Wissenschaft und Politik in der DDR - Peer Pasternack
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<strong>Pasternack</strong>: <strong>Wissenschaft</strong> <strong>und</strong> <strong>Politik</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> 519<br />
wi<strong>der</strong>stände ausdrücklich durch Beschleunigung aus<br />
dem Wege räumen wollte.'2<br />
Als zentraler Unterschied zwischen <strong>DDR</strong> <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esrepublik<br />
h<strong>in</strong>sichtlich des <strong>Wissenschaft</strong>-<strong>Politik</strong><br />
Verhältnisses ist zu notieren, wie die Steuerung von<br />
<strong>Wissenschaft</strong> aufgefasst <strong>und</strong> umgesetzt wurde. In<br />
<strong>der</strong> <strong>DDR</strong> war <strong>der</strong> Steuerungsoptimismus, auch gegen<br />
aUe wi<strong>der</strong>streitenden Erfahrungen, zeitenübergreifend<br />
ungebrochen. Er wurde lediglich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
kurzen Phase <strong>in</strong> den 60er-Jahren relativiert, als deI<br />
Eigenlogik <strong>der</strong> Subsysteme breiterer Raum verschafft<br />
werden sollte. In <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik h<strong>in</strong>gegen fand<br />
<strong>und</strong> f<strong>in</strong>det fortwährend e<strong>in</strong>e Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung<br />
zwischen Steuerungsoptimisten <strong>und</strong> Steuerungspessimisten<br />
statt - die nie e<strong>in</strong>deutig entschieden wurde<br />
<strong>und</strong> wechselnde Sieger sah <strong>und</strong> sieht.<br />
3. Fazit<br />
In <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> dom<strong>in</strong>ierte die Heteronomie das Verhältnis<br />
von <strong>Wissenschaft</strong> <strong>und</strong> <strong>Politik</strong>. Sie konnte nur<br />
im E<strong>in</strong>zelfall durch fortwährend prekäre Teilautonomie-Arrangements<br />
relativiert werden. In <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik<br />
ist die Autonomie <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> nie<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich <strong>in</strong> Frage gestellt worden. Sie erfährt<br />
ihre Gefährdungen seltener durch e<strong>in</strong>e übergriffige<br />
<strong>Politik</strong> als durch Usurpationen sektorenfrem<strong>der</strong> Funktionslogiken,<br />
etwa denen des Marktes.<br />
Metaphorisch ließe sich auch formulieren: In <strong>der</strong><br />
<strong>DDR</strong> trachtete die <strong>Politik</strong> danach, die <strong>Wissenschaft</strong><br />
zu domestizieren. Die <strong>Wissenschaft</strong>ler sollten sich den<br />
politischen Vorgaben, Abläufen <strong>und</strong> Ansprüchen unterwerfen<br />
- im Gegenzug wurden e<strong>in</strong>ige arttypische<br />
Eigenheiten zugestanden bzw. <strong>in</strong> Kauf genommen. In<br />
<strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik war es durch die Jahrzehnte h<strong>in</strong><br />
im Wesentlichen akzeptiert, dass die <strong>Wissenschaft</strong><br />
ihr eigenes Habitat selbst organisiert. Die <strong>Politik</strong> erwartete<br />
zwar auch, dass Nützlichkeitserwartungen<br />
bedient werden. Sie baute aber im Wesentlichen darauf,<br />
dass die Erträge desto effektiver ausfallen, je<br />
restriktionsfreier sie zustande kommen.<br />
Erstaunen muss, dass trotz <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen, unter<br />
denen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> <strong>Wissenschaft</strong> betrieben werden<br />
musste, <strong>in</strong> zahlreichen Bereichen beachtenswerte<br />
Forschungsergebnisse erzielt wurden 33 - wobei diese<br />
Bewertung davon ausgeht, dass Beachtliches nicht erst<br />
dann erreicht wird, wenn Paradigmen umgestoßen<br />
<strong>und</strong> wissenschaftliche Revolutionen ausgelöst werden:<br />
<strong>Wissenschaft</strong> ist überall <strong>und</strong> systemunabhängig<br />
nur ausnahmsweise Spitzenwissenschaft. Insoweit ist<br />
solide <strong>Wissenschaft</strong> auch nicht alle<strong>in</strong> solche, welche<br />
die Zeiten überdauert. Der größte Teil <strong>der</strong> Forschungsergebnisse<br />
erledigt sich allerorten durch die<br />
jeweils darauf aufbauenden nachfolgenden Arbeiten<br />
spätestens <strong>der</strong> nächsten Forschergeneration. Das haben<br />
ost- <strong>und</strong> westdeutsche <strong>Wissenschaft</strong> wie<strong>der</strong>um<br />
gememsam.<br />
32 Vgl. z. B. Jürgen Mittelstraß, Unverzichtbar, schwer kontrollierbar.<br />
Die Strukturkommission - Alibi o<strong>der</strong> zeitgemäßes<br />
Instrument <strong>der</strong> Hochschulpolitik?, <strong>in</strong>: 10 Jahre danach, Hg.<br />
Stifterverband für die Deutsche <strong>Wissenschaft</strong>, Essen 2002,<br />
S.29-32.<br />
33 Z. B. zur Geschichte <strong>der</strong> Französischen Revolution, zur Geschichte<br />
des Zweiten Weltkriegs, zur L<strong>in</strong>guistik <strong>und</strong> Grammatiktheorie<br />
o<strong>der</strong> zur Krebsforschung.