br />
müssen Erfahrungen gesammelt wer<strong>de</strong>n. Nun liegt<br />
die jüngste „offizielle“ Katastrophe in Ba<strong>de</strong>n-Württemberg<br />
– ein Hochwasser <strong>im</strong> Landkreis Reutlingen –<br />
sechs Jahre zurück. Wir haben <strong>de</strong>shalb <strong>im</strong> Jahr 2003<br />
mit einer Übungsoffensive begonnen. Danach soll<br />
je<strong>de</strong>r Stadt- und Landkreis min<strong>de</strong>stens alle vier Jahre<br />
eine Voll- und/o<strong>de</strong>r Stabsrahmenübung durchführen.<br />
Dieses Ziel haben wir – auch mit Unterstützung<br />
durch unsere Lan<strong>de</strong>sfeuerwehrschule mit breiten<br />
Aus- und Fortbildungsangeboten – übertroffen.
Ebenso wichtig sind Übungen aber auch für Ministerien<br />
und Regierungspräsidien und für das Zusammenwirken<br />
mit an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn und <strong>de</strong>m <strong>Bund</strong>.<br />
Wir haben <strong>de</strong>shalb – neben internen Übungen – bei<br />
LÜKEX 2004 und 2005 aktiv mitgemacht, waren bei<br />
LÜKEX 2007 als Beobachter in Ahrweiler und als<br />
Rahmenleitungsgruppe am eigenen Standort Bruchsal<br />
dabei. Wir haben davon jeweils viel profitiert und<br />
wollen auch bei LÜKEX 2009 wie<strong>de</strong>r <strong>im</strong> größeren<br />
Umfang mitwirken.<br />
Die Übungsserie „LÜKEX“ ist wertvoll, für<br />
diese Initiative ist BBK und AKNZ zu gra-<br />
tulieren und zu danken!<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> ist Teamwork<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> ist Teamwork. Dieses beginnt in<br />
<strong>de</strong>n Einsatzmannschaften vor Ort und gilt auch für<br />
die Stabsarbeit. Vor Ort arbeiten Polizei, Feuerwehren<br />
und Rettungs- bzw. Hilfsorganisationen eng zusammen,<br />
bekommen bei Bedarf überörtliche Verstärkung<br />
und Amtshilfe von THW und <strong>Bund</strong>eswehr. Was <strong>im</strong><br />
operativen Geschäft selbstverständlich ist, sollte spiegelbildlich<br />
auch <strong>im</strong> administrativen Bereich gelten.<br />
Auch für die Stabsarbeit sind starke Partner unverzichtbar.<br />
Fachberater <strong>de</strong>r Hilfsorganisationen, von<br />
<strong>Bund</strong>eswehr und THW sitzen regelmäßig mit am<br />
Tisch. Die <strong>Bund</strong>eslän<strong>de</strong>r haben sich verpflichtet, sich<br />
in großen Scha<strong>de</strong>nslagen soweit möglich gegenseitig<br />
zu unterstützen. Und sie haben mit BBK und GMLZ<br />
starke Partner, die län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong> Hilfen koordinieren<br />
und Hilfen aus <strong>de</strong>m Ausland vermitteln<br />
können.<br />
Angriffstrupp in <strong>de</strong>r Strahlenschutz-Übungsanlage<br />
<strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sfeuerwehrschule Ba<strong>de</strong>n-Württemberg<br />
Wichtig ist auch die Einbindung <strong>de</strong>r Wirtschaft, zumal<br />
von Betreibern wichtiger Infrastrukturen. Wir haben<br />
mit <strong>de</strong>n großen Fernwasserversorgern <strong>im</strong> Land<br />
Gespräche geführt und stehen auch <strong>im</strong> konstruktiven<br />
Dialog mit <strong>de</strong>m wichtigsten Energieversorger in<br />
Ba<strong>de</strong>n-Württemberg. Mit ihnen wer<strong>de</strong>n Netzwerke<br />
auch auf Kreis- und Bezirksebene geknüpft.<br />
Gemein<strong>de</strong>n, Landkreise, Regierungspräsidien, Län<strong>de</strong>r,<br />
<strong>Bund</strong>, Organisationen und Wirtschaft haben <strong>im</strong><br />
Bevölkerungsschutz jeweils ihren eigenverantwortlichen<br />
Part. Gemeinsam bil<strong>de</strong>n sie ein Rä<strong>de</strong>rwerk starker<br />
Partner. Und das bedarf <strong>de</strong>r Pflege.<br />
Zum Autor: Ministerialdirigent Reinhard Klee ist Leiter <strong>de</strong>r Abteilung „Bevölkerungsschutz, Ordnungsrecht, Verfassungsschutz“<br />
<strong>im</strong> Innenministerium Ba<strong>de</strong>n-Württemberg, Stuttgart<br />
65
66<br />
Das <strong>Krisenmanagement</strong> <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Sachsen-Anhalt<br />
aus Sicht <strong>de</strong>r Gesundheitsvorsorge<br />
Dr. Gerlin<strong>de</strong> Kuppe<br />
Sachsen-Anhalt hat sich mit LÜKEX 2007 erstmals<br />
an einer <strong>Bund</strong>-Län<strong>de</strong>r-Katastrophen-Stabsübung beteiligt.<br />
Der Übungsverlauf kann als erfolgreich eingeschätzt<br />
wer<strong>de</strong>n. Er zeigte aber auch, dass nicht<br />
zuletzt wegen zu erwarten<strong>de</strong>r massiver Krankheitsausfälle<br />
in allen Bereichen <strong>de</strong>s öffentlichen Lebens<br />
ein verän<strong>de</strong>rtes strategisches Denken und ein gemeinsames<br />
Gefahrenmanagement erfor<strong>de</strong>rlich sind.<br />
Dazu müssen alle Lan<strong>de</strong>sressorts und alle Kommunen<br />
eng zusammenarbeiten. Es geht also um eine<br />
stärkere Einbindung <strong>de</strong>r einzelnen Ressorts – ihrer<br />
Geschäftsbereiche und Einrichtungen – sowie um<br />
eine weitgehen<strong>de</strong> Integration von externen Potenzialen,<br />
auch unter Nutzung <strong>de</strong>r Hilfsorganisationen.<br />
Die Ministerin für Gesundheit und Soziales, Dr. Gerlin<strong>de</strong><br />
Kuppe, und <strong>de</strong>r Abteilungsleiter Gesundheit und Verbraucherschutz<br />
<strong>im</strong> Ministerium für Gesundheit und Soziales <strong>de</strong>s<br />
Lan<strong>de</strong>s Sachsen-Anhalt, Dr. Dr. Reinhard Nehring,<br />
während <strong>de</strong>r Übung LÜKEX 07.<br />
Flexible Aufbauorganisation für effizientes Zusammenwirken aller Kräfte<br />
Grundlage hierfür ist eine angemessene Aufbauorganisation<br />
innerhalb <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s, das<br />
als flexibles Koordinierungsinstrumentarium für effizienteres<br />
Zusammenwirken aller Kräfte <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s<br />
steht. Dabei geht es auch um eine verbesserte<br />
Koordinierung <strong>de</strong>r Informationssysteme. In diesem<br />
Zusammenhang müssen wir in Sachsen-Anhalt auch<br />
eine Überarbeitung unseres Krisenbeschlusses aus<br />
<strong>de</strong>m Jahr 1993 und <strong>de</strong>s Pan<strong>de</strong>mierahmenplans von<br />
2006 diskutieren. Es geht um mehr gegenseitige Information<br />
und eine abgest<strong>im</strong>mte Vorsorgeplanung.<br />
Das ist entschei<strong>de</strong>nd für eine umfassen<strong>de</strong> Abbildung<br />
<strong>de</strong>r Lage <strong>im</strong> Krisenfall.<br />
Grundlagen <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s <strong>im</strong> Falle einer<br />
Influenza-Pan<strong>de</strong>mie sind in Sachsen-Anhalt <strong>de</strong>r<br />
Beschluss <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sregierung über die Regelung<br />
zur Bewältigung von Krisenlagen auf Lan<strong>de</strong>sebene<br />
vom 17. August 1993, geän<strong>de</strong>rt durch <strong>de</strong>n Beschluss<br />
vom 21. September 1993 – auch Krisenbeschluss genannt<br />
–, sowie die Empfehlungen zur Umsetzung <strong>de</strong>s<br />
nationalen Pan<strong>de</strong>mieplans in Sachsen-Anhalt, <strong>de</strong>r<br />
Pan<strong>de</strong>mierahmenplan.<br />
Der Krisenbeschluss regelt unter an<strong>de</strong>rem die Zuständigkeiten<br />
bei <strong>de</strong>r Krisenbewältigung, <strong>de</strong>n Aufbau <strong>de</strong>s<br />
Führungs- und Einsatzstabes sowie <strong>de</strong>n Einsatz eines<br />
Interministeriellen Krisenstabes. Der Pan<strong>de</strong>mierahmenplan<br />
bil<strong>de</strong>t eine systematische Vorgehensweise<br />
zum Schutz <strong>de</strong>r Bevölkerung <strong>im</strong> Pan<strong>de</strong>miefall ab.<br />
Laut Krisenbeschluss obliegt die Aufgabe <strong>de</strong>r Krisenbewältigung<br />
in Sachsen-Anhalt fe<strong>de</strong>rführend<br />
<strong>de</strong>m jeweiligen Ressort, <strong>de</strong>ssen Geschäftsbereich<br />
ausschließlich o<strong>de</strong>r überwiegend betroffen ist. Hier<br />
wird <strong>im</strong> Bedarfsfall ein Krisenstab eingerichtet.
Erfor<strong>de</strong>rt eine Krisenlage eine so enge Kooperation<br />
mehrerer Ressorts, dass sie <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>s normalen<br />
Geschäftsgangs nicht bewältigt wer<strong>de</strong>n kann, so<br />
beruft das zuständige Ressort <strong>im</strong> Einvernehmen mit<br />
<strong>de</strong>m Ministerium <strong>de</strong>s Innern <strong>de</strong>n Interministeriellen<br />
Krisenstab ein. Das Ministerium <strong>de</strong>s Innern ist grundsätzlich<br />
<strong>im</strong> Interministeriellen Krisenstab vertreten.<br />
Die Leitung <strong>de</strong>s Krisenstabes obliegt <strong>de</strong>m zuständigen<br />
Ressort. Die zuständige Ministerin / <strong>de</strong>r zuständige<br />
Minister regelt <strong>de</strong>n Vorsitz <strong>im</strong> Krisenstab, soweit<br />
sie / er ihn nicht selbst wahrn<strong>im</strong>mt o<strong>de</strong>r die Lan<strong>de</strong>sregierung<br />
eine an<strong>de</strong>re Regelung trifft.<br />
LÜKEX 2007: Stabsstruktur und Pan<strong>de</strong>mieplanung erfolgreich überprüft<br />
Im Rahmen <strong>de</strong>r Übung LÜKEX 2007 bot sich <strong>de</strong>m<br />
Land Sachsen-Anhalt die Gelegenheit, <strong>de</strong>n Krisenbeschluss<br />
und <strong>de</strong>n Pan<strong>de</strong>mierahmenplan auf strategischer<br />
Ebene erstmalig übungsrelevant umzusetzen.<br />
Damit gelang uns eine Überprüfung <strong>de</strong>r Praxistauglichkeit.<br />
Das Ergebnis ist positiv.<br />
LÜKEX 07 hat gezeigt, dass das Land<br />
Sachsen-Anhalt mit seinen Behör<strong>de</strong>n,<br />
Organisationen und Unternehmen auf<br />
die komplexen Herausfor<strong>de</strong>rungen einer<br />
Influenza-Pan<strong>de</strong>mie gut vorbereitet ist.<br />
Diese Krisensituation ist beherrschbar.<br />
Wir sind in <strong>de</strong>r Lage, einen größtmögli-<br />
chen gesundheitlichen Schutz <strong>de</strong>r Bürge-<br />
rinnen und Bürger zu gewährleisten.<br />
Die Übung hat aber auch gezeigt: Wir wer<strong>de</strong>n über<br />
eine Überarbeitung <strong>de</strong>s Krisenbeschlusses und <strong>de</strong>s<br />
Pan<strong>de</strong>mierahmenplans zu re<strong>de</strong>n haben. Es geht um<br />
eine weitere Opt<strong>im</strong>ierung <strong>de</strong>s gemeinsamen <strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
und <strong>de</strong>r Pan<strong>de</strong>mievorsorge.<br />
Sachsen-Anhalts Pan<strong>de</strong>mierahmenplan von 2006 <strong>de</strong>finiert<br />
die Rahmenbedingungen für die lan<strong>de</strong>sweite<br />
Umsetzung von Maßnahmen <strong>im</strong> Krisenfall. Er verfolgt<br />
die Ziele: Reduktion <strong>de</strong>r Morbidität und Mortalität<br />
in <strong>de</strong>r Gesamtbevölkerung, Gewährleistung <strong>de</strong>r<br />
Versorgung erkrankter Personen, Aufrechterhaltung<br />
<strong>de</strong>r kritischen Infrastruktur sowie zuverlässige und<br />
zeitnahe Information zur Vorbereitung politischer<br />
Entscheidungen für Fachpersonal sowie von Öffentlichkeit<br />
und Medien.<br />
Die von Sachsen-Anhalt entsprechend <strong>de</strong>s Krisenbeschlusses<br />
gewählte Stabsstruktur <strong>de</strong>s Interministeriellen<br />
Krisenstabes - bestehend aus Leitung und<br />
Stabsmanagement – hat sich <strong>im</strong> Übungsverlauf als<br />
außeror<strong>de</strong>ntlich geeignet erwiesen. Die Fe<strong>de</strong>rführung<br />
lag be<strong>im</strong> Ministerium für Gesundheit und Soziales<br />
als <strong>de</strong>m am meisten betroffenen Ressort. Die<br />
Funktionen innerhalb <strong>de</strong>s Stabsmanagements wur<strong>de</strong>n<br />
gemeinsam von Beschäftigten <strong>de</strong>s Ministeriums<br />
für Gesundheit und Soziales und vom Ministerium<br />
<strong>de</strong>s Innern besetzt. Im Stabsmanagement waren <strong>de</strong>s<br />
Weiteren Fachberaterinnen und Fachberater sowie<br />
Verbindungspersonen aus allen an<strong>de</strong>ren Ressorts<br />
und <strong>de</strong>r Staatskanzlei sowie Vertretungen von <strong>Bund</strong>eswehr,<br />
<strong>Bund</strong>espolizei und Technischem Hilfswerk.<br />
Der Übung voran gegangen waren umfangreiche<br />
Schulungen, da die eingesetzten Beschäftigten zum<br />
Großteil bislang über keine Erfahrungen in <strong>de</strong>r Stabsarbeit<br />
verfügten.<br />
Als Ergebnis <strong>de</strong>r Übung muss darüber diskutiert wer<strong>de</strong>n,<br />
ob alternativ zu <strong>de</strong>r an Ressortzuständigkeit<br />
orientierten Vorgehensweise ein permanenter Interministerieller<br />
Krisenstab einzurichten wäre. Dabei<br />
müssten alle Ressorts beteiligt wer<strong>de</strong>n. Regelmäßige<br />
Schulungen und Übungen <strong>de</strong>s Krisenstabes – unter<br />
verschie<strong>de</strong>nen thematischen Gesichtspunkten – wür<strong>de</strong>n<br />
zu einer Festigung von Strukturen und besseren<br />
Handlungsfähigkeit <strong>de</strong>r Beteiligten beitragen.<br />
LÜKEX 2007 hat Än<strong>de</strong>rungsbedarf <strong>de</strong>utlich gemacht,<br />
offenbarte die Übung doch sehr eindringlich das<br />
mögliche Ausmaß <strong>de</strong>r Auswirkungen. Als Beispiel<br />
seien allein die Fehlzeiten gera<strong>de</strong> be<strong>im</strong> Schlüsselpersonal<br />
genannt.<br />
67
68<br />
Eine solche Pan<strong>de</strong>mie-Situation stellt das sachsenanhaltische<br />
Gesundheitswesen vor neue strategische<br />
Herausfor<strong>de</strong>rungen. Die einzig richtige Antwort kann<br />
nur ein lan<strong>de</strong>sweit umfassen<strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong><br />
sein – kompetent und zuverlässig geführt von einem<br />
interministeriellen Krisenstab.<br />
Ein Grundpfeiler für die Handlungsfähigkeit Sachsen-Anhalts<br />
in <strong>de</strong>r Krise ist die Einsatzfähigkeit von<br />
so genanntem Schlüsselpersonal. Dazu zählen unter<br />
an<strong>de</strong>rem Einsatzkräfte <strong>de</strong>r Polizei, Hilfsorganisationen,<br />
Feuerwehr, Gesundheits- und Sozialberufe sowie<br />
<strong>de</strong>r Wasser-, Energie- und Lebensmittelversorgung,<br />
Abfallwirtschaft, Telekommunikation o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s<br />
Transportwesens. Je nach Situation sind <strong>de</strong>s Weiteren<br />
Maßnahmen zur Eindämmung erfor<strong>de</strong>rlich wie das<br />
Schließen von Schulen o<strong>de</strong>r das einstweilige Verbot<br />
von Großveranstaltungen. Die medizinischen Maßnahmen<br />
müssen sich neben <strong>de</strong>r Krankenversorgung<br />
<strong>im</strong> ambulanten und stationären Bereich vor allem auf<br />
die Infektionsprophylaxe für das infektionsgefähr<strong>de</strong>te<br />
Schlüsselpersonal konzentrieren. Eine Durch<strong>im</strong>pfung<br />
<strong>de</strong>r gesamten noch nicht erkrankten Bevölkerung<br />
kann jedoch erst erfolgen, wenn ein adäquater Impfstoff<br />
zur Verfügung steht. Das kann voraussichtlich<br />
mehrere Monate dauern. Bis zu <strong>de</strong>ssen Bereitstellung<br />
müssen <strong>de</strong>mnach die Eindämmung <strong>de</strong>r Weiter-<br />
S 1<br />
Personal /<br />
Innerer Dienst<br />
Leitung<br />
Fe<strong>de</strong>rführung durch Ministerin für Gesundheit und Soziales,<br />
Minister / Staatssekretäre o<strong>de</strong>r Beauftragte <strong>de</strong>r Ressorts<br />
S 2<br />
Lage<br />
Stabsmanagement<br />
S 3/4<br />
Kräfte und<br />
Mittel<br />
Das Lagezentrum <strong>im</strong> Ministerium für Gesundheit und Soziales<br />
in Mag<strong>de</strong>burg während <strong>de</strong>r Übung LÜKEX 07.<br />
verbreitung und die Behandlung <strong>de</strong>r Erkrankten mit<br />
geeigneten Medikamenten <strong>im</strong> Vor<strong>de</strong>rgrund stehen.<br />
Die Herausfor<strong>de</strong>rung für Sachsen-Anhalts Gesundheitsressort<br />
besteht nun darin, alle relevanten Daten<br />
für die vorgesehenen allgemeinen und medizinischen<br />
Maßnahmen zu akquirieren und diese auf <strong>de</strong>m Laufen<strong>de</strong>n<br />
zu halten. Dazu gehören auch die Definition<br />
und Erhebung <strong>de</strong>s Schlüsselpersonals. Auf dieser<br />
Grundlage kann ein bedarfs- und ressourcengerechtes<br />
Verteilungskonzept für antivirale Medikamente erstellt<br />
wer<strong>de</strong>n. Die hierfür erhobenen Daten sind auch<br />
wichtig für die Erstellung <strong>de</strong>s Impfkonzeptes und die<br />
Evaluierung <strong>de</strong>r Pan<strong>de</strong>mie<strong>de</strong>tailplanung.<br />
Interministerieller Krisenstab<br />
<strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sregierung - LÜKEX 2007<br />
S 5<br />
Öffentlichkeitsarbeit<br />
Fachberater /<br />
Verbindungspersonen<br />
/<br />
Ressorts
Das A und O für die Beherrschung einer<br />
Krisensituation ist Information. Auf allen<br />
Entscheidungsebenen benötigen Funk-<br />
tionsträgerinnen und Funktionsträger<br />
sowie Führungskräfte sofort abrufbare,<br />
klar verständliche Richtlinien und Maß-<br />
nahmenkataloge. Nur informierte – das<br />
heißt sachkundige – Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter können auch unter Stress<br />
sicher agieren.<br />
Zu <strong>de</strong>n erfor<strong>de</strong>rlichen Richtlinien und Rahmenbedingungen<br />
gehören Hygienerichtlinien, Handreichungen<br />
zur Ausstattung und Vorgehensweise bei <strong>de</strong>r Triage,<br />
ein Medikamentenvergabemodus sowie <strong>de</strong>taillierte<br />
Impfablaufpläne. Entsprechen<strong>de</strong> Checklisten müssen<br />
erstellt und ständig aktuell gehalten wer<strong>de</strong>n.<br />
Eine mögliche Pan<strong>de</strong>mie stellt für das Gesundheitsressort<br />
eines Lan<strong>de</strong>s eine enorme Belastung dar. Die<br />
zu erwarten<strong>de</strong> hohe Anzahl von Toten und Kranken<br />
beeinträchtigt das gesamte öffentliche Leben.<br />
In einer solchen Situation ist ein effizientes <strong>Krisenmanagement</strong><br />
erfor<strong>de</strong>rlich, das weit über die alleinige<br />
Fortschreibung eines Plans mit allgemeinen und<br />
fachlich-medizinischen Maßnahmen hinausgeht und<br />
mehr ist als ein Verteilungs- und ein Impfkonzept.<br />
Die D<strong>im</strong>ensionen und die Tragweite einer möglichen<br />
Pan<strong>de</strong>mie verlangen nach einer großen gemeinsamen<br />
Anstrengung aller Verantwortlichen <strong>de</strong>s gesamten öffentlichen,<br />
sozialen und wirtschaftlichen Lebens. Es<br />
geht nicht allein um angemessene Finanzmittel. Führungskräfte<br />
in ihrem Verfügungsbereich brauchen Information<br />
und Motivation, um gemeinsam eine effektive<br />
Krisenbewältigung für die gesamte Bevölkerung<br />
Notarzt-Hubschrauber vor <strong>de</strong>m Ministerium für Gesundheit<br />
und Soziales in Mag<strong>de</strong>burg<br />
zu organisieren. Die Erfahrungen aus LÜKEX 2007<br />
machen <strong>de</strong>utlich, dass die Vernetzung und die aktive<br />
Involvierung von internen und externen Interessengruppen<br />
und Organisationen dabei unumgänglich<br />
sind. Aus diesem Grund muss die Bildung von Kooperationen<br />
und Netzwerken als essentielle Aufgabe<br />
<strong>de</strong>s vorbeugen<strong>de</strong>n <strong>Krisenmanagement</strong>s verstan<strong>de</strong>n<br />
wer<strong>de</strong>n, um <strong>im</strong> Krisenfall das gesellschaftliche Leben<br />
und die Infrastruktur aufrecht zu erhalten.<br />
Ein Pan<strong>de</strong>mieplan muss daher klare Regelungen <strong>de</strong>r<br />
Zuständigkeiten und eine straffe Ablauforganisation<br />
auf <strong>de</strong>n Ebenen <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>r Landkreise und<br />
Kreisfreien Städte enthalten. Dabei sind Funktionsabläufe<br />
und Ablauforganisationen nur so gut wie <strong>de</strong>ren<br />
Eckpfeiler: Informationsfluss & Feedback, Kommunikation<br />
& Kooperation, Koordination & Führung,<br />
Leistung/Performance & Motivation/Evaluation sowie<br />
ethische Aspekte.<br />
Letztlich gilt: Nur ein <strong>im</strong> Krisenbeschluss und <strong>im</strong> Pan<strong>de</strong>mierahmenplan<br />
verankerter Schulterschluss mit allen<br />
Ressorts <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s sowie allen relevanten Organisationen<br />
und Institutionen kann Grundlage sein für<br />
ein koordiniertes umfassen<strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>.<br />
Es geht um die bestmögliche Aufrechterhaltung <strong>de</strong>r<br />
Funktionsfähigkeit und eine adäquate Reaktion <strong>de</strong>r<br />
Gesellschaft auf die Krise. Dazu ist koordiniertes und<br />
gemeinsames Vorgehen nötig.<br />
Zur Autorin: Dr. Gerlin<strong>de</strong> Kuppe ist Ministerin für Gesundheit und Soziales <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Sachsen-Anhalt<br />
69
70<br />
Das <strong>Krisenmanagement</strong> <strong>de</strong>r Freien und Hansestadt<br />
Hamburg: Die Elbe ruft<br />
Holger Poser / Thomas Melchert<br />
„Stadt Hamburg an <strong>de</strong>r Elbe Aue“ – so beginnt poetisch die Hymne <strong>de</strong>r Freien<br />
und Hansestadt Hamburg und beschreibt damit schon eine <strong>de</strong>r wesentlichen Gefahrenquellen,<br />
die Hamburg bedrohen. Es vergeht kaum ein Jahr, in <strong>de</strong>m nicht in<br />
<strong>de</strong>n Medien über eine Sturmflut in Hamburg berichtet wird. Dramatische Bil<strong>de</strong>r<br />
aus <strong>de</strong>m Hafen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Hafenrand, für Hamburger meist gar nicht so aufregend,<br />
weil völlig normal, füllen dann kurzfristig die Titelseiten <strong>de</strong>r Medien. Aber es war<br />
eben genau diese Elbe, die maßgeblich dazu beigetragen hat, dass Hamburg sein<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r weiterentwickelt hat. Nie wie<strong>de</strong>r sollte Hamburg<br />
von einer Katastrophe überrascht wer<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Krise nicht handlungsfähig<br />
sein. Es war also notwendig, ein <strong>Krisenmanagement</strong> zu entwerfen, das <strong>de</strong>r<br />
beson<strong>de</strong>ren Verwaltungsorganisation eines Stadtstaates gerecht wird.<br />
Auch Wilhelmsburg steht unter Wasser: dramatische Rettungsaktionen bei <strong>de</strong>r Sturmflut in Hamburg 1962
Hamburg ist in sieben Bezirksämter unterteilt, die<br />
seit jeher eine gewisse Selbstständigkeit genießen.<br />
Weil aber in Hamburg staatliche und gemeindliche<br />
Tätigkeiten nicht getrennt wer<strong>de</strong>n, ist es <strong>de</strong>m Senat<br />
möglich, Entscheidungen an sich zu ziehen. Für <strong>de</strong>n<br />
Bereich <strong>de</strong>s Katastrophenschutzes war es – auch auf<br />
Grund <strong>de</strong>r Notwendigkeit, das <strong>Krisenmanagement</strong><br />
opt<strong>im</strong>al zu gestalten – daher nur konsequent, dass<br />
die Gesamtverantwortung be<strong>im</strong> Senat liegt. Diese<br />
Festlegung erwies sich zwar als grundsätzlich richtig<br />
und gut, hatte aber auch seine Tücken. Im Senat<br />
gilt das Kollegialprinzip. Deshalb ist es <strong>im</strong> Ergebnis<br />
<strong>de</strong>m Innensenator nicht möglich, eine Entscheidung<br />
zu veranlassen, die <strong>de</strong>m Ressort <strong>de</strong>s Umweltsenators<br />
zuzurechnen ist. Den Vätern <strong>de</strong>s ersten hamburgischen<br />
Katastrophenschutzgesetzes (1964) war diese<br />
Hür<strong>de</strong> sehr wohl bewusst, und sie nahmen sie auch<br />
in Kauf, als sie <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong> für Inneres lediglich eine<br />
koordinieren<strong>de</strong> Funktion <strong>im</strong> Katastrophenschutz zugestan<strong>de</strong>n.<br />
In <strong>de</strong>r Krise agieren statt reagieren – Führung ist unteilbar<br />
Dieser Ansatz – agieren statt reagieren – wur<strong>de</strong> konsequent<br />
in Gesetzen und Verordnungen zum Hamburger<br />
Katastrophenschutz (1984) manifestiert. Der<br />
„Staatsrat <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong> für Inneres“ ist seit<strong>de</strong>m Leiter<br />
<strong>de</strong>r Katastrophenabwehr. Er ist befugt, allen an<strong>de</strong>ren<br />
Behör<strong>de</strong>n und Ämtern <strong>de</strong>r Freien und Hansestadt<br />
Hamburg Anweisungen zu erteilen, damit eine<br />
Krise effektiv und schnell gemeistert wer<strong>de</strong>n kann.<br />
Das Kollegialprinzip <strong>de</strong>s Senats ist in <strong>de</strong>r Krise aufgehoben.<br />
Nur <strong>de</strong>r Innensenator o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Erste Bürgermeister<br />
können die Befugnisse <strong>de</strong>s Staatsrates an<br />
sich ziehen. Damit war die Frage <strong>de</strong>r einheitlichen<br />
Führung unmissverständlich geklärt. Als etwas sperrig<br />
wur<strong>de</strong> außer<strong>de</strong>m die Definition <strong>de</strong>r Katastrophe<br />
empfun<strong>de</strong>n und aus diesem Grund kurzerhand geän<strong>de</strong>rt.<br />
Seither gilt, dass je<strong>de</strong> Gefährdung o<strong>de</strong>r Störung<br />
<strong>de</strong>r öffentlichen Sicherheit und Ordnung, zu <strong>de</strong>ren<br />
Bekämpfung die Verstärkung <strong>de</strong>r Mittel und Kräfte<br />
<strong>de</strong>s tägliches Dienstes und/o<strong>de</strong>r eine einheitliche<br />
Lenkung <strong>de</strong>r Abwehrmaßnahmen erfor<strong>de</strong>rlich ist,<br />
eine Katastrophe <strong>im</strong> Sinne <strong>de</strong>s Gesetzes ist.<br />
Die Logistik <strong>im</strong> Hamburger Hafengebiet ist eng verzahnt<br />
Diese Regelung rächte sich, als 1981 ein Tanker in<br />
<strong>de</strong>r Elbe havarierte und 350 Tonnen Rohöl in <strong>de</strong>n<br />
Strom flossen, weil es nicht möglich war, eine einheitliche<br />
Führung für alle Fel<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Gefahrenabwehr<br />
zu etablieren. Die Folge: Entscheidungen kamen zu<br />
spät, und eine effektive Krisenbewältigung war unmöglich.<br />
Der damalige Staatsrat und spätere Innensenator<br />
Werner Hackmann wollte aber die Krise nicht<br />
lediglich verwalten, er wollte in <strong>de</strong>r Krise wirksam<br />
agieren können.<br />
Diese Definition ermöglicht es <strong>de</strong>m Leiter <strong>de</strong>r Katastrophenabwehr,<br />
schon sehr frühzeitig, von seiner<br />
Lenkungskompetenz Gebrauch zu machen. Es führt<br />
aber auch dazu, dass je<strong>de</strong> Situation hinsichtlich einer<br />
Übernahme <strong>de</strong>r Führung durch <strong>de</strong>n Staatsrat geprüft,<br />
bewertet und entschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n müsste. Um zu<br />
verhin<strong>de</strong>rn, dass sich die Verwaltung aber nun mit<br />
nichts an<strong>de</strong>rem mehr befasst als Gefahrensituationen<br />
mit Blick auf <strong>de</strong>n Katastrophenschutz zu bewerten,<br />
wur<strong>de</strong>n für die wahrscheinlichsten Gefahrensituationen<br />
Richtlinien erarbeitet und mit <strong>de</strong>n betroffenen<br />
Behör<strong>de</strong>n und Ämtern abgest<strong>im</strong>mt. In diesen Richtlinien<br />
sind die Einsatzschwellen für <strong>de</strong>n Katastrophenschutz<br />
festgelegt, die Alarmierungswege und<br />
wesentliche Aufgaben zur Bewältigung zum Beispiel<br />
einer Grippe-Pan<strong>de</strong>mie festgelegt. Durch diese Richtlinien<br />
(z.B. <strong>de</strong>r Infektionsschutzrichtlinie) wer<strong>de</strong>n<br />
die notwendigen Entscheidungen <strong>de</strong>s Staatsrates auf<br />
ein Min<strong>im</strong>um reduziert, weil sich die Behör<strong>de</strong>n und<br />
Ämter schon vor <strong>de</strong>r Krise auf eine einheitliche Bewältigungsstrategie<br />
verständigt haben. Zu<strong>de</strong>m machen<br />
die Richtlinien das Han<strong>de</strong>ln und die jeweilige<br />
Verantwortung <strong>de</strong>r Verwaltung für die Öffentlichkeit<br />
transparent.<br />
71
72<br />
Stabsbereich 1<br />
Lage<br />
SB 11<br />
Aufnahme<br />
Auswertung<br />
Informationsweitergabe<br />
Dokumentation<br />
SB 12<br />
Darstellung<br />
Leiter <strong>de</strong>r Katastrophenabwehr<br />
Stabsbereich 2<br />
Einsatz<br />
SB 21<br />
Technische<br />
Gefahrenabwehr<br />
Scha<strong>de</strong>nsmin<strong>de</strong>rung<br />
und -beseitigung<br />
SB 22<br />
Öffentliche Sicherheit<br />
und Ordnung<br />
Leiter <strong>de</strong>s ZKD<br />
Stabsbereich 3<br />
Bevölkerung<br />
SB 31<br />
Evakuierung<br />
Transport<br />
SB 32<br />
Unterbringung<br />
SB 33<br />
Versorgung<br />
Betreuung<br />
PSU<br />
Der Zentrale Katastrophendienststab <strong>de</strong>r Innenbehör<strong>de</strong> Hamburg<br />
Die beson<strong>de</strong>re Stellung <strong>de</strong>s Staatsrates <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong><br />
für Inneres macht es erfor<strong>de</strong>rlich, ihm einen Stab zur<br />
Seite zu stellen. Im Tagesgeschäft übern<strong>im</strong>mt diese<br />
Aufgabe die Abteilung 5 <strong>im</strong> Amt für Innere Verwaltung<br />
und Planung und darin das Referat für Katastrophen-<br />
und Bevölkerungsschutz. Im Einsatzfall wird<br />
in <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong> für Inneres <strong>de</strong>r Zentrale Katastrophendienststab<br />
gebil<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Staatsrat bei seinen<br />
Aufgaben berät und unterstützt. Die Erstbesetzung<br />
bil<strong>de</strong>t auch hier die Abteilung 5, die je nach Lage<br />
durch Experten <strong>de</strong>r Fachbehör<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Feuerwehr,<br />
<strong>de</strong>r Polizei o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Wirtschaft ergänzt wird.<br />
Organigramm <strong>de</strong>s ZKD<br />
Stabsbereich 4<br />
Innerer Dienst<br />
SB 41<br />
Innerer<br />
Dienstbetrieb<br />
SB 42<br />
IuK-Dienste<br />
SB 43<br />
Beson<strong>de</strong>re<br />
Angelegenheiten<br />
SB 44<br />
Rechtsfragen<br />
Leitungsgehilfe<br />
Stabsbereich 5<br />
Presse- und<br />
Öffentlichkeitsarbeit<br />
SB 51<br />
Information<br />
<strong>de</strong>r Presse und <strong>de</strong>r<br />
Öffentlichkeit<br />
Warnung Bevölkerung<br />
SB 52<br />
Betreuung von<br />
Medienvertretern<br />
und Gästen<br />
SB 53<br />
Auswertung<br />
Dokumentation<br />
SB 54<br />
Bürgertelefon<br />
SB 55<br />
Personenauskunftsstelle<br />
Diese Einteilung in eine Alltagsorganisation und eine<br />
Einsatzorganisation spiegelt sich in allen Hamburger<br />
Katastrophenschutzbehör<strong>de</strong>n wi<strong>de</strong>r. Alle Bezirksämter,<br />
alle Fachbehör<strong>de</strong>n (Wirtschaft, Bau, Umwelt,<br />
Gesundheit) und die Hamburg Port Authority (für<br />
das Gebiet <strong>de</strong>s Hafens) verfügen über einen Stab.<br />
Die jeweiligen Bezirksamtsleiter sind die Leiter <strong>de</strong>r<br />
regionalen Katastrophenabwehr, und die Staatsräte<br />
<strong>de</strong>r Fachbehör<strong>de</strong>n stehen <strong>de</strong>n Fachdienststäben<br />
vor. Ähnlich ist es be<strong>im</strong> Hafenstab: Hier leitet <strong>de</strong>r<br />
Geschäftsführer <strong>de</strong>r Hamburg Port Authority die Abwehrmaßnahmen<br />
<strong>im</strong> Hafen. Aus diesen Regelungen
wird <strong>de</strong>utlich, dass nicht Verwaltungseinheiten, son<strong>de</strong>rn<br />
Personen genannt wer<strong>de</strong>n, die für die Bewältigung<br />
<strong>de</strong>r Katastrophe verantwortlich sind und so die<br />
„Anonymität <strong>de</strong>r Bürokratie“ durchbrochen wird.<br />
Alle Stäbe in <strong>de</strong>r Freien und Hansestadt Hamburg<br />
sind einheitlich aufgebaut. Eine Ausnahme machen<br />
nur die funktionalen Stäbe <strong>de</strong>r Polizei und <strong>de</strong>r Feuerwehr,<br />
die nach <strong>de</strong>n bun<strong>de</strong>sweit gelten<strong>de</strong>n Stabsmo<strong>de</strong>llen<br />
<strong>de</strong>r FWDV 100 o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r PDV 100 geglie<strong>de</strong>rt<br />
sind. Weil in Hamburg staatliche und kommunale<br />
Aufgaben nicht getrennt wer<strong>de</strong>n, ist in <strong>de</strong>r Katastrophe<br />
die Feuerwehr nicht Teil <strong>de</strong>r regionalen Katastrophenabwehr,<br />
son<strong>de</strong>rn ein eigenständiger Teil <strong>de</strong>r<br />
Krisenbewältigung auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r Bezirke und<br />
Fachbehör<strong>de</strong>n. Gleiches gilt für die Polizei.<br />
Bei<strong>de</strong> Ämter <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong> für Inneres bil<strong>de</strong>n kräftemäßig<br />
das Rückgrat <strong>de</strong>r Gefahrenabwehrorganisation<br />
und stellen die operativ-taktischen Einheiten für die<br />
ersten Phasen <strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>nsbewältigung. Sie wer<strong>de</strong>n<br />
bei dieser Aufgabe durch die Fachbehör<strong>de</strong>n beraten<br />
Beispiel Infektionsschutzrichtlinie<br />
Die Notwendigkeit einer „Beson<strong>de</strong>ren Richtlinie für<br />
<strong>de</strong>n Infektionsschutz“ wur<strong>de</strong> kurz nach <strong>de</strong>n Anschlägen<br />
von New York und <strong>de</strong>r Verbreitung von Anthrax-<br />
Sporen <strong>de</strong>utlich. Spätestens <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r Diskussion<br />
über die gezielte Verbreitung von Pockenerregern<br />
und <strong>de</strong>n daraus resultieren<strong>de</strong>n bun<strong>de</strong>sweiten Planungen<br />
wur<strong>de</strong> zu<strong>de</strong>m klar, dass diese umfassen<strong>de</strong>n<br />
Planungen nicht mit Hilfe <strong>de</strong>r Allgemeinen Richtlinie<br />
umgesetzt wer<strong>de</strong>n konnten. Es musste eine <strong>de</strong>m<br />
Anlass entsprechen<strong>de</strong> Führungsorganisation gebil<strong>de</strong>t<br />
wer<strong>de</strong>n, die insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Gesundheitsbehör<strong>de</strong><br />
eine stärkere Verantwortung zuwies. Dies gilt sowohl<br />
für die Vorbereitungsmaßnahmen als auch für<br />
die Bewältigung einer Infektionslage selbst. Diese<br />
beson<strong>de</strong>re fachliche Ausrichtung zur Gesundheitsbehör<strong>de</strong><br />
führte dazu, dass eine Grippe-Pan<strong>de</strong>mie,<br />
mit <strong>de</strong>n dabei zu beachten<strong>de</strong>n beson<strong>de</strong>ren Wechselbeziehungen<br />
in Richtung <strong>Bund</strong>, Europäische Union<br />
und WHO, gemeinsam von <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong> für Inneres<br />
und <strong>de</strong>r Gesundheitsbehör<strong>de</strong> bewältigt wird. Es<br />
bleibt zwar weiterhin bei <strong>de</strong>r unteilbaren Verantwortung<br />
<strong>de</strong>s Staatsrates <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong> für Inneres, dieser<br />
wird aber durch <strong>de</strong>n Staatsrat <strong>de</strong>r Gesundheitsbehör<strong>de</strong><br />
und weitere Fachberater unmittelbar <strong>im</strong> Zentralen<br />
und unterstützt, während die Bezirksämter sich um die<br />
Unterbringung, Betreuung und Versorgung <strong>de</strong>r von<br />
einer Räumung betroffenen Bevölkerung kümmern.<br />
Bei dieser Aufgabe können die Bezirke ebenfalls auf<br />
die Unterstützung <strong>de</strong>r Fachbehör<strong>de</strong>n, aber auch <strong>de</strong>r<br />
Hilfsorganisationen zählen. Die hier beschriebene<br />
Aufgabenverteilung zwischen <strong>de</strong>n einzelnen Trägern<br />
ist die Norm und wur<strong>de</strong> <strong>im</strong> Phasenmo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>r Allgemeinen<br />
Richtlinie für <strong>de</strong>n Katastrophenschutz für alle<br />
<strong>de</strong>nkbaren Katastrophenfälle festgelegt. Nun sind aber<br />
nicht alle Katastrophen gleich. Es gibt z.B. Einsätze,<br />
bei <strong>de</strong>nen die Unterstützung einzelner Fachbehör<strong>de</strong>n<br />
entbehrlich ist o<strong>de</strong>r nur wenige Kräfte von Feuerwehr<br />
und Polizei benötigt wer<strong>de</strong>n. Für diese beson<strong>de</strong>ren<br />
Fälle gibt es spezielle Richtlinien, auf Grund <strong>de</strong>rer<br />
dann von <strong>de</strong>n allgemeinen Vorgaben abgewichen<br />
wer<strong>de</strong>n kann. Eine dieser beson<strong>de</strong>ren Richtlinien<br />
für <strong>de</strong>n Katastrophenschutz ist die Infektionsschutzrichtlinie.<br />
In ihr wer<strong>de</strong>n die Phasen zur Bewältigung<br />
<strong>de</strong>r Krisenlage vom ersten Angriff über die Scha<strong>de</strong>nsbewältigung<br />
bis hin zur Scha<strong>de</strong>nsbeseitigung<br />
ausschließlich für <strong>de</strong>n Fall einer Pan<strong>de</strong>mie geregelt.<br />
Katastrophendienststab beraten und unterstützt. Dies<br />
gilt insbeson<strong>de</strong>re auch für <strong>de</strong>n in einer Pan<strong>de</strong>mie so<br />
wichtigen Bereich <strong>de</strong>r Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.<br />
Auch hier arbeiten die Gesundheits- und Innenbehör<strong>de</strong><br />
unmittelbar zusammen und sprechen damit<br />
von Anfang an eine einheitliche Sprache. Wi<strong>de</strong>rsprüchen,<br />
Fehlinterpretationen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m „Gegeneinan<strong>de</strong>rausspielen“<br />
von Behör<strong>de</strong>n und Ämtern ist damit<br />
die Grundlage entzogen wor<strong>de</strong>n.<br />
Flugunfallübung am Flughafen Hamburg<br />
73
74<br />
LÜKEX 07 – enge Zusammenarbeit<br />
zwischen Gesundheits- und Innenbehör<strong>de</strong><br />
Diese Führungsorganisation wur<strong>de</strong> während <strong>de</strong>r<br />
Übung LÜKEX 2007 erstmals angewandt und hat für<br />
uns ganz wesentliche Erkenntnisse erbracht, die wir<br />
<strong>im</strong> Folgen<strong>de</strong>n darstellen möchten.<br />
Bereits zu Beginn <strong>de</strong>r langen Vorbereitungsphase<br />
wur<strong>de</strong> das Ausmaß <strong>de</strong>r Auswirkungen eines Pan<strong>de</strong>mie-Szenarios<br />
auf Hamburg erkennbar. Sehr schnell<br />
wur<strong>de</strong> klar, dass eine Pan<strong>de</strong>mie nahezu auf je<strong>de</strong>n Bereich<br />
<strong>de</strong>s öffentlichen Lebens Auswirkungen hat. Ein<br />
wesentliches Ziel <strong>de</strong>r Übung war die Zusammenarbeit<br />
und <strong>de</strong>r Informationsaustausch aller Beteiligten, auch<br />
über die Grenzen von Behör<strong>de</strong>n und Ämtern hinweg.<br />
In Hamburg gelang dies durch die Beteiligung<br />
von Firmen sowohl bei <strong>de</strong>r Übungsvorbereitung als<br />
auch in <strong>de</strong>r Übung selbst. Eher von untergeordneter<br />
Be<strong>de</strong>utung war die Erarbeitung tatsächlicher Problemlösungen,<br />
was <strong>im</strong> Zuge <strong>de</strong>r Übung auch eher unrealistisch<br />
gewesen wäre, weil in <strong>de</strong>r Realität auch<br />
nicht alle Ereignisse <strong>de</strong>s Szenarios an einem einzigen<br />
Tag geballt eingetreten wären. Die hohe politische<br />
D<strong>im</strong>ension <strong>de</strong>r Übung wur<strong>de</strong> zu Beginn <strong>de</strong>r Vorbereitungsphase<br />
in Hamburg nicht durchgängig von allen<br />
Beteiligten in gleicher Weise erkannt. Erst die <strong>de</strong>r<br />
eigentlichen Übung vorangehen<strong>de</strong> Planbesprechung<br />
machte diese hohe politische Relevanz richtig <strong>de</strong>utlich.<br />
Nach einer umfassen<strong>de</strong>n fachlichen Einweisung<br />
und Lagedarstellung wur<strong>de</strong>n maßgebliche Entscheidungen<br />
getroffen, die unmittelbar Auswirkungen auf<br />
<strong>de</strong>n ersten Übungstag hatten. Der erste Übungstag<br />
begann mit kleinen technischen Pannen <strong>im</strong> Bereich<br />
<strong>de</strong>r Übungsleitung, die schnell <strong>de</strong>n Rückgriff auf bewährte<br />
Mittel <strong>de</strong>r Stabsarbeit erfor<strong>de</strong>rlich machten.<br />
Nach Beseitigung <strong>de</strong>r Störung konnte die Übung jedoch<br />
bald wie<strong>de</strong>r mit technischer Unterstützung gesteuert<br />
wer<strong>de</strong>n. Die Einspielungen verliefen planmäßig<br />
und beschäftigten rund vierzehn reale und fiktive<br />
Stäbe mit rund 210 üben<strong>de</strong>n Personen auf operativtaktischer<br />
und administrativ-organisatorischer sowie<br />
politischer Ebene.<br />
Hier bewährte sich die für Hamburg festgelegte<br />
Struktur <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s für <strong>de</strong>n Pan<strong>de</strong>miefall,<br />
<strong>de</strong>r die enge Kooperation <strong>de</strong>r Staatsräte für Gesundheit<br />
und Inneres vorsieht. Die hauptsächlichen<br />
Übungsziele – abgest<strong>im</strong>mtes Vorgehen <strong>im</strong> <strong>Krisenmanagement</strong>,<br />
Krisenkommunikation und gemeinsame<br />
Im Lagezentrum <strong>de</strong>s Zentralen Katastrophendienststabes<br />
während <strong>de</strong>r Übung LÜKEX 07<br />
zentrale Presse- und Öffentlichkeitsarbeit – wur<strong>de</strong>n<br />
erreicht. Als ausgesprochen positiv erwies sich auch<br />
die Nutzung <strong>de</strong>r Stabssoftware <strong><strong>de</strong>NIS</strong> II plus sowie <strong>de</strong>r<br />
Vi<strong>de</strong>o- und <strong>de</strong>r Telefonkonferenzanlage. Mit diesen<br />
technischen Einrichtungen war es allen Beteiligten<br />
möglich, direkt zu kommunizieren und Entscheidungen<br />
unmittelbar umzusetzen.<br />
Der zweite Übungstag wur<strong>de</strong> in Hamburg in Form<br />
einer Planbesprechung durchgeführt. Dies war notwendig,<br />
weil aufgrund <strong>de</strong>r Katastrophenschutzorganisation<br />
in Hamburg nach <strong>de</strong>m Abklingen <strong>de</strong>r Pan<strong>de</strong>mie<br />
die Verantwortung auf die fachlich zuständigen<br />
Behör<strong>de</strong>n zurückgeht. Genau diese Situation wur<strong>de</strong><br />
am zweiten Übungstag durch eine mo<strong>de</strong>rierte Diskussion<br />
dargestellt: Ungelöste Probleme wur<strong>de</strong>n erneut<br />
aufgegriffen und neue Fragestellungen erörtert<br />
und teilweise einer Lösung zugeführt. Lei<strong>de</strong>r konnte<br />
aufgrund <strong>de</strong>r Komplexität <strong>de</strong>r Übung nur ein Bruchteil<br />
<strong>de</strong>r Problematiken angesprochen wer<strong>de</strong>n. Viele<br />
weitere Fragen konnten nur gestreift o<strong>de</strong>r mussten<br />
zurück gestellt wer<strong>de</strong>n.<br />
LÜKEX 2007 war eine wertvolle Erfah-<br />
rung auch für Hamburg. Die politische<br />
D<strong>im</strong>ension <strong>de</strong>r Übung wur<strong>de</strong> erkannt, die<br />
Be<strong>de</strong>utung einer frühzeitigen und interdis-<br />
ziplinären zentralen Koordination unter-<br />
strichen.
Darüber hinaus gelang mit <strong>de</strong>r Übung eine bun<strong>de</strong>sweite<br />
Sensibilisierung für Pan<strong>de</strong>mien in Behör<strong>de</strong>n,<br />
Unternehmen und in <strong>de</strong>r Bevölkerung. Bereits in<br />
<strong>de</strong>r Vorbereitungsphase wur<strong>de</strong>n betriebsinterne Pan<strong>de</strong>mieplanungen<br />
auf <strong>de</strong>n Weg gebracht. Aber auch<br />
Opt<strong>im</strong>ierungsbedarf in <strong>de</strong>n Betriebsabläufen und in<br />
<strong>de</strong>r interaktiven Kommunikation wur<strong>de</strong> an verschie<strong>de</strong>nen<br />
Stellen <strong>de</strong>utlich. So könnte beispielsweise die<br />
zentrale Presse- und Öffentlichkeitsarbeit noch konsequenter<br />
umgesetzt wer<strong>de</strong>n.<br />
Der größte Erfolg aus <strong>de</strong>r Übung LÜKEX<br />
ist aus Hamburger Sicht aber, dass Behör-<br />
<strong>de</strong>n und Unternehmen zusammengerückt<br />
sind, gegenseitig Einblick in ihre Planun-<br />
gen und Arbeitsweisen gewährt haben und<br />
wichtige Kontakte geknüpft wur<strong>de</strong>n.<br />
Darüber hinaus wur<strong>de</strong>n durch die Zusammenarbeit<br />
mit <strong>de</strong>m Lan<strong>de</strong>skommando Hamburg <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr<br />
die Beziehungen in <strong>de</strong>r Zivil-Militärischen Zusammenarbeit<br />
gefestigt. Auch die Einbindung von<br />
Vertretern <strong>de</strong>s Amerikanischen Generalkonsulates hat<br />
für bei<strong>de</strong> Seiten wertvolle Erkenntnisse gebracht.<br />
Sturmflut <strong>im</strong> Hamburger Hafen am 9. November 2007<br />
Vorbeugen<strong>de</strong>r Grippeschutz<br />
Die Elbe mel<strong>de</strong>t sich zurück<br />
Aufgrund <strong>de</strong>r Großwetterlage und <strong>de</strong>r Warnung <strong>de</strong>s<br />
<strong>Bund</strong>esamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie<br />
vor einer Sturmflut am kommen<strong>de</strong>n Tag musste für<br />
Hamburg die Übung vorzeitig been<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n, um<br />
sich auf die Bewältigung dieser für Hamburg wie<strong>de</strong>rkehren<strong>de</strong>n<br />
Bedrohung vorzubereiten. Da war sie<br />
wie<strong>de</strong>r: die Elbe, Lebensa<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Freien und Hansestadt<br />
Hamburg, die uns <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r daran erinnert,<br />
wie verletzlich wir sind und dass wir vorbereitet sein<br />
müssen, und zwar auf allen Fel<strong>de</strong>rn.<br />
Zu <strong>de</strong>n Autoren: Holger Poser ist Referatsleiter <strong>de</strong>s Referats Katastrophen- und Bevölkerungsschutz in <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong> für Inneres<br />
<strong>de</strong>r Freien und Hansestadt Hamburg; Thomas Melchert, Angehöriger <strong>de</strong>s Referats Katastrophen- und Bevölkerungsschutz, ist<br />
verantwortlich für Katastrophenschutzübungen, Aus- und Fortbildung<br />
75
78<br />
III. Kapitel<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> <strong>im</strong><br />
Bevölkerungsschutz:<br />
Ein gesamtgesellschaftliches<br />
Netzwerk<br />
„In unserem fö<strong>de</strong>ralen Staat sind <strong>Bund</strong> und<br />
Län<strong>de</strong>r gemeinsam für die Sicherheit <strong>de</strong>r<br />
Bevölkerung verantwortlich. Dazu ist das<br />
Vernetzen <strong>de</strong>r Kapazitäten von <strong>Bund</strong>, Län<strong>de</strong>rn<br />
und Kommunen sowie <strong>de</strong>r Hilfsorganisationen<br />
und Privatunternehmen erfor<strong>de</strong>rlich.<br />
Das BBK sieht hier seine Rolle als<br />
Zentralstelle <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>s strategischen<br />
<strong>Krisenmanagement</strong>s. Es will allen Akteuren<br />
<strong>im</strong> Bevölkerungsschutz Deutschlands ein<br />
wichtiger und verlässlicher Partner sein.“<br />
Christoph Unger, Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>esamtes für<br />
Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
Die Rolle <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>esamtes für Bevölkerungsschutz<br />
und Katastrophenhilfe <strong>im</strong> <strong>Krisenmanagement</strong><br />
Christoph Unger<br />
Allgemeines und Grundsätze<br />
Im Rahmen ihrer Beschlüsse zur „Neuen Strategie zum Schutz <strong>de</strong>r Bevölkerung<br />
in Deutschland“ stellte die Innenministerkonferenz (IMK) <strong>im</strong> Jahr 2002 1 fest,<br />
dass <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>r ein „funktionieren<strong>de</strong>s System zur Bewältigung auch von<br />
Großscha<strong>de</strong>nslagen“ besitzen. Gleichzeitig sah sie jedoch aufgrund <strong>de</strong>r schweren<br />
Terroranschläge und außergewöhnlichen Naturkatastrophen (Orkan „Lothar“,<br />
O<strong>de</strong>r- und Elbehochwasser) die Notwendigkeit, die bestehen<strong>de</strong>n Systeme fortzuentwickeln<br />
und damit <strong>de</strong>m <strong>Bund</strong> vermehrte Verantwortung auch in <strong>de</strong>n Bereichen<br />
zuzuweisen, in <strong>de</strong>nen die Län<strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>r Verfassungslage die Hauptlasten<br />
zu bewältigen haben. Die Regierungschefs <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r haben am 27. März 2003<br />
festgestellt, dass von möglichen terroristischen Angriffen sowie durch überregionale<br />
Naturereignisse und Unglücksfälle Gefahren für die Bevölkerung ausgehen<br />
können, <strong>de</strong>nen nur „mit gesamtstaatlichen Maßnahmen“ begegnet wer<strong>de</strong>n könne.<br />
2<br />
Der <strong>Bund</strong> hat sich dieser Verantwortung gestellt und neben<br />
an<strong>de</strong>ren Maßnahmen am 1. Mai 2004 das <strong>Bund</strong>esamt für<br />
Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe errichtet, um die<br />
bun<strong>de</strong>sseitig vorgehaltenen Servicefunktionen zu bün<strong>de</strong>ln und<br />
zu koordinieren.<br />
Der <strong>im</strong> gesamtgesellschaftlichen Sicherheitssystem neben Polizei, Nachrichtendiensten<br />
und <strong>Bund</strong>eswehr als vierte Säule verankerte Bevölkerungsschutz besitzt<br />
mit <strong>de</strong>m BBK eine Zentralstelle mit beson<strong>de</strong>ren Kompetenzen, die Grundsatzfragen<br />
klären, notwendige Koordinierungsaufgaben wahrnehmen und vielfältige<br />
Dienstleistungen erbringen kann. Be<strong>im</strong> BBK wer<strong>de</strong>n Informationen zur Lage,<br />
zu vorhan<strong>de</strong>ner Fachexpertise und zu eingesetzten und verfügbaren Ressourcen<br />
zusammengeführt. Die vorhan<strong>de</strong>nen Hilfspotenziale <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es und <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r,<br />
<strong>de</strong>r Feuerwehren und die Hilfsorganisationen können dadurch besser verzahnt<br />
wer<strong>de</strong>n. Im informatorischen Verbund können die Möglichkeiten <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es,<br />
<strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r und <strong>de</strong>r nichtstaatlichen Institutionen effizienter genutzt wer<strong>de</strong>n. Im<br />
Krisenfall entstehen durch die ergänzen<strong>de</strong>n Funktionen <strong>de</strong>s Amtes Synergieeffekte.<br />
77
78<br />
Bevölkerungsschutz wird als <strong>de</strong>r umfassen<strong>de</strong> Begriff<br />
für die zivile nichtpolizeiliche Notfallvorsorge und<br />
Gefahrenabwehr bei Scha<strong>de</strong>nsereignissen verstan<strong>de</strong>n;<br />
er schließt insofern auch außergewöhnliche<br />
Scha<strong>de</strong>nslagen und Krisen ein. Der übergreifen<strong>de</strong><br />
Ansatz folgt dabei auch <strong>de</strong>r Logik, dass (schon aus<br />
ökonomischen Überlegungen heraus) ein Großteil<br />
<strong>de</strong>r Vorsorgeplanungen unbescha<strong>de</strong>t von <strong>de</strong>r verfassungsrechtlichen<br />
Unterscheidung zwischen Zivilschutz<br />
(<strong>im</strong> Spannungs- und Verteidigungsfall Aufgabe<br />
<strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es) und Katastrophenschutz (Aufgabe<br />
<strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r) zu leisten ist.<br />
Die gesetzliche Grundlage ist in <strong>de</strong>m „<strong>Bund</strong>esgesetz<br />
über die Errichtung <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>esamtes für Bevölkerungsschutz<br />
und Katastrophenhilfe“ (BGBl. I<br />
2004, 630) enthalten. Dem BBK sind die <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>esregierung<br />
nach Art. 85 Abs. 4 <strong>de</strong>s Grundgesetzes<br />
zustehen<strong>de</strong>n Befugnisse auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>s Zivilschutzes<br />
übertragen wor<strong>de</strong>n. Das Gesetz enthält <strong>im</strong><br />
Hinblick auf die verfassungsrechtliche Zuständigkeit<br />
<strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r keine Befugnisnormen für <strong>de</strong>n Katastrophenschutz<br />
in Frie<strong>de</strong>nszeiten. Derzeit fin<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n<br />
zuständigen Gremien und Ressorts Beratungen über<br />
die Fortentwicklung <strong>de</strong>r Rechtsgrundlagen statt. 3 Danach<br />
sollen die Vorhaltungen und Einrichtungen <strong>de</strong>s<br />
<strong>Bund</strong>es für <strong>de</strong>n Zivilschutz auch bei Katastrophen<br />
und Unglücksfällen zur Verfügung stehen. Betroffen<br />
sind die Bereiche „Ausstattung“, „Aus- und Fortbildung“,<br />
„Koordinierung <strong>im</strong> Ressourcenmanagement“,<br />
„gesamtstaatliches Zusammenwirken (auf <strong>de</strong>r Basis<br />
bun<strong>de</strong>sweiter Risikoanalysen)“ und „Sanitätsbevorratung“.<br />
Argumentatives Kernelement <strong>de</strong>r Regelungen<br />
soll <strong>de</strong>r Gedanke <strong>de</strong>s Doppelnutzens für Zivilschutz<br />
und Katastrophenschutz sein, nach<strong>de</strong>m die Län<strong>de</strong>r<br />
eine Verfassungsän<strong>de</strong>rung mit <strong>de</strong>m Ziel <strong>de</strong>r Kompetenzerweiterung<br />
<strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>s Katastrophenschutzes<br />
(Art. 73 Abs. 1 GG) <strong>de</strong>rzeit nicht<br />
befürworten.<br />
Die Wahrnehmung von Koordinierungs- und Serviceaufgaben<br />
<strong>im</strong> län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong>n <strong>Krisenmanagement</strong><br />
erfolgt <strong>de</strong>rzeit auf pragmatische Weise <strong>im</strong><br />
Einvernehmen mit <strong>de</strong>n betroffenen Län<strong>de</strong>rn. Das<br />
Das <strong>Bund</strong>esamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe<br />
in Bonn-Lengsdorf<br />
Amt ist zwar eine <strong>Bund</strong>esoberbehör<strong>de</strong> <strong>im</strong> Geschäftsbereich<br />
<strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>esministerium <strong>de</strong>s Inneren, in seiner<br />
Funktion als Zentralstelle von <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>rn<br />
fühlt es sich aber <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>rn – darüber hinaus<br />
auch <strong>de</strong>n privatrechtlich organisierten Verbän<strong>de</strong>n<br />
und Hilfsorganisationen – gleichermaßen „verpflichtet.“<br />
Die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit<br />
<strong>de</strong>n Hilfsorganisationen, die – zum großen Teil mit<br />
ehrenamtlichen Kräften – einen beachtlichen Beitrag<br />
zum Bevölkerungsschutz leisten, ist <strong>de</strong>m BBK ein beson<strong>de</strong>res<br />
Anliegen.<br />
Das 2004 eingerichtete Amt hat sich stetig weiter<br />
entwickelt und bereits <strong>im</strong> Jahr <strong>de</strong>r Fußball Weltmeisterschaft<br />
2006 seine volle Einsatzbereitschaft erreicht<br />
und unter Beweis gestellt. Heute stellt das BBK mit<br />
seiner gebün<strong>de</strong>lten Kompetenz einen wichtigen<br />
Netzknoten <strong>im</strong> nationalen System <strong>de</strong>r Notfallvorsorge<br />
und nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr dar und<br />
ist anerkannter <strong>de</strong>utscher Kooperationspartner in <strong>de</strong>r<br />
Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>m Ausland, insbeson<strong>de</strong>re <strong>im</strong><br />
Rahmen <strong>de</strong>r Europäischen Gemeinschaft.
Aufgabenverständnis <strong>de</strong>s BBK: Partner und Dienstleister für <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>r<br />
Das BBK ist als <strong>de</strong>utsche Zentralstelle für <strong>de</strong>n Bevölkerungsschutz<br />
mit beson<strong>de</strong>ren Kompetenzen ausgestattet<br />
und <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r Rechtsgrundlagen und<br />
haushaltsrechtlichen Möglichkeiten ständig bemüht,<br />
seine Effizienz weiter zu steigern. Das Amt n<strong>im</strong>mt<br />
dabei folgen<strong>de</strong> Aufgaben wahr. Es<br />
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Län<strong>de</strong>rn und Privatunternehmen über Risiken und<br />
kritische Infrastrukturen zusammen und koordiniert<br />
Maßnahmen zu ihrem Schutz;<br />
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aus zentraler Sicht mit;<br />
� ����� ��� ����������������� �������������<br />
Meldungen <strong>de</strong>r betroffenen Dienststellen <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r<br />
entgegen und führt sie in Lageberichten und -bil<strong>de</strong>rn<br />
zusammen, mit <strong>de</strong>nen Dienststellen von <strong>Bund</strong> und<br />
Län<strong>de</strong>rn sowie erfor<strong>de</strong>rlichenfalls auch Hilfsorganisationen<br />
und Privatunternehmen über wesentliche<br />
Entwicklungen aktuell informiert wer<strong>de</strong>n können;<br />
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und noch vorhan<strong>de</strong>ne Ressourcen und berät die Län<strong>de</strong>r<br />
insbeson<strong>de</strong>re über Unterstützungsmöglichkeiten<br />
<strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es;<br />
� ������ ������������ ��� ������������� ��� �����gung<br />
und betreibt Forschung, um auf wichtigen Gebieten<br />
<strong>de</strong>r Notfallvorsorge <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn je<strong>de</strong>rzeit mit<br />
Rat und Tat zur Seite stehen zu können. Dies bezieht<br />
sich vor allem auf die <strong>im</strong> o. a. IMK-Beschluss genannten<br />
Bereiche ABC-Gefahren, terroristische Anschläge,<br />
Gesundheitlicher Bevölkerungsschutz;<br />
� ����������� ��� ��������� ��� ���� ��� ���<strong>de</strong>rn,<br />
Feuerwehren und Hilfsorganisationen in <strong>de</strong>r<br />
Wahrnehmung internationaler humanitärer Aufgaben;<br />
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zivil-militärischen Zusammenarbeit mit;<br />
� ��������� ��� ��� �������� ��� ������������ment,<br />
Notfallplanung und Zivilschutz ein Kompetenzzentrum,<br />
in <strong>de</strong>m insbeson<strong>de</strong>re die Führungskräfte <strong>im</strong><br />
Bevölkerungsschutz sowohl <strong>im</strong> taktisch-operativen<br />
als auch <strong>im</strong> strategischen Bereich weitergebil<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Kompetenz <strong>de</strong>s BBK ist beson<strong>de</strong>rs bei überregionalen<br />
Krisen gefor<strong>de</strong>rt. Bei außergewöhnlichen<br />
Gefahren-/ Scha<strong>de</strong>nslagen, die zur Wie<strong>de</strong>rherstellung<br />
<strong>de</strong>s „Normalzustan<strong>de</strong>s“ beson<strong>de</strong>re gesamtgesellschaftliche<br />
Anstrengungen erfor<strong>de</strong>rn, kann das Amt<br />
sowohl als Inhaber spezieller Fachexpertise als auch<br />
durch <strong>de</strong>n Betrieb von Gemeinschaftseinrichtungen<br />
<strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s (Gemeinsames Mel<strong>de</strong>- und<br />
Lagezentrum, Deutsches Notfall-Informationssystem,<br />
Satelliten-Warnsystem, Zentrum zur psychologischen<br />
Notfallvorsorge) eine synergetische Ergänzung <strong>de</strong>s<br />
Han<strong>de</strong>lns <strong>de</strong>r zuständigen Stellen <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es und<br />
<strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s bewirken. Das BBK stellt in diesen Fällen<br />
das gesamtstaatliche nichtpolizeiliche Lagebild<br />
zur Verfügung und n<strong>im</strong>mt die Geschäftsführung <strong>de</strong>r<br />
Interministeriellen Koordinierungsgruppe von <strong>Bund</strong><br />
und Län<strong>de</strong>rn (IntMinKoGr) wahr, die in ihrer neuen<br />
Geschäftsordnung Entscheidungen <strong>de</strong>r Krisenstäbe<br />
fachlich vorbereitet.<br />
79
80<br />
Organisation <strong>de</strong>s BBK und wichtige Einzelaufgaben für das <strong>Krisenmanagement</strong><br />
Das BBK ist nach einer Organisationsanpassung 2007<br />
in Leitungsbereich, Verwaltung und vier Fachabteilungen<br />
geglie<strong>de</strong>rt. Bei <strong>de</strong>r Vielfalt <strong>de</strong>r Aufgaben sollen<br />
hier nur für das <strong>Krisenmanagement</strong> beson<strong>de</strong>rs<br />
wesentliche Funktionen <strong>im</strong> Überblick dargestellt<br />
wer<strong>de</strong>n. Differenzierte Artikel zu <strong>de</strong>n einzelnen Abteilungen<br />
und ihren Aufgaben fin<strong>de</strong>n sich an an<strong>de</strong>rer<br />
Stelle dieser Publikation.<br />
Rund um die Uhr einsatzbereit: Das Gemeinsame Mel<strong>de</strong>- und<br />
Lagezentrum <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es und <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r (GMLZ)<br />
Das Gemeinsame Mel<strong>de</strong>- und Lagezentrum <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es<br />
und <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r (GMLZ) ist mit einer aufwendigen<br />
technischen Ausstattung das Herzstück <strong>de</strong>s nationalen<br />
nichtpolizeilichen Informationsverbunds und<br />
<strong>de</strong>s Ressourcenmanagements <strong>im</strong> Katastrophen- und<br />
Krisenfall. Es erfüllt eine wichtige Scharnierfunktion<br />
sowohl <strong>im</strong> nationalen wie internationalen Bereich.<br />
Das Amt betreibt das „Deutsche Notfall-Informationssystems<br />
<strong><strong>de</strong>NIS</strong> II plus“ , an das das BMI, alle <strong>Bund</strong>eslän<strong>de</strong>r<br />
und eine Reihe weiterer Behör<strong>de</strong>n angeschlossen<br />
sind. Das System wird zunehmend stärker genutzt: Es<br />
ist vorgesehen, <strong><strong>de</strong>NIS</strong> II plus durch Anschluss kommunaler<br />
Dienststellen und weiterer Institutionen, u. a.<br />
<strong>de</strong>r Hilfsorganisationen, noch zu erweitern. Zur weiteren<br />
Steigerung <strong>de</strong>r Leistungsbereitschaft ist eine<br />
noch stringentere Strukturierung <strong>de</strong>s Mel<strong>de</strong>systems<br />
nach gemeinsam <strong>de</strong>finierten Kriterien vorgesehen.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Koordination <strong>de</strong>r<br />
Warnung mit <strong>de</strong>m „Satellitengestützten Warnsystem“<br />
(SatWaS). Nach<strong>de</strong>m die frühere flächen<strong>de</strong>cken<strong>de</strong><br />
Sirenenwarnung abgeschafft wor<strong>de</strong>n ist, bietet das<br />
System die Möglichkeit, bei unterschiedlichen Gefahrenlagen<br />
sekun<strong>de</strong>nschnell differenzierte Informationen<br />
über die öffentlich-rechtlichen wie privaten<br />
Rundfunkanstalten, Internetportal-Betreiber und<br />
Presseagenturen an die Bürger weiter zu geben. Das<br />
System hat gegenüber <strong>de</strong>r Sirenenwarnung <strong>de</strong>n Vorteil,<br />
dass weiterführen<strong>de</strong> Zusatzinformationen, differenzierte<br />
Gefahrendurchsagen und Verhaltensregeln<br />
weitergegeben wer<strong>de</strong>n können. Gera<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>r Eröffnung<br />
<strong>de</strong>r Nutzungsmöglichkeiten von SatWas für<br />
die Län<strong>de</strong>r und <strong>de</strong>r damit verbun<strong>de</strong>nen Möglichkeit<br />
<strong>de</strong>r Warnung bei („frie<strong>de</strong>nsmäßigen“) Katastrophen<br />
wird <strong>de</strong>r Weg vom Zivilschutz zum gemeinsamen Bevölkerungsschutz<br />
exemplarisch ver<strong>de</strong>utlicht.<br />
Die psychosoziale Notfallvorsorge (PSNV) wur<strong>de</strong> zu<br />
einem integralen Bestandteil <strong>de</strong>r Gefahrenabwehr<br />
weiterentwickelt. Das BBK sieht seine Rolle hier in<br />
<strong>de</strong>r Koordination und Vermittlung geeigneter Hilfeleistung<br />
und Betreuung für Opfer und Angehörige<br />
von schweren Unglücksfällen <strong>im</strong> In- und Ausland.<br />
Bei <strong>de</strong>r Tsunami-Katastrophe in Südostasien En<strong>de</strong><br />
2004 war das BBK in Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>m Auswärtigen<br />
Amt, <strong>de</strong>m <strong>Bund</strong>eskr<strong>im</strong>inalamt, an<strong>de</strong>ren<br />
<strong>Bund</strong>esbehör<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn, Hilfsorganisationen<br />
und Fachverbän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Psychologie und Psychiatrie<br />
in das <strong>Krisenmanagement</strong> eingebun<strong>de</strong>n. Das BBK<br />
führt <strong>de</strong>rzeit eine Konsensus-Konferenz <strong>im</strong> Bereich<br />
<strong>de</strong>r psychosozialen Notfallversorgung mit <strong>de</strong>m Ziel<br />
durch, die Qualität <strong>de</strong>r in Deutschland vorhan<strong>de</strong>nen<br />
Versorgungsangebote für Betroffene und Angehörige<br />
<strong>de</strong>r Opfer von Unglücksfällen und Terroranschlägen<br />
sowie auch für Einsatzkräfte sicherzustellen. Das Amt<br />
will ergänzen<strong>de</strong> Forschungsprojekte anregen, beispielsweise<br />
auch zu <strong>de</strong>r Frage, inwieweit Anti-Stress-<br />
Trainingsprogramme wirken.<br />
Für <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Kritischen Infrastrukturen 4 erstellt<br />
das Amt in Zusammenarbeit mit öffentlichen<br />
und privaten Institutionen Gefährdungs- und Risikoanalysen.<br />
Im Rahmen <strong>de</strong>r Dienstleistungs- und Beratungskompetenz<br />
ist durch BMI, BKA und BBK ein<br />
Basisschutzkonzept erstellt wor<strong>de</strong>n, das eine Klassifizierung<br />
<strong>de</strong>r gefähr<strong>de</strong>ten Bereiche, eine Analyse <strong>de</strong>s<br />
Schutzbedarfs und Maßnahmen zur Erreichung <strong>de</strong>r<br />
Schutzziele enthält. Das Konzept beschreibt Mög-<br />
lichkeiten <strong>de</strong>s personellen und materiellen Schutzes<br />
gefähr<strong>de</strong>ter Anlagen und gibt Empfehlungen für Notfallplanungen.<br />
Das BBK nutzt dazu die in <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong> vorhan<strong>de</strong>ne<br />
Fachkompetenz von 25 verschie<strong>de</strong>nen wissenschaftlichen<br />
Professionen und vielen externen Partnern.<br />
Der Risiko- und Krisenkommunikation kommt dabei<br />
beson<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>utung zu. Das Konzept sieht Maßnahmen<br />
einer kontinuierlichen Überprüfung und<br />
Qualitätssicherung <strong>im</strong> Rahmen eines dynamischen<br />
Prozesses (Regelkreislauf von Planung, Umsetzung,<br />
Analyse und Nachsteuerung) vor. Das Projekt ist<br />
durch Sachverstand aus <strong>de</strong>r Wirtschaft geför<strong>de</strong>rt und<br />
begleitet wor<strong>de</strong>n. Der hohe Sicherheitsstandard <strong>de</strong>r<br />
Infrastrukturen ist auch ein Qualitätsmerkmal für<br />
<strong>de</strong>n Standort Deutschland und liegt <strong>im</strong> Interesse <strong>de</strong>r<br />
Bürger und Bürgerinnen <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s. Für die Unternehmen<br />
ist die Aufrechterhaltung und Weiterführung<br />
<strong>de</strong>s Betriebes auch in Krisenzeiten von existenzieller<br />
Be<strong>de</strong>utung („Business Continuity“). Deshalb sind von<br />
<strong>de</strong>m Basiskonzept „Empfehlungen für Unternehmen“<br />
abgeleitet wor<strong>de</strong>n. Der dahinter stehen<strong>de</strong> analytische<br />
und planerische Aufwand ist angesichts <strong>de</strong>r Gefährdungslage,<br />
<strong>de</strong>r zunehmen<strong>de</strong>n Verletzlichkeit <strong>de</strong>r<br />
mo<strong>de</strong>rnen Industriegesellschaft und <strong>de</strong>r Komplexität<br />
<strong>de</strong>r Kritischen Infrastrukturen erfor<strong>de</strong>rlich und trägt<br />
<strong>de</strong>r gestiegenen Nachfrage nach solchen Konzepten<br />
Rechnung.<br />
81
82<br />
Zu <strong>de</strong>n Aufgaben <strong>de</strong>s BBK <strong>im</strong> Rahmen strategischer<br />
Notfallvorsorge gehören Forschungsprojekte und<br />
technische Weiterentwicklungen. Dazu wer<strong>de</strong>n u.<br />
a. Konzepte zur Harmonisierung von Maßnahmen<br />
<strong>im</strong> gesundheitlichen Bevölkerungsschutz erarbeitet.<br />
Dazu zählen Grundfragen <strong>de</strong>r Katastrophenmedizin,<br />
<strong>de</strong>s seuchenhygienischen Managements und <strong>de</strong>r präklinischen<br />
Versorgung <strong>de</strong>r Bevölkerung bei beson<strong>de</strong>ren<br />
Scha<strong>de</strong>nslagen. Rechtzeitig vor <strong>de</strong>r Fußball-Weltmeisterschaft<br />
2006 wur<strong>de</strong>n in Arbeitsgruppen <strong>de</strong>s<br />
AK V unter maßgeblicher Beteiligung bzw. Leitung<br />
<strong>de</strong>s BBK <strong>de</strong>taillierte Konzepte für die Versorgung bei<br />
einem Massenanfall von Verletzten (MANV) und für<br />
Dekontaminationsmaßnahmen bei Freisetzung radioaktiver,<br />
infektiöser o<strong>de</strong>r chemischer Stoffe erarbeitet.<br />
Die Erfahrungen aus <strong>de</strong>r Vorbereitung und Durchführung<br />
<strong>de</strong>r Fußball-WM wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Veranstaltern<br />
vergleichbarer internationaler Großveranstaltungen<br />
zur Verfügung gestellt; so soll ein vom BBK in Kooperation<br />
mit weiteren Partnern entwickeltes und<br />
beschafftes Fernmessgerät zur Analyse von Giftstoffen<br />
in <strong>de</strong>r Luft zur Überwachung von Stadien und<br />
„Fan-Meilen“ eingesetzt wer<strong>de</strong>n.<br />
Im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Vorsorge für <strong>de</strong>n Pan<strong>de</strong>miefall<br />
hat das BBK gemeinsam mit <strong>de</strong>m Lan<strong>de</strong>sgesundheitsamt<br />
<strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Ba<strong>de</strong>n-Württemberg<br />
und einer Reihe von Unternehmen ein Handbuch<br />
„Betriebliche Pan<strong>de</strong>mieplanung“ erarbeitet, das <strong>de</strong>n<br />
zuständigen Führungskräften <strong>de</strong>r Wirtschaft als Ratgeber<br />
und Planungshilfe dienen soll.<br />
Als Teil seines originären Zivilschutzauftrages, aber<br />
auch mit Blick auf Einsatzmöglichkeiten <strong>im</strong> „zivilen“<br />
Krisenfall hat das BBK das Ausstattungskonzept einer<br />
Neuorientierung unterzogen. Der <strong>Bund</strong> wird sich zunehmend<br />
vermehrt <strong>im</strong> Bereich neuer Bedrohungslagen,<br />
die spezielle Fähigkeiten erfor<strong>de</strong>rn, engagieren.<br />
Im ABC-Schutz bün<strong>de</strong>lt das BBK Expertenwissen<br />
und Kapazitäten u. a. auch <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>s Einsatzes<br />
<strong>de</strong>r „Analytical Task Forces“. Derzeit liegt ein Schwerpunkt<br />
noch <strong>im</strong> chemischen Bereich, die Fähigkeiten<br />
sollen jedoch auch <strong>im</strong> Hinblick auf B-Gefahren erweitert<br />
wer<strong>de</strong>n, nach<strong>de</strong>m eine terroristische Bedrohung<br />
auch in diesem Bereich nicht mehr ausgeschlossen<br />
wer<strong>de</strong>n kann.<br />
Einen beachtlichen Beitrag zum Rettungsdienst leisten<br />
die an 12 Standorten eingesetzten Zivilschutzhubschrauber<br />
<strong>de</strong>s BBK. Die orangefarbenen Rettungsflieger<br />
wur<strong>de</strong>n <strong>im</strong> Jahr 2007 rund 16.700 Mal zum<br />
Einsatz bei Notfällen gerufen.<br />
Einen wichtigen Beitrag zum Rettungsdienst leisten die an 12<br />
Standorten eingesetzten Zivilschutzhubschrauber <strong>de</strong>s BBK:<br />
Allein <strong>im</strong> Jahr 2007 wur<strong>de</strong>n sie rund 16.700 Mal zu Einsätzen<br />
bei Notfällen gerufen.<br />
Titelbild <strong>de</strong>s Handbuchs „Schutz und Hilfe für die Bevölkerung“
LÜKEX 2007: Präsi<strong>de</strong>nt und Vizepräsi<strong>de</strong>nt bei einer Lagebesprechung <strong>im</strong> BBK-Krisenstab<br />
Die zum BBK gehören<strong>de</strong> Aka<strong>de</strong>mie für <strong>Krisenmanagement</strong>,<br />
Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ)<br />
n<strong>im</strong>mt als zentrale Fortbildungseinrichtung eine<br />
Schlüsselrolle in einem integrierten und effizienten<br />
Gefahrenabwehrsystem ein. Die Ausbildung wird<br />
thematisch an sicherheitspolitische Rahmenbedingungen<br />
und aktuelle Herausfor<strong>de</strong>rungen angepasst.<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> in beson<strong>de</strong>ren Lagen n<strong>im</strong>mt einen<br />
hervorragen<strong>de</strong>n Platz ein. Aus <strong>de</strong>r Vielzahl <strong>de</strong>r<br />
Ausbildungs- und Übungsvorhaben seien die vorbereiten<strong>de</strong>n<br />
Veranstaltungen für Entscheidungsträger<br />
<strong>de</strong>r nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr bei <strong>de</strong>r<br />
Fußball-Weltmeisterschaft 2006 und <strong>de</strong>m G-8-Gipfel<br />
2007 exemplarisch herausgehoben. Die positiven Reaktionen<br />
aus Län<strong>de</strong>rn, Kommunen und Hilfsorganisationen<br />
zeigen, dass sowohl Themenauswahl (u. a.<br />
<strong>Krisenmanagement</strong>, ABC-Vorsorge, Katastrophenmedizin,<br />
Massenanfall von Verletzten, Dekontamination,<br />
Psychosoziale Notfallversorgung) als auch die Art <strong>de</strong>r<br />
Vermittlung <strong>de</strong>s Stoffes in Übungen und speziellen<br />
Coaching-Veranstaltungen als zielführend und wertvoll<br />
für die Einsatzvorbereitungen angesehen wur<strong>de</strong>n.<br />
Die Ausbildung <strong>de</strong>s mit zivil-militärischer Zusammenarbeit<br />
(ZMZ) befassten Personals in <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr<br />
und <strong>de</strong>n zivilen Behör<strong>de</strong>n hat mittlerweile einen festen<br />
und anerkannten Platz <strong>im</strong> Seminarangebot. Die<br />
seit Jahren durch gemeinsame Seminare und Übungen<br />
(Großscha<strong>de</strong>nslagen) verfestigte vertrauensvolle<br />
Zusammenarbeit <strong>de</strong>r AKNZ mit <strong>de</strong>r Deutschen<br />
Hochschule <strong>de</strong>r Polizei (DHPOL) in Münster trägt<br />
wesentlich zum gegenseitigen Verständnis zwischen<br />
polizeilichen und nichtpolizeilichen Führungskräften<br />
in <strong>de</strong>r Gefahrenabwehr insbeson<strong>de</strong>re in Krisenlagen<br />
bei.<br />
Durch eine Projektgruppe <strong>de</strong>s BBK wer<strong>de</strong>n seit 2004<br />
in grundsätzlich zweijährigem Rhythmus auf strategischer<br />
Ebene län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong> <strong>Krisenmanagement</strong>übungen<br />
(LÜKEX) vorbereitet und durchgeführt.<br />
In diesen Übungen, bei <strong>de</strong>nen <strong>im</strong> Rahmen eines<br />
Netzwerkes Krisenstäbe <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es und <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r<br />
mit Hilfsorganisationen, Verbän<strong>de</strong>n und Privatunternehmen<br />
zusammenarbeiten, wer<strong>de</strong>n nationale<br />
Herausfor<strong>de</strong>rungen bei Großscha<strong>de</strong>nslagen o<strong>de</strong>r<br />
Gesundheitsgefahren geübt. Die Übung <strong>de</strong>s Jahres<br />
2007 stand <strong>im</strong> Zeichen einer weltweiten Influenza-<br />
Pan<strong>de</strong>mie, <strong>de</strong>r nächsten Übung wird ein Szenario<br />
mit radiologischen Gefahren bei Terroranschlägen zu<br />
Grun<strong>de</strong> liegen.<br />
83
84<br />
Das politische Programm <strong>de</strong>s BMI zur Opt<strong>im</strong>ierung<br />
<strong>de</strong>s nationalen <strong>Krisenmanagement</strong>s in Deutschland<br />
ist weit fortgeschritten. Ergänzend zu <strong>de</strong>n bewährten<br />
<strong>Krisenmanagement</strong>-Seminaren für alle Verwaltungsebenen<br />
wird die AKNZ daher künftig verstärkt spezielle<br />
Coaching-Veranstaltungen für Entscheidungsträger<br />
aus <strong>Bund</strong>es- und Lan<strong>de</strong>sressorts sowie für<br />
Landräte und Oberbürgermeister anbieten, in <strong>de</strong>nen<br />
– szenarienorientiert – Grundsätze <strong>de</strong>r Stabsorganisation,<br />
Entscheidungsfindung und Führungsverhalten<br />
in Krisen vermittelt und trainiert wer<strong>de</strong>n. Im Sinne<br />
<strong>de</strong>r Public Private Partnership sind diese Veranstaltungen<br />
auch offen für <strong>de</strong>n Leitungsbereich von Unternehmen<br />
<strong>de</strong>r kritischen Infrastrukturen.<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> en<strong>de</strong>t nicht an <strong>de</strong>n nationalen<br />
Grenzen. Auch innerhalb <strong>de</strong>r Europäischen Union<br />
ist die Solidarität mit an<strong>de</strong>ren Mitgliedstaaten eine<br />
Selbstverständlichkeit. Das BBK n<strong>im</strong>mt hier als nationaler<br />
Ansprechpartner <strong>im</strong> Gemeinschaftsverfahren<br />
eine wichtige Rolle ein, insbeson<strong>de</strong>re durch die Zusammenarbeit<br />
mit <strong>de</strong>m Monitoring and Information<br />
Centre (MIC) <strong>de</strong>r Europäischen Kommission und<br />
durch Ausbildung <strong>de</strong>r bei multinationalen Einsätzen<br />
als strategisches Führungspersonal eingesetzten Kräfte<br />
(High Level Course) an <strong>de</strong>r AKNZ. 5<br />
Fazit und Ausblick<br />
In unserem fö<strong>de</strong>ralen Staat sind <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>r<br />
gemeinsam für die Sicherheit <strong>de</strong>r Bevölkerung verantwortlich.<br />
Dazu ist das Vernetzen <strong>de</strong>r Kapazitäten<br />
von <strong>Bund</strong>, Län<strong>de</strong>rn und Kommunen sowie <strong>de</strong>r Hilfsorganisationen<br />
und Privatunternehmen erfor<strong>de</strong>rlich.<br />
Das BBK sieht hier seine Rolle als Zentralstelle <strong>im</strong><br />
Rahmen <strong>de</strong>s strategischen <strong>Krisenmanagement</strong>s. Es<br />
will allen Akteuren <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz Deutschlands<br />
ein wichtiger und verlässlicher Partner sein. Es<br />
ist zu begrüßen, dass sich die für die Zusammenarbeit<br />
zuständigen Gremien <strong>im</strong> Sinne <strong>de</strong>r gemeinsamen<br />
Verantwortung von <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>rn für eine<br />
Fortentwicklung <strong>de</strong>r Rechtsgrundlagen <strong>im</strong> Zivil- und<br />
Katastrophenschutz aussprechen.<br />
Zum Autor: Christoph Unger ist Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>esamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Bonn<br />
1 Beschlüsse <strong>de</strong>r ständigen Konferenz <strong>de</strong>r Innenminister und -senatoren <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r (IMK) vom 06.06.2002, TOP 23, und vom<br />
06.12.2002, TOP 36, „Neue Strategie zum Schutz <strong>de</strong>r Bevölkerung in Deutschland“<br />
2 Beschlussnie<strong>de</strong>rschrift über die Besprechung <strong>de</strong>r Regierungschefs <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r vom 27. März 2003, TOP 2<br />
3 zuletzt: Umlaufbeschluss <strong>de</strong>s Arbeitskreises V („Feuerwehrangelegenheiten, Rettungswesen, Katastrophenschutz und zivile<br />
Verteidigung“) <strong>de</strong>r Ständigen Konferenz <strong>de</strong>r Innenminister und -senatoren <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r vom 01.04.20008: Neue Strategie zum<br />
Schutz <strong>de</strong>r Bevölkerung in Deutschland; Fortentwicklung <strong>de</strong>r Rechtsgrundlagen<br />
4 Kritische Infrastrukturen sind Organisationen und Einrichtungen mit wichtiger Be<strong>de</strong>utung für das staatliche Gemeinwesen,<br />
bei <strong>de</strong>ren Ausfall o<strong>de</strong>r Beeinträchtigung nachhaltig wirken<strong>de</strong> Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen <strong>de</strong>r öffentlichen<br />
Sicherheit o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re dramatische Folgen eintreten wür<strong>de</strong>n. Es han<strong>de</strong>lt sich insbeson<strong>de</strong>re um Einrichtungen aus <strong>de</strong>n Bereichen<br />
Energieversorgung, Telekommunikation und Informationstechnik, Versorgung mit (überlebens-) wichtigen Gütern,<br />
Transport- und Verkehrswesen, Gefahrenstoffe, Finanz-, Geld und Versicherungswesen, Behör<strong>de</strong>n und öffentliche Verwaltung,<br />
herausragen<strong>de</strong> Kulturgüter<br />
5 Entscheidung <strong>de</strong>s Rates vom 8. November 2007
Fachkonzeption <strong>im</strong> <strong>Bund</strong>esamt für Bevölkerungsschutz<br />
und Katastrophenhilfe – wichtiger Aspekt <strong>de</strong>r<br />
Vorsorge <strong>im</strong> <strong>Krisenmanagement</strong><br />
Dr. Karsten Michael<br />
Ein Feinmechanikermeister gab mir <strong>de</strong>n Rat: „Wenn mal wenig zu tun ist, mach Dir<br />
Werkzeuge!“ Dieser Gedanke <strong>de</strong>r Vorsorge, also <strong>de</strong>s Sorgetragens für zukünftige<br />
Herausfor<strong>de</strong>rungen und das Vorbereiten auf <strong>de</strong>ren Bewältigung, ist ein wichtiger<br />
Aspekt <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s <strong>im</strong> weiteren Sinne. Er verlangt vorausschauen<strong>de</strong><br />
Planung auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>r Erfahrungen vergangener Krisen, <strong>de</strong>r Analyse<br />
kausaler Zusammenhänge und <strong>de</strong>r Entwicklung von Mo<strong>de</strong>llvorstellungen. Daraus<br />
abgeleitet müssen die richtigen „Werkzeuge“ in Art und Zahl geschaffen<br />
und bereitgelegt wer<strong>de</strong>n, um dann <strong>im</strong> Krisenfall ausreichend Handlungsoptionen<br />
verfügbar zu haben und effektiv wirken zu können. Insbeson<strong>de</strong>re <strong>im</strong> wissenschaftlichen,<br />
technischen und konzeptionellen Bereich wirkt das <strong>Bund</strong>esamt für<br />
Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe als „Werkzeugmacher“.<br />
Information und Wissen – Erfolgsfaktoren <strong>im</strong> <strong>Krisenmanagement</strong><br />
Kenntnis in <strong>de</strong>r Sache ist be<strong>im</strong> <strong>Krisenmanagement</strong><br />
ein Erfolgsfaktor. Dabei lassen sich die generellen<br />
von <strong>de</strong>n speziellen, auf die Scha<strong>de</strong>nslage bezogenen<br />
Informationen unterschei<strong>de</strong>n. Bereitstellung von<br />
generellen Informationen für alle <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz<br />
Mitwirken<strong>de</strong>n leistet das BBK durch seine<br />
Fachinformationsstelle. Angeboten wer<strong>de</strong>n hier Online-Recherchen<br />
<strong>im</strong> Bestandskatalog mit über 50.000<br />
Medieneinheiten, Fernleihe und Aufsatzversand, Recherchen<br />
und Fachauskünfte. Ergänzend stehen ein<br />
Begriffskatalog mit häufig verwen<strong>de</strong>ten Definitionen<br />
und ein Wörterbuch Deutsch-Englisch für Fachbegriffe<br />
<strong>de</strong>s Zivil- und Katastrophenschutzes online bereit.<br />
Die Fachberater <strong>de</strong>s BBK halten in <strong>de</strong>n naturwissenschaftlichen<br />
Disziplinen Physik, Chemie, Biologie<br />
und Medizin Fachexpertise vor. Diese Beratungs-<br />
und Urteilsfähigkeit stützt sich neben <strong>de</strong>r unmittelbar<br />
verfügbaren Fachinformation insbeson<strong>de</strong>re auf enge<br />
Kontakte in hoch qualifizierten Netzwerken. Damit<br />
steht auch für <strong>de</strong>n Krisenfall Fachberatung für die<br />
Stäbe in BMI und BBK bereit. Aus ihrer Funktion heraus<br />
geben die Fachberater ebenso Impulse für die<br />
Erhebung und Formulierung von Forschungsbedarf.<br />
85
86<br />
Die För<strong>de</strong>rung von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben<br />
<strong>im</strong> Bevölkerungsschutz ist ein weiteres<br />
Instrument <strong>de</strong>s BBK, Fähigkeitslücken zu schließen.<br />
Beraten durch die Schutzkommission be<strong>im</strong> <strong>Bund</strong>esminister<br />
<strong>de</strong>s Innern wer<strong>de</strong>n för<strong>de</strong>rungswürdige Forschungsthemen<br />
i<strong>de</strong>ntifiziert und angestoßen. Dem<br />
Praxisbezug und <strong>de</strong>r sich <strong>de</strong>r eigentlichen Projektlaufzeit<br />
anschließen<strong>de</strong>n Umsetzungsphase kommt<br />
dabei beson<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>utung zu.<br />
Als Fachberatung <strong>im</strong> weiteren Sinne ist auch die Erstellung<br />
von Leitfä<strong>de</strong>n und Handbüchern zu ausgewählten<br />
Themen <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s zu sehen.<br />
Diese Leitfä<strong>de</strong>n geben Entscheidungsträgern Informationen<br />
zur Vorbereitung auf und zur Bewältigung<br />
von Krisen. Ein Beispiel ist das Handbuch „Betrieb-<br />
Konzeption und Technologie<br />
Ähnliche Scha<strong>de</strong>nslagen erlauben ähnliche Bewältigungsstrategien.<br />
Gemeinsame Merkmale zu i<strong>de</strong>ntifizieren,<br />
eröffnet die Möglichkeit, eine fähigkeitsorientierte<br />
Perspektive für die Analyse und vorausschauen<strong>de</strong><br />
Planung einzunehmen. Dabei leiten sich aus einer<br />
Fähigkeit zur Scha<strong>de</strong>nsbewältigung und zum <strong>Krisenmanagement</strong><br />
nicht nur rein technische For<strong>de</strong>rungen<br />
ab. Sie enthält ebenso die Komponenten Information,<br />
Erfahrung, Qualifikation (und Zahl) <strong>de</strong>r Akteure,<br />
Infrastruktur und Versorgung, technische Lösungen<br />
sowie Konzeption. Die Konzeption hat hierbei insofern<br />
eine beson<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>utung, als sie die gedankliche<br />
Klammer aller relevanten Zusammenhänge bil<strong>de</strong>t<br />
und sich die notwendige (Weiter-)Entwicklung<br />
<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Komponenten aus ihr ableiten lassen<br />
müssen. Bei <strong>de</strong>r Erstellung von Konzepten zur Bewältigung<br />
außergewöhnlicher Scha<strong>de</strong>nslagen wirkt<br />
das BBK als Zentralstelle koordinierend, stößt die<br />
Konzepterstellung an, mo<strong>de</strong>riert <strong>de</strong>n Abst<strong>im</strong>mungsprozess<br />
und stellt ein Fortschreiben sicher. Beispiele<br />
dafür sind die Arbeiten zum Massenanfall Verletzter,<br />
die Empfehlungen für Führungskräfte <strong>im</strong> Zusammenhang<br />
mit <strong>de</strong>r Vogelgrippe und die Mitwirkung an einer<br />
einheitlichen Krankenhausalarmplanung.<br />
liche Pan<strong>de</strong>mieplanung“: Ein praktischer Ratgeber,<br />
<strong>de</strong>r Betrieben hilft, sich auf die Auswirkungen einer<br />
Pan<strong>de</strong>mie angemessen vorzubereiten und während<br />
<strong>de</strong>r Pan<strong>de</strong>mie richtig zu reagieren. So können <strong>de</strong>r<br />
betriebswirtschaftliche und <strong>de</strong>r volkswirtschaftliche<br />
Scha<strong>de</strong>n gleichermaßen klein gehalten wer<strong>de</strong>n. Wenn<br />
sich auch die Entstehung einer Pan<strong>de</strong>mie vermutlich<br />
kaum verhin<strong>de</strong>rn lassen wird, sobald ein dazu befähigtes<br />
Virus einmal in <strong>de</strong>r Welt ist, so kann über<br />
ausreichen<strong>de</strong> Vorsorge in <strong>de</strong>r Pan<strong>de</strong>mieplanung die<br />
Ausbreitung verlangsamt, die Erkrankungs- und Sterberate<br />
vermin<strong>de</strong>rt, die Versorgung <strong>de</strong>r Bevölkerung<br />
mit lebenswichtigen Produkten und Dienstleistungen<br />
sichergestellt und damit <strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>n insgesamt beschränkt<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Notwendigkeit <strong>de</strong>r Erarbeitung von umfassen<strong>de</strong>n<br />
(nationalen) Konzepten sei kurz am Beispiel von<br />
Scha<strong>de</strong>nslagen mit chemischer, biologischer, radiologischer<br />
o<strong>de</strong>r nuklearer Gefährdung – kurz CBRN-Lagen<br />
– skizziert. Die Bewältigung einer solchen Lage<br />
stellt hohe Anfor<strong>de</strong>rungen an die Verfahrenstechnik.<br />
Die beson<strong>de</strong>ren Wirkungen und Auswirkungen<br />
(physisch wie psychologisch), die von einem CBRN-<br />
Ereignis ausgehen können, verlangen die rasche und<br />
<strong>im</strong> Ergebnis stets verlässliche Feststellung <strong>de</strong>r Gefährdungspotentiale.<br />
Gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>m einer CBRN-Lage in<br />
aller Regel innewohnen<strong>de</strong> Eskalationspotential und<br />
ihrer verfahrenstechnischen Komplexität kann nur<br />
mit einer Führungs- und Einsatzorganisation erfolgreich<br />
begegnet wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r ein gleiches Verständnis<br />
<strong>de</strong>r Aufgabenbewältigung auf allen beteiligten<br />
Ebenen und in allen Fachrichtungen zugrun<strong>de</strong> liegt.<br />
Das schließt die Anwendung einheitlicher und damit<br />
auch vergleichbarer Einsatzverfahren ein.<br />
Für die Erstellung eines erfolgreichen Konzepts muss<br />
<strong>de</strong>r Balanceakt gelingen, die theoretisch <strong>de</strong>nkbar<br />
beste Lösung mit <strong>de</strong>m – insbeson<strong>de</strong>re technologisch<br />
– Realisierbaren in Einklang zu bringen. Hier knüpft
die zu leisten<strong>de</strong> Arbeit an die <strong>im</strong> vorangehen<strong>de</strong>n Absatz<br />
„Information und Wissen“ beschriebenen Kompetenzen<br />
an. Fachexpertise, Marktkenntnis und das<br />
Initiieren von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben<br />
erlauben das gezielte Schließen von Fähigkeitslücken,<br />
die sich aus einem Soll-Ist-Vergleich ergeben,<br />
<strong>de</strong>r auf Basis eines Konzeptes o<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>n Vorüberlegungen<br />
dazu angestellt wur<strong>de</strong>. Beispiel hierfür ist<br />
das passive Infrarot-Fernerkundungssystem „SIGIS“,<br />
das es <strong>de</strong>n vom <strong>Bund</strong> aufgestellten Analytischen<br />
Task Forces ermöglicht, Gefahrstoffwolken zu <strong>de</strong>tektieren<br />
und <strong>de</strong>ren Ausbreitungsdynamik aus mehreren<br />
Biologische Probenentnahme unter Schutzausrüstung<br />
B-Probennahmerucksack<br />
Kilometern Entfernung zu verfolgen. Aus konzeptionellen<br />
Überlegungen heraus entstand hier zunächst<br />
die grundsätzliche Notwendigkeit, Spezialkräfte mit<br />
beson<strong>de</strong>ren analytischen Fähigkeiten zur Beratung<br />
<strong>de</strong>r Einsatzleitung bei komplexen CBRN-Lagen aufzustellen,<br />
die Analytischen Task Forces. Für die spezielle<br />
Fähigkeit <strong>de</strong>r Fernerkundung aus sicherer Entfernung<br />
waren technologische Lösungen sichtbar, die<br />
sodann <strong>im</strong> Rahmen eines Forschungsvorhabens bis<br />
zur Anwendungsreife entwickelt und schließlich in<br />
Form <strong>de</strong>r Beschaffung und Auslieferung von „SIGIS“<br />
realisiert wur<strong>de</strong>n.<br />
Technik und Ausrüstung<br />
Zur erfolgreichen Bewältigung von Scha<strong>de</strong>nslagen<br />
gilt es, gerüstet zu sein. Je<strong>de</strong> Fähigkeit, <strong>de</strong>ren Aufbau<br />
vergleichbar lang o<strong>de</strong>r länger dauert als die Vorwarn-<br />
o<strong>de</strong>r typische Eskalationszeit einer Gefahr, muss<br />
zuvor errichtet wer<strong>de</strong>n. An<strong>de</strong>rnfalls kann sie <strong>im</strong> Ereignisfall<br />
nicht rechtzeitig zur Anwendung gebracht<br />
wer<strong>de</strong>n. Insbeson<strong>de</strong>re Technik und Ausrüstung müssen<br />
in aller Regel vorab beschafft und vorgehalten<br />
wer<strong>de</strong>n. Welche Investition hier angemessen und<br />
welche Kapitalbindung sinnvoll ist, hängt von vielen<br />
Faktoren ab. Ausgangspunkt ist in <strong>de</strong>r Regel eine Risikoanalyse;<br />
aus <strong>de</strong>m festgelegten Schutzniveau o<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>n Schutzzielen, <strong>de</strong>m Schutzkonzept sowie <strong>de</strong>m<br />
technologisch Realisierbaren leitet sich <strong>de</strong>r Bedarf<br />
ab.<br />
Von beson<strong>de</strong>rem <strong>Bund</strong>esinteresse sind hier die außergewöhnlichen<br />
Scha<strong>de</strong>nslagen. Diese haben typischer<br />
Weise eine geringe Eintrittswahrscheinlichkeit<br />
verbun<strong>de</strong>n mit einem hohen Scha<strong>de</strong>nspotential. Von<br />
Seiten <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es wer<strong>de</strong>n daher die Einrichtungen<br />
und Einheiten <strong>de</strong>s Katastrophenschutzes <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r<br />
verstärkt (Gemäß Zivilschutzgesetz <strong>de</strong>r „Katastrophenschutz<br />
<strong>im</strong> Zivilschutz“). Diese Verstärkung<br />
umfasst mehrere Tausend Einsatzfahrzeuge aus <strong>de</strong>n<br />
Bereichen CBRN-Schutz, Sanitätswesen, Betreuung<br />
und Brandschutz sowie die dazugehörige zivilschutzbezogene<br />
ergänzen<strong>de</strong> Ausbildung <strong>de</strong>r Besatzungen.<br />
Der Schwerpunkt liegt hier auf Fähigkeiten zur Bewältigung<br />
eines Massenanfalls von Verletzten und<br />
komplexer CBRN-Lagen.<br />
87
88<br />
ABC-Erkundungskraftwagen in Bonn-Dransdorf<br />
Einer <strong>de</strong>r 16 neuen Zivilschutz-Hubschrauber <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es<br />
vom Typ EC 135<br />
Hinzu kommen die Zivilschutzhubschrauber <strong>de</strong>s<br />
<strong>Bund</strong>es, die zur Aufrechterhaltung <strong>de</strong>r Einsatzbereitschaft<br />
in die alltägliche Gefahrenabwehr eingebun<strong>de</strong>n<br />
sind, dort Aufgaben <strong>de</strong>r Luftrettung übernehmen,<br />
bei außergewöhnlichen Scha<strong>de</strong>nslagen jedoch<br />
auch für die Aufklärung, zur Lenkung von Bevölkerungsbewegungen<br />
und zum Lufttransport eingesetzt<br />
wer<strong>de</strong>n können.<br />
Ist eine solche Lage geprägt von einem Massenanfall<br />
Verletzter, kann auch <strong>de</strong>r Verbrauch an Arzne<strong>im</strong>itteln<br />
und Sanitätsmaterial <strong>de</strong>rart ansteigen, dass<br />
eine kontinuierliche Versorgung über die üblichen<br />
Nachschubwege gefähr<strong>de</strong>t ist. Dem kann mit ausreichen<strong>de</strong>r<br />
Pufferung über erhöhte Lagerbestän<strong>de</strong> begegnet<br />
wer<strong>de</strong>n. <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>r sorgen daher in<br />
Form einer kooperativen Sanitätsmittelbevorratung<br />
in Form mehrerer Dutzend, über die Fläche <strong>de</strong>r Republik<br />
verteilter und weitgehend in die Wälzung an<br />
Krankenhausapotheken integrierter Sanitätsmaterialpakete<br />
vor.<br />
Zum Autor: Dr. Karsten Michael leitet die Abteilung III „Forschung und Technik, Gesundheitlicher Bevölkerungsschutz“ <strong>im</strong><br />
<strong>Bund</strong>esamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Bonn.<br />
Fazit<br />
Viele Werkzeuge liegen bereit. Einige müssen weiter<br />
geschärft, an<strong>de</strong>re ergänzt wer<strong>de</strong>n. Dabei muss <strong>de</strong>r<br />
Blick stets auch auf die zukünftigen Herausfor<strong>de</strong>rungen<br />
gerichtet sein. Nur so können wir uns auf <strong>de</strong>n<br />
Erhalt <strong>de</strong>r richtigen Werkzeuge konzentrieren, rechtzeitig<br />
von unbrauchbar gewor<strong>de</strong>nen trennen und gezielt<br />
neue schaffen.
Der Schutz Kritischer Infrastrukturen –<br />
Gemeinschaftsaufgabe von Staat und Wirtschaft <strong>im</strong><br />
Rahmen einer gesamtstaatlichen Notfallvorsorge<br />
Dr. Wolfram Geier<br />
Sicherheits- und Notfallvorsorge sind aufgrund <strong>de</strong>r<br />
komplexen und nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche<br />
durchdringen<strong>de</strong>n Materie gesamtstaatliche<br />
Aufgaben, an <strong>de</strong>r alle relevanten gesellschaftlichen –<br />
staatlichen, öffentlichen und privaten – Akteure partizipieren.<br />
Dies trifft sowohl auf die vorsorgen<strong>de</strong>n und<br />
planerischen Maßnahmen <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r Zivilen<br />
Verteidigung und damit <strong>de</strong>s Zivilschutzes (vgl. hierzu<br />
§ 1 Abs. 1 ZSG) zu als auch auf die präventiven<br />
und vorsorgen<strong>de</strong>n Aktivitäten zum Schutz <strong>de</strong>r Bevölkerung<br />
und ihrer Lebensgrundlagen vor Gefahren,<br />
die durch extreme Naturereignisse, technisches und<br />
menschliches Versagen o<strong>de</strong>r aber bewusste soziale<br />
Fehlhandlungen, wie Sabotage o<strong>de</strong>r Anschläge, verursacht<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Bevölkerung hoch entwickelter Gesell-<br />
schaften, Hauptgegenstand und Auftragge-<br />
ber staatlichen Han<strong>de</strong>lns, ist heute mehr<br />
<strong>de</strong>nn je von technischen, ökonomischen,<br />
sozialen und administrativen Dienstleis-<br />
tungen und <strong>de</strong>r Verfügbarkeit umfassen<strong>de</strong>r<br />
infrastruktureller Versorgungsleistungen<br />
abhängig.<br />
Dies äußert sich in Einstellungen, die auf Knopfdruck<br />
gesicherte Energie in Form von elektrischem Strom,<br />
Gas und Mineralöl, ungestörten Zugang zu schnellen<br />
Informationstechnologien und Kommunikationsnetzen,<br />
beruflicher und private Mobilität mit allen Verkehrsträgern<br />
einschließlich sicherer Lieferketten für<br />
Nahrungsmittel und an<strong>de</strong>re Verbrauchsgüter, sowie<br />
Kritische Infrastruktur: Großbrand in einem Tanklager<br />
Kritische Infrastruktur: Abflugebene <strong>de</strong>s Flughafens Hamburg<br />
ein grundsätzlich funktionieren<strong>de</strong>s Gesundheitswesen,<br />
stabile Regierungen und verlässliche Verwaltungen<br />
erwarten und zur Verfügung gestellt haben<br />
möchten. Etwas an<strong>de</strong>res erscheint kaum vorstellbar,<br />
staatlich verordnete Stromabschaltung, o<strong>de</strong>r Rationierung<br />
von Trinkwasser und generelle Versorgungsengpässe<br />
erinnern an Bil<strong>de</strong>r aus einer an<strong>de</strong>ren Welt.<br />
89
90<br />
In einem Land wie Deutschland sind Infrastrukturen<br />
die Lebenslinien einer hoch technisierten, arbeitsteilig<br />
organisierten, mo<strong>de</strong>rnen Gesellschaft und daher<br />
von essentieller Be<strong>de</strong>utung, und erst außergewöhnliche<br />
Ereignisse, wie das Elbehochwasser 2002, die<br />
Sommerhitze 2003, <strong>de</strong>r Stromausfall <strong>im</strong> Münsterland<br />
2005, <strong>de</strong>r an <strong>de</strong>r Ems verursachte Stromausfall in halb<br />
Europa 2006 o<strong>de</strong>r auch die Einstellung <strong>de</strong>s Schienenverkehrs<br />
während <strong>de</strong>s Sturms „Kyrill“ <strong>im</strong> Januar<br />
2007 haben gezeigt, wie sich Störungen dieser vitalen<br />
Lebensa<strong>de</strong>rn auf das private und öffentliche Leben<br />
auswirken können und dass es vielfältige Ursachen<br />
und Risiken gibt. Je komplexer die Systeme und je<br />
intensiver die Abhängigkeit <strong>de</strong>r Systeme voneinan<strong>de</strong>r<br />
sind, umso gravieren<strong>de</strong>r sind Auswirkungen bei Störungen<br />
o<strong>de</strong>r Ausfall von wichtigen Infrastrukturen.<br />
Dem Schutz dieser so genannten Kritischen Infrastrukturen<br />
kommt daher heute und erst recht in <strong>de</strong>r<br />
Zukunft eine beson<strong>de</strong>rs hohe Be<strong>de</strong>utung zu. Nach<br />
einer Übereinkunft <strong>de</strong>r Regierungsressorts aus <strong>de</strong>m<br />
Jahr 2003 zählen in Deutschland zu Kritischen Infrastrukturen<br />
(KRITIS):<br />
Organisationen und Einrichtungen mit<br />
wichtiger Be<strong>de</strong>utung für das staatliche<br />
Gemeinwesen, bei <strong>de</strong>ren Ausfall o<strong>de</strong>r<br />
Beeinträchtigung nachhaltig wirken<strong>de</strong><br />
Versorgungsengpässe, erhebliche Störun-<br />
gen <strong>de</strong>r öffentlichen Sicherheit o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re<br />
dramatische Folgen eintreten wür<strong>de</strong>n.<br />
Mit dieser Definition wird die Be<strong>de</strong>utung Kritischer<br />
Infrastrukturen für die Funktionsfähigkeit von Staat,<br />
Wirtschaft und Gesellschaft noch einmal hervorgehoben:<br />
Ihre Kritikalität best<strong>im</strong>mt sich insbeson<strong>de</strong>re<br />
durch die Kategorien Versorgungsengpässe, die <strong>de</strong>n<br />
Bürger unmittelbar, durch Engpässe bei Produktion<br />
und Erzeugung aber auch mittelbar treffen können,<br />
Störungen <strong>de</strong>r öffentlichen Sicherheit o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re<br />
schwerwiegen<strong>de</strong> Folgen, zu <strong>de</strong>nen psychologische<br />
Auswirkungen, beispielsweise nach <strong>de</strong>r Zerstörung<br />
national be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>r Bauwerke, ebenso zählen wie<br />
ein Vertrauensverlust in das politische System, wenn<br />
etwa die Bürger das Gefühl haben, Entscheidungsträger<br />
seien nicht in <strong>de</strong>r Lage, Katastrophenlagen<br />
zu bewältigen und die Bevölkerung angemessen zu<br />
schützen. In Deutschland wer<strong>de</strong>n die Kritischen Infrastrukturen<br />
<strong>de</strong>rzeit in acht Sektoren unterglie<strong>de</strong>rt.<br />
Zu <strong>de</strong>n Sektoren zählen:<br />
Energieversorgung<br />
(Elektrizität, Gas, Öl)<br />
Versorgung<br />
(u.a. Trinkwasser, Ernährung,<br />
Gesundheitswesen, Notfall-/<br />
Rettungswesen, Entsorgung)<br />
Gefahrstoffe<br />
(Gefahrguttransporte,<br />
sensitive Industrien,<br />
Rüstung)<br />
Behör<strong>de</strong>n<br />
und<br />
öffentliche<br />
Verwaltung<br />
Telekommunikation<br />
und<br />
Informationstechnik<br />
Transport-<br />
und<br />
Verkehrswesen<br />
(einschließlich Postwesen)<br />
Finanz-, Geld-<br />
und<br />
Versicherungswesen<br />
Sonstige<br />
(Großforschungseinrichtungen,<br />
symbolträchtige Bauwerke,<br />
Kulturgut, Medien)<br />
Betrachtet man die einzelnen Sektoren, fällt auf, dass<br />
sich mehr als 80 Prozent <strong>de</strong>r für die Funktionsfähigkeit<br />
einer Gesellschaft notwendigen Infrastrukturen<br />
in ausschließlich privater Hand befin<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r von<br />
privaten bzw. privatisierten Unternehmen betrieben<br />
und gesteuert wer<strong>de</strong>n. Diese in <strong>de</strong>n letzten Jahren<br />
sich <strong>de</strong>utlich entwickeln<strong>de</strong> Rahmenbedingung weist<br />
auf <strong>de</strong>n klaren Gemeinschaftscharakter <strong>de</strong>r Aufgaben<br />
zum Schutz Kritischer Infrastrukturen hin: Staat,<br />
Kommunen und Privatwirtschaft tragen hier eine gemeinsame<br />
Verantwortung als Teil <strong>de</strong>r gesamtstaatlichen<br />
Sicherheits- und Notfallvorsorge für die Bevölkerung.
Alle zentralen staatlichen Maßnahmen zum Schutz<br />
Kritischer Infrastrukturen in Deutschland wer<strong>de</strong>n<br />
durch das <strong>Bund</strong>esministerium <strong>de</strong>s Innern (BMI) koordiniert.<br />
Da es sich be<strong>im</strong> Schutz Kritischer Infrastrukturen<br />
um eine Schnittmenge <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen<br />
Sicherheitsaufgaben han<strong>de</strong>lt, sind die zuständigen<br />
Fachabteilungen <strong>Krisenmanagement</strong> und Bevölkerungsschutz,<br />
Öffentliche Sicherheit und IT sowie<br />
Kooperation mit <strong>de</strong>r Wirtschaft – wesentlicher Erfolgsfaktor zum Schutz<br />
Kritischer Infrastrukturen<br />
Neben <strong>de</strong>r Zusammenarbeit <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Behör<strong>de</strong>n<br />
ist aber ein wesentlicher Erfolgsfaktor für<br />
Maßnahmen zum Schutz Kritischer Infrastrukturen<br />
die Kooperation mit <strong>de</strong>r Wirtschaft, <strong>de</strong>n konkreten<br />
Infrastruktur-Unternehmen und <strong>de</strong>n Verbän<strong>de</strong>n, mit<br />
<strong>de</strong>nen potentielle Gefährdungen und Anfälligkeiten<br />
i<strong>de</strong>ntifiziert, möglicher Schwachstellen analysiert und<br />
gemeinsam Projekte initiiert und umgesetzt wer<strong>de</strong>n.<br />
Zu <strong>de</strong>n konkreten Ergebnissen dieser Kooperationen<br />
gehören zum einen verschie<strong>de</strong>ne Konzepte und Leitfä<strong>de</strong>n,<br />
die jeweils unter Beteiligung von Behör<strong>de</strong>n<br />
und Betreibern erarbeitet wur<strong>de</strong>n (vgl. Basisschutzkonzept,<br />
Leitfa<strong>de</strong>n für ein Risiko- und <strong>Krisenmanagement</strong>,<br />
Leitfa<strong>de</strong>n Notstromversorgung u.a.). Zum<br />
die Geschäftsbereichsbehör<strong>de</strong>n, das <strong>Bund</strong>esamt für<br />
Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK),<br />
das <strong>Bund</strong>esamt für Sicherheit in <strong>de</strong>r Informationstechnik<br />
(BSI), das <strong>Bund</strong>eskr<strong>im</strong>inalamt (BKA) und die<br />
<strong>Bund</strong>esanstalt Technisches Hilfswerk (THW) in diese<br />
Aufgaben pr<strong>im</strong>är eingebun<strong>de</strong>n. An<strong>de</strong>re Ressorts und<br />
Geschäftsbereichsbehör<strong>de</strong>n unterstützen je nach Bedarf.<br />
an<strong>de</strong>ren hat sich inzwischen eine Tradition gemeinsamer<br />
Übungen, u. a. durch die nationale Stabsrahmenübung<br />
LÜKEX, entwickelt, an <strong>de</strong>nen <strong>Bund</strong>,<br />
Län<strong>de</strong>r, Kommunen und Infrastruktur-Unternehmen<br />
teilnehmen, um das öffentliche und unternehmerische<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> aufeinan<strong>de</strong>r abzust<strong>im</strong>men<br />
und die Zusammenarbeit bei Großscha<strong>de</strong>nsereignissen<br />
zu trainieren. Dabei berücksichtigen die Übungen<br />
die unterschiedlichen Szenarien und Risiken für<br />
Kritische Infrastrukturen: die extremen Naturereignisse,<br />
terroristische Anschläge, Unfälle und schwere<br />
Pan<strong>de</strong>mien, die zu extremen Personalausfällen und<br />
damit zu Zusammenbrüchen von infrastrukturellen<br />
Dienstleistungen führen können.<br />
Kritische Infrastruktur: Große<br />
Bahnhöfe sind sensible<br />
Knotenpunkte <strong>im</strong> Verkehrsnetz,<br />
die nur schwer<br />
geschützt wer<strong>de</strong>n können<br />
91
92<br />
Kritische Infrastruktur: Containerbrücken <strong>im</strong><br />
Hafen Hamburg – eng vernetzte Logistik<br />
Das in <strong>de</strong>n letzten Jahren <strong>de</strong>utlich gewach-<br />
sene Politikfeld „Schutz Kritischer Infra-<br />
strukturen“ auf allen Ebenen <strong>de</strong>r staatli-<br />
chen Verwaltung ist Ausdruck einer neuen<br />
Sicherheitspartnerschaft von Staat und<br />
Wirtschaft.<br />
In vielen Gesprächen und Arbeitsgruppen mit Unternehmen<br />
hat sich dabei allerdings entgegen erster<br />
Annahmen gezeigt, dass häufig weniger technische<br />
Lösungen und Investitionen erfor<strong>de</strong>rlich sind, um<br />
<strong>de</strong>n Schutz Kritischer Infrastrukturen zu verbessern,<br />
son<strong>de</strong>rn dass <strong>im</strong> organisatorischen Bereich Defizite<br />
bestehen, die durch organisatorische Maßnahmen zu<br />
beseitigen o<strong>de</strong>r zu min<strong>im</strong>ieren sind. Zu diesen Defiziten<br />
gehören nicht selten fehlen<strong>de</strong> Risikoanalysen,<br />
ein unzureichen<strong>de</strong>s Risiko- und <strong>Krisenmanagement</strong>,<br />
nicht abgest<strong>im</strong>mte Koordination <strong>de</strong>r Maßnahmen<br />
o<strong>de</strong>r mangelhafte Kommunikation nach innen sowie<br />
nach außen zu externen Partnern wie Behör<strong>de</strong>n,<br />
Hilfsorganisationen etc. Die Beseitigung dieser Mängel<br />
bzw. ihr effektiver Beitrag für die Vorsorgeplanung<br />
ist daher gar nicht hoch genug zu bewerten.<br />
Allerdings wer<strong>de</strong>n in einigen Fällen auch investive<br />
Maßnahmen erfor<strong>de</strong>rlich sein, die vom möglichen<br />
Verzicht auf Outsourcing von wichtigen Dienstleistungen<br />
über die Versorgung mit Notstromaggregaten<br />
Hohe Sicherheitsstandards und Schutzeinrichtungen an <strong>de</strong>n<br />
Flughäfen – hier Passagierkontrolle in Hamburg<br />
o<strong>de</strong>r personellen Ressourcen bis hin zu neuen, leistungsfähigeren<br />
technischen Infrastrukturbereichen,<br />
wie neuen Netzkomponenten u.a. reichen. Daneben<br />
gibt es auch aus rein ökonomischer Sicht gewichtige<br />
Grün<strong>de</strong>, um genügend Ressourcen für die Sicherheit<br />
<strong>de</strong>s Unternehmens und damit <strong>de</strong>n Schutz <strong>de</strong>r Infrastruktureinrichtungen<br />
zur Verfügung zu stellen.<br />
Die Einhaltung von Sicherheitsstandards wird sich<br />
ten<strong>de</strong>nziell zu einer wichtigen Voraussetzung für<br />
<strong>de</strong>n Export von Waren und Dienstleitungen entwickeln<br />
(s. Best<strong>im</strong>mungen für <strong>de</strong>n US-amerikanischen<br />
Markt). Vor allem aber in Krisenzeiten rechnen sich<br />
präventive Sicherheitsstrategien, wenn aufgrund vorausschauen<strong>de</strong>r<br />
Planungen zumin<strong>de</strong>st die Kernprozesse<br />
eines Geschäftsbetriebes weiterhin aufrecht<br />
erhalten wer<strong>de</strong>n können und die Führungskräfte in<br />
<strong>de</strong>r Lage sind, schnell sach- und damit auch kostenangemessene<br />
Entscheidungen zu treffen.<br />
Insoweit können sich Investitionen in Sicherheit auch<br />
zu einem positiven Wettbewerbsfaktor entwickeln.<br />
Dies gilt für Unternehmen allgemein, insbeson<strong>de</strong>re<br />
aber für Unternehmen <strong>de</strong>r Kritischen Infrastrukturen,<br />
die dazu beitragen, die Funktionsfähigkeit von Staat<br />
und Gesellschaft zu gewährleisten und in Krisenzeiten<br />
die Versorgung <strong>de</strong>r Bevölkerung mit lebenswichtigen<br />
Gütern und Dienstleistungen zu ermöglichen,<br />
und die damit ihren Beitrag zur Inneren Sicherheit<br />
<strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r gemeinsamen Sicherheitspartnerschaft<br />
sowie einer gesamtstaatlichen Notfallvorsorge<br />
leisten.
Mo<strong>de</strong>rne, für hoch entwickelte Gesellschaften lebenswichtige<br />
Infrastruktureinrichtungen können<br />
heute mehr <strong>de</strong>nn je nur in einem internationalen Verbundsystem<br />
gewährleistet wer<strong>de</strong>n (s. europäischer<br />
Stromverbund UTCE).<br />
Ohne grenzüberschreiten<strong>de</strong> Vernetzung<br />
und Regelungen sind eine weitgehend<br />
störungsfreie Energieversorgung, vernetzte<br />
Verkehrswege, funktionieren<strong>de</strong> Informa-<br />
tions- und Telekommunikationseinrich-<br />
tungen o<strong>de</strong>r auch das hochkomplexe<br />
Finanz- und Zahlungssystem gera<strong>de</strong> <strong>im</strong><br />
europäischen Raum nicht <strong>de</strong>nkbar.<br />
Allerdings machen auch die Risiken nicht vor nationalstaatlichen<br />
Grenzen halt, wie <strong>de</strong>r Stromausfall <strong>im</strong><br />
europäischen Übertragungsnetz <strong>im</strong> November 2006<br />
mit Ursache in Deutschland und Auswirkungen von<br />
Spanien bis Österreich gezeigt hat. Daher ist es nur<br />
folgerichtig, dass sich auch die europäische Ebene<br />
mit <strong>de</strong>m Schutz Kritischer Infrastrukturen befasst.<br />
Kritische Infrastrukturen: Am 28. Juni 2007 geht <strong>de</strong>r Reaktor<br />
in Krümmel nach einem Transformatorenbrand vom Netz<br />
Kritische Infrastruktur: Umspannwerke – notwendige Schnittstellen<br />
in <strong>de</strong>r Stromversorgung<br />
Wichtige Meilensteine <strong>de</strong>s Europäischen Programms<br />
zum Schutz Kritischer Infrastrukturen (EPSKI) sind die<br />
„Mitteilung <strong>de</strong>r Kommission über ein Europäisches<br />
Programm für <strong>de</strong>n Schutz kritischer Infrastrukturen“<br />
sowie <strong>de</strong>r <strong>de</strong>rzeitige Vorschlag für eine „Richtlinie<br />
<strong>de</strong>s Rates über die Ermittlung und Ausweisung kritischer<br />
europäischer Infrastrukturen und die Bewertung<br />
<strong>de</strong>r Notwendigkeit, ihren Schutz zu verbessern“.<br />
Die Arbeit auf europäischer Ebene dient <strong>de</strong>m Ziel,<br />
<strong>de</strong>n Schutz Kritischer Infrastrukturen und die damit<br />
verbun<strong>de</strong>ne Sicherheit <strong>de</strong>r Bürger und Bürgerinnen<br />
in <strong>de</strong>n Mitgliedstaaten <strong>de</strong>r EU auch <strong>im</strong> Gesamtbereich<br />
<strong>de</strong>r Union nachhaltig zu gewährleisten.<br />
Daneben sind auch bilaterale Kooperationen und<br />
Vereinbarungen von großer Be<strong>de</strong>utung, da sich<br />
konkrete Projekte bei echtem gegenseitigem Interesse<br />
grenzüberschreitend sehr gut realisieren lassen.<br />
Das <strong>Bund</strong>esamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe<br />
hat mit verschie<strong>de</strong>nen Nachbarstaaten<br />
Kooperationsabkommen geschlossen, die auch die<br />
Zusammenarbeit be<strong>im</strong> Schutz Kritischer Infrastrukturen<br />
als Teil einer internationalen gesamtstaatlichen<br />
Notfallvorsorge umfassen. Gera<strong>de</strong> be<strong>im</strong> Schutz <strong>de</strong>r<br />
wichtigsten Kritischen Infrastrukturen wird die internationale<br />
D<strong>im</strong>ension effektiver Notfallvorsorgemaßnahmen<br />
für <strong>de</strong>n Schutz <strong>de</strong>r betroffenen Bevölkerung<br />
beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>utlich.<br />
Zum Autor: Dr. Wolfram Geier leitet die Abteilung II „Notfallvorsorge, Schutz Kritischer Infrastrukturen“ <strong>im</strong> <strong>Bund</strong>esamt für Bevölkerungsschutz<br />
und Katastrophenhilfe, Bonn<br />
93
94<br />
Psychosoziales Krisen- und Katastrophenmanagement<br />
Dr. Jutta Helmerichs<br />
Flugzeug-Unglück bei Überlingen am Bo<strong>de</strong>nsee: Kränze<br />
neben <strong>de</strong>n Trümmern am 4. Juli 2002, zwei Tage nach <strong>de</strong>r<br />
Flugzeug-Katastrophe<br />
Krisenstabspsychologie<br />
Ein Beispiel dafür ist die Vorbereitung von Krisenstäben<br />
(Unternehmen, Öffentliche Verwaltung, Gefahrenabwehr)<br />
auf <strong>de</strong>r Grundlage psychologischer<br />
Erkenntnisse. Um krisenspezifische Handlungskompetenz<br />
zu erwerben, d.h. Einzelne o<strong>de</strong>r Gruppen<br />
auf Lösungsstrategien für unklare, dynamische und<br />
gefährliche Situationen mit hoher Komplexität vorzubereiten,<br />
wer<strong>de</strong>n psychologische Erkenntnisse<br />
zum Reaktions- und Entscheidungsverhalten von<br />
Menschen eingezogen (Dörner 1989). Des weiteren<br />
wird Gruppenkompetenz vermittelt, wer<strong>de</strong>n Rollen-<br />
und Funktionsbewusstsein reflektiert, kommunikative<br />
Fähigkeiten in komplexen Anfor<strong>de</strong>rungssitua-<br />
Die Anfor<strong>de</strong>rungsprofile <strong>im</strong> Krisen- und Katastrophenmanagement<br />
haben sich <strong>im</strong> Zuge <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>rnisierungs-<br />
und Globalisierungsprozesse rasant verän<strong>de</strong>rt.<br />
Allein die Tatsache, dass die Auswirkungen<br />
von Krisen und Katastrophen in <strong>de</strong>n meisten Fällen<br />
überregionale Folgen haben, for<strong>de</strong>rt viele neue, interdisziplinär<br />
ausgerichtete Interventionen sowohl <strong>im</strong><br />
öffentlichen Bereich als auch bei privaten Konzernen<br />
und Unternehmen. Eine weitere Verän<strong>de</strong>rung <strong>im</strong><br />
Anfor<strong>de</strong>rungsprofil <strong>de</strong>r Prävention von Krisen und<br />
Katastrophen und <strong>de</strong>s Krisen- und Katastrophenmanagements<br />
ist die seit geraumer Zeit erfolgen<strong>de</strong> zunehmen<strong>de</strong><br />
Berücksichtigung von wissenschaftlichen<br />
Erkenntnissen aus Psychologie und Soziologie.<br />
tionen und interdisziplinäre Sicht- und Denkweise<br />
geschult. So ist bspw. bekannt, dass Gruppen <strong>im</strong><br />
Krisenfall bei i<strong>de</strong>ntischer Entscheidungsanfor<strong>de</strong>rung<br />
an<strong>de</strong>re Entscheidungen treffen als Einzelpersonen,<br />
dass die Fehlerrisiken, die vorbereitete Checklisten<br />
als Entscheidungshilfen in sich bergen, bei gleichzeitiger<br />
Berücksichtigung struktureller Aspekte (wie<br />
Teamstruktur, Informationstransfer etc.) verringert<br />
wer<strong>de</strong>n können o<strong>de</strong>r dass die Nutzung systemischen<br />
Denkens Abläufe und Entscheidungsprozesse in<br />
komplexen Situationen verbessert (Kulmhofer 2007;<br />
Strohschnei<strong>de</strong>r 2003; Wissmann 2002).
Bahn-Katastrophe in Esche<strong>de</strong> am 3. Juni 1998<br />
Psychosoziale Notfallversorgung<br />
Ein weiteres Beispiel für die zunehmen<strong>de</strong> Berücksichtigung<br />
psychologischer Erkenntnisse <strong>im</strong> Kontext<br />
von Krisen, schweren Unglücksfällen und Katastrophen<br />
ist die Entwicklung einer eigenen psychosozialen<br />
Versorgungsstruktur für Überleben<strong>de</strong>, Angehörige,<br />
Hinterbliebene, Vermissen<strong>de</strong>, Zeugen und<br />
weitere Betroffene. Die psychosoziale Notfallversorgung<br />
(PSNV) beginnt bereits in <strong>de</strong>r Notfallsituation<br />
und ergänzt somit die medizinische und technische<br />
Hilfeleistung. Auf die europäischen Län<strong>de</strong>r bezogen<br />
lässt sich seit Mitte <strong>de</strong>r 1990er Jahre <strong>de</strong>r Aufbau spezieller<br />
Fachdienste wie psychosoziale Kriseninterventionsteams<br />
<strong>im</strong> Rettungsdienst (KIT), Notfallseelsorge<br />
und Notfallpsychologie beobachten (Krüsmann &<br />
Müller-Cyran 2005; Lueger-Schuster et al. 2006; Seynaeve<br />
et al. 2001; WHO 2003). In Deutschland sind<br />
diese Fachdienste <strong>de</strong>r psychosozialen Notfallversorgung<br />
mittlerweile fast flächen<strong>de</strong>ckend verfügbar und<br />
haben sich in <strong>de</strong>r Praxis <strong>im</strong> Individualnotfall und<br />
bei Großscha<strong>de</strong>nslagen <strong>im</strong> Inland (wie ICE-Unglück<br />
Esche<strong>de</strong> 1998, Amoklauf Erfurt 2002, Flugzeugkollision<br />
Überlingen 2002, Flut 2002, Eissporthalleneinsturz<br />
Bad Reichenhall 2006, Transrapid-Unglück <strong>im</strong> Emsland<br />
2006) bewährt. Ihre Leistungsfähigkeit und Effektivität<br />
wur<strong>de</strong> und wird wissenschaftlich evaluiert<br />
(Beerlage et al. 2006a und 2006b; Butollo et al. 2006).<br />
Fachliche Grundlage für Aufbau und Tätigkeit dieser<br />
Dienste <strong>de</strong>r psychosozialen Notfallversorgung ist<br />
insbeson<strong>de</strong>re die Psychotraumatologie, die internationale<br />
und auch nationale wissenschaftliche Erkenntnisse<br />
zu psychosozialen Belastungen und Traumafolgestörungen<br />
bereitstellt. Ein wesentlicher Befund ist,<br />
dass die psychosozialen Folgen <strong>de</strong>r Extremerfahrung<br />
Unglücksfall o<strong>de</strong>r Katastrophe sehr vielfältig sein<br />
können. Sie sind abhängig von ganz verschie<strong>de</strong>nen<br />
Faktoren wie Art <strong>de</strong>s Unglücks (z.B. Terroranschlag,<br />
Naturkatastrophe), Schweregrad (Anzahl <strong>de</strong>r Verletzten,<br />
Verletzungsgrad) und Dauer (Verkehrsunfall,<br />
95
96<br />
Erdbeben) sowie Risiko- und Schutzfaktoren <strong>de</strong>r<br />
betroffenen Personen und <strong>de</strong>r Reaktion <strong>de</strong>r Umwelt<br />
unmittelbar nach <strong>de</strong>m Ereignis. Entsprechend muss,<br />
ergänzend zu <strong>de</strong>r Unterstützung, die Betroffene <strong>im</strong><br />
Familien- und Freun<strong>de</strong>s- und Kollegenkreis erhalten,<br />
akut, mittel- und längerfristig ein gut aufeinan<strong>de</strong>r abgest<strong>im</strong>mtes<br />
Netz an qualifizierten Betreuungs- und<br />
Versorgungsangeboten verfügbar sein (Bengel 2004;<br />
Helmerichs 2002, 2005 und 2007; Hannich 2004;<br />
Beerlage et al. 2006a und 2006b; Krabs-Höhler &<br />
Müller-Lange 2006; Hobfoll et al. 2007; Müller-Lange<br />
2006).<br />
Parallel dazu widmet sich die psychotraumatologische<br />
Forschung, aber auch die Arbeits- und Organi-<br />
sationspsychologie seit einigen Jahren verstärkt <strong>de</strong>n<br />
berufsbedingten Belastungen und einsatzbezogenen<br />
psychischen Belastungen und Erkrankungen von Einsatzkräften<br />
sowie <strong>de</strong>n Möglichkeiten und Metho<strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>r Stressverarbeitung. Das von verschie<strong>de</strong>nen Forschergruppen<br />
entwickelte Maßnahmenpaket <strong>de</strong>r psychosozialen<br />
Prävention <strong>im</strong> Einsatzwesen konzentriert<br />
sich auf Nachsorgeangebote, die mit einem gewissen<br />
zeitlichen Abstand zum belasten<strong>de</strong>n Einsatz bereitzustellen<br />
sind (Sekundäre Prävention), vor allem aber<br />
auf unterschiedliche vorbereiten<strong>de</strong> Maßnahmen <strong>im</strong><br />
Bereich <strong>de</strong>r Aus- und Fortbildung, <strong>de</strong>r betrieblichen<br />
Organisationsstruktur und <strong>de</strong>r Gesundheitsför<strong>de</strong>rung<br />
(Pr<strong>im</strong>äre Prävention) (Beerlage et al. 2008; Butollo et<br />
al. 2006).<br />
Panik und Panikprävention<br />
Als drittes Beispiel soll hier die Berücksichtigung<br />
sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse be<strong>im</strong> Thema<br />
Panik- und Panikprävention genannt wer<strong>de</strong>n. Diese<br />
spielten jüngst neben Erkenntnissen aus Computers<strong>im</strong>ulationen<br />
von menschlichem Fluchtverhalten und<br />
Evakuierungen, die <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r Vorbereitung <strong>de</strong>r<br />
FIFA Fußballweltmeisterschaft 2006 in Zusammenhang<br />
mit <strong>de</strong>r Diskussion um die Stadiensicherheit<br />
eine Rolle (Helbing et al. 2002).<br />
Die Sozialwissenschaften konzentrierten sich auf<br />
die Frage, in wieweit das Verhalten von panisch reagieren<strong>de</strong>n<br />
Menschenmengen prognostiziert wer<strong>de</strong>n<br />
kann und steuerbar ist.<br />
Massenpanik: Katastrophe <strong>im</strong> Brüsseler Heysel-Stadion<br />
am 29. Mai 1985
Festzustellen ist, dass eine hohe Panikerwartung bei<br />
Unglücksfällen und Bedrohungssituationen in <strong>de</strong>r<br />
öffentlichen Wahrnehmung besteht. Tatsächlich sind<br />
Panikreaktionen größerer Menschenmengen jedoch<br />
vergleichsweise selten, Beteiligte bei Scha<strong>de</strong>nsereignissen<br />
und Krisen reagieren zumeist rational und<br />
prosozial. Dieses Ergebnis zeigte sich auch bei <strong>de</strong>r<br />
Auswertung von 324 Evakuierungsberichten nach<br />
<strong>de</strong>m Terroranschlag auf das World Tra<strong>de</strong> Center <strong>im</strong><br />
September 2001 (Blake et al. 2004). Auch haben präventive<br />
Maßnahmen, die vor Bedrohungssituationen<br />
ergriffen wer<strong>de</strong>n, und zu <strong>de</strong>nen beispielsweise bauliche<br />
Maßnahmen, die Kennzeichnung von Notaus-<br />
Reaktionen und Bedarf <strong>de</strong>r Bevölkerung in Krisen – Beispiel Übung LÜKEX 2007<br />
Ein viertes Beispiel für die Berücksichtigung psychologischer<br />
und soziologischer Erkenntnisse <strong>im</strong> Krisen-<br />
und Katastrophenmanagement lässt sich <strong>im</strong> Rückblick<br />
auf die Übung LÜKEX 2007 und die hier bearbeitete<br />
Thematik „Pan<strong>de</strong>mie“ geben. So erfor<strong>de</strong>rte es die<br />
Übungsannahme von über 100.000 Toten innerhalb<br />
kürzester Zeit und damit einem Mehrfachen an anzunehmen<strong>de</strong>n<br />
trauern<strong>de</strong>n Familienangehörigen, einer<br />
verunsicherten Bevölkerung und zugleich hoch<br />
und mehrfach belasteter und <strong>im</strong> Dauereinsatz befindlicher<br />
Einsatzkräfte, <strong>de</strong>n Aufbau von Angebots-<br />
und Managementstrukturen für eine kontinuierliche<br />
Information <strong>de</strong>r Bevölkerung und Maßnahmen <strong>de</strong>r<br />
psychosozialen Notfallversorgung einzubeziehen.<br />
Auch die Vorbereitung und Durchführung zentraler<br />
kirchlicher und staatlicher Trauerfeierlichkeiten wäre<br />
zu berücksichtigen. Als beson<strong>de</strong>rs problematisch erwies<br />
sich, dass wissenschaftlich ausreichend fundierte<br />
gängen, die Vorbereitung von automatischen und<br />
adaptiven Fluchtleitsystemen, die Festlegung von<br />
Verantwortlichkeiten bei Rettungs- und Aufsichtspersonal,<br />
die psychische Vorbereitung <strong>de</strong>r Rettungskräfte,<br />
die Vorbereitung ein<strong>de</strong>utiger Handlungsanweisungen<br />
u.v.a.m. gehören, hohe Erfolgschancen.<br />
Dennoch wur<strong>de</strong>n Empfehlungen für die Intervention<br />
bei eingetretener massiver Panik erarbeitet. Dazu<br />
gehören beispielsweise: Aufmerksamkeit herstellen<br />
und bin<strong>de</strong>n, klare Information und ein<strong>de</strong>utige Handlungsanweisungen<br />
geben, soziale Motive för<strong>de</strong>rn,<br />
Hinweise wie<strong>de</strong>rholen, Mengen teilen (Lasogga &<br />
Gasch 2007).<br />
Planungs- und Handlungsgrundlagen für diese Maßnahmen<br />
nicht gegeben sind: Die Schutzkommission<br />
be<strong>im</strong> <strong>Bund</strong>esminister <strong>de</strong>s Innern beschreibt in ihrem<br />
Evaluationsbericht zur LÜKEX 2007 Handlungsbedarf<br />
insbeson<strong>de</strong>re bezogen auf zwei Fragestellungen: 1.<br />
Es liegen keine ausreichen<strong>de</strong>n wissenschaftlichen<br />
Erkenntnisse zur Abschätzung <strong>de</strong>s Schutz-, Flucht-<br />
und Unterstützungsverhaltens <strong>de</strong>r Bevölkerung in<br />
vergleichbaren Krisensituationen sowie zum Verlauf<br />
und Muster <strong>de</strong>r Belastungsakkumulation in lang andauern<strong>de</strong>n<br />
Bedrohungslagen vor. 2. Zur Erfassung<br />
<strong>de</strong>r Rate psychosozial hoch belasteter Bürger und<br />
damit zur Bedarfsplanung für Angebote psychosozialer<br />
Notfallversorgung sind keine (einsatz-)praxistauglichen<br />
Screeningverfahren verfügbar. LÜKEX 2007<br />
offenbarte somit umschriebene Forschungslücken.<br />
Zur Autorin: Dr. Jutta Helmerichs leitet das Referat I.5 „Psychosoziale Notfallversorgung“ <strong>im</strong> <strong>Bund</strong>esamt für Bevölkerungsschutz<br />
und Katastrophenhilfe, Bonn<br />
97
98<br />
Literatur<br />
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99
100<br />
Das Einsatzpotential <strong>de</strong>s Technischen Hilfswerks<br />
für Katastrophenhilfe und <strong>Krisenmanagement</strong><br />
Katrin Klüber<br />
International agieren<strong>de</strong>r Terrorismus, zunehmen<strong>de</strong><br />
Naturkatastrophen, Risiken be<strong>im</strong> Betrieb technischer<br />
Anlagen und Systeme in Relation zur zunehmen<strong>de</strong>n<br />
Verletzlichkeit mo<strong>de</strong>rner Infrastrukturen und <strong>de</strong>r<br />
technologieabhängigen urbanisierten Gesellschaft erfor<strong>de</strong>rn<br />
eine ständige Weiterentwicklung sowohl <strong>de</strong>r<br />
Strukturen <strong>de</strong>s Bevölkerungsschutzes als auch <strong>de</strong>s<br />
operativen <strong>Krisenmanagement</strong>s.<br />
So wie zwischen innerer und äußerer Sicherheit nicht<br />
mehr wirklich zu trennen ist, ist auch <strong>im</strong> Falle national<br />
be<strong>de</strong>utsamer Großscha<strong>de</strong>nlagen und <strong>im</strong> <strong>Krisenmanagement</strong><br />
zwischen Zivil- und Katastrophenschutz<br />
keine scharfe Trennung mehr möglich. Das „A und<br />
O“ eines funktionieren<strong>de</strong>n Zivil-, Katastrophen- und<br />
Bevölkerungsschutzes ist eine gute Zusammenarbeit<br />
aller Akteure.<br />
Die Innenministerkonferenz von <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>rn<br />
hat 2002 mit <strong>de</strong>r „Neuen Strategie zum Schutz <strong>de</strong>r<br />
Bevölkerung“ die gemeinsame Verantwortung aller<br />
Beteiligten betont. Im Sinne dieser gemeinsamen<br />
Verantwortung ergänzt <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong> die Katastrophenschutz-(KatS)-Potenziale<br />
<strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r.<br />
Das THW ist in seinen Strukturen darauf ausgerichtet,<br />
sich mit seinen operativen Einsatzpotentialen in<br />
die Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s auf allen<br />
Ebenen einzufügen. Die Aufgabe <strong>de</strong>r KatS-Verstärkung,<br />
die <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong> <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>esanstalt Technisches<br />
„Bereit zum Einsatz“: Suchhund <strong>de</strong>r THW-Fachgruppe Ortung<br />
Hilfswerk (THW) zuweist, liegt darin, mit seinem<br />
vielfältigen Einsatzpotenzial die für die Gefahrenabwehr<br />
Zuständigen national und international zu<br />
unterstützen und seine Ressourcen und Fähigkeiten<br />
möglichst opt<strong>im</strong>al mit <strong>de</strong>n Potenzialen von Feuerwehren<br />
und an<strong>de</strong>ren Einsatzorganisationen zu verbin<strong>de</strong>n.<br />
Führungs- und Einsatzstrukturen <strong>de</strong>s THW<br />
sind darauf ausgerichtet, diesen Anspruch vor allem<br />
auch in Großscha<strong>de</strong>nslagen und bei Ereignissen<br />
überregionalen nationalen Ausmaßes zu erfüllen.<br />
Auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>s Kennziffern-Kataloges <strong>de</strong>r<br />
„bun<strong>de</strong>seinheitlichen Gefährdungsbeschreibung“ <strong>de</strong>r<br />
Arbeitsgruppe „Risiken in Deutschland“ <strong>de</strong>s Arbeitskreises<br />
V (AK V) <strong>de</strong>r Innenministerkonferenz hat das<br />
THW seine Einsatzoptionen für <strong>de</strong>n Einsatz <strong>im</strong> In-<br />
und Ausland umfassend für alle Scha<strong>de</strong>nszenarien<br />
beschrieben.<br />
Für län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong> Gefahrenlagen kann das<br />
THW sein bun<strong>de</strong>sweit einheitliches System von Einheiten<br />
mit Spezialfähigkeiten, entsprechen<strong>de</strong>r Ausstattung<br />
und einheitlicher Ausbildung sowie entsprechen<strong>de</strong>n<br />
Führungs- und Unterstützungsstrukturen<br />
einsetzen.<br />
Mit seinem modularen Einsatzsystem von<br />
bun<strong>de</strong>sweit einsetzbaren Einheiten ist das<br />
THW fähig, lageangepasste Schwerpunkte<br />
zu bil<strong>de</strong>n und beson<strong>de</strong>re technische Leis-<br />
tungen auch über längere Zeiträume zu<br />
erbringen.<br />
Beispiele für die überregionale Zusammenarbeit und<br />
die Flexibilität <strong>de</strong>s bun<strong>de</strong>sweit einsetzbaren Modulsystems<br />
<strong>de</strong>r Technischen Züge mit ihren Fachgruppen<br />
zeigen nationale Scha<strong>de</strong>nsereignisse wie z.B.<br />
Unwetter, Hochwasserlagen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r großflächige<br />
Ausfall von Infrastrukturen, beispielsweise. <strong>de</strong>r<br />
Stromversorgung.
Das THW <strong>im</strong> operativen <strong>Krisenmanagement</strong><br />
Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 <strong>de</strong>s THW-Helferrechtsgesetzes<br />
ist es die originäre Aufgabe <strong>de</strong>s THW, <strong>im</strong> Zivilschutz<br />
(d.h. <strong>im</strong> Verteidigungsfall) technische Hilfe<br />
zu leisten. Unter Nr. 3 ist die Amtshilfe auf Ersuchen<br />
<strong>de</strong>r für die Gefahrenabwehr zuständigen Stellen als<br />
ein weiterer Auftrag <strong>de</strong>s THW formuliert.<br />
Das THW kann in diesem Aufgabenbereich auf Anfor<strong>de</strong>rung<br />
<strong>de</strong>r für die Gefahrenabwehr zuständigen<br />
Stellen <strong>de</strong>r Kommunen und Län<strong>de</strong>r herangezogen<br />
wer<strong>de</strong>n. Anfor<strong>de</strong>rungen (Amtshilfeersuchen) können<br />
an je<strong>de</strong> Ebene <strong>de</strong>s THW (Ortsbeauftragter, Lan<strong>de</strong>sbeauftragter/<br />
Geschäftsführer, THW-Leitung) gerichtet<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Verbindung zwischen <strong>de</strong>n planerisch und vorsorgend<br />
tätigen Verwaltungsebenen und <strong>de</strong>r operativen<br />
Einsatztätigkeit vor Ort ist <strong>im</strong> THW durch die Einrichtung<br />
von Leitungs- und Koordinierungsstäben auf<br />
allen Ebenen geregelt, die lageangepasst die Kommunikation<br />
mit <strong>de</strong>n Verwaltungsebenen von <strong>Bund</strong>,<br />
Län<strong>de</strong>rn und Kommunen aufrechterhalten. Im Einsatz<br />
vermitteln THW-Fachberater in <strong>de</strong>n Stäben auf<br />
örtlicher Ebene, bei <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn sowie <strong>im</strong> <strong>Bund</strong> die<br />
notwendige Verzahnung <strong>de</strong>r Strukturen.<br />
Im Einsatzfall wer<strong>de</strong>n die THW-Einheiten grundsätzlich<br />
<strong>de</strong>r örtlichen Einsatzleitung unterstellt und erhalten<br />
von dieser ihre Einsatzaufträge. In <strong>de</strong>r Regel<br />
obliegt die Einsatzleitung <strong>de</strong>r Feuerwehr. Erfahrungsgemäß<br />
übertragen Gefahrenabwehrbehör<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r<br />
an<strong>de</strong>re Stellen <strong>de</strong>m THW oft fachlich o<strong>de</strong>r räumlich<br />
abgeschlossene Aufgaben, die es hinsichtlich Führung,<br />
Taktik, Technik und Logistik eigenständig löst.<br />
Dabei setzt das THW in kleineren wie in Großscha<strong>de</strong>nslagen<br />
sein Potenzial angepasst an die Führungsstruktur<br />
<strong>de</strong>s Bedarfsträgers ein.<br />
THW <strong>im</strong> Einsatz<br />
101
102<br />
THW <strong>im</strong> Einsatz: Arbeiten mit einem Greifzug<br />
Für <strong>de</strong>n Einsatz stehen in je<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r 669 Ortsverbän<strong>de</strong><br />
min<strong>de</strong>stens ein Technischer Zug (TZ), bestehend aus<br />
Zugtrupp, zwei Bergungsgruppen und min<strong>de</strong>stens<br />
einer Fachgruppe, zur Verfügung. Die Bergungsgruppen<br />
sind mit ihrem Personal und <strong>de</strong>r Ausstattung in<br />
<strong>de</strong>r Lage, die Kernkompetenzen <strong>de</strong>s THW in einem<br />
breiten Aufgabenspektrum abzu<strong>de</strong>cken, d.h. zu retten,<br />
zu bergen, Sicherungs- und leichte Räumarbeiten<br />
vorzunehmen sowie technische Hilfe zu leisten.<br />
Bergen und Retten – Aufgaben <strong>de</strong>s THW<br />
Die bun<strong>de</strong>sweit einsatztaktisch dislozierten THW-<br />
Fachgruppen ergänzen und erweitern das Spektrum<br />
qualitativ und quantitativ in <strong>de</strong>n Bereichen: Ortung;<br />
Räumen; Wassergefahren; Wasserscha<strong>de</strong>n / Pumpen;<br />
Sprengen; Infrastruktur; Elektroversorgung; Beleuchtung;<br />
Trinkwasserversorgung; Ölscha<strong>de</strong>nbekämpfung;<br />
Brückenbau.<br />
Für umfassen<strong>de</strong> Dienstleistungen für die THW-Einheiten<br />
<strong>im</strong> Einsatz stehen Fachgruppen Führung /<br />
Kommunikation und Logistik zur Verfügung.<br />
Das Technische Hilfswerk ist ein wesentliches Element <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r „ Neuen Strategie zum<br />
Schutz <strong>de</strong>r Bevölkerung“. Mit <strong>de</strong>m THW steht eine Einsatzorganisation für die unmittelbare Katastrophenhilfe<br />
<strong>im</strong> In- und Ausland zur Verfügung. Mit seinen Kernkompetenzen in Bergung,<br />
Beleuchtung und bei Wie<strong>de</strong>rherstellung <strong>de</strong>r Infrastruktur ist das Technische Hilfswerk in <strong>de</strong>n<br />
vergangenen Jahren zu einem einzigartigen Kompetenzzentrum für Technische Hilfe in In- und<br />
Ausland gewor<strong>de</strong>n. Rund 80.000 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, unter ihnen zahlreiche<br />
Techniker, Ingenieure, Logistiker und Spezialisten aller Art, gehören <strong>de</strong>m bun<strong>de</strong>sweit organisierten<br />
THW heute an. Durch die enge Verzahnung <strong>de</strong>s THW in <strong>de</strong>r örtlichen Gefahrenabwehr<br />
und <strong>de</strong>r partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>n Hilfsorganisationen einerseits und an<strong>de</strong>rerseits<br />
<strong>de</strong>n län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong>n Möglichkeiten einer <strong>Bund</strong>esbehör<strong>de</strong> n<strong>im</strong>mt das THW eine<br />
Schlüsselposition <strong>im</strong> Gesamtsystem ein.<br />
Zur Autorin: Katrin Klüber leitet <strong>de</strong>s Referat „Grundsatz“ in <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>esanstalt Technisches Hilfswerk, Bonn.
Die Hilfsorganisationen als Partner <strong>de</strong>s Staates.<br />
Ein Plädoyer für ihre Unverzichtbarkeit zum Wohl <strong>de</strong>r<br />
Bürger aus Sicht <strong>de</strong>s Malteser Hilfsdienstes<br />
Benedikt Lieflän<strong>de</strong>r<br />
Stellt man sich die Frage, welche Funktion die Hilfsorganisationen<br />
heute in unserer Gesellschaft haben<br />
o<strong>de</strong>r haben können, wird man zwangsläufig staatsphilosophische,<br />
staatsrechtliche und soziologische<br />
Grundlagen in <strong>de</strong>n Fokus <strong>de</strong>r Untersuchung und<br />
Darlegung stellen. Zu<strong>de</strong>m muss man sich darüber<br />
<strong>im</strong> Klaren sein, dass die Hilfsorganisationen auf <strong>de</strong>m<br />
Gebiet <strong>de</strong>s Bevölkerungsschutzes bzw. <strong>de</strong>r Notfallvorsorge<br />
mit Menschen für Menschen arbeiten. Das<br />
hört sich einfach und eventuell sogar trivial an, und<br />
<strong>de</strong>nnoch hat dies erhebliche Be<strong>de</strong>utung für die Funktion<br />
<strong>de</strong>r Hilfsorganisationen und die Frage, wie <strong>de</strong>r<br />
Staat seine originäre Aufgabe, <strong>de</strong>n Bürger zu schützen,<br />
wahrn<strong>im</strong>mt, wie er Menschen für diese Aufgabe<br />
fin<strong>de</strong>t und anleitet.<br />
Im Hinblick darauf, dass bürgerschaftliches Engagement<br />
und Hilfsorganisationen eng miteinan<strong>de</strong>r<br />
verbun<strong>de</strong>n sind, muss an dieser Stelle auch die Frage<br />
beantwortet wer<strong>de</strong>n, ob <strong>de</strong>r so genannte „Dritte<br />
Sektor“ mit seinen Hilfsorganisationen – neben <strong>de</strong>r<br />
Aufgabenwahrnehmung durch <strong>de</strong>n Staat selbst und<br />
durch die Wirtschaft – als so genannter Non-Profit-<br />
Bereich politisch noch gewollt ist. Dabei stellt sich<br />
vor allem auch die Frage, ob das Subsidiaritätsprinzip<br />
heute noch eine Grundlage politischen Han<strong>de</strong>lns ist.<br />
Für das Selbstverständnis <strong>de</strong>r Hilfsorganisationen ist<br />
das Prinzip, welches das Verhältnis <strong>de</strong>s Staates zu<br />
seinen Bürgern beschreibt, je<strong>de</strong>nfalls eine (die) entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />
Grundlage.<br />
Gesellschaftspolitisch ist Subsidiarität ein<br />
Prinzip, nach <strong>de</strong>m übergeordnete gesell-<br />
schaftliche Einheiten nur solche Aufgaben<br />
übernehmen sollen, zu <strong>de</strong>ren Wahrneh-<br />
mung untergeordnete Einheiten nicht in<br />
<strong>de</strong>r Lage sind. Damit ist auch <strong>de</strong>r Anspruch<br />
an <strong>de</strong>n Bürger verbun<strong>de</strong>n, dass er sich<br />
selbst engagieren und verpflichten soll.<br />
103
104<br />
Die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer <strong>de</strong>r Hilfsorganisationen<br />
bewähren sich täglich <strong>im</strong> Dienst für Bürgerinnen und<br />
Bürger<br />
Aber auch be<strong>im</strong> Subsidiaritätsprinzip stellt <strong>de</strong>r Staat<br />
die Rahmenbedingungen – aber eben nur diese – und<br />
übergibt die Ausführung an <strong>de</strong>n Bürger. Nur dort, wo<br />
<strong>de</strong>r Bürger die Zielerreichung nicht leisten kann, tritt<br />
<strong>de</strong>r Staat dann wie<strong>de</strong>rum subsidiär ein.<br />
Der Gedanke <strong>de</strong>r Subsidiarität ist durchaus <strong>im</strong> Grundgesetz<br />
verankert – z.B. in Art 28 GG. Er war je<strong>de</strong>nfalls<br />
von <strong>de</strong>n Verfassungsvätern mittelbar als Leitgedanke<br />
für die gesellschaftspolitische Entwicklung und Normensetzung<br />
vorgesehen. Mit Blick auf unser Thema<br />
be<strong>de</strong>utet das, dass die Hilfsorganisationen <strong>de</strong>m<br />
Subsidiaritätsprinzip Gestalt geben, in<strong>de</strong>m sie bürgerschaftliches<br />
Engagement for<strong>de</strong>rn und motivieren<br />
und seine effiziente Umsetzung organisieren. Damit<br />
haben die Hilfsorganisationen eine wesentliche Katalysatorfunktion:<br />
Sie bün<strong>de</strong>ln und fokussieren Einzelengagements<br />
wirksam auf ein Ziel hin.<br />
Elbehochwasser 2006: die DLRG <strong>im</strong> Einsatz<br />
Zur Geschichte <strong>de</strong>r Hilfsorganisationen<br />
Der Wert <strong>de</strong>r Hilfsorganisationen für die <strong>Bund</strong>esrepublik<br />
Deutschland soll nachfolgend an zwei Gedanken<br />
zur Historie ver<strong>de</strong>utlicht wer<strong>de</strong>n. Die Hilfsorganisationen<br />
wur<strong>de</strong>n aus unterschiedlichen Motiven<br />
heraus gegrün<strong>de</strong>t: Der Arbeiter Samariter <strong>Bund</strong> wur<strong>de</strong><br />
aus <strong>de</strong>m Solidaritätsgedanken heraus gegrün<strong>de</strong>t,<br />
das Deutsche Rote Kreuz aus <strong>de</strong>m humanitären Gedanken,<br />
die Johanniter Unfall Hilfe und <strong>de</strong>r Malteser<br />
Hilfsdienst aus christlicher Verantwortung. Dies waren<br />
durchaus unterschiedliche Strömungen, die aber<br />
auch und gera<strong>de</strong> heute – noch – <strong>de</strong>n unschätzbaren<br />
Vorteil bieten, in ihrer Summe in einer pluralistischen<br />
Gesellschaft viele Menschen ansprechen zu können.<br />
Denn Hilfe mit Menschen für Menschen ist keine rein<br />
technisch-organisatorische Maßnahme, son<strong>de</strong>rn be<strong>de</strong>utet<br />
persönliches Engagement auf <strong>de</strong>r Grundlage<br />
einer individuellen Motivation.<br />
Die drei großen Hilfsorganisationen in Deutschland<br />
haben nach <strong>de</strong>r Genfer Konvention jeweils einen<br />
beson<strong>de</strong>ren Status: Das Deutsche Rote Kreuz ist als<br />
nationale Hilfsgesellschaft, die Johanniter Unfall-<br />
Hilfe und <strong>de</strong>r Malteser Hilfsdienst sind als freiwillige<br />
Hilfsgesellschaften in beson<strong>de</strong>rer Weise seitens <strong>de</strong>s<br />
Staates eingebun<strong>de</strong>n und anerkannt. Neben <strong>de</strong>n drei<br />
genannten Organisationen ist <strong>de</strong>r Arbeiter-Samariter-<br />
<strong>Bund</strong> als weitere Hilfsorganisation in <strong>de</strong>n Zivil- und<br />
Katastrophenschutz <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es und <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r sowie<br />
die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft in<br />
<strong>de</strong>n Katastrophenschutz <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r eingebun<strong>de</strong>n.<br />
Dies hat Folgerungen: Durch <strong>de</strong>n eigenen Auftrag<br />
und die staatliche Anerkennung sind die Hilfsorganisationen<br />
Garanten für die unparteiische humanitäre<br />
Hilfeleistungen in Krisensituationen (In- und Ausland).
Über die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Hilfsorganisationen für <strong>de</strong>n Bevölkerungsschutz in Deutschland:<br />
„Im Bevölkerungsschutz arbeiten private Hilfsorganisationen und öffentlich-rechtliche Einrichtungen<br />
eng zusammen. Erst die enge Zusammenarbeit aller Kräfte (von <strong>Bund</strong>, Län<strong>de</strong>rn, Kommunen<br />
und privaten Hilfsorganisationen) garantiert einen opt<strong>im</strong>alen Schutz <strong>de</strong>r Bevölkerung. Dabei<br />
ist die freiwillige Mitarbeit in <strong>de</strong>n Hilfsorganisationen ein wesentlicher Bestandteil <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen<br />
Sicherheitsarchitektur. Die öffentlich-rechtlichen Einrichtungen (Feuerwehr und THW) sowie die<br />
privaten Hilfsorganisationen (ASB, DLRG, DRK, JUH, MHD) bedürfen dieses ehrenamtlichen<br />
Engagements, um ihren Auftrag in <strong>de</strong>r Gesellschaft erfüllen zu können. Ohne aktives bürgerschaftliches<br />
Engagement wäre <strong>de</strong>r Zivil- und Katastrophenschutz in Deutschland un<strong>de</strong>nkbar.<br />
Die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer sind die Basis einer Sicherheitsarchitektur, die sich<br />
täglich bewährt.“<br />
Website <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>esamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe<br />
Wert <strong>de</strong>r Hilfsorganisationen in <strong>de</strong>r Gefahrenabwehr<br />
Meines Erachtens ist <strong>de</strong>utlich zu erkennen, dass die<br />
aktuellen Risiken und Bedrohungen sowie nicht zuletzt<br />
die Großveranstaltungen <strong>de</strong>r letzten Jahre unzweifelhaft<br />
zeigen, dass das Ehrenamt in <strong>de</strong>r Notfallvorsorge<br />
unverzichtbar ist. Wer meint, <strong>de</strong>rartige<br />
Größenordnungen mit hauptberuflichen Kräften –<br />
mit so genannter „stehen<strong>de</strong>r Truppe“ – bewältigen<br />
zu können, irrt grundlegend. Auch wenn wir in<br />
Deutschland für die tägliche nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr<br />
eine ausgezeichnete Ab<strong>de</strong>ckung gera<strong>de</strong><br />
durch die Feuerwehren und <strong>de</strong>n Rettungsdienst haben,<br />
ist es aus finanziellen und Kapazitätsgrün<strong>de</strong>n<br />
unrealistisch zu meinen, in Katastrophenfällen käme<br />
man ohne ehrenamtliche Kräfte aus. Denn die Hilfsorganisationen<br />
entfalten wertvolle gesellschaftliche<br />
Wirkungen für <strong>de</strong>n Bereich Notfallsorge:<br />
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Gesellschaft verwurzelt sind.<br />
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te / Institutionen in unserer Gesellschaft.<br />
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sönliche Betroffenheit durch bestehen<strong>de</strong> Risiken<br />
zu vermitteln.<br />
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völkerung gera<strong>de</strong> in unangenehmen Fragen<br />
entgegen – hier in <strong>de</strong>r Notfallvorsorge – nach<br />
<strong>de</strong>m Motto: „Dafür haben wir ja die Feuerwehr,<br />
<strong>de</strong>n Rettungsdienst, die Polizei, die <strong>Bund</strong>eswehr<br />
und auch z.B. <strong>de</strong>n Pflegedienst.“<br />
Aus diesen Grün<strong>de</strong>n ist es sinnvoll, die Hilfsorganisationen<br />
als verlässliche Partner <strong>de</strong>s Staates <strong>im</strong> System<br />
<strong>de</strong>r Notfallvorsorge zu verankern, damit ein breit angelegtes<br />
Potenzial als Grundlage für Aufwuchs und<br />
zur Durchhaltefähigkeit verfügbar bleibt.<br />
105
106<br />
Gefahren für die Partnerschaft zwischen Staat und Hilfsorganisationen<br />
Diese Partnerschaft wird zunehmend durch eine Reihe<br />
von Faktoren und Entwicklungen gefähr<strong>de</strong>t, die<br />
nachfolgend betrachtet wer<strong>de</strong>n sollen:<br />
1. Verstaatlichungsten<strong>de</strong>nzen: Die Partnerschaft ist<br />
gefähr<strong>de</strong>t durch eine Verstaatlichung, durch die zunehmen<strong>de</strong><br />
unmittelbare Eigenwahrnehmung von<br />
Aufgaben durch <strong>de</strong>n Staat, auch dort, wo <strong>im</strong> Sinne<br />
<strong>de</strong>s Subsidiaritätsprinzips eine vertrauensvolle Delegation<br />
o<strong>de</strong>r Selbstorganisation durch nichtstaatliche<br />
Einrichtungen möglich wäre. Wir sehen diese Ten<strong>de</strong>nz<br />
beispielsweise dort, wo rettungsdienstliche<br />
Aufgaben durch kommunale Aufgabenträger über<br />
die alltägliche Gefahrenabwehr hinaus durch eigene<br />
hauptberufliche Kräfte abgesichert wer<strong>de</strong>n. Wir<br />
sehen es weiterhin dort, wo seit Jahren eine Verlagerung<br />
<strong>de</strong>r Entwicklungen in <strong>de</strong>r Notfallvorsorge und<br />
<strong>de</strong>r Finanzierung auf staatliche Organisationen – z.B.<br />
Technisches Hilfswerk – stattfin<strong>de</strong>t.<br />
2. Professionalisierung: Sie ist gefähr<strong>de</strong>t durch eine<br />
Professionalisierung <strong>im</strong> Sinne <strong>de</strong>r Verlagerung von<br />
Aufgaben in hauptberufliche Tätigkeiten. Wir sehen<br />
das dort, wo ehrenamtlich tätigen Einsatzkräften zunehmend<br />
attraktive Betätigungsfel<strong>de</strong>r, beispielsweise<br />
bei <strong>de</strong>r Mitwirkung <strong>im</strong> Rettungsdienst und Krankentransport,<br />
entzogen wer<strong>de</strong>n, die nur noch durch „Berufskräfte“<br />
wahrgenommen wer<strong>de</strong>n, obwohl es für<br />
<strong>de</strong>n Einsatz <strong>im</strong> Katastrophenschutz zwingend erfor<strong>de</strong>rlich<br />
ist, dass die Helfer auf diesen Gebieten Erfahrung<br />
gewinnen und Übung bekommen.<br />
3. Rahmenbedingungen: Sie ist gefähr<strong>de</strong>t durch nicht<br />
zureichen<strong>de</strong> staatliche Rahmenbedingungen. Wir sehen<br />
dies dort, wo privates freiwilliges Engagement in<br />
<strong>de</strong>r Gefahrenabwehr zunehmend durch unzumutbare<br />
Bedingungen eingeschränkt bzw. behin<strong>de</strong>rt wird.<br />
Als Beispiel soll exemplarisch das Ärgernis genannt<br />
wer<strong>de</strong>n, dass zwischen Helfern in <strong>de</strong>n Hilfsorganisationen<br />
und <strong>de</strong>n Helfern in staatlichen Organisationen<br />
eine eklatante steuerliche Ungleichbehandlung<br />
bei <strong>de</strong>r Zahlungen von Aufwandsentschädigungen<br />
herrscht – was politisch und tatsächlich scheinbar<br />
unüberwindbar ist – , <strong>de</strong>s Weiteren, dass zunehmend<br />
eine Kostenverlagerung (Betrieb / Unterhalt / Ausbildung<br />
<strong>de</strong>r Katastrophenschutzeinheiten) auf die Organisationen<br />
stattfin<strong>de</strong>t.<br />
Neuer Gerätewagen Sanitätsdienst <strong>de</strong>r Malteser Ortsglie<strong>de</strong>rung<br />
Rosenhe<strong>im</strong>
4. „Salami-Taktik“ und „Rosinen-Pickerei“: Sie ist <strong>de</strong>utlich<br />
gefähr<strong>de</strong>t durch eine staatliche „Salami-Taktik“<br />
und „Rosinen-Pickerei“. Was be<strong>de</strong>utet das? Der Staat<br />
n<strong>im</strong>mt nur <strong>de</strong>n Einzeldienst <strong>de</strong>r Hilfsorganisation <strong>im</strong><br />
Sinne einer merkantilen Einzelleistung in <strong>de</strong>n Blick<br />
und stellt diese in <strong>de</strong>r Folge in <strong>de</strong>n Wettbewerb. Es<br />
fehlt ihm zunehmend das Bewusstsein für das Gesamtportfolio<br />
<strong>de</strong>r Dienste, die Bewertung und Berücksichtigung<br />
<strong>de</strong>r Gesamtleistung <strong>de</strong>r Hilfsorganisationen<br />
für die Gesellschaft unter Einschluss aller<br />
Dienste mit <strong>de</strong>n damit verbun<strong>de</strong>nen Synergien, aber<br />
auch Abhängigkeiten. Damit wird <strong>de</strong>n Hilfsorganisationen<br />
die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Basis entzogen, die darauf<br />
ausgerichtet ist, i<strong>de</strong>elle gemeinschafts notwendige<br />
Dienste <strong>im</strong> Kontext aller Dienste erst durchführen zu<br />
können.<br />
5. Europäische Union und Ausschreibung: Dieser<br />
Gedanke steht in unmittelbarem Zusammenhang<br />
mit <strong>de</strong>m Instrument <strong>de</strong>r Ausschreibung, das über<br />
die Politik <strong>de</strong>r Europäischen Union, über <strong>de</strong>ren<br />
Rechtsetzung und Rechtsprechung auf Deutschland<br />
übergreift. Die Europäische Union kennt Hilfsorganisationen,<br />
wie sie in Deutschland zum Wohle <strong>de</strong>r<br />
Gemeinschaft seit vielen Jahren etabliert sind, nicht.<br />
Die Europäische Union weiß mit <strong>de</strong>m so genannten<br />
„Dritten Sektor“ nichts Richtiges anzufangen und<br />
muss <strong>de</strong>shalb verständlicherweise das Wirken <strong>de</strong>r<br />
Hilfsorganisationen – da offensichtlich nicht staatliches<br />
Han<strong>de</strong>ln – in <strong>de</strong>n Sektor <strong>de</strong>s marktwirtschaft-<br />
lichen Han<strong>de</strong>lns einordnen, mit allen verheeren<strong>de</strong>n<br />
Folgen für <strong>de</strong>n Non-Profit-Bereich. Und: Offensichtlich<br />
ist die Politik nicht in <strong>de</strong>r Lage, auf europäischer<br />
Ebene Aufklärung gera<strong>de</strong> auch aus <strong>de</strong>m Eigeninteresse<br />
<strong>de</strong>r hiesigen Gesellschaft heraus zu betreiben<br />
und Einfluss zu nehmen.<br />
So wird seit Jahren die Übertragung von Aufgaben<br />
auf Hilfsorganisationen <strong>im</strong> Sinne wirtschaftlich abgegrenzter<br />
„Leistungserbringungen“ <strong>de</strong>utlich reduziert,<br />
ohne <strong>de</strong>n Bezug zu <strong>de</strong>n systemischen Zusammenhängen<br />
<strong>de</strong>r staatlichen Gefahrenabwehr insgesamt<br />
und die synergetischen Verknüpfungen <strong>de</strong>r Dienste<br />
<strong>de</strong>r Hilfsorganisationen zu berücksichtigen. Die Folge<br />
ist auch, dass sich dadurch ein „Nebeneinan<strong>de</strong>r“<br />
von staatlichem Gesundheitswesen und Gefahrenabwehr<br />
bei Großscha<strong>de</strong>nereignissen und Katastrophen<br />
je<strong>de</strong>nfalls dort einstellt, wo diese bei<strong>de</strong>n Aufgabenfel<strong>de</strong>r<br />
nicht in einem Ressort wahrgenommen wer<strong>de</strong>n<br />
– zum Beispiel bei Rettungsdienst / Katastrophenschutz.<br />
Politik und Recht treiben die Hilfsorganisationen<br />
dadurch in einen – je<strong>de</strong>nfalls teilweise – ruinösen<br />
Wettbewerb, obwohl sie <strong>de</strong>r Gesellschaft dienen<strong>de</strong><br />
Non-Profit-Organisationen sind. Wenn <strong>de</strong>r Staat diesen<br />
Weg tatsächlich beschreiten will, dann muss er<br />
sich über die Folgen für unsere Gesellschaft <strong>im</strong> Klaren<br />
sein.<br />
107
108<br />
Der Staat verliert zunehmend <strong>de</strong>n beson-<br />
<strong>de</strong>ren Mehrwert, <strong>de</strong>n die Hilfsorganisatio-<br />
nen erzeugen, in<strong>de</strong>m er ihre Dienste nur<br />
selektiv – scheibchenweise – und gegenein-<br />
an<strong>de</strong>r ausspielend abfor<strong>de</strong>rt.<br />
6. Netzwerk <strong>de</strong>r Dienste: Die Dienste <strong>de</strong>r Hilfsorganisationen<br />
sind ein synergetisch verknüpftes Netzwerk.<br />
Ausbildung, Rettungsdienst, Katastrophenschutz und<br />
Katastrophenhilfe, Sanitätseinsätze und auch soziale<br />
Dienste bedingen sich. Die traditionellen Aufgaben<br />
<strong>de</strong>r Hilfsorganisation sind heute tatsächlich weit in<br />
das Feld eines Wohlfahrtsverban<strong>de</strong>s vorgedrungen.<br />
Die Dienste sind über die Helfer und umgekehrt die<br />
Zum Verständnis von Staat und Hilfsorganisationen<br />
Abschließend zu diesem Gedanken stellt sich die<br />
nahe liegen<strong>de</strong> Frage: Sollen die Hilfsorganisationen<br />
rein unternehmerische, ausschließlich am Markt sich<br />
orientieren<strong>de</strong> und agieren<strong>de</strong> Sozialkonzerne wer<strong>de</strong>n?<br />
Meine ein<strong>de</strong>utige Antwort lautet:<br />
Unsere Gesellschaft wird arm sein, wenn<br />
das bürgerschaftliche Engagement für <strong>de</strong>n<br />
Nächsten – in meinem Sinne: die Nächsten-<br />
liebe – nicht mehr Platz greift.<br />
Gera<strong>de</strong> angesichts <strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>r nächsten<br />
Jahrzehnte ist die uneigennützige Sorge um <strong>de</strong>n<br />
Nächsten unabdingbare Voraussetzung für die Stabilität<br />
unserer Gesellschaft, da die Sicherstellung <strong>de</strong>r<br />
notwendigen Hilfe durch hauptberufliche Kräfte –<br />
aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Quantität und Finanzierbarkeit –<br />
nicht möglich sein wird.<br />
Helfer über die Dienste tatsächlich sowie über die<br />
Finanzen eng miteinan<strong>de</strong>r verknüpft.<br />
Deutlichstes Beispiel dafür ist die Notfallkompetenz.<br />
Sie ist nicht einfach da, sie wird von <strong>de</strong>r Hilfsorganisation<br />
durch die Mitwirkung <strong>im</strong> Rettungsdienst erworben,<br />
sie wird durch die Hilfsorganisation in die<br />
Erste-Hilfe-Ausbildung und die Aus- und Weiterbildung<br />
<strong>de</strong>r Helferinnen und Helfer eingebracht. Sie<br />
wird unmittelbar durch die Helferinnen und Helfer<br />
<strong>de</strong>s Katastrophenschutzes in ihrem Einsatz <strong>im</strong> Rettungsdienst<br />
erworben und vertieft. Sie ist ein Motivationselement<br />
zur Gewinnung Ehrenamtlicher. Wenn<br />
<strong>de</strong>n Hilfsorganisationen durch kurzsichtige Finanzstrategien<br />
<strong>de</strong>r staatlich Verantwortlichen die Einbindung<br />
in <strong>de</strong>n Rettungsdienst genommen wird, fällt das<br />
Gebäu<strong>de</strong> zusammen.<br />
Mit Blick auf die Herausfor<strong>de</strong>rungen allein in <strong>de</strong>n<br />
nächsten zehn bis zwanzig Jahren ist <strong>de</strong>r Staat gut<br />
beraten, wenn er <strong>de</strong>n ehrenamtlichen Helfer in <strong>de</strong>n<br />
und über die Hilfsorganisationen för<strong>de</strong>rt und pflegt.<br />
Der Staat kann hier mit relativ geringen Mitteln einen<br />
„Mehrwert bürgerschaftlichen Engagements“ generieren,<br />
<strong>de</strong>n er dringend benötigt. Dazu müssen aber<br />
administrative Hür<strong>de</strong>n abgebaut und Vorteile für die<br />
Ehrenamtlichen geschaffen wer<strong>de</strong>n.<br />
Erdbeben in China Mai 2008: Entla<strong>de</strong>n von Fahrzeugen für<br />
ein Hospital
Die Hilfsorganisationen sind auch künftig bereit,<br />
sich nachhaltig als Partner <strong>de</strong>s Staates zu verstehen.<br />
Jedoch darf das Einbringen von Eigenmitteln <strong>de</strong>r<br />
Hilfsorganisationen nicht überstrapaziert wer<strong>de</strong>n.<br />
Seit Jahren investieren die Hilfsorganisationen erhebliche<br />
Mittel in die originär staatliche Aufgabe <strong>de</strong>r<br />
Notfallvorsorge. Die Vertretbarkeit <strong>de</strong>r Substituierung<br />
staatlicher Mittelausfälle wird aber <strong>im</strong>mer <strong>de</strong>utlicher<br />
in Frage gestellt: Wofür spen<strong>de</strong>n die Bürger? Wollen<br />
sie ihre Spen<strong>de</strong> für eine Aufgabe verwen<strong>de</strong>t sehen,<br />
für die sie mit ihren Steuern bereits bezahlen? O<strong>de</strong>r<br />
wollen sie Aufgaben am Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>r gesellschaftlichen<br />
Präsenz geför<strong>de</strong>rt sehen (Hospizarbeit, Sorge für alte,<br />
kranke, allein stehen<strong>de</strong> Menschen)?<br />
Die Partnerschaft <strong>de</strong>r Hilfsorganisationen ist letztendlich<br />
auch dadurch gefähr<strong>de</strong>t, dass <strong>de</strong>r Staat auf<br />
<strong>de</strong>m besten Wege ist, die Präsenz staatlicher Vorsorge<br />
<strong>im</strong> Katastrophenschutz in <strong>de</strong>r Fläche zu reduzieren.<br />
Wenn <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong> in Zukunft nur noch zwei Drittel seines<br />
bisherigen Potenzials für <strong>de</strong>n Katastrophenschutz<br />
stellt, wer<strong>de</strong>n dann die Län<strong>de</strong>r ihrer politische Zusage<br />
effizient nachkommen, das fehlen<strong>de</strong> Drittel aus<br />
eigenen Ressourcen zu stellen?<br />
Es ist politisch nicht vertretbar, dass <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong> und<br />
die Län<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r vorgenannten D<strong>im</strong>ension das Ehrenamt<br />
flächen<strong>de</strong>ckend und dauerhaft gefähr<strong>de</strong>n! Insofern<br />
geht es bei <strong>de</strong>r geführten Diskussion pr<strong>im</strong>är<br />
um die politische Frage <strong>de</strong>s Zieles, um die substantielle<br />
Wirkung und die realen Folgen einer Neukonzeption<br />
– und nicht um ein „Nachverhan<strong>de</strong>ln“ <strong>de</strong>r<br />
von <strong>de</strong>r Ministerialbürokratie erstellten Konzepte.<br />
Als Fazit ergibt sich daraus:<br />
1. Die Hilfsorganisationen wer<strong>de</strong>n die Bemühun-<br />
gen von <strong>Bund</strong>, Län<strong>de</strong>rn und Kommunen um<br />
eine neue Strategie zum Schutz <strong>de</strong>r Bevölkerung<br />
in Deutschland unter beson<strong>de</strong>rer Beachtung <strong>de</strong>r<br />
angesprochenen Aspekte weiter begleiten.<br />
2. Politik und Staat sind auf allen Ebenen gut bera-<br />
ten, wenn sie die Kraft, die in <strong>de</strong>r „Bürgerinitia-<br />
tive Hilfsorganisation“ steckt, annehmen, unter -<br />
stützen und nutzen.<br />
3. Die Anfor<strong>de</strong>rungen, die sich in nächster Zeit aus<br />
<strong>de</strong>n Sicherheitsrisiken und <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mografischen<br />
Entwicklung an Staat, Politik und Gesellschaft er-<br />
geben, stehen <strong>im</strong> Wi<strong>de</strong>rspruch zu <strong>de</strong>n tatsächli-<br />
chen und finanziellen Möglichkeiten.<br />
4. Die Politik ist angesichts dieser Lage gut beraten,<br />
<strong>de</strong>n Gedanken <strong>de</strong>r Subsidiarität wie<strong>de</strong>r gezielt zu<br />
för<strong>de</strong>rn. Der in Deutschland historisch gewach-<br />
sene Dritte Sektor mit seinen Hilfsorganisationen<br />
bietet gera<strong>de</strong> in dieser Situation eine zielführen-<br />
<strong>de</strong> Lösung.<br />
5. Deshalb ist ein offensiver Politikwechsel nötig:<br />
hin zum verantwortlichen Han<strong>de</strong>ln <strong>de</strong>s Bürgers<br />
für sich und seinen Nächsten, gestaltet durch<br />
und mit <strong>de</strong>n Hilfsorganisationen als Partner<br />
<strong>de</strong>s Staates.<br />
Zum Autor: Benedikt Lieflän<strong>de</strong>r, Assessor jur., ist Bereichsleiter Notfallvorsorge <strong>im</strong> Generalsekretariat <strong>de</strong>s Malteser Hilfsdienstes,<br />
Köln.<br />
109
110<br />
IT - basierte Entscheidungsunterstützung <strong>im</strong><br />
Bevölkerungsschutz<br />
Hans-Gerrit Möws<br />
Eine <strong>de</strong>r wichtigsten Regeln be<strong>im</strong> Treffen von Entscheidungen<br />
ist, dass diese umso leichter fallen, je<br />
kleiner die Unsicherheit ist. Informationstechnologien<br />
dienen in ihrer heutigen Form <strong>de</strong>r Beschleunigung<br />
formal administrativer Vorgänge sowie <strong>de</strong>r Bereitstellung<br />
einer hohen Datendichte und bieten die Möglichkeit<br />
zur logischen Verknüpfung. Fachanwendungen<br />
sind in <strong>de</strong>r Regel hochspeziell für die jeweiligen<br />
Aufgaben entwickelt und nur auf <strong>de</strong>n ersten Blick<br />
universal. Diese Entwicklungen haben in <strong>de</strong>r ersten<br />
Phase einer IT-gestützten Entscheidungsunterstützung<br />
eine grundsätzliche Berechtigung, in <strong>de</strong>r Folge<br />
aber muss die Verwendbarkeit dieser Systeme einer<br />
anwen<strong>de</strong>rspezifischen Vereinheitlichung folgen.<br />
Die Informationstechnologie muss die<br />
Entscheidung von Menschen unterstützen,<br />
transportieren, transparenter und nach-<br />
vollziehbar machen.<br />
Reduzieren wir die Be<strong>de</strong>utung unserer Gesellschaft<br />
auf die drei Hauptaspekte Bevölkerung (körperliche,<br />
seelische Unversehrtheit), materielle (Güter,<br />
Infrastruktur) sowie <strong>im</strong>materielle Werte (öffentliche<br />
Ordnung, Wertesystem) und besteht die Möglichkeit,<br />
dass einer o<strong>de</strong>r mehrere dieser Aspekte Scha<strong>de</strong>n nehmen,<br />
be<strong>de</strong>utet dies für <strong>de</strong>n Bevölkerungsschutz, dass<br />
Handlungsbedarf entsteht, um diesen Gefahren o<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>n jeweiligen Folgen zu begegnen. Dieser Bedarf<br />
begrün<strong>de</strong>t die Notwendigkeit von Entscheidungen.<br />
Das für die Entscheidungen notwendige Wissen wird<br />
durch die Aufwertung von Relevanz, Vernetzung und<br />
fortschreiten<strong>de</strong> Subjektivierung <strong>im</strong> Entscheidungsprozess<br />
generiert.<br />
„Nur die Fragen, die prinzipiell unentscheidbar sind,<br />
Bereitstellung<br />
Daten<br />
können wir entschei<strong>de</strong>n.“<br />
Heinz von Foerster, Kybernetiker<br />
Information<br />
Wissen<br />
Entscheidungsprozess<br />
- interpretierte Daten<br />
Handlung<br />
- Wissensvermittlung<br />
Entscheidung<br />
Entscheidungsbefähigung<br />
- Information in Verbindung mit Expertise<br />
Aufwertung <strong>de</strong>r Relevanz <strong>im</strong> Entscheidungsprozess<br />
In diesem kausalen Zusammenhang sind Daten isolierte,<br />
uninterpretierte Fakten und Kennwerte <strong>de</strong>r<br />
Realitätsbeschreibung. Sie wer<strong>de</strong>n <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r<br />
Gefahrenerfassung aufgenommen und verifiziert und<br />
sind prinzipiell für je<strong>de</strong>rmann abrufbar. Darauf aufbauend<br />
sind Informationen verknüpfte und mit Be<strong>de</strong>utung<br />
versehene, also „interpretierte“ Daten. Die<br />
Interpretation ist <strong>de</strong>r Prozess <strong>de</strong>r Informationsgewinnung.<br />
Wissen wird durch die individuell verarbeiteten<br />
Informationen mit Bezug zur eigenen Erfahrungswelt<br />
gebil<strong>de</strong>t.<br />
In <strong>de</strong>n Phasen <strong>de</strong>s Entscheidungsprozesses sind die<br />
Fähigkeiten zur Wissenserlangung, zur Vernetzung<br />
von Wissen mit einer Fragestellung (Wissensbewertung)<br />
und zur Abschätzung einer Ereignisfolge anhand<br />
von bewertetem Wissen und Festlegung <strong>de</strong>r<br />
eigenen Handlung (Entscheidungsfähigkeit) die best<strong>im</strong>men<strong>de</strong>n<br />
Faktoren. Die Informationstechnologie<br />
kann diese Phasen durch die Bereitstellung von je<br />
nach Entscheidungsreife aufgewerteter Relevanz
(Daten, Informationen, Wissen) und die Sicherstellung<br />
von Entscheidungstransparenz und -kommunikation<br />
unterstützen. Im Bevölkerungsschutz erfolgt<br />
dies aktuell durch die Bereitstellung von Daten mit<br />
Gefahrenfassungssystemen wie <strong>de</strong>m radiologischen<br />
Messnetz und von Expertise wie bei <strong><strong>de</strong>NIS</strong> II plus .<br />
Die Entscheidungstransparenz wird durch operative<br />
S<strong>im</strong>ulationssysteme wie <strong>de</strong>m in <strong>de</strong>r Anpassung auf<br />
die Belange <strong>de</strong>s Katastrophenschutzes befindlichen<br />
GESI-System und Prozessentwicklungsanwendungen<br />
wie <strong>de</strong>r IT-gestützten Wissensbilanz geför<strong>de</strong>rt.<br />
Kommunikationssysteme, die ihre Verwendung z.B.<br />
in <strong>de</strong>r Leitstellentechnik haben und Spezialsteuerungssysteme<br />
wie das für die Durchführung strategischer<br />
Übungen entwickelte <strong><strong>de</strong>NIS</strong> II ÜSA , bil<strong>de</strong>n die<br />
Kommunikationsgrundlage <strong>de</strong>s heutigen Portfolios.<br />
Im Rahmen einer laufen<strong>de</strong>n Evaluation wird die<br />
Qualität durch abgestufte Informationsrückflüsse sichergestellt.<br />
Zukünftige Entwicklungen unterliegen <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen<br />
an eine homogene Nutzerumgebung für heterogene<br />
Anwendungen und bil<strong>de</strong>n die Grundlage für<br />
ein ganzheitliches vernetztes IT - gestütztes <strong>Krisenmanagement</strong>system<br />
zur Entscheidungsunterstützung.<br />
Diese Entwicklung erfolgt nicht linear, son<strong>de</strong>rn ist<br />
in einer übergeordneten Entwicklungsmatrix zu betrachten.<br />
Dadurch wird zum Ausdruck gebracht, dass<br />
Einzelbereiche in <strong>de</strong>n Matrixphasen unabhängig und<br />
nicht in einer zeitlich zwangsläufigen Folge entwickelt<br />
wer<strong>de</strong>n können und die Phasen sich in einer<br />
parallelen Abhängigkeit mit Blick auf das En<strong>de</strong>rgebnis<br />
befin<strong>de</strong>n. Das Ergebnis ist wie<strong>de</strong>rum durch die<br />
kontinuierliche Evaluation unter <strong>de</strong>m Ziel <strong>de</strong>r Entscheidungsunterstützung<br />
<strong>im</strong> Fluss.<br />
Wissensbilanzierung: Visualisierung von Erfolgsfaktoren<br />
Voraussetzung für diesen <strong>de</strong>m Gedanken <strong>de</strong>r Service<br />
Orientierten Architekturen (SOA) folgen<strong>de</strong>n Lösungsansatz<br />
ist nicht die Bün<strong>de</strong>lung und Zusammenführung<br />
von Fachkompetenzen, son<strong>de</strong>rn die Standardisierung<br />
von Schnittstellen für <strong>de</strong>n plattformübergreifen<strong>de</strong>n<br />
Austausch von Daten und Diensten. Am Beispiel von<br />
<strong><strong>de</strong>NIS</strong> II ÜSA be<strong>de</strong>utet dies, dass in <strong>de</strong>r Entwicklung<br />
<strong>de</strong>s Lagedarstellungsmoduls eine Schnittstelle <strong>im</strong>plementiert<br />
wird, an <strong>de</strong>r unterschiedliche Lagedarstellungs-Tools<br />
Rohdaten und Informationen abholen<br />
und in <strong>de</strong>r für <strong>de</strong>n Anwen<strong>de</strong>r gewohnten Umgebung<br />
verwerten.<br />
Zentrales Ergebnis <strong>de</strong>r ersten Matrixphase SOA ist die<br />
Entwicklung eines <strong>de</strong> facto Standards xBS (Extensible<br />
Markup Language Bevölkerungsschutz) zur Sicherstellung<br />
<strong>de</strong>r für <strong>de</strong>n Austausch notwendigen wohlgeformten<br />
XML-Dokumente und <strong>de</strong>r zugehörigen<br />
Grammatik als Grundlage für die Transformation in<br />
die spezifischen Anwendungen. In <strong>de</strong>r zweiten Matrixphase<br />
DIWaA (Daten Informationen Wissen auf<br />
Abruf) wer<strong>de</strong>n die Fachanwendungen als Dienste in<br />
die spezifischen Nutzeroberflächen integriert und <strong>de</strong>r<br />
Datenaustausch homogenisiert. Die dritte Matrixphase<br />
Entscheidungstransparenz dient <strong>de</strong>r Visualisierung<br />
von Entscheidungsprozessen nach <strong>de</strong>m Know-Why-<br />
Gedanken.<br />
Zwei Bereiche, die aktuell durch das <strong>Bund</strong>esamt für<br />
Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe betrachtet<br />
wer<strong>de</strong>n, sind die Bereiche „Wissensbilanzierung“<br />
und „S<strong>im</strong>ulation <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz“.<br />
Die Wissensbilanzierung ist eine IT-gestützte Metho<strong>de</strong><br />
zur I<strong>de</strong>ntifizierung von Wissenskapitalindikatoren<br />
(Human-, Struktur-, Beziehungskapital) zum Aufzeigen<br />
von Entwicklungsabhängigkeiten sowie <strong>de</strong>r<br />
Definition kritischer Erfolgsfaktoren; sie dient <strong>de</strong>r<br />
Entwicklung eines ganzheitlichen Verständnisses für<br />
Organisationen mit einem hohen Anteil <strong>im</strong>materieller<br />
Werte. Die ursprünglich mit Unterstützung <strong>de</strong>s<br />
<strong>Bund</strong>esministeriums für Wirtschaft von <strong>de</strong>r Arbeitsgruppe<br />
Wissensbilanz entwickelte Anwendung wird<br />
zur Grundlagenfeststellung und Visualisierung <strong>de</strong>r<br />
Möglichkeiten eines Change-Ansatzes <strong>im</strong> Wissensmanagement<br />
eingesetzt und erhöht die Entscheidungstransparenz<br />
durch Visualisierung <strong>de</strong>r kritischen Erfolgsfaktoren<br />
und Kommunikationsabhängigkeiten.<br />
111
112<br />
Die S<strong>im</strong>ulation <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz ist ein relativ<br />
neues Feld <strong>de</strong>r S<strong>im</strong>ulationstechnologie. Die Komplexität<br />
<strong>im</strong> Bevölkerungsschutz erfor<strong>de</strong>rt eine vielschichtigere<br />
Vorgehensweise bei <strong>de</strong>r S<strong>im</strong>ulation <strong>de</strong>r<br />
Auswirkungen von Managemententscheidungen auf<br />
Systemstruktur und Systemverhalten als bei bisherigen,<br />
vorrangig militärisch genutzten, S<strong>im</strong>ulationsentwicklungen.<br />
Basierend auf bereits vorhan<strong>de</strong>nen operativen<br />
Systemen ist das übergeordnete Ziel, über die<br />
Integration unterschiedlicher Ansätze eine ebenenabhängige<br />
Nutzbarkeit für <strong>de</strong>n Anwen<strong>de</strong>r zu erreichen.<br />
Im Bevölkerungsschutz wird ein systemdynamischer<br />
Ansatz zur ganzheitlichen Analyse und Mo<strong>de</strong>lls<strong>im</strong>ulation<br />
dynamischer und komplexer Systeme über eine<br />
numerische (IT-gestützte) S<strong>im</strong>ulation angewen<strong>de</strong>t.<br />
Die S<strong>im</strong>ulation startet dabei ausgehend von einer An-<br />
Prinzipskizze einer Prognoses<strong>im</strong>ulation <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz<br />
fangssituation, wobei Entscheidungen und Maßnahmen<br />
<strong>im</strong> weiteren Verlauf <strong>de</strong>r Lageentwicklung eingegeben<br />
wer<strong>de</strong>n können und diese beeinflussen. Sie<br />
ermöglicht die dynamische Darstellung aller Interaktionen<br />
und Abhängigkeiten unter Berücksichtigung<br />
von Zeit und Raum zur Ableitung von Handlungsempfehlungen<br />
für Planung, Ausbildung und Einsatz.<br />
Die S<strong>im</strong>ulation <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz dient neben<br />
<strong>de</strong>r Bereitstellung von Wissen durch die Prüfung von<br />
Handlungsoptionen auch <strong>de</strong>r Visualisierung von Entscheidungsfolgen<br />
und erhöht dadurch die Transparenz<br />
von Entscheidungen.<br />
Der S<strong>im</strong>ulationsbereich ist eine typische Entwicklung,<br />
<strong>de</strong>r in einer Mehrfachab<strong>de</strong>ckung mehrere Matrixphasen<br />
bedient und <strong>de</strong>n vom BBK verwen<strong>de</strong>ten Ansatz<br />
<strong>de</strong>r Entwicklungsmatrix ver<strong>de</strong>utlicht.<br />
Das BBK begegnet <strong>de</strong>n Herausfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Zukunft durch <strong>de</strong>n Aufbau eines<br />
Innovationszentrums. Neben <strong>de</strong>m Einsatz eines Technischen Kompetenzcenters<br />
zur Testierung wird ein zentrales Innovationsmanagement unter konsequenter<br />
Einbindung von Zukunftstechnologien genutzt. Das Innovationszentrum übern<strong>im</strong>mt<br />
die Funktion eines Think-Tank IT <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz und fungiert als<br />
nationaler und internationaler Ansprechpartner unter <strong>de</strong>m Leitgedanken einer<br />
offenen Plattform.<br />
Zum Autor: Hans-Gerrit Möws ist Leiter <strong>de</strong>s Referats I.3 „Warnung <strong>de</strong>r Bevölkerung“ und Verantwortlicher für <strong>de</strong>n Aufbau <strong>de</strong>s<br />
Innovationszentrums <strong>im</strong> <strong>Bund</strong>esamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Bonn.
Der Schutz nationaler Informationsinfrastrukturen<br />
Dipl. Ing. Stefan Ritter<br />
Die Menschheit war von Anfang an gezwungen, auf<br />
die Gewalten <strong>de</strong>r Natur zu reagieren. In <strong>de</strong>n Jahrtausen<strong>de</strong>n<br />
seiner Existenz war <strong>de</strong>r Mensch ihnen schutzlos<br />
ausgeliefert. Gegen die oft selbst gemachten Probleme<br />
<strong>de</strong>r Zivilisation dagegen konnte <strong>de</strong>r Mensch<br />
eine Vielzahl von organisatorischen und technischen<br />
Maßnahmen treffen. Hier hatte er vieles unter Kontrolle<br />
und konnte agieren. Technologien, die einen<br />
beson<strong>de</strong>ren Gefahrenfaktor enthielten, wur<strong>de</strong>n, sobald<br />
man diesen erkennen konnte, durch Regulierung<br />
und Aufsicht so sicher wie möglich geplant, gebaut<br />
und genutzt. Auf beson<strong>de</strong>rs große Scha<strong>de</strong>nsereignisse<br />
bereitete man sich mit beson<strong>de</strong>ren Kräften vor;<br />
manchmal reichten auch organisatorische Maßnahmen,<br />
um mit einer beson<strong>de</strong>ren Lage umzugehen.<br />
Das gilt auch für die Informationstechnik (IT), eine<br />
noch sehr junge Technologie. Wie je<strong>de</strong> an<strong>de</strong>re Technik<br />
auch haben die IT und IT-Systeme Schwachstellen<br />
und Sicherheitslücken. Die Schwachstellen-Veröffentlichungs-<br />
und Patchraten 1 in Betriebssystemen<br />
und Anwendungsprogrammen zeigen, dass die Technik<br />
noch lange nicht ausgereift ist.<br />
Informationstechnik und Kritische Infrastrukturen<br />
Beson<strong>de</strong>rer Handlungsbedarf <strong>im</strong> <strong>Krisenmanagement</strong><br />
entsteht, wenn Kritische Infrastrukturen betroffen<br />
sind. IT ist inzwischen selbst zu einer Kritischen Infrastruktur<br />
2 gewor<strong>de</strong>n. Sie hat zu<strong>de</strong>m alle weiteren<br />
Bereiche Kritischer Infrastrukturen, wie Stromversorgung,<br />
Telekommunikation, Bankwesen, Logistik etc.<br />
massiv durchdrungen.<br />
IT erleichtert die Steuerung und Überwachung von<br />
Prozessen. Mussten diese früher mühsam mechanisch<br />
abgelesen und durch „große Handrä<strong>de</strong>r“ eingestellt<br />
wer<strong>de</strong>n, so ist eine Steuerung und Regelung heute<br />
per Knopfdruck aus einer Leitwarte heraus möglich.<br />
Per Computer und Online-Kommunikation wird <strong>de</strong>r<br />
Luftverkehr organisiert. Die Logistikbranche kann<br />
nach <strong>de</strong>r weitgehen<strong>de</strong>n Abschaffung <strong>de</strong>r Lagerhal-<br />
Die IT entwickelt sich mit einer unglaubli-<br />
chen Geschwindigkeit, erfin<strong>de</strong>t sich stän-<br />
dig neu, sprengt technische Grenzen und<br />
n<strong>im</strong>mt dabei <strong>im</strong>mer massiveren Einfluss<br />
auf unser Leben. Die Durchdringung <strong>de</strong>s<br />
Alltags mit IT und damit die Abhängigkei-<br />
ten von ihr wachsen exponentiell.<br />
tung und <strong>de</strong>r Einführung von Just-in-t<strong>im</strong>e-Prozessen<br />
ohne digitale Datenhaltung und -übermittlung nur<br />
wenige Stun<strong>de</strong>n puffern, bevor es zu Versorgungsengpässen<br />
kommt.<br />
Der Ausfall o<strong>de</strong>r die Beeinträchtigung<br />
von Informationsinfrastrukturen und IT<br />
können zu nachhaltig wirken<strong>de</strong>n Versor-<br />
gungsengpässen, erheblichen Störungen<br />
<strong>de</strong>r öffentlichen Sicherheit o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />
dramatischen Folgen führen.<br />
113
114<br />
Schutz Nationaler Informationsinfrastrukturen<br />
Die <strong>Bund</strong>esregierung hat auf Grund dieser Abhängigkeiten<br />
und <strong>de</strong>s daraus resultieren<strong>de</strong>n Handlungsbedarfs<br />
<strong>im</strong> Juli 2005 <strong>de</strong>n „Nationalen Plan zum Schutz<br />
<strong>de</strong>r Informationsinfrastrukturen“ (NPSI) 3 als übergreifen<strong>de</strong><br />
Strategie zur IT-Sicherheit verabschie<strong>de</strong>t. Diese<br />
nationale Dachstrategie für die IT-Sicherheit hat drei<br />
Schwerpunktbereiche:<br />
� Prävention: Informationsinfrastrukturen ange-<br />
messen schützen.<br />
� Reaktion: Wirkungsvoll bei IT-Sicherheitsvorfäl-<br />
len han<strong>de</strong>ln.<br />
� Nachhaltigkeit: Deutsche IT-Sicherheitskompe-<br />
tenz stärken – international Standards setzen.<br />
Im NPSI wird das <strong>Bund</strong>esamt für Sicherheit in <strong>de</strong>r<br />
Informationstechnik (BSI) beauftragt, ein nationales<br />
IT-Krisenreaktionszentrum aufzubauen und zu<br />
betreiben. Dieses stellt die schnelle Reaktion auf<br />
schwerwiegen<strong>de</strong> IT-Sicherheitsvorfälle sicher, um<br />
rechtzeitige Gegenmaßnahmen zu ermöglichen und<br />
größere Schä<strong>de</strong>n zu vermei<strong>de</strong>n.<br />
Im September 2007 wur<strong>de</strong> das „Strategiepapier“ NPSI<br />
durch zwei Umsetzungspläne (UP) konkretisiert:<br />
� ��� ��������������� ����� ��� ����� ����<br />
genaue Richtlinien zur Umsetzung <strong>de</strong>s NPSI in<br />
<strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>esverwaltung fest. Für die Umsetzung<br />
in <strong>de</strong>n Geschäftsbereichen sorgt je<strong>de</strong>s Ressort<br />
eigenverantwortlich.<br />
� �������� ���� ����� ��� ������ ����� ���������<br />
mit <strong>de</strong>r Wirtschaft ein „Umsetzungsplan KRITIS“„<br />
für Kritische Infrastrukturen in Deutschland ent-<br />
wickelt. Beson<strong>de</strong>rer Fokus wur<strong>de</strong> dabei auf ein<br />
einheitlich hohes Sicherheitsniveau <strong>de</strong>rjenigen<br />
Unternehmen gerichtet, <strong>de</strong>ren Funktionsfähigkeit<br />
für die Funktionsfähigkeit unserer Gesellschaft<br />
beson<strong>de</strong>rs relevant ist.
Das IT-Lage- und Analysezentrum <strong>im</strong> <strong>Bund</strong>esamt für Sicherheit in <strong>de</strong>r Informationstechnik<br />
Aufbau <strong>de</strong>s IT-Krisenreaktionszentrums<br />
Aufgrund dieser Herausfor<strong>de</strong>rungen und <strong>de</strong>r Zunahme<br />
<strong>de</strong>r Angriffe auf die IT hat <strong>de</strong>r Aufbau <strong>de</strong>s<br />
IT-Krisenreaktionszentrums <strong>im</strong> BSI eine hohe Priorität.<br />
Als Voraussetzung dafür ist bereits eine Vielzahl<br />
wichtiger organisatorischer und technischer Details<br />
realisiert wor<strong>de</strong>n. Das BSI verfügt über ein täglich<br />
besetztes Lagezentrum und eine 24-stündige, an allen<br />
Tagen <strong>de</strong>s Jahres erreichbare Rufbereitschaft für<br />
technische Spezialisten. Diese Fachkräfte können<br />
sich per Fernzugriff ins BSI einloggen, dort Recherchen<br />
durchführen und Maßnahmen vorbereiten. Des<br />
Weiteren ist die Entscheidungs- und Führungskompetenz<br />
eines „Leiters <strong>de</strong>s Einsatzstabs“ durch organisatorische<br />
Maßnahmen sichergestellt wor<strong>de</strong>n. Für<br />
<strong>de</strong>n „Fall <strong>de</strong>r Fälle“ wird ein Einsatzstab eingerichtet.<br />
Dessen Alarmierung ist vorbereitet, die Räumlichkeiten<br />
sind beziehbar, Technik mit Notstromversorgung,<br />
Telefon- und Vi<strong>de</strong>okonferenzmöglichkeit sowie die<br />
IT-Unterstützung sind einsatzbereit. Wichtig sind dabei<br />
redundante Kommunikationsanbindungen wie<br />
getrennte Telefonanlagen, Mobiltelefone, Satellitenkommunikation<br />
etc. Das klassische Handwerkszeug<br />
eines Krisenstabs für die Stabsarbeit steht also bereit.<br />
Bei <strong>de</strong>n vorzubereiten<strong>de</strong>n Maßnahmen war es nur in<br />
Teilen möglich, auf bestehen<strong>de</strong> Organisationshandbücher<br />
und Vorschriften wie die Feuerwehrdienstvorschrift<br />
FwDV 100 „Führung und Leitung <strong>im</strong> Einsatz“<br />
zurückzugreifen. Kernelemente für die Stabsarbeit,<br />
zum Beispiel für die „Beurteilung <strong>de</strong>r Lage aus IT-<br />
Sicht“, mussten neu entwickelt wer<strong>de</strong>n. Um selbst<br />
auf <strong>de</strong>n Extremfall, <strong>de</strong>n Verlust <strong>de</strong>r Liegenschaft, vorbereitet<br />
zu sein, zieht das BSI auch die Möglichkeit in<br />
Betracht, ein Ausweichlagezentrum an an<strong>de</strong>rer Stelle<br />
vorzubereiten und einzurichten.<br />
115
116<br />
Beobachtung <strong>de</strong>r Protokolle<br />
<strong>im</strong> Datenfluss<br />
Eines <strong>de</strong>r wichtigsten Elemente <strong>de</strong>s IT-<strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
ist <strong>de</strong>r Aufbau und die Pflege <strong>de</strong>s Kontaktnetzwerks.<br />
Hier greift das BSI auf seine laufen<strong>de</strong><br />
Aktivitäten zurück, wie z.B. auf das Computer Emergency<br />
Response Team für die <strong>Bund</strong>esverwaltung,<br />
kurz CERT-<strong>Bund</strong> genannt. Als Computernotfallteam<br />
<strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es bearbeitet es gemeinsam mit <strong>de</strong>n Betroffenen<br />
IT-Sicherheitsvorfälle und betreibt einen Warn-<br />
und Informationsdienst für Schwachstellen in <strong>de</strong>r IT-<br />
Sicherheit.<br />
Von zentraler Be<strong>de</strong>utung sind in diesem Zusammenhang<br />
die Aktivitäten <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>s „UP KRITIS“.<br />
Hier haben sich bisher zwei Arbeitsgruppen mit insgesamt<br />
etwa vierzig Vertretern von zumeist privatwirtschaftlichen<br />
Betreibern Kritischer Infrastrukturen<br />
gegrün<strong>de</strong>t:<br />
Die Arbeitsgruppe 1 „Notfall- und Krisenübungen“<br />
befasst sich mit <strong>de</strong>r Ausarbeitung und Umsetzung<br />
sämtlicher für die Planung, Durchführung und Auswertung<br />
von Notfall- und Krisenübungen erfor<strong>de</strong>rlichen<br />
Rahmenbedingungen. Branchenübergreifend<br />
wer<strong>de</strong>n IT-Krisenszenarien entwickelt, anhand <strong>de</strong>rer<br />
regelmäßig Übungen durchgeführt wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Arbeitsgruppe 2 „Krisenreaktion und -bewältigung“<br />
befasst sich mit <strong>de</strong>m branchenübergreifen<strong>de</strong>n<br />
Einrichten geeigneter Krisenreaktionsprozesse, von<br />
<strong>de</strong>r IT-Lageanalyse über die Warnung und Alarmierung<br />
bis hin zur koordinierten Krisenbewältigung.<br />
In bei<strong>de</strong>n Arbeitsgruppen wer<strong>de</strong>n erstmals sektorübergreifend<br />
und gemeinschaftlich zwischen Staat<br />
und Wirtschaft nationale IT-Reaktionsmechanismen<br />
und -prozesse erarbeitet und auf ihre Funktion und<br />
Wirksamkeit hin beübt.<br />
Im Rahmen <strong>de</strong>s „Umsetzungsplans <strong>Bund</strong>“ wur<strong>de</strong> eine<br />
Vielzahl von Maßnahmen eingeleitet, die die Krisenreaktionsfähigkeit<br />
<strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es und seiner Behör<strong>de</strong>n<br />
verbessern und sicherstellen. Daneben befin<strong>de</strong>t sich<br />
Deutschland in <strong>de</strong>r glücklichen Lage, eine sehr gut<br />
organisierte „CERT-Landschaft“ zu haben. Mehr als<br />
dreißig <strong>de</strong>r großen Unternehmens-, kommerziellen,<br />
aka<strong>de</strong>mischen und Verwaltungs-CERTs (auf <strong>Bund</strong>es-<br />
und Län<strong>de</strong>rebene) haben sich zum CERT-Verbund 4<br />
zusammengeschlossen. Er ermöglicht <strong>de</strong>n vertrauensvollen<br />
Austausch in geschützter Umgebung. Man<br />
kennt sich persönlich, sieht sich regelmäßig. Vertrauen<br />
in die persönliche Integrität und fachliche Kompetenz<br />
<strong>de</strong>r Kollegen ist entstan<strong>de</strong>n und ermöglicht<br />
einen Erfahrungsaustausch, <strong>de</strong>r weltweit seinesgleichen<br />
sucht. CERT-<strong>Bund</strong> gehört zum engen Kreis <strong>de</strong>r<br />
Teilnehmer, die zusätzlich zur Vertraulichkeitsvereinbarung<br />
einen Co<strong>de</strong> of Conduct unterschrieben haben,<br />
<strong>de</strong>r eine noch engere Kooperation ermöglicht.
Internationale Zusammenarbeit<br />
Drittes Standbein zur Bewältigung nationaler IT-Krisen<br />
ist die internationale Zusammenarbeit. IT und Internet<br />
sind weltweite Phänomene.<br />
IT-Angriffe kommen in <strong>de</strong>r Regel selten aus<br />
<strong>de</strong>m Inland, allein schon um die Reak-<br />
tion darauf zu erschweren. Daher ist es<br />
zwingend nötig, internationale Partner zu<br />
haben.<br />
Fazit: IT-<strong>Krisenmanagement</strong> – eine große Herausfor<strong>de</strong>rung<br />
Die ersten Schritte zum IT-<strong>Krisenmanagement</strong> sind gemacht, vor allem mit CERT-<br />
<strong>Bund</strong>, <strong>de</strong>m Ausbau <strong>de</strong>s IT-Lage- und Analysezentrums <strong>im</strong> BSI und <strong>de</strong>n Arbeitsgruppen<br />
<strong>de</strong>s UP KRITIS. Der Aufbau <strong>de</strong>s nationalen IT-Krisenreaktionszentrums<br />
geht voran. Erste Alarmierungskontakte wur<strong>de</strong>n ausgetauscht. Nun gilt es, die<br />
bestehen<strong>de</strong>n Kontakte auszubauen und die Zusammenarbeit für <strong>de</strong>n Krisenfall<br />
an Hand von Szenarien in Planbesprechungen und Übungen nachhaltig zu etablieren.<br />
Denn <strong>Krisenmanagement</strong> in <strong>de</strong>r IT ist und bleibt eine ständige große<br />
Herausfor<strong>de</strong>rung.<br />
Aus <strong>de</strong>n vielen internationalen bi- und multilateralen<br />
Kooperationen möchte ich hier eine hervorheben:<br />
Die European Governmental CERT Group (EGC) 5<br />
als ein Zusammenschluss von neun europäischen<br />
Regierungs-CERTs. Neben vierteljährlichen Treffen<br />
und monatlichen Telefonkonferenzen herrscht reger<br />
Austausch zu aktuellen Sicherheitsvorfällen und unklaren<br />
Sachverhalten, die eine zweite Meinung for<strong>de</strong>rn,<br />
auf <strong>de</strong>r verschlüsselten Mailingliste. Je<strong>de</strong>r gibt<br />
und trägt bei, was er kann und weiß. Durch diese<br />
verlässliche Partnerschaft <strong>im</strong> Krisenfall entstehen ein<br />
größeres Ganzes und ein klareres Bild <strong>de</strong>r Lage.<br />
Zum Autor: Dipl. Ing. Stefan Ritter, Bauoberrat, ist Leiter <strong>de</strong>s Referats „CERT-<strong>Bund</strong>“ <strong>im</strong> <strong>Bund</strong>esamt für Sicherheit in <strong>de</strong>r Informationstechnik,<br />
Bonn<br />
1 Patch – i. d. R. ein kleineres Software-Update bzw. eine kleinere Software-Korrektur<br />
2 Umfangreiche Informationen zu Kritischen Infrastrukturen und Arbeiten <strong>de</strong>s BSI in diesem Themengebiet fin<strong>de</strong>n Sie auf<br />
www.bsi.<strong>de</strong><br />
3 Ergänzen<strong>de</strong> Informationen zum NPSI und zu UP KRITIS unterwww.bsi.<strong>de</strong><br />
4 www.cert-verbund.<strong>de</strong><br />
5 www.egc-group.org o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschsprachig: www.bsi.<strong>de</strong>/certbund/EGC<br />
117
118<br />
Der Beitrag <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bund</strong>esbank zum nationalen<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz<br />
Karsten Salzburg<br />
<strong>Nationales</strong> <strong>Krisenmanagement</strong> zielt <strong>im</strong> Kern darauf,<br />
die Grundfunktionen zur Aufrechterhaltung <strong>de</strong>s gesellschaftlichen<br />
Lebens <strong>im</strong> Not- und Katastrophenfall<br />
zu gewährleisten. Wesentliche Akteure hierbei sind<br />
die staatlichen Entscheidungsorgane auf allen Handlungsebenen,<br />
Rettungskräfte und Betreiber kritischer<br />
Infrastrukturen. Auch <strong>im</strong> Krisenfall erfolgt die „Zuteilung“<br />
von Waren und Dienstleistungen grundsätzlich<br />
nur gegen Bezahlung – ob bar o<strong>de</strong>r unbar. Im<br />
Falle einer nationalen Krise kann daher, ebenso wie<br />
in normalen Zeiten, die Grundversorgung <strong>de</strong>r Bevölkerung<br />
nur sichergestellt wer<strong>de</strong>n, wenn <strong>de</strong>r Zahlungsverkehr<br />
und vor allem die Bargeldversorgung<br />
funktionieren.<br />
In Deutschland hat die Deutsche <strong>Bund</strong>esbank <strong>de</strong>n<br />
gesetzlichen Auftrag, die Bargeldversorgung und <strong>de</strong>n<br />
Zahlungsverkehr <strong>im</strong> Inland und mit <strong>de</strong>m Ausland<br />
sicherzustellen. Zur Erfüllung dieser Aufgaben stellt<br />
die <strong>Bund</strong>esbank über ihre Filialen und Rechenzentren<br />
eine Basisinfrastruktur <strong>im</strong> Wesentlichen für die<br />
Kreditwirtschaft zur Verfügung. Banken und private<br />
Wertdienstleister übernehmen die Weiterverteilung<br />
an Unternehmen und Bevölkerung in Deutschland.<br />
Im Ergebnis ist die Versorgung mit Bargeld und Zahlungsverkehrsdienstleistungen<br />
eine Gemeinschaftsaufgabe<br />
von <strong>Bund</strong>esbank, Kreditwirtschaft und Wertdienstleistern.<br />
Dies gilt auch für die Krisenvorsorge<br />
und die Krisenbewältigung.<br />
Die <strong>Bund</strong>esbank sorgt mit für die Stabilität <strong>de</strong>s Gel<strong>de</strong>s: Zentrale <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bund</strong>esbank in Frankfurt am Main
Bargeld hat in Deutschland – entgegen mancher, insbeson<strong>de</strong>re<br />
vor <strong>de</strong>r Euro-Umstellung geäußerten Vermutung<br />
– traditionell eine herausragen<strong>de</strong> Be<strong>de</strong>utung,<br />
wer<strong>de</strong>n doch nach wie vor etwa 65 Prozent <strong>de</strong>r Zahlungen<br />
<strong>im</strong> Einzelhan<strong>de</strong>l bar geleistet.<br />
Es ist davon auszugehen, dass vor allem<br />
<strong>im</strong> Krisenfall Bargeld für Geschäfte <strong>de</strong>s<br />
täglichen Lebens weiter an Be<strong>de</strong>utung ge-<br />
winnt und letztlich das einzig akzeptierte<br />
Zahlungsmittel ist. Die Bargeldversorgung<br />
ist <strong>de</strong>shalb für die Grundversorgung <strong>de</strong>r<br />
Bevölkerung von existenzieller Be<strong>de</strong>utung.<br />
Ein Unvermögen <strong>de</strong>r Kreditwirtschaft, in Krisensituationen<br />
von <strong>de</strong>r Bevölkerung abgefor<strong>de</strong>rte Geldbeträge<br />
unverzüglich bar auszahlen zu können, wür<strong>de</strong> die<br />
ökonomischen Folgen einer Krise weiter verschärfen<br />
und möglicherweise einen „Run“ auf Bargeld auslösen.<br />
Deutsche <strong>Bund</strong>esbank als „Quelle“ <strong>de</strong>s Bargel<strong>de</strong>s<br />
Die <strong>Bund</strong>esbank übern<strong>im</strong>mt <strong>im</strong> Bargeldkreislauf die<br />
Rolle <strong>de</strong>s Emittenten (Schaffung von Bargeld) und<br />
hält die zentralen strategischen Reserven (Vorratshaltung<br />
von Bargeld). Sie könnte daher als „Quelle“<br />
<strong>de</strong>r Bargeldversorgung in Deutschland bezeichnet<br />
wer<strong>de</strong>n. Sie bedient sich zur Erfüllung dieser Aufgabe<br />
eines über Deutschland verteilten Filialnetzes,<br />
in <strong>de</strong>m ausreichend Bargeldbestän<strong>de</strong> gehalten wer<strong>de</strong>n.<br />
Die <strong>Bund</strong>esbank stellt durch geeignete Maßnahmen<br />
sicher, dass dieses Filialnetz auch <strong>im</strong> Fall einer<br />
schweren Krise funktionsfähig bleibt. Die Funktionsfähigkeit<br />
bezieht sich hierbei in erster Linie auf die<br />
je<strong>de</strong>rzeitige Auszahlungsbereitschaft von Bargeld in<br />
<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Kreditwirtschaft benötigten Größenordnung.<br />
Die großflächige Verteilung <strong>de</strong>r Banknoten<br />
obliegt in Deutschland jedoch <strong>de</strong>r Kreditwirtschaft<br />
sowie <strong>de</strong>n von ihnen beauftragten privaten Wertdienstleistern.<br />
Die Banken stellen ihren Kun<strong>de</strong>n Bargeldbestän<strong>de</strong><br />
heutzutage überwiegend über Geldausgabeautomaten<br />
zur Verfügung; dies gilt auch für<br />
<strong>de</strong>n Krisenfall. Aus gutem Grund bestehen daher bei<br />
<strong>de</strong>n meisten Bargeldakteuren neben allgemeinen organisatorischen<br />
Maßnahmeplänen für Notfälle auch<br />
technische Vorkehrungen zur Absicherung dieser<br />
Geschäftsprozesse. Zur Vernetzung <strong>de</strong>r wichtigsten<br />
Bargeldakteure <strong>im</strong> Not- und Krisenfall wur<strong>de</strong> – unter<br />
Fe<strong>de</strong>rführung <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bund</strong>esbank – ein<br />
Kommunikationsnetzwerk aufgebaut. Die Unterstützung<br />
durch weitere staatliche Stellen zur Sicherstellung<br />
<strong>de</strong>s Bargeldkreislaufs <strong>im</strong> Krisenfall, z.B. durch<br />
die Polizei, ist hierbei wesentliche Voraussetzung.<br />
Auch <strong>im</strong> unbaren Zahlungsverkehr haben die Finanzdienstleister<br />
neben <strong>de</strong>r rein physischen Sicherung<br />
von zentralen Infrastrukturen eine Notfall- und<br />
Krisenplanung aufgebaut. Erste Priorität hat die je<strong>de</strong>rzeitige<br />
Verfügbarkeit von Zahlungsverkehrs- und<br />
Verrechnungssystemen mit <strong>de</strong>r zugehörigen leistungsfähigen<br />
Kommunikationsstruktur, um die Versorgung<br />
<strong>de</strong>s Marktes mit ausreichen<strong>de</strong>r Liquidität<br />
sicherzustellen. Die Notfallplanungen <strong>im</strong> <strong>de</strong>utschen<br />
Kreditgewerbe sehen sowohl organisatorische Maßnahmen<br />
für <strong>de</strong>n Katastrophenfall als auch technische<br />
Vorsorgemaßnahmen vor. So wer<strong>de</strong>n zum Beispiel<br />
die Zahlungssysteme durch entsprechen<strong>de</strong> hochgesicherte<br />
Zweit-Rechenzentren mit gleicher Technik<br />
und gespiegelten Daten abgesichert.<br />
119
120<br />
Tresorgitterwagen <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bund</strong>esbank<br />
Zum Autor: Karsten Salzburg ist Abteilungsleiter Organisation <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bund</strong>esbank<br />
Die <strong>Bund</strong>esbank selbst hat <strong>im</strong> Rahmen ihres „Business<br />
Continuity Management“ umfangreiche Maßnahmen<br />
getroffen, um in Not- und Katastrophensituationen<br />
die Abwicklung <strong>de</strong>s Großbetragszahlungsverkehrs,<br />
aber auch die Aufrechterhaltung <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Kerngeschäftsbereiche<br />
<strong>de</strong>r Notenbanktätigkeit (z.B. Bargeldversorgung,<br />
Refinanzierung <strong>de</strong>r Kreditwirtschaft,<br />
Management <strong>de</strong>r Währungsreserven) zu gewährleisten.<br />
Damit wird sie ihrer beson<strong>de</strong>ren gesamtgesellschaftlichen<br />
Verantwortung als Betreiber kritischer<br />
Infrastrukturen gerecht. Für die Abwicklung <strong>de</strong>s sog.<br />
Massenzahlungsverkehrs sind in Deutschland <strong>im</strong> Wesentlichen<br />
die Geschäftsbanken zuständig. Das be<strong>de</strong>utet,<br />
dass auch die Gewährleistung <strong>de</strong>s unbaren<br />
Zahlungsverkehrs in Gänze betrachtet – <strong>im</strong> Normal-<br />
und Krisenfall – eine Gemeinschaftsaufgabe von Zentralbank<br />
und Kreditwirtschaft ist.<br />
Zur Bewältigung eines Not- und Katastrophenfalles<br />
und zur Aufrechterhaltung <strong>de</strong>r Handlungsfähigkeit<br />
<strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>esbank wur<strong>de</strong>n spezielle Vorkehrungen <strong>im</strong><br />
Rahmen einer <strong>Krisenmanagement</strong>organisation („Krisenstab“)<br />
geschaffen. Ziel ist es hierbei, <strong>im</strong> Krisenfall<br />
Entscheidungswege zu verkürzen und erfor<strong>de</strong>rliche,<br />
bereits vorbereitete Maßnahmen zur Krisenbewältigung<br />
einzuleiten. Durch turnusmäßige interne Übungen<br />
und durch speziell geschulte Mitarbeiter wur<strong>de</strong>n<br />
die Voraussetzungen dafür geschaffen, kritischen Situationen<br />
<strong>im</strong> Rahmen einer nationalen o<strong>de</strong>r internationalen<br />
Katastrophe angemessen begegnen zu können.<br />
Die <strong>Bund</strong>esbank ist hierfür auch <strong>im</strong> Krisenstab<br />
<strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>esregierung sowie in <strong>de</strong>r Interministeriellen<br />
Koordinierungsgruppe von <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>rn vertreten.<br />
In nationalen (UP <strong>Bund</strong>, UP Kritis) und internationalen<br />
Arbeitsgruppen arbeitet die <strong>Bund</strong>esbank mit<br />
an <strong>de</strong>r Weiterentwicklung <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
und <strong>de</strong>r „Business Continuity“ <strong>im</strong> Finanzbereich.
<strong>Krisenmanagement</strong>planung <strong>de</strong>r Deutsche Bahn AG<br />
Burkhard Arnold<br />
Die Deutsche Bahn AG ist ein bun<strong>de</strong>sweit und international<br />
agieren<strong>de</strong>r Großkonzern mit knapp 231.300<br />
Mitarbeitern, etwas über 34 Mio. Streckenkilometern,<br />
ca. 5.400 Bahnhöfen, 5,1 Mio. Reisen<strong>de</strong>n pro Tag,<br />
und sie beför<strong>de</strong>rt jährlich rund 307 Mio. Tonnen an<br />
Gütern auf <strong>de</strong>r Schiene. Daraus ergibt sich eine hohe<br />
Verantwortung <strong>de</strong>s Konzerns für die Sicherheit <strong>de</strong>r<br />
Kun<strong>de</strong>n und Mitarbeiter, <strong>de</strong>r Transportgüter, aber<br />
auch für <strong>de</strong>n Erhalt einer funktionsfähigen Infrastruktur.<br />
Kein Unternehmen, auch nicht die Deutsche Bahn<br />
AG, kann eine umfassen<strong>de</strong> Krisenvorsorge allein<br />
„schultern“. Eine enge Zusammenarbeit mit staatlichen<br />
Einrichtungen für die Gefahrenabwehr ist zur<br />
Bewältigung aller <strong>de</strong>nkbaren Krisenszenarien unabdingbar.<br />
Entsprechend hat sich <strong>de</strong>r Konzern <strong>im</strong> Rahmen<br />
<strong>de</strong>s Public Private Partnership (PPP) aufgestellt.<br />
<strong>Bund</strong>espolizei und Deutsche Bahn AG praktizieren<br />
eine erfolgreiche Ordnungspartnerschaft<br />
So wur<strong>de</strong> am 27. November 2000 eine Vereinbarung<br />
zur Ordnungspartnerschaft zwischen <strong>de</strong>m <strong>Bund</strong>esministerium<br />
<strong>de</strong>s Innern und <strong>de</strong>r Deutschen Bahn AG<br />
unterzeichnet, welche zur Intensivierung <strong>de</strong>r Zusammenarbeit<br />
<strong>im</strong> Interesse <strong>de</strong>r Inneren Sicherheit und <strong>de</strong>r<br />
Sicherheitsvorsorge <strong>de</strong>r DB AG beigetragen hat und<br />
heute wesentlicher Bestandteil zur Aufgabenbewältigung<br />
ist. Von dieser Vereinbarung abgeleitet, wur<strong>de</strong><br />
<strong>im</strong> August 2005 in Berlin das Sicherheitszentrum<br />
Bahn, eine gemeinsame Einrichtung <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>espolizei<br />
(<strong>Bund</strong>espolizeipräsidium in Potsdam) und <strong>de</strong>r<br />
Deutschen Bahn AG (Konzernsicherheit), in Betrieb<br />
genommen. In ihm arbeiten Beamte <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>espolizei<br />
in ihrer hoheitlichen Aufgabenwahrnehmung und<br />
Mitarbeiter <strong>de</strong>r Bahn eng zusammen. Dadurch wer<strong>de</strong>n<br />
Informationswege verkürzt, und die Fortschreibung<br />
eines aktuellen, bun<strong>de</strong>sweiten Lagebil<strong>de</strong>s als<br />
Grundlage für übergeordnete operative und strategische<br />
Entscheidungen wird wesentlich unterstützt –<br />
sowohl für die Bahn als auch die <strong>Bund</strong>espolizei.<br />
Zur PPP gehören auch eine enge Zusammenarbeit<br />
und Vernetzung mit <strong>de</strong>n Behör<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es und<br />
<strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r, so z.B. mit <strong>de</strong>m Gemeinsamen Mel<strong>de</strong>-<br />
und Lagezentrum (GMLZ) <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>esamtes für Bevölkerungsschutz<br />
und Katastrophenhilfe. Mit <strong>de</strong>m<br />
GMLZ fin<strong>de</strong>t ein regelmäßiger Informationsaustausch<br />
statt. Zwischen <strong>de</strong>n Innenministerien <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r und<br />
<strong>de</strong>r DB AG sind Vereinbarungen getroffen wor<strong>de</strong>n,<br />
die <strong>de</strong>n gegenseitigen Informationsaustausch regeln<br />
sowie Verfahrensweisen für die gegenseitige Unterstützung<br />
bei Lagen mit <strong>de</strong>n Polizeien, Rettungskräften<br />
und Feuerwehren festschreiben.<br />
Seit 2004 beteiligt sich die DB AG an <strong>de</strong>r Übungsserie<br />
LÜKEX, um die Zusammenarbeit mit internen und<br />
externen Partnern zu üben und auf ihre Funktionalität<br />
zu prüfen.<br />
Fußball-WM 2006: Der Bahn-Ordnungsdienst kontrolliert die<br />
Bahnhöfe<br />
121
122<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> <strong>im</strong> DB-Konzern: Umfassen<strong>de</strong> Planung und Organisation<br />
Voraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit<br />
mit <strong>de</strong>n Behör<strong>de</strong>n und öffentlichen Einrichtungen<br />
mit Aufgaben <strong>de</strong>r Gefahrenabwehr ist eine umfassen<strong>de</strong><br />
<strong>Krisenmanagement</strong>planung und -organisation<br />
<strong>im</strong> Konzern. Diese muss zum einen <strong>de</strong>r Fortentwicklung<br />
<strong>de</strong>s Konzerns, aber auch <strong>de</strong>n Verän<strong>de</strong>rungen<br />
bei <strong>de</strong>n Bedrohungsszenarien Rechnung tragen. Insbeson<strong>de</strong>re<br />
die Bewältigung <strong>de</strong>s 11. September 2001,<br />
<strong>de</strong>r Flutkatastrophe 2002, die Pan<strong>de</strong>mieplanung aufgrund<br />
<strong>de</strong>r H5N1-Virus-Verbreitung seit 2005 und „Kyrill“<br />
2007 haben auch bei <strong>de</strong>r Deutschen Bahn AG<br />
gezeigt, wie wichtig neben präventiven Maßnahmen<br />
zur Verhin<strong>de</strong>rung von Krisen und krisenähnlichen<br />
Ereignissen eine sehr gut funktionieren<strong>de</strong> Krisenorganisation<br />
ist.<br />
Zu diesem Zweck wur<strong>de</strong> 2003 bei <strong>de</strong>r Deutschen<br />
Bahn AG ein standardisiertes <strong>Krisenmanagement</strong>-<br />
Tool eingeführt. Dieses regelt die Krisenorganisation,<br />
die Zusammensetzung und Arbeitsweise <strong>de</strong>s zentralen<br />
Krisenstabes und <strong>de</strong>r regionalen Krisenstäbe sowie<br />
die Krisenkommunikation.<br />
Ein wichtiger Grundsatz <strong>de</strong>r Krisenorgani-<br />
sation ist das sich gegenseitig ergänzen<strong>de</strong><br />
Zusammenwirken zwischen allen Ge-<br />
schäftsfel<strong>de</strong>rn und Spezialdisziplinen <strong>im</strong><br />
Konzern.<br />
Ein unerlässlicher Bestandteil davon ist das Ereignis-<br />
Reporting, welches sowohl als Frühwarnsystem als<br />
auch zur Vermittlung von Ereignismeldungen dient.<br />
Als operatives Instrument und Organisationsmittel für<br />
die Krisen- und Arbeitsstäbe dient das DB Lagezentrum,<br />
welches 24 Stun<strong>de</strong>n täglich besetzt und <strong>de</strong>m<br />
Leiter Konzernsicherheit fachlich zugeordnet ist.<br />
Wesentliche Spezialdisziplinen <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r Notfall-<br />
und Krisenvorsorge und <strong>de</strong>r Krisenbewältigung<br />
sind<br />
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Im Notfall müssen ICE-Züge schnell evakuiert wer<strong>de</strong>n
Notfallmanagement, Katastrophenschutz, Störungsmanagement<br />
Das Notfallmanagement (einschließlich Brandschutz)<br />
umfasst <strong>de</strong>n vorbeugen<strong>de</strong>n Brandschutz und die<br />
gesamtheitliche Organisation <strong>de</strong>r Gefahrenabwehr.<br />
Formuliert ist <strong>de</strong>r gesetzliche Auftrag <strong>im</strong> Allgemeinen<br />
Eisenbahngesetz (AEG) § 4. Auch hier hat die DB<br />
AG ein konzerngültiges Regelwerk <strong>im</strong>plementiert,<br />
welches die grundlegen<strong>de</strong>n Vorgaben <strong>de</strong>s vorbeugen<strong>de</strong>n<br />
Brandschutzes in Gebäu<strong>de</strong>n, Anlagen und<br />
Schienenfahrzeugen und alle Maßnahmen bei gefährlichen<br />
Unregelmäßigkeiten, Unfällen, Brän<strong>de</strong>n<br />
und Katastrophen bei <strong>de</strong>r DB AG/Konzernunternehmen<br />
(abwehren<strong>de</strong>r Brandschutz) sowie Störungen<br />
<strong>im</strong> operativen Eisenbahnbetrieb regelt.<br />
Das Störungsmanagement regelt <strong>de</strong>n Umgang mit<br />
Störungen mit erheblichen Auswirkungen auf die<br />
Verfügbarkeit <strong>de</strong>s Fahrweges sowie die Koordination<br />
<strong>de</strong>r Weiterführung bzw. Wie<strong>de</strong>raufnahme <strong>de</strong>s Bahnbetriebes.<br />
Zerstörungen von Bahninfrastrukturen – wie <strong>im</strong> Bild durch<br />
Hochwasser – können Versorgung und Bewegungsfreiheit <strong>de</strong>r<br />
Menschen erheblich beeinträchtigen<br />
Zerstörungen von Bahninfrastrukturen, sei es durch<br />
kriegerische Handlungen, Terroranschläge, Sabotageakte<br />
o<strong>de</strong>r Naturkatastrophen können einen erheblichen<br />
negativen Einfluss auf die Versorgung <strong>de</strong>r<br />
<strong>Bund</strong>esrepublik sowie auf die Bewegungsfreiheit<br />
<strong>de</strong>r Streitkräfte haben. Vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>s Ost-<br />
West-Konflikts und mit Blick auf mögliche kriegerische<br />
Handlungen wur<strong>de</strong> daher in <strong>de</strong>n 60er Jahren<br />
das Verkehrssicherstellungsgesetz in Kraft gesetzt. Auf<br />
seiner Grundlage sind an die DB AG Aufgaben zur<br />
Aufrechterhaltung von Verkehrsleistungen <strong>im</strong> Krisen-<br />
und Verteidigungsfall übertragen wor<strong>de</strong>n; sie wer<strong>de</strong>n<br />
heute durch <strong>de</strong>n Bereich Zivile Notfallvorsorge<br />
umgesetzt.<br />
Hauptaufgaben sind dabei<br />
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schen, betrieblichen und personellen Maßnah-<br />
men,<br />
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fallebenen wie mobilen Stellwerken, Notbrücken<br />
und Kommunikationsmitteln, die für die Aufrecht<br />
erhaltung o<strong>de</strong>r zur raschen Wie<strong>de</strong>rherstel-<br />
lung von Verkehrsleistungen in Krisensituationen<br />
erfor<strong>de</strong>rlich sind (Consequence Management).<br />
Fazit: Mit <strong>de</strong>r Umsetzung <strong>de</strong>r dargestellten <strong>Krisenmanagement</strong>maßnahmen<br />
ist die Deutsche Bahn AG als<br />
ein bun<strong>de</strong>sweit und international agieren<strong>de</strong>r Großkonzern<br />
für die notwendigen Vorsorgemaßnahmen<br />
auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s gut vorbereitet,<br />
um <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>s Public Private Partnership<br />
(PPP) in einer engen Zusammenarbeit mit staatlichen<br />
Einrichtungen für Gefahrenabwehr alle <strong>de</strong>nkbaren<br />
Krisenszenarien bewältigen zu können.<br />
Zum Autor: Burkhard Arnold ist Leiter <strong>de</strong>s DB Lagezentrums <strong>im</strong> Bereich Konzernsicherheit <strong>de</strong>r DB AG, Berlin<br />
123
124<br />
Das <strong>Krisenmanagement</strong>system <strong>de</strong>r EnBw<br />
Energie Ba<strong>de</strong>n-Württemberg AG<br />
Dr.-Ing. Wolf-Dietrich Erhard<br />
Die Energie Ba<strong>de</strong>n-Württemberg AG (EnBW) ist<br />
das drittgrößte Energieversorgungsunternehmen in<br />
Deutschland. In eigenen Kraftwerken wer<strong>de</strong>n jährlich<br />
rund 15 Gigawatt Strom erzeugt, die EnBW betreibt<br />
circa 15 Prozent <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Transport- und Verteilungsnetzes.<br />
Mit über 20.000 Mitarbeitern erzielte das<br />
Unternehmen 2007 einen Jahresumsatz von über 14<br />
Mrd. Euro und versorgte rund sechs Millionen Menschen<br />
mit Energie. Damit trägt das Unternehmen in<br />
beson<strong>de</strong>rem Maße Verantwortung für eine flächen<strong>de</strong>cken<strong>de</strong><br />
Versorgungssicherheit und die Aufrechterhaltung<br />
<strong>de</strong>r Infrastruktur.<br />
Die Kraftwerke <strong>de</strong>r EnBW<br />
Energie Ba<strong>de</strong>n-Württemberg<br />
AG<br />
Im Oktober 2004 hat die EnBW ein konzernweites<br />
<strong>Krisenmanagement</strong>system eingeführt und seit<strong>de</strong>m an<br />
<strong>de</strong>ssen Ausbau gearbeitet. Damit wird <strong>im</strong> Krisenfall<br />
die schnelle, effektive und abgest<strong>im</strong>mte Vorgehensweise<br />
sämtlicher Organisationseinheiten <strong>de</strong>s Konzerns<br />
sichergestellt. Zentrale Aufgaben sind, Schä<strong>de</strong>n<br />
auf die Umwelt, das Unternehmen, die Kun<strong>de</strong>n und<br />
die Belegschaft zu min<strong>im</strong>ieren sowie eine klar strukturierte<br />
Koordination und Steuerung aller Konzernaktivitäten<br />
hinsichtlich Prävention, Krisenbeherrschung<br />
und Nachbereitung zu gewährleisten. Das Krisen-
managementsystem ist durchgängig in die Konzernstrukturen<br />
<strong>im</strong>plementiert. In einem allen Mitarbeitern<br />
zugänglichen <strong>Krisenmanagement</strong>handbuch sind die<br />
Grundzüge <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s dargestellt. Ein<br />
vertrauliches Krisenhandbuch beschreibt <strong>de</strong>tailliert<br />
Verfahren und Metho<strong>de</strong>n sowie einzelne Krisenszenarien<br />
und ihre Bewältigungsstrategien.<br />
Die organisatorische Umsetzung <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>systems<br />
in <strong>de</strong>r EnBW wird durch klar <strong>de</strong>finierte<br />
Verantwortlichkeiten erreicht.<br />
Eskalationsstufen <strong>im</strong> <strong>Krisenmanagement</strong>system <strong>de</strong>r EnBW<br />
Aufgabe <strong>de</strong>r Leitungen <strong>de</strong>r Konzerngesellschaften<br />
(KG) sowie <strong>de</strong>r Querschnitts- und Holdingbereiche<br />
ist es, <strong>de</strong>n erfor<strong>de</strong>rlichen Informationsfluss zur OE<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> zu gewährleisten und hierfür einen<br />
Ansprechpartner zu benennen. Darüber hinaus<br />
sind die Geschäftsleitungen dafür verantwortlich,<br />
dass das gesellschaftseigene Notfallmanagement und<br />
das <strong>de</strong>r direkt einbezogenen Beteiligungen <strong>de</strong>n gesetzlichen<br />
Erfor<strong>de</strong>rnissen und <strong>de</strong>n Konzernregelungen<br />
entspricht. Außer<strong>de</strong>m verfügt je<strong>de</strong> EnBW-Konzerngesellschaft<br />
über ein aktuelles Regelwerk zum<br />
Notfallmanagement.<br />
Verantwortlich für die Umsetzung <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>systems<br />
ist die Organisationseinheit (OE)<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> in <strong>de</strong>r EnBW-Holding. Sie steuert<br />
zentral die Organisation und Weiterentwicklung<br />
<strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>systems, die Abst<strong>im</strong>mung mit<br />
Behör<strong>de</strong>n, Politik, Hilfsorganisationen und Experten<br />
in Grundsatzfragen sowie die Planung und Durchführung<br />
von Übungen. Darüber hinaus unterstützt<br />
das <strong>Krisenmanagement</strong> die einzelnen Konzerngesellschaften<br />
innerhalb <strong>de</strong>s jeweils <strong>de</strong>zentral aufgestellten<br />
Störungs- und Notfallmanagements.<br />
Ein Mel<strong>de</strong>konzept stellt <strong>de</strong>n konzernweiten Informationsfluss<br />
zur Holding bei allen relevanten Ereignissen<br />
sicher. Je<strong>de</strong>r Vorgang mit Krisenpotenzial kann<br />
damit durch das <strong>Krisenmanagement</strong> zentral bewertet<br />
wer<strong>de</strong>n. So ist sichergestellt, dass zur Ereignisbewältigung<br />
je<strong>de</strong>rzeit neben <strong>de</strong>n <strong>de</strong>zentralen Strukturen in<br />
<strong>de</strong>r Gesellschaft auch die zentralen Strukturen <strong>de</strong>s<br />
Konzerns zur Verfügung stehen. Im Falle einer Krise<br />
o<strong>de</strong>r einer Katastrophe stellt das <strong>Krisenmanagement</strong><br />
grundsätzlich <strong>de</strong>n Informationsaustausch zu <strong>de</strong>n<br />
„oberen“ Behör<strong>de</strong>n sicher.<br />
125
126<br />
Struktur <strong>de</strong>s Krisenstabs <strong>im</strong> EnBW-Konzern<br />
Im Normalfall ebenso wie <strong>im</strong> Notfall liegen die Zuständigkeiten<br />
und Verantwortlichkeiten in <strong>de</strong>n Konzerngesellschaften.<br />
Zusätzlich sind auf Konzernebene<br />
so genannte Task Forces mit Vertretern aus <strong>de</strong>n<br />
Holdingbereichen und <strong>de</strong>n Konzerngesellschaften<br />
für best<strong>im</strong>mte Szenarien eingerichtet. Aufgaben dieser<br />
Task Forces sind die Lagebeurteilung und die<br />
Begrenzung <strong>de</strong>r Auswirkungen auf Konzernebene<br />
sowie die Unterstützung <strong>de</strong>r betroffenen Gesellschaften.<br />
Im Krisenfall liegt die Weisungsbefugnis bei einem<br />
zentralen Krisenstab.<br />
Der Krisenstab setzt sich aus <strong>de</strong>n Mitarbeitern <strong>de</strong>s<br />
<strong>Krisenmanagement</strong>s, Vertretern <strong>de</strong>r Querschnittsfunktionen<br />
<strong>de</strong>r Holding (Kernteam), <strong>de</strong>r Konzerngesellschaften<br />
(Fachteam), <strong>de</strong>r Unternehmenskommunikation<br />
(Kommunikations- und Medienteam) und<br />
<strong>de</strong>r internen Dienstleister (Supportteam) zusammen.<br />
Der Krisenstab erstellt eine Lagebeurteilung und<br />
koordiniert die Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>m operativen<br />
Notfallmanagement <strong>de</strong>r Konzerngesellschaften und<br />
mit Behör<strong>de</strong>n sowie die interne und externe Kommunikation.<br />
Ein zentrales Element <strong>de</strong>r Krisenprävention ist die<br />
Vorbereitung auf <strong>de</strong>n Krisenfall. Dies betrifft neben<br />
<strong>de</strong>n konzerninternen Vorgehensweisen zur Krisenbewältigung<br />
auch die Zusammenarbeit mit kommunalen<br />
und staatlichen Behör<strong>de</strong>n und Institutionen wie<br />
etwa <strong>de</strong>m Katastrophenschutz. Hierzu wer<strong>de</strong>n in gemeinsamen<br />
Veranstaltungen regelmäßig Erfahrungen<br />
ausgetauscht und in Planspielen das Vorgehen <strong>im</strong><br />
Krisenfall geübt. Das Training <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r Krisenbewältigung<br />
betrauten Personen erfolgt in <strong>de</strong>n jährlich<br />
stattfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n konzernweiten Krisenübungen sowie<br />
<strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r regelmäßigen Teilnahme an <strong>de</strong>n<br />
bun<strong>de</strong>sweiten LÜKEX-Übungen. Die systematische<br />
Auswertung dieser Übungen ist eine Grundlage für<br />
die ständige Verbesserung <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>systems<br />
<strong>de</strong>r EnBW.<br />
Zum Autor: Dr.-Ing. Wolf-Dietrich Erhard ist Bereichsleiter „<strong>Krisenmanagement</strong>“ <strong>de</strong>r EnBw Energie Ba<strong>de</strong>n-Württemberg
Pan<strong>de</strong>mie - eine globale Herausfor<strong>de</strong>rung -<br />
Erfahrungen <strong>im</strong> <strong>Krisenmanagement</strong> aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>s<br />
Unternehmens IBM<br />
Lars Gielg<br />
Eine Pan<strong>de</strong>mie ist eine <strong>de</strong>r herausfor-<br />
<strong>de</strong>rndsten Aufgabenstellungen <strong>im</strong> unter-<br />
nehmerischen <strong>Krisenmanagement</strong>. In <strong>de</strong>r<br />
globalisierten Wirtschaft <strong>de</strong>s 21. Jahrhun-<br />
<strong>de</strong>rts stellt sie uns durch ihre vermutlich<br />
schnelle und weitläufige Ausbreitung sowie<br />
die lange Dauer vor sehr komplexe Pro-<br />
bleme, die bislang so in das betriebliche<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> keinen Eingang gefun-<br />
<strong>de</strong>n hatten.<br />
Genau diese Bedrohungscharakteristik stellt für IBM<br />
eine beson<strong>de</strong>re Herausfor<strong>de</strong>rung dar, <strong>de</strong>nn die globale<br />
Integration <strong>de</strong>s Unternehmens über Kontinente<br />
und Zeitzonen hinweg sorgt zum einen für starke Abhängigkeiten,<br />
hat aber zum an<strong>de</strong>ren große Potentiale<br />
bei Flexibilität und Verfügbarkeit geschaffen. Das<br />
macht ein weltweit abgest<strong>im</strong>mtes betriebliches Pan<strong>de</strong>miemanagement<br />
notwendig. Je<strong>de</strong>r internationale<br />
Ansatz muss <strong>de</strong>nnoch konsequent auf nationaler,<br />
teilweise sogar regionaler Ebene umgesetzt wer<strong>de</strong>n,<br />
<strong>de</strong>nn Informationstechnologie hat alles gesellschaftliche<br />
und insbeson<strong>de</strong>re wirtschaftliche Han<strong>de</strong>ln voll<br />
durchdrungen. Von <strong>de</strong>r Abhebung am Geldautomaten<br />
über das Steuern von Logistikprozessen für die<br />
Lebensmittelbranche bis hin zur nächsten Wettervorhersage<br />
gilt, dass krisenhafte Störungen, wie sie bei<br />
einer Pan<strong>de</strong>mie zu erwarten sind, für je<strong>de</strong>n Menschen<br />
direkt <strong>im</strong> Alltag spürbare Konsequenzen hätten. Somit<br />
müssen auch die lokalen Gegebenheiten in ihrer<br />
Relevanz für das Gesamtsystem bewertet wer<strong>de</strong>n.<br />
IBM ist sich ihrer daraus resultieren<strong>de</strong>n gesamtgesellschaftlichen<br />
Verantwortung bewusst. Bereits <strong>im</strong><br />
Mai 2006 hat das Unternehmen mit über 20 <strong>de</strong>r be<strong>de</strong>utendsten<br />
Gesundheitsinstitutionen, darunter die<br />
WHO, eine weltweite Pan<strong>de</strong>mie-Initiative gegrün<strong>de</strong>t.<br />
Zeitgleich wur<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>r Umsetzung einer weltweit<br />
einheitlichen Strategie zum betrieblichen Pan<strong>de</strong>miemanagement<br />
begonnen.<br />
Innovationsportal „CeBIT next“ 2008: <strong>Bund</strong>eskanzlerin<br />
Angela Merkel zusammen mit Martin Jetter, Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />
Geschäftsführung <strong>de</strong>r IBM Deutschland<br />
127
128<br />
Das IBM-Pan<strong>de</strong>miemanagement und Public-Private-Partnership<br />
Public-Private-Partnership hat <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r betrieblichen<br />
Pan<strong>de</strong>mieplanung beson<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>utung.<br />
Zum einen wird IBM wie je<strong>de</strong>s an<strong>de</strong>re Unternehmen<br />
von <strong>de</strong>n behördlichen Maßnahmen <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>s<br />
<strong>Krisenmanagement</strong>s betroffen sein. Daher gilt es, die<br />
möglichen Auswirkungen abzuschätzen und entsprechen<strong>de</strong><br />
Anpassungen und Maßnahmen vorzubereiten.<br />
Zum an<strong>de</strong>ren ist aber auch die öffentliche Hand<br />
Kun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r IBM. Sie hat, ebenso wie eine Vielzahl<br />
an<strong>de</strong>rer Unternehmen, die für lebensnotwendige<br />
Grundleistungen in <strong>de</strong>r Gesellschaft verantwortlich<br />
sind, auch für <strong>de</strong>n Pan<strong>de</strong>miefall eine klare Erwartungshaltung<br />
an IBM.<br />
Um diesen Anfor<strong>de</strong>rungen gerecht zu wer<strong>de</strong>n, ist das<br />
betriebliche Pan<strong>de</strong>miemanagement <strong>de</strong>r IBM kun<strong>de</strong>nbezogen<br />
entlang <strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong>n Geschäftsbereiche<br />
und Serviceleistungen aufgebaut. Der Schutz <strong>de</strong>r<br />
Mitarbeiter und das Sicherstellen <strong>de</strong>r für <strong>de</strong>n Kun<strong>de</strong>n<br />
kritischen Prozesse bil<strong>de</strong>n hierbei <strong>de</strong>n Kern. Die daraus<br />
resultieren<strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen gilt es unter <strong>de</strong>n<br />
zu erwarten<strong>de</strong>n Einschränkungen wie Personalausfälle<br />
o<strong>de</strong>r Störungen <strong>de</strong>r Infrastruktur zu erfüllen.<br />
Bereits bei <strong>de</strong>r Festlegung <strong>de</strong>r Randbedingungen für<br />
die Planungsszenarios half die Zusammenarbeit mit<br />
nationalen und internationalen öffentlichen Stellen,<br />
zum Beispiel bei <strong>de</strong>r Abschätzung <strong>de</strong>r Erkrankungsrate.<br />
Entlang <strong>de</strong>r <strong>de</strong>finierten kritischen Prozesse wur<strong>de</strong>n<br />
die Schnittstellen und Abhängigkeiten untersucht.<br />
Dies beschränkte sich nicht auf nationale o<strong>de</strong>r<br />
globale IBM Funktionen son<strong>de</strong>rn umfasste ebenso<br />
Lieferanten vom Energieversorger bis hin zur Reinigungsfirma.<br />
Auch bei diesem Planungsschritt war ein<br />
IBM und LÜKEX 2007<br />
Neben <strong>de</strong>m Erstellen eines Pan<strong>de</strong>mie-<strong>Krisenmanagement</strong>planes<br />
ist ein weiterer notwendiger Schritt, diesen<br />
zu testen und zu beüben. Auch hier erwies sich<br />
die gute Zusammenarbeit zwischen <strong>de</strong>r öffentlichen<br />
Hand, insbeson<strong>de</strong>re mit <strong>de</strong>m <strong>Bund</strong>esamt für Bevölkerungsschutz<br />
und Katastrophenhilfe, als äußerst<br />
wertvoll. Im Rahmen von LÜKEX 2007 konnte die<br />
Intelligentes, mobiles IBM Notfall-Rechenzentrum, vorgestellt<br />
2007 in Washington, DC, USA<br />
Abgleich mit öffentlichen Stellen hilfreich. Abschließend<br />
mussten die <strong>de</strong>finierten Maßnahmen von <strong>de</strong>r<br />
Organisationsebene aus auf die geographische Ebene<br />
übertragen wer<strong>de</strong>n, um für alle an einem Standort<br />
vertretenen Geschäftsbereiche die notwendigen infrastrukturellen<br />
Vorbereitungen treffen zu können.<br />
Die Entscheidungs- und Kommunikationsstruktur<br />
für <strong>de</strong>n Krisenfall ist mehrfach redundant ausgelegt.<br />
Als Wissensbasis und zur Dokumentation dient eine<br />
europaweite Datenbank, die für die Entscheidungsträger<br />
sowohl online wie auch als lokale Replik auf<br />
<strong>de</strong>m jeweiligen persönlichen Rechner verfügbar ist.<br />
Wegen <strong>de</strong>r Dynamik <strong>de</strong>r Än<strong>de</strong>rungen in großen Unternehmen<br />
und <strong>de</strong>m Bedarf einer stets aktuellen und<br />
einheitlichen Informationsquelle ist ein <strong>de</strong>rartiger<br />
Plan allerdings nicht in Papierform verfügbar.<br />
betriebliche Pan<strong>de</strong>mieplanung <strong>de</strong>r IBM in Deutschland<br />
erstmals auf die Probe gestellt wer<strong>de</strong>n. Bereits<br />
während <strong>de</strong>r Vorbereitungen haben sich die Kontakte<br />
zu unterschiedlichsten Behör<strong>de</strong>nvertretern und<br />
Unternehmen, sowohl <strong>de</strong>r Kun<strong>de</strong>n- wie auch <strong>de</strong>r<br />
Zuliefererseite, als sehr informativ und mitunter auch<br />
innovativ gestaltet.
Entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Erfolgsfaktoren für LÜKEX<br />
2007 waren die Güte <strong>de</strong>r Übungsrealität,<br />
die sicherlich von keinem <strong>de</strong>r teilnehmen-<br />
<strong>de</strong>n Unternehmen allein hätte erreicht<br />
wer<strong>de</strong>n können, sowie die vielfältigen<br />
Interaktionsmöglichkeiten, die auch spon-<br />
tane und <strong>im</strong>provisierte Einspielungen<br />
zuließen.<br />
Hierbei erwies es sich nicht als notwendig, 100 Prozent<br />
Realitätsnähe bei technischen Angaben, Prognosen<br />
o<strong>de</strong>r Anfragen zu erreichen, allein schon die<br />
Übungsdichte und die durch die Lagebil<strong>de</strong>r erzeugte<br />
St<strong>im</strong>mung sorgten für entsprechen<strong>de</strong> I<strong>de</strong>ntifikation<br />
<strong>de</strong>r Teilnehmer mit ihren Übungsaufgaben. Das Ziel,<br />
das IBM <strong>Krisenmanagement</strong>team zu sensibilisieren<br />
und eine erste Konsistenzprüfung <strong>de</strong>s Planes vorzunehmen,<br />
wur<strong>de</strong> voll erreicht. Darüber hinaus machte<br />
die Übung <strong>de</strong>utlich, wie stark die einzelnen Funktionen<br />
von einan<strong>de</strong>r abhängen, obwohl sie <strong>im</strong> Rahmen<br />
<strong>de</strong>r Übung lediglich einen ausgewählten Ausschnitt<br />
<strong>de</strong>s komplexen Gesamtgefüges <strong>de</strong>r Gesellschaft repräsentierten.<br />
Perspektive<br />
Die Vorbereitung auf <strong>de</strong>n Pan<strong>de</strong>miefall zeigt <strong>de</strong>utlich,<br />
wie eng die unterschiedlichsten Akteure <strong>de</strong>s<br />
<strong>Krisenmanagement</strong>s miteinan<strong>de</strong>r verwoben sein<br />
müssen und welche beson<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>utung eine gemeinschaftliche<br />
Herangehensweise von Unternehmen<br />
und öffentlicher Hand hat. Unternehmen müssen<br />
sich dabei ihrer gesamtgesellschaftlichen Rolle<br />
und Verantwortung bewusst sein, und sie dürfen sich<br />
auch nicht scheuen, aktiv auf Behör<strong>de</strong>n, Ämter und<br />
Institutionen zuzugehen. Für letztere wie<strong>de</strong>rum ist es<br />
unerlässlich, Funktionsweisen und Abhängigkeiten<br />
<strong>de</strong>r Unternehmen zu kennen und dies in ihre politischen<br />
und planerischen Überlegungen mit einzubeziehen.<br />
Transparenz <strong>de</strong>r Zuständigkeiten und klare<br />
Kommunikationswege sind hierbei unerlässlich. Die<br />
Pan<strong>de</strong>mieplanung hat dies für IBM bereits in Teilen<br />
erfüllt und lässt auf weitere gemeinsame Fortschritte<br />
hoffen, <strong>de</strong>nn<br />
Public-Private-Partnership <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>s<br />
<strong>Krisenmanagement</strong>s hat für alle<br />
Beteiligten einen beson<strong>de</strong>ren Stellenwert<br />
und be<strong>de</strong>utet einen großen Zugewinn.<br />
Zum Autor: Lars Gielg ist Leiten<strong>de</strong>r Sicherheitsingenieur, Well-Being Service Manager IBM Deutschland & CEMAAS, Stuttgart<br />
129
132<br />
IV. Kapitel<br />
Das System LÜKEX:<br />
Strategisches Forum <strong>de</strong>s natio-<br />
nalen <strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
„Der <strong>Bund</strong> wird mit Blick auf die Gefahren<br />
von morgen <strong>de</strong>n Bevölkerungsschutz<br />
national wie international mitgestalten<br />
und somit die Effektivität in einem<br />
Kernbereich staatlicher Daseinsvorsorge,<br />
<strong>de</strong>r Sicherheit seiner Bürgerinnen und<br />
Bürger, weiter steigern.“<br />
„Das Zusammenwirken aller Beteiligten<br />
muss gut geübt sein, damit <strong>im</strong> Ernstfall<br />
alles reibungslos funktioniert. Deshalb<br />
führen wir seit 2004 ressort- und län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong><strong>Krisenmanagement</strong>übungen<br />
durch, die „LÜKEX-Übungen.“<br />
Dr. Wolfgang Schäuble, <strong>Bund</strong>esminister <strong>de</strong>s Innern
Das System LÜKEX als Motor <strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>s<br />
strategischen <strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
Manfred Klink / Tanja Thie<strong>de</strong><br />
Allgemeines und Grundsätze<br />
Deutschland hat <strong>de</strong>n komplexen sicherheitspolitischen<br />
Herausfor<strong>de</strong>rungen ein ebenso komplexes<br />
System <strong>de</strong>r polizeilichen, nichtpolizeilichen, nachrichtendienstlichen<br />
und militärischen Gefahrenabwehr<br />
gegenübergestellt. Nun funktionieren komplexe<br />
Systeme <strong>im</strong> Einsatz nur, wenn sie regelmäßig<br />
erprobt wer<strong>de</strong>n. Das kann in realen Lagen o<strong>de</strong>r in<br />
Übungen erfolgen. In diesem Sinne fan<strong>de</strong>n während<br />
<strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>s Kalten Krieges die so genannten „WIN-<br />
TEX-CIMEX“-Übungen statt, die neben einem militärischen<br />
Szenario auch <strong>de</strong>n Schutz <strong>de</strong>r Zivilbevölkerung<br />
<strong>im</strong> Verteidigungsfall einbezogen.<br />
Nach <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Ost-West-Konfliktes fan<strong>de</strong>n diese<br />
Übungen <strong>im</strong> Rahmen eines sicherheitspolitischen<br />
Paradigmenwechsels nicht mehr statt, Vorkehrungen<br />
für <strong>de</strong>n Kriegsfall wur<strong>de</strong>n größtenteils aufgegeben,<br />
so z. B. Luftschutzwarneinrichtungen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Regierungsbunker<br />
an <strong>de</strong>r Ahr. In <strong>de</strong>r Folge fan<strong>de</strong>n lediglich<br />
Katastrophenschutzübungen in <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r zu<br />
einigen speziellen Themen bei <strong>de</strong>n zuständigen <strong>Bund</strong>esressorts<br />
und -behör<strong>de</strong>n statt. Die Übungen hatten<br />
jedoch <strong>de</strong>utlich taktisch-operative Schwerpunkte und<br />
waren auf einzelne punktuelle Scha<strong>de</strong>nslagen ausgerichtet.<br />
Einzelne Scha<strong>de</strong>nsereignisse wirken sich jedoch in<br />
aller Regel nach <strong>de</strong>m „Dominoprinzip“ auf an<strong>de</strong>re<br />
Bereiche aus. Deshalb sind zusätzliche Übungen erfor<strong>de</strong>rlich,<br />
die <strong>de</strong>n gesamtgesellschaftlichen nationalen<br />
Ansatz in <strong>de</strong>n Mittelpunkt stellen.<br />
Die Terroranschläge <strong>de</strong>s 11. September 2001 und die<br />
Elbeflut <strong>im</strong> Sommer 2002 haben inzwischen zu einem<br />
generellen Um<strong>de</strong>nken geführt. Die von <strong>de</strong>r Innenministerkonferenz<br />
<strong>im</strong> Jahre 2002 beschlossene„Neue<br />
Strategie zum Schutz <strong>de</strong>r Bevölkerung“ reflektiert das<br />
Bewusstsein einer Gesamtverantwortung von <strong>Bund</strong><br />
und Län<strong>de</strong>rn. Neben einer Reihe an<strong>de</strong>rer Maßnahmen<br />
sind gemeinsame Übungen vorgesehen, bei<br />
<strong>de</strong>r die bun<strong>de</strong>sweite Abst<strong>im</strong>mung von Notfallmaßnahmen<br />
und vereinheitlichte Schutzkonzeptionen erprobt<br />
wer<strong>de</strong>n sollen.<br />
Aufbauend auf dieser Beschlusslage wur<strong>de</strong> 2003 an<br />
<strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie für <strong>Krisenmanagement</strong>, Notfallplanung<br />
und Zivilschutz (AKNZ) mit <strong>de</strong>r Vorbereitung<br />
einer ersten strategischen <strong>Krisenmanagement</strong>-Übung<br />
begonnen. Dabei ist <strong>de</strong>r einprägsame Begriff LÜK-<br />
EX (Län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong> <strong>Krisenmanagement</strong>-Übung<br />
Exercise) entstan<strong>de</strong>n.<br />
131
132<br />
Der Begriff LÜKEX ist inzwischen zum<br />
anerkannten Markenzeichen eines Ge-<br />
samtsystems gewor<strong>de</strong>n, das neben <strong>de</strong>r Er-<br />
probung <strong>de</strong>s län<strong>de</strong>r- und bereichsübergrei-<br />
fen<strong>de</strong>n <strong>Krisenmanagement</strong>s auch für die<br />
Bildung von Netzwerken steht, in <strong>de</strong>nen<br />
sich unterschiedliche Teile <strong>de</strong>r öffentlichen<br />
Verwaltung mit Privatunternehmen, Hilfs-<br />
organisationen und Verbän<strong>de</strong>n auf über-<br />
regionale und länger anhalten<strong>de</strong> Krisen<br />
vorbereiten.<br />
Neben <strong>de</strong>n Übungen selbst sind Handlungsempfehlungen<br />
fürs <strong>Krisenmanagement</strong>, Aus- und Fortbildungsmaßnahmen,<br />
das Coaching von Entscheidungsträgern,<br />
die Weiterentwicklung technischer<br />
Instrumente sowie Forschungsprojekte Bestandteile<br />
<strong>de</strong>s „Systems LÜKEX“.<br />
Das Übungskonzept LÜKEX<br />
Das Übungskonzept muss sich am strategischen Ansatz<br />
orientieren. Dazu müssen sowohl be<strong>im</strong> <strong>Bund</strong> als<br />
auch in <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn die politischen Entscheidungsträger<br />
in <strong>de</strong>n Übungsprozess einbezogen wer<strong>de</strong>n.<br />
Lan<strong>de</strong>sinterne Kabinettsbeschlüsse zur Übungsbeteiligung<br />
sind ein geeignetes Mittel, um eine möglichst<br />
hochrangige und somit eine <strong>de</strong>m Realfall einer<br />
Krise vergleichbare Besetzung <strong>de</strong>r Krisen- und Verwaltungsstäbe<br />
während <strong>de</strong>r Übung zu erreichen. Die<br />
Übungen fin<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>r <strong>de</strong>rzeitigen<br />
verfassungsrechtlich best<strong>im</strong>mten Zuständigkeitsregelungen<br />
statt, die ein hohes Maß an kooperativem<br />
Verhalten und Konsensbereitschaft <strong>de</strong>r Beteiligten<br />
verlangen, um ein erfolgreiches gesamtgesellschaftlichen<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> zu erreichen. LÜKEX dient<br />
<strong>de</strong>shalb auch <strong>de</strong>m Zweck, eine krisenfeste „Verhand-<br />
Das <strong>Bund</strong>esinnenministerium, das <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r<br />
neuen Strategie auf Seiten <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es eine Schlüsselrolle<br />
einn<strong>im</strong>mt, hat – ganz wesentlich mitbest<strong>im</strong>mt<br />
von <strong>de</strong>n zuständigen Referatsleitern <strong>de</strong>r Abteilung<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> – <strong>de</strong>n Gedanken gemeinsamer<br />
Übungen <strong>im</strong> Rahmen einer Übungsserie von Anfang<br />
an aufgenommen und mitgestaltet. Im Rahmen eines<br />
dort entwickelten Übungskonzepts sind alle zwei<br />
Jahre strategische <strong>Krisenmanagement</strong>-Übungen (LÜ-<br />
KEX) vorgesehen, die bei Bedarf durch Übungen,<br />
die Teilaspekte ab<strong>de</strong>cken, ergänzt wer<strong>de</strong>n. Grundsätzlich<br />
wer<strong>de</strong>n, nach einer Vorabst<strong>im</strong>mung <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>esressorts,<br />
die Län<strong>de</strong>r an <strong>de</strong>r Auswahl <strong>de</strong>r Themen<br />
beteiligt. Im Anschluss entschei<strong>de</strong>n die Län<strong>de</strong>r über<br />
ihre Teilnahme. Eine Arbeitsgruppe von <strong>Bund</strong> und<br />
Län<strong>de</strong>rn, die aus Projektgruppen <strong>de</strong>s BBK und <strong>de</strong>r<br />
hauptbeteiligten Län<strong>de</strong>r besteht, wird gebil<strong>de</strong>t. Es<br />
wird angestrebt, dass sich neben <strong>de</strong>n hauptbetroffenen<br />
<strong>Bund</strong>esressorts und Behör<strong>de</strong>n alle Län<strong>de</strong>r in<br />
unterschiedlicher Beteiligungstiefe in einem wie<strong>de</strong>rkehren<strong>de</strong>n<br />
Rhythmus an <strong>de</strong>n Übungen beteiligen<br />
und stets alle Län<strong>de</strong>r und <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong> an <strong>de</strong>n Ergebnissen<br />
je<strong>de</strong>r Übung partizipieren. In gleicher Weise wird<br />
auch eine Beteiligung von Unternehmen, Hilfsorganisationen<br />
und Verbän<strong>de</strong>n <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r Public-<br />
Private-Partnership angeregt.<br />
lungs- und Entscheidungskultur“ zwischen <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn<br />
und <strong>de</strong>m <strong>Bund</strong> zu etablieren, die auch unter<br />
hohem Zeit- und Handlungsdruck nachhaltige Lösungen<br />
ermöglicht. Nach einer vorläufigen Auswahl <strong>de</strong>r<br />
groben Übungsthemen durch die zuständigen <strong>Bund</strong>esressorts<br />
erfolgt ein Angebot an alle <strong>Bund</strong>eslän<strong>de</strong>r,<br />
sich <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r gewünschten Beteiligungstiefe<br />
an <strong>de</strong>r Übung zu beteiligen. Gleichfalls wer<strong>de</strong>n die<br />
Übungsschwerpunkte in <strong>de</strong>n zuständigen <strong>Bund</strong>-<br />
Län<strong>de</strong>r-Gremien (AK II und AK V) abgest<strong>im</strong>mt. Die<br />
Grundzüge <strong>de</strong>s Übungskonzepts – insbeson<strong>de</strong>re das<br />
Grundszenario, die Übungsziele und die Beteiligung<br />
– wer<strong>de</strong>n in einem verbindlichen Dokument, <strong>de</strong>m<br />
„Übungsrahmen“ festgelegt; es ist die Grundlage für<br />
die Vorbereitung und Durchführung <strong>de</strong>r Übung.
Das Konzept für die LÜKEX-Übungen basiert auf folgen<strong>de</strong>n<br />
Grundsätzen:<br />
Den Übungen wer<strong>de</strong>n Szenarien zugrun<strong>de</strong> gelegt,<br />
von <strong>de</strong>nen mehrere <strong>Bund</strong>eslän<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r die gesamte<br />
<strong>Bund</strong>esrepublik mehr o<strong>de</strong>r weniger stark betroffen<br />
sind. Dieser Ansatz folgt <strong>de</strong>r Feststellung, dass die<br />
zuständigen Kommunen und <strong>Bund</strong>eslän<strong>de</strong>r über ein<br />
gut ausgestattetes und <strong>im</strong> operativ-taktischen Bereich<br />
erprobtes und bewährtes Notfallsystem für einzelne<br />
regional begrenzte Scha<strong>de</strong>nsereignisse verfügen, aber<br />
kaum erprobte Konzepte und Strukturen für überregionale<br />
und länger andauern<strong>de</strong> Krisen vorhan<strong>de</strong>n<br />
sind. Die Szenarien erfor<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>mgemäß abgest<strong>im</strong>mtes,<br />
koordiniertes län<strong>de</strong>r- und bereichsübergreifen<strong>de</strong>s<br />
Han<strong>de</strong>ln auf <strong>de</strong>r poltisch-strategischen Ebene.<br />
Die Übungen wer<strong>de</strong>n als Stabsrahmenübungen<br />
durchgeführt, die auch unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten<br />
für <strong>de</strong>n angestrebten Zweck beson<strong>de</strong>rs<br />
geeignet sind. Vollübungsanteile sind grundsätzlich<br />
nicht Bestandteil von LÜKEX, sie können jedoch<br />
von einzelnen <strong>Bund</strong>es- o<strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sbehör<strong>de</strong>n zur<br />
realitätsnahen Überprüfung konkreter Probleme auf<br />
taktischer Ebene angehängt wer<strong>de</strong>n.<br />
Zur Bewältigung <strong>de</strong>r Krise ist <strong>de</strong>r integrierte Einsatz<br />
<strong>de</strong>r Ressourcen <strong>de</strong>r polizeilichen und nichtpolizeilichen<br />
Gefahrenabwehr erfor<strong>de</strong>rlich, das Scha<strong>de</strong>nsausmaß<br />
und /o<strong>de</strong>r die Gefahrenlage erfor<strong>de</strong>rn<br />
grundsätzlich auch die Unterstützung durch <strong>Bund</strong>esressourcen,<br />
insbeson<strong>de</strong>re die Hilfe <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr<br />
<strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r zivil-militärischen Zusammenarbeit in<br />
<strong>de</strong>r aktuellen Struktur (Art. 35 GG).<br />
Nach<strong>de</strong>m sich in zunehmen<strong>de</strong>m Maße kritische Infrastrukturen<br />
und essentielle Versorgungsbereiche<br />
in privater Hand befin<strong>de</strong>n (z. B. in <strong>de</strong>n Bereichen<br />
Verkehr, Energieversorgung, Kommunikation) und<br />
Notfallvorsorge und Rettungsdienste weitgehend von<br />
nichtstaatlichen Hilfsorganisationen (teilweise mit<br />
ehrenamtlichen Kräften) geleistet wer<strong>de</strong>n, hat die<br />
Beteiligung von Privatunternehmen, Verbän<strong>de</strong>n und<br />
Hilfsorganisationen in <strong>de</strong>n Übungen einen hohen<br />
Stellenwert. Demzufolge sind die Übungsunterlagen,<br />
die fiktive Szenarien verwen<strong>de</strong>n, nicht als Verschlusssachen<br />
eingestuft, um einen breiten und offenen Dialog<br />
zu ermöglichen. Gleichwohl verpflichten sich die<br />
Übungsbeteiligten zur vertraulichen Behandlung <strong>de</strong>r<br />
Unterlagen, auch um <strong>de</strong>n „Überraschungseffekt“ bei<br />
<strong>de</strong>n Üben<strong>de</strong>n zu gewährleisten.<br />
Um die nationale Betroffenheit darzustellen, sind die<br />
<strong>Bund</strong>eslän<strong>de</strong>r, Unternehmen und Verbän<strong>de</strong>, die nicht<br />
als „Kernübungslän<strong>de</strong>r“ unmittelbar an <strong>de</strong>r Übung<br />
beteiligt sind, mit einer kleinen, aus entscheidungsbefugten<br />
Vertretern gebil<strong>de</strong>ten Reaktionsgruppe vertreten.<br />
Angestrebt wird auch eine Beteiligung <strong>de</strong>r<br />
Verwaltungsstrukturen auf Bezirks- und kommunaler<br />
Ebene (Städte, Kreise), um Auswirkungen „vor Ort“<br />
möglichst realistisch einzubringen und damit „Realitätsdruck“<br />
bei <strong>de</strong>n Stäben auf Lan<strong>de</strong>s- und <strong>Bund</strong>esebene<br />
zu erzeugen.<br />
Abgest<strong>im</strong>mte Presse- und Öffentlichkeitsarbeit als<br />
strategisches Mittel <strong>de</strong>r Kommunikation mit <strong>de</strong>r von<br />
<strong>de</strong>n Auswirkungen <strong>de</strong>r Krise betroffenen Bevölkerung<br />
ist – wie nachfolgend in einem eigenen Beitrag<br />
noch ausführlich dargestellt – ein Hauptelement <strong>de</strong>r<br />
Übung.<br />
133
134<br />
Bei <strong>de</strong>r Anlage <strong>de</strong>r Übung wirken die Projektgruppen<br />
<strong>de</strong>r Kernübungslän<strong>de</strong>r und die Projektgruppe <strong>de</strong>s<br />
BBK (PG LÜKEX) in einer Arbeitsgruppe zusammen,<br />
um einerseits die Übung nach län<strong>de</strong>rspezifischen<br />
Bedingungen realistisch zu gestalten, an<strong>de</strong>rerseits<br />
<strong>de</strong>n sinnvollen Gesamtzusammenhang <strong>de</strong>r nationalen<br />
Krisenbewältigung zu gewährleisten. Nach einer<br />
Grun<strong>de</strong>inweisung wer<strong>de</strong>n die in Betracht kommen<strong>de</strong>n<br />
beteiligten öffentlichen und privaten Institutionen<br />
<strong>im</strong> Rahmen von Workshops in die Übungsvorbereitung<br />
einbezogen.<br />
Diese Vorbereitung ist bereits ein wesentlicher Bestandteil<br />
<strong>de</strong>s Übungsgeschehens, weil dadurch schon<br />
<strong>im</strong> Vorfeld <strong>de</strong>r Übung erkannte Schwachstellen <strong>de</strong>s<br />
<strong>Krisenmanagement</strong>s beseitigt und Strukturen verbessert<br />
wer<strong>de</strong>n können. So haben beispielsweise einige<br />
Län<strong>de</strong>r <strong>im</strong> Zuge <strong>de</strong>r Vorbereitung von LÜKEX-Übungen<br />
Kabinettbeschlüsse zur Führungszuständigkeit<br />
und zur Zusammensetzung <strong>de</strong>r Krisenstäbe verabschie<strong>de</strong>t.<br />
Darüber hinaus bietet die Übungsvorbereitung<br />
Gelegenheit, szenarienspezifische inhaltliche<br />
Defizite zu i<strong>de</strong>ntifizieren und zu beseitigen.<br />
Das Drehbuch <strong>de</strong>r Übung wird in einem mehrstufigen<br />
Verfahren entwickelt: Auf <strong>de</strong>r Basis von Teilszenarien<br />
wer<strong>de</strong>n themenbezogene Workshops durchgeführt,<br />
so z. B. zu <strong>de</strong>n Auswirkungen einer Krise auf <strong>de</strong>n Betrieb<br />
eines Großflughafens. In diese Workshops wer<strong>de</strong>n<br />
möglichst alle betroffenen Institutionen einbezogen<br />
(<strong>im</strong> Beispiel also Flughafenbetreiber, Fluglinien,<br />
<strong>Bund</strong>es- und Lan<strong>de</strong>spolizei, Zoll, Flugsicherung), so<br />
dass die Auswirkungen möglichst realistisch erfasst<br />
wer<strong>de</strong>n können.<br />
Zur Durchführung <strong>de</strong>r Übung wird eine Übungssteuerung<br />
eingesetzt, die neben <strong>de</strong>m entscheidungsbefugten<br />
Steuerungsstab aus Übungsbeobachtern (die<br />
das Verhalten <strong>de</strong>r Übungsstäbe dokumentieren und<br />
bewerten) und Rahmenleitungsgruppen besteht.<br />
Letztere stellen als Teil <strong>de</strong>r Steuerungsorganisation<br />
nachgeordnete o<strong>de</strong>r benachbarte (nicht selbst zu beüben<strong>de</strong>)<br />
Organisationen dar; sie spielen <strong>de</strong>n Großteil<br />
<strong>de</strong>r Einlagen ein und sorgen durch ihr <strong>de</strong>n Übungsstäben<br />
entsprechen<strong>de</strong>s Verhalten für möglichst realitätsnahe<br />
Betroffenheit <strong>de</strong>r Übungsstäbe.
Üben<strong>de</strong> sind in erster Linie die Krisen- und Verwaltungsstäbe<br />
<strong>de</strong>r zuständigen Ressorts <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es und<br />
<strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r, ggf. auch wichtige nachgeordnete Behör<strong>de</strong>n,<br />
sowie einzelne Unternehmen und Verbän<strong>de</strong>, bei<br />
<strong>de</strong>nen strategischer Übungsbedarf besteht. Angestrebt<br />
wird die Bildung von interministeriellen Krisenstäben<br />
als gemeinschaftlich Verantwortliche für die Beurteilung<br />
und Bewältigung <strong>de</strong>r Gesamtlage und von Ressortstäben,<br />
die <strong>de</strong>m gemeinsamen Stab zuarbeiten.<br />
Die Üben<strong>de</strong>n erhalten zu Beginn <strong>de</strong>r Übung ihnen<br />
bis dahin <strong>im</strong> Detail nicht bekannte Ausgangslagen<br />
einschließlich eines Presseteils, ggf. zur Erzeugung<br />
von „Realitätsdruck“ auch vorbereitete Fernsehsendungen<br />
(z. B. TV-Brennpunkt „Pan<strong>de</strong>mie“). Im Verlauf<br />
<strong>de</strong>r Übung wer<strong>de</strong>n ihnen die (<strong>im</strong> Drehbuch) vorbereiteten<br />
o<strong>de</strong>r an die Lageentwicklung angepassten<br />
aktuell erstellten Einlagen zugespielt, zu <strong>de</strong>nen strategische<br />
Reaktionen erwartet wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Ergebnisse <strong>de</strong>r Übung wer<strong>de</strong>n in einem Auswertungsbericht<br />
zusammengefasst, <strong>de</strong>r neben <strong>de</strong>r<br />
(Selbst-) Kritik an Konzept, Anlage und Durchführung<br />
<strong>de</strong>r Übung das Verhalten <strong>de</strong>r Stäbe von Län<strong>de</strong>rn<br />
und <strong>Bund</strong>, die <strong>Bund</strong>-Län<strong>de</strong>r-Zusammenarbeit, Public-Private-Partnership,<br />
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit,<br />
sowie die szenarienbezogene Bewältigung<br />
<strong>de</strong>r inhaltlichen Herausfor<strong>de</strong>rungen (z. B. erfolgreiche<br />
Ausführung <strong>de</strong>s Pan<strong>de</strong>mieplanes) würdigt. Dem<br />
Bericht wer<strong>de</strong>n in einer Anlage Handlungsempfehlungen<br />
beigefügt, die stichwortartig <strong>de</strong>n wichtigsten<br />
Umsetzungsbedarf <strong>de</strong>r Übungsergebnisse enthalten.<br />
Eine <strong>de</strong>taillierte Erfolgskontrolle durch die zentrale<br />
Übungssteuerung ist aufgrund <strong>de</strong>r <strong>de</strong>zentralen Zuständigkeiten<br />
nicht beabsichtigt. Diese ist innerhalb<br />
<strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>esressorts und Län<strong>de</strong>r vorgesehen. So hat<br />
z. B. das BMI in einer Zwischenübung „Hermes“ die<br />
IT-Kommunikation einer kritischen Prüfung unterzogen,<br />
dabei festgestellte Defizite sind in einem Handlungskatalog<br />
zusammengefasst wor<strong>de</strong>n, zu <strong>de</strong>ren<br />
Beseitigung die betroffenen Abteilungen <strong>de</strong>s Ministeriums<br />
und die Behör<strong>de</strong>n binnen Jahresfrist Stellung<br />
nehmen mussten.<br />
Zentrale Übungssteuerung LÜKEX 07 an <strong>de</strong>r AKNZ<br />
in Ahrweiler<br />
Das BBK als Zentralstelle kann <strong>im</strong> Rahmen seines<br />
Aus- und Fortbildungsauftrags erkannte Handlungsnotwendigkeiten<br />
in die Lehre einbeziehen. Im Rahmen<br />
nachfolgen<strong>de</strong>r LÜKEX-Übungen ist es – in begrenztem<br />
Umfang – möglich, positive Verän<strong>de</strong>rungen<br />
in Aufbau- und Ablauforganisation <strong>de</strong>r Stäbe, in <strong>de</strong>r<br />
Entscheidungsfindung, <strong>im</strong> Informationsverhalten<br />
o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r räumlichen und technischen Ausstattung<br />
<strong>de</strong>r Stäbe festzustellen. Dabei kann festgehalten wer<strong>de</strong>n,<br />
dass nach Beobachtung <strong>de</strong>r Projektgruppe LÜ-<br />
KEX bereits die drei durchgeführten Übungen erheblich<br />
zur Opt<strong>im</strong>ierung beigetragen haben.<br />
Inhaltliche Schwerpunkte <strong>de</strong>r bisher durchgeführten<br />
LÜKEX-Übungen<br />
In <strong>de</strong>n bisherigen drei Übungen wur<strong>de</strong> das <strong>Krisenmanagement</strong><br />
bei außergewöhnlichen Scha<strong>de</strong>ns- o<strong>de</strong>r<br />
Gefährdungslagen geübt. Die Szenarien knüpften an<br />
reale Ereignisse o<strong>de</strong>r an Gefahrenlagen an, die nach<br />
wissenschaftlicher Beurteilung wahrscheinlich sind,<br />
auch wenn sich <strong>de</strong>r Zeitpunkt ihres Eintretens nicht<br />
voraussagen lässt. Alle Län<strong>de</strong>r haben sich bisher einmal,<br />
Ba<strong>de</strong>n-Württemberg zwe<strong>im</strong>al an LÜKEX-Übungen<br />
beteiligt:<br />
135
136<br />
An <strong>de</strong>r Übung LÜKEX 2004 waren vier <strong>Bund</strong>eslän<strong>de</strong>r<br />
beteiligt. Das Szenario ging davon aus, dass Bayern<br />
und Ba<strong>de</strong>n-Württemberg von einem fiktiven, durch<br />
eine winterliche Extremwetterlage verursachten<br />
großflächigen und ca. zwei Wochen andauern<strong>de</strong>n<br />
Stromausfall betroffen waren. Darüber hinaus ereigneten<br />
sich in diesen Län<strong>de</strong>rn sowie in Berlin und<br />
Schleswig-Holstein zeitgleich Terroranschläge, zum<br />
Teil unter Verwendung chemischer Substanzen. Dem<br />
Terrorismusszenario in Schleswig-Holstein lag eine<br />
Anschlagsdrohung gegen ein auf hoher See befindliches<br />
Fährschiff zugrun<strong>de</strong>; dadurch bot die Übung<br />
auch <strong>de</strong>n Einstieg in die Thematik „Seesicherheit“.<br />
Das Übungsszenario in Süd<strong>de</strong>utschland wur<strong>de</strong> in Zusammenarbeit<br />
mit <strong>de</strong>m Deutschen Wetterdienst und<br />
mit <strong>de</strong>n großen Energiekonzernen in Anlehnung an<br />
<strong>de</strong>n Orkan „Lothar“ erstellt, <strong>de</strong>r 1999 neben Verwüstungen<br />
in <strong>de</strong>n Wäl<strong>de</strong>rn vor allem in Frankreich und<br />
<strong>de</strong>r Schweiz mehrtägigen Stromausfall verursacht<br />
hatte. Die Übungslage, die von einigen Kritikern in<br />
ihren angenommenen Auswirkungen als übertrieben<br />
bezeichnet wor<strong>de</strong>n war, wur<strong>de</strong> 2005 be<strong>im</strong> Stromausfall<br />
<strong>im</strong> Münsterland von <strong>de</strong>r Realität eingeholt. Insgesamt<br />
waren mehrere tausend Übungsbeteiligte in<br />
unterschiedlichsten Funktionen in die Übung eingebun<strong>de</strong>n.<br />
Als Ergebnis <strong>de</strong>r Übung kann festgehalten<br />
wer<strong>de</strong>n, dass länger andauern<strong>de</strong> flächen<strong>de</strong>cken<strong>de</strong><br />
Stromausfälle schwere Störungen <strong>de</strong>s gesamtgesellschaftlichen<br />
Lebens verursachen können und staatliche<br />
und private Institutionen <strong>de</strong>shalb gut beraten<br />
sind, ihre Strukturen regelmäßig auf ihre Funktionsfähigkeit<br />
<strong>im</strong> Falle eines Energieausfalls zu überprüfen<br />
(Stichwort: Business Continuity). Die Abhängigkeit<br />
<strong>de</strong>s gesamtgesellschaftlichen Lebens von <strong>de</strong>r<br />
Energieversorgung und die Anfälligkeit mo<strong>de</strong>rner<br />
Industriegesellschaften ist auch in an<strong>de</strong>ren Staaten<br />
Gegenstand von Krisenübungen, so hat z. B. Großbritannien<br />
<strong>im</strong> Sommer 2007 das <strong>Krisenmanagement</strong><br />
bei einem lan<strong>de</strong>sweiten 24-stündigen Stromausfall<br />
erprobt (Übung „long shadow“). Die Erkenntnisse<br />
aus <strong>de</strong>r LÜKEX-Übung wur<strong>de</strong>n von allen Beteiligten<br />
als wertvoll für die Weiterentwicklung <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
beurteilt; dies galt sowohl für die erstmals<br />
in dieser Form praktizierte Zusammenarbeit <strong>de</strong>r neuen<br />
Verwaltungsstäbe nach <strong>de</strong>m bun<strong>de</strong>seinheitlichen<br />
Mo<strong>de</strong>ll als auch für die Präventionsarbeit <strong>im</strong> Bereich<br />
<strong>de</strong>r Energieversorgung in Extremsituationen.
LÜKEX 2005 fand, abweichend vom zweijährigen<br />
Übungsrhythmus, bereits nach einem Jahr statt. Die<br />
Übung orientierte sich thematisch an internationalen<br />
Großveranstaltungen. Sie wur<strong>de</strong> so frühzeitig<br />
durchgeführt, dass Erkenntnisse noch in die Sicherheitskonzepte<br />
für die Fußball-Weltmeisterschaft 2006<br />
einfließen konnten. Dem Drehbuch lagen unterschiedliche<br />
Scha<strong>de</strong>nsereignisse in <strong>de</strong>n sechs üben<strong>de</strong>n<br />
Län<strong>de</strong>rn (Ba<strong>de</strong>n-Württemberg, Bran<strong>de</strong>nburg,<br />
Hessen, Nordrhein-Westfalen, Nie<strong>de</strong>rsachsen und<br />
Sachsen) zugrun<strong>de</strong>. Neben Terroranschlägen auf Verkehrsmittel<br />
und -einrichtungen ereigneten sich witterungsbedingt<br />
Katastrophen o<strong>de</strong>r technische Havarien.<br />
Daneben sorgten aus <strong>de</strong>m Ausland übertragene<br />
Seuchen für bun<strong>de</strong>sweite Betroffenheit. Höhepunkt<br />
<strong>de</strong>r Übung war die Prüfung <strong>de</strong>r Frage, ob angesichts<br />
<strong>de</strong>r Unglücksfälle und Terroranschläge mit großen<br />
Opferzahlen und <strong>de</strong>r andauern<strong>de</strong>n Bedrohung die<br />
Fortführung <strong>de</strong>r fiktiven Großveranstaltung noch<br />
möglich war. In einer Telefonschaltkonferenz wur<strong>de</strong><br />
zwischen <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>rn unter Beteiligung <strong>de</strong>s<br />
Veranstalters (Organisationskomitee <strong>de</strong>s Deutschen<br />
Zentrale Übungssteuerung LÜKEX 2007: Lagebesprechung<br />
Zusammenfassung und Ausblick: Konzeptionelle Weiterentwicklung<br />
<strong>de</strong>r <strong>Krisenmanagement</strong>strukturen<br />
Am Anfang war LÜKEX „nur“ eine große Übung.<br />
Durch ein innovatives Übungskonzept, durch Hartnäckigkeit<br />
und Flexibilität wuchs LÜKEX zu einem<br />
System auf, das nicht nur die Übungskultur auf <strong>de</strong>r<br />
strategischen Ebene in Deutschland beeinflusst, son<strong>de</strong>rn<br />
inzwischen auch Teilsysteme <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s,<br />
Führungsausbildung, Sicherheitsforschung,<br />
Public Private Partnership <strong>im</strong> <strong>Krisenmanagement</strong> umfasst<br />
und weiterentwickelt.<br />
Fußballbun<strong>de</strong>s) eine ausgewogene und von allen<br />
akzeptierte Konsensentscheidung getroffen, ein Beispiel<br />
für Kooperationsfähigkeit <strong>im</strong> fö<strong>de</strong>ralen System,<br />
unabhängig von Zuständigkeitsfragen.<br />
LÜKEX 2007 schließlich wur<strong>de</strong> von allen Beteiligten<br />
als die bisher erfolgreichste Übung bezeichnet. Ca.<br />
dreitausend Beteiligte aus sieben <strong>Bund</strong>eslän<strong>de</strong>rn,<br />
11 <strong>Bund</strong>esressorts, ca. 50 Wirtschaftsunternehmen,<br />
Hilfsorganisationen und Verbän<strong>de</strong>n übten an zwei<br />
Tagen anhand eines bun<strong>de</strong>seinheitlichen Pan<strong>de</strong>mieszenarios<br />
mit einer fiktiven Erkrankungsrate von<br />
33 Prozent <strong>de</strong>r Bevölkerung, die bun<strong>de</strong>sweit zu ca.<br />
400.000 Krankenhauseinweisungen und ca. 100.000<br />
To<strong>de</strong>sfällen führte. Das in Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>m<br />
Robert Koch-Institut entwickelte Szenario bil<strong>de</strong>te die<br />
gesamtgesellschaftliche Betroffenheit einer Pan<strong>de</strong>mie<br />
ab. Die inhaltliche Auswertung <strong>de</strong>r Übung hat ergeben,<br />
dass <strong>de</strong>r nationale Pan<strong>de</strong>mieplan <strong>im</strong> gesundheitlichen<br />
Sektor eine tragfähige Grundlage für die<br />
medizinische Versorgung <strong>de</strong>r Bevölkerung ist, dass<br />
die Pan<strong>de</strong>mieplanung jedoch insbeson<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>r<br />
nichtgesundheitlichen Notfallvorsorge einer umfangreichen<br />
Ergänzung bedarf. Dies betrifft vor allem<br />
die psychologische Reaktion <strong>de</strong>r Bevölkerung sowie<br />
die Vorkehrungen aller betroffenen Institutionen für<br />
erhebliche Personalausfälle, die <strong>im</strong> Ernstfall zu sog.<br />
„Dominoeffekten“ in <strong>de</strong>r Verkehrsinfrastruktur, <strong>de</strong>r<br />
Versorgung mit Grundnahrungsmitteln und in <strong>de</strong>r öffentlichen<br />
Sicherheit und Ordnung führen wür<strong>de</strong>n.<br />
Beson<strong>de</strong>rs erfreulich ist, dass sich als Folge <strong>de</strong>r Übung<br />
LÜKEX 2007 in einigen Län<strong>de</strong>rn bereichsübergreifen<strong>de</strong><br />
Gesprächs- und Arbeitskreise gebil<strong>de</strong>t haben, die<br />
sich <strong>im</strong> Bereich erkannter Problembereiche mit abgest<strong>im</strong>mten<br />
Vorsorgemaßnahmen beschäftigen.<br />
Die <strong>Krisenmanagement</strong>strukturen <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es und<br />
<strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r, die in <strong>de</strong>n Kapiteln I und II dieses Hefts<br />
dargestellt wor<strong>de</strong>n sind, wur<strong>de</strong>n <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r<br />
Übungen erprobt und durch Auswertung und Nachbereitung<br />
konzeptionell weiterentwickelt. So wur<strong>de</strong><br />
beispielsweise die Arbeitsfähigkeit <strong>de</strong>r Interministeriellen<br />
Koordinierungsgruppe <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es und <strong>de</strong>r<br />
Län<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n LÜKEX-Übungen getestet.<br />
137
138<br />
Dabei zeigte sich, dass sie aus strukturellen und Kapazitätsgrün<strong>de</strong>n<br />
nicht ausgelegt ist, ad hoc die Vielzahl<br />
unterschiedlicher Führungs- und Kommunikationsstrukturen<br />
<strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es und <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r zu einem<br />
gemeinsamen und abgest<strong>im</strong>mten <strong>Krisenmanagement</strong><br />
zusammenzuführen. Ein Ergebnis <strong>de</strong>r Übung LÜKEX<br />
2004 war unter an<strong>de</strong>rem, dass <strong>de</strong>r Aufgabenschwerpunkt<br />
<strong>de</strong>r Interministeriellen Koordinierungsgruppe<br />
neu <strong>de</strong>finiert wur<strong>de</strong>: Nach <strong>de</strong>r neuen Geschäftsordnung<br />
bereitet sie Entscheidungen <strong>de</strong>r Krisenstäbe vor<br />
und erleichtert <strong>de</strong>n politischen und fachlichen Abst<strong>im</strong>mungsprozess<br />
in lang anhalten<strong>de</strong>n und Län<strong>de</strong>r<br />
übergreifen<strong>de</strong>n Lagen.<br />
Weitere Anstöße für die strukturelle Weiterentwicklung<br />
<strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s in Deutschland konnten<br />
<strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>s Mel<strong>de</strong>- und Informationswesen<br />
gegeben wer<strong>de</strong>n. So initiierte die Übung eine Verbesserung<br />
<strong>de</strong>s bun<strong>de</strong>sweiten Mel<strong>de</strong>wesens <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz<br />
und führte zu einer breiteren Beteiligung<br />
am Deutschen Notfallinformationssystem<br />
<strong><strong>de</strong>NIS</strong> II plus .<br />
Die Erkenntnisse aus <strong>de</strong>n LÜKEX-Übungen fließen<br />
in die Aus- und Fortbildungstätigkeiten <strong>de</strong>r AKNZ<br />
und <strong>de</strong>r Ausbildungseinrichtungen <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r ein.<br />
Parallel zu <strong>de</strong>n Übungen bietet die AKNZ für die<br />
Leiter <strong>de</strong>r Krisenstäbe und ihre Stabsbereichsleiter<br />
Coaching-Veranstaltungen an, bei <strong>de</strong>nen szenarienorientiert<br />
die zweckmäßige Aufbau- und Ablauforganisation<br />
diskutiert und das Führungsverhalten geübt<br />
wer<strong>de</strong>n kann. Dieses Angebot wird zukünftig auch<br />
auf die Vorstandsebenen von Unternehmen <strong>im</strong> Bereich<br />
Kritische Infrastrukturen erweitert.<br />
Zu einigen <strong>im</strong> System LÜKEX i<strong>de</strong>ntifizierten Problemen<br />
sind zwischenzeitlich Forschungsvorhaben initiiert<br />
wor<strong>de</strong>n. Beson<strong>de</strong>rs hervorzuheben ist hier das<br />
Forschungsprojekt Krisenhandbuch Stromausfall in<br />
Ba<strong>de</strong>n Württemberg, das die inhaltlichen Ergebnisse<br />
<strong>de</strong>r LÜKEX 2004 als Ausgangspunkt hat. Bemerkenswert<br />
ist nicht nur das Ziel <strong>de</strong>s Pilotprojekts – die<br />
Erstellung eines Krisenhandbuch für <strong>de</strong>n Fall eines<br />
Stromausfalles für Behör<strong>de</strong>n, Energieversorgungs-<br />
unternehmen und an<strong>de</strong>re Unternehmen kritischer<br />
Infrastrukturen –, auch das ebenen- und bereichsübergreifen<strong>de</strong><br />
Konsortium, das sich für die Verwirklichung<br />
<strong>de</strong>s Projektes gebil<strong>de</strong>t hat, ist in seiner Zusammensetzung<br />
einzigartig. Es besteht aus Vertretern<br />
<strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Ba<strong>de</strong>n-Württemberg und <strong>de</strong>s Energieversorgers<br />
EnBW, bei<strong>de</strong> LÜKEX- Beteiligte <strong>de</strong>r ersten<br />
Stun<strong>de</strong>, <strong>de</strong>m BBK, <strong>de</strong>r Universität Karlsruhe und <strong>de</strong>m<br />
Center for Disaster Management and Risk Reduction<br />
Technology (CEDIM). Es haben sich also öffentliche<br />
und private Repräsentanten von <strong>Krisenmanagement</strong>strukturen<br />
zusammengeschlossen, um unter wissenschaftlicher<br />
Beteiligung die Grundlagen <strong>de</strong>s Krisemanagements<br />
konzeptionell weiterzuentwickeln.<br />
Vortrag zu LÜKEX <strong>im</strong> Deutschen <strong>Bund</strong>estag<br />
LÜKEX“ ist in <strong>de</strong>r Politik angekommen: Der Präsi<strong>de</strong>nt<br />
<strong>de</strong>s BBK unterrichtete am 11. April 2008 gemeinsam<br />
mit <strong>de</strong>m Abteilungsleiter KM <strong>im</strong> BMI sowie <strong>de</strong>m zuständigen<br />
Unterabteilungsleiter <strong>de</strong>s BMG Mitglie<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>s Innen- sowie <strong>de</strong>s Verteidigungsausschusses <strong>de</strong>s<br />
<strong>Bund</strong>estages über die aktuellsten Erkenntnisse <strong>de</strong>r<br />
Übung LÜKEX 2007.<br />
Das „System LÜKEX“ hat sich als ein wesentlicher<br />
Baustein <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>-Län<strong>de</strong>r-Zusammenarbeit etabliert.<br />
Es zeigt zukunftsweisend, wie sich <strong>de</strong>r Bevölkerungsschutz<br />
in Deutschland neuen Herausfor<strong>de</strong>rungen<br />
stellt und dabei das Gesamtsystem kontinuierlich<br />
überprüft und opt<strong>im</strong>iert.<br />
Zu <strong>de</strong>n Autoren: Manfred Klink, Fachberater für <strong>Krisenmanagement</strong>, ist Mitarbeiter <strong>de</strong>r Projektgruppe LÜKEX, Tanja Thie<strong>de</strong> ist<br />
Referentin <strong>im</strong> Lehrbereich IV.6, <strong>Bund</strong>esamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Ahrweiler
<strong>Krisenmanagement</strong> ist Chefsache.<br />
Sechs Grundregeln für Krisenmanager<br />
Dietrich Läpke<br />
Vorbemerkung<br />
Die Welt ist unsicherer gewor<strong>de</strong>n. Terroristen, Kl<strong>im</strong>awan<strong>de</strong>l,<br />
Naturkatastrophen und die Risiken <strong>de</strong>r<br />
mo<strong>de</strong>rnen Industriegesellschaft haben unsere Umwelt<br />
unberechenbarer gemacht. Dagegen war die<br />
„gute alte Zeit“ <strong>de</strong>s Kalten Krieges mit zwei stabilen<br />
Machtblöcken – trotz aller damit verbun<strong>de</strong>nen Risiken<br />
– gera<strong>de</strong>zu eine berechenbare Perio<strong>de</strong>. Heute<br />
stehen wir vor <strong>de</strong>r Herausfor<strong>de</strong>rung, das Un<strong>de</strong>nkbare<br />
(„think the unthinkable“) durchzuspielen, bevor es<br />
geschieht. Dies ist ein ganz wesentlichen Motiv dafür<br />
gewesen, die Übungsreihe LÜKEX zu schaffen.<br />
Für eine strategische Übung war von Anfang an wichtig,<br />
dass nicht nur die Arbeitsebene mit Risiken, Gefahren,<br />
Szenarien, Abwehrstrategien und <strong>Krisenmanagement</strong>strukturen<br />
vertraut gemacht wer<strong>de</strong>n muss,<br />
son<strong>de</strong>rn dass Defizitanalysen und Opt<strong>im</strong>ierungen<br />
nur dann stattfin<strong>de</strong>n, wenn die Leitungsebene <strong>de</strong>r<br />
Ressorts und Behör<strong>de</strong>n sich beteiligt. Bei <strong>de</strong>n drei<br />
bisherigen LÜKEX-Übungen konnte das Ziel, diese<br />
Ebene aktiv zu beteiligen, von Übung zu Übung<br />
besser erreicht wer<strong>de</strong>n. Wur<strong>de</strong>n 2003 auf <strong>Bund</strong>es-<br />
und Län<strong>de</strong>rebene die Krisenstäbe ausschließlich von<br />
Abteilungsleitern geleitet, waren 2005 schon in zwei<br />
Regel 1<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> ist ein Regelkreis<br />
Auswertung<br />
Evaluation<br />
Rehabilitation<br />
Wie<strong>de</strong>rherstellung<br />
Prävention<br />
Vorbeugung<br />
Stäben Staatssekretäre vertreten. Die Übung 2007 hat<br />
einen weiteren Fortschritt gebracht, weil in einem<br />
<strong>Bund</strong>esland die zuständige Ministerin <strong>de</strong>n Stab leitete<br />
und auf <strong>Bund</strong>esebene und in <strong>de</strong>n meisten Län<strong>de</strong>rn<br />
die Staatssekretäre ihre Stäbe führten. Bemerkenswert<br />
war <strong>im</strong> Übrigen, dass in einigen Län<strong>de</strong>rn auch<br />
die beteiligten Ressorts in <strong>de</strong>n Krisenstäben durch<br />
die Staatssekretärsebene vertreten waren.<br />
Diese oberste Führungsebene ist in Krisensituationen<br />
vor allen an<strong>de</strong>ren Ebenen gefor<strong>de</strong>rt, Entscheidungen<br />
zu treffen, und das Übungsinteresse zeigt<br />
die Erkenntnis dieser höchsten Beamtenebene in <strong>de</strong>r<br />
<strong>Bund</strong>esrepublik Deutschland, dass man Krisen nicht<br />
nur mit gesun<strong>de</strong>n Menschenverstand und Erfahrung<br />
bewältigen muss, son<strong>de</strong>rn dass man <strong>Krisenmanagement</strong><br />
lernen und einüben kann. Im Folgen<strong>de</strong>n<br />
sollen plakativ die wichtigsten Grundregeln für ein<br />
erfolgreiches <strong>Krisenmanagement</strong> dargestellt wer<strong>de</strong>n.<br />
Diese sollten nicht nur von <strong>de</strong>r Chefebene beherzigt<br />
wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn auch von <strong>de</strong>njenigen, die einmal<br />
Chef wer<strong>de</strong>n wollen und diese beraten dürfen bzw.<br />
müssen.<br />
Gefahrenabwehr<br />
Hilfeleistung<br />
Vorsorge<br />
Vorbereitung<br />
Früherkennung<br />
Frühwarnung<br />
139
140<br />
Die nachfolgen<strong>de</strong>n Regeln 2 bis 6 gehen auf die einzelnen Phasen eines umfassen<strong>de</strong>n<br />
<strong>Krisenmanagement</strong>s näher ein.<br />
Regel 2<br />
Unangenehme Botschaften/Anzeichen/Anfragen müssen angehört/gesehen<br />
und – stets in Richtung Worst-Case – analysiert wer<strong>de</strong>n.<br />
In <strong>de</strong>r Missachtung dieser Regel liegt häufig <strong>de</strong>r<br />
Grund für das Versagen von Entscheidungsträgern<br />
bzw. <strong>de</strong>r zuständigen Behör<strong>de</strong>n. Die berühmten<br />
„Kölner Grundsätze“ “Es kommt wie es kommt“ und<br />
“Es ist schon <strong>im</strong>mer gut gegangen“ fin<strong>de</strong>n schon fast<br />
zwanghaft <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r Anwendung. Angst vor Verantwortungsübernahme<br />
o<strong>de</strong>r Entscheidungen, Kostenfragen,<br />
Zuständigkeitsgerangel, Sorge vor <strong>de</strong>r Verunsicherung<br />
<strong>de</strong>r Medien o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Bevölkerung und<br />
vieles mehr verhin<strong>de</strong>rn häufig die Akzeptanz, solche<br />
Anzeichen überhaupt zu registrieren. Eher wer<strong>de</strong>n<br />
die falschen, nämlich die Best-Case-Folgen ange-<br />
Regel 3<br />
Man kann und muss sich auf Krisen vorbereiten.<br />
Das be<strong>de</strong>utet: Man muss<br />
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und pflegen;<br />
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mechanismen etablieren;<br />
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tionssysteme und -strukturen vorbereiten.<br />
LÜKEX hat bewiesen, dass Planspiele und -übungen<br />
ein hervorragen<strong>de</strong>s Mittel sind, einerseits Defizite<br />
aufzuzeigen und an<strong>de</strong>rerseits die o.a. Bereiche so<br />
auszugestalten, dass sie krisensicher funktionieren.<br />
Ein Erfolg <strong>de</strong>r LÜKEX-Serie ist sicherlich, dass nun<br />
alle <strong>Bund</strong>eslän<strong>de</strong>r durch Kabinettsbeschlüsse o<strong>de</strong>r<br />
Verordnungen ihr <strong>Krisenmanagement</strong> strukturiert<br />
haben. Gleiches gilt für einige Ressort bzw. <strong>de</strong>ren<br />
nachgeordnete Bereiche. Die Regel gilt aber auch für<br />
nommen, und dieses Verhalten fin<strong>de</strong>t sich nicht nur<br />
auf <strong>de</strong>r obersten Ebene, son<strong>de</strong>rn viele beteiligen sich<br />
am Wettlauf <strong>de</strong>r gedanklichen Deeskalation. Erschrecken<strong>de</strong><br />
Beispiele dafür sind Tschernobyl, Seveso und<br />
Sandoz.<br />
Hier hat <strong>de</strong>r Chef die Wahl zwischen Erfolg o<strong>de</strong>r<br />
Misserfolg. Erfolgreich kann er sein, wenn er durch<br />
ständiges Hinterfragen von Expertise <strong>im</strong> eigenen<br />
Haus, aber auch von Wissenschaft, Industrie etc. herausbekommt,<br />
welche Worst-Case-Folgen das absehbare<br />
Ereignis haben könnte.<br />
Gemein<strong>de</strong>n, Kreise und Regierungsbezirke ebenso<br />
wie für viele Unternehmen. Zu <strong>de</strong>n Planungen und<br />
Vorbereitungen gehören u.a.<br />
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und Informationswege;<br />
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staatlichen sowie privaten Beteiligten u.v.a.m.
Leitungszentrale während <strong>de</strong>s G8-Gipfels in Heiligendamm 2007<br />
Regel 4<br />
Beson<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>r Krise ist <strong>de</strong>r Führungs- und Entscheidungsprozess<br />
stringent anzuwen<strong>de</strong>n. Verwalten in <strong>de</strong>r Krise heißt ENTSCHEIDEN.<br />
Die Umsetzung dieser Regel ist die schwierigste Aufgabe<br />
für Krisenmanager. Der Verantwortliche kann<br />
sie auch nur mit Hilfe eines Stabes bzw. <strong>de</strong>r Leiter<br />
<strong>de</strong>r Organisationseinheiten bzw. Leitern seiner nachgeordneten<br />
Behör<strong>de</strong>n / Unternehmensstrukturen um-<br />
1. Lagefeststellung<br />
Fragestellung: Was ist passiert? Was wird geschehen?<br />
setzen. Im Folgen<strong>de</strong>n sollen kurz die wesentlichen<br />
Schritte <strong>de</strong>s Führungs- und Entscheidungsprozesses<br />
dargestellt wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r in vergleichbarer Weise seit<br />
langen vom Militär, von <strong>de</strong>r Polizei und an<strong>de</strong>ren operativen<br />
Einrichtungen erfolgreich angewen<strong>de</strong>t wird.<br />
Die Lagedarstellung ist das Fundament <strong>de</strong>s ganzen Prozesses. Sie ist nicht so<br />
einfach wie es auf <strong>de</strong>n ersten Blick erscheint, <strong>de</strong>nn häufig hat man wenige o<strong>de</strong>r<br />
sich wi<strong>de</strong>rsprechen<strong>de</strong> Informationen, die <strong>de</strong>r Chef mit seinen Mitarbeitern auswerten<br />
muss, um zu einer gemeinsamen bzw. einheitlichen Lagedarstellung zu<br />
kommen.<br />
141
142<br />
2. Lagebeurteilung<br />
Fragestellung: Welche Folgen sind absehbar?<br />
Auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>r Lagefeststellung hat eine Lagebeurteilung zu erfolgen. Als<br />
Zeithorizont dafür hat grundsätzlich eine kurz-, mittel- und langfristige Beurteilung<br />
zu erfolgen. Häufig ist es sinnvoll bzw. erfor<strong>de</strong>rlich, verschie<strong>de</strong>ne Lagebeurteilungen<br />
unter <strong>de</strong>m Motto anzustellen:<br />
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3. Prüfung <strong>de</strong>r Optionen <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lns<br />
Fragestellung: Was können wir tun / veranlassen?<br />
Wird diese Phase <strong>de</strong>s Entscheidungsprozesses nicht intensiv bearbeitet, ist das<br />
Risiko von Fehlentscheidungen sehr hoch. Häufig wird bereits am Anfang <strong>de</strong>r<br />
Fehler gemacht, die Lagebeurteilung eind<strong>im</strong>ensional durchzuführen und damit<br />
nur eine ausschließliche Handlungsoption zu präjudizieren. Es gibt aber <strong>im</strong>mer<br />
min<strong>de</strong>stens zwei Optionen, nämlich: Abwarten o<strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>ln.<br />
Im Rahmen dieser Phase sind vor allem alle Folgen <strong>de</strong>r Handlungsoptionen abzuschätzen,<br />
um zum opt<strong>im</strong>alen (o<strong>de</strong>r häufig zum möglichst wenig Scha<strong>de</strong>n anrichten<strong>de</strong>n)<br />
Entschluss zu kommen. Hier müssen <strong>im</strong> Stab alle Meinungen offen gesagt<br />
wer<strong>de</strong>n können. Die gewählte Handlungsoption muss <strong>im</strong> Übrigen gewährleisten,<br />
dass be<strong>im</strong> Eintritt <strong>de</strong>s Worst-Case entsprechen<strong>de</strong> Maßnahmen möglich sind.<br />
4. Entschluss — Entscheidung<br />
Hier hat <strong>de</strong>r Chef ein weiteres Mal die Wahl zwischen Erfolg und Misserfolg, <strong>de</strong>nn<br />
er muss die Entscheidung zwischen <strong>de</strong>n Handlungsoptionen treffen.<br />
5. Planung<br />
Fragestellung: Wie soll <strong>de</strong>r Entschluss umgesetzt wer<strong>de</strong>n?<br />
Die wenigsten Entschlüsse können sofort in die Tat umgesetzt wer<strong>de</strong>n. Daher<br />
sind die zuständigen Stellen innerhalb und außerhalb <strong>de</strong>s eigenen Hauses zu<br />
beauftragen, <strong>de</strong>n Entschluss in einen Plan umzusetzen. Die fertige Planung sollte<br />
grundsätzlich zur Billigung vorgelegt wer<strong>de</strong>n. Es ist allerdings auch zu empfehlen,<br />
eine Eventualplanung für <strong>de</strong>n Worst-Case-Fall in Auftrag zu geben.
Regel 5<br />
6. Auftragserteilung – Weisung<br />
Fragestellung: Wer tut was, wann, wo, wie und mit wem?<br />
Die ein<strong>de</strong>utige Auftragserteilung an diejenigen, die für die Umsetzung <strong>de</strong>s Entschlusses<br />
zuständig sind, ist letztlich <strong>de</strong>r Schlüssel für Erfolg und Versagen. Häufig<br />
erreichen Aufträge <strong>de</strong>n Adressaten nicht o<strong>de</strong>r einen falschen Empfänger o<strong>de</strong>r<br />
sind so unklar formuliert, dass die Umsetzung nicht in die beabsichtigte Richtung<br />
zielt. Es empfiehlt sich, <strong>im</strong> Auftrag – wie be<strong>im</strong> Militär – die Absicht <strong>de</strong>r übergeordneten<br />
Führung zu übermitteln, damit kann <strong>de</strong>r Empfänger auch bei plötzlichen<br />
Lageverän<strong>de</strong>rungen stets in diesem Sinne han<strong>de</strong>ln.<br />
7. Kontrolle<br />
Fragestellung: Ist <strong>de</strong>r Auftrag richtig ausgeführt wor<strong>de</strong>n?<br />
Letzter „Baustein“ <strong>de</strong>s Führungsprozesses ist die Erfolgskontrolle (durch Rückmeldung,<br />
Vor-Ort-Kontrolle etc.), <strong>de</strong>nn es ist nie auszuschließen, dass <strong>de</strong>r „Chef“<br />
/ <strong>de</strong>r Stab glaubt, alles sei, wie angeordnet, ausgeführt wor<strong>de</strong>n, aber dieses mitnichten<br />
geschehen ist. Da dieser Führungsprozess in vielen Situationen mehrmals<br />
täglich wie<strong>de</strong>rholt wird, kann schon die Lagefeststellung be<strong>im</strong> nächsten<br />
Mal falsch sein, wenn die früheren Aufträge nicht o<strong>de</strong>r nur teilweise ausgeführt<br />
wur<strong>de</strong>n und dieses nicht bemerkt wird.<br />
Wie <strong>de</strong>r Leser feststellt, ist dieser Führungsprozess zwar grundsätzlich einfach,<br />
in <strong>de</strong>r Regel aber <strong>de</strong>nnoch eine komplexe Herausfor<strong>de</strong>rung. Daher sollte man<br />
<strong>im</strong> Team <strong>de</strong>n Führungsprozess an Beispielen regelmäßig üben, dann ist man <strong>im</strong><br />
Ernstfall besser vorbereitet.<br />
Man bekommt eine Krise nur dann in <strong>de</strong>n Griff, wenn man aus <strong>de</strong>r Reaktion<br />
in die Aktion kommt, d.h. Herr <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lns wird.<br />
Dieser Grundsatz, <strong>de</strong>r allen Pressesprechern aus<br />
<strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n Seminaren bekannt ist, gilt<br />
nicht nur für die Medienarbeit. Je früher man eine<br />
prognostische Lagebeurteilung <strong>im</strong> Sinne <strong>de</strong>s Worst-<br />
Case-Szenarios erstellt, <strong>de</strong>sto weniger wird man von<br />
unerwarteten Lageentwickelungen überrascht. Wenn<br />
man Planungen und Strukturen dafür vorbereitet und<br />
zusätzliche Ressourcen vorhält, ist man naturgemäß<br />
besser in <strong>de</strong>r Lage, in eine „Steuerungsfunktion“ zu<br />
kommen, als wenn man stets „<strong>de</strong>r Lage hinterherläuft“,<br />
weil man die bei<strong>de</strong>n „Kölner Grundsätze“ als<br />
Leitlinie hat.<br />
143
144<br />
Regel 6<br />
Nur Übung macht <strong>de</strong>n „Master of Disaster“<br />
Die Übungsreihe LÜKEX hat bewiesen, dass Planspiele<br />
nicht nur ein hervorragen<strong>de</strong>s Mittel sind, Schwachstellen,<br />
Defizite und Strukturprobleme aufzuzeigen.<br />
Viele Beteiligte auf allen Ebenen haben erklärt, wie<br />
wichtig die Übung für sie als „Training on the job“<br />
war. Es gibt aber noch viele an<strong>de</strong>re Möglichkeiten<br />
sich vorzubereiten, zum Beispiel:<br />
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Bildungseinrichtungen;<br />
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-übungen <strong>im</strong> Team (mit wechseln<strong>de</strong>n Szenarien);<br />
Fazit<br />
Der Leser wird, soweit er nicht schon selbst die eine<br />
o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Erfahrung gemacht hat, feststellen, dass<br />
Entscheidungsträger eine hohe Verantwortung haben.<br />
Diese können sie nicht <strong>de</strong>legieren, son<strong>de</strong>rn müssen<br />
sie annehmen – nicht nur <strong>de</strong>shalb, weil das von Politik,<br />
Medien und auch ihren Mitarbeitern so erwartet<br />
wird. Vielleicht ist be<strong>im</strong> Studieren <strong>de</strong>r vorstehen<strong>de</strong>n<br />
Regeln auch <strong>de</strong>r eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Rücktritt von Politikern<br />
in Erinnerung gekommen. In schöner Regelmäßigkeit<br />
wird nämlich von <strong>de</strong>n meisten Betroffenen<br />
gegen die wichtigsten Grundsätze <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
verstoßen:<br />
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pagnen) wird nicht durchgeführt;<br />
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-beurteilung wird nicht aufgebaut;<br />
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Han<strong>de</strong>lns wird nicht vorgenommen.<br />
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behör<strong>de</strong>n, <strong>Bund</strong>eswehr, Bevölkerungsschutz,<br />
Fachbehör<strong>de</strong>n, Wirtschaft auf Kreis-, Bezirks-,<br />
Lan<strong>de</strong>s-, <strong>Bund</strong>esebene.<br />
Dieses zu for<strong>de</strong>rn und selbst zu leiten ist die Vorbildaufgabe<br />
<strong>de</strong>s Chefs. Er trainiert sich damit nicht nur<br />
selbst, son<strong>de</strong>rn sein Team und verbessert damit seine<br />
Chancen, aus <strong>de</strong>r Krise als erfolgreicher Krisenmanager<br />
hervorzugehen.<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> ist kein Buch mit sieben Siegeln.<br />
Eine leiten<strong>de</strong> Führungskraft kann <strong>im</strong> Übrigen mit<br />
vertretbarem Aufwand an Ausbildung, Training,<br />
Coaching und Übung entsprechen<strong>de</strong> Fertigkeiten erwerben<br />
bzw. erweitern.<br />
Allen Lesern, die sich mit <strong>de</strong>r Thematik tiefer befassen<br />
wollen, sei das Buch <strong>de</strong>s früheren Leiters <strong>de</strong>r<br />
strategischen Führungsausbildung <strong>de</strong>r Schweizer<br />
<strong>Bund</strong>eskanzlei, Laurent F. Carrel, „Lea<strong>de</strong>rship in Krisen“,<br />
Zürich 2004, empfohlen. Prof. Dr. Carrel hat die<br />
Projektgruppe LÜKEX ermutigt, diese strategische<br />
Übungsreihe mit <strong>de</strong>m Ziel <strong>de</strong>r Einbindung <strong>de</strong>r Chefebene<br />
weiter zu entwickeln. In <strong>de</strong>r Schweiz hat bereits<br />
eine Übung auf <strong>Bund</strong>esebene mit <strong>de</strong>m <strong>Bund</strong>esrat<br />
(vergleichbar <strong>de</strong>m <strong>Bund</strong>eskabinett) stattgefun<strong>de</strong>n.<br />
Diese Bewährungsprobe steht bei einer <strong>de</strong>r nächsten<br />
LÜKEX-Übungen noch an.<br />
Zum Autor: Dipl.Ing. Dietrich Läpke war von 2001 bis 2007 Leiter <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie für <strong>Krisenmanagement</strong> und Katastrophenhilfe<br />
(AKNZ) <strong>im</strong> BBK und verantwortlich für die Projektgruppe LÜKEX. Zuvor war er in leiten<strong>de</strong>r Funktion auf Lan<strong>de</strong>s- und <strong>Bund</strong>esebene<br />
<strong>im</strong> Technischen Hilfswerk tätig, seit En<strong>de</strong> 2007 arbeitet er <strong>im</strong> BMI.
Die strategische Be<strong>de</strong>utung von Krisenkommunikation 1<br />
Werner Baach / Ralf Burmeister<br />
Krisen und Katastrophen sind in hohem Maß durch<br />
Verunsicherung <strong>de</strong>r Bevölkerung gekennzeichnet. Sie<br />
sind zugleich Vorgänge von hohem „News-Wert“ und<br />
wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Regel von großem „Informationshunger“<br />
<strong>de</strong>r Medien begleitet. Dabei ist eine zunehmen<strong>de</strong><br />
Ten<strong>de</strong>nz zur „Skandaliserung, Konfliktakzentuierung<br />
und Emotionalisierung“ solcher Ereignisse erkennbar,<br />
stellt <strong>de</strong>r Schweizer Mediensoziologe Kurt Imhof<br />
2 in einer Untersuchung <strong>de</strong>r Wochenzeitung „Die<br />
Zeit“ fest. Ein anschauliches Beispiel dafür sei u.a.<br />
die teilweise hysterisch geführte Diskussion um die<br />
Vogelgrippe <strong>im</strong> Sommer 2005 gewesen, die gezeigt<br />
habe, wie sich „die Spirale medial-öffentlicher Erregung<br />
hochschaukeln“ könne, um dann schließlich in<br />
sich zusammenzubrechen. An<strong>de</strong>rerseits stellt <strong>de</strong>r Risikoforscher<br />
Peter Sandmann 3 in <strong>de</strong>mselben Beitrag<br />
fest, dass, sobald eine reale Gefahr eintrete, die Berichterstattung<br />
sachlich und beschwichtigend wer<strong>de</strong>,<br />
„<strong>de</strong>nn nun haben die Journalisten selbst Angst und<br />
versuchen, sich und ihre Leser zu beruhigen“. Wenn<br />
also in <strong>de</strong>n Medien plötzlich ein „staatstragen<strong>de</strong>r“<br />
Ton dominiere, wenn Verlautbarungen zitiert wür<strong>de</strong>n<br />
und „Alarmisten“ nicht mehr gefragt seien, dann läge<br />
eine echte Krise vor.<br />
Krisenkommunikation darf die mögliche Dynamik<br />
einer Krise nie unterschätzen. Krisenkommunikation<br />
ist <strong>de</strong>shalb ein unabdingbarer Bestandteil je<strong>de</strong>s<br />
staatlichen <strong>Krisenmanagement</strong>s. Dieses muss zu je<strong>de</strong>r<br />
Zeit die Rezeption einer Krisenlage durch die<br />
Bevölkerung sorgsam beobachten und entsprechend<br />
durch externe Krisenkommunikation mit <strong>de</strong>r Presse,<br />
<strong>de</strong>n Medien und <strong>de</strong>r Bevölkerung agieren. Diese<br />
Kommunikation muss von Anfang an als ein wesentlicher<br />
Teil <strong>de</strong>s strategischen <strong>Krisenmanagement</strong>s eingesetzt<br />
wer<strong>de</strong>n. Deshalb verlangt die Vorsorge von<br />
<strong>de</strong>n Leitungen von Krisen- und Verwaltungsstäben<br />
ebenso wie von <strong>de</strong>n Sprechern/ Leitern <strong>de</strong>r Presse-<br />
und Öffentlichkeitsarbeit (PrÖA) in einer Krise eine<br />
sorgfältige Kommunikationsstrategie und, darauf aufbauend,<br />
Informationsplanung. Dies wird, nach unseren<br />
Erkenntnissen aus <strong>de</strong>r Übungsserie LÜKEX, noch<br />
nicht überall genügend erkannt und praktiziert, obwohl<br />
es genug Beispiele dafür gibt, wie sich gute,<br />
noch mehr aber schlechte Presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
auf das <strong>Krisenmanagement</strong> auswirken<br />
können. Die verheeren<strong>de</strong>, bis heute andauern<strong>de</strong><br />
Kritik an <strong>de</strong>n Behör<strong>de</strong>n <strong>im</strong> Zusammenhang mit <strong>de</strong>r<br />
Hurrikan-Katastrophe von New Orleans 2005 ist nur<br />
ein Beispiel dafür.<br />
Hurrikan-Katastrophe in New Orleans <strong>im</strong> September 2005:<br />
Musterbeispiel für das Versagen <strong>de</strong>r Krisenkommunikation<br />
mit <strong>de</strong>r Bevölkerung<br />
145
146<br />
Wenn Krisen schon nur schwer vorhersehbar und<br />
schon gar nicht „planbar“ sind, so kann, ja muss Krisenkommunikation<br />
„in ruhiger Zeit“ vorausschauend<br />
vorbereitet wer<strong>de</strong>n: durch personelle, organisatorische<br />
und technische Maßnahmen ebenso wie durch<br />
Verhaltenstraining, zum Beispiel <strong>im</strong> Rahmen von<br />
Übungen. In <strong>de</strong>r kritischen, oft explosiven „Kernphase“<br />
einer Krise müssen Entscheidungen meist unter<br />
extremem Zeitdruck getroffen und Maßnahmen<br />
schnell umgesetzt und kommuniziert wer<strong>de</strong>n. In dieser<br />
Phase gehören die Verantwortlichen für die Presse-<br />
und Öffentlichkeitsarbeit (PrÖA) zu <strong>de</strong>n meist<br />
gefragten und am stärksten gefor<strong>de</strong>rten Personen.<br />
Wer dann vorausschauend Informationsstrategien<br />
Nur glaubwürdige Information schafft Vertrauen<br />
entwickelt, mögliche Krisenszenarien durchgespielt,<br />
Zuständigkeiten und Arbeitsabläufe festgelegt und<br />
<strong>de</strong>n Umgang mit Journalisten trainiert hat, ist darauf<br />
vorbereitet, Ängsten, Misstrauen und Spekulationen<br />
zu begegnen.<br />
Wer aber auf eine Krise nicht vorbereitet<br />
ist, <strong>de</strong>n überrollen die Medien; sie sind bei<br />
Ausbruch einer Krise sofort vor Ort, und<br />
das überall.<br />
Die Grundlinie einer glaubwürdigen Informationsstrategie muss lauten: sachliches<br />
Argumentieren und ehrliche Unterrichtung, verbun<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>m (durchaus legit<strong>im</strong>en<br />
emotionalen) Werben um Vertrauen in das <strong>Krisenmanagement</strong>.<br />
Einige Grundregeln sollten daher bei je<strong>de</strong>r Krisenkommunikation<br />
beachtet wer<strong>de</strong>n:<br />
Glaubwürdigkeit: Sie ist Grundbedingung je<strong>de</strong>r Krisenkommunikation.<br />
Einmal verspieltes Vertrauen<br />
zurück zu gewinnen ist schwer. Mängel und Fehler<br />
dürfen nicht verschwiegen wer<strong>de</strong>n; Abwiegeln,<br />
Beschönigen o<strong>de</strong>r gar Vertuschen verschärfen je<strong>de</strong><br />
Krise und höhlen das Vertrauen in das <strong>Krisenmanagement</strong><br />
aus.<br />
Vertrauen schaffen: Das Gefühl von Nicht-Wissen<br />
erzeugt Ohnmacht und Angst. Deshalb muss je<strong>de</strong><br />
Kommunikationsstrategie in <strong>de</strong>r Krise darauf zielen,<br />
Vertrauen in das <strong>Krisenmanagement</strong> zu schaffen. Am<br />
Beispiel <strong>de</strong>s Übungsszenarios in LÜKEX 2007, einer<br />
Influenza-Pan<strong>de</strong>mie, ver<strong>de</strong>utlicht, hieß das: Die Unvermeidbarkeit<br />
<strong>de</strong>r Pan<strong>de</strong>mie bewusst machen; alle<br />
vorbereiteten und getroffenen Maßnahmen zur Mil<strong>de</strong>rung<br />
<strong>de</strong>s Pan<strong>de</strong>mieverlaufs aufzeigen; Vertrauen<br />
in die Arbeit <strong>de</strong>r Krisenstäbe gewinnen; das Gefühl<br />
<strong>de</strong>r Zusammengehörigkeit in schwieriger Situation<br />
erzeugen (Wir-Gefühl, Hilfsbereitschaft, Spontanhilfe,<br />
Solidarität). Aber auch <strong>de</strong>r Appell an die Eigenverantwortung<br />
je<strong>de</strong>s Einzelnen in einer Krise ist ein<br />
wichtiges Kommunikationsziel. Dabei müssen auch<br />
die nicht o<strong>de</strong>r kaum Deutsch sprechen<strong>de</strong>n Mitbürger<br />
erreicht wer<strong>de</strong>n (interkulturelle Kommunikation).<br />
Agieren, nicht reagieren: In einer psychologisch<br />
schwierigen Krisensituation muss von Anfang an eine<br />
aktive Informationsarbeit angestrebt wer<strong>de</strong>n. Je aktueller<br />
und verlässlicher die „amtliche“ Information ist,<br />
<strong>de</strong>sto besser ist die Chance, dass sie in <strong>de</strong>n Medien<br />
präsent wird. Kommuniziert die Organisation nicht<br />
o<strong>de</strong>r nicht offen, zapfen Journalisten an<strong>de</strong>re, meist<br />
weniger zuverlässige Quellen an. Sind Informations<strong>de</strong>fizite<br />
bereits entstan<strong>de</strong>n, muss es das Ziel sein, die<br />
„Informationshoheit“ und das Vertrauen <strong>de</strong>r breiten<br />
Bevölkerung durch sachgerechte, offene Information<br />
zurück zu gewinnen.
Kommunikation ist Führung: Krisenkommunikation<br />
muss stets „Chefsache“ sein. Dieser Satz klingt banal,<br />
hat aber in <strong>de</strong>r Krise noch mehr Gewicht als<br />
schon <strong>im</strong> Routinebetrieb. Entscheidungsträger sind<br />
die wichtigsten Kommunikatoren; sie haben in <strong>de</strong>r<br />
Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit die „höchste<br />
Kompetenz“ – positiv wie negativ. Deshalb müssen<br />
sie von Anfang an in Kommunikationsstrategien und<br />
-konzepte eingebun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Der Pressesprecher/<br />
die Pressesprecherin ist (und bleibt) in einer<br />
Krisenlage gewiss eine wichtige Kontaktperson, sie<br />
kann aber <strong>de</strong>n „Chef“ und <strong>de</strong>ssen Auftreten gegenüber<br />
Presse und Öffentlichkeit nicht ersetzen.<br />
Kommunikation braucht Netzwerke: Strategische<br />
Wirkung kann in einer Krise opt<strong>im</strong>al nur durch eine<br />
vernetzte, abgest<strong>im</strong>mte Informationspolitik unter<br />
Einschluss aller Ebenen (<strong>Bund</strong>, Län<strong>de</strong>r, kommunale<br />
Ebene, Organisationen, Verbän<strong>de</strong>, Unternehmen,<br />
u.a.) erreicht wer<strong>de</strong>n. Nachgeordnete Führungsebenen<br />
müssen in Entscheidungen und Maßnahmen<br />
eingebun<strong>de</strong>n und „mitgenommen“ wer<strong>de</strong>n. Die<br />
Vernetzung von Verantwortlichen, Entscheidungsträgern,<br />
Spezialisten, Wissenschaftlern und das Erstellen<br />
sowie die Pflege entsprechen<strong>de</strong>r Datenbanken sind<br />
Aufgabe schon vor, jedoch spätestens zu Beginn einer<br />
Krise. Parallel dazu ist <strong>de</strong>r Aufbau und die Pflege<br />
eines „Netzwerks Medien“ wichtige Aufgabe <strong>de</strong>r Krisenvorsorge<br />
in „ruhigen“ Zeiten.<br />
Information braucht Koordination: Wichtige Informationsmaßnahmen<br />
sollten fortlaufend horizontal und<br />
vertikal abgest<strong>im</strong>mt wer<strong>de</strong>n, um so „mit einer St<strong>im</strong>me“<br />
sprechen zu können. Das gilt insbeson<strong>de</strong>re für<br />
zentrale Aussagen und „Kernbotschaften“, die von<br />
allen Beteiligten mitgetragen wer<strong>de</strong>n müssen. Das<br />
setzt voraus, dass vor, spätestens jedoch in <strong>de</strong>r Anfangsphase<br />
einer Krise die Koordinationsverfahren<br />
sowie die organisatorischen und technischen Voraussetzungen<br />
für einen zügigen Informationsaustausch<br />
geschaffen wer<strong>de</strong>n. Der Ausfall von Kommunikationswegen<br />
sollte einkalkuliert, Aushilfen für diesen<br />
Fall vorbereitet wer<strong>de</strong>n.<br />
Medien als Partner gewinnen: Die Medien sind in einer<br />
Krise die wichtigsten „Mittler“ zur Öffentlichkeit.<br />
Sie wirken breit und sind „dicht an <strong>de</strong>n Menschen“.<br />
Deshalb muss es das Ziel sein, ihre Meinungsführer<br />
(Chefredakteure/ leiten<strong>de</strong> Redakteure usw.) durch<br />
möglichst umfassen<strong>de</strong> Hintergrundinformation in die<br />
„Verantwortung einzubin<strong>de</strong>n“ sowie die Journalisten<br />
„vor Ort“ während <strong>de</strong>r Krise über <strong>de</strong>n jeweiligen<br />
Stand so weit wie möglich zu informieren. Internet-<br />
Portale für Journalisten mit aktuellen Informationen<br />
entlasten die Pressestellen und unterstützen eine einheitliche<br />
Sprachregelung.<br />
Kommunikation braucht Vorbereitung:<br />
Je besser eine Organisation auf die Krise<br />
vorbereitet ist, <strong>de</strong>sto besser steht sie diese<br />
durch und <strong>de</strong>sto schneller erholt sie sich<br />
von ihr. Für die Krisenkommunikation<br />
heißt das: Kommunikationspläne<br />
entwickeln, gute organisatorische und<br />
technische Arbeitsbedingungen schaffen,<br />
das Personal sorgfältig auswählen und<br />
schulen, Verstärkungen einplanen.<br />
In <strong>de</strong>r Kernphase einer Krise gehören die Verantwortlichen<br />
für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu<br />
<strong>de</strong>n meist gefragten Personen. Ihre Arbeit darf nicht<br />
durch ungenügen<strong>de</strong> Vorbereitung und schlechte Arbeitsbedingungen<br />
beeinträchtigt wer<strong>de</strong>n. Vor allem<br />
aber muss Krisenkommunikation „geübt“ wer<strong>de</strong>n –<br />
ein Hauptanliegen <strong>de</strong>r LÜKEX-Übungen.<br />
147
148<br />
LÜKEX 2007: Bewährtes Übungskonzept für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
Entsprechend <strong>de</strong>r strategischen Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r PrÖA<br />
bei <strong>de</strong>r Bewältigung komplexer Krisenlagen verlangte<br />
LÜKEX 2007 – wie auch schon LÜKEX 2005<br />
– „eine breit angelegte, abgest<strong>im</strong>mte aktive Öffentlichkeitsarbeit<br />
zur situationsgerechten Information<br />
<strong>de</strong>r Bevölkerung und Einsatzkräfte <strong>im</strong> Rahmen eines<br />
vorausschauen<strong>de</strong>n, ressortübergreifen<strong>de</strong>n <strong>Krisenmanagement</strong>s“<br />
sowie durchgängig eine „aktive Informationsarbeit“.<br />
Die hauptsächlichen Übungsziele<br />
waren <strong>im</strong> Grundlagendokument für die Übung, <strong>de</strong>m<br />
„Übungsrahmen“, wie folgt <strong>de</strong>finiert wor<strong>de</strong>n:<br />
� �������� ��� strategischen Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Pres-<br />
se- und Öffentlichkeitsarbeit <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r<br />
Bewältigung extremer Scha<strong>de</strong>nsereignisse;<br />
� Abst<strong>im</strong>mung <strong>de</strong>r Presse- und Öffentlichkeitsar -<br />
beit zwischen <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>rn;<br />
� ���� län<strong>de</strong>r- und bereichsübergreifen<strong>de</strong>r Presse-<br />
und Öffentlichkeitsarbeit.<br />
Im Zuge <strong>de</strong>r Übungsvorbereitung wur<strong>de</strong> – neben<br />
zahlreichen individuellen Einweisungen und Einweisungen<br />
bei Workshops – vier Wochen vor <strong>de</strong>r Übung<br />
ein speziell entwickeltes zweitägiges Seminar „Strategische<br />
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit“ be<strong>im</strong> BBK<br />
durchgeführt. Sein Zweck war es, das Personal PrÖA<br />
<strong>de</strong>r üben<strong>de</strong>n Stäbe zeitnah in die Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r<br />
Übung einzuführen und es an ausgewählten Lagen<br />
für seine Aufgaben in <strong>de</strong>n Krisen-/ Verwaltungsstäben<br />
zu schulen. Auf Grund <strong>de</strong>r positiven Erfahrungen ist<br />
geplant, das Seminar zukünftigen LÜKEX-Übungen<br />
grundsätzlich voranzustellen, eventuell erweitert um<br />
wichtige psychologische und psychosoziale Aspekte<br />
<strong>de</strong>r Krisenkommunikation.<br />
Um während <strong>de</strong>r Übung <strong>de</strong>n üben<strong>de</strong>n Stäben ein<br />
möglichst realistisches Bild <strong>de</strong>r Medienlage und <strong>de</strong>n<br />
„Druck“ von Medien und Öffentlichkeit zu vermitteln,<br />
steuerte <strong>de</strong>r zentrale Steuerungsstab AHRWEILER fortlaufend<br />
umfangreiche fiktive „Übungsnachrichten“ in<br />
das Lagebild ein. Diese <strong>de</strong>ckten das gesamte Spektrum<br />
<strong>de</strong>r vielfältigen <strong>de</strong>utschen Medienlandschaft ab,<br />
von Übungszeitungen und Agenturmeldungen über<br />
spezielle Fernsehsendungen bis hin zu Anfragen von<br />
Journalisten und Bürgern an die Übungsstäbe. Die<br />
von <strong>de</strong>n Stäben erwarteten Maßnahmen reichten von<br />
<strong>de</strong>r Beurteilung <strong>de</strong>r Medienlage über Empfehlungen<br />
und Entscheidungen zur Informationsarbeit, die Erarbeitung<br />
von Informationskonzepten bis hin zu <strong>de</strong>ren<br />
Umsetzung in Pressemitteilungen, Pressekonferenzen,<br />
Interviews und Statements und sonstige Maßnahmen<br />
(wie Internet-Websites und Bürgertelefon).<br />
Eine während <strong>de</strong>r Übung fortlaufend aktualisierten<br />
Website mit <strong>de</strong>n in die Übung eingespielten Übungsnachrichten<br />
vermittelte allen Übungsstäben je<strong>de</strong>rzeit<br />
ein aktuelles Bild <strong>de</strong>r Medienlage.<br />
Dreharbeiten für die LÜKEX Fernsehsendungen <strong>im</strong> Flughafen<br />
Hamburg
Drei vorbereitete Fernsehsendungen (LÜKEX TV)<br />
erwiesen sich als beson<strong>de</strong>rs geeignete Informationsmittel,<br />
um die Übungsstäbe schnell und umfassend<br />
in die Lageentwicklungen einzuführen und die Stabsarbeit<br />
anzustoßen.<br />
Das Steuerungskonzept PrÖA hat sich bewährt. Das<br />
<strong>im</strong> Steuerungsstab AHRWEILER gebil<strong>de</strong>te Presse-<br />
und Informationszentrum (PIZ) umfasste neben <strong>de</strong>r<br />
Leitung zehn Journalisten, die – aufgeteilt nach Ressorts<br />
und teilnehmen<strong>de</strong>n <strong>Bund</strong>eslän<strong>de</strong>rn – über 200<br />
auf die Lageentwicklung abgest<strong>im</strong>mte Presseartikel<br />
verfassten und über das als „Presseportal“ genutzte<br />
System <strong><strong>de</strong>NIS</strong> I einspielten.<br />
Dieses Verfahren hat sich als sehr geeignet erwiesen,<br />
die Übungsmedienlandschaft für Übungsteilnehmer<br />
und Übungssteuerung „in Echtzeit“ bereitzustellen.<br />
Die Pressemeldungen und Kommentare wur<strong>de</strong>n<br />
durch zahlreiche Anfragen <strong>de</strong>r Journalisten an die<br />
Übungsstäbe und durch das erneute Reagieren auf<br />
Maßnahmen <strong>de</strong>r Übungsstäbe (zum Beispiel das Umsetzen<br />
von Pressemitteilungen in Nachrichten und<br />
Kommentare) vervollständigt. Das Prinzip <strong>de</strong>r Steuerung<br />
<strong>de</strong>r PrÖA zeigt die Grafik „Regelkreis Kommunikation“<br />
auf Seite 151. Bei sparsamem, effektivem<br />
Einsatz von Personal und Mitteln war es so möglich,<br />
<strong>de</strong>n Übungsstäben ein weitgehend realitätsnahes Medienbild<br />
in <strong>de</strong>r sich entwickeln<strong>de</strong>n Pan<strong>de</strong>mie-Krise<br />
zu vermitteln und ausreichen<strong>de</strong>n „Mediendruck“<br />
aufzubauen. Dennoch ist davon auszugehen, dass<br />
in einer wirklichen Krise <strong>de</strong>r Informationsdruck <strong>de</strong>r<br />
Medien und aus <strong>de</strong>r Öffentlichkeit auf die Stäbe noch<br />
weit höher sein wür<strong>de</strong> als dies in <strong>de</strong>r Übung s<strong>im</strong>uliert<br />
wer<strong>de</strong>n konnte.<br />
Die LÜKEX-Medienlandschaft baut „Mediendruck“ auf … und die Reaktion – eine Auswahl <strong>de</strong>r Presseaktivitäten <strong>de</strong>r<br />
Übungsstäbe<br />
149
150<br />
Wichtigste Erkenntnis: Planung und Übung machen <strong>de</strong>n Meister<br />
Die als Übungsziel gefor<strong>de</strong>rte „aktive Presse- und<br />
Informationsarbeit“ wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Stabsarbeit weitgehend<br />
erfüllt. Die Sprecherbereiche / Stabsstellen<br />
PrÖA waren gut in die Gesamtarbeit <strong>de</strong>r Stäbe und<br />
Organisationen integriert; ihre Arbeit war durchgängig<br />
professionell.<br />
Die Abst<strong>im</strong>mung <strong>de</strong>r PrÖA wur<strong>de</strong> gegenüber früheren<br />
Übungen bei LÜKEX 2007 weiter verbessert.<br />
Dennoch waren auch Lücken in <strong>de</strong>r gegenseitigen<br />
Information und <strong>de</strong>r Koordination zu beobachten.<br />
Hier wird Entwicklungspotenzial gesehen, zum Beispiel<br />
durch frühzeitiges Einrichten und Einspielen<br />
von Kommunikationsverbindungen und -verfahren<br />
zwischen <strong>de</strong>n hauptbeteiligten Stäben und Ressorts.<br />
Im Zuge <strong>de</strong>r Übungsauswertung ist zu<strong>de</strong>m angeregt<br />
wor<strong>de</strong>n, über eine geschlossene Website wichtige<br />
Informationen zur bereichsübergreifen<strong>de</strong>n Informationskoordination<br />
(z.B. Beurteilung <strong>de</strong>r Medienlage,<br />
Informationsplanungen, Pressemitteilungen, Statements,<br />
Pressekonferenzen u.a.) bereitzustellen. Es<br />
wird überlegt, ein solches Portal bei LÜKEX 2009<br />
versuchsweise zu erproben.<br />
LÜKEX 07: Übungspressezentrum<br />
Redaktionskonferenz <strong>im</strong> Übungspressezentrum LÜKEX 07<br />
Krisen stellen an das Personal <strong>de</strong>r Stabsbereiche<br />
PrÖA hohe physische und psychische Anfor<strong>de</strong>rungen,<br />
insbeson<strong>de</strong>re dann, wenn infolge hohen „Mediendrucks“<br />
intensive Beratung <strong>de</strong>r Stäbe, Planung,<br />
Abst<strong>im</strong>mung und schnelle Durchführung von Informationsmaßnahmen<br />
sowie die Beantwortung zahlreicher<br />
Medienanfragen erfor<strong>de</strong>rlich sind. In Anbetracht<br />
<strong>de</strong>r Tatsache, dass das Personal PrÖA – wie auch die<br />
Übung wie<strong>de</strong>r gezeigt hat – vielfach eine „Engpassressource“<br />
ist, wird dringend empfohlen, Vorsorge<br />
für eine personelle Aufstockung zu treffen. Die Erfahrung<br />
hat gezeigt, dass zum Beispiel aus <strong>de</strong>n Bereichen<br />
<strong>de</strong>r Polizei und <strong>de</strong>r Feuerwehren gutes Personal<br />
für Verstärkungen rekrutiert wer<strong>de</strong>n könnte.<br />
Wie in an<strong>de</strong>ren Stabsbereichen auch, bedarf das Personal<br />
PrÖA <strong>de</strong>r kontinuierlichen Aus- und Weiterbildung<br />
in Fragen <strong>de</strong>r strategischen Krisenkommunikation.<br />
Das in Vorbereitung auf LÜKEX 2007 entwickelte<br />
Seminar „Strategische Presse- und Öffentlichkeitsarbeit“<br />
könnte nach Auffassung <strong>de</strong>r Verfasser als ein<br />
Baustein zur Schulung <strong>de</strong>s Leitungspersonals PrÖA<br />
(Pressesprecher, Leiter <strong>de</strong>r Öffentlichkeitsarbeit u.a.)<br />
weiterentwickelt und über die Vorbereitungen auf<br />
LÜKEX hinaus generell zur Weiterbildung genutzt<br />
wer<strong>de</strong>n. Es kann aber die ständige Aus- und Weiterbildung<br />
<strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r Schulung <strong>de</strong>r Krisen-/ Verwaltungsstäbe<br />
nicht ersetzen.
Krisenkommunikation kann nicht in ein festes Schema<br />
gepresst wer<strong>de</strong>n, je<strong>de</strong> Krise hat eigene Charakteristiken<br />
und Abläufe, die starren Verfahrensfestlegungen<br />
bei <strong>de</strong>r Kommunikation entgegenstehen.<br />
Dennoch können Arbeitshilfen zur Krisenkommunikation<br />
(Leitfä<strong>de</strong>n, Krisenkommunikationspläne, Kommunikationshandbücher<br />
für Krisen u.a.) hilfreiche<br />
Organisationsmittel sein und die Stabsbereiche PrÖA<br />
in einer Krise von Routineaufgaben entlasten. In solchen<br />
Arbeitshilfen könnte beispielsweise geregelt<br />
wer<strong>de</strong>n: Personalkonzepte, einschließlich eventueller<br />
Verstärkungsplanungen; Funktions- und Aufgabenfestlegungen;<br />
Arbeitsorganisation, einschließlich<br />
<strong>de</strong>r Kommunikationsmittel; eventuell „Schlüsselbotschaften“,<br />
die in <strong>de</strong>r Krise vermittelt wer<strong>de</strong>n sollen;<br />
wichtige Ansprechpartner usw. 4<br />
Verglichen mit <strong>de</strong>r Presse- und Medienarbeit ist die<br />
direkte Information <strong>de</strong>r Bevölkerung (Bürgertelefone,<br />
Callcenter, Internetseiten u.a.) nicht in gleicher<br />
Intensität geübt wor<strong>de</strong>n. Bei LÜKEX 2009 soll dieser<br />
Bereich – zumin<strong>de</strong>st punktuell – stärker in das<br />
Übungskonzept einbezogen wer<strong>de</strong>n, um belastbare<br />
Erkenntnisse über seine Funktionsfähigkeit zu gewinnen.<br />
Im Bereich <strong>de</strong>r Risiko- und Krisenkommunikation <strong>im</strong><br />
Pan<strong>de</strong>miefall wur<strong>de</strong> die Informationsarbeit auf <strong>de</strong>r<br />
Zentraler Steuerungsstab<br />
Gruppe PrÖA<br />
Einspielungen:<br />
Journalistenanfrage, Agenturmeldung,<br />
Medienbericht usw.<br />
Neuer Zyklus beginnt<br />
Auswertung durch<br />
Steuerungsstab Gruppe PrÖA<br />
neue Einspielung<br />
Regelkreis Kommunikation<br />
4<br />
Voraussetzung:<br />
keine Unterbrechung<br />
<strong>de</strong>s Regelkreises<br />
3a<br />
Grundlage <strong>de</strong>s <strong>de</strong>m Nationalen Pan<strong>de</strong>mieplan angehängten<br />
Dokuments „<strong>Bund</strong>-Län<strong>de</strong>r-Konzept zur<br />
Risiko- und Krisenkommunikation <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r<br />
Influenza-Pan<strong>de</strong>mieplanung“ (Entwurf, Stand: 26.<br />
Juli 2007) durchgeführt. Der Entwurf hat sich als gute<br />
Grundlage für die Endfassung <strong>de</strong>s Konzepts und <strong>de</strong>r<br />
Entwicklung darauf aufbauen<strong>de</strong>r Detailmaßnahmen<br />
erwiesen. Das Konzept befasst sich naturgemäß mit<br />
<strong>de</strong>r Kommunikation <strong>im</strong> Gesundheitsbereich <strong>im</strong> Pan<strong>de</strong>miefall.<br />
Wegen <strong>de</strong>r aber weit über <strong>de</strong>n Gesundheitsbereich<br />
hinausreichen<strong>de</strong>n Auswirkungen einer<br />
Pan<strong>de</strong>mie wird angeregt, in <strong>de</strong>n allgemeinen Notfallplanungen<br />
<strong>de</strong>r Ressorts und Behör<strong>de</strong>n (Inneres,<br />
Verkehr, Ernährung, Wirtschaft, Landwirtschaft u.a.)<br />
die Informationskonzepte auf ihre Eignung für <strong>de</strong>n<br />
Pan<strong>de</strong>miefall zu prüfen und, sofern erfor<strong>de</strong>rlich, anzupassen.<br />
Eine aktive reale Pressearbeit bei LÜKEX 2007 hat<br />
das Bewusstsein <strong>de</strong>r Öffentlichkeit für die Be<strong>de</strong>utung<br />
vorsorgen<strong>de</strong>r Maßnahmen <strong>de</strong>s Staates <strong>im</strong> strategischen<br />
<strong>Krisenmanagement</strong> geschärft und Vertrauen<br />
in das Han<strong>de</strong>ln aller Akteure gestärkt. Sie sollte bei<br />
zukünftigen Übungen – abgest<strong>im</strong>mt auf das jeweilige<br />
Übungsszenario – grundsätzlich beibehalten wer<strong>de</strong>n<br />
und könnte ggf. dadurch intensiviert wer<strong>de</strong>n, dass<br />
Pressevertreter gezielt in Vorbereitung und Durchführung<br />
<strong>de</strong>r Übung eingebun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />
1<br />
5<br />
Krisenstab/ Verwaltungsstab<br />
Beurteilung PrÖA-Lage<br />
Entscheidung<br />
Weisung<br />
PrÖA-Stab<br />
Konzepte/ Durchführung<br />
PrÖA-Maßnahmen<br />
(z.B. Pressemitteilung)<br />
3b<br />
Steuerungselement PrÖA<br />
be<strong>im</strong> Übungsstab<br />
Auswerten Maßnahmen –<br />
Nachsteuern „vor Ort“ –<br />
Weitergabe an Zentralen Steuerungsstab<br />
Gruppe PrÖA<br />
2<br />
151
152<br />
Zusammenfassung und Ausblick<br />
Krisen wer<strong>de</strong>n sich auch künftig ereignen,<br />
und die Vorwarnzeit für Medien und Öf-<br />
fentlichkeit kann dann <strong>de</strong>nkbar kurz sein.<br />
Je besser die Stäbe aller Ebenen und Be-<br />
reiche sich vorbereiten, <strong>de</strong>sto wahrschein-<br />
licher können sie die Herausfor<strong>de</strong>rungen<br />
<strong>de</strong>r Krisenkommunikation bewältigen.<br />
Sorgfältige Auswahl <strong>de</strong>s Personals, ausreichen<strong>de</strong> Personalstärken,<br />
regelmäßiges Training, Pflege von Netzwerken<br />
und das Schaffen guter Arbeitsbedingungen<br />
für die Stabsstellen PrÖA sind dafür wichtige Voraussetzungen.<br />
Entschei<strong>de</strong>nd aber ist, dass sich in <strong>de</strong>n<br />
Stäben selbst sowie zwischen <strong>de</strong>n <strong>im</strong> fö<strong>de</strong>ralen System<br />
<strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>esrepublik han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Akteuren eine<br />
vertiefte Zusammenarbeit auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Kommunikation<br />
mit <strong>de</strong>r Öffentlichkeit herausbil<strong>de</strong>t und<br />
dass die „Entscheidungsträger“ sich als die wichtigsten<br />
„Kommunikatoren“ in die Krisenkommunikation<br />
einbringen. LÜKEX 2007 hat dazu beigetragen, das<br />
Verständnis für die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Krisenkommunikation<br />
zu stärken. Bei LÜKEX 2009 sollen durch eine<br />
weitere Verfeinerung <strong>de</strong>s Konzepts die Übungsmöglichkeiten<br />
für die PrÖA weiter ausgebaut wer<strong>de</strong>n.<br />
Sachstandsinformation zu „Krisenkommunikation – Leitfa<strong>de</strong>n für Behör<strong>de</strong>n und Unternehmen“,<br />
Herausgeber <strong>Bund</strong>esministerium <strong>de</strong>s Innern, Referat KM 1<br />
Der 74 Seiten umfassen<strong>de</strong> Leitfa<strong>de</strong>n untersucht in seinem Teil A in systematischer Betrachtung<br />
umfassend die Bereiche „Krise und Krisenkommunikation“. Dabei wer<strong>de</strong>n u.a. <strong>de</strong>r Begriff Krisenkommunikation<br />
<strong>de</strong>finiert, Handlungsphasen <strong>de</strong>r Krisenkommunikation dargestellt, die Zielgruppen<br />
betrachtet, Empfehlungen für die Krisenkommunikationsplanung angeboten sowie die<br />
wesentlichen Aufgaben <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r Krisenkommunikation beschrieben. Die Teile B bis D<br />
geben ergänzend wertvolle praktische Hilfen und Handlungsempfehlungen für die Krisenkommunikation<br />
als wesentlichem Teil <strong>de</strong>s Gesamtkrisenmanagements.<br />
Der Leitfa<strong>de</strong>n kann bezogen wer<strong>de</strong>n über: Publikationsversand <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>esregierung, Postfach<br />
48 10 09, 18132 Rostock, eMail: Publikationen@bun<strong>de</strong>sregierung.<strong>de</strong> – o<strong>de</strong>r per Download <strong>im</strong><br />
Internet auf <strong>de</strong>r Homepage <strong>de</strong>s BMI (www.bmi.bund.<strong>de</strong>).<br />
Zu <strong>de</strong>n Autoren: Werner Baach und Ralf Burmeister sind als Medienberater tätig. Sie sind seit 2005 in <strong>de</strong>r Projektgruppe LÜK-<br />
EX für Konzeption, Planung, Vorbereitung, Durchführung und Auswertung auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Medien-, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
verantwortlich.
1 Das Dokument „Auskunftsunterlage <strong>Krisenmanagement</strong> <strong>Bund</strong>esministerium <strong>de</strong>s Innern“, Stabsbereich KM, Stand: Mai<br />
2008, <strong>de</strong>finiert <strong>de</strong>n Begriff Krisenkommunikation wie folgt: „Alle kommunikativen Aktivitäten, die in Zusammenhang mit einer<br />
Krisensituation durchgeführt wer<strong>de</strong>n zur Verhin<strong>de</strong>rung o<strong>de</strong>r Begrenzung von Vertrauensverlust, Imageeinbußen usw. In <strong>de</strong>r<br />
Praxis be<strong>de</strong>utet Krisenkommunikation die klare Zuordnung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten sowie eine klare<br />
Kommunikationslinie für ein inhaltlich und argumentativ einheitliches Auftreten. Dazu bedarf es auch <strong>de</strong>r Einigung darüber,<br />
wie Medien bei <strong>de</strong>r Aufarbeitung <strong>de</strong>r Krise eingebun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n sollen.“ Unter <strong>de</strong>m Begriff „externe Krisenkommunikation“<br />
wird <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>r öffentlichen Sicherheit allgemein die kommunikative Interaktion zwischen Staat (Behör<strong>de</strong>n), Medien und<br />
Bürgern verstan<strong>de</strong>n.<br />
In diesem Sinne wird <strong>de</strong>r Begriff Krisenkommunikation in diesem Beitrag <strong>im</strong> Wesentlichen <strong>im</strong> Sinne <strong>de</strong>r Definition von<br />
Albert Oeckl gebraucht als das „bewusste, geplante und dauern<strong>de</strong> Bemühen, gegenseitiges Verständnis und Vertrauen<br />
in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit aufzubauen und zu pflegen. Das Wort Öffentlichkeitsarbeit als die geeignetste <strong>de</strong>utsche Wortbildung<br />
für Public Relations drückt ein Dreifaches aus: Arbeit in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit, Arbeit für die Öffentlichkeit, Arbeit mit <strong>de</strong>r Öffentlichkeit.“<br />
– Albert Oeckl,: Handbuch <strong>de</strong>r Public Relations. Hamburg, 1964, S. 43.<br />
2 In einem Beitrag <strong>de</strong>r Wochenzeitung „Die Zeit“, Nr. 26 vom 19.06.2008, Seiten 26 f., „Die Konjunktur <strong>de</strong>r Ängste“. Imhof führt<br />
dort weiter aus, dass Katastrophen „sich ausgezeichnet visualisieren [lassen], und sie schaffen Betroffenheit aufseiten <strong>de</strong>s<br />
Publikums, die wie<strong>de</strong>r effektvoll bewirtschaftet wer<strong>de</strong>n kann“.<br />
3 a.a.O. S. 26<br />
4 Ba<strong>de</strong>n-Württemberg hat ein „Handbuch Krisenkommunikation“ eingeführt sowie für die externe und interne Kommunikation<br />
in Krisensituationen <strong>im</strong> Internet seit 2003 einen Son<strong>de</strong>r-Informationsdienst (www.infodienst-bw.<strong>de</strong>) eingerichtet.<br />
Das <strong>Bund</strong>esministerium <strong>de</strong>s Innern hat eine Arbeitshilfe "Krisenkommunikation – Leitfa<strong>de</strong>n für Behör<strong>de</strong>n und Unternehmen"<br />
erarbeitet, <strong>de</strong>r wertvolle Anregungen und Hilfen für die Erarbeitung von auf die Bedürfnisse <strong>de</strong>r jeweiligen Organisation<br />
ausgerichteten Leitfä<strong>de</strong>n gibt. Dazu führt <strong>de</strong>r Leitfa<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s BMI aus: Er soll „<strong>de</strong>n für die Krisenkommunikation<br />
verantwortlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Behör<strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>r Erhebung, Analyse und Opt<strong>im</strong>ierung<br />
<strong>de</strong>r externen und internen Krisenkommunikation und ihrer Strukturen eine Orientierungshilfe sein, Akzeptanz für die beson<strong>de</strong>ren<br />
Maßnahmen <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s innerhalb <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong> schaffen, und damit auch einen Beitrag zur Stärkung <strong>de</strong>s<br />
Bewusstseins für Krisenkommunikation auf allen Ebenen liefern“. Näheres zum Leitfa<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s BMI enthält <strong>de</strong>r Hinweis <strong>im</strong><br />
Kasten auf Seite 152.<br />
153
154<br />
Sozialwissenschaftliche Aspekte <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
in Übung und Einsatz<br />
Prof. Dr. Wolf R. Dombrowsky / Dipl. Psych. Horst Schuh<br />
Management ist, unbescha<strong>de</strong>t mo<strong>de</strong>rnster Instrumente,<br />
nach wie vor Opt<strong>im</strong>ierung und Steuerung <strong>de</strong>r Mittel,<br />
die zur Erreichung gesteckter Ziele erfor<strong>de</strong>rlich<br />
sind. Doch leitete es in die Irre, „<strong>Krisenmanagement</strong>“<br />
als Opt<strong>im</strong>ierung und Steuerung jener Mittel zu <strong>de</strong>finieren,<br />
die zur Überwindung einer Krise erfor<strong>de</strong>rlich<br />
sind. „Krise“ ist nichts Gegenständliches, das wie ein<br />
Werkstück i<strong>de</strong>ntifiziert und bearbeitet wer<strong>de</strong>n kann.<br />
Krise ist ein Erlebnis, eine Wahrnehmungsqualität,<br />
eine Art „Überschattung“ allen Fühlens und Han<strong>de</strong>lns,<br />
also auch von „Management“ selbst.<br />
Am besten stellt man sich Krise als<br />
Entkoppelungsvorgang vor: Aus Interagie-<br />
ren<strong>de</strong>n und ihren Interaktionen wer<strong>de</strong>n<br />
Agieren<strong>de</strong> und Aktionen, die <strong>im</strong>mer<br />
weniger miteinan<strong>de</strong>r zu tun haben.<br />
Solange Interagieren<strong>de</strong> und Interaktionen gekoppelt<br />
sind, was in <strong>de</strong>r Alltagssprache als „Normalität” bezeichnet<br />
wird, han<strong>de</strong>ln Menschen untereinan<strong>de</strong>r wie<br />
auch mit ihren kulturellen Artefakten, z.B. technischen<br />
Geräten, in beständigen Bezugsschleifen. Man<br />
kann dies kybernetisch als Regelkreis bezeichnen<br />
o<strong>de</strong>r als Kooperation und Kommunikation <strong>im</strong> weitesten<br />
Sinne. Immer fin<strong>de</strong>t eine Bezug nehmen<strong>de</strong>,<br />
wechselseitige Beeinflussung statt, durch die letztlich<br />
„Funktionieren“ erreicht wird. Krisenhaft erscheint<br />
uns unsere Welt erst, wenn unsere Maßnahmen <strong>im</strong>mer<br />
weniger o<strong>de</strong>r nicht mehr das erreichen, was wir<br />
als Funktionieren erwarten. Wer diesen Vorgang von<br />
Entkoppelung wahrn<strong>im</strong>mt, spürt, dass er die Kontrolle<br />
verliert, dass sein Han<strong>de</strong>ln und Mühen nicht<br />
mehr erreicht, was es soll. Insofern ist Krise zuvör<strong>de</strong>rst<br />
Bedrohung von I<strong>de</strong>ntität und Existenz: Versage<br />
ich? Scheitere ich?<br />
Die erste Phase <strong>de</strong>s Krisenhaften ist von diesem bedrohlichen<br />
Entkoppelungsvorgang charakterisiert.<br />
Seine Dauer indiziert <strong>de</strong>n Verstörungsgrad und damit<br />
die Schwere <strong>de</strong>r Krise, in <strong>de</strong>r sich die agieren<strong>de</strong>n Personen<br />
befin<strong>de</strong>n. Die zweite Phase setzt ein, wenn die<br />
Agieren<strong>de</strong>n realisiert haben, dass ihr bisheriges Han<strong>de</strong>ln<br />
mit nichts mehr interagiert und somit keinerlei<br />
Wirkung, am wenigsten eine positive, hilfreiche, hervorbringt.<br />
Dem folgt die dritte Phase <strong>de</strong>r Reorganisation<br />
hin auf ein neues Interaktionsniveau, auf <strong>de</strong>m<br />
sich an die äußeren Abläufe so koppeln lässt, dass<br />
wie<strong>de</strong>r gewünschte Effekte erzielt wer<strong>de</strong>n können.<br />
Ist dies erreichbar, gewinnen die Betroffenen ihre<br />
Souveränität zurück, wird dies nicht erreicht, erleben<br />
sie sich als hilflos und unnütz bis zur existenziellen<br />
Bedrohung.<br />
„<strong>Krisenmanagement</strong>“ ist in erster Linie die Fähigkeit,<br />
nicht mehr wirksame Umgangsweisen mit <strong>de</strong>r Realität<br />
aufgeben und auf neue, situativ besser angemessene<br />
Umgangsweisen umschalten zu können. Dies kann<br />
aber nur gelingen, wenn entsprechen<strong>de</strong> Kenntnisse<br />
und Ressourcen vorhan<strong>de</strong>n und mobilisierbar sind.
Von „Krisenmanagern“ erwartet man, dass sie über<br />
<strong>de</strong>rartige Kenntnisse und Ressourcen verfügen und<br />
dass sie je<strong>de</strong>rzeit in <strong>de</strong>r Lage sind, bei<strong>de</strong> bestmöglich<br />
zum Einsatz zu bringen. Von daher muss „<strong>Krisenmanagement</strong>“<br />
vor allem Vorbereitung auf Entkoppelungsrisiken<br />
sein, sowohl intellektuell wie psychisch,<br />
zugleich aber auch materiell, in Form vorgehaltener<br />
Entsatzressourcen, und als <strong>de</strong>ren gekonnte Mobilisierung<br />
(Warnung und Alarmierung) und Anwendung<br />
(Ausbildung, Training und Übung). Folgerichtig ist<br />
Entkoppelung zwangsläufig, wenn we<strong>de</strong>r materieller<br />
Entsatz mobilisiert noch kompetent und psychisch<br />
stabil angewandt wer<strong>de</strong>n kann. Dieses Ausfallrisiko<br />
<strong>de</strong>s menschlichen Faktors stellt sich zumeist entlang<br />
<strong>de</strong>r gesellschaftlichen Verteilung <strong>de</strong>r Mobilisierungschancen<br />
materieller und psychisch-kognitiver Ressourcen.<br />
Betrachtet man die reale Verfügbarkeit bei<strong>de</strong>r Ressourcen,<br />
steht es um die Krisenbewältigungskapazitäten<br />
unserer Gesellschaft schlecht, weil bei anwachsen<strong>de</strong>n<br />
Krisen das Verhältnis zwischen Entkoppelungen und<br />
situativer Koppelungsfähigkeit entsprechend ungünstiger<br />
wird. Vor allem flächen<strong>de</strong>cken<strong>de</strong>, systemische<br />
Ausfälle führen dazu, dass nicht nur die regulären<br />
Ressourcen von Gesellschaft (Ver- und Entsorgungssysteme,<br />
Infrastruktur, Verkehre, Kommunikation)<br />
knapper wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn auch die davon weitgehend<br />
abhängigen materiellen Entsatzressourcen. Deren<br />
Knappheit bewirkt dann auch Entkoppelungen<br />
bei <strong>de</strong>n Krisenmanagern, so dass <strong>de</strong>n realen Opfern<br />
schwerer geholfen wer<strong>de</strong>n kann und die mittelbar<br />
Betroffenen <strong>im</strong>mer länger aus eigener Kraft ausharren<br />
müssen.<br />
Ein Ausharren aus eigener Kraft jedoch erfor<strong>de</strong>rt<br />
zumin<strong>de</strong>st basale Mobilisierungschancen von nützlichen<br />
Ressourcen, weswegen zunehmend Selbsthilfekapazitäten<br />
gefor<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n.<br />
Solange <strong>de</strong>rartige Selbsthilfekapazitäten nicht o<strong>de</strong>r<br />
nur min<strong>im</strong>al verfügbar sind, muss gefragt wer<strong>de</strong>n,<br />
wie Menschen auf sachlich unbeantwortbare Entkoppelungen<br />
reagieren wer<strong>de</strong>n? Bedauerlicherweise besteht<br />
dazu eine ernste Kenntnislücke, die zu<strong>de</strong>m auch<br />
noch mit Mutmaßungen über Reaktionen gefüllt wird,<br />
die bislang keinen empirischen Gehalt haben. So wird<br />
vermutet, dass sich vor allem Panik breit macht, dass<br />
Menschen massenhaft unvernünftig, asozial und sogar<br />
kr<strong>im</strong>inell reagieren. Tatsächlich aber ist dies alles<br />
nicht <strong>de</strong>r Fall, treten besagte Abweichungen max<strong>im</strong>al<br />
in Größenordnungen unterhalb 3 Prozent auf, während<br />
sich über 80 Prozent aller betroffenen Personen<br />
„normal“ verhalten, zumeist sogar „pro-aktiv“. Kaum<br />
ein Übungsszenario malt jedoch Bevölkerungsreaktionen<br />
in diesen positiven Farben: als Spontanhilfe,<br />
als mobilisierbare Ressource <strong>de</strong>r „Tausend Hän<strong>de</strong>“,<br />
als Fundus für Solidarität, Information, Wachsamkeit<br />
und sozialen Zusammenhalts. Im Gegenteil: Bevölkerung<br />
ist <strong>im</strong>mer synonym mit Massenhysterie, Gerücht,<br />
Aggressivität, Hamstern, Plün<strong>de</strong>rn und allem<br />
an<strong>de</strong>ren abweichen<strong>de</strong>n Verhalten, für das sonst nur<br />
das Strafgesetzbuch zuständig ist.<br />
155
156<br />
…es ist sinnvoll, die „Tausend Hän<strong>de</strong>“ <strong>de</strong>r Bevölkerung klug zu machen…<br />
Kaum eine Übung entwickelt Szenari-<br />
en, in <strong>de</strong>nen neue, positive Koppelungen<br />
erprobt wer<strong>de</strong>n können, die das bewirken,<br />
was großflächige und systemische Ausfälle<br />
zukünftig brauchen: Die Vernetzung von<br />
materiellen Entsatzressourcen mit huma-<br />
nen Ressourcen, mit Solidarität, Wohlwol-<br />
len, Nachbarschaft und Befreundung.<br />
Alle Betroffenen wissen, was normativ erwünscht<br />
ist und was situativ nützlich wäre. Also trifft zumeist<br />
das richtige Wollen auf einen (<strong>de</strong>rzeit noch) bestehen<strong>de</strong>n<br />
Mangel an materiellen Ressourcen und an<br />
Können. Die materiellen Ressourcen benötigen ein<br />
breites Können, und es steht zu vermuten, dass <strong>de</strong>ssen<br />
Träger, die organisierten „Krisenmanager“, selbst<br />
Betroffene wer<strong>de</strong>n (vor allem bei Pan<strong>de</strong>mien). Also<br />
ist es sinnvoll, die „Tausend Hän<strong>de</strong>“ <strong>de</strong>r Bevölkerung<br />
klug zu machen, damit sie selbst Entsatzressource<br />
wer<strong>de</strong>n können. Diesen Versuch unternahm man<br />
bereits bei LÜKEX 2007, bei <strong>de</strong>r neben Szenarien <strong>de</strong>s<br />
Negativverhaltens, wie z. B. Gerüchte, Desinformation,<br />
Plün<strong>de</strong>rn, auch Vorbil<strong>de</strong>r <strong>im</strong> Mittelpunkt stan<strong>de</strong>n,<br />
die wie „die Hel<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Alltags“ zum Einen noch <strong>im</strong>mer<br />
empirisch vorherrschend sind und die zum An<strong>de</strong>ren<br />
normativ <strong>im</strong>mer dringlicher wer<strong>de</strong>n. Deshalb<br />
sollte man <strong>de</strong>n Weg, kopplungsfähige menschliche<br />
Ressourcen zu mobilisieren, auch bei LÜKEX 2009<br />
weiter beschreiten.<br />
Zu <strong>de</strong>n Autoren: Prof.Dr. Wolf R. Dombrowsky ist Professor für Katastrophenmanagement an <strong>de</strong>r Steinbeis Universität Berlin;<br />
er ist u.a. Mitglied <strong>de</strong>r Schutzkommission be<strong>im</strong> <strong>Bund</strong>esminister <strong>de</strong>s Innern (BMI); Dipl.Psych. Horst Schuh, ehemals Professor<br />
an <strong>de</strong>r Fachhochschule <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es für öffentliche Verwaltung, ist u.a. ständiger Gast <strong>de</strong>r Schutzkommission be<strong>im</strong> <strong>Bund</strong>esminister<br />
<strong>de</strong>s Innern; er war Fachberater für psychologische Fragen bei LÜKEX 2007.
LÜKEX 2007: Wichtige Erkenntnisse für<br />
strategisches <strong>Krisenmanagement</strong> und nationale<br />
Pan<strong>de</strong>mieplanung<br />
Botho von Schrenk / Wolfgang Grambs<br />
Die strategische <strong>Krisenmanagement</strong>übung LÜK-<br />
EX 2007 wur<strong>de</strong> <strong>im</strong> November 2007 durchgeführt.<br />
Grundlegen<strong>de</strong> Übungsannahme war eine Influenza-<br />
Pan<strong>de</strong>mie, in <strong>de</strong>r ein mittelschweres Pan<strong>de</strong>mieszenario<br />
gewählt wur<strong>de</strong>, um die weit reichen<strong>de</strong>n gesamtgesellschaftlichen<br />
Auswirkungen (<strong>im</strong> Wesentlichen:<br />
Gesundheitswesen, Versorgung und Transport, öffentliche<br />
Sicherheit, Banken) darzustellen und ein<br />
bereichs- und län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong><br />
zu üben.<br />
Mit bloßem Auge nicht zu erkennen: ein Influenza-Virus unter<br />
<strong>de</strong>m Mikroskop<br />
Mit <strong>de</strong>r Teilnahme <strong>de</strong>r „Kernübungslän<strong>de</strong>r“ Bremen,<br />
Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-<br />
Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen hat<br />
sich <strong>de</strong>r Kreis <strong>de</strong>r beübten Län<strong>de</strong>r geschlossen. Alle<br />
sechzehn <strong>Bund</strong>eslän<strong>de</strong>r haben seit 2004 damit min<strong>de</strong>stens<br />
einmal <strong>im</strong> System LÜKEX geübt. Auf Seiten<br />
<strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es wur<strong>de</strong> mit elf teilnehmen<strong>de</strong>n Ressorts,<br />
<strong>de</strong>m <strong>Bund</strong>eskanzleramt, <strong>de</strong>m Presse- und Informationsamt<br />
<strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>esregierung und <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>esbank<br />
nahezu das gesamte Spektrum <strong>de</strong>r ressortübergreifen<strong>de</strong>n<br />
Zusammenarbeit abgebil<strong>de</strong>t. Die Teilnahme<br />
von mehr als fünfzig Unternehmen, Verbän<strong>de</strong>n<br />
und Organisationen mit zum Teil eigenständigen<br />
Übungsinhalten war Ausdruck <strong>de</strong>r weit reichen<strong>de</strong>n<br />
Betroffenheit von Schlüsselbereichen <strong>de</strong>r kritischen<br />
Infrastrukturen durch das Übungsszenario. Die Beteiligung<br />
wichtiger internationaler Gremien <strong>de</strong>s Gesundheitswesens<br />
– EU-Kommission, European Centre<br />
for Disease Prevention and Control (ECDC) und<br />
World Health Organisation (WHO) – in Form von<br />
Reaktionsgruppen - ver<strong>de</strong>utlichte die über eine rein<br />
nationale Betroffenheit hinausreichen<strong>de</strong> D<strong>im</strong>ension<br />
einer Pan<strong>de</strong>mie. Die bereichs- und ebenenübergreifen<strong>de</strong><br />
„Grundaufstellung“ für die Übung war die Voraussetzung<br />
dafür, allen Beteiligten die Notwendigkeit<br />
eines möglichst geschlossenen bun<strong>de</strong>seinheitlichen<br />
Vorgehens bei einer flächen<strong>de</strong>cken<strong>de</strong>n und lange<br />
anhalten<strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>nslage bewusst zu machen.<br />
157
158<br />
Anlage zur Herstellung eines Grippe-Impfstoffes<br />
Bei LÜKEX 2007 wur<strong>de</strong> erstmals die Übungssteuerungssoftware<br />
<strong><strong>de</strong>NIS</strong> II ÜSA eingesetzt, die allerdings<br />
erst kurz vor Übungsbeginn verfügbar war. Mit <strong>de</strong>-<br />
NIS II ÜSA stand eine Software zur Verfügung, die<br />
neben <strong>de</strong>r Protokollierung <strong>de</strong>s Übungsablaufs auch<br />
Auswertetools bereitstellte und die Übungsvorbereitung<br />
(u.a die <strong>de</strong>zentrale Drehbucherstellung) unterstützte.<br />
Die Software hat sich grundsätzlich bewährt;<br />
sie wird <strong>de</strong>rzeit für die folgen<strong>de</strong>n LÜKEX-Übungen<br />
weiter opt<strong>im</strong>iert<br />
Insgesamt haben sich LÜKEX 2007 und die Übungsserie<br />
LÜKEX allgemein als ein wirksames Instrument<br />
Das System LÜKEX – wirklichkeitsnahe S<strong>im</strong>ulation von Realereignissen<br />
Die Übungsauswertung hat bestätigt, dass Übungen<br />
auf strategischer Ebene zunehmend als geeignetes<br />
Werkzeug zur Evaluierung und Weiterentwicklung<br />
bestehen<strong>de</strong>r Regelungen, Verfahren und Kooperationen<br />
innerhalb <strong>de</strong>s nationalen <strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
akzeptiert wer<strong>de</strong>n. Wesentlich ist vor allem die Er-<br />
erwiesen, um über ausgewählte Szenarien die Zusammenarbeit<br />
<strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es und <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Krisenbewältigung<br />
zu beüben und das Bewusstsein für<br />
ein gemeinsames Han<strong>de</strong>ln zu schärfen. Wesentliche<br />
Übungserkenntnisse und Handlungsempfehlungen<br />
für einige wichtige Bereiche – dabei vor allem auch<br />
<strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Pan<strong>de</strong>mievorsorge und -bewältigung<br />
– wer<strong>de</strong>n nachfolgend ausführlicher dargestellt.<br />
Sie wur<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r zweitägigen Übung selbst und <strong>im</strong><br />
Rahmen vorbereiten<strong>de</strong>r Expertengespräche, Workshops<br />
und Planbesprechungen über einen Zeitraum<br />
von fast zwei Jahren gewonnen.<br />
kenntnis, dass Strukturen und Verfahren, <strong>de</strong>ren<br />
Funktionsfähigkeit in Realereignissen bisher glücklicherweise<br />
nicht erprobt wer<strong>de</strong>n mussten, in <strong>de</strong>n<br />
LÜKEX-Übungen wirklichkeitsnah und effektiv s<strong>im</strong>uliert<br />
wer<strong>de</strong>n können.
Bei <strong>de</strong>r Übungsvorbereitung fiel auf, dass <strong>de</strong>r Übergang<br />
zum ressortübergreifen<strong>de</strong>n Managementansatz<br />
in einer krisenhaften Entwicklung in einigen Bereichen<br />
naturgemäß zu Abst<strong>im</strong>mungs- und Führungsproblemen<br />
führte. Nur durch die bei LÜKEX 2007<br />
konsequent verfolgte Einbindung <strong>de</strong>r politischen<br />
Ebene <strong>de</strong>r Verwaltungen und <strong>de</strong>r obersten Managementebene<br />
von Unternehmen <strong>de</strong>r Wirtschaft von<br />
Anfang an in Vorbereitung und Durchführung <strong>de</strong>r<br />
Übung wur<strong>de</strong> die notwendige Sensibilisierung für<br />
das <strong>Krisenmanagement</strong> auf höchster Ebene erreicht<br />
und dadurch <strong>de</strong>m übergreifen<strong>de</strong>n <strong>Krisenmanagement</strong>ansatz<br />
in <strong>de</strong>n Organisationen die erfor<strong>de</strong>rliche<br />
konzeptionelle und strategische Basis gegeben. Das<br />
Grundprinzip „<strong>Krisenmanagement</strong> ist Chefsache“<br />
konnte auf diese Weise nachhaltig und zielgerichtet<br />
umgesetzt wer<strong>de</strong>n.<br />
Bei <strong>de</strong>r Übungsbeteiligung wird noch Verbesserungsbedarf<br />
hinsichtlich <strong>de</strong>r Einbindung wichtiger<br />
gesellschaftlicher Interessengruppen – z.B. von Religionsgemeinschaften,<br />
karitativen Einrichtungen, Gewerkschaften,<br />
Bürgerinitiativen etc. – gesehen. Die<br />
zunehmen<strong>de</strong> soziale Betroffenheit dieser Bereiche<br />
stellt in einer Krise für das <strong>Krisenmanagement</strong> eine<br />
außergewöhnliche Herausfor<strong>de</strong>rung dar. Reaktionen<br />
Wichtige Anstöße für die Influenza-Pan<strong>de</strong>mieplanungen<br />
LÜKEX 2007 war in ihrer Anlage als län<strong>de</strong>r- und<br />
bereichsübergreifen<strong>de</strong> Stabsrahmenübung für viele<br />
Teilnehmer aus <strong>de</strong>m Gesundheitsbereich eine neue<br />
Herausfor<strong>de</strong>rung. Es wur<strong>de</strong> nicht nur <strong>de</strong>r medizinisch-fachliche<br />
und organisatorische Stand <strong>de</strong>r Pan<strong>de</strong>mieplanung<br />
auf <strong>de</strong>n Prüfstand gestellt, son<strong>de</strong>rn es<br />
galt auch, sich <strong>im</strong> bereichsübergreifen<strong>de</strong>n Ansatz mit<br />
Strukturen und Begrifflichkeiten <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
vertraut zu machen. LÜKEX hat Problembewusstsein<br />
insbeson<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>n nicht-gesundheitlichen<br />
Bereichen geschaffen und Anstöße für die interne<br />
Pan<strong>de</strong>mieplanung in Behör<strong>de</strong>n und Unternehmen<br />
gegeben. Durch ein <strong>im</strong> Robert Koch-Institut (RKI)<br />
neu entwickeltes Mo<strong>de</strong>llierungsprogramm gelang es,<br />
die Auswirkungen einer Pan<strong>de</strong>mie mit unterschiedlicher<br />
regionaler Betroffenheit und mit zeitlichen Variationen<br />
für alle Üben<strong>de</strong>n darzustellen.<br />
<strong>de</strong>r Bevölkerung auf die Lageentwicklung und die<br />
Maßnahmen <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s mit Auswirkungen<br />
auf <strong>de</strong>n „sozialen Frie<strong>de</strong>n“ müssen aus diesem<br />
Grund <strong>im</strong> Rahmen einer abgest<strong>im</strong>mten, aktiven<br />
Medien- und Öffentlichkeitsarbeit noch intensiver in<br />
das Übungskonzept einbezogen wer<strong>de</strong>n. Auch katastrophenpsychologische<br />
und sozialwissenschaftliche<br />
Untersuchungen und Forschungsvorhaben müssen<br />
zu diesem Zweck initiiert, geeignete Metho<strong>de</strong>n zur<br />
Erfassung <strong>de</strong>r „Krisenst<strong>im</strong>mungslage“ mo<strong>de</strong>rner Gesellschaften<br />
entwickelt und für das praktische <strong>Krisenmanagement</strong><br />
verfügbar gemacht wer<strong>de</strong>n.<br />
159
160<br />
Die komplexe inhaltliche Vorbereitung wur<strong>de</strong> in thematischen<br />
Arbeitskreisen (Medizinische Versorgung,<br />
Grundversorgung <strong>de</strong>r Bevölkerung, Verkehrsbereich<br />
etc.) vollzogen, in <strong>de</strong>nen relevante Institutionen, Behör<strong>de</strong>n<br />
und Verbän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Wirtschaft mit <strong>de</strong>m Ziel<br />
zusammengeführt wur<strong>de</strong>n, die Expertise von Vertretern<br />
spezieller Bereiche in die Übung einzubringen.<br />
Neben einem bereichsübergreifen<strong>de</strong>n, fachlichen<br />
Austausch wur<strong>de</strong> so ein Netzwerk geschaffen, das<br />
sich über die Übung hinaus positiv in <strong>de</strong>r weiteren<br />
Pan<strong>de</strong>mieplanung bewähren wird. Darüber hinaus<br />
wur<strong>de</strong>n Wissens<strong>de</strong>fizite sichtbar gemacht und die<br />
Entscheidungsebenen für die Notwendigkeit wissenschaftlicher<br />
Studien sensibilisiert.<br />
Die fachlichen Diskussionen in <strong>de</strong>r Influenzakommission<br />
für <strong>de</strong>n Pan<strong>de</strong>miefall und in <strong>de</strong>r IntMinKoGr 1<br />
haben gezeigt, dass die Mo<strong>de</strong>llierung unterschiedlicher<br />
Impfstrategien wichtige Entscheidungshilfen<br />
liefern kann. Weiterentwickelte Mo<strong>de</strong>llierungen für<br />
eine <strong>de</strong>m Bedarfsfall angepasste Strategie könnten<br />
auch Grundlage für Entscheidungen zu einer realen,<br />
zwischen <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>rn abgest<strong>im</strong>mten Impfstrategie<br />
über die bisherigen Festlegungen (Ver<strong>im</strong>pfung<br />
nach Altersjahrgängen) hinaus sein.<br />
Die Übungsthemen machten weiteren Handlungsbedarf<br />
auch <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>r medizinischen Versorgung<br />
für die weitere Pan<strong>de</strong>mieplanung und -vorbereitung<br />
<strong>de</strong>utlich. Insbeson<strong>de</strong>re das Ressourcenmanagement<br />
zeigte Opt<strong>im</strong>ierungsmöglichkeiten bei <strong>de</strong>r aktuellen<br />
und prognostischen Bedarfs- und Ressourcenermittlung<br />
sowie bei <strong>de</strong>r Vernetzung und Verteilung beispielsweise<br />
bei <strong>de</strong>r Bereitstellung von medizinischem<br />
und pharmazeutischem Personal sowie von Pflegekräften.<br />
Es zeigte sich, dass die Sicherstellung <strong>de</strong>r<br />
ambulanten Versorgung in <strong>de</strong>n Pan<strong>de</strong>mieplänen <strong>de</strong>r<br />
Län<strong>de</strong>r in Hinblick auf die Erstellung von Konzepten<br />
zur Personalrekrutierung (Personen <strong>im</strong> Ruhestand,<br />
Stu<strong>de</strong>nten, etc.) konkretisiert wer<strong>de</strong>n sollten. Dabei<br />
sind auch rechtliche Unsicherheiten in Haftungsfragen<br />
bei <strong>de</strong>n für <strong>de</strong>n Einsatz in Betracht gezogenen<br />
Personengruppen sowie in <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>r Möglichkeit<br />
einer Zwangsverpflichtung noch zu klären und<br />
mit allen Beteiligten abzust<strong>im</strong>men. Die Finanzierung,<br />
Entlohnung und Rechtsstellung zusätzlich rekrutierten<br />
Personals bedarf ebenso noch einer Regelung.<br />
<strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>r sollten gemeinsam prüfen, wie <strong>im</strong><br />
Ereignisfall ein aussagefähiges Lagebild über die Versorgung<br />
mit Arzne<strong>im</strong>itteln und Medizinprodukten generiert<br />
wer<strong>de</strong>n kann. Die Erhebung diesbezüglicher<br />
Informationen erfor<strong>de</strong>rt die Beteiligung relevanter<br />
Institutionen, Verbän<strong>de</strong> und Unternehmen. Die gewonnenen<br />
Informationen sollten behördlicherseits<br />
auf <strong>Bund</strong>esebene zentral zusammengeführt wer<strong>de</strong>n,<br />
da auf Lan<strong>de</strong>sebene lediglich aktuelle Bestän<strong>de</strong> in<br />
Apotheken und Krankenhäusern und eventuelle Lan<strong>de</strong>svorräte<br />
erfragt wer<strong>de</strong>n können. Die bun<strong>de</strong>slandübergreifen<strong>de</strong>n<br />
Aktivitäten <strong>de</strong>s pharmazeutischen<br />
Großhan<strong>de</strong>ls und die internationale Aufstellung <strong>de</strong>r<br />
pharmazeutischen Hersteller stützen diese For<strong>de</strong>rung.<br />
Gera<strong>de</strong> in diesem Bereich zeigte sich, dass für<br />
die Krisenbewältigung die Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>m<br />
privatwirtschaftlichen Sektor unabdingbar ist und<br />
weiter intensiviert wer<strong>de</strong>n sollte.<br />
Die Notwendigkeit einer Erweiterung <strong>de</strong>s indikatorengestützten<br />
Monitoring-Systems wur<strong>de</strong> erkannt. In diesem<br />
Zusammenhang ist zu prüfen, ob die Erstellung<br />
einer abgest<strong>im</strong>mten Liste mit dringend vorzuhalten<strong>de</strong>n<br />
Arzne<strong>im</strong>itteln sinnvoll und eine weitergehen<strong>de</strong><br />
Bevorratung von Arzne<strong>im</strong>itteln und Medizinprodukten<br />
durch die Län<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n <strong>Bund</strong> notwendig ist.<br />
Positive Entscheidungen in diesen grundsätzlichen<br />
Fragen ziehen die Notwendigkeit nach sich, Art und<br />
Umfang einer möglichen Bevorratung zu <strong>de</strong>finieren<br />
und Fragen <strong>de</strong>r organisatorischen und rechtlichen<br />
Umsetzung sowie <strong>de</strong>r Finanzierbarkeit einvernehmlich<br />
und übergreifend zu klären. Bezüglich <strong>de</strong>r Nutzung<br />
vorhan<strong>de</strong>ner Ressourcen sind die Rechtsgrundlagen<br />
<strong>im</strong> Arzne<strong>im</strong>ittel- und Apothekengesetz sowie<br />
<strong>de</strong>r Apothekenbetriebsordnung zu prüfen und ggf.<br />
weiterzuentwickeln.<br />
Bereits in <strong>de</strong>r Übungsvorbereitung wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>utlich,<br />
dass <strong>de</strong>taillierte, wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse<br />
bezüglich <strong>de</strong>s Nutzens von Barrieremaßnahmen<br />
mittels Mund-Nasen-Schutz (MNS) bzw. Masken für<br />
die Allgemeinbevölkerung fehlen. Die Durchführung<br />
entsprechen<strong>de</strong>r epi<strong>de</strong>miologischer Studien ist für die<br />
Weiterentwicklung entsprechen<strong>de</strong>r Empfehlungen<br />
unverzichtbar, z. B. für eine Präzisierung <strong>de</strong>r Hygiene-Empfehlungen<br />
für ambulante Patienten in Praxen.<br />
Vordringlich wer<strong>de</strong>n auch konkrete Empfehlungen<br />
für die Bevorratung von PSA zum Arbeitsschutz gesehen.
Der nationale Pan<strong>de</strong>mieplan hat sich in<br />
<strong>de</strong>r Übung als Planungsgrundlage für <strong>de</strong>n<br />
Gesundheitsbereich <strong>im</strong> Falle einer Influ-<br />
enza-Pan<strong>de</strong>mie bewährt. Betrachtet man<br />
die gesamtgesellschaftlichen Implikationen<br />
einer Pan<strong>de</strong>mie, müssen jedoch auch die<br />
Krisennotfallpläne in an<strong>de</strong>ren Ressorts<br />
und <strong>im</strong> nichtgesundheitlichen Bereichen<br />
in Bezug auf eine Pan<strong>de</strong>miesituation<br />
überprüft und in weiten Bereichen ange-<br />
passt wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Schnittstellen zu <strong>de</strong>n unterschiedlichen Krisennotfallplanungen<br />
sollten in <strong>de</strong>n Pan<strong>de</strong>mieplänen aufgezeigt<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Weiterentwicklung <strong>de</strong>r <strong>Krisenmanagement</strong>-Strukturen in <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>rn<br />
Durch LÜKEX 2007 wur<strong>de</strong>n sowohl auf <strong>Bund</strong>es- als<br />
auch auf Lan<strong>de</strong>sebene weitere Opt<strong>im</strong>ierungsmöglichkeiten<br />
bei <strong>de</strong>n <strong>Krisenmanagement</strong>-Strukturen für <strong>de</strong>n<br />
Fall einer länger andauern<strong>de</strong>n Krise festgestellt. Dies<br />
gilt sowohl für die räumliche und (informations-)<br />
technische Ausstattung als auch die Konkretisierung<br />
<strong>de</strong>r personellen Besetzung <strong>de</strong>r <strong>Krisenmanagement</strong>-<br />
Strukturen sowie die Sicherstellung <strong>de</strong>r personellen<br />
Besetzung <strong>de</strong>r Stäbe <strong>im</strong> Schichtbetrieb.<br />
Der von BMI und BMG gemeinsam gelei-<br />
tete Krisenstab <strong>im</strong> BMI hat sich struktu-<br />
rell und organisatorisch uneingeschränkt<br />
bewährt.<br />
Hochsicherheitslabor <strong>de</strong>s Instituts für Virologie <strong>de</strong>r<br />
Universität Leipzig<br />
Fachberater aus <strong>de</strong>n Ressorts waren ständig beteiligt.<br />
Strukturelles und organisatorisch-technisches Opt<strong>im</strong>ierungspotential<br />
wur<strong>de</strong> erkannt und umgesetzt.<br />
Künftig sollte auf allen Ebenen die durchgängige<br />
Koordination <strong>de</strong>s ressortübergreifen<strong>de</strong>n <strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
in außergewöhnlichen Lagen mit bereichsübergreifen<strong>de</strong>r<br />
Betroffenheit sichergestellt wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Anwendbarkeit dieses Stabsmo<strong>de</strong>lls<br />
auch für an<strong>de</strong>re Szenarien und Bereiche<br />
sollte geprüft wer<strong>de</strong>n<br />
161
162<br />
Gesundheitsinformationen <strong>im</strong> Internet durch das Robert<br />
Koch-Institut<br />
Schulungen in <strong>de</strong>r Stabsarbeit und kontinuierliche<br />
Fortbildungen <strong>im</strong> <strong>Krisenmanagement</strong> für die Mitarbeiter<br />
<strong>de</strong>r Krisen-/ Verwaltungsstäbe sind wesentliche<br />
Voraussetzungen für das Funktionieren <strong>de</strong>r Stäbe<br />
unter <strong>de</strong>n schwierigen Bedingungen von Übungen<br />
und erst recht <strong>im</strong> Einsatz. Das gilt auch für vermeintlich<br />
„katastrophenferne“ Ressorts. Solche Schulungen<br />
sollten in Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>n Innenministerien<br />
angeboten wer<strong>de</strong>n, da dies <strong>im</strong> Fall einer tatsächlichen<br />
realen Krise die ressortübergreifen<strong>de</strong> Kommunikation<br />
und Kooperation wesentlich vereinfachen<br />
wür<strong>de</strong>. In allen Ressorts sollten daher interne abteilungsübergreifen<strong>de</strong><br />
<strong>Krisenmanagement</strong>strukturen<br />
aufgebaut und die Etablierung einer Übungskultur<br />
auf <strong>Bund</strong>es- und Lan<strong>de</strong>sebene angestrebt wer<strong>de</strong>n.<br />
Dabei ist vorrangig eine Intensivierung und Beübung<br />
<strong>de</strong>r übergreifen<strong>de</strong>n Zusammenarbeit <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong>n,<br />
Institutionen und Unternehmen anzustreben. Neben<br />
<strong>de</strong>r Bekanntmachung <strong>de</strong>r Strukturen für <strong>de</strong>n Krisenfall<br />
könnten diese Fortbildungen zu<strong>de</strong>m dazu genutzt<br />
wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n Stand <strong>de</strong>r aktuellen Pan<strong>de</strong>mieplanung<br />
bekannt zu machen.<br />
Es wird empfohlen, ein geschlossenes Informationsportal<br />
für Behör<strong>de</strong>n und Unternehmen einzurichten.<br />
Dieses sollte spezielle Daten und allgemeine Informationen<br />
zur Entwicklung und Nutzung von Vorsorgeplänen,<br />
Strukturen und Verfahren, Ausbildung<br />
und Beübung <strong>im</strong> gemeinsamen <strong>Krisenmanagement</strong><br />
zentral zur Verfügung stellen. Darüber hinaus soll<br />
damit die Bildung von Netzwerken zwischen Betroffenen<br />
geför<strong>de</strong>rt und das effektive Zusammenwirken<br />
in Übungen und realen Krisen/Großscha<strong>de</strong>nslagen<br />
unterstützt wer<strong>de</strong>n.<br />
Die <strong>de</strong>rzeitigen Annahmen zur Verfügbarkeit freiwillig<br />
bzw. ehrenamtlich tätiger Einsatzkräfte (z.B.<br />
Hilfsorganisationen, nebenberufliches Pflegepersonal;<br />
Reservisten) müssen auf Grund <strong>de</strong>r Übungserkenntnisse<br />
kritisch beurteilt wer<strong>de</strong>n: Denn <strong>de</strong>r Einsatz<br />
dieses Personals ist in einer flächen<strong>de</strong>cken<strong>de</strong>n<br />
Krise mit ihren beson<strong>de</strong>ren Auswirkungen auf die<br />
Arbeits- und Einsatzfähig von Menschen eine beson<strong>de</strong>rs<br />
kritische Größe. Nicht nur für die Hilfsorganisationen<br />
stellt sich <strong>de</strong>shalb die Frage <strong>de</strong>r Priorisierung<br />
insbeson<strong>de</strong>re <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>s Schlüsselpersonals.<br />
Eine <strong>de</strong>n „freien Kräften <strong>de</strong>s Marktes“ überlassene<br />
Verfahrensweise wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>n beson<strong>de</strong>ren Herausfor<strong>de</strong>rungen<br />
einer Krise nicht gerecht wer<strong>de</strong>n. Hier ist<br />
eine zentrale Mo<strong>de</strong>ration und Koordinierung schon<br />
<strong>im</strong> Vorfeld gefor<strong>de</strong>rt.<br />
Aspekte <strong>de</strong>s psychosozialen Krisen- und<br />
Katastrophenmanagements müssen<br />
grundsätzlich stärker in Übungs- und Aus-<br />
bildungsvorhaben einbezogen wer<strong>de</strong>n.<br />
Retten<strong>de</strong> Impfstoffe – die Menschheit hofft auf Ergebnisse<br />
<strong>de</strong>r Wissenschaft
LÜKEX 2007 brachte die Erkenntnis, dass die beübten<br />
Krisenstäbe die psychologischen Wirkungen ihrer<br />
Entscheidungen und Maßnahmen erst ansatzweise<br />
berücksichtigen. Die katastrophenpsychologischen<br />
Aspekte <strong>de</strong>r Entscheidungsprozesse und Fragen <strong>de</strong>r<br />
Stressbewältigung in <strong>de</strong>n Krisenstäben selbst sollten<br />
<strong>de</strong>shalb verstärkt in die Aus- und Weiterbildung und<br />
in die Übungstätigkeit eingebun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Geeignete<br />
Fachberater sollten entsprechen<strong>de</strong> Lehr- und<br />
Übungsmodule erarbeiten und die Krisenmanager<br />
beraten. Die wissenschaftlichen Untersuchungen und<br />
Erkenntnisse in diesem Bereich sind in <strong>de</strong>r Regel veraltert<br />
und berücksichtigen nur ansatzweise die Rahmenbedingungen<br />
mo<strong>de</strong>rner Industriegesellschaften.<br />
In diesem Bereich wird ein <strong>de</strong>utlicher Forschungsbedarf<br />
gesehen.<br />
Die prognostische Lagebeurteilung <strong>im</strong> politisch-administrativen<br />
Bereich ist bisher nur wenig ausgeprägt.<br />
Beson<strong>de</strong>rs auffällig war dies bei <strong>de</strong>r Abschätzung<br />
langfristiger Folgewirkungen <strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>nsereignisse,<br />
bei <strong>de</strong>n bereichsübergreifen<strong>de</strong>n „Kaska<strong>de</strong>neffekten“<br />
und <strong>de</strong>r Beurteilung <strong>de</strong>r möglichen Lageentwicklung.<br />
Vorhan<strong>de</strong>ne Stabsmo<strong>de</strong>lle (z.B. Verwaltungsstab)<br />
und Stabsdienstordnungen sollten hierauf untersucht<br />
und die Prognosefähigkeiten zum Beispiel durch die<br />
Einrichtung spezieller Planungsgruppen verbessert<br />
wer<strong>de</strong>n. Darüber hinaus könnten – wie <strong>im</strong> militärischen<br />
Bereich seit Jahren üblich – mo<strong>de</strong>rne S<strong>im</strong>ulationssysteme<br />
unterstützend bei <strong>de</strong>r Vorhersage <strong>de</strong>r<br />
Lageentwicklung, <strong>im</strong> Ressourcenmanagement und in<br />
<strong>de</strong>r Bewertung unterschiedlicher Handlungsoptionen<br />
eingesetzt wer<strong>de</strong>n.<br />
Koordinierung <strong>im</strong> <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>r übergreifen<strong>de</strong>n <strong>Krisenmanagement</strong><br />
Der Interministeriellen Koordinierungsgruppe <strong>de</strong>s<br />
<strong>Bund</strong>es und <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong> <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>-<br />
Län<strong>de</strong>r-übergreifen<strong>de</strong>n <strong>Krisenmanagement</strong>s bei LÜ-<br />
KEX 2007 die Aufgabe gestellt, fachliche Empfehlungen<br />
für eine Impfstrategie auszusprechen, die als<br />
Folge eines nur sukzessiv zur Verfügung stehen<strong>de</strong>n<br />
Impfstoffes notwendig war. Hierzu wur<strong>de</strong>n erstmalig<br />
die Strukturen und Verfahren <strong>de</strong>r Interministeriellen<br />
Koordinierungsgruppe in einer Beratungs- und Unterstützungsrolle<br />
für die Krisenstäbe bei <strong>Bund</strong> und<br />
Län<strong>de</strong>rn angewandt. Dabei wur<strong>de</strong> auch <strong>de</strong>utlich,<br />
Die bun<strong>de</strong>sweite Lageerfassung und -darstellung ist<br />
nach wie vor nicht zufrie<strong>de</strong>nstellend. Erfor<strong>de</strong>rliche<br />
einheitliche Standards zu Mel<strong>de</strong>verfahren und -inhalten<br />
bestehen noch nicht in allen Bereichen und<br />
beruhen zu<strong>de</strong>m teilweise lediglich auf Absprachen<br />
auf Arbeitsebene. Hier müssen – nach einer notwendigen<br />
Opt<strong>im</strong>ierung <strong>de</strong>r Mel<strong>de</strong>wege zwischen allen<br />
Ebenen <strong>de</strong>r öffentlichen Verwaltung und nichtöffentlichen<br />
Informationsgebern – effiziente, verbindliche<br />
Regelungen geschaffen wer<strong>de</strong>n. Gleichzeitig sollte<br />
geprüft wer<strong>de</strong>n, welche Maßnahmen zu ergreifen<br />
sind, um diese Informationen <strong>de</strong>n Nutzern zeitnäher<br />
in geschlossenen Datensystemen (z.B. <strong><strong>de</strong>NIS</strong>) verfügbar<br />
zu machen.<br />
In <strong>de</strong>n üben<strong>de</strong>n Bereichen, die nicht über ständige<br />
KM-Strukturen verfügen, wur<strong>de</strong>n Unsicherheiten bei<br />
<strong>de</strong>r Stabsarbeit <strong>de</strong>utlich. Zur besseren Vorbereitung<br />
<strong>de</strong>s Stabspersonals aller Ebenen wird die verstärkte<br />
Aufnahme von übergreifen<strong>de</strong>n Themen <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
und <strong>de</strong>r praktischen Stabsarbeit in die<br />
Ausbildungskataloge <strong>de</strong>r zuständigen Hochschulen,<br />
Aka<strong>de</strong>mien und Fortbildungsinstitute angeregt. Die<br />
beson<strong>de</strong>rs intensiven Anfor<strong>de</strong>rungen an die PrÖA-<br />
Strukturen <strong>de</strong>r Krisenstäbe bei knappem Personal erfor<strong>de</strong>rn<br />
beson<strong>de</strong>re planerische und organisatorische<br />
Vorbereitung mit ausreichend zusätzlichem Personal<br />
in <strong>de</strong>r Krisensituation. Maßgeschnei<strong>de</strong>rte zentrale<br />
Weiterbildungsmaßnahmen haben sich für das Personal<br />
<strong>de</strong>r Pressestellen beson<strong>de</strong>rs bewährt (siehe<br />
hierzu <strong>im</strong> Detail <strong>de</strong>n Beitrag „Über die strategische<br />
Be<strong>de</strong>utung von Krisenkommunikation“ dieser Publikation).<br />
dass außerhalb <strong>de</strong>r Innenressorts Funktion und Verfahrensweise<br />
dieses Gremiums nicht ausreichend bekannt<br />
sind. Das neue Verfahren hat sich als wichtige<br />
Ergänzungsfunktion für das bestehen<strong>de</strong> System <strong>de</strong>s<br />
<strong>Krisenmanagement</strong>s grundsätzlich bewährt.<br />
Auf <strong>de</strong>m Gebiet von Fachempfehlungen durch die<br />
zuständigen <strong>Bund</strong>esbehör<strong>de</strong>n zur Unterstützung <strong>de</strong>s<br />
übergreifen<strong>de</strong>n <strong>Krisenmanagement</strong>s hat die Übung<br />
noch Opt<strong>im</strong>ierungs- und Verbesserungsbedarf gezeigt.<br />
163
164<br />
Der Aufbau zentraler Krisenkoordinationsstrukturen<br />
bei <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>n Innenressorts ist zielführend.<br />
Im Falle durchgängiger Umsetzung in allen<br />
Bereichen wird eine Konstante geschaffen, die <strong>im</strong><br />
Großscha<strong>de</strong>nsfall ereignisunabhängig und vertraut<br />
hochgefahren wer<strong>de</strong>n kann. Beson<strong>de</strong>re Herausfor<strong>de</strong>rungen,<br />
gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Anfangsphase einer Krise<br />
(Chaos, Informationsflut und Informations<strong>de</strong>fizite,<br />
etc.), können so effektiver bewältigt wer<strong>de</strong>n.<br />
Bei LÜKEX 2007 konnten Organisation und Verfahren<br />
<strong>de</strong>r Zivil-Militärischen Zusammenarbeit (ZMZ)<br />
auf strategischer Ebene gezielt erprobt wer<strong>de</strong>n. Die<br />
<strong>im</strong> Zuge <strong>de</strong>r Neuordnung <strong>de</strong>r territorialen Struktur<br />
<strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr neu aufgestellten Lan<strong>de</strong>skomman-<br />
Übungserkenntnisse für wichtige Gesellschafts- und Wirtschaftsbereiche,<br />
insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n Bereich Kritische Infrastrukturen<br />
Nahezu alle Gesellschaftsbereiche wer<strong>de</strong>n durch<br />
die Sekundäreffekte einer Pan<strong>de</strong>mie getroffen. Neben<br />
<strong>de</strong>m Gesundheitsbereich– also <strong>de</strong>m vorrangigen<br />
Zielbereich <strong>de</strong>r bisherigen Pan<strong>de</strong>mieplanung – wur<strong>de</strong>n<br />
bei Übungsvorbereitung und -durchführung weitere<br />
wichtige Gesellschafts- und Wirtschaftsbereiche<br />
als beson<strong>de</strong>rs betroffen i<strong>de</strong>ntifiziert. Die <strong>im</strong>mer mehr<br />
auf „just in t<strong>im</strong>e“ ausgerichteten Transport- und Logistikvorgänge<br />
auf Straße, Schiene, zu Wasser und<br />
in <strong>de</strong>r Luft sind durch <strong>de</strong>n hohen Personalfaktor<br />
gleich mehrfach betroffen. Personalausfälle (Kraftfahrer,<br />
Lokführer, Werkstätten, Warenumschlag usw.)<br />
führen nach kurzer Zeit zu Lieferausfällen, da die<br />
verbliebenen Arbeitnehmer die Ausfälle nicht durch<br />
unbegrenzt auszu<strong>de</strong>hnen<strong>de</strong> Arbeitszeiten auffangen<br />
können. Das liegt weniger an unflexiblen rechtlichen<br />
Möglichkeiten als an <strong>de</strong>n psychischen und physischen<br />
Belastungsgrenzen <strong>de</strong>s Personals. In einigen<br />
Bereichen <strong>de</strong>s produzieren<strong>de</strong>n Gewerbes wür<strong>de</strong> dies<br />
in einer realen Krise „nur“ zu wirtschaftlichen Ausfällen<br />
führen, zum Beispiel weil Zulieferteile nicht<br />
ankommen (z.B. Kfz-Industrie). In an<strong>de</strong>ren Sparten<br />
dagegen könnte die Grundversorgung <strong>de</strong>r Bevölkerung<br />
direkt beeinträchtigt wer<strong>de</strong>n. Beson<strong>de</strong>rs zu<br />
nennen sind in diesem Zusammenhang die Versorgungsketten<br />
<strong>de</strong>r Bereiche Lebensmittelversorgung,<br />
pharmazeutische Produkte, Bargeld, Kommunikationsverbindungen<br />
und Energie.<br />
dos konnten erstmals die Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>n<br />
interministeriellen Stäben <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sregierungen<br />
üben. Dennoch konnte die angestrebte intensive Erprobung<br />
<strong>de</strong>r ZMZ insbeson<strong>de</strong>re <strong>im</strong> regionalen und<br />
kommunalen Bereich nicht <strong>im</strong> angestrebten Umfang<br />
geübt wer<strong>de</strong>n, da z.B. die Kreisverwaltungsebenen<br />
nur in wenigen Bereichen teilnahmen (ausgenommen<br />
Saarland). Eine frühzeitigere Einbindung <strong>de</strong>r<br />
beteiligten Lan<strong>de</strong>skommandos könnte bei zukünftigen<br />
Übungen Verbesserung schaffen. Der Ansatz, in<br />
Zukunft die turnusmäßigen ZMZ-Übungen <strong>de</strong>r Wehrbereichskommandos<br />
mit <strong>de</strong>n <strong>Bund</strong>eslän<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>n<br />
zweijährigen Übungsrhythmus <strong>de</strong>r LÜKEX-Übungen<br />
einzubin<strong>de</strong>n, ist vor <strong>de</strong>m gesamtgesellschaftlichen<br />
Hintergrund zielführend.<br />
Containerterminal <strong>im</strong> Hamburger Hafen<br />
Wirtschaftsunternehmen, Organisationen und Verbän<strong>de</strong><br />
waren <strong>de</strong>shalb in einem bisher nicht praktizierten<br />
Umfang in die Übung einbezogen. Der Schwerpunkt<br />
lag bei Betrieben und Verbän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Transport- und<br />
Logistikgewerbes, <strong>de</strong>s Lebensmitteleinzelhan<strong>de</strong>ls,<br />
<strong>de</strong>r Geschäftsbanken sowie <strong>de</strong>r IT- und Kommunikationsbranche.<br />
In allen Unternehmensbereichen ist<br />
die Sicherstellung <strong>de</strong>r personellen Besetzung von<br />
Schlüsselfunktionen ein entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Faktor für<br />
die Funktionsfähigkeit in Krisenzeiten und für eine<br />
reibungslose „Business Continuity“. Ihre Übungsbeteiligung<br />
stellte sicher, dass <strong>de</strong>m Übungsszenario realistische<br />
Übungsannahmen zu Grun<strong>de</strong> gelegt und die<br />
bei Übungsvorbereitung und -durchführung i<strong>de</strong>ntifizierten<br />
Schwachstellen nach <strong>de</strong>r Übung mit <strong>de</strong>n zuständigen<br />
staatlichen Stellen gemeinsam aufgearbeitet<br />
wer<strong>de</strong>n können.
Die Einbindung <strong>de</strong>r privaten Betreiber<br />
kritischer Infrastrukturen in das Netzwerk<br />
eines bereichsübergreifen<strong>de</strong>n Krisenmana-<br />
gements ist erfor<strong>de</strong>rlich und weiter auszu-<br />
bauen. In diesem Zusammenhang ist es<br />
geplant, das <strong>Krisenmanagement</strong> als festen<br />
Bestandteil in <strong>de</strong>r Aus- und Weiterbildung<br />
<strong>de</strong>r Führungskräfte <strong>de</strong>r öffentlichen Ver-<br />
waltung und <strong>de</strong>r Wirtschaftsunternehmen<br />
zu verankern.<br />
In allen kritischen Gesellschaftsbereichen kommt<br />
auch <strong>im</strong> Falle einer Pan<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r möglichst durchgängigen<br />
Besetzung <strong>de</strong>r Schlüsselfunktionen beson<strong>de</strong>re<br />
Be<strong>de</strong>utung zu. Neben <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntifizierung dieser<br />
Bereiche kommt es darauf an, tragfähige Regelungen<br />
für eine ausreichen<strong>de</strong> Personalsicherstellung zu<br />
treffen. Die internen Planungen insbeson<strong>de</strong>re überregional<br />
und international tätiger Unternehmen sind<br />
in weiten Bereichen bereits beispielhaft. Dagegen<br />
wur<strong>de</strong>n durch die beteiligten Großunternehmen Defizite<br />
bei klein- und mittelständischen Betrieben <strong>im</strong><br />
Bereich <strong>de</strong>r Zulieferung genannt, die relativ rasch die<br />
Weiterführung <strong>de</strong>r Geschäftsabläufe in Frage stellen<br />
könnten. Die zum Teil umfangreichen Planungen <strong>de</strong>r<br />
großen Unternehmen sollten daher in ihren Grundsätzen<br />
offener kommuniziert wer<strong>de</strong>n; klein- und<br />
mittelständische Unternehmen sollten angeregt wer<strong>de</strong>n,<br />
entsprechen<strong>de</strong> Notfallplanungen zu erarbeiten.<br />
Dachverbän<strong>de</strong> einzelner Unternehmensbereiche und<br />
beispielsweise auch Industrie- und Han<strong>de</strong>lskammern<br />
könnten dabei eine wichtige Mittlerrolle übernehmen.<br />
Die umfangreichen Planungen <strong>de</strong>r Unternehmen,<br />
Arbeitsplätze zu He<strong>im</strong>arbeitsplätzen auszulagern,<br />
laufen <strong>de</strong>rzeit noch unkoordiniert und wer<strong>de</strong>n insbeson<strong>de</strong>re<br />
von <strong>de</strong>n Unternehmen <strong>de</strong>s Kommunikationsbereichs<br />
kritisch bewertet. Die nur begrenzt verfügbaren<br />
Netzkapazitäten – zu<strong>de</strong>m in einer Pan<strong>de</strong>mie<br />
Ein Blick auf Stän<strong>de</strong> von Großhändlern in <strong>de</strong>r Großmarkthalle<br />
in Frankfurt am Main<br />
möglicherweise zusätzlich eingeschränkt – erfor<strong>de</strong>rn<br />
eine Koordination mit entsprechen<strong>de</strong>r Priorisierung,<br />
um einen Kollaps <strong>de</strong>s Gesamtsystems in <strong>de</strong>r Krise zu<br />
verhin<strong>de</strong>rn.<br />
<strong>Bund</strong>esweit tätige Betriebe und multinationale Unternehmen<br />
for<strong>de</strong>rn zu Recht in einer grenzübergreifen<strong>de</strong>n<br />
Krise o<strong>de</strong>r Katastrophe einheitliche und län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong><br />
Maßnahmen. Nur so können komplexe<br />
Produktions- und Verteilungsabläufe ohne zusätzliche<br />
Behin<strong>de</strong>rungen aufrechterhalten und zentrale<br />
Planungen <strong>de</strong>r betroffenen Unternehmen in Abst<strong>im</strong>mung<br />
mit <strong>de</strong>n öffentlichen Stellen effektiv umgesetzt<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Auch <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>r rechtlichen Grundlagen hat LÜ-<br />
KEX 2007 Handlungsbedarf gezeigt, z.B. um Personal<br />
zur Erfüllung lebensnotwendiger Grundfunktionen<br />
staatlicher Daseinsvorsorge (wie Gesundheit, Pflege,<br />
Grundversorgung, Störfallbetriebe) zur Dienstleistung<br />
verpflichten zu können.<br />
165
166<br />
Die Erprobung einiger für dieses Szenario vorhan<strong>de</strong>ner<br />
Rechtsvorschriften (Leistungs- und Vorsorgegesetze)<br />
hat Verbesserungsmöglichkeiten bei <strong>de</strong>n<br />
Inhalten, beson<strong>de</strong>rs jedoch bei <strong>de</strong>ren Anwendung<br />
gezeigt. Verfahrensweisen und Regelungen z.B. <strong>de</strong>s<br />
Verkehrsleistungsgesetzes sollten in Kooperation mit<br />
potenziellen Leistungserbringern und <strong>de</strong>n Bedarfsträgern<br />
auf ihre praktische Umsetzbarkeit hin überprüft<br />
wer<strong>de</strong>n. Neben dieser Überprüfung sollten in allen<br />
Bereichen Schulungen in <strong>de</strong>r Anwendung <strong>de</strong>r gesetzlichen<br />
Möglichkeiten durchgeführt wer<strong>de</strong>n.<br />
Eine weitere wichtige Übungserkenntnis war, dass die<br />
relevanten Schlüsselbereiche <strong>de</strong>r privaten Wirtschaft<br />
stärker in <strong>de</strong>n Informationsaustausch zur Gewinnung<br />
eines übergreifen<strong>de</strong>n Lagebil<strong>de</strong>s eingebun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n<br />
müssen. Hierzu ist es erfor<strong>de</strong>rlich, geeignete und<br />
sichere Verfahren und technische Möglichkeiten zum<br />
Informationsaustausch aufzubauen. Das GMLZ und<br />
LÜKEX – effektives System zur Überprüfung und Weiterentwicklung <strong>de</strong>s<br />
nationalen <strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
LÜKEX 2007 und erste Folgeaktivitäten<br />
haben erneut gezeigt, dass das System<br />
LÜKEX beson<strong>de</strong>rs effektive Möglichkeiten<br />
bietet, das Zusammenwirken aller Berei-<br />
che <strong>de</strong>r öffentlichen Gefahrenabwehr und<br />
privater <strong>Krisenmanagement</strong>strukturen<br />
auf strategischer Führungsebene zu üben<br />
und weiterzuentwickeln.<br />
Aus diesem Grund ist LÜKEX aus gesamtgesellschaftlicher<br />
Sicht ein beson<strong>de</strong>rs geeignetes und unverzichtbares<br />
Instrument dafür, Konzepte, Verfahren und<br />
Strukturen in Vorbereitung auf neue und globale Herausfor<strong>de</strong>rungen<br />
zu testen. Die bereichsübergreifen<strong>de</strong>n<br />
und komplexen Netzwerke in unseren fö<strong>de</strong>ralen<br />
Strukturen haben dadurch eine Plattform für vielfältige<br />
Übungsmöglichkeiten.<br />
Zusammenfassend ist festzustellen: LÜKEX ist <strong>de</strong>rzeit<br />
das einzige Übungsangebot, das <strong>Bund</strong>, Län<strong>de</strong>rn und<br />
Unternehmen eine ressort- und bereichsübergreifen<strong>de</strong><br />
strategische Ausrichtung bietet. Das System LÜK-<br />
EX sollte daher noch stärker dazu genutzt wer<strong>de</strong>n,<br />
<strong>de</strong>n notwendigen „Opt<strong>im</strong>ierungsdruck“ zur Weiterentwicklung<br />
<strong>de</strong>s gesamtstaatlichen <strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
unter <strong>de</strong>n gegebenen fö<strong>de</strong>ralen Zuständigkeiten<br />
aufrecht zu erhalten.<br />
Zu <strong>de</strong>n Autoren: Dipl.-Ing. Botho von Schrenk ist Studienreferent <strong>im</strong> Lehrbereich IV.6, Wolfgang Grambs, Fachberater für <strong>Krisenmanagement</strong>,<br />
ist Koordinator <strong>de</strong>r Projektgruppe LÜKEX, <strong>Bund</strong>esamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe.<br />
1 Interministerielle Koordinierungsgruppe <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es und <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r<br />
In <strong>de</strong>m neuen Internationalen Postzentrum Nie<strong>de</strong>raula (Kreis<br />
Hersfeld-Rotenburg) gehen pro Tag durchschnittlich rund 2,7<br />
Millionen Sendungen ein<br />
die übergreifen<strong>de</strong> Nutzung <strong>de</strong>s staatlichen Notfallinformationssystems<br />
<strong><strong>de</strong>NIS</strong> II könnten hier zielgerichtet<br />
weiterhelfen.
Informationstechnologie <strong>im</strong> <strong>Krisenmanagement</strong>.<br />
Der Einsatz von <strong><strong>de</strong>NIS</strong> II plus bei LÜKEX 2007<br />
Bernhard Corr<br />
Die vernetzte Informationsgesellschaft<br />
Eine „Just-in-T<strong>im</strong>e“ -Produktion in einem Automobilwerk,<br />
in <strong>de</strong>m die passen<strong>de</strong>n weißen Le<strong>de</strong>rsitze<br />
zeitgleich mit <strong>de</strong>m schwarzen Le<strong>de</strong>rlenkrad exakt zu<br />
<strong>de</strong>m Zeitpunkt durch die Zubehörfirmen angeliefert<br />
wer<strong>de</strong>n, wenn das „Wunschauto“ auf <strong>de</strong>m Fließband<br />
produziert wird, wäre ohne eine umfassen<strong>de</strong> elektronische<br />
Vernetzung aller an <strong>de</strong>r Produktion beteiligten<br />
Stellen nicht möglich. Die Wirtschaft nutzt schon lange<br />
die Vorteile <strong>de</strong>r elektronischen Informationstechnologie<br />
und Vernetzung, um Prozessabläufe zu opt<strong>im</strong>ieren.<br />
Ziel ist es, qualitativ hochwertige Produkte<br />
möglichst kostengünstig produzieren zu können.<br />
Der Wettbewerb zwingt die Industrie dazu, innovative<br />
Produktions- und Managementmetho<strong>de</strong>n zu erproben<br />
und einzuführen, um am Markt bestehen zu<br />
können. Der Vorteil <strong>de</strong>r Wirtschaftsunternehmen ist,<br />
dass sie opt<strong>im</strong>ierte Prozessabläufe unmittelbar durch<br />
eine höhere Rendite feststellen können.<br />
Übertragen auf das <strong>Krisenmanagement</strong> <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz<br />
fehlen uns diese ein<strong>de</strong>utigen „Kennzahlen“,<br />
um feststellen zu können, ob unsere Verfahren<br />
<strong>de</strong>n Herausfor<strong>de</strong>rungen gewachsen sind, <strong>de</strong>nen sich<br />
<strong>de</strong>r Bevölkerungsschutz bei <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>rn stellen<br />
muss. Uns bieten allerdings Übungen – wie LÜ-<br />
Der Einsatz von <strong><strong>de</strong>NIS</strong> II plus während LÜKEX 2007<br />
Als neues Instrument zur Unterstützung <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
bei großflächigen Gefahrenlagen stand<br />
das Kommunikations- und Informationssystem <strong><strong>de</strong>NIS</strong><br />
II plus (<strong>de</strong>utsches Notfallvorsorge-Informationssystem)<br />
erstmals bei <strong>de</strong>r Übung LÜKEX 2007 zur Verfügung.<br />
Während <strong>de</strong>r Übung wur<strong>de</strong> das System in erster Linie<br />
dazu genutzt, <strong>de</strong>n angeschlossenen Lagezentren <strong>de</strong>r<br />
<strong>Bund</strong>esressorts und <strong>de</strong>r Innenministerien <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r<br />
ein aktuelles, ebenenübergreifen<strong>de</strong>s, einheitliches<br />
Lagebild zur Verfügung zu stellen.<br />
Ziel: Aufbau einer Kommunikations- und Informationsinfrastruktur<br />
<strong>im</strong> Bevölkerungsschutz<br />
KEX 2007 – die Gelegenheit, unsere Vorbereitungen<br />
auf großflächige Gefahrenlagen zu testen. Im Anschluss<br />
an diese län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong> Übung haben<br />
alle Entscheidungsträger die Möglichkeit – aber auch<br />
die Pflicht –, die Instrumente <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
zu evaluieren und selbstkritisch zu hinterfragen.<br />
So übermittelte das Robert Koch-Instituts (RKI) während<br />
<strong>de</strong>r Übung täglich die aktuellen Daten über <strong>de</strong>n<br />
Stand <strong>de</strong>r Erkrankten je Landkreis an das <strong>Bund</strong>esamt<br />
für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe<br />
(BBK). Dort wur<strong>de</strong>n die Daten in <strong><strong>de</strong>NIS</strong> II plus integriert<br />
und <strong>de</strong>n angeschlossenen Lagezentren als Lagekarte<br />
bereitgestellt. Bereits Wochen vor <strong>de</strong>r Übung<br />
wur<strong>de</strong>n die technischen Einzelheiten <strong>de</strong>r Datenübermittlung<br />
zwischen bei<strong>de</strong>n Häusern besprochen und<br />
festgelegt. Hierdurch konnten alle Vorbereitungen<br />
getroffen wer<strong>de</strong>n, um die aktuellen Daten während<br />
<strong>de</strong>r Übung „on the fly“ <strong>im</strong> BBK aufzunehmen und<br />
sofort in <strong>de</strong>r Lagekarte zu visualisieren.<br />
167
168<br />
Scha<strong>de</strong>nslage<br />
Weitere Unterstützungsfunktionen von <strong><strong>de</strong>NIS</strong> II plus<br />
Das GMLZ (Gemeinsame Mel<strong>de</strong>- und Lagezentrums von <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>rn<br />
bei großflächigen Gefahrenlagen) nahm <strong>im</strong> Verlauf <strong>de</strong>r Übung Meldungen <strong>de</strong>r<br />
Län<strong>de</strong>r und von <strong>Bund</strong>esbehör<strong>de</strong>n auf, die auf teilweise erhebliche Einschränkungen<br />
<strong>de</strong>r Versorgung <strong>de</strong>r Bevölkerung hin<strong>de</strong>uteten. Diese waren die Folge<br />
<strong>de</strong>r Personalausfälle bei Unternehmen, die aufgrund <strong>de</strong>r Übungsannahmen und<br />
Lageeinspielungen zu gravieren<strong>de</strong>n Folgen führten. Auch die Einschränkungen<br />
<strong>de</strong>r Versorgung <strong>de</strong>r Bevölkerung selbst konnten entsprechend auf <strong>de</strong>r Lagekarte<br />
visualisiert wer<strong>de</strong>n. Die Meldungen hierzu wur<strong>de</strong>n meist per E-Mail, aber auch<br />
über das „Mel<strong>de</strong>management“ in <strong><strong>de</strong>NIS</strong> II plus an das GMLZ abgesetzt. Hierbei<br />
haben die angeschlossenen Nutzer die Möglichkeit, über Eingabemasken <strong>de</strong>s<br />
Programms Meldungen o<strong>de</strong>r auch Aufträge an einzelne o<strong>de</strong>r gleichzeitig mehrere<br />
Empfänger abzusetzen. In einer Mel<strong>de</strong>liste wer<strong>de</strong>n alle Meldungen und Aufträge<br />
übersichtlich aufgeführt. Alle angeschlossenen Nutzer haben so die Möglichkeit,<br />
<strong>de</strong>n Mel<strong>de</strong>austausch zwischen allen angeschlossenen Lagezentren wie in einem<br />
„Nachrichtenticker“ zu verfolgen.<br />
Durch die Nutzung <strong>de</strong>s Lage- und Mel<strong>de</strong>managements von <strong><strong>de</strong>NIS</strong> II plus wur<strong>de</strong>n<br />
während LÜKEX 2007 bereits wichtige Kernelemente <strong>de</strong>s Systems erfolgreich<br />
eingesetzt. Doch das System bietet noch viel mehr, um die Arbeit in einem Krisenstab<br />
effizient zu unterstützen:<br />
1. Das Mel<strong>de</strong>management<br />
Im Mel<strong>de</strong>management von <strong><strong>de</strong>NIS</strong> II plus können nicht nur einfache Meldungen<br />
ausgetauscht wer<strong>de</strong>n, es besteht auch die Möglichkeit, diesen Meldungen Anhänge<br />
in Form von Word-, Excel- o<strong>de</strong>r Pdf-Dokumenten beizufügen. Darüber<br />
hinaus können auch Bil<strong>de</strong>r – z.B. von einem Scha<strong>de</strong>nsort – als jpg.-Dateien mit<br />
<strong>de</strong>n Meldungen versandt wer<strong>de</strong>n. Weiterhin kann beispielsweise <strong>de</strong>r Leiter eines<br />
Krisenstabes konkrete Aufträge mit Terminsetzung an seine Sachgebiete erteilen.<br />
Über die Mel<strong>de</strong>liste hat er dann die Möglichkeit, die Erledigung seiner Aufträge<br />
zu überwachen.
Mel<strong>de</strong>liste<br />
2. Das Rollen- und Rechtekonzept<br />
Kernelement <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Notfallvorsorge-Informationssystems - <strong><strong>de</strong>NIS</strong> II plus - ist<br />
ein Rollen- und Rechtekonzept. Der Systemadministrator ist in <strong>de</strong>r Lage, spezielle<br />
Rollen <strong>im</strong> System anzulegen. Hierbei kann es sich um die in <strong>de</strong>r Stabsorganisation<br />
vorgesehenen Sachgebiete (S 1, S 2 usw.) o<strong>de</strong>r um frei <strong>de</strong>finierbare Funktionsplätze<br />
han<strong>de</strong>ln. Diese Rollen können nun wie<strong>de</strong>rum frei skalierbar mit best<strong>im</strong>mten<br />
Rechten versehen wer<strong>de</strong>n. Hierbei han<strong>de</strong>lt es sich nicht nur um einfache<br />
Lese- o<strong>de</strong>r Schreibrechte, son<strong>de</strong>rn es können sich auch komplette Funktionalitäten<br />
hinter diesen Rechten verbergen (z.B. das Erstellen und Freischalten von<br />
Lagezeichnungen). Gera<strong>de</strong> dieses Rollenkonzept ermöglicht es, dass unterschiedliche<br />
rollenbasierte Lagekarten erstellt und zielgerichtet best<strong>im</strong>mten Rollen – und<br />
damit ausgewählten Nutzern – freigeschaltet wer<strong>de</strong>n.<br />
3. Die Lagedokumentation<br />
In einem Ereignisfall ist es wichtig, dass <strong>de</strong>r Ablauf <strong>de</strong>r Lageentwicklung möglichst<br />
umfassend dokumentiert wird. In <strong><strong>de</strong>NIS</strong> IIplus wird zwischen zwei grundsätzlichen<br />
„Betriebszustän<strong>de</strong>n“ unterschie<strong>de</strong>n. Im Normalbetrieb stehen nur Routinefunktionalitäten<br />
<strong>im</strong> System zur Verfügung, die es beispielsweise ermöglichen,<br />
die Daten zu Hilfeleistungspotenzialen o<strong>de</strong>r zu Objekten zu ergänzen o<strong>de</strong>r zu<br />
aktualisieren. Darüber hinaus können <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r Einsatzplanung Checklisten<br />
und Lagekarten angelegt und <strong>im</strong> System abgespeichert wer<strong>de</strong>n. In einem<br />
Ereignisfall wird dann <strong>im</strong> System eine so genannte „Lage“ eröffnet. Von diesem<br />
Augenblick an stehen <strong>de</strong>n Nutzern, die an dieser Lage beteiligt sind, zusätzliche<br />
Funktionalitäten zur Verfügung. Darüber hinaus wer<strong>de</strong>n erste Erkenntnisse<br />
zum Scha<strong>de</strong>nsereignis, wie Ereignisort, personelle und materielle Schä<strong>de</strong>n, <strong>im</strong><br />
System eingegeben. Die weiteren Informationen zur Lage wer<strong>de</strong>n nun über das<br />
Mel<strong>de</strong>management in Form von Meldungen und Aufträgen sowie das Lagemanagement<br />
in Form von Lagekarten <strong>im</strong> System erfasst. Wichtige Lagekarten über<br />
die Entwicklung <strong>de</strong>s Scha<strong>de</strong>nsausmaßes können zusätzlich <strong>im</strong> System archiviert<br />
wer<strong>de</strong>n. Über das elektronische Einsatztagebuch können darüber hinaus be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong><br />
Informationen zur Lageentwicklung dokumentiert wer<strong>de</strong>n.<br />
169
170<br />
Anzahl Erkrankte<br />
Sobald die Scha<strong>de</strong>nslage bewältigt ist und die „Lage“ <strong>im</strong> System abgeschlossen<br />
wird, wer<strong>de</strong>n sämtliche Meldungen und Lagekarten dieses Scha<strong>de</strong>nsereignisses<br />
ins Lagearchiv verschoben. Zu einem späteren Zeitpunkt können die hinterlegten<br />
Lagekarten sowie die Meldungen und Eintragungen zu dieser Lage aus <strong>de</strong>m<br />
Archiv wie<strong>de</strong>r aufgerufen wer<strong>de</strong>n, um zum Beispiel <strong>de</strong>n Ablauf <strong>de</strong>r Lagebearbeitung<br />
<strong>im</strong> Krisenstab zu evaluieren.<br />
4. Die Einsatzplanung<br />
Zur Vorbereitung auf einen Einsatzfall stehen <strong>im</strong> System Werkzeuge zur Verfügung,<br />
um Checklisten und Lagekarten vorzubereiten. Diese vorbereiteten<br />
Checklisten und Lagekarten können sich auf best<strong>im</strong>mte Ereignisse (Hochwasser,<br />
Explosion, Feuer usw.) wie auch auf Ereignisorte (Chemiefabrik A-Dorf, Bahnhof<br />
B-Dorf) beziehen. Diese Checklisten und Lagekarten sind wie<strong>de</strong>rum rollenbezogen.<br />
Das be<strong>de</strong>utet, dass für je<strong>de</strong>n Funktionsplatz (Rolle) innerhalb eines<br />
Krisenstabes Checklisten für best<strong>im</strong>mte vorstellbare Ereignisse bereits präventiv<br />
erstellt und <strong>im</strong> System hinterlegt wer<strong>de</strong>n können. In einem konkreten Ereignisfall<br />
können diese vorbereiteten Checklisten aufgerufen und um weitere Maßnahmen<br />
ergänzt wer<strong>de</strong>n, die aufgrund <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren Umstän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s aktuellen Scha<strong>de</strong>nsereignisses<br />
benötigt wer<strong>de</strong>n. Im Verlauf <strong>de</strong>s Einsatzes können die Maßnahmen<br />
<strong>de</strong>r Checkliste „abgearbeitet“ und <strong>de</strong>r Status in <strong>de</strong>r Checkliste auf „erledigt“ gesetzt<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
5. Bibliothek und Volltextsuche<br />
In <strong>de</strong>r Bibliothek von <strong><strong>de</strong>NIS</strong> II plus können textbasierte Informationen hinterlegt<br />
wer<strong>de</strong>n. Hierbei kann es sich um Rechtsgrundlagen, Richtlinien, Merkblättern<br />
o<strong>de</strong>r umfangreiche Beschreibungen zu <strong>de</strong>n Fähigkeiten von Hilfeleistungspotenzialen<br />
han<strong>de</strong>ln. Über eine Volltextsuche ist <strong>de</strong>r Nutzer in <strong>de</strong>r Lage, die gesamte<br />
Datenbank von <strong><strong>de</strong>NIS</strong> II plus zu durchsuchen, um best<strong>im</strong>mte Dokumente zu fin<strong>de</strong>n.
Zusammenfassung und Ausblick<br />
Erweiterte funktionale Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Krisenstäbe<br />
an das System wer<strong>de</strong>n mit Hilfe von Übungen und<br />
Systemtests ermittelt und in zukünftigen Versionen<br />
berücksichtigt. Darüber hinaus wird das mit <strong><strong>de</strong>NIS</strong> IIplus<br />
zwischen <strong>Bund</strong>es- und Lan<strong>de</strong>sbehör<strong>de</strong>n realisierte<br />
Netzwerk <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz durch <strong>de</strong>n Aufbau<br />
weiterer <strong><strong>de</strong>NIS</strong> II plus -Datenbankinstanzen ausgebaut.<br />
So kann <strong><strong>de</strong>NIS</strong> II plus als Plattform eines virtuellen<br />
Krisenstabes auch behör<strong>de</strong>nintern genutzt wer<strong>de</strong>n,<br />
in<strong>de</strong>m beispielsweise Lageinformationen und Lagebil<strong>de</strong>r<br />
ausgetauscht und Aufträge erteilt wer<strong>de</strong>n. Im<br />
<strong><strong>de</strong>NIS</strong> II plus -Kompetenzzentrum, das sich aus Vertretern<br />
<strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es und von Lan<strong>de</strong>sinnenministerien,<br />
die <strong><strong>de</strong>NIS</strong> II plus -Datenbankinstanzen betreiben, zusammensetzt,<br />
wer<strong>de</strong>n zukünftige Ausbaustufen, neu<br />
zu integrieren<strong>de</strong> Ressourcendaten und Schnittstellen<br />
zu externen Systemen abgest<strong>im</strong>mt. Neben <strong>de</strong>m<br />
Ausbau <strong>de</strong>r Ressourcendatenbank wer<strong>de</strong>n zukünftig<br />
weitere Risikokarten und aktuelle Messwertdaten<br />
aus Gefahrenerfassungssystemen, wie beispielsweise<br />
Wetter- und Pegeldaten, automatisiert in das System<br />
eingespielt wer<strong>de</strong>n.<br />
Mit <strong>de</strong>r Entwicklung von <strong><strong>de</strong>NIS</strong> II plus hat<br />
<strong>de</strong>r <strong>Bund</strong> einen wichtigen Beitrag geleistet,<br />
um die Defizite <strong>im</strong> Informationsmanage-<br />
ment abzubauen. Neben <strong>de</strong>r Erfassung<br />
und Bereitstellung von Engpassressourcen<br />
wird vor allem die Gewinnung eines aktu-<br />
ellen und einheitlichen Lagebil<strong>de</strong>s durch<br />
<strong><strong>de</strong>NIS</strong> II plus wesentlich unterstützt. Dieses<br />
Lagebild ist Voraussetzung dafür, angemes-<br />
sene Ressourcen zeitgerecht und effektiv<br />
einzusetzen.<br />
Das System <strong><strong>de</strong>NIS</strong> II plus bietet damit die Kommunikations-<br />
und Informationsplattform, um die Koordination<br />
<strong>de</strong>s Einsatzes von Hilfeleistungspotenzialen zu<br />
erleichtern.<br />
Zum Autor: Bernhard Corr leitet das Referat I.4 „Deutsches Notfallvorsorge-Informationssystem“ <strong>im</strong> <strong>Bund</strong>esamt für Bevölkerungsschutz<br />
und Katastrophenhilfe, Bonn<br />
171
172<br />
Zukunftsperspektiven <strong>de</strong>s nationalen<br />
<strong>Krisenmanagement</strong>s <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz<br />
Wolfgang Grambs / Tanja Thie<strong>de</strong><br />
Die Vielfalt <strong>de</strong>r in dieser Publikation vorgestellten<br />
Beiträge zeigt die komplexen Herausfor<strong>de</strong>rungen,<br />
<strong>de</strong>nen sich mo<strong>de</strong>rne Industriegesellschaften stellen<br />
müssen. Es bestehen Risiken und Gefahren, die zunehmend<br />
politische und internationale Implikationen<br />
haben. Die Instrumente <strong>de</strong>r Gefahrenabwehr, insbeson<strong>de</strong>re<br />
<strong>im</strong> nichtpolizeilichen Bereich, wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n<br />
90er Jahren vornehmlich auf <strong>de</strong>r taktisch-operativen<br />
Ebene unter Berücksichtigung von Szenarien <strong>de</strong>r „alltäglichen“<br />
Gefahrenabwehr opt<strong>im</strong>iert. Spätestens seit<br />
<strong>de</strong>m 11. September 2001, <strong>de</strong>m Elbehochwasser 2002<br />
und <strong>de</strong>n Planungen und Vorbereitungen zur Fußballweltmeisterschaft<br />
2006 ist <strong>de</strong>utlich gewor<strong>de</strong>n, dass<br />
insbeson<strong>de</strong>re <strong>im</strong> strategischen Bereich <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
konzeptionelle Lücken bestehen. In<br />
diesem Zusammenhang sollen – ohne grundsätzliche<br />
Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r gesetzlichen Rahmenbedingungen<br />
<strong>de</strong>s fö<strong>de</strong>rativen Systems – die län<strong>de</strong>r-, ressort- und<br />
bereichsübergreifen<strong>de</strong>n konzeptionellen, organisatorischen<br />
und verfahrensmäßigen Voraussetzungen<br />
für ein ergebnisorientiertes Zusammenwirken bei außergewöhnlichen<br />
Situationen und Großscha<strong>de</strong>nsereignissen<br />
geschaffen und weiter entwickelt wer<strong>de</strong>n.<br />
Damit wird auch <strong>de</strong>r notwendige und opt<strong>im</strong>ierte<br />
Rahmen <strong>im</strong> politisch-administrativen Bereich für <strong>de</strong>n<br />
koordinierten und erfolgreichen Einsatz aller verfügbaren<br />
Ressourcen geschaffen.<br />
Die Bandbreite <strong>de</strong>r vorgestellten Beiträge zeigt die<br />
erheblichen Fortschritte <strong>im</strong> strategischen <strong>Krisenmanagement</strong><br />
in <strong>de</strong>n letzten Jahren. Einen wesentlichen<br />
Anteil an dieser Entwicklung hat die Übungsserie LÜ-<br />
KEX, die erstmalig <strong>im</strong> nationalen Rahmen ein strategisches<br />
Forum etabliert hat, in <strong>de</strong>m sich die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />
gesellschaftlichen Akteure <strong>de</strong>s nationalen<br />
<strong>Krisenmanagement</strong>s treffen, um gemeinsam zu üben<br />
und dabei Konzepte, Verfahren und Strukturen zu<br />
testen und weiterzuentwickeln.
Weiterentwicklung <strong>de</strong>r Übungsserie LÜKEX<br />
Auch in Zukunft wer<strong>de</strong>n die Szenarien <strong>de</strong>r LÜKEX-<br />
Übungen weiterhin außergewöhnliche Scha<strong>de</strong>nsereignisse<br />
sein, die die „Lebensa<strong>de</strong>rn“ einer mo<strong>de</strong>rnen<br />
Dienstleistungsgesellschaft min<strong>de</strong>stens in Teilbereichen<br />
so nachhaltig stören, dass das Gesamtsystem <strong>de</strong>r<br />
Notfallvorsorge reagieren muss. Dieser Ansatz stellt<br />
sicher, dass die Akteure für „Worst-Case-Szenarien“<br />
(z. B. großflächiger Stromausfall, Pan<strong>de</strong>mie, Naturkatastrophen<br />
und Terrorismus) und <strong>de</strong>ren Bewältigung<br />
sensibilisiert wer<strong>de</strong>n. Diese umfassen<strong>de</strong> Herangehensweise<br />
stellt sicher, dass die formalen Strukturen<br />
durch informelle Netzwerke verdichtet wer<strong>de</strong>n. Auf<br />
diese Weise wird gewährleistet, dass auch bei Szenarien<br />
unterhalb <strong>de</strong>r Worst-Case-Schwelle flexibler<br />
reagiert und insbeson<strong>de</strong>re die chaotische Anfangsphase<br />
von Großscha<strong>de</strong>nsereignissen erfolgreicher<br />
bewältigt wer<strong>de</strong>n kann.<br />
In diesem Sinne wird <strong>de</strong>r Übung LÜKEX 2009 ein<br />
terroristisches Drohungs- und Anschlagsszenario mit<br />
radiologischen und chemischen Substanzen zugrun<strong>de</strong><br />
liegen. Im Rahmen dieser Übung wird eine neue<br />
Einheit <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es in <strong>de</strong>r Gefahrenabwehr in Fällen<br />
<strong>de</strong>s illegalen Umgangs o<strong>de</strong>r z.B. <strong>de</strong>r terroristischen<br />
Anwendung radioaktiver Stoffe zum Einsatz kommen.<br />
Einsatz-Übung <strong>de</strong>r Zentralen Unterstützungsgruppe <strong>de</strong>s<br />
<strong>Bund</strong>es für gravieren<strong>de</strong> Fälle nuklearspezifischer Gefahrenabwehr<br />
(ZUB)<br />
Diese Einheit, die „Zentrale Unterstützungsgruppe <strong>de</strong>s<br />
<strong>Bund</strong>es für gravieren<strong>de</strong> Fälle <strong>de</strong>r nuklearspezifischen<br />
Gefahrenabwehr (ZUB)“ wird <strong>im</strong> amts- und ressortübergreifen<strong>de</strong>n<br />
Ansatz (BKA, BPOL und BfS) entsprechen<strong>de</strong><br />
Aufgaben übernehmen und Maßnahmen <strong>de</strong>r<br />
Gefahrenabwehr koordinieren und durchführen. Ziel<br />
<strong>de</strong>r Übung ist es auch 2009, die Entscheidungs- und<br />
Kommunikationsstrukturen von <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>rn<br />
auf <strong>de</strong>r einen und nichtstaatlicher Akteure auf <strong>de</strong>r<br />
an<strong>de</strong>ren Seite auf einan<strong>de</strong>r abzust<strong>im</strong>men.<br />
Atom-Katastrophe von Tschernobyl<br />
Die beson<strong>de</strong>re Sensibilität <strong>de</strong>s Übungsthemas wird<br />
eine noch intensivere Berücksichtigung <strong>de</strong>r Presse-<br />
und Öffentlichkeitsarbeit als zentraler Komponente<br />
<strong>de</strong>s strategischen <strong>Krisenmanagement</strong>s erfor<strong>de</strong>rn. Ein<br />
weiteres wichtiges Übungsziel wird die Befassung<br />
mit psychologischen Fragen <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s<br />
sein: Wie verhält sich die Bevölkerung bei solch einem<br />
Anschlag? Wird es zu Panikreaktionen kommen?<br />
Welche Rolle spielen Desinformationen und Gerüchte?<br />
Wie wer<strong>de</strong>n die Medien reagieren?<br />
Auf diese Fragen müssen Krisenmanager Antworten<br />
und Lösungen fin<strong>de</strong>n. Der Forschungsstand zu dieser<br />
Problematik ist eher veraltet und antizipiert nicht<br />
die Charakteristika mo<strong>de</strong>rner Industriegesellschaften.<br />
Möglicherweise liegt hier eine <strong>de</strong>r Ursachen dafür,<br />
dass die so genannten „weichen Faktoren“ <strong>de</strong>r Entscheidungsfindung<br />
<strong>im</strong> <strong>Krisenmanagement</strong> bisher<br />
eher vernachlässigt wer<strong>de</strong>n und die fachlichen und<br />
rechtlichen Aspekte <strong>im</strong> Vor<strong>de</strong>rgrund stehen.<br />
173
174<br />
Die Szenarien <strong>de</strong>r Folgeübungen nach LÜKEX 2009<br />
sollten nach Auffassung <strong>de</strong>r Autoren vorrangig die<br />
Bedrohungen <strong>de</strong>r Strukturen <strong>de</strong>r Informationstechnik<br />
(IT), zum Beispiel durch Terrorismus, organisierte<br />
Kr<strong>im</strong>inalität o<strong>de</strong>r Stromausfall, sowie biologische<br />
Scha<strong>de</strong>nslagen, die keinen natürlichen Ursprung haben,<br />
zum Thema haben.<br />
Der <strong>de</strong>m System LÜKEX zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong> Gedanke<br />
ist, dass Szenarien mit gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen<br />
Betroffenheit auf allen staatlichen Ebenen<br />
erzeugen. Die LÜKEX-Übungen bil<strong>de</strong>n diese Betrof-<br />
Weiterentwicklung <strong>de</strong>s strategischen <strong>Krisenmanagement</strong>s in fö<strong>de</strong>ralen Systemen<br />
Die zunehmen<strong>de</strong> Globalisierung <strong>de</strong>r Wirtschaft, die<br />
verstärkte Privatisierung ehemals staatlicher Grundfunktionen,<br />
das logistische Grundprinzip <strong>de</strong>s „just in<br />
t<strong>im</strong>e“ und das Outsourcing vieler Bereiche <strong>de</strong>r Versorgungs-<br />
und Produktionsabläufe erfor<strong>de</strong>rn in zunehmen<strong>de</strong>m<br />
Maße die <strong>im</strong>mer stärkere Einbeziehung<br />
privater Betreiber (80 Prozent <strong>de</strong>r kritischen Infrastrukturen<br />
sind mittlerweile in privater Hand) in das<br />
gesamtstaatliche <strong>Krisenmanagement</strong>. Vor allem LÜK-<br />
fenheit insbeson<strong>de</strong>re auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>es- und<br />
Lan<strong>de</strong>sregierungen ab. Die zahlreichen Erkenntnisse<br />
und Erfahrungen, die bei diesen Übungen gewonnen<br />
wer<strong>de</strong>n, sollten zukünftig auch auf <strong>de</strong>r mittleren<br />
Verwaltungsebene (z. B. Bezirksregierungen, Lan<strong>de</strong>sverwaltungsämter)<br />
durch Folgeübungen <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r<br />
vertieft wer<strong>de</strong>n. Damit wür<strong>de</strong> ein auf einan<strong>de</strong>r abgest<strong>im</strong>mtes<br />
Übungsgeschehen in Deutschland verwirklicht<br />
wer<strong>de</strong>n, das <strong>de</strong>n neuen Herausfor<strong>de</strong>rungen<br />
gerecht wird und gleichzeitig die Beson<strong>de</strong>rheiten <strong>de</strong>s<br />
fö<strong>de</strong>ralen Systems berücksichtigt<br />
EX 07 hat gezeigt, dass hinsichtlich einer fundierten<br />
Pan<strong>de</strong>mieplanung <strong>de</strong>rzeit nur die großen und international<br />
aufgestellten Unternehmen gut vorbereitet<br />
sind, die kleinen und mittelständischen Unternehmen<br />
sich aber mit dieser Problematik bisher nicht<br />
o<strong>de</strong>r kaum befasst haben. Folglich müssen auch diese<br />
stärker als bisher sowohl in das Übungsgeschehen<br />
als auch in das <strong>Krisenmanagement</strong> auf allen Ebenen<br />
einbezogen wer<strong>de</strong>n.
Altstadt Dres<strong>de</strong>n: „Land unter“<br />
Die opt<strong>im</strong>ale Nutzung <strong>de</strong>r vorhan<strong>de</strong>nen<br />
Ressourcen ist gera<strong>de</strong> in einem fö<strong>de</strong>ralen<br />
System <strong>im</strong>mer dann eine beson<strong>de</strong>re He-<br />
rausfor<strong>de</strong>rung, wenn regionale Zustän-<br />
digkeiten und Kompetenzen nicht mehr<br />
ausreichen, einer grenzüberschreiten<strong>de</strong>n<br />
Scha<strong>de</strong>nslage zu begegnen.<br />
Durch die auch <strong>im</strong> internationalen Vergleich überdurchschnittlich<br />
gute „Grundaufstellung“ in Deutschland<br />
auf örtlicher und regionaler Ebene wer<strong>de</strong>n<br />
Standards gesetzt, die <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r neuen Herausfor<strong>de</strong>rungen<br />
auch auf <strong>de</strong>r überregionalen Ebene<br />
verwirklicht wer<strong>de</strong>n sollten. Im Sinne einer weiteren<br />
Opt<strong>im</strong>ierung <strong>de</strong>r Effizienz <strong>de</strong>s fö<strong>de</strong>ralen Systems ergibt<br />
sich daraus eine beson<strong>de</strong>re Herausfor<strong>de</strong>rung, die<br />
län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong>n Gremien, Strukturen und Ver-<br />
fahren <strong>im</strong> Bevölkerungsschutz weiterzuentwickeln<br />
und in Übungen zu erproben. Die Einführung und<br />
Erprobung eines einheitlichen Mel<strong>de</strong>wesens, die Einrichtung<br />
geschlossener Informationsportale und die<br />
Definition von Kriterienkatalogen für Bedarfs- und<br />
Ressourcenermittlung sind Beispiele für konkreten<br />
Handlungsbedarf.<br />
Die Initialisierung einer neuen Übungskultur sollte<br />
auch dazu genutzt wer<strong>de</strong>n, <strong>Krisenmanagement</strong> als<br />
festen Bestandteil in die Aus- und Weiterbildung<br />
<strong>de</strong>r Führungskräfte in Politik und Wirtschaft aufzunehmen.<br />
Dies wür<strong>de</strong> die Bildung von Netzwerken<br />
stärken, das Verständnis für die gegenseitigen Abhängigkeiten<br />
för<strong>de</strong>rn und zur Einführung bereichsübergreifen<strong>de</strong>r<br />
Standards beitragen. Ausbildungseinrichtungen<br />
wie die Aka<strong>de</strong>mie für <strong>Krisenmanagement</strong><br />
Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ), die <strong>Bund</strong>esaka<strong>de</strong>mie<br />
für Sicherheitspolitik (BAKS) o<strong>de</strong>r die<br />
Deutsche Hochschule <strong>de</strong>r Polizei (DHPol) sollten<br />
ihre Ausbildungsangebote verstärkt <strong>de</strong>mentsprechend<br />
ausrichten.<br />
175
176<br />
Reale Lagen und LÜKEX- Übungslagen<br />
haben gezeigt, dass außergewöhnliche<br />
und komplexe Ereignisse unabhängig von<br />
ihrer tatsächlichen Größenordnung relativ<br />
rasch höchste nationale und internationa-<br />
le Betroffenheit erzeugen.<br />
Auch wenn die <strong>Bund</strong>esregierung <strong>im</strong> Katastrophenschutz<br />
formal keine Zuständigkeit hat, wird durch<br />
die Medien und die internationale Gemeinschaft ein<br />
übergeordneter zentraler nationaler Ansprechpartner<br />
gesucht und erwartet. Deshalb wird bei Scha<strong>de</strong>nsereignissen<br />
von einer D<strong>im</strong>ension, die die Überlebensfähigkeit<br />
<strong>de</strong>s Gesamtsystems gefähr<strong>de</strong>t (außerhalb<br />
<strong>de</strong>s Spannungs- und Verteidigungsfalles), auch <strong>im</strong> fö<strong>de</strong>ralen<br />
System ein Entscheidungsgremium erfor<strong>de</strong>rlich<br />
sein, das oberhalb <strong>de</strong>r <strong>de</strong>rzeit bestehen<strong>de</strong>n Krisenstäbe<br />
auf <strong>Bund</strong>es- und Län<strong>de</strong>rebene angesie<strong>de</strong>lt<br />
sein sollte. Darüber hinaus sollte bei fundamentalen<br />
Herausfor<strong>de</strong>rungen dieser Art <strong>de</strong>r parlamentarische<br />
Bereich in die Entscheidungsfindung einbezogen<br />
wer<strong>de</strong>n. Diese, nach unserem bisherigen Verständnis<br />
durchaus revolutionären I<strong>de</strong>en sollten ohne parteipolitische<br />
Gedankenspiele in die grundsätzlichen<br />
Überlegungen zur Weiterentwicklung <strong>de</strong>s nationalen<br />
Systems <strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s einbezogen wer<strong>de</strong>n.<br />
Außergewöhnliche Scha<strong>de</strong>nsereignisse machen nicht<br />
an Grenzen halt. Deshalb müssen angemessene<br />
Schutzkonzeptionen die grenzüberschreiten<strong>de</strong>n Aspekte<br />
von Scha<strong>de</strong>nsszenarien miteinan<strong>de</strong>r verbin<strong>de</strong>n.<br />
Die Mitgliedstaaten <strong>de</strong>r Europäischen Union<br />
haben damit begonnen, Konzepte zu schaffen sowie<br />
Strukturen und Verfahren auf europäischer Ebene<br />
weiterzuentwickeln, um <strong>de</strong>n Herausfor<strong>de</strong>rungen globaler<br />
Szenarien und Verflechtungen gerecht zu wer<strong>de</strong>n.<br />
Ein Beispiel ist das EU-Gemeinschaftsverfahren<br />
mit <strong>de</strong>m Monitoring and Information Centre (MIC)<br />
und <strong>de</strong>m Common Emergency Communication System<br />
(CECIS), um nur ein Projekt von mehreren zu<br />
nennen.
Die konzeptionellen Grundlagen für alle institutionellen<br />
Weiterentwicklungen sind das Prinzip <strong>de</strong>r<br />
Subsidiarität und das Pr<strong>im</strong>at <strong>de</strong>r nationalen Reaktionsfähigkeit.<br />
Die Verantwortung für <strong>de</strong>n Schutz <strong>de</strong>r<br />
Bevölkerung muss bei <strong>de</strong>n Nationalstaaten bleiben,<br />
nur diese haben die notwendigen Kenntnisse <strong>de</strong>r regionalen<br />
Gegebenheiten. Auf <strong>de</strong>r Basis angemessener<br />
nationaler Ressourcen <strong>im</strong> Gesamtspektrum <strong>de</strong>r<br />
Heraufor<strong>de</strong>rungen müssen das Gemeinschaftsverfahren<br />
weiterentwickelt und ein wirkungsvolles Ressourcenmanagement<br />
in <strong>de</strong>r gegenseitigen Hilfeleistung<br />
verwirklicht wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Erfahrungen aus <strong>de</strong>n LÜKEX-Übungen<br />
haben gezeigt, dass subsidiär geprägte<br />
Strukturen in beson<strong>de</strong>rer Weise von über-<br />
greifen<strong>de</strong>n Netzwerken und einem intensi-<br />
ven Austausch aller Beteiligten leben.<br />
In <strong>de</strong>r internationalen Zusammenarbeit sollte daher<br />
<strong>de</strong>r Schwerpunkt zunächst nicht auf <strong>de</strong>r Durchführung<br />
großer europäischer Übungen mit einer Vielzahl<br />
von Mitgliedstaaten liegen, son<strong>de</strong>rn auf <strong>de</strong>m<br />
zielgerichteten Austausch von Erfahrungen, die aus<br />
<strong>de</strong>r Bewältigung realer Ereignisse und <strong>de</strong>n Erkenntnissen<br />
aus nationalen Übungen resultieren. Ein weiterführen<strong>de</strong>r<br />
Ansatz wäre die Initiierung eines stra-<br />
Herausfor<strong>de</strong>rungen für die Forschung<br />
Der Forschungsstand zur Gefahrenabwehr ist bislang<br />
von polizeilichen und militärischen Fragestellungen<br />
geprägt. Hier gilt es weiterzu<strong>de</strong>nken. Benötigt wer<strong>de</strong>n<br />
auch interdisziplinäre Forschungsprogramme,<br />
die alle Aspekte <strong>de</strong>r Gefahrenabwehr ab<strong>de</strong>cken. Eine<br />
weitere Forschungslücke besteht insbeson<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>r<br />
Bearbeitung <strong>de</strong>r so genannten „weichen Faktoren“<br />
<strong>de</strong>s <strong>Krisenmanagement</strong>s. Grundlegen<strong>de</strong> soziale Verän<strong>de</strong>rungen<br />
in mo<strong>de</strong>rnen Dienstleistungsgesellschaften,<br />
wie zum Beispiel Individualisierungsprozesse,<br />
Überalterung und abnehmen<strong>de</strong> Selbsthilfefähigkeiten,<br />
erfor<strong>de</strong>rn die verstärkte Berücksichtigung sozialer<br />
und katastrophenpsychologischer Aspekte in<br />
Übungen und bei Entscheidungsprozessen.<br />
„S<strong>im</strong>ulation Krisencenter“<br />
tegischen Forums auf europäischer Ebene, das nicht<br />
nur <strong>de</strong>n Erfahrungsaustausch för<strong>de</strong>rt, son<strong>de</strong>rn auch<br />
zur Verdichtung von Netzwerken beiträgt und die<br />
wechselseitige partielle Übungsbeteiligung koordiniert.<br />
Entsprechen<strong>de</strong> Konzepte wer<strong>de</strong>n in Deutschland<br />
vom <strong>Bund</strong>esamt für Bevölkerungsschutz und<br />
Katastrophenhilfe bereits entwickelt.<br />
Die gesamtgesellschaftliche Perspektive <strong>de</strong>s strategischen<br />
<strong>Krisenmanagement</strong>s erfor<strong>de</strong>rt die Bün<strong>de</strong>lung<br />
aller relevanten gefahrenabwehrübergreifen<strong>de</strong>n Informationen<br />
und Erkenntnisse. Die Aufbereitung<br />
und Darstellung entsprechend komplexer Lagebil<strong>de</strong>r,<br />
beispielsweise auf <strong>de</strong>r Ebene einer Lan<strong>de</strong>sregierung<br />
o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>esregierung, setzen <strong>de</strong>n Einsatz<br />
informationstechnologischer Systeme zum Informationsmanagement,<br />
zur Lagedarstellung und zur<br />
prognostischen Lageentwicklung voraus. Gera<strong>de</strong> in<br />
<strong>de</strong>zentralen Strukturen erfor<strong>de</strong>rt dies einen ganzheitlichen<br />
Ansatz <strong>im</strong> Sinne <strong>de</strong>r Vernetzung individueller<br />
und vorhan<strong>de</strong>ner Teilsysteme.<br />
177
178<br />
Neben <strong>de</strong>r öffentlichen Verwaltung müssen die privaten<br />
Betreiber kritischer Infrastrukturen in diese Informationsmanagementsysteme<br />
einbezogen wer<strong>de</strong>n.<br />
Konsequenterweise sollten hierzu auch <strong>im</strong> Bereich<br />
<strong>de</strong>r Forschung Joint Ventures aus öffentlichen und<br />
privaten Akteuren gegrün<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. Ein gutes Beispiel<br />
hierfür ist das kürzlich gestartete Forschungsprojekt<br />
zur Erstellung eines Krisenhandbuchs Stromausfall<br />
für Ba<strong>de</strong>n-Württemberg. Konsortialpartner<br />
sind das <strong>Bund</strong>esamt für Bevölkerungsschutz und<br />
Katastrophenhilfe, die Lan<strong>de</strong>sregierung Ba<strong>de</strong>n-Württemberg,<br />
die Universität Karlsruhe und das Energieunternehmen<br />
EnBW.<br />
Entscheidungen in komplexen Lagen mit weit reichen<strong>de</strong>n<br />
politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen<br />
wer<strong>de</strong>n nach wie vor weitgehend „intuitiv“<br />
getroffen. Es fehlen Möglichkeiten zur systematischen<br />
Bewertung alternativer Handlungsansätze und unterschiedlicher<br />
Lageentwicklungen. Die erfolgreich eingesetzten<br />
S<strong>im</strong>ulationssysteme in militärischen Szenarien<br />
sollten weiterentwickelt wer<strong>de</strong>n, um auch zivile<br />
Ereignisse abbil<strong>de</strong>n zu können. Einsatz- und Krisenstäbe<br />
auf allen Ebenen sowie Ausbildungseinrichtungen<br />
<strong>de</strong>r zivilen Notfallvorsorge wür<strong>de</strong>n dadurch<br />
technische Entscheidungsunterstützungshilfen neuer<br />
Qualität zur Verfügung gestellt.<br />
Im strategischen <strong>Krisenmanagement</strong> sind in <strong>de</strong>n<br />
letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht wor<strong>de</strong>n.<br />
Wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung hat LÜKEX.<br />
Ursprünglich als Übungsserie konzipiert hat sie<br />
inzwischen als „System LÜKEX“ <strong>im</strong> nationalen<br />
Rahmen ein strategisches Forum etabliert, in <strong>de</strong>m sich<br />
die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n staatlichen und gesellschaftlichen<br />
Akteure <strong>de</strong>s nationalen <strong>Krisenmanagement</strong>s treffen,<br />
um gemeinsam zu üben und Konzepte, Verfahren und<br />
Strukturen zu testen und weiterzuentwickeln.<br />
Zu <strong>de</strong>n Autoren: Wolfgang Grambs, Fachberater für <strong>Krisenmanagement</strong>, ist Koordinator <strong>de</strong>r Projektgruppe LÜKEX, Tanja Thie<strong>de</strong><br />
Referentin <strong>im</strong> Lehrbereich IV.6, <strong>Bund</strong>esamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
ADNS<br />
AEG<br />
AKNZ<br />
AOLG<br />
BAKS<br />
BBK<br />
BeaBwZMZ<br />
BeaSanStOffzZMZGesWes<br />
BfArM<br />
BfR<br />
BKA<br />
BLALAG<br />
BLE<br />
BMG<br />
BMI<br />
BMVBS<br />
BSI<br />
BVL<br />
CECIS<br />
CERT-<strong>Bund</strong><br />
<strong><strong>de</strong>NIS</strong> II plus<br />
DHPOL<br />
A<br />
B<br />
C<br />
D<br />
Abkürzungsverzeichnis<br />
An<strong>im</strong>al Disease Notification System<br />
Allgemeines Eisenbahngesetz<br />
Aka<strong>de</strong>mie für <strong>Krisenmanagement</strong>, Notfallplanung und Zivilschutz<br />
Arbeitsgemeinschaft <strong>de</strong>r obersten Lan<strong>de</strong>sgesundheitsbehör<strong>de</strong>n<br />
<strong>Bund</strong>esaka<strong>de</strong>mie für Sicherheitspolitik<br />
<strong>Bund</strong>esamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe<br />
Beauftragte <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr für die Zivil-Militärische<br />
Zusammenarbeit<br />
Beauftragter Sanitätsstabsoffizier für die Zivil-Militärische<br />
Zusammenarbeit Gesundheitswesen<br />
<strong>Bund</strong>esinstitut für Arzne<strong>im</strong>ittel und Medizinprodukte<br />
<strong>Bund</strong>esinstitut für Risikobewertung<br />
<strong>Bund</strong>eskr<strong>im</strong>inalamt<br />
<strong>Bund</strong>-Län<strong>de</strong>r-Abteilungsleiter-Arbeitsgemeinschaft<br />
<strong>Bund</strong>esanstalt für Landwirtschaft und Ernährung<br />
<strong>Bund</strong>esministerium für Gesundheit<br />
<strong>Bund</strong>esministerium <strong>de</strong>s Innern<br />
<strong>Bund</strong>esministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung<br />
<strong>Bund</strong>esamt für Sicherheit in <strong>de</strong>r Informationstechnik<br />
<strong>Bund</strong>esamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit<br />
Common Emergency Communication System<br />
Computer Emergency Response Team für die <strong>Bund</strong>esverwaltung<br />
Deutsches Notfallvorsorge-Informationssystem<br />
Deutsche Hochschule <strong>de</strong>r Polizei<br />
179
180<br />
Abkürzungsverzeichnis<br />
ECDC<br />
ECURIE<br />
EGC<br />
ENV<br />
EPSKI<br />
ESS<br />
EVG<br />
FwDV 100<br />
GASP<br />
GGSK<br />
GMLZ<br />
GTAZ<br />
IAEA<br />
IDKO<br />
IfSG<br />
IKO<br />
IMIS<br />
IntMinKoGr<br />
IS ENV.<br />
E<br />
F<br />
G<br />
I<br />
European Centre for Disease Prevention and Control<br />
European Community Urgent Radiological Information Exchange<br />
European Governmental CERT Group<br />
Ernährungsnotfallvorsorge<br />
Europäisches Programm zum Schutz Kritischer Infrastrukturen<br />
Europäische Sicherheitsstrategie<br />
Ernährungsvorsorgegesetz<br />
Feuerwehr-Dienstvorschrift 100 „Führung und Leitung <strong>im</strong> Einsatz<br />
– Führungssystem“<br />
Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik<br />
Größere Gefahren- und Scha<strong>de</strong>nslagen, Katastrophen<br />
Gemeinsames Mel<strong>de</strong>- und Lagezentrum von <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>rn<br />
Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum<br />
Internationale Atomenergiebehör<strong>de</strong><br />
I<strong>de</strong>ntifizierungskommission <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>eskr<strong>im</strong>inalamtes<br />
Infektionsschutzgesetz<br />
Informations-Koordinator<br />
Integriertes Mess- und Informationssystem für die Überwachung<br />
<strong>de</strong>r Umweltradioaktivität<br />
Interministerielle Koordinierungsgruppe von <strong>Bund</strong> und Län<strong>de</strong>rn<br />
Informationssystem Ernährungsnotfallvorsorge
KoKo<br />
KRZ<br />
KUT<br />
MANV<br />
MIC<br />
NPSI<br />
PEI<br />
ProPK<br />
PSNV<br />
RKI<br />
RSK<br />
SanKdoBw<br />
SSK<br />
K<br />
M<br />
N<br />
P<br />
R<br />
S<br />
Koordinierungsstab Kommunikation<br />
Krisenreaktionszentrum<br />
Krisenunterstützungsteam<br />
Abkürzungsverzeichnis<br />
Massenanfall von Verletzten<br />
Monitoring and Information Centre for Civil Protection<br />
Nationaler Plan zum Schutz <strong>de</strong>r Informationsinfrastrukturen<br />
Paul-Ehrlich-Institut<br />
Programm Polizeiliche Kr<strong>im</strong>inalprävention <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r und <strong>de</strong>s<br />
<strong>Bund</strong>es<br />
Psychosoziale Notfallvorsorge<br />
Robert Koch-Institut<br />
Reaktorsicherheitskommission<br />
Sanitätskommando <strong>de</strong>r <strong>Bund</strong>eswehr<br />
Strahlenschutzkommission<br />
181
182<br />
Abkürzungsverzeichnis<br />
THW<br />
TSG<br />
TSN<br />
TUZ<br />
UBA<br />
VwS<br />
VwVfG<br />
WHO<br />
ZMZ<br />
ZNR<br />
ZUB<br />
T<br />
U<br />
V<br />
W<br />
Z<br />
<strong>Bund</strong>esanstalt Technisches Hilfswerk<br />
Tierseuchengesetz<br />
Tierseuchennachrichtensystem<br />
Technisches Unterstützungszentrum<br />
Umweltbun<strong>de</strong>samt<br />
Verwaltungsstab<br />
Verwaltungsverfahrensgesetz<br />
World Health Organisation<br />
Zivil-Militärische Zusammenarbeit<br />
Zivile Notfallreserve<br />
Zentrale Unterstützungsgruppe <strong>de</strong>s <strong>Bund</strong>es für gravieren<strong>de</strong><br />
Fälle <strong>de</strong>r nuklearspezifischen Gefahrenabwehr
Titel: picture alliance<br />
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Bildnachweis<br />
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183
184<br />
Bildnachweis<br />
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Seite 175: BBK<br />
Seite 176: BBK<br />
Seite 177: CAE GmbH<br />
Titelfoto: Schneekatastrophe <strong>im</strong> Münsterland November 2005: Strommasten brechen und verursachen<br />
großräumige Störungen <strong>de</strong>r Stromversorgung
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