Wissenschaft und Politik in der DDR - Peer Pasternack
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<strong>Pasternack</strong>: <strong>Wissenschaft</strong> <strong>und</strong> <strong>Politik</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> 511<br />
Die Begriffe s<strong>in</strong>d vor allem aus e<strong>in</strong>em Gr<strong>und</strong>e bedeutsam:<br />
Sie stellen die Scharniere zwischen historischer<br />
Forschung e<strong>in</strong>erseits sowie öffentlicher Debatte<br />
<strong>und</strong> gesellschaftlichem Geschichtsbewusstse<strong>in</strong><br />
an<strong>der</strong>erseits dar. Generalisierende Begriffe s<strong>in</strong>d<br />
gleichsam die Sedimente historischer Forschung, die<br />
e<strong>in</strong>er auch außerfachlichen Öffentlichkeit als verdichtete<br />
Deutungsangebote unterbreitet werden. Die <strong>in</strong><br />
diesen Begriffen aufgenommenen Differenzierungen<br />
müssen ihre Grenze dort f<strong>in</strong>den, wo die historisch<br />
jeweils dom<strong>in</strong>ierenden Tendenzen nicht mehr erkennbar<br />
würden. Diese Gefahr bestünde dann, wenn die<br />
Anzahl <strong>der</strong> e<strong>in</strong>bezogenen Unterscheidungen nicht<br />
mehr erkennen ließe, was primäre, sek<strong>und</strong>äre <strong>und</strong><br />
was periphere Prozess- o<strong>der</strong> Strukturelemente des<br />
betrachteten historischen Geschehens waren.<br />
Im Übrigen kann ke<strong>in</strong>e Art <strong>der</strong> Betrachtung <strong>und</strong><br />
erst recht ke<strong>in</strong>e generalisierende - wie die folgendee<strong>in</strong>e<br />
Differenziertheit transportieren, die <strong>in</strong> ihrer<br />
Komplexität dem historischen Realgeschehen exakt<br />
entspräche. Dem stehen nicht alle<strong>in</strong> Begrenzungen<br />
<strong>der</strong> Forschungs-, Darstellungs- <strong>und</strong> Informationsverarbeitungskapazitäten<br />
entgegen. Viel gr<strong>und</strong>sätzl icher<br />
verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t dies die Struktur jeglicher Beobachtung.<br />
Nehmen wir die <strong>DDR</strong>-Debatte: In dieser wird von<br />
Zeitzeugen gegen Vere<strong>in</strong>fachungen, die als unzulässig<br />
empf<strong>und</strong>en werden, häufig Differenzierung e<strong>in</strong>gefor<strong>der</strong>t.<br />
Das formuliert e<strong>in</strong>en Anspruch auf problemangemessene<br />
Komplexität <strong>der</strong> Betrachtung. Dieser<br />
Anspruch ist ebenso berechtigt wie letztlich une<strong>in</strong>lösbar:<br />
Da zur Struktur e<strong>in</strong>es beliebigen Problems<br />
se<strong>in</strong>e Kontexte gehören, ist die Komplexität durch<br />
Erweiterung des Betrachtungsrahmens makroskopisch<br />
unendlich steigerbar, <strong>und</strong> da e<strong>in</strong> Problem auch<br />
<strong>in</strong>tern <strong>in</strong> immer noch weitere Tiefendimensionen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong><br />
ausdifferenziert werden kann, gelangt die Komplexität<br />
mikroskopisch erst dort an ihre Grenze, wo<br />
die Geduld <strong>und</strong> Aufnahmekraft <strong>der</strong> Analytiker <strong>und</strong><br />
ihrer Rezipienten längst erschöpft wären. Der Komplexitätsgrad<br />
historischer Forschung ist gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
ke<strong>in</strong>e Eigenschaft ihrer Gegenstände, son<strong>der</strong>n<br />
e<strong>in</strong>e Konstruktionsleistung <strong>in</strong> <strong>der</strong>en Beobachtung<br />
(wenngleich die Historiografie sich darum bemühen<br />
sollte, die Komplexität ihrer jeweiligen Gegenstände<br />
annähernd zu spiegeln).2<br />
1. <strong>Wissenschaft</strong> <strong>und</strong> <strong>Politik</strong><br />
<strong>in</strong> generalisierenden Stichworten<br />
Im Folgenden wird aus darstellungspragmatischen<br />
Gründen e<strong>in</strong>e Glie<strong>der</strong>ung nach Jahrzehnten vorgenommen.<br />
Damit wird ke<strong>in</strong>esfalls behauptet, dass sich<br />
die Verhältnisse zwischen <strong>Wissenschaft</strong> <strong>und</strong> <strong>Politik</strong><br />
genau <strong>in</strong> Dezennien gewandelt bätten.<br />
1949 waren die beiden deutschen Staaten gegründet<br />
worden. Deren erstes Jahrzehnt, die 50er-Jahre, war<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> wissenschaftspolitisch vorrangig durch<br />
Zentralisierung, Gegenprivilegierung <strong>und</strong> Ka<strong>der</strong>politisierung<br />
gekennzeichnet. 3 Mit Auflösung <strong>der</strong><br />
Län<strong>der</strong> g<strong>in</strong>g 1952 die Zuständigkeit für die Hochschulen<br />
an das Staatssekretariat für Hochschulwesen<br />
über. Dies schuf die Voraussetzung, um das gesamte<br />
<strong>Wissenschaft</strong>ssystem <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> fortan zentralstaatlich<br />
steuern zu können. Die H. Hochschulreform, gleichfalls<br />
1952, brachte die E<strong>in</strong>führung des gesellschaftswissenschaftlichen<br />
Gr<strong>und</strong>studiums <strong>und</strong> verschultere<br />
Studienabläufe. Bereits zuvor waren Entscheidungen<br />
getroffen worden, welche auf die Brechung des bürgerlichen<br />
Bildungsmonopols zielten. Mit den Arbeiter-<br />
<strong>und</strong> Bauern-Fakultäten (ABF) gab es Vorstudienanstalten,<br />
die bislang bildungsferne Schichten an e<strong>in</strong><br />
Hochschulstudium heranführten. 4 Lässt sich dies als<br />
<strong>in</strong>soweit berechtigte Maßnahme deuten, um bildungsbezogene<br />
Gerechtigkeitslücken zu schließen, so ver-<br />
2 Vgl. Niklas Luhmann, Die Gesellschaft <strong>der</strong> Gesellschaft,<br />
Frankfurt a. M. 1998, S. 144.<br />
3 Die Darstellung bezieht sich v. a. auf: Jürgen Kocka/Renate<br />
Mayntz (Hg.), <strong>Wissenschaft</strong> <strong>und</strong> Wie<strong>der</strong>vere<strong>in</strong>igung. Diszipl<strong>in</strong>en<br />
im Umbruch, Berl<strong>in</strong> 1998; Agnes Charlotte Tandler,<br />
Geplante Zukunft. <strong>Wissenschaft</strong>ler <strong>und</strong> <strong>Wissenschaft</strong>spolitik<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> 1955-1 971, Freiberg 2000; Clemens Burrichter/Gerald<br />
Diesener (Hg.), Auf dem Weg zur "Produktivkraft<br />
<strong>Wissenschaft</strong>«, Leipzig 2002; dies. (Hg.), Reformzeiten<br />
<strong>und</strong> <strong>Wissenschaft</strong>, Leipzig 2005; Andreas Malycha (Hg.),<br />
Geplante <strong>Wissenschaft</strong>. E<strong>in</strong>e Quellenedition zur <strong>DDR</strong>-<strong>Wissenschaft</strong>sgeschichte<br />
1945-1961, Leipzig 2003, <strong>in</strong>sb. S.<br />
23-87; IIko-Sascha Kowalczuk: Geist im Dienste <strong>der</strong> Macht.<br />
Hochschulpolitik <strong>in</strong> <strong>der</strong> SBZI<strong>DDR</strong> 1945 bis 1961, Berl<strong>in</strong><br />
2003.<br />
4 Vgl. Michael C. Schnei<strong>der</strong>, Bildung für neue Eliten. Die<br />
Gründung <strong>der</strong> Arbeiter- <strong>und</strong> Bauern-Fakultäten <strong>in</strong> <strong>der</strong> SBZI<br />
<strong>DDR</strong>, Dresden 1997; Ingrid Miethe, Bildung <strong>und</strong> soziale<br />
Ungleichheit <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>. Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen e<strong>in</strong>er<br />
gegenprivilegierenden Bildungspolitik, Opladen/Farm<strong>in</strong>gton<br />
Hills 2007.