Wissenschaft und Politik in der DDR - Peer Pasternack
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<strong>Pasternack</strong>: <strong>Wissenschaft</strong> <strong>und</strong> <strong>Politik</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />
ressourcen für die sozialistische Entwicklung des<br />
Landes darzustellen.Ursprünglich war <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat e<strong>in</strong>e<br />
möglichst weitgehende Trennung von Forschung <strong>und</strong><br />
Lehre an <strong>der</strong> Trennl<strong>in</strong>ie von Akademie<strong>in</strong>stituten <strong>und</strong><br />
Hochschulen beabsichtigt. Doch am Ende entstand e<strong>in</strong><br />
<strong>Wissenschaft</strong>ssystem, das sämtliche E<strong>in</strong>richtungen<br />
- Akademien wie Hochschulen - mit <strong>der</strong> Anfor<strong>der</strong>ung<br />
befrachtete, gleichermaßen Gr<strong>und</strong>lagen- wie auch<br />
Anwendungsforschung zu betreiben. Die Losung des<br />
Jahrzehnts war: »<strong>Wissenschaft</strong> als Produktivkraft«.<br />
Dazu gehörte auch e<strong>in</strong>e deutliche Ausweitung <strong>der</strong><br />
HochschulbiIdungsbeteiligu ng. lO<br />
In Westdeutschland waren die 60er-Jahre das Jahrzehnt<br />
<strong>der</strong> Hochschulöffnung, kulturellen Durchlüftung<br />
<strong>und</strong> Demokratisierung sowohl <strong>der</strong> Hochschulen<br />
als auch, von diesen wesentlich ausgehend, <strong>der</strong> Gesellschaft.<br />
Der H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> ist auch hier e<strong>in</strong>e Innovationskrise<br />
gewesen, gekoppelt mit <strong>der</strong> Prognose,<br />
man steuere auf e<strong>in</strong>e »Bildungskatastrophe« ZU. II<br />
Die Anlässe dieser Wahrnehmungen waren <strong>der</strong> sogenannte<br />
Sputnikschock 1957 <strong>und</strong> die nachfolgenden<br />
Raumfahrterfolge <strong>der</strong> Sowjetunion. In das Gr<strong>und</strong>gesetz<br />
wurden für den <strong>Wissenschaft</strong>sbereich B<strong>und</strong>eskompetenzen<br />
<strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>schaftsaufgaben von B<strong>und</strong><br />
<strong>und</strong> Län<strong>der</strong>n aufgenommen: Ohne B<strong>und</strong>esbeteiligung<br />
schien die <strong>Wissenschaft</strong>sentwi.cklung hoffnungslos<br />
<strong>in</strong> Rückstand zu geraten. Damit setzte e<strong>in</strong>e massive<br />
Hochschulexpansion e<strong>in</strong>. Kulturell bedeutsam war vor<br />
allem die nachholende Aufarbeitung <strong>der</strong> NS-Vergangenheit.<br />
12 Als Voraussetzung <strong>der</strong> Hochschulexpansion<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> kulturellen Neukonfiguration <strong>der</strong> westdeutschen<br />
Hochschulen wirkte e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>guläre Koalition<br />
von Akteuren, die im Übrigen e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> wenig zugeneigt<br />
waren: Es gab e<strong>in</strong>e h<strong>in</strong>reichende Interessenüberlappung<br />
zwischen Technokraten e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong><br />
Demokraten an<strong>der</strong>erseits. Die e<strong>in</strong>en sahen geöffnete,<br />
expandierende <strong>und</strong> erneuerte Hochschulen als zentrale<br />
Bed<strong>in</strong>gung, um die Wettbewerbsfähigkeit des<br />
Wirtschaftsstandorts <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Systemkonkurrenz<br />
zu sichern. Die an<strong>der</strong>en sahen solche Hochschulen als<br />
zentrale Bed<strong>in</strong>gung, um Bildung als Bürgerrecht <strong>und</strong><br />
mehr Chancengleichheit durchzusetzen. 1J<br />
Die 70er-Jahre brachten hochschul- <strong>und</strong> wissenschaftspolitisch<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> e<strong>in</strong>e Expansionsriickna/une<br />
<strong>und</strong> Diszipl<strong>in</strong>ierung. Mit <strong>der</strong> Entmachtung<br />
Waltel' Ulbrichts durch Erich Honeekel' wich die<br />
513<br />
<strong>Wissenschaft</strong>s- <strong>und</strong> Innovationseuphorie e<strong>in</strong>em<br />
deutlich sachlicheren Verhältnis zu Forschung <strong>und</strong><br />
Hochschulbildung. Die Studienanfängerquote <strong>der</strong><br />
entsprechenden Altersjahrgänge g<strong>in</strong>g wie<strong>der</strong> auf 12,6<br />
Prozent zurück, nachdem sie zuvor fast 19 Prozent<br />
(1970) erreicht hatte. 14 Zugleich wurden die 70er<br />
Jahre durch Diszipl<strong>in</strong>ierungen geprägt. Diese waren<br />
zwar nicht wissenschaftsspezifiscb <strong>in</strong>tendiert,<br />
son<strong>der</strong>n allgeme<strong>in</strong> <strong>in</strong>telligenzpolitisch - mit dem<br />
Höhepunkt <strong>der</strong> Biermann-Ausbürgerung 1976 <strong>und</strong><br />
den daraus folgenden Entwicklungen <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />
<strong>in</strong> den künstlerischen Milieus. Doch hatten diese<br />
Vorgänge Auswi rkLIngen auch auf Hochschulen <strong>und</strong><br />
Forschungs<strong>in</strong>stitute. Politisch orthodoxe Positionen<br />
gewannen dort die Oberhand, <strong>und</strong> politisch motivierte<br />
Verfahren gegen Studierende <strong>und</strong> <strong>Wissenschaft</strong>ler/<br />
-<strong>in</strong>nen strahlten <strong>in</strong> ihren Diszipl<strong>in</strong>ierungswirkungen<br />
jeweils weit aus. 15<br />
Die b<strong>und</strong>esdeutschen Entwicklungen <strong>der</strong> 70er-Jahre<br />
h<strong>in</strong>gegen waren durch die Fortsetzung <strong>der</strong> Hochschulexpansion<br />
<strong>und</strong> e<strong>in</strong>e gleichzeitig e<strong>in</strong>setzende Pädagogisierung<br />
charakterisiert. Große Hochschulbauvorhaben<br />
wurden <strong>in</strong> Gang gesetzt sowie zahlreiche<br />
Universitäten neu gegründet <strong>und</strong> die Fachhochschulen<br />
geschaffen. Mit <strong>der</strong> Expansion gerieten auch neue<br />
Gruppen an die Hochschulen, die bis vor kurzem noch<br />
von konservativen Professoren als studierunfähig kategorisiert<br />
worden waren. Diesen Behauptungen <strong>der</strong><br />
10 Vgl. Wolfgang Lambrecht, <strong>Wissenschaft</strong>spolitik zwischen<br />
Ideologie <strong>und</strong> Pragmatismus. Die 111. Hochschulreform<br />
(1965 - 71) am Beispiel <strong>der</strong> TH Karl-Marx-Stadt, Münster<br />
u. a. 2007.<br />
11 Georg Picht, Die deutsche Bildungskatastrophe. Analyse<br />
<strong>und</strong> Dokumentation, Freiburg i. Br. 1964.<br />
12 Vgl. dazu vor allem Rolf Seeliger (Hg.), Braune Universität.<br />
Deutsche Hochschullehrer gestern <strong>und</strong> heute, 4 Bde.,<br />
München 1964-1966.<br />
13 Vgl. Ralf Dahrendorf, Bildung ist Bürgerrecht, Hamburg<br />
1965; Wollgang Nitsch u. a., Hochschule <strong>in</strong> <strong>der</strong> Demokratie,<br />
Berl<strong>in</strong>/Neuwied 1965.<br />
14 Robert D. Reisz/Manfred Stock, Inklusion <strong>in</strong> Hochschulen.<br />
Beteiligung an <strong>der</strong> Hochschulbildung <strong>und</strong> gesellschaftlichen<br />
Entwicklung <strong>in</strong> Europa <strong>und</strong> <strong>in</strong> den USA (1950-2000), Bonn<br />
2007, S. 61.<br />
15 Dieser Aspekt ist noch nicht systematisch untersucht - wie<br />
generell die 70er-Jahre bislang selten Gegenstand eigenständiger<br />
Studien s<strong>in</strong>d. So muss <strong>der</strong>zeit v. a. auf Er<strong>in</strong>nerungsliteratur<br />
von Zeitzeugen zurückgegriffen werden.