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Sozialisation als Rollenlernen PA (Busse)<br />
Die Rollentheorie: Soziales Handeln als Rollenhandeln<br />
Die funktionalistische Rollentheorie wurde von<br />
amerikanischen Soziologen (Ralph Linton, Talcott<br />
Parsons, Robert K. Merton u. a.) entwickelt. Ihr Ziel<br />
bestand darin, die vielfältigen Erscheinungsformen des<br />
sozialen Handelns zu einem System zu verbinden. Die<br />
Rollentheoretiker fragten danach, wie soziales Handeln<br />
beschaffen sein muss, damit es die Funktionsfähigkeit<br />
der Gesellschaft fördert, also funktional ist. Daher das<br />
Attribut „funktionalistisch.“ Im Gegensatz zum Strukturfunktionalismus<br />
misst der symbolische Interaktionismus<br />
der Frage des Verhältnisses von Strukturen<br />
und Handeln dem Handeln größere Bedeutung bei.<br />
Betont wird insbesondere das kreative Handeln sozialer<br />
Akteure durch Symbole, die soziale Interaktionen<br />
ermöglichen.<br />
Aus Sicht der funktionalistischen Rollentheorie hat<br />
eine einzelne soziale Handlung Auswirkungen auf ein<br />
begrenztes soziales Subsystem (z. B. eine Familie). Da<br />
diese Subsysteme jedoch nicht isoliert existieren, stellt<br />
sich die Frage nach ihrem Zusammenhang. Ein möglicher<br />
Zusammenhang besteht darin, dass die Individuen<br />
normalerweise in verschiedenen Subsystemen handeln<br />
(Jonas ist Schüler, nachmittags Angestellter einer Firma,<br />
Mitglied einer Familie, Mitglied einer Clique<br />
usw.). Das Individuum hat in jedem dieser Systeme<br />
eine bestimmte Position.<br />
Jede Position ist mit bestimmten Erwartungen verbunden,<br />
die an den Inhaber der Position von den Mithandelnden<br />
gerichtet werden. Das Handeln, das sich<br />
aus diesen Positionen ergibt, bezeichnet man als soziale<br />
Rolle.<br />
Unter dieser Voraussetzung ist soziales Handeln immer<br />
Rollenhandeln. Dadurch kann man soziale Systeme als<br />
Rollensysteme beschreiben. Die ganze Gesellschaft ist<br />
damit ein System von kleineren Rollensystemen, die<br />
man zu größeren Systemen zusammenfassen kann. So<br />
kann man die Schule als ein Rollensystem sehen, in dem<br />
z. B. die Rollen „Lehrer“, „Schüler“, „Verwaltungsangestellte“,<br />
„Hausmeister“ usw. existieren. Sie ist Teil eines<br />
übergeordneten Rollensystems, das man als Sozialisationssystem<br />
bezeichnen kann. Zu diesem System gehören<br />
auch andere mit der Sozialisation beschäftigte Subsysteme<br />
(Schule, Familie usw.)<br />
Ein Lehrer ist einerseits in seiner Berufsrolle Teil dieses<br />
Systems. In seiner Rolle als Arbeitnehmer ist er aber<br />
auch Mitglied eines anderen Rollensystems, das man<br />
Wirtschaftssystem nennen könnte. Vielleicht ist der<br />
betreffende Lehrer auch noch in einer politischen Partei<br />
aktiv und damit Teil des politischen Systems, zusammen<br />
mit zahllosen weiteren Rollen vom Büroboten bis<br />
zum Bundeskanzler.<br />
Rollen sind also durch Erwartungen definiert, die an<br />
den Inhaber einer bestimmten Position gerichtet werden.<br />
Diese Erwartungen sind aber nicht subjektiv und<br />
beliebig, sondern gesellschaftlich normiert.<br />
So weiß z. B. jeder, auch ohne lange nachzudenken,<br />
was man von einem Lehrer erwartet und was nicht.<br />
Diese Erwartungen sind allgemein bekannt und anerkannt<br />
und werden durch Sanktionen durchgesetzt.<br />
Wenn ein Schüler die an ihn gerichteten Erwartungen<br />
nicht erfüllt, wird er schlechte Noten bekommen -<br />
sein Verhalten wird negativ sanktioniert. Andererseits<br />
kann die Erfüllung der Erwartungen auch z. B.<br />
durch ein Überspringen der Klasse belohnt werden<br />
(positive Sanktion).<br />
Rollen und Positionen sind immer komplementär.<br />
Zur Lehrerrolle gehört die Schülerrolle, die Elternrolle<br />
ist ohne Kinderrolle nicht möglich. Diejenigen,<br />
die ihre Verhaltenserwartungen an den Rolleninhaber<br />
richten, werden als Bezugsgruppe bezeichnet.<br />
Es gibt „Muss-Erwartungen“, die z. B. in Gesetzen<br />
festgelegt sind, „Soll-Erwartungen“, wie sie z. B. in<br />
der Schulordnung festgelegt sind und „Kann-Erwartungen“<br />
die im Alltag gelten, ohne dass sie schriftlich<br />
fixiert sind - z. B. Regeln für höfliches Benehmen.<br />
Diese allgemein anerkannten Verhaltenserwartungen<br />
werden als soziale Normen bezeichnet.<br />
Die sozialen Normen, die Rollenerwartungen bestimmen,<br />
sind kulturabhängig. Daher bekommt man<br />
unter Umständen Probleme, wenn man sich in einer<br />
neuen Kultur zurechtfinden muss, denn hier werden<br />
an die bekannte Position vielleicht andere Erwartungen<br />
gerichtet. Beispiele dafür kennst du sicher aus<br />
eigener Erfahrung!<br />
Ein Individuum, das ständig darüber nachdenken<br />
müsste, was andere von ihm erwarten, wäre schnell<br />
überfordert. In der Regel wissen wir ziemlich genau<br />
oder haben ein Gefühl dafür, welche Position wir<br />
gegenüber anderen Menschen gerade iinnehabenund<br />
was von uns erwartet wird. Wir haben im Laufe unserer<br />
Erziehung unsere Rollen sozusagen „auswendig<br />
gelernt“: internalisiert. Ein wichtiger Teil des funktionalen<br />
Rollenhandelns besteht also darin, die Erwartungen<br />
zu erfüllen, die an die Position geknüpft<br />
sind. Andererseits wird ein Mensch, der mechanisch<br />
die an ihn gerichteten Erwartungen erfüllt, sich wie<br />
ein Roboter verhalten und im sozialen Leben wenig<br />
Erfolg haben. Man erwartet vom Inhaber einer Position<br />
einerseits, dass er sich rollenkonform verhält.<br />
Der Lehrer soll sich wie ein Lehrer verhalten, die<br />
Mutter wie eine Mutter usw. Diese Erwartung spiegelt<br />
den Enkulturationsaspekt der Sozialisation.<br />
Andererseits erwarten wir, dass wir es in der sozialen<br />
Interaktion nicht nur mit einem Lehrer, einer Mutter<br />
usw., sondern mit einer unverwechselbaren Persönlichkeit<br />
zu tun haben. Wir erwarten, dass der Andere<br />
sich als Persönlichkeit verhält und nicht nur als Rollenträger.<br />
Diese Seite spiegelt den Individuationsaspekt<br />
der Sozialisation.
Sozialisation als Rollenlernen PA (Busse)<br />
Für erfolgreiches Rollenhandeln sind daher mehrere<br />
Fähigkeiten nötig:<br />
1. Rollendistanz: Fähigkeit, Normen oder Rollenerwartungen<br />
wahrzunehmen, sie zu interpretieren und<br />
mit ihnen reflektierend so umzugehen, dass die eigenen<br />
Bedürfnisse in die Interaktion eingebracht werden<br />
können.<br />
2. Role-Making: aktive Interpretation der Rolle, d. h.<br />
Selbstdefinition sozialer Beziehungen durch die<br />
wechselseitige Abarbeitung der aneinander gerichteten<br />
Ansprüche und Erwartungen.<br />
3. Role-Taking: die Fähigkeit, sich in einer sozialen<br />
Interaktion in den Partner hineinzuversetzen (Empathie),<br />
sich seine Gedanken und Gefühle vorstellen zu<br />
können und diese im eigenen Rollenverhalten zu<br />
berücksichtigen.<br />
4. Ambiguitätstoleranz: die Fähigkeit, Rollenkonflikte<br />
zu erkennen und auszuhalten.<br />
5. Identitätsdarstellung: die Fähigkeit, individuelle<br />
Erwartungen und Bedürfnisse im Rollenhandeln<br />
durch Symbole (z. B.Sprache, Mimik) zu zeigen.<br />
Rollenkonflikte<br />
Ein Individuum hat in der Regel nicht nur eine Rolle,<br />
sondern mehrere Rollen inne. Es kommt häufig vor,<br />
dass sich Erwartungen, die mit verschiedenen Rollen<br />
verknüpft sind, nicht gleichzeitig erfüllen lassen. Zum<br />
Beispiel müsste ich in meiner Rolle als Schüler meine<br />
Freizeit dem Lernen für das Abitur opfern, als Freund<br />
meiner Freundin müsste ich meine Freizeit mit ihr<br />
verbringen. Da es sich hier um einen Konflikt zwischen<br />
zwei Rollen handelt, sprechen wir von einem<br />
Inter-Rollenkonflikt.<br />
Aber auch innerhalb einer Rolle können Konflikte<br />
auftreten. So erwartet die Schule von einem Lehrer<br />
ein möglichst hohes Lerntempo und ein hohes Prüfungsniveau,<br />
während sich die Schüler weniger Stoff<br />
und ein geringeres Tempo wünschen. In diesem Fall<br />
besteht ein Konflikt zwischen verschiedenen Erwartungen,<br />
die innerhalb einer Rolle wirken. Man spricht<br />
deshalb von einem Intra-Rollenkonflikt.<br />
Welche Erwartungen sind deiner Meinung nach mit<br />
der Lehrerrolle verbunden? Welche persönlichen<br />
Erwartungen hast du darüber hinaus?<br />
Welche Sanktionen stehen dir gegenüber deinen Lehrer/inne/n<br />
zur Verfügung?Welche Sanktionen stehen<br />
den Lehrer/inne/n zur Verfügung?<br />
Nenne drei komplementäre Rollenpaare.<br />
Nenne jeweils ein Beispiel für Muss-, Kann- und Soll-<br />
Erwartungen.<br />
Handelt es sich bei den Beispielen (a und b) jeweils<br />
um einen Intra- oder um einen Interrollenkonflikt?<br />
a) Ein Werkmeister steht einerseits den Forderungen<br />
der Arbeiter gegenüber, ihre Interessen zu vertreten;<br />
andererseits ist er dem Arbeitgeber gegenüber für<br />
Arbeitsdisziplin und fristgerechte Fertigstellung eines<br />
Produkts verantwortlich.<br />
b) Ein Lehrer unterrichtet in der Klasse, in der sein<br />
eigenes Kind ist. Er wird bei bestimmten Forderungen<br />
des Kindes in die Verlegenheit kommen, sie als<br />
Lehrer zurückweisen zu müssen, während er ihnen als<br />
Vater nachgeben möchte.<br />
Ein Fallbeispiel:<br />
Mein Freund Karl Heinz ruft mich an und ist sauer.<br />
„Jetzt habe ich eine Woche Landkarten studiert, weil<br />
wir zusammen wandern wollten und da schickst du<br />
mir eine E-Mail, dass du nicht mitkommen kannst,<br />
weil ihr am Freitag eine Konferenz habt. Ich kann ja<br />
verstehen, dass du nicht einfach eine Konferenz absagen<br />
kannst, aber ich habe mir extra Urlaub genommen<br />
und möchte, dass du mit mir wandern gehst. Sag<br />
doch einfach, du wärst krank!“<br />
Damit bringt er mich in eine schwierige Situation: Ich<br />
kann mir natürlich gut vorstellen, dass er nicht sehr<br />
glücklich über meine Mail war. Ich kann mir auch<br />
vorstellen, wie sehr er sich auf die Wanderung gefreut<br />
hat.<br />
Andererseits möchte ich seinen Vorschlag nicht akzeptieren.<br />
Erstens sage ich nicht gerne, dass ich krank<br />
bin, wenn es nicht stimmt und zweitens werden in<br />
dieser Konferenz Dinge besprochen, die für mich sehr<br />
wichtig sind.<br />
Ich antworte also: „Ich kann dich gut verstehen, aber<br />
ich wusste noch nichts von dem Konferenztermin, als<br />
wir die Wanderung vereinbart haben. Ich möchte die<br />
Konferenz aber nicht versäumen, das musst du verstehen.<br />
Du hast sicher recht, wenn du jetzt enttäuscht<br />
bist, aber ich erwarte von einem Freund auch Verständnis<br />
dafür, dass ich nicht einfach meine Arbeit<br />
verlassen kann. Ich schlage vor, dass wir erst nach<br />
der Konferenz starten. Dann haben wir noch das ganze<br />
Wochenende zum Wandern.<br />
Wo zeigen sich hier Inter-/Intra-Rollenkonflikte? An<br />
welcher Stelle zeigt sich Rollendistanz, Role-Taking,<br />
Role-Making, Ambiguitätstoleranz oder Identitätsdarstellung?
Sozialisation als Rollenlernen PA (Busse)<br />
Der soziale Status<br />
Der statische Aspekt der Rolle ist die soziale Position.<br />
Die überwiegende Zahl der Positionen wird von<br />
der Gesellschaft bewertet. Wenn man in einer Umfrage<br />
bittet, die Positionen „Chef“ und „Angestellter“<br />
miteinander zu vergleichen, werden die meisten Befragten<br />
antworten, dass die Position des Chefs höher<br />
sei als die des Angestellten. Positionen lassen sich<br />
also auch auf einer vertikalen Skala anordnen - ganz<br />
oben die Schönen, Reichen oder Mächtigen - ganz<br />
unten die Hässlichen, Armen oder Schwachen. Wie<br />
kommt jedoch der Maßstab dieser Skala zustande?<br />
Wie weit „oben“ eine Position in der gesellschaftlichen<br />
Skala ist, lässt sich nicht objektiv messen, sondern<br />
ist abhängig von der Einschätzung dieser Position<br />
durch andere Menschen.<br />
Die vertikale Einordnung von Positionen geschieht<br />
immer im Verhältnis zu anderen Positionen. Der Chef<br />
wird in der Skala höher angesiedelt als der Angestellte,<br />
der Professor höher als der Student, der Student<br />
wiederum höher als der Lehrling im Betrieb.<br />
Soziale Positionen stehen in einer bestimmten Rangordnung<br />
zueinander. Es gibt höher und geringer bewertete<br />
Positionen. Eine solche bewertete Position<br />
nennt der Soziologe Status.<br />
Da der Status bewertet wird, kann man ihn – genau<br />
genommen – nur durch Umfragen o.ä. bestimmen. So<br />
kann z. B. eine repräsentative Menge von Menschen<br />
danach gefragt werden, wie hoch sie den Status eines<br />
Hochschulprofessors im Vergleich zu ihrer eigenen<br />
beruflichen Position sehen. Andererseits haben wir<br />
alle sehr verschiedene Positionen. Der Hochschulprofessor<br />
in unserem Beispiel könnte Studenten haben,<br />
die mehr Geld und ein größeres Auto haben als er,<br />
weil sie aus einer reichen Familie stammen. Es ist<br />
daher sehr leicht, den sozialen Status einer Position<br />
(z. B.eines Berufs) zu bestimmen, aber sehr schwer,<br />
den sozialen Status einer Person zu bestimmen.<br />
Nun kann man keinem Menschen an den Augen ansehen,<br />
ob er Professor, Millionär oder Arbeiter ist.<br />
Ein Hinweis auf den Status sind Statussymbole,<br />
Kennzeichen, die als typisch für einen sozialen Status<br />
angesehen werden.<br />
Erstelle eine Liste mit drei sozialen Positionen. Suche<br />
jeweils ein Beispiel für eine Position oberhalb und<br />
eine Position unterhalb dieser Position.<br />
An welchen Statussymbolen ist der Status dieser Positionen<br />
erkennbar?