[Das jugendpolitische Magazin für Baden-Württemberg ]
[Das jugendpolitische Magazin für Baden-Württemberg ]
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Ausgabe 1 · Juni 2007<br />
[ <strong>Das</strong> <strong>jugendpolitische</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>für</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>]<br />
Die Jugend<br />
hat keine<br />
Werte?!<br />
[<br />
Tina – there is<br />
no alternative<br />
<strong>Das</strong> Interview ]8<br />
[ ] 15<br />
Kinder haften<br />
<strong>für</strong> ihre Eltern<br />
Der Standpunkt<br />
[ ] 18<br />
Lesenswert, meint<br />
Ulrich Wickert<br />
Die Rezension
inhalt<br />
anriss<br />
Einige Worte an die LeserInnen richtet Berthold Frieß. 3<br />
[ 2 ]<br />
]<br />
schwerpunkt<br />
Warme Winter – Wertewandel. Was richtig und wichtig ist, kann<br />
sich schnell ändern, hat Jochen Mack beobachtet. 4<br />
Alte Fragen – neue Antworten. Was will die Jugend?<br />
Erwachsene, die sich ihren Fragen stellen, erklärt Evi Rottmair. 6<br />
aus jugendsicht<br />
Wertblubb? Klarsprech? Was Pägagogen sagen, muss <strong>für</strong><br />
Normalsterbliche übersetzt werden, belegt das JugendKabarett „DenkMal!“ 9<br />
Mein Tag mit den Werten. Eine Kette verpasster Gelegenheiten<br />
zur Wertekommunikation schildert die 19-jährige Ute Larsen. 10<br />
das interview<br />
Tina – there ist no alternative. Sabine Kurtz, CDU und Klaus Stapf, attac<br />
sprechen mit Berthold Frieß über „Werte in der Politik“. 12<br />
der standpunkt<br />
Kinder haften <strong>für</strong> ihre Eltern. <strong>Das</strong>s die junge Generation<br />
um ihre Zukunft betrogen wird, ärgert Michael Kalff. 14<br />
ljr-intern<br />
Frauenpower in der Jugendpolitik<br />
Neuwahlen zum Vorstand des Landesjugendrings im April 2007 16<br />
Planungssicherheit <strong>für</strong> vier Jahre<br />
„Bündnis <strong>für</strong> die Jugend“ unterschriftsreif 17<br />
(Jugend-)Ring frei – Jugendliche mit Migrationshintergrund 18<br />
Gesichter des LJR – Julia Reichert 19<br />
jugendarbeit<br />
Souvenir de Gurs – Stadtjugendring Mannheim 20<br />
Girls Go Movie – 32 Filme im Wettbewerb 20<br />
Traktor und Motorsäge – Berufswettbewerb der Landjugend 21<br />
650 Erfolgserlebnisse – KOMET 21<br />
rezension<br />
Spannend, wertvoll, lesenswert! TV-Moderator Ulrich Wickert<br />
lobt das Buch „Jugend im WertAll“ 22<br />
20.6.2007<br />
Forum Grundeinkommen,<br />
Stuttgart<br />
20./21.6.2007<br />
„Früh übt sich…“ Zugänge und<br />
Facetten freiwilligen Engagements<br />
junger Menschen, Bad Boll<br />
13./14.7.2007<br />
Kinder- und Jugendhilfetag,<br />
Stuttgart<br />
24. Juli 2007<br />
„Interkulturelle Kompetenz – wie<br />
kommt sie in unser Konzept der<br />
Juleica-Schulung?“, Stuttgart<br />
29.7.2007<br />
Fachtag Kooperation von Jugendhilfe<br />
und Schule, Freiburg<br />
22.10.2007<br />
Fachkongress Jugendarbeit und<br />
Schule mit der Akademie der<br />
Jugendarbeit<br />
Impressum<br />
„kontur – <strong>Das</strong> <strong>jugendpolitische</strong> <strong>Magazin</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>“<br />
Herausgeber:<br />
Landesjugendring <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> e.V.<br />
Siemensstraße 11, 70469 Stuttgart<br />
Tel. 0711/16 447-0, Fax 0711/16 447-77<br />
E-Mail: info@ljrbw.de<br />
Internet: www.ljrbw.de<br />
Redaktion: Irene L. Bär (Leitung),<br />
Berthold Frieß, Evi Rottmair, Eva Lang,<br />
Dr. Michael Kalff, Eva Reinhardt<br />
Artikel einzelner AutorInnen geben nicht<br />
unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.<br />
Layout: Gabriele Schmidt, Freiburg<br />
Auflage: 2.000 Exemplare<br />
Druck: Laubengaier, Stuttgart<br />
V.i.S.d.P.: Berthold Frieß<br />
Stuttgart, im Juni 2007<br />
[ ]<br />
ljr-termine<br />
]<br />
Fotos: Landesjugendring, Foto-DVD „Blickwinkel“ (dieprojektoren agentur <strong>für</strong> gestaltung und präsentation /<br />
Journalistenbüro Röhr :Wenzel / studioprokopy werbeagentur & fotostudio), privat, Duisburger Akzente
[ Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
vor ein paar Wochen haben Aktivisten am<br />
Berliner Reichstagsgebäude den Schriftzug<br />
„Dem Deutschen Volke“ ersetzt durch „Der<br />
Deutschen Wirtschaft“. „Die Würde des Menschen<br />
ist unantastbar“ wurde zu „Die Wünsche<br />
der Wirtschaft sind unantastbar“. Diese Aktion<br />
lenkt die Aufmerksamkeit auf einen massiven<br />
Wertekonflikt: Menschenwürde oder Gewinnmaximierung?<br />
Demokratie oder Lobbyistenrepublik?<br />
In <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> wird derzeit ein neues<br />
„Gesetz zur Stärkung des Ehrenamtes“ auf den<br />
Weg gebracht. Bei der Novellierung des bisherigen<br />
„Sonderurlaubsgesetzes“ wird dieser<br />
Grundkonflikt ebenfalls deutlich. Sollen Auszubildende<br />
nur fünf oder wie alle anderen auch<br />
zehn Tage Freistellung erhalten? Werden Einschränkungen<br />
<strong>für</strong> die Freistellungsgewährung<br />
durch die Betriebe direkt ins Gesetz hineinformuliert<br />
oder wie bisher im Anhang belassen.<br />
Für die AntragstellerInnen sind das wichtige<br />
Fragen und <strong>für</strong> die Träger der entsprechenden<br />
Maßnahmen der Jugendarbeit auch. Aber die<br />
Wirtschaftsunternehmen scheinen sich mit<br />
ihren Interessen im Engagementland <strong>Baden</strong>-<br />
<strong>Württemberg</strong> durchzusetzen. Aus meiner Sicht<br />
ein konkretes Beispiel <strong>für</strong> einen Wertekonflikt<br />
aus dem Politikalltag; ein Beispiel, wo ökonomische<br />
Werte den Vorrang vor zivilgesellschaftlichen<br />
Werten erhalten.<br />
Und damit sind wir mittendrin im Thema dieses<br />
Heftes. Sie halten die erste Ausgabe von „kontur<br />
– <strong>Das</strong> <strong>jugendpolitische</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>für</strong> <strong>Baden</strong>-<br />
<strong>Württemberg</strong>“ in den Händen. Der Landesjugendring<br />
<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> bringt dieses<br />
neue Printprodukt auf den Markt, weil er damit<br />
eine Lücke schließen und eine Plattform <strong>für</strong> die<br />
<strong>jugendpolitische</strong> Diskussion in unserem Bundesland<br />
bieten will. „kontur“ ist ein <strong>Magazin</strong> <strong>für</strong><br />
die politischen Anliegen der Jugend und der<br />
Jugendarbeit in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>. Der Landesjugendring<br />
will in ihm nicht nur über Vorgänge<br />
in Jugendarbeit und -politik informieren,<br />
sondern auch Meinung ermöglichen und machen.<br />
Damit ist „kontur“ mehr als das Nachfolgeheft<br />
des bisherigen Kurzinfo, und gemeinsam<br />
mit Newsletter und Internetauftritt ein<br />
wichtiger Baustein in unserem überarbeiteten<br />
Kommunikationskonzept.<br />
„kontur“ ist ein völlig neues Format, von dem<br />
wir hoffen, dass es Ihnen zusagt. Auf Anregungen<br />
und Kritik sind wir angewiesen und<br />
freuen uns auf viele Reaktionen zu Konzeption<br />
und Inhalt. In diesem Jahr wird es eine weitere<br />
Ausgabe geben. In den kommenden Jahren planen<br />
wir jeweils drei Hefte im Jahr. <strong>Das</strong> <strong>Magazin</strong><br />
„kontur“ wird von uns aus einer Reihe von<br />
Gründen kostenlos abgegeben. Einen sehr nen-<br />
[ anriss<br />
Ach, das ist das Schöne an der Jugend,<br />
dass sie mit ebensoviel Hoffnungen operiert<br />
wie das Alter mit Erinnerungen.<br />
Bertha von Suttner (1843 - 1914)<br />
nenswerten Teil der Kosten können wir durch<br />
die Zusammenarbeit mit der Sparda-Bank<br />
decken – darüber freue ich mich sehr. Weitere<br />
Einnahmen wollen durch Spenden erzielen, um<br />
die wir Sie als Leserin und Leser einmal im Jahr<br />
bitten. Schon jetzt vielen Dank <strong>für</strong> Ihre Unterstützung.<br />
Die erste „kontur“-Ausgabe handelt von Werten.<br />
Nicht zuletzt „unser“ Landesstiftungsprojekt<br />
„Jugend im WertAll“ hat uns verdeutlicht,<br />
dass es immer Werte sind, die unser Denken,<br />
Reden und Handeln prägen. Und wiederum<br />
sind es unser Reden und Handeln und die Übereinstimmung<br />
von beiden, die die Entwicklung<br />
von Werten bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen<br />
in unserer Gesellschaft prägen. In<br />
diesem Heft soll es bewusst um die politische<br />
Dimension des Wertethemas gehen – pädagogisch<br />
und praktisch ist mit dem WertAll-Buch<br />
alles gesagt. Wir fragen: Wie wandeln sich Werte<br />
in der Politik? Wie bestimmt das Politische<br />
das Pädagogische mit? Warum sprechen Erwachsene<br />
den jungen Menschen regelmäßig<br />
Werte ab? Welche Gelegenheiten zum Wertelernen<br />
sehen Jugendliche? Wie kann Politik<br />
Wertebildung fördern? Wie verwirklichen politisch<br />
Aktive ihre Werte? Viele wertehaltige<br />
Fragen, denen die AutorInnen in diesem Heft<br />
nachgehen.<br />
Anregende Einsichten beim Lesen wünscht<br />
Ihr<br />
Berthold Frieß, Vorsitzender<br />
Berthold Frieß<br />
[ 3]
[ 4 ]<br />
Was richtig und wichtig ist,<br />
kann sich schnell ändern,<br />
hat Jochen Mack beobachtet.<br />
[ ]<br />
Warme Winter –<br />
Wertewandel<br />
„Trittin verhöhnt<br />
deutsche Autofahrer“ tönte die<br />
Zeitung mit den großen Buch-<br />
staben und kleinen Inhalten vor<br />
zwei Jahren, als der damalige<br />
Umweltminister angesichts der<br />
drohenden Klimakatastrophe<br />
dazu aufrief, auch mal das Auto<br />
stehen zu lassen oder Fahr-<br />
gemeinschaften zu bilden.<br />
Zwei Jahre und einen warmen Winter später<br />
setzt sich die Erkenntnis durch, dass sich das<br />
Klima ändert und dass der Mensch daran nicht<br />
unwesentlich beteiligt ist. Prompt gibt die Redaktion<br />
der genannten Zeitung zahlreiche Hinweise,<br />
was der/die Einzelne tun kann, um die<br />
Umwelt doch noch zu retten. Unter vielen<br />
anderen: „Lassen Sie öfter mal das Auto stehen<br />
oder bilden Sie Fahrgemeinschaften.“<br />
<strong>Das</strong> kann man schäbig finden, ist aber in der<br />
Logik einer Boulevardzeitung richtig: Man<br />
schreibt, was die Menschen lesen wollen und<br />
wenn ein Thema <strong>für</strong> Aufregung und Beunruhigung<br />
sorgt, stürzen sich kommerzielle<br />
Medien auf dieses Thema und nutzen es <strong>für</strong> ihre<br />
Zwecke.<br />
Die Bild-Zeitung war nicht die einzige, die ihr<br />
Fähnlein eilends umhängte, als der neue<br />
Klimawandel-Bericht veröffentlicht wurde. Auf<br />
einmal entdeckten alle Parteien und alle Industriezweige,<br />
dass sie ja eigentlich schon so viel<br />
<strong>für</strong> ein besseres Klima tun. Die Autoindustrie<br />
will Autos bauen, die etwas weniger Sprit<br />
brauchen, Energie soll effizienter genutzt<br />
werden, auch gegen den Ausbau erneuerbarer<br />
Energien hat niemand ernsthaft Einwände.<br />
Doch Einigkeit besteht nur bis zu dem Grad, an<br />
dem es nicht weh tut. Geht es an Verzicht, wird<br />
Jochen Mack<br />
die Schar der überzeugten Klimaschützer kleiner.<br />
Weniger Flugverkehr, ein Tempolimit,<br />
weniger Autofahrten oder weniger Fleischkonsum<br />
wären zwar gut <strong>für</strong> das Klima, schränken<br />
aber schon die gewohnte Lebensführung ein.<br />
Hier prallen Werte mit großer Wucht aufeinander:<br />
<strong>Das</strong> hohe Gut der Freiheit und der<br />
Selbstverwirklichung kollidiert mit der Verantwortung<br />
gegenüber den nachfolgenden Generationen.<br />
Angesichts der bisherigen Ignoranz<br />
gegenüber dem Umweltthema kann getrost bezweifelt<br />
werden, ob Appelle allein etwas bewirken,<br />
oder ob es nicht massive staatliche Eingriffe<br />
braucht, um die Menschen in unserem<br />
Land zu einem umweltbewussten Verhalten zu<br />
bewegen.
Wertekonflikte dieser Art sind zahlreich in unserer<br />
Gesellschaft. Ein weiteres anschauliches<br />
Beispiel bietet die Einführung von Rauchverboten.<br />
Wäre es einer liberalen Gesellschaft nicht<br />
angemessen, den Nichtraucherschutz dem<br />
freien Markt zu überlassen? Kneipen, in denen<br />
nicht geraucht werden darf, könnten mit einer<br />
höheren Nachfrage durch NichtraucherInnen<br />
rechnen. Was steckt dahinter, wenn Rauchverbote<br />
strikt in Schulen und Jugendhäusern,<br />
möglicherweise aber nicht in allen Gaststätten<br />
gelten sollen? Welche Botschaft vermittelt dies<br />
jungen Menschen?<br />
Auch beim Thema Kinderbetreuung prallen<br />
unterschiedliche Wertvorstellungen aufeinander.<br />
Auf der einen Seite steht die Selbstbestimmung<br />
von Männern und Frauen, die sich<br />
entscheiden, trotz Kindern Karriere zu machen<br />
und damit viel in den Beruf zu investieren und<br />
auf der anderen Seite der Wunsch und die Verantwortung,<br />
viel Zeit mit den Kindern zu verbringen.<br />
Die Politik hat die zugegebenermaßen schwierige<br />
Aufgabe, zwischen verschiedenen Werten<br />
abzuwägen und eine Entscheidung zu fällen.<br />
Dies wird nicht einfacher, wenn alle konkur-<br />
Ich bin in einer glücklichen<br />
Zeit geboren. Den Ausdruck<br />
Jugendkriminalität gab es<br />
noch nicht. Uns nannte<br />
man einfach Landplage.<br />
Unbekannt<br />
rierenden Werte legitim sind. Und die zuständigen<br />
PolitikerInnen können ja nicht in Ruhe<br />
abwägen – die Entscheidungsfindung findet<br />
immer als Drahtseilakt in einem medialen<br />
Zirkus statt, der, teilweise stark durch Einzelinteressen<br />
geleitet, ständig Druck in die eine<br />
oder andere Richtung aufbaut.<br />
PolitikerInnen stehen in ständiger Angst um die<br />
Wiederwahl. Deshalb orientieren sie sich weniger<br />
an ihrem Wertekonzept, mit dem sie sich<br />
der Wählerschaft angeboten haben, sondern an<br />
den wöchentlich erscheinenden Umfragen über<br />
ihre Popularitätswerte. Als VertreterIn der<br />
Jugend kennt man gut Sätze wie: „Sie haben ja<br />
Recht, aber das, was Sie wollen, können wir<br />
leider nicht durchsetzen – da<strong>für</strong> ist die jeweilige<br />
Lobby zu stark.“<br />
Dazu gibt es eine zunehmende Tendenz vor<br />
allem durch juristisch vorgebildete Politiker-<br />
Innen, Konflikte zu „ent-werten“ und sie rein<br />
technokratisch oder bürokratisch zu regeln. Die<br />
Werte-Frage, ob wir beispielsweise einen funktionierenden<br />
öffentlich-rechtlichen Rundfunk<br />
brauchen, landet dann in der Debatte, was die<br />
Frequenzzuweisungsverordnung der EU sagt.<br />
Diese Technokratisierung von Wertedebatten<br />
führt zu einer Entmündigung und Entpolitisierung<br />
der Gesellschaft: Zum einen können<br />
nur noch wenige mitreden und zum anderen<br />
prallen nicht mehr Werte aufeinander, sondern<br />
Gesetzesinterpretationen.<br />
[ schwerpunkt<br />
Diese Technokratisierung von Politik verstärkt,<br />
dass zunehmend viele PolitikerInnen über kein<br />
stabiles Wertegerüst verfügen. Sie können mühelos<br />
in kurzer Zeit völlig konträre Positionen<br />
vertreten, wenn dies gefragt ist. Dies kann man<br />
daran erkennen, wie viele PolitikerInnen es<br />
wagen, zwar richtige aber unpopuläre Maßnahmen<br />
zu fordern.<br />
In diesem Kontext haben Jugendorganisationen<br />
eine doppelte Funktion. Zum einen haben sie<br />
die Aufgabe, die Wertefragen wach zu halten<br />
und PolitikerInnen daran zu erinnern, dass sie<br />
<strong>für</strong> bestimmte Werte angetreten sind, an denen<br />
sie sich auch gegen Widerstände orientieren<br />
müssen. Dies gilt vor allem <strong>für</strong> viel beschworene<br />
aber selten konsequent umgesetzte Werte<br />
wie etwa die Solidarität mit den nachfolgenden<br />
Generationen.<br />
Zum anderen tragen sie wesentlich dazu bei,<br />
dass Jugendliche ihr eigenes Wertesystem entwickeln<br />
können. Dies sind keine abgeschlossenen<br />
Prozesse, aber in der Auseinandersetzung<br />
mit Werten z.B. in Jugendverbänden entwickeln<br />
junge Menschen eine Vorstellung von dem, was<br />
sie <strong>für</strong> wichtig halten und setzen sich <strong>für</strong> diese<br />
Werte gemeinsam ein. So haben sie eine Basis,<br />
auf der sie später aufkommende Wertekonflikte<br />
entscheiden können. Sie sind dann nicht so<br />
sehr in Gefahr nur das zu tun, was gut ankommt,<br />
sondern das, was am meisten ihren<br />
Wertvorstellungen entspricht.<br />
Je mehr solcher Menschen es gibt, desto besser<br />
<strong>für</strong> ein Gemeinwesen. Nur dann kann Demokratie<br />
gut funktionieren und nur dann gibt es<br />
(wieder) hart geführte Auseinandersetzung<br />
über das „Wohin“ in unserer Gesellschaft, in<br />
der so viel über das „wie“ geredet wird.<br />
Jochen Mack<br />
[ 5]
[ 6 ]<br />
Was will die Jugend? Erwachsene,<br />
die sich ihren Fragen stellen,<br />
erklärt Evi Rottmair.<br />
[ ]<br />
Alte Fragen –<br />
neue Antworten<br />
Evi Rottmair<br />
Was ist <strong>für</strong> mein Leben wichtig? Wie<br />
finde ich meinen Platz in der Gesellschaft?<br />
Was bedeuten Respekt, Fairness,<br />
Ehrlichkeit? Welche Werte tragen und was<br />
bedeutet das <strong>für</strong> mein eigenes Handeln?<br />
<strong>Das</strong> sind Fragen, die zum Erwachsen werden<br />
gehören und sich im Grunde genommen durchs<br />
ganze Leben ziehen. Fragen, die Jugendliche<br />
beschäftigen, die in einer Welt leben, in der<br />
vieles möglich und wenig sicher ist. Jugendliche<br />
sind herausgefordert, in einer Gesellschaft mit<br />
einer verwirrenden Vielfalt von Weltbildern,<br />
Lebensentwürfen und Werthaltungen, ihren eigenen<br />
Weg zu finden, sich zu eigenständigen<br />
Persönlichkeiten zu entwickeln. Dazu gehört<br />
auch, dass Jugendliche ihre eigenen Wertesysteme<br />
entwickeln.<br />
Die Träger außerschulischer Jugendbildung<br />
wollen Jungen und Mädchen auf diesem Weg<br />
begleiten und unterstützen. Die Auseinandersetzung<br />
mit Werten wird dabei verstanden als<br />
aktive Wertebildung und nicht als reaktive Anpassung<br />
an vorgegeben Wertehierarchien. Zur<br />
Wertebildung gehört die Fähigkeit, Überzeugungen<br />
in Worte zu fassen, sprachfähig zu<br />
werden. Mit der Sprachfähigkeit entsteht die<br />
Fähigkeit, Erlebnisse in Erfahrungen zu verarbeiten,<br />
sich davon leiten zu lassen und entsprechend<br />
zu handeln. Dies gelingt, wenn<br />
Jugendliche authentische Werte-Erfahrungen<br />
machen, Werte reflektieren und kommunizieren,<br />
sich wirksam engagieren können.<br />
Werthaltungen bilden sich in der Zeit von 12 bis<br />
24 Jahren und bleiben dann meist ein ganzes<br />
Leben stabil. <strong>Das</strong> Programm der Landesstiftung<br />
<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> „Jugend im WertAll“ lotete<br />
daher in 71 ganz unterschiedlichen Projekten<br />
aus, wie mit jungen Menschen über Werte kommuniziert<br />
werden kann. Es entstand Raum <strong>für</strong><br />
Begegnung und Kommunikation, <strong>für</strong> Erfahrung<br />
und Reflexion, <strong>für</strong> Experiment und Orientierung.<br />
Sehr zur Überraschung mancher PädagogInnen,<br />
haben Jugendliche diese Räume gerne<br />
und engagiert genutzt und sich auf die Auseinandersetzung<br />
mit Werten eingelassen. Besonders<br />
interessant wurde es immer da, wo<br />
verschiedene Werte-Welten zusammentrafen:<br />
Benachteiligte Jugendliche und Fußball-Stars;<br />
Jugendliche und Obdachlose, Junge und Alte;<br />
Behinderte und nicht Behinderte; Jugendliche<br />
und gestandene PolitikerInnen; Islam und<br />
Christentum; Sport und Jugendliche im Heim…<br />
In der Unterschiedlichkeit von Lebenswelten<br />
werden die Kernfragen besonders schnell<br />
deutlich.
Die außerschulische Jugendbildung schafft in<br />
ihrer Unterschiedlichkeit einen idealen Rahmen<br />
zur Kommunikation über Werte mit Jugendlichen<br />
und <strong>für</strong> Jugendliche untereinander. Mit<br />
ihrer Vielfalt von Angeboten und Profilen bieten<br />
sie interessierten Jugendlichen eine breite<br />
Palette von Möglichkeiten, sich zu identifizieren<br />
und zu engagieren. Verbände und Vereine<br />
vertreten mit ihrem jeweils spezifischen Profil<br />
eigener Werte und Ideale die Anliegen und<br />
Interessen junger Menschen in der Gesellschaft<br />
und gegenüber den politischen Verantwortlichen.<br />
Und sie stellen sich mit ihrem Profil auch<br />
der Auseinandersetzung mit den Jugendlichen.<br />
Prinzipien wie Partizipation, Demokratie, Freiwilligkeit<br />
und Selbstorganisation lassen Jugendliche<br />
erleben, dass sie ernst genommen<br />
werden, ihre Meinung zählt und ihr Engagement<br />
erwünscht ist, dass sie aber auch herausgefordert<br />
sind, zu handeln und Verantwortung<br />
zu übernehmen.<br />
Auf diese Weise entstehen Kommunikationsplattformen,<br />
auf denen alle mitreden und mitbestimmen<br />
dürfen, solange sie sich auf dem<br />
Boden des Grundgesetzes und demokratischer<br />
Prinzipien bewegen.<br />
Dabei ist es wichtig, Differenzen nicht zu verschweigen,<br />
die vielfältigen Identitäten ernst zu<br />
nehmen, Werte zu profilieren, sorgfältig zu<br />
prüfen und sich nicht einfach nur dem Mainstream<br />
unterzuordnen. Außerschulische Jugendbildung<br />
ermöglicht Werteheimaten zu finden,<br />
sie ermöglicht Gespräche untereinander und<br />
gemeinsame Anliegen zu verfolgen.<br />
Außerschulische Jugendbildung landet allerdings<br />
dort ganz schnell an ihren Grenzen, wo<br />
sie nicht konform mit der Mehrheitsmeinung<br />
geht, wo ihre Forderungen unbequeme Konsequenzen<br />
<strong>für</strong> ältere Generationen bedeuten,<br />
wo gute Ideen eben auch Geld kosten oder<br />
wenn sie versucht, bei Themen mitzureden, zu<br />
denen andere sich schon eine feste Meinung<br />
gebildet haben. Eigentlich schade, dass sich<br />
daran so wenig ändert. Hat Friedrich von Bodelschwingh<br />
doch bereits Ende des 19. Jahrhunderts<br />
eines der zentralen Anliegen und<br />
Bedürfnisse junger Menschen folgendermaßen<br />
auf den Punkt gebracht: „Was will die Jugend<br />
unserer Zeit? Nichts anderes als neue Antworten<br />
auf uralte Fragen.“ Nicht mehr, aber<br />
auch nicht weniger als das.<br />
Welchen Grund hätten wir Erwachsenen, wir<br />
ehrenwerten Mitglieder der modernen Gesellschaft,<br />
uns diesen Fragen und der Suche nach<br />
brauchbaren Antworten zu verweigern? Vielleicht<br />
das Unbehagen darüber, dass die Antworten<br />
anders ausfallen könnten als unsere eigenen,<br />
in denen wir uns unser Leben bequem<br />
eingerichtet haben?<br />
Und wie sollen Jugendliche mit der Diskrepanz<br />
umgehen, dass einerseits die Erwachsenengesellschaft<br />
bestimmte Werte, wie zum Beispiel<br />
Ehrlichkeit, die Würde der Person oder der<br />
Respekt vor dem menschlichen Leben als gültig<br />
erklärt und ihre Einhaltung von ihnen verlangt,<br />
sie andererseits aber täglich erleben oder über<br />
die Medien erfahren, dass genau diese Werte<br />
im öffentlichen nationalen wie internationalen<br />
[ schwerpunkt<br />
Leben zur Disposition stehen? Zumal viele Erwachsene<br />
sehr genau beobachten, ob Jugendliche<br />
sich an die Vorgaben halten und entsprechend<br />
kritisieren, falls sie es nicht tun.<br />
Jugendliche haben einen Anspruch darauf, dass<br />
sich Erwachsene ihren Fragen stellen, ehrlich<br />
Position beziehen, Vorbild sind und es aushalten,<br />
wenn „Junge“ zu anderen Ergebnissen<br />
kommen, als sie selbst.<br />
Jugendliche haben auch ein Recht darauf, mit<br />
ihren Ideen und Positionen in der Gesellschaft,<br />
in der sie leben, Gehör und Respekt zu finden.<br />
Unseren politischen VertreterInnen würde es<br />
ebenfalls gut anstehen, sich zu stellen und<br />
ihrerseits Zeichen zu setzen <strong>für</strong> eine zukunftsfähige<br />
Gesellschaft. Hat nicht eine baden-württembergische<br />
Oppositionspolitikerin kürzlich<br />
mit dem Slogan „Geradlinig – Zupackend –<br />
Wertebewusst“ <strong>für</strong> sich und ihre Partei geworben?<br />
Gelegenheiten, Worten auf Plakaten<br />
Taten in der Praxis folgen zu lassen, ließen sich<br />
sicher genügend finden und das auch <strong>für</strong> die<br />
Oppositionsparteien.<br />
Jugendliche wären sicher gerne bereit, mitzudenken<br />
und mit anzupacken, wenn sie konkrete<br />
Anlässe und Angebote dazu bekommen<br />
und erfahren, dass ihr Engagement wertgeschätzt<br />
wird und etwas bewirkt.<br />
Dann wäre das Konzept der Wertekommunikation<br />
keine pädagogische Insel der Seligen,<br />
sondern der Beginn eines Dialogs darüber, wie<br />
eine Zukunft mit Perspektive aussehen kann.<br />
Dann entstünde eine weitere Kommunikationsplattform,<br />
die zur Entwicklung von Ideen und<br />
Strategien <strong>für</strong> eine hoffnungsvolle Zukunft gut<br />
zu nutzen wäre.<br />
Dann hätte sich George Bernhard Shaw geirrt:<br />
„Alte Leute sind gefährlich; es ist ihnen völlig<br />
egal, was aus der Welt wird“.<br />
Evi Rottmair<br />
[ 7 ]
Was Pägagogen sagen, muss<br />
<strong>für</strong> Normalsterbliche übersetzt werden,<br />
belegt das JugendKabarett „DenkMal!“.<br />
Die Szenerie ist so einfach wie harmlos. Frau<br />
Griesel-Geisenlupf, eine erfahrene Pädagogin,<br />
die sich bei WertAll-Projekten einen gewissen<br />
Ruf erworben hat, soll vor laufender Kamera<br />
über ihre Arbeit berichten. Und schon geht es<br />
los.<br />
Moderator: Ich begrüße nun hier im Studio Frau<br />
Griesel-Geisenlupf. Guten Tag.<br />
Pädagogin: Hallo. Ich stehe hier natürlich stellvertretend<br />
<strong>für</strong> die vielen engagierten<br />
Kolleginnen und Kollegen, denen<br />
mein und unser aller Dank<br />
gebührt.<br />
„Wurde Zeit, dass ihr Fernsehpfeifen auch mal<br />
was von mir bringt“, schnarrt plötzlich eine<br />
emotionslose Stimme aus den Studiolautsprechern.<br />
Unsere etwas irritiere Pädagogin<br />
will natürlich wissen, was das war.<br />
Moderator: Was? Ach so, nichts weiter. Wir haben<br />
uns nur erlaubt, einen Dolmetscher<br />
zu engagieren, der ihre<br />
pädagogische Fachsprache in Alltagssprache<br />
übersetzt. Sie wollen<br />
ja schließlich verstanden werden.<br />
Pädagogin: Verstanden? Ah, verstehe, ha, ha,<br />
ha. Eine interessante Idee.<br />
„So ein Scheiß, ich glaub es nicht“, tönt es<br />
durchs Studio. Der Moderator beginnt seine<br />
Befragung.<br />
[ 8 ]<br />
[ ]<br />
Wertblubb?<br />
Klarsprech?<br />
„Jugend im WertAll“, das Projekt von Landesstiftung und LJR, hat unter den 71 Einzel-<br />
projekten eine echte Sensation geboren. In Reutlingen entstand ein politisches Jugend-<br />
Kabarett, die Gruppe DenkMal! In nur sechs Monaten ist ein hellwaches, rotzfreches,<br />
zehnköpfiges Ensemble entstanden – mit einem Wirbelwind an bühnenreifem Programm!<br />
Eine Kostprobe lieferten die Jungs und Mädels bei der WertAll-Tagung am 3. März 2007 in<br />
Bad Boll, die Welt-Premiere wurde auf der Kleinkunstbühne Reutlingen am 11. Mai 2007<br />
gefeiert. Hier ein Aussschnitt aus dem Auftritt vor Pädagogen in Bad Boll.
Moderator: Frau Griesel-Geisenlupf. Sie sind<br />
Initiatorin eines Projekts zu Jugend<br />
und Werten. Außerdem haben sie<br />
am WertAll-Buch mitgewirkt. Um<br />
welches Projekt geht es da? Wie<br />
nennt es sich?<br />
Pädogogin: Körper und Rhythmus im interkulturellen<br />
Spannungsfeld von<br />
Selbstwirksamkeitserwartungen<br />
und kulturaler Depravationstendenzen.<br />
[ ]<br />
„Blubb, blubb, blubb”, kommt aus den Lautsprechern.<br />
Der nun seinerseits etwas irritierte<br />
Moderator bittet um Erläuterung.<br />
Pädagogin: Gern. Grundgedanke war, die Konfrontation<br />
von Jugendlichen aus<br />
dem Prekariat mit ethnisch geprägten<br />
Rhythmen und Mustern<br />
mit dem Ziel zu wagen, diese<br />
archaischen Ganzheitlichkeitserfahrungen<br />
zum Fokus eigener Sinngebungsversuche<br />
zu machen.<br />
„Es geht um Volkstanz und Folklore <strong>für</strong> Assis.“<br />
<strong>Das</strong> versteht selbst der Moderator, der nun<br />
wissen will, wie das Projekt von den Jugendlichen<br />
angenommen wird. Für unsere versierte<br />
Pädagogin natürlich eine Routinefrage.<br />
Pädagogin: Es war klar, dass die erste Schwierigkeit<br />
darin bestehen wird, die<br />
Bereitschaft <strong>für</strong> kollektive Sinnlichkeitsrituale<br />
nach traditionalen<br />
Mustern zu wecken.<br />
„Die Scheißer hatten null Bock auf Gedöns und<br />
Rumgehüpfe“, so die gnadenlose Übersetzung.<br />
Davon unbeeindruckt führt Frau Griesel-<br />
Geisenlupf weiter aus.<br />
Pädagogin: Und als dann ein sehr selbstbewusster<br />
junger Mann türkischer<br />
Herkunft sich seiner Körperwahrnehmung<br />
spontan und ausdrucksstark<br />
bewusst wurde, kam es zu<br />
einer emotionalen Übertragung innerhalb<br />
der Gruppe. <strong>Das</strong> Eis war<br />
gebrochen.<br />
„Dieser Kanakenmacho. Um den Tritt in die Eier<br />
hat der schon viel zu lange gebettelt. Und die<br />
anderen spuren jetzt auch.“ ‚Aua!’, denkt sich<br />
der Moderator und fragt zunächst sich und<br />
dann die anwesende Pädagogin, was das wohl<br />
bringt.<br />
Moderator: Kommen wir zurück zum Projekt.<br />
Sie sprachen eingangs vom Projektziel.<br />
Haben sie dieses Ziel erreicht?<br />
Pädagogin: Lassen sie es mich so sagen: Der<br />
spannende Versuch, Alltagserfahrungen<br />
zu entgrenzen, indem ganzheitliche<br />
Selbstwirksamkeit konzeptionell<br />
in den Fokus…<br />
Moderator: Lokus?<br />
Pädagogin: Keine Ahnung, ich glaube dritte Tür<br />
links. Aber jetzt haben sie mich<br />
unterbrochen.<br />
Moderator: Tut mir leid, sie sprachen vom<br />
selbstwirksamen Lokus, glaube ich.<br />
Pädagogin: Quatsch, Fokus. Ich sprach vom Fokus<br />
sinnhafter Ausdrucksarbeit,<br />
der sich natürlich nicht auf ein<br />
operationalisierbares Ziel reduzieren<br />
lässt.<br />
[aus jugendsicht<br />
„Blöde Fragen? Seit wann geht’s bei Projekten<br />
um irgendwelche Ziele?“, so die unbeeindruckte<br />
Dolmetscherstimme. Nun will es der<br />
Moderator genau wissen.<br />
Moderator: Heißt das, heiße Luft, nichts als<br />
heiße Luft? Viel Wirbel um nichts,<br />
reine Stauberei. Es gibt gar keine<br />
Ziele, oder?<br />
Pädagogin: Entschuldigung, von was reden sie?<br />
Doch zum Glück ist der Dolmetscher zweisprachig<br />
und lässt sich auf Bitten des Moderators<br />
zu einem klärenden Wort an unsere<br />
Pädagogin herab.<br />
„Statt eindimensionaler Zielbestimmung ist<br />
jugendliche Wertbildung im Wirkungsgefüge<br />
prozessualer Komplexität vielmehr als permanente<br />
Anforderung zu begreifen.“<br />
Pädagogin: Genau, das sag ich doch die ganze<br />
Zeit. Und in meinem Buchbeitrag<br />
führe ich aus, weshalb es unser<br />
aller Anliegen sein müsste, in diese<br />
Richtung weiterzudenken.<br />
„Leute, kauft das Buch. Ihr müsst es ja nicht<br />
lesen, aber kaufen.“<br />
Moderator: Nun denn, die Sendezeit ist vorüber.<br />
„Puh! Geschafft.“<br />
Moderator: Ich bedanke mich <strong>für</strong> ihr Interesse.<br />
Tschüss bis zum nächsten Mal.<br />
Pädagogin: Dem schließe ich mich an.<br />
„Sie mich auch.“<br />
Weitere Informationen und Auftrittstermine<br />
unter www.steine-werfen.de.<br />
[ 9]
Eine Kette verpasster Gelegenheiten<br />
zur Wertekommunikation schildert<br />
die 19-jährige Ute Larsen.<br />
[ 10 ]<br />
[ ]<br />
Mein Tag mit<br />
den Werten<br />
Der Tag endet genauso gut, wie er begonnen<br />
hatte: vor dem Klassenzimmer ein schneller<br />
Blick auf die Uhr, noch knapp zwei Minuten bis<br />
zum Gong zur ersten Stunde. Statt einem<br />
„Guten Morgen“ erwartet mich der stahlgraue<br />
Anzug meines Rektors, der den Türrahmen beinahe<br />
völlig ausfüllt.<br />
„War es gestern wieder spät? Hatte sie etwa<br />
eine Reifenpanne? Ist ihr Wecker gestorben<br />
oder hat ihre Katze nicht geklingelt?“<br />
Ich nehme verbalen Anlauf, denn ich bin überhaupt<br />
nicht zu spät, komme aber nicht weit...<br />
„Pünktlichkeit ist eine Tugend. Wo kämen wir<br />
den hin, wenn einfach jeder kommt und geht<br />
wie es ihm gerade passt?“<br />
Wieder will ich antworten...<br />
„Weißt du eigentlich wie viel Uhr jetzt ist?<br />
Was hatten wir vereinbart?“<br />
„Äh...“<br />
„Du brauchst gar nicht erst zu versuchen,<br />
dich zu entschuldigen. So viel habe ich <strong>für</strong><br />
dich getan und was ist der Dank – du hast nie<br />
gelernt auf andere Rücksicht zu nehmen.“<br />
Meine Mutter nimmt mir den Autoschlüssel<br />
aus der Hand und lässt mich im Flur stehen.<br />
„Ich weiß ganz genau was sie jetzt denken,<br />
aber meine Generation hat es ihnen erst ermöglicht,<br />
dass sie jetzt hier stehen und mit mir<br />
diskutieren können.“<br />
Dieses mal schaffe ich es immerhin zu einem<br />
„Aber“, das ungehört bleibt.<br />
„Mir ist es unbegreiflich, dass die Jugend keine<br />
Verantwortung mehr <strong>für</strong> die eigenen Fehler<br />
übernimmt. Aber wie kann es auch anders sein,<br />
wenn traditionelle Werte hinter „TV total“ verschwinden.“<br />
Als Schlusspunkt des Diskurses ertönt der<br />
Gong. Zeit <strong>für</strong> seine Entschuldigung bleibt also<br />
nicht. Pünktlich erscheine ich im Klassenzimmer.
In Gemeinschaftskunde hören wir den Appell,<br />
Demokratie schon in der Schule zu leben. Er begleitet<br />
mich in den Biologieunterricht. Zur Abwechslung<br />
wird heute nicht mit Schweineaugen,<br />
sondern mit Schülern experimentiert.<br />
Auf einer Fortbildung hat unser Lehrer eine<br />
neue pädagogische Methode kennen gelernt,<br />
das Gruppenpuzzle. Nun gilt es, sie praktisch<br />
umzusetzen. Erster Schritt ist die Einteilung von<br />
Gruppen. Spontan wird abgestimmt, wer sie<br />
festlegen soll – wir selbst oder der Lehrer. Wider<br />
Erwarten ist das Votum der Klasse eindeutig <strong>für</strong><br />
selbständige Gruppenbildung, und schon teilen<br />
wir uns auf. Unser Lehrer legt die Stirn in Falten,<br />
im Nu sind die Gruppen von ihm neu eingeteilt,<br />
und der Traum unserer demokratischen<br />
Souveränität ganz schnell verpufft.<br />
Nach fünf Stunden Schule heißt es endlich<br />
Sommer, Sonne, Mittagspause. Ich setze mich<br />
ans Steuer, schalte das Radio an und fahre<br />
Richtung Mittagessen. Eine Debatte im Radio<br />
lässt mich aufhorchen. Der Titel: „Wert(e)lose<br />
Jugend“. Grauhaarige, untersetzte ältere<br />
Herren – so stelle ich sie mir wenigstens vor –<br />
sitzen zusammen und diskutieren über unsere<br />
Gegenwart und Zukunft. Gesprochen wird über<br />
uns, die Jugend, nicht mit uns. Da ist es nicht<br />
verwunderlich, dass das Resultat genauso<br />
realitätsfern ist, wie die schmerzfreie Kaltwachsenthaarung,<br />
die in der Werbepause angepriesen<br />
wird.<br />
Jeder redet über „die Jugend“ und „die Werte“,<br />
ohne zu sehen, dass es weder das eine noch<br />
das andere gibt. Es gibt traditionelle und neue,<br />
fremde und bekannte Werte, genauso wie es<br />
verschiedenste Menschen gibt. Warum muss<br />
alles in eine Schublade passen? Jeder hat seine<br />
eigene Werteskala. Bei mir steht Toleranz an<br />
der Spitze, welcher bei Dir? Werte sind nicht in<br />
Steinplatten gemeißelt, die in Museumsvitrinen<br />
verstauben, sondern sie sind ständig im Fluss.<br />
Die Jugend liebt heutzutage den Luxus.<br />
Sie hat schlechte Manieren, verachtet die<br />
Autorität, hat keinen Respekt vor älteren<br />
Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten soll.<br />
Die jungen Leute stehen nicht mehr auf,<br />
wenn Ältere das Zimmer betreten.<br />
Sie widersprechen ihren Eltern,<br />
schwadronieren in der Gesellschaft,<br />
verschlingen bei Tisch die Süßspeisen,<br />
legen die Beine übereinander und<br />
tyrannisieren ihre Lehrer.<br />
Sokrates (470 - 399 v. Chr.)<br />
Jeder muss seine Werte selber finden. Werte,<br />
die diktiert und blind übernommen werden,<br />
sind genauso „wertvoll“, wie Hausaufgaben,<br />
die vor der Stunde schnell abgeschrieben<br />
werden.<br />
Zurück zu meinem Tag. Nach dem Mittagessen<br />
zuhause wieder zurück an die Schule, zur Verdauungszigarette<br />
im Kreis der Mitschüler – ungefähr<br />
fünf Zentimeter neben der Grenze des<br />
Schulgeländes. Schließlich sind wir eine rauchfreie<br />
Schule, zu unserem eigenen Schutz. Aber<br />
so wie mit dem Rauchen ist es mit vielen Entscheidungen<br />
im Schulleben. In der Schulkonferenz<br />
stellen Lehrer plus Schulleiter per se die<br />
Mehrheit. Die Schüler können wollen, was sie<br />
wollen, es bleibt sowieso folgenlos.<br />
[aus jugendsicht<br />
Doch heute Abend soll ich die Chance bekommen,<br />
vor der Stadt zu sagen, was mir wichtig<br />
ist. Wenn sich die Schule nicht mit mir auseinandersetzt,<br />
dann eben die Gesellschaft.<br />
Denn heute findet ein Forum unter dem Motto<br />
„Sicherheit und Sauberkeit“ statt, zu dem unser<br />
Bürgermeister ein paar Vertreter des Kreisjugendrings,<br />
des Jugendzentrums, Schülervertreter,<br />
Bürger, und Stadtprominenz einlud.<br />
Thema soll sein: die Umsetzung der Werte Sauberkeit<br />
und Sicherheit in unserer kleinen Stadt.<br />
Aber statt über diese Werte zu diskutieren,<br />
rückt der Fokus schnell auf randalierende<br />
Jugendliche und Müll im Stadtgarten, den<br />
natürlich auch „Jugendliche“ hinterlassen. Wieder<br />
das gleiche: anstatt mit uns, den anwesenden<br />
Schülervertretern zu diskutieren,<br />
werden wir pauschal <strong>für</strong> die Taten aller Jugendlicher<br />
verantwortlich gemacht. Jeglicher Versuch,<br />
sachlich die Ursachen zu erarbeiten und<br />
konstruktive Lösungen zu finden, scheitert an<br />
den immer wieder aufgebrachten Forderung<br />
der Anwohner: „Mehr Härte und Disziplin!“ Irgendwann<br />
erschöpft sich die Debatte. Niemand<br />
hat das Gefühl, auf die anderen zugegangen zu<br />
sein, miteinander irgendwo angekommen zu<br />
sein, etwas bewirkt oder gar gelöst zu haben.<br />
Auf der Rückfahrt läuft im Radio „Friedenspanzer“<br />
der Ärzte. Einen Satz hallt in mir nach:<br />
„Ich möchte in einer Welt leben, in der ich aus<br />
einer Kloschüssel trinken kann, ohne Ausschlag<br />
zu bekommen.“ Ich denke, mir würde schon<br />
genügen in einer Welt zu leben, in der die Erwachsenen<br />
Werte nicht vor allem dazu missbrauchen,<br />
sie den Jugendlichen um die Ohren<br />
zu hauen, sich aber sonst einen Dreck darum<br />
kümmern … um die Jugend … und um die Werte.<br />
Ute Larsen (19), Redakteurin der<br />
Schülerzeitung „Die Heumade" des<br />
Heinrich-von-Zügel-Gymnasiums in Murrhardt<br />
[ 11]
Sabine Kurtz, CDU, und Klaus Stapf, attac, sprechen<br />
mit Berthold Frieß über „Werte in der Politik“.<br />
Frieß: In der Shell Jugendstudie wird ein Jugendlicher<br />
zitiert, der sagt: „Die Politiker interessieren<br />
sich nur da<strong>für</strong>, ob sie wieder gewählt<br />
werden und nicht <strong>für</strong> das Wohl der Bürger“ –<br />
was entgegnen Sie diesem Jugendlichen?<br />
Kurtz: Aus meiner Erfahrung finden Menschen,<br />
die mit echten Politikern in Berührung kommen,<br />
dass diese Politiker sich wirklich <strong>für</strong> sie<br />
einsetzen. Politische Themen sind allerdings oft<br />
komplex – ich versuche auch nicht, zu verstehen,<br />
wie ein Computer funktioniert, und ich<br />
habe Verständnis da<strong>für</strong>, dass es manchen<br />
Leuten mit Politik so geht.<br />
Stapf: Es gibt eine gefühlte Schieflage – die<br />
Umverteilung findet ja tatsächlich statt: Es<br />
haben nicht alle die gleichen Bildungschancen,<br />
es gibt immer mehr prekäre Beschäftigungsverhältnisse<br />
auf der einen und Millionäre auf der<br />
anderen Seite. Attac wendet sich gegen „tina“ –<br />
„there ist no alternative“ – und sagt: Es geht<br />
auch anders, wir müssen anfangen etwas zu<br />
tun! Alternativen gibt es genug, wie in der<br />
Finanzpolitik: Wir fordern eine weltweite Spekulationssteuer,<br />
die Austrocknung von Steueroasen<br />
und die Angleichung der Unternehmenssteuern<br />
in der EU.<br />
Frieß: Warum trägt das Land nicht zur Austrocknung<br />
von Steueroasen bei?<br />
Kurtz: An der globalisierten Welt ist keiner<br />
Schuld, die hat sich aufgrund technischer Neuerungen<br />
selbständig entwickelt, aber wir müssen<br />
mit ihr umgehen. Mir ist zum Beispiel ein<br />
Dorn im Auge, dass das Flugbenzin nicht besteuert<br />
wird. Es ärgert mich, dass man da mit<br />
einer Änderung nicht weiter kommt, aber ein<br />
deutscher Alleingang würde keinen Sinn<br />
machen.<br />
[ 12 ]<br />
[ ]<br />
Tina – there ist<br />
no alternative<br />
Stapf: Die Energie- und Erdölkonzerne sind zu<br />
mächtig, deshalb wird das Flugbenzin nicht besteuert!<br />
Die großen Energiekonzerne setzen immer<br />
noch auf Energieformen, die viel CO 2 ausstoßen<br />
– der Rest ist ein Deckmäntelchen.<br />
Allein in Berlin gibt es 5000 Lobbyisten der<br />
Konzerne, die die Bundesregierung nicht gerade<br />
wertneutral beraten.<br />
Frieß: In Stuttgart gibt es keine 5000 Lobbyisten<br />
– wie erleben Sie den Einfluss auf die<br />
Politik?<br />
Kurtz: Als Landtagsabgeordnete spreche ich<br />
mit vielen Leuten und Gruppierungen und höre,<br />
was sie beschäftigt. <strong>Das</strong> sind <strong>für</strong> mich wichtige<br />
Informationen, die ich in die Diskussion auf<br />
Landesebene einbringen kann. <strong>Das</strong> ist erst mal<br />
nichts Negatives, sondern Lobbyarbeit im positiven<br />
Sinne. <strong>Das</strong> ist hier im Land etwas<br />
Anderes als auf Bundesebene!<br />
Frieß: Frau Kurtz, wie stehen Sie zu attac?<br />
Kurtz: Ich glaube, es braucht gesellschaftliche<br />
Bewegungen von unten, die den Leuten die<br />
Möglichkeit bieten, sich zu engagieren und die<br />
Interesse <strong>für</strong> die Themen wecken. Es gibt<br />
Schnittmengen zwischen den Nichtregierungsorganisationen<br />
und der Politik, und wir sollten<br />
uns unbedingt miteinander auseinander setzen.<br />
Frieß: Und wie stehen Sie, Herr Stapf, zur<br />
Politik?<br />
Stapf: Es gibt einen Kampf um Werte und um<br />
Ideale. Unsere Angriffspunkte sind auf der<br />
einen Seite die Konsumenten, denen wir die<br />
Macht ihres Verhaltens bewusst machen wollen<br />
und auf der anderen Seite die Politik. Hier haben<br />
wir bereits erste Erfolge. Es gibt eine Reihe<br />
von Politikern, die durch uns erkennen, was<br />
sich abspielt. Bisher haben sie sich wenig um<br />
die Zusammenhänge gekümmert, haben die internationalen<br />
Themen zum Beispiel der EU<br />
überlassen, aber das Bewusstsein bei vielen<br />
wächst.<br />
Frieß: Welche Werte leiten Sie in Ihrem Engagement?<br />
Kurtz: Die Aufsplittung der Gesellschaft, die<br />
unterschiedlichen Lebensentwürfe sind zunehmend<br />
eine Herausforderung. Es ist schwierig,<br />
Entscheidungen zu fällen, wo sich alle wieder<br />
finden. Daher halte ich es <strong>für</strong> eine der wichtigsten<br />
politischen Aufgaben, das Gleichgewicht<br />
zwischen den berechtigen Interessen<br />
des Einzelnen und den notwendigen Anforderungen<br />
der Gesellschaft herzustellen. <strong>Das</strong> sehe<br />
ich in der CDU gut aufgehoben.<br />
Ich verstehe mich als Mannschaftsspielerin.<br />
Wenn mein Kumpel das Tor verfehlt, kann ich<br />
ihn nicht auf dem Spielfeld anschreien. Zu den<br />
Werten, die mich leiten, gehören Verlässlichkeit,<br />
Fairness, Ehrlichkeit, Einfühlungsvermögen<br />
– diese Tugenden, die sich auch mit<br />
christlichen Werten wie der Nächstenliebe<br />
untermauern lassen.<br />
Stapf: <strong>Das</strong> sind schon auch die Werte, wegen<br />
denen ich mich bei attac wohl fühle. <strong>Das</strong> ist<br />
Transparenz, Offenheit, Orientierung an den
Menschen, Annehmen von Verantwortung gerade<br />
im Sozialen und im Umweltbereich. Ich will<br />
nicht, dass die Gesellschaft ökonomisiert wird,<br />
so wie es im Moment stattfindet, dass alles nur<br />
noch mit der Wirtschaftsbrille gesehen wird.<br />
Die sozialen Belange und unsere Umwelt sind<br />
mindestens genauso wichtig. Es ist notwendig,<br />
die entsprechende Opposition aufzubauen,<br />
kritisch umzugehen, Vorschläge zu machen.<br />
Frieß: Bei welchen politischen Themen sehen<br />
Sie Ihre Werte am Besten verwirklicht?<br />
Kurtz: Man muss zwischen Werten und Zielen<br />
unterscheiden. Wenn ich sage, die soziale, ökologische<br />
und ökonomische Nachhaltigkeit ist<br />
<strong>für</strong> mich ein Wert, wird mir jeder zustimmen.<br />
Doch im konkreten Fall muss man entscheiden,<br />
ist die ökonomische Nachhaltigkeit wichtiger<br />
oder die soziale? <strong>Das</strong> Setzen von Prioritäten ist<br />
es, was uns gegeneinander aufbringt, während<br />
man sich bei den grundsätzlichen Werten ganz<br />
gut einigen könnte.<br />
Frieß: Gibt es ein Thema aus Ihrer politischen<br />
Praxis, wo die Prioritäten aus Ihrer Sicht richtig<br />
gesetzt worden sind?<br />
Kurtz: Ich habe maßgeblich an der Ausnahmeregelung<br />
im Gesetz zum Nichtraucherschutz<br />
mitgewirkt, dass auf dem Schulgelände unter<br />
freiem Himmel eine begrenzte Raucherzone<br />
eingerichtet werden kann. Natürlich ist Nichtraucherschutz<br />
wichtig, aber wenn ich kategorisch<br />
sage: „Ich will, dass hier nicht geraucht<br />
wird“, dann verlagere ich das Problem an den<br />
Vorgarten des nächsten Anwohners. Dort landen<br />
die Kippen und der Krach, und es wird<br />
keine Zigarette weniger geraucht. Insofern ist<br />
die Ausnahme <strong>für</strong> mich eine gute und pragmatische<br />
Lösung. <strong>Das</strong> Verbot mag symbolisch<br />
ein wichtiger Akt sein, aber es wird der Realität<br />
nicht immer gerecht.<br />
Frieß: Herr Stapf, sehen Sie Ihre Werte in einem<br />
Bereich schon verwirklicht?<br />
Stapf: Es ist ein Kampf um die Werte, gar keine<br />
Frage. Als Teil von attac haben wir bereits einiges<br />
erreicht, der viel größere Teil des Weges<br />
liegt noch vor uns. Weltweit agierende Unternehmen<br />
werden von der Öffentlichkeit in die<br />
Verantwortung genommen und beginnen zu<br />
reagieren, ein Anfang ist gemacht. Wir sind im<br />
Juni in Heilligendamm beim G8-Gipfel und<br />
fordern unsere Werte ein. Wichtige Themen<br />
sind Energie und Klima, der Schuldenerlass <strong>für</strong><br />
die armen Länder – es ist marginal, was da bis<br />
jetzt passiert ist. Ich würde nicht sagen, dass<br />
wir gescheitert sind, wir haben uns noch nicht<br />
so durchgesetzt, wie es unser Ziel ist.<br />
Frieß: Verändert die Politik Sie als Menschen?<br />
Stapf: Mein Engagement verbindet mich mehr<br />
mit der Gesellschaft. Es wurde mir dadurch vieles<br />
bewusst, was <strong>für</strong> mich nicht hinnehmbar ist.<br />
Wenn ich an einem Infostand stehe und jemand<br />
auf mich zugeht, der Hartz IV bekommt und sich<br />
keine Medikamente mehr leisten kann, wird mir<br />
die Diskrepanz deutlich: <strong>Das</strong> passt nicht mit der<br />
Politik in ihren schicken Konferenzsälen zusammen!<br />
attac fordert zu Recht, die Politik wieder<br />
näher an die Menschen zu bringen.<br />
Kurtz: Ich komme mit vielen Menschen zusammen.<br />
<strong>Das</strong> ist eine Bereicherung. Aber ich muss<br />
lernen, damit umzugehen, dass die meisten<br />
Kontakte oberflächlich bleiben und dass ich<br />
nicht alle Themen, die an mich herangetragen<br />
werden, vertieft bearbeiten kann. <strong>Das</strong> Pensum,<br />
das ich mir auferlege, lässt nur noch wenig Zeit<br />
zu Muße und Spontanität. Trotzdem ist es ganz<br />
wichtig, auf die Pflege der eigenen, persönlichen<br />
Beziehungen zu achten. Es ist wichtig,<br />
zwischen Amt und Person zu trennen: Man<br />
erfährt als Abgeordnete eine Aufmerksamkeit,<br />
die nur dem Amt gilt und nicht der Person.<br />
Wahrscheinlich ist es schwierig, das auf Dauer<br />
auseinander zu halten. Fragen Sie mich mal in<br />
ein paar Jahren, ob mir das gelungen ist.<br />
Protokoll und Redaktion: Irene L. Bär<br />
[ das<br />
interview<br />
Sabine Kurtz<br />
]info<br />
45 Jahre, verheiratet,<br />
drei Kinder<br />
im Alter von 12,<br />
15 und 17 Jahren.<br />
Seit einem Jahr<br />
Mitglied im Landtag<br />
von <strong>Baden</strong>-<br />
<strong>Württemberg</strong> und<br />
<strong>jugendpolitische</strong><br />
Sprecherin der<br />
CDU-Fraktion. Engagement in der Jugendarbeit.<br />
Studium der Politikwissenschaft,<br />
Deutsch, Französisch.<br />
Klaus Stapf<br />
48 Jahre, eine<br />
15-jährige<br />
Tochter. Mitgründer<br />
der<br />
lokalen attac-<br />
Gruppe Karlsruhe<br />
(2001).<br />
Viele Jahre<br />
Entwicklungsingenieur<br />
in<br />
Industriegüter-Konzern mit 30 000 Mitarbeitern,<br />
jetzt dort Konzernbetriebsratsvorsitzender.<br />
Für die Grünen im Karlsruher<br />
Stadtparlament. Bergsteiger und<br />
Marathonläufer.<br />
[ 13]
Die junge Generation wird um ihre Zukunft<br />
betrogen, ärgert sich Michael Kalff.<br />
„Die Kinder sollen es mal besser haben“<br />
hieß es früher. Davon spricht heute keiner<br />
mehr, niemand erwartet richtig Gutes <strong>für</strong> die<br />
Zukunft der Jungen. Da<strong>für</strong> gibt es Gründe,<br />
denn Zukunft fällt nicht vom Himmel. Man<br />
muss sie säen. Aber das ist nicht passiert in<br />
den letzten 30 Jahren, eher das Gegenteil:<br />
Finanzielle und politische Hypotheken<br />
wurden auf die Zukunft genommen, und wer<br />
jetzt jung ist, muss da<strong>für</strong> zahlen. Zunehmend<br />
fällt eine weitere Form der Ungerechtigkeit<br />
in Deutschland auf: Reiche sind gleicher als<br />
Arme. <strong>Das</strong> schlimmste Verbrechen an der<br />
Jugend ist aber, sie von der Mitgestaltung<br />
der Gesellschaft auszuschließen.<br />
[ 14 ]<br />
[ ]<br />
Kinder haften<br />
<strong>für</strong> ihre Eltern<br />
Michael Kalff<br />
Die Wählerdemokratie der Alten<br />
zerstört die Zukunft der Jungen<br />
Wahlen ändern nichts, sonst wären sie verboten,<br />
ätzte schon Tucholsky. Besonders in<br />
<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> stimmt das, denn auf die<br />
Stimmen der Jungen könnte man hier getrost<br />
verzichten. Die Generation 50+ bestimmt schon<br />
rein mengenmäßig, wo es lang geht im Ländle,<br />
und wählt sich die Politik, die ihren Interessen<br />
dient. Ein Politiker fragte neulich im Gespräch<br />
mit dem Landesjugendring (LJR), wie denn der<br />
Beitrag des LJR zur Haushaltssanierung aussähe.<br />
Sollen die Jungen da<strong>für</strong> aufkommen, dass<br />
die Älteren in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> seit Jahrzehnten<br />
über ihre Verhältnisse leben? Für deren<br />
Renten- und Pensionsansprüche wurden niemals<br />
Rücklagen gebildet, <strong>für</strong> ihre Vorhaben<br />
nahmen Bund, Land und Kommunen jede<br />
Menge Kredite auf. Aber so wird es kommen –<br />
die Schulden der Alten dürfen die Jungen abtragen,<br />
und auch <strong>für</strong> ihre unrealistischen, weil<br />
nicht gedeckten Altersansprüche sollen die<br />
Jungen aufkommen.<br />
Bildung: Ideologie von gestern<br />
statt Kompetenzen <strong>für</strong> morgen<br />
Seit dem PISA-Schock weiß Deutschland um<br />
seine Defizite im Bildungswesen, mit jedem<br />
neuen Bericht wird das Desaster klarer dokumentiert.<br />
Doch statt endlich in dringend nötige<br />
Innovationen zu investieren, sinken die Bildungsausgaben<br />
in Deutschland Jahr um Jahr,<br />
auch nach Pisa, und 2006 schon wieder. Selbst<br />
Polen, Portugal und Mexiko geben mehr Anteile<br />
ihres Sozialprodukts in das Bildungswesen<br />
als Deutschland. Für die Renten – schon<br />
zu einem Drittel aus dem Bundeshaushalt finanziert<br />
– ist eine Erhöhung drin. Für eine<br />
längst überfällige BAFÖG-Erhöhung fehlt laut<br />
Bildungsministerin das Geld – es gibt eben über<br />
20 Millionen RentnerInnen in Deutschland,<br />
aber nicht mal zwei Millionen StudentInnen.<br />
<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>s Bildungswesen kennt<br />
keine „Probleme“, sondern nur „Herausforderungen“<br />
– Probleme haben nur die anderen.<br />
Hamburg läßt seine AbiturientInnen im direkten<br />
Vergleich gegen die aus <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />
antreten, und redet dann nicht schön,<br />
dass ihre Jungs und Mädels anderthalb Schuljahre<br />
hinterher hängen. Chapeau, es ist eben<br />
nicht alles schlecht im Ländle – aber wir sind<br />
unter den Blinden nur der einäugige König. In<br />
ihrer Endphase rühmte sich die DDR, immer<br />
noch mehr Schneepflüge zu produzieren als<br />
Ägypten. Warum misst sich <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>s<br />
Schulwesen nicht am schwedischen oder<br />
finnischen, denn da sitzen die echten Bildungs-<br />
Sieger. Aber da gibt es Gemeinschaftsschulen!<br />
Allein solche Worte treiben Ministerielle an den<br />
Rand des Herzinfarkts.
Lebenslüge Vollbeschäftigung<br />
Ein Drittel der jungen Menschen in Deutschland,<br />
so schreiben führende Vertreter der deutschen<br />
Wirtschaft, wird ihr Leben lang nicht in<br />
der Lage sein, so viel zu erwirtschaften, wie sie<br />
<strong>für</strong> den eigenen Lebensunterhalt brauchen.<br />
Rationalisierung und Globalisierung verwirklichen<br />
einen alten Menschheitstraum – die Befreiung<br />
vom Joch der Arbeit. Noch hängt in<br />
Deutschland aber das ganze Leben an Erwerbsarbeit:<br />
Einkommen, soziale Sicherheit, Prestige,<br />
Sinn, soziale Zugehörigkeit. Junge Menschen<br />
ohne jede realistische Chance auf eine<br />
gelingende Berufsbiografie werden durch ganze<br />
Ketten von Maßnahmen geschubst, um doch<br />
noch zu einem Schulabschluss, und dann doch<br />
noch zu einer Ausbildung zu kommen. Vorn<br />
wird ihnen eine Karotte vor die Nase gehalten,<br />
die die Allermeisten von ihnen nicht erreichen<br />
können, und hinten peitschten die Demütigungen<br />
der Hartz IV-Sachbearbeiter. Und das alles,<br />
um eine Lebenslüge aufrecht zu erhalten, die<br />
Mär von der Vollbeschäftigung. Deutschland<br />
braucht neue Formen der Teilhabe an Wertschöpfung<br />
(zum Beispiel Grundeinkommen)<br />
und eine Bildung, die auch auf Kompetenzen<br />
<strong>für</strong> das Leben jenseits der Erwerbsarbeit zielen.<br />
Man muß jung sein,<br />
um große Dinge zu tun.<br />
Johann Wolfgang von Goethe<br />
(1749 - 1832)<br />
Gerechtigkeit im Rechtsstaat?<br />
<strong>Das</strong>s mit den Maschen des Strafrechts nur die<br />
„Kleinen“ gefangen werden, ist zwar eine<br />
Volksweisheit, aber mit einem Rechtsstaat<br />
nicht vereinbar. Die Gauner des Mannesmann-<br />
Deals kommen gleich zwei Mal frei. <strong>Das</strong> erste<br />
Verfahren in Düsseldorf endet mit Freispruch,<br />
das zweite wird eingestellt – gegen eine Gebühr<br />
von zehn Prozent des ergaunerten Betrags (den<br />
Rest dürfen sie behalten), wegen „fehlenden<br />
öffentlichen Interesses“. Fehlendes öffentliches<br />
Interesse würde die 17-jährige Schwarzfahrerin<br />
vor Gericht in Stuttgart auch gerne reklamieren,<br />
aber dazu fehlen ein paar hundert Reporter, die<br />
in Düsseldorf das fehlende öffentliche Interesse<br />
deutlich dokumentieren.<br />
Peter Hartz wird <strong>für</strong> 21 Straftaten im Gesamtumfang<br />
von 2,6 Millionen Euro zu zwei Jahren<br />
Haft auf Bewährung und 360 Tagessätzen verurteilt.<br />
Bei Boris Becker reicht ein Schaden von<br />
1,7 Millionen Euro bei einer Straftat (Steuerhinterziehung)<br />
<strong>für</strong> zwei Jahre auf Bewährung.<br />
Normalsterbliche bekommen zwei Jahre auf Bewährung<br />
schon <strong>für</strong> 8.000 Euro (betrügerische<br />
Abrechnung von Pflegedienstleistungen zu<br />
zweit, Schaden insgesamt 16.000 Euro – Amtsgericht<br />
Augsburg im April 2007). Für 8.000 Euro<br />
hätte Peter Hartz nur zweieinviertel Tage auf<br />
Bewährung bekommen, Boris Becker immerhin<br />
dreieinhalb Tage. Hätte das Altenpflegepaar,<br />
wie im Mannesmann-Prozess, eine Gebühr von<br />
10 Prozent angeboten (also je 800 Euro), wären<br />
sie dann freigesprochen worden – und hätten<br />
die übrigen 90 Prozent der Summe auch noch<br />
behalten dürfen?<br />
[der standpunkt<br />
Zukunft nicht verschenken!<br />
Der Jammer ist, dass <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> seine<br />
Zukunft verschenkt. Wer mit jungen Menschen<br />
arbeitet, staunt über Mut zu innovativen Ideen,<br />
über Bereitschaft zum Engagement und Lust<br />
auf Gestaltung: Demokratie modernisieren, so<br />
dass die Übermacht der Vergangenheit überwunden<br />
wird; fiskalen Overkill abwenden, so<br />
dass auch die Jüngeren Luft zum Atmen haben;<br />
es mit der Globalisierung aufnehmen, mit nachhaltiger<br />
Entwicklung ernst machen, tragfähige<br />
Lebensformen <strong>für</strong> Familie und Kinder etablieren,<br />
das Bildungswesen runderneuern … so dass<br />
auch die Jungen eine gute Zukunft im Ländle<br />
haben. Der Politik täte solche Frischluft gut –<br />
also Fenster auf!<br />
Michael Kalff<br />
Die Jugend hat kein Ideal,<br />
kein Sinn <strong>für</strong> wahre Werte.<br />
Den jungen Leuten gehts zu gut,<br />
sie kennen keine Härte.<br />
So red’n die, die nur in Orsch kreun,<br />
Schmiergöld nehman,<br />
packln dan nach am Skandal<br />
dann pensioniert wer'n,<br />
kurz: a echtes Vorbüld san.<br />
aus: „Zwickts mi“,<br />
Wolfgang Ambros, 1975<br />
[ 15]
Neuwahlen zum Vorstand<br />
des Landesjugendrings im März 2007<br />
Jünger und weiblicher sei er, der neue Vorstand<br />
– so stand es in der Pressemitteilung<br />
nach der Vollversammlung im März 2007.<br />
Jünger und weiblicher als der bisherige Vorstand<br />
ist er immer noch, eine junge Frau ist allerdings<br />
bereits zurückgetreten: Kerstin Ott<br />
musste das Amt als stellvertretende Vorsitzende<br />
aus beruflichen Gründen niederlegen.<br />
Der Posten wird im Herbst wieder neu ausgeschrieben.<br />
Die verbleibenden acht Vorstandmitglieder<br />
sind bis Frühjahr 2009 im Amt und<br />
legen bei ihrer Klausur im Juni die Ziele ihrer<br />
Arbeit fest. Nicht besetzt werden konnte bisher<br />
der Posten der Mädchen- und Frauenbeauftragten.<br />
In seinem Amt als erster Vorsitzender wurde<br />
Berthold Frieß bestätigt. Es ist seine zweite<br />
Amtszeit als erster Vorsitzender, dem Vorstand<br />
gehört er bereits seit 2001 an. Der 38-jährige ist<br />
Diakon und arbeitet als Landesjugendreferent<br />
beim Evangelischen Jugendwerk in Württem-<br />
[ 16 ]<br />
[ ]<br />
Frauenpower<br />
in der Jugendpolitik<br />
berg. Seine Stellvertreterin ist neu im Vorstand:<br />
Isabel Hoever, 28 Jahre, Landesreferentin beim<br />
Bund der Deutschen Katholischen Jugend<br />
(BDKJ).<br />
Der bisherige stellvertretende Vorsitzende,<br />
Jochen Mack, ehemaliger Landesreferent beim<br />
BDKJ, kandidierte nach acht Jahren im Vorstand<br />
nicht mehr. Julia Reichert, Landesjugenddezernentin<br />
der Johanniter-Jugend, wechselte<br />
vom stellvertretenden Vorsitz zum Fachvorstand<br />
Kommunale Jugendringe und löste damit<br />
nach vier Jahren Gebhard Hirth ab.<br />
Zwei weitere neue Gesichter wurden in den Vorstand<br />
gewählt: Peter Thomas, Vertreter des<br />
Stadtjugendrings Sindelfingen und bis September<br />
BDKJ-Leiter in Rottenburg-Stuttgart, löst<br />
nach sieben Jahren Bernd Klippstein als Fachvorstand<br />
Medien und Vorsitzenden der Medienkommission<br />
ab. Den Fachbereich Finanzen<br />
übernimmt der 30-jährige Ben Häcker von der<br />
Neu gewählt: Julia Reichert, Wolfgang Borkenstein, Kerstin Ott (zurückgetreten), Peter Thomas,<br />
Isabel Hoever, Berthold Frieß, Ben Häcker, Bjarn von Teuffel, Kerstin Sommer (von links).<br />
Offiziell verabschiedet: Berthold Frieß (rechts)<br />
dankte Jochen Mack <strong>für</strong> seine langjährige Vorstandstätigkeit.<br />
DGB-Jugend von seinem Vorgänger Jürgen<br />
Bothner. Drei Fachvorstände führen ihr Amt<br />
weiter: Der selbstständige Informatiker Bjarn<br />
von Teuffel den Bereich Jugendinformation, die<br />
Pädagogin Kerstin Sommer den Bereich Bildung<br />
und der Geschäftsführer des Kreisjugendrings<br />
Calw, Wolfgang Borkenstein, den Bereich<br />
Ehrenamt. Die Kommissionen Jugendpolitik und<br />
Integration wurden nicht mehr eingesetzt und<br />
damit auch keine Fachvorsitzenden gewählt.<br />
Der Vorstand verringert sich damit von elf auf<br />
derzeit acht Personen.<br />
Neu besetzt wurden von der Vollversammlung<br />
die beiden VertreterInnen der Jugend im SWR-<br />
Rundfunkrat. Claudia Daferner, 34-jährige<br />
Rechtsanwältin und Delegierte der Akkordeonjugend,<br />
übernimmt ab sofort die Aufgabe von<br />
Jochen Mack, der zehn Jahre im Rundfunkrat<br />
saß. Ende des Jahres wird der neue Vorsitzende<br />
der Medienkommission, Peter Thomas, den<br />
weiteren Sitz übernehmen. Diesen Posten hatte<br />
16 Jahre Bernd Klippstein, Jugendstaatsanwalt<br />
aus Freiburg.<br />
Irene L. Bär
„Bündnis <strong>für</strong> die Jugend“<br />
zwischen Jugendorganisationen<br />
und Landesregierung unterschriftsreif<br />
Im CDU-Programm <strong>für</strong> die Landtagswahl<br />
tauchte der Begriff im März 2006 zum ersten<br />
Mal auf: Ein „Bündnis <strong>für</strong> die Jugend“ wolle<br />
Günther H. Oettinger mit den Jugendverbänden<br />
schließen, kündigte er an, um die ehrenamtliche<br />
Jugendarbeit im Land auch weiterhin tatkräftig<br />
zu unterstützen.<br />
Ein gutes Jahr später ist es nun soweit: Der Text<br />
<strong>für</strong> das „Bündnis <strong>für</strong> die Jugend“ steht! In ihm<br />
stellt die Landesregierung die Zusammenarbeit<br />
mit den Jugendverbänden auf eine verlässliche<br />
Grundlage, finanziell und inhaltlich. Nun fehlt<br />
nur noch die feierliche Unterzeichnung!<br />
Am Bündnis beteiligt sind:<br />
Der Landesjugendring<br />
<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> (LJR),<br />
die Landesarbeitsgemeinschaft<br />
Offene Jugendbildung (LAGO),<br />
die Landesvereinigung<br />
Kulturelle Jugendbildung (LKJ),<br />
Arbeitsgemeinschaft der<br />
Landjugendverbände (AGL)<br />
die <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>ische<br />
Sportjugend (BWSJ)<br />
Parallel zu den Verhandlungen seit Sommer<br />
2006 beschäftigten sich Kabinett und Landtag<br />
mit der Aufstellung und Beschließung des<br />
Doppelhaushaltes 2007/2008. In den Haushaltsentwürfen<br />
der Ministerien waren zum Teil<br />
drastischen Kürzungen <strong>für</strong> die Jugendarbeit<br />
vorgesehen. Mit der Postkartenaktion „Herzliche<br />
Grüße aus dem Kinderland <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>“<br />
haben der LJR und die Jugendver-<br />
bände im letzten Sommer gegen Kürzungen bei<br />
den Jugenderholungsmaßnahmen protestiert.<br />
Die über 11.000 Postkarten, die aus den Freizeiten<br />
an die Landtagsabgeordneten geschickt<br />
wurden, führten zu einer Menge Aufregung und<br />
auch Ärger – sie hatten aber auch den Effekt,<br />
dass das Thema in der Politik breit bekannt<br />
wurde. In seiner Stellungnahme zum Haushalt<br />
in der gemeinsamen Sitzung von Sozialausschuss<br />
und Ausschuss <strong>für</strong> Schule, Jugend und<br />
Sport des Landtags forderte der Landesjugendring<br />
die Zurücknahme dieser Kürzungen.<br />
Voraussetzung <strong>für</strong> den Landesjugendring, dass<br />
ein Bündnis <strong>für</strong> die Jugend zustande kommt,<br />
war, dass es keine Kürzungen <strong>für</strong> die Jugendarbeit<br />
gibt. Dies bewog die CDU-Fraktion zur<br />
Zusage, die Kürzungen zurückzunehmen. Erfreulicherweise<br />
verabschiedete der Landtag<br />
einen Haushalt, in dem zwar die Kürzungen im<br />
Bereich der Jugenderholungsmaßnahmen sowie<br />
des Zeltmaterials nicht komplett zurückgenommen<br />
sind, der Jugendarbeit im Ganzen<br />
aber sogar etwas mehr Mittel zur Verfügung<br />
stehen als 2006. Für die Bereiche in denen faktisch<br />
Kürzungen vorgenommen wurden, hat das<br />
Ministerium <strong>für</strong> Arbeit und Soziales zugesagt,<br />
die Verwaltungsvorschriften so weiterzuentwickeln,<br />
dass die bereit gestellten Mittel auch<br />
wirklich voll ausgeschöpft werden können, was<br />
bisher nicht der Fall war.<br />
Die erfolgreichen Verhandlungen haben, davon<br />
gehen wir aus, auf dem fruchtbaren Boden der<br />
Postkartenaktion stattgefunden. Die JugendleiterInnen<br />
in den Jugendverbänden und Jugendringen<br />
können stolz auf diese erfolgreiche<br />
Aktion sein! Dem feierlichen Akt der Unterzeichnung<br />
steht nun aus unserer Sicht nichts<br />
mehr im Wege – wir warten gespannt auf die<br />
Einladung des Staatsministeriums.<br />
Eva Lang<br />
[<br />
[ ]<br />
Planungssicherheit<br />
<strong>für</strong> vier Jahre<br />
Eva Lang<br />
Bündnis <strong>für</strong> die Jugend:<br />
Inhalte<br />
ljr-intern<br />
In der Präambel wird das Bekenntnis des<br />
Landes zur Relevanz und Leistungsfähigkeit<br />
der Jugendarbeit deutlich gemacht.<br />
Der erste Teil beschreibt die Grundlagen:<br />
den Eigenwert von Kinder- und Jugendarbeit,<br />
den Landesjugendplan, einen einzurichtenden<br />
Runden Tisch der Kinderund<br />
Jugendarbeit sowie weitere Themen.<br />
Im zweiten Teil werden Felder beschrieben,<br />
in denen die Bündnispartner zentrale Entwicklungsräume<br />
sehen. Dies sind Ganztagsbildung<br />
und Gesamtbildungskonzept,<br />
Demographischer Wandel und Partizipation,<br />
Integration und benachteiligte Jugendliche.<br />
Finanzielle<br />
Planungssicherheit<br />
]info<br />
Mit dem Bündnis wird den Organisationen<br />
der Jugendarbeit auf Landesebene <strong>für</strong> den<br />
Bereich ihrer Landeszuschüsse Planungssicherheit<br />
bis 2011 zugesagt: Diese sollen<br />
auf dem Stand des aktuellen Landeshaushalts<br />
eingefroren und von jeglichen Haushaltsrestriktionen<br />
ausgenommen werden.<br />
Damit wird der Jugendarbeit in Zeiten<br />
nachdrücklicher Haushaltskonsolidierung<br />
Planungssicherheit zugesagt. Für die zukünftigen<br />
Entwicklungsfelder gibt es keinerlei<br />
zusätzliche Finanzen. Die Jugendorganisationen<br />
machten deutlich, dass sie<br />
ohne zusätzliche Mittel in diesen wichtigen<br />
Themen keine entscheidenden Impulse<br />
setzen können. Ein Inflationsausgleich,<br />
wie von der Enquetekommission 1999 gefordert,<br />
konnte nicht erreicht werden.<br />
[ 17]
Jugendliche mit Migrationshintergrund<br />
in Stadt- und Kreisjugendringen<br />
Jugendarbeit integriert junge Menschen<br />
in die Gesellschaft – so ist ihr Selbstverständnis.<br />
Trifft dies auch zu, wenn die<br />
Jugendlichen einen Migrationshintergrund<br />
haben? Ein Drittel der jungen<br />
Menschen in Deutschland sind zugewandert<br />
oder ihre Eltern sind es. Ihr Anteil<br />
wird bis 2010 auf 50 Prozent steigen. In<br />
den Jugendverbänden sind Jugendliche<br />
mit Migrationshintergrund unterrepräsentiert.<br />
Dies soll sich ändern!<br />
[ 18 ]<br />
[ ]<br />
(Jugend-)Ring frei<br />
Bei einem Austausch der BildungsreferentInnen<br />
und GeschäftsführerInnen der Stadtund<br />
Kreisjugendringe im vergangenen Jahr<br />
wurden große Unterschiede deutlich, zum<br />
einen in der Ausrichtung der Angebote auf<br />
die Zielgruppe, zum anderen in den satzungsmäßigen<br />
Zugangsmöglichkeiten <strong>für</strong><br />
MigrantInnenselbstorganisationen (MSO)<br />
zum Jugendring und der Möglichkeit, Zuschüsse<br />
zu beantragen. Meist haben die<br />
Stadtjugendringe schon mehr Erfahrung mit<br />
MSO als die Kreisjugendringe.<br />
Um hier Anstöße zu geben hat der Landesjugendring<br />
ein Projekt <strong>für</strong> Kreisjugendringe aufgelegt.<br />
In regionalen Konferenzen wurden die<br />
Öffnungsaktivitäten von vier Kreisjugendringen<br />
vorgestellt: Esslingen, Rems-Murr, Tuttlingen<br />
und Zolleralbkreis.<br />
Ziele der Fachkonferenzen waren:<br />
Sensibilisierung <strong>für</strong> das Thema,<br />
Analyse der Situation vor Ort, zum Beispiel<br />
Satzungsvorgaben <strong>für</strong> die Aufnahme von<br />
Jugendorganisationen in die Ringe,<br />
Vorstellung von best practice,<br />
Vernetzung anzuregen,<br />
Unterstützungsbedarf auszuloten<br />
(z.B. von der Landesebene)<br />
Ergebnisse<br />
Gerlinde Röhm<br />
Ringe, in denen die offene Jugendarbeit Mitglied<br />
ist, haben das Thema Migration eher aufgegriffen.<br />
Die Jugendlichen werden dann<br />
erreicht, haben aber häufig wenig Mitsprachemöglichkeiten<br />
oder vertreten sich nicht selbst.<br />
Die Vertretung läuft meist über (deutsche)<br />
PädagogInnen. Hier geht es also um die<br />
Schaffung von mehr Partizipationsmöglichkeiten.<br />
<strong>Das</strong> Interesse der Mitgliedsverbände ist in<br />
der Regel sehr gering bis nicht vorhanden. Viele<br />
Ringe werden nicht von sich aus aktiv, sondern<br />
warten darauf, dass die MSO auf sie zukommen.<br />
Teilweise liefen bereits Integrationsprojekte,<br />
aber wenn die Projektgelder verbraucht<br />
sind oder die angesprochenen Zielgruppen<br />
wegbleiben, ruht die Arbeit wieder.<br />
Kooperationen von Jugendarbeit und Schule<br />
sind ein guter Einstieg, um Kontakte zu neuen<br />
Zielgruppen zu knüpfen. Integrations- oder<br />
Ausländerbeauftragte können als Brückenbauer<br />
fungieren oder solche vermitteln. Kon-
takte zu Runden Tischen und Arbeitskreisen,<br />
die sich mit dem Thema der Integration vor Ort<br />
beschäftigen, existieren in fast allen Städten<br />
und vielen Gemeinden.<br />
Ohne bewusste und verlässliche Entscheidung<br />
der Vorstände und Mitgliedsverbände eines<br />
Jugendrings <strong>für</strong> Integration ist kaum eine nachhaltige<br />
Wirkung möglich. Die Beteiligten müssen<br />
sich dem Thema intensiv widmen. Ohne<br />
hauptamtliche Mitarbeit und finanzielle Ressourcen<br />
lässt sich wenig bewegen, bzw. bedarf<br />
es eines enormen ehrenamtlichen Engagements.<br />
Die Einbindung politischer VertreterInnen<br />
vor Ort kann sehr hilfreich sein.<br />
Im Öffnungsprozess geht es derzeit meist noch<br />
um „Begegnung und Kennen lernen“ sowie um<br />
eine gezielte Förderung – um im Sinne von<br />
Empowerment die Selbstorganisation junger<br />
Menschen mit Migrationshintergrund so zu<br />
stärken, dass sie als gleichwertige Partner mitarbeiten<br />
können. Learning by doing ist angesagt,<br />
Prozess orientiertes und flexibles Agieren<br />
statt genauer und starrer Konzepte. Es gibt<br />
keine Patentrezepte, sondern kommt auf die<br />
jeweils beteiligten Menschen und die Rahmenbedingungen<br />
vor Ort an.<br />
Die Träger der Jugendarbeit brauchen noch viel<br />
Unterstützung (auch finanziell), um in den<br />
Strukturen der Jugendarbeit ein gender- und<br />
kultursensibles Handeln sicherzustellen und<br />
damit allen Mädchen und Jungen unabhängig<br />
von Religion, Herkunft und Nationalität Zugänge<br />
zu ermöglichen. Fachliche und finanzielle<br />
Unterstützung gibt die Integrationsoffensive<br />
von AGJF und Landesjugendring. Infos<br />
unter www.integrationsoffensive.de<br />
Gerlinde Röhm<br />
[ Julia<br />
Gesichter des LJR<br />
Reichert<br />
[<br />
Was sollte beim LJR in fünf Jahren auf jeden Fall anders sein?<br />
Die Mitgliedsorganisationen sollten mehr Ideen und Anliegen einbringen<br />
und Themen wie Interkultur sollten als Querschnitt verankert sein.<br />
Was sollte beim LJR in fünf Jahren auf keinen Fall anders sein?<br />
Die lustigen Abende bei der Vorstandsklausur.<br />
Was sagst Du Freunden, die Dich fragen, was Du da beim LJR machst?<br />
Ich trage dazu bei, dass Kinder und Jugendliche mehr Chancen haben<br />
Jugendarbeit auch in Zukunft zu erleben und zu erfahren.<br />
ljr-intern<br />
Jahrgang: 1979<br />
Wohnort: Mühlacker<br />
Familienstand: Verheiratet<br />
Beruf: Fachbereichsleiterin Jugend,<br />
Ehrenamt und Freiwilligendienste<br />
der Johanniter-Unfall-Hilfe e.V.<br />
Ausbildung: Sozialpädagogin (BA)<br />
Funktionen beim LJR: 2005 – 2007<br />
Stellvertretende Vorsitzende, komissarische<br />
Mädchen- und Frauenbeauftragte;<br />
seit 2007 Fachvorstand „Kommunale<br />
Jugendringe“<br />
Warum sitzen in den LJR-Gremien deutlich mehr Männer als Frauen?<br />
Weil Frauen sich oft nicht zutrauen ihre Meinung öffentlich zu vertreten und<br />
Männer keine Zugänge und Chancen schaffen, d.h. öfter Männer angesprochen<br />
und gefragt werden, ob sie nicht eine Position übernehmen wollen.<br />
Warum bist Du als Frau trotzdem da?<br />
Weil mir die Arbeit Spaß macht und ich kleine Veränderungen bewirken kann.<br />
<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> wirbt damit, dass wir alles können, außer Hochdeutsch.<br />
Wie ist es mit Dir: Kannst Du Hochdeutsch und gibt es sonst etwas, was Du<br />
nicht kannst?<br />
Ich verstehe es fließend! Was ich nicht so gut kann, ist schnell und kreativ<br />
Interviewfragen beantworten.<br />
Welches Erlebnis beim LJR kannst Du noch Deinen Enkeln am Kamin erzählen?<br />
Es war einmal... ein Fachtag und ich stand nervös vorne am Mikro und begrüßte<br />
alle ganz herzlich, vor allem die Gruppe Jugendliche, die extra eine zweistündige<br />
Zugfahrt auf sich genommen hatte. Nur leider waren diese nicht da – sie hatten<br />
den Zug verpasst und kamen weitere zwei Stunden später an. ]<br />
[ 18]
Stadtjugendring Mannheim<br />
[ Souvenir<br />
] de Gurs<br />
Ein Souvenir ist ein Gegenstand, den man als<br />
Erinnerung an ein bestimmtes Ereignis,<br />
einen Ort oder eine Person mitnimmt und aufbewahrt.<br />
<strong>Das</strong> Wort stammt aus dem französischen<br />
und bedeutet „erinnern, andenken“. Erinnert<br />
werden soll mit dem Projekt „Souvenir<br />
de Gurs“ an die Deportation von über 2000<br />
Mannheimer JüdInnen im Oktober 1940 nach<br />
Gurs in Südfrankreich. 19 MannheimerInnen<br />
von 15-25 Jahren erarbeiteten ab März 2005<br />
eine beeindruckende Ausstellung mit dem Titel<br />
„Gurs 1170 km “. Im Mittelpunkt stehen die Erlebnisse<br />
und Aussagen der Zeitzeugen Paul Niedermann<br />
und Amira Gezow. Seit Oktober 2005<br />
ist die Ausstellung an vielen Schulen in Mannheim<br />
und in anderen badischen Städten zu<br />
sehen und bis Ende 2007 fast ausgebucht. Auf<br />
Initiative der Jugendlichen wurde ein Straßenschild<br />
mit dem Hinweis „Gurs 1170 km“ zum<br />
Jahrestag der Deportation im Herbst 2006 am<br />
Mannheimer Hauptbahnhof aufgestellt.<br />
Projektträger<br />
Fachbereich Kinder, Jugend und Familie/<br />
Jugendamt, Abt. Jugendförderung, Mannheim<br />
Stadtjugendring Mannheim e.V.<br />
Bund der deutschen katholischen Jugend,<br />
Mannheim<br />
Stadtarchiv Mannheim – Institut <strong>für</strong> Stadtgeschichte<br />
Finanzielle Unterstützung<br />
Aktion Mensch e.V.<br />
Jugendstiftung <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />
Landeszentrale <strong>für</strong> politische Bildung<br />
<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />
Erzdiözese Freiburg<br />
Jüdische Erinnerungsstiftung<br />
Kontakt: Stadtjugendring Mannheim e.V.<br />
Tel. 0621/338560, Fax 3385616,<br />
E-mail: sjr-mannheim@t-online.de<br />
[ 20 ]<br />
[<br />
32 Filme im Wettbewerb <strong>für</strong> die „Stadt im Fluss“<br />
]<br />
Girls Go Movie<br />
Die dritte Runde des Videofilmwettbewerbs<br />
„Girls Go Movie“ stand im Zeichen des<br />
Jubiläums der Stadt Mannheim. 280 filminteressierte<br />
Mädchen und junge Frauen machten<br />
sich mit der Kamera auf den Weg ihre „Stadt im<br />
Fluss“ zu beleuchten. Im Mai 2007 präsentierten<br />
die Nachwuchs-Filmemacherinnen ihre<br />
Ergebnisse vor großem Publikum.<br />
Der Videofilmwettbewerb spricht Mädchen und<br />
junge Frauen aus der gesamten Rhein-Neckar-<br />
Region an. Die Teilnehmerinnen im Alter von 12<br />
bis 25 Jahren erhielten die reizvolle Chance, die<br />
Arbeit mit der Kamera kennenzulernen. Künstlerische<br />
Beratung, Video-Technik und fachliche<br />
Workshops standen kostenlos zur Verfügung.<br />
Im Mannheimer Jubiläumsjahr ging es um Geschichten<br />
rund um das Thema „Stadt im Fluss“.<br />
Die Mädchen und jungen Frauen sollten ihre<br />
Wünsche, Visionen oder persönlichen Erlebnisse<br />
in der Stadt, in der sie leben, mittels Dokumentation,<br />
Musikclip, Spielfilm oder Comedy<br />
zum Ausdruck bringen.<br />
<strong>Das</strong> Highlight war die Präsentation der 32 Kurzfilme<br />
in einem großen Mannheimer Kino. 350<br />
BesucherInnen waren schon mittags gekommen,<br />
um sich ein Urteil zu bilden und <strong>für</strong> den<br />
Publikumspreis abzustimmen. Der erste Preis<br />
in der Kategorie der 12 bis 16-jährigen Teilnehmerinnen<br />
ging an den Film „Nermina und Farah,<br />
geboren und geduldet in Heidelberg“ vom<br />
Jugendtreff Kirchheim und der Video AG der Geschwister-Scholl-Schule<br />
in Heidelberg; ein Dokumentarfilm<br />
über die Freundinnen Nermina<br />
und Farah, die unter den Auflagen ihres Asylstatus<br />
die Ungerechtigkeit der Welt hinterfragen.<br />
In der Alterskategorie 17 bis 25 Jahre gewann<br />
die Heidelbergerin Saskia Schmitt mit<br />
ihrem Beitrag „Stromaufwärts“, ein poetisch<br />
mutiger Film von der Sehnsucht nach Veränderungen.<br />
Die Publikumspreise bekamen die Filme<br />
„Kontrastieren“ vom Pfadfinderbund Mannheim<br />
und „Fast eine Phantasie“ von Karoline Henkel<br />
und Josephine Nachtsheim aus Mannheim.<br />
www.girlsgomovie.de<br />
Bericht der Preisverleihung: www.mannheim.tv<br />
Projektträger<br />
Jugendkulturzentrum FORUM<br />
des Stadtjugendrings Mannheim e.V.<br />
Fachstelle <strong>für</strong> Mädcheninteressen,<br />
Abt. Jugendförderung der Stadt Mannheim<br />
Finanzielle Unterstützung<br />
Stiftung Medien KompetenzForum Südwest<br />
Projekt Stadtjubiläum Mannheim 2007<br />
Filmförderung <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />
Zonta Mannheim e.V.<br />
Projektpartnerschaft mit verschiedenen<br />
Medienzentren der Rhein-Neckar-Region.
Berufswettbewerb der „Grünen Berufe“<br />
[ Traktor und<br />
]<br />
Motorsäge<br />
Traktor und Motorsäge sind keine typischen<br />
Arbeitsmaterialien in der Jugendverbandsarbeit<br />
– <strong>für</strong> die Landjugend <strong>Württemberg</strong>-<br />
<strong>Baden</strong> zumindest alle zwei Jahre schon. Zum<br />
28. Mal richteten in ganz Deutschland Landjugendverbände<br />
die Berufswettbewerbe <strong>für</strong> die<br />
„Grünen Berufe“ aus – dazu gehören Hauswirtschaft,<br />
Forstwirtschaft, Landwirtschaft und<br />
Weinbau. Anmelden können sich jeweils die<br />
Auszubildenden der verschiedenen Jahrgänge<br />
– über 1000 waren es in diesem Jahr in <strong>Baden</strong>-<br />
<strong>Württemberg</strong>. Bei diesem besonderen Kräftemessen<br />
geht es nicht nur darum, Baumarten<br />
oder Futtersorten zu erkennen und praktische<br />
Aufgaben zu lösen, auch ein breites Allgemeinwissen<br />
ist gefragt.<br />
Einzelne SchülerInnen gezielt zu fördern war<br />
das Ziel von „KOMET – Kompetenz- und<br />
Erfolgstrainings <strong>für</strong> Jugendliche“. Dazu sollten<br />
die spezifischen Bildungsansätze der unterschiedlichen<br />
Träger außerschulischer Jugendbildung<br />
genutzt und in die Kooperation mit<br />
Schule eingebracht werden. Von 2005 bis 2007<br />
wurden in 34 Projekten 650 Jugendliche<br />
erreicht und gefördert.<br />
Für Jugendliche mit besonderem Förderbedarf<br />
wurde ein attraktives Bildungsangebot entwickelt,<br />
indem schulische und außerschulische<br />
Lernprozesse verknüpft und in einem einheitlichen<br />
Konzept des Kompetenzerwerbs aufeinander<br />
abgestimmt wurden. Jugendliche von<br />
13 bis 16 Jahren mit erschwerten Schul- und<br />
Berufsperspektiven konnten durch individuell<br />
„Durch die Teilnahme am Wettbewerb beweisen<br />
die jungen Menschen Selbstbewusstsein<br />
und lernen sich den kritischen Fragen einer externen<br />
Jury zu stellen“, lobte Ministerialdirektor<br />
Max Munding anlässlich der Siegerehrung des<br />
Erstentscheids im Februar 2007 in Aalen.<br />
„Sich im fairen Wettbewerb zu messen, fördert<br />
das unternehmerische Profil, das in Zukunft<br />
immer wichtiger wird. Zusätzlich werden Kontakte<br />
zu anderen Berufskollegen geknüpft und<br />
[<br />
KOMET – Kompetenz- und Erfolgstrainings <strong>für</strong> Jugendliche<br />
]<br />
650 Erfolgserlebnisse<br />
angepasste Trainings wirkungsvoll unterstützt<br />
werden. KOMET war ein Angebot <strong>für</strong> Jugendliche<br />
aller Schultypen, in der Regel aus den<br />
Klassenstufen Sieben und Acht. Aufgrund des<br />
individuellen Förderansatzes von KOMET richteten<br />
sich die Maßnahmen an einzelne ausgewählte<br />
SchülerInnen und nicht an ganze<br />
Klassenverbände.<br />
Die außerschulischen Projektträger und die<br />
beteiligten Schulen sind sich einig, dass die<br />
persönlichen, sozialen und fachlichen Kompetenzen<br />
der teilnehmenden Jugendlichen im Projektverlauf<br />
spürbar gewachsen sind. Die Projekte<br />
haben auch dazu beigetragen, dass sich die<br />
Kooperationsbeziehungen zwischen Trägern<br />
und Schulen im Sinne einer Bildungspartnerschaft<br />
deutlich weiter entwickelt haben.<br />
[ jugendarbeit<br />
der eigene Blickwinkel erweitert“, so Munding.<br />
Nur 30 bis 40 Prozent der Mitglieder im Verband<br />
der Landjugend <strong>Württemberg</strong>-<strong>Baden</strong><br />
haben noch direkt oder indirekt mit der Landwirtschaft<br />
zu tun. Trotzdem ist die Ausrichtung<br />
des Wettbewerbs <strong>für</strong> die Landjugend noch<br />
immer attraktiv: „Hier ist eine gute Gelegenheit<br />
<strong>für</strong> uns, Mitglieder zu werben. Und auch viele,<br />
die nicht in der Landwirtschaft arbeiten, sind<br />
am Wettbewerb interessiert“, erläutert Geschäftsführer<br />
Matthias Moser.<br />
Projektträger<br />
Landesstiftung <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> mit<br />
Landesjugendring<br />
Arbeitsgemeinschaft der Jugendfreizeitstätten<br />
Diakonische Werke<br />
Christliches Jugenddorfwerk<br />
Bund der Deutschen Katholischen Jugend<br />
Kontakt: Projektfachstelle KOMET<br />
Martin Maier und Andreas Bühler<br />
c/o Bund der Deutschen Katholischen<br />
Jugend (BDKJ)<br />
Diözese Rottenburg-Stuttgart<br />
www.komet-bw.de<br />
[ 21]
ezension<br />
TV-Moderator Ulrich Wickert<br />
lobt das Buch „Jugend im WertAll“.<br />
[<br />
Die Jugend habe keine Werte mehr, heißt es oft.<br />
Abgesehen davon, dass fast jede Generation<br />
vor uns das gleiche Vorurteil über die Nachwachsenden<br />
fällte, könnte man auch mal<br />
kritisch zurückfragen: von wem sollen sie ihre<br />
Werte denn haben, die jungen Leute heute?<br />
In <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> haben Landesjugendring<br />
und Landesstiftung diese Frage gestellt.<br />
Herausgekommen sind 71 ganz unterschiedliche<br />
Projekte über Wertekommunikation mit<br />
jungen Menschen, und aus diesen Projekten<br />
wurde ein Buch: Jugend im WertAll, ein „Leseund<br />
Arbeitsbuch“. Die Projekte fanden in<br />
Einrichtungen der außerschulischen Jugendbildung<br />
statt, so ist es ein Buch geworden über<br />
Jugendarbeit, und was junge Menschen selbst<br />
bewegt, wenn es um Werte geht. Erstaunlich<br />
ist, wie offen, wie ernsthaft sich die Jugendlichen<br />
auf das Thema einließen, allen Vorurteilen<br />
der Altvorderen zum Trotz. Da haben<br />
sich straffällige Jugendliche <strong>für</strong> Behinderte<br />
engagiert und umgekehrt, da haben Migrantenjugendliche<br />
mit Obdachlosen ein Theaterstück<br />
über die „Heimat“ inszeniert, da haben<br />
sich Jugendliche an große Themen wie Arbeitslosigkeit,<br />
Staatsverschuldung und die Risiken<br />
der Globalisierung herangemacht.<br />
<strong>Das</strong> Buch gibt zuweilen erschütternde Einblicke<br />
in die Welt, die Jugendliche erleben und<br />
mit der sie zurechtkommen müssen. Es sind<br />
Spielfilmszenen auf der beigelegten DVD und<br />
manche Zitate im Text, die schaudern lassen,<br />
etwa wenn Schülerinnen ihre Situation im<br />
Elternhaus schildern, oder der 19jährige André<br />
[ 22 ]<br />
]<br />
Spannend,<br />
wertvoll,<br />
lesenswert!<br />
resümiert: „Hören Sie mir auf mit Werten, ich<br />
bin schon zu oft enttäuscht worden. Ohne Ausbildung<br />
respektiert mich niemand.“ Daraus<br />
sprechen Verletzungen, die Erwachsene jungen<br />
Menschen aus Gleichgültigkeit und Desinteresse<br />
zufügen. Andere Passagen im Buch wiederum<br />
sind philosophisch, hier und da sogar utopisch,<br />
noch andere sind ganz pragmatisch, sie<br />
beschreiben Methoden, wie man das anstellen<br />
kann, mit jungen Menschen über Werte zu<br />
kommunizieren. Auch die Wissenschaft kommt<br />
zu Wort. Die Werte-Welten der Jugendlichen<br />
werden analysiert, und die Bedingungen, unter<br />
denen Wertekommunikation gelingen kann.<br />
Am meisten berührt die Lektüre dort, wo es<br />
poetisch wird, auch das gibt es bei den Projekten<br />
im WertAll, zum Beispiel eine junge Frau<br />
mit Morbus Down: „Wenn ich ganz ruhig bin,<br />
meine Augen zumache, nichts mehr spreche,<br />
spüre ich meine Seele“ (Janette, 21).<br />
Jugend im WertAll erzählt davon, warum es<br />
lohnt, sich <strong>für</strong> Jugendliche zu engagieren. Es<br />
zeigt, wie Jugendarbeit zum Gelingen von<br />
Gesellschaft beiträgt. Es bekennt sich zu der<br />
„geheimen Zutat“, ohne die es Jungen und<br />
Mädchen nicht schaffen werden, wirklich erwachsen<br />
zu werden. Spannend und wertvoll,<br />
lesenswert!<br />
]<br />
]info<br />
Michael Kalff, Evi Rottmair<br />
Jugend im WertAll<br />
Lese- und Arbeitsbuch zur Wertekommunikation<br />
mit jungen Menschen<br />
Juventa, Weinheim 2007. 204 Seiten,<br />
mit Arbeitsmaterialien auf DVD, 14 Euro.<br />
Jugendliche werden heute zerrissen zwischen<br />
den Widersprüchen und Ansprüchen<br />
von Werte-Welten: postmodernes „anything<br />
goes“ oder mustergültiger Lebenslauf;<br />
Wegschauen oder Zivilcourage; islamische<br />
Kleiderregeln versus bauchfrei mit<br />
Piercing; das Werte-Versagen und die<br />
Werte-Verwirrung in Politik und Wirtschaft.<br />
Die Auseinandersetzung mit Werten ist <strong>für</strong><br />
die Persönlichkeitsbildung von Mädchen<br />
und Jungen jedoch existentiell. Damit diese<br />
erfolgreich, konstruktiv und fruchtbar verläuft,<br />
müssen Jugendliche authentische<br />
Werte-Erfahrungen machen, Werte reflektieren<br />
und kommunizieren, sich engagieren.<br />
Dazu benötigen sie entsprechende Angebote<br />
und Gelegenheiten.<br />
<strong>Das</strong> Programm „Jugend im WertAll“ der<br />
Landesstiftung <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> ermöglichte<br />
gelingende Wertekommunikation,<br />
dokumentierte authentische Werte-Erfahrungen,<br />
entwickelte vielfältige Methoden<br />
und hat sich in der Praxis bewährt. Der vorliegende<br />
Band präsentiert wichtige Erfahrungen,<br />
philosophiert über Werte, bietet<br />
Methoden, Materialien und vielfältige Ansätze<br />
<strong>für</strong> unterschiedliche Settings in der<br />
Arbeit mit Jugendlichen. Die Breite der Ansätze<br />
ist auch ein Spiegel der aktuellen<br />
Jugendarbeit. Ein gelungener Beitrag zur<br />
gegenwärtigen Debatte um Jugend und<br />
Werte.
Für<br />
ein<br />
Lächeln<br />
Spendenkonto<br />
33<br />
Sparda-Bank <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />
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Kinder und Jugendliche.<br />
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