Wissenschaft und Politik in der DDR - Peer Pasternack
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<strong>Pasternack</strong>: <strong>Wissenschaft</strong> <strong>und</strong> <strong>Politik</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> 511<br />
Die Begriffe s<strong>in</strong>d vor allem aus e<strong>in</strong>em Gr<strong>und</strong>e bedeutsam:<br />
Sie stellen die Scharniere zwischen historischer<br />
Forschung e<strong>in</strong>erseits sowie öffentlicher Debatte<br />
<strong>und</strong> gesellschaftlichem Geschichtsbewusstse<strong>in</strong><br />
an<strong>der</strong>erseits dar. Generalisierende Begriffe s<strong>in</strong>d<br />
gleichsam die Sedimente historischer Forschung, die<br />
e<strong>in</strong>er auch außerfachlichen Öffentlichkeit als verdichtete<br />
Deutungsangebote unterbreitet werden. Die <strong>in</strong><br />
diesen Begriffen aufgenommenen Differenzierungen<br />
müssen ihre Grenze dort f<strong>in</strong>den, wo die historisch<br />
jeweils dom<strong>in</strong>ierenden Tendenzen nicht mehr erkennbar<br />
würden. Diese Gefahr bestünde dann, wenn die<br />
Anzahl <strong>der</strong> e<strong>in</strong>bezogenen Unterscheidungen nicht<br />
mehr erkennen ließe, was primäre, sek<strong>und</strong>äre <strong>und</strong><br />
was periphere Prozess- o<strong>der</strong> Strukturelemente des<br />
betrachteten historischen Geschehens waren.<br />
Im Übrigen kann ke<strong>in</strong>e Art <strong>der</strong> Betrachtung <strong>und</strong><br />
erst recht ke<strong>in</strong>e generalisierende - wie die folgendee<strong>in</strong>e<br />
Differenziertheit transportieren, die <strong>in</strong> ihrer<br />
Komplexität dem historischen Realgeschehen exakt<br />
entspräche. Dem stehen nicht alle<strong>in</strong> Begrenzungen<br />
<strong>der</strong> Forschungs-, Darstellungs- <strong>und</strong> Informationsverarbeitungskapazitäten<br />
entgegen. Viel gr<strong>und</strong>sätzl icher<br />
verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t dies die Struktur jeglicher Beobachtung.<br />
Nehmen wir die <strong>DDR</strong>-Debatte: In dieser wird von<br />
Zeitzeugen gegen Vere<strong>in</strong>fachungen, die als unzulässig<br />
empf<strong>und</strong>en werden, häufig Differenzierung e<strong>in</strong>gefor<strong>der</strong>t.<br />
Das formuliert e<strong>in</strong>en Anspruch auf problemangemessene<br />
Komplexität <strong>der</strong> Betrachtung. Dieser<br />
Anspruch ist ebenso berechtigt wie letztlich une<strong>in</strong>lösbar:<br />
Da zur Struktur e<strong>in</strong>es beliebigen Problems<br />
se<strong>in</strong>e Kontexte gehören, ist die Komplexität durch<br />
Erweiterung des Betrachtungsrahmens makroskopisch<br />
unendlich steigerbar, <strong>und</strong> da e<strong>in</strong> Problem auch<br />
<strong>in</strong>tern <strong>in</strong> immer noch weitere Tiefendimensionen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong><br />
ausdifferenziert werden kann, gelangt die Komplexität<br />
mikroskopisch erst dort an ihre Grenze, wo<br />
die Geduld <strong>und</strong> Aufnahmekraft <strong>der</strong> Analytiker <strong>und</strong><br />
ihrer Rezipienten längst erschöpft wären. Der Komplexitätsgrad<br />
historischer Forschung ist gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
ke<strong>in</strong>e Eigenschaft ihrer Gegenstände, son<strong>der</strong>n<br />
e<strong>in</strong>e Konstruktionsleistung <strong>in</strong> <strong>der</strong>en Beobachtung<br />
(wenngleich die Historiografie sich darum bemühen<br />
sollte, die Komplexität ihrer jeweiligen Gegenstände<br />
annähernd zu spiegeln).2<br />
1. <strong>Wissenschaft</strong> <strong>und</strong> <strong>Politik</strong><br />
<strong>in</strong> generalisierenden Stichworten<br />
Im Folgenden wird aus darstellungspragmatischen<br />
Gründen e<strong>in</strong>e Glie<strong>der</strong>ung nach Jahrzehnten vorgenommen.<br />
Damit wird ke<strong>in</strong>esfalls behauptet, dass sich<br />
die Verhältnisse zwischen <strong>Wissenschaft</strong> <strong>und</strong> <strong>Politik</strong><br />
genau <strong>in</strong> Dezennien gewandelt bätten.<br />
1949 waren die beiden deutschen Staaten gegründet<br />
worden. Deren erstes Jahrzehnt, die 50er-Jahre, war<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> wissenschaftspolitisch vorrangig durch<br />
Zentralisierung, Gegenprivilegierung <strong>und</strong> Ka<strong>der</strong>politisierung<br />
gekennzeichnet. 3 Mit Auflösung <strong>der</strong><br />
Län<strong>der</strong> g<strong>in</strong>g 1952 die Zuständigkeit für die Hochschulen<br />
an das Staatssekretariat für Hochschulwesen<br />
über. Dies schuf die Voraussetzung, um das gesamte<br />
<strong>Wissenschaft</strong>ssystem <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> fortan zentralstaatlich<br />
steuern zu können. Die H. Hochschulreform, gleichfalls<br />
1952, brachte die E<strong>in</strong>führung des gesellschaftswissenschaftlichen<br />
Gr<strong>und</strong>studiums <strong>und</strong> verschultere<br />
Studienabläufe. Bereits zuvor waren Entscheidungen<br />
getroffen worden, welche auf die Brechung des bürgerlichen<br />
Bildungsmonopols zielten. Mit den Arbeiter-<br />
<strong>und</strong> Bauern-Fakultäten (ABF) gab es Vorstudienanstalten,<br />
die bislang bildungsferne Schichten an e<strong>in</strong><br />
Hochschulstudium heranführten. 4 Lässt sich dies als<br />
<strong>in</strong>soweit berechtigte Maßnahme deuten, um bildungsbezogene<br />
Gerechtigkeitslücken zu schließen, so ver-<br />
2 Vgl. Niklas Luhmann, Die Gesellschaft <strong>der</strong> Gesellschaft,<br />
Frankfurt a. M. 1998, S. 144.<br />
3 Die Darstellung bezieht sich v. a. auf: Jürgen Kocka/Renate<br />
Mayntz (Hg.), <strong>Wissenschaft</strong> <strong>und</strong> Wie<strong>der</strong>vere<strong>in</strong>igung. Diszipl<strong>in</strong>en<br />
im Umbruch, Berl<strong>in</strong> 1998; Agnes Charlotte Tandler,<br />
Geplante Zukunft. <strong>Wissenschaft</strong>ler <strong>und</strong> <strong>Wissenschaft</strong>spolitik<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> 1955-1 971, Freiberg 2000; Clemens Burrichter/Gerald<br />
Diesener (Hg.), Auf dem Weg zur "Produktivkraft<br />
<strong>Wissenschaft</strong>«, Leipzig 2002; dies. (Hg.), Reformzeiten<br />
<strong>und</strong> <strong>Wissenschaft</strong>, Leipzig 2005; Andreas Malycha (Hg.),<br />
Geplante <strong>Wissenschaft</strong>. E<strong>in</strong>e Quellenedition zur <strong>DDR</strong>-<strong>Wissenschaft</strong>sgeschichte<br />
1945-1961, Leipzig 2003, <strong>in</strong>sb. S.<br />
23-87; IIko-Sascha Kowalczuk: Geist im Dienste <strong>der</strong> Macht.<br />
Hochschulpolitik <strong>in</strong> <strong>der</strong> SBZI<strong>DDR</strong> 1945 bis 1961, Berl<strong>in</strong><br />
2003.<br />
4 Vgl. Michael C. Schnei<strong>der</strong>, Bildung für neue Eliten. Die<br />
Gründung <strong>der</strong> Arbeiter- <strong>und</strong> Bauern-Fakultäten <strong>in</strong> <strong>der</strong> SBZI<br />
<strong>DDR</strong>, Dresden 1997; Ingrid Miethe, Bildung <strong>und</strong> soziale<br />
Ungleichheit <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>. Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen e<strong>in</strong>er<br />
gegenprivilegierenden Bildungspolitik, Opladen/Farm<strong>in</strong>gton<br />
Hills 2007.
512<br />
band sich damit ebenso e<strong>in</strong>e explizite Politisierung<br />
des Hochschulzugangs: Es wurde nicht nur das e<strong>in</strong>e<br />
Bildungsmonopol gebrochen, son<strong>der</strong>n auch e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es<br />
neu etabliert. In den nächsten zwei Jahrzehnten<br />
gab es dann faktisch e<strong>in</strong> proletarisches bzw. funktionärsproletarisches<br />
Bildungsmonopol. Mit diesem<br />
wurde sichergestellt, dass die Hochschulen die ka<strong>der</strong>pol<br />
itische Heranbildung e<strong>in</strong>er realsozialistischen<br />
Dienstklasse leisteten. Das schloss nicht aus, son<strong>der</strong>n<br />
setzte voraus, dass die künftigen Akademiker/<strong>in</strong>nen<br />
auch fachlich solide ausgebildet wurden. Um dieses<br />
Ziel we<strong>der</strong> von <strong>der</strong> fachlichen noch <strong>der</strong> politischen<br />
Seite her zu gefährden, wurde e<strong>in</strong>e Durchmischung<br />
des Lehrkörpers <strong>in</strong> Gang gesetzt: Bürgerliche Gelehrte<br />
wurden benötigt, um die Qualität von Lehre <strong>und</strong><br />
Forschung zu sichern; marxistische <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />
sollten <strong>der</strong>en »Objektivismus« neutralisieren. Letztere<br />
setzten sich aus drei Untergruppen zusammen:<br />
respektable Gelehrte, mit denen es dann häufig auch<br />
alsbald Konflikte gab (etwa Hans Mayer, Ernst Bloch<br />
o<strong>der</strong> Walter Markov), hoffnungsvolle Nachwuchswissenschaftler,<br />
denen e<strong>in</strong>e akademische Blitzkarriere<br />
organisiert wurde, sowie Parteiarbeiter ohne wissenschaftliche<br />
Meriten (etwa Kurt Hager).<br />
In <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik dagegen dom<strong>in</strong>ierte <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Nachkriegszeit Elitenkont<strong>in</strong>uität. Das <strong>Wissenschaft</strong>ssystem<br />
war durch Restauration gekennzeichnet. Zeitweilige<br />
entnazifizierende Konzessionen an die Besatzungsmächte<br />
wurden <strong>in</strong> den SOer-Jahren, bis auf<br />
wenige Ausnahmen, stillschweigend korrigiert. Die<br />
Voraussetzung dafür schuf e<strong>in</strong>e Geschichtskonstruktion,<br />
wonach die <strong>Wissenschaft</strong> während <strong>der</strong> NS-Zeit<br />
»im Kern ges<strong>und</strong>«5 geblieben sei. Noch vor nicht allzu<br />
langer Zeit fand sich im Brockhaus unter dem Stichwort<br />
»Hochschule« e<strong>in</strong>e Aussage, die diese Position<br />
kont<strong>in</strong>uierte: Die Hochschulen, hieß es dort, hätten<br />
»als <strong>in</strong>stitutionelle E<strong>in</strong>richtungen die Zeit <strong>der</strong> nationalsozialistischen<br />
Diktatur <strong>in</strong>sgesamt ohne größeren<br />
Vertrauensverlust überstanden«. 6<br />
Die 60er-Jahre waren <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> vornehmlich<br />
durch e<strong>in</strong>e technokratische Mo<strong>der</strong>nisierung <strong>und</strong><br />
Hochschulexpansion gekennzeichnet. Der anhaltende<br />
Produktivitätsrückstand <strong>der</strong> ostdeutschen Wirtschaft<br />
wu rde auf <strong>der</strong>en Innovationsschwäche zurückgeführt.<br />
Um diese zu beheben, wurde versucht, e<strong>in</strong>e systemimmanente<br />
Reform des politisch-ökonomischen Steu-<br />
Forum<br />
erungsmodells zu bewerkstelligen. Das sogenannte<br />
Neue Ökonomische System <strong>der</strong> Planung <strong>und</strong> Leitung<br />
(NÖSPL) sollte e<strong>in</strong>er »Vervollkommnung«, sprich:<br />
Versachlichung <strong>der</strong> Führungsprozesse dienen. Bei<br />
übergreifen<strong>der</strong> Planung sei <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Eigenlogik<br />
<strong>der</strong> Ökonomie stärker zu berücksichtigen. 7 Mit<br />
<strong>der</strong> Kybernetik schien die <strong>Wissenschaft</strong> die hierfür<br />
benötigte Expertise bereitzuhalten: 8 Die Verb<strong>in</strong>dung<br />
von subsystem<strong>in</strong>terner Regelung mit gesamtsystemischer<br />
Steuerung, so die se<strong>in</strong>erzeit herrschende<br />
Annahme, lasse e<strong>in</strong>e optimierte Lenkung <strong>und</strong> Leitung<br />
zu. Die von e<strong>in</strong>er solch wissenschaftseuphorischen<br />
Gr<strong>und</strong>stimmllog beflügelten Fachdiszipl<strong>in</strong>en sollten<br />
dabei zugleich deutlich <strong>in</strong>novationsorientierter werden.<br />
Hierzu wurde die IU. Hochschu Ireform 1968 ff<br />
konzipiert, die zugleich e<strong>in</strong>e Reform <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>-Wissensehaftsakademie<br />
war. Die verbliebene Macht bürgerlicher<br />
Ord<strong>in</strong>arien an den Hochschulen sollte neutralisiert<br />
werden. Dies erschien notwendig, um e<strong>in</strong>em<br />
technokratischen Verständnis von <strong>Wissenschaft</strong> zum<br />
Durchbruch zu verhelfen. Dem dienten Ka<strong>der</strong>entwicklllngsprogramme,<br />
die Abschaffung <strong>der</strong> Institute <strong>und</strong><br />
E<strong>in</strong>führung von Sektionsstrukturen sowie e<strong>in</strong>e zentrale<br />
Etatbewirtschaftung an den Hochschulen. Was<br />
häufig als Sowjetisierung bezeichnet wird, ähnelte<br />
im <strong>in</strong>stitutionellen Ergebnis allerd<strong>in</strong>gs eher <strong>der</strong> USamerikanischen<br />
Department-Struktur. E<strong>in</strong> tatsächlicher<br />
Sowjetisierungsimpuls scheiterte am obstruktiven<br />
Wi<strong>der</strong>stand <strong>der</strong> Hochschulen: Diese wollten sich<br />
nicht zu re<strong>in</strong>en Lehranstalten degradieren lassen. 9<br />
Sie vermochten es <strong>in</strong> den folgenden Jahren, ihre Forschungskapazitäten<br />
als unverzichtbare Optimierungs-<br />
5 Studienausschuss für Hochschulreform, "Blaues Gutachten«<br />
(1948), dok.: Rolf Neuhaus (Hg.), Dokumente zur Hochschulreform<br />
1945-1959, Wiesbaden 1961.<br />
6 »Hochschule«, <strong>in</strong>: Brockhaus-Enzyklopädie, 20. Aufl., Mannheim<br />
1997, Bd. 10. In <strong>der</strong> 21. Auflage ist dies korrigiert.<br />
7 Vgl. Arnold Sywottek, Gewalt - Reform - Arrangement. Die<br />
<strong>DDR</strong> <strong>in</strong> den 60er Jahren, <strong>in</strong>: Axel Schild u. a. (Hg.), Dynamische<br />
Zeiten. Die 60er Jahre <strong>in</strong> den beiden deutschen<br />
Gesellschaften, Hamburg 2000, S. 54-76.<br />
8 Vgl. He<strong>in</strong>z Liebscher, Kybernetik <strong>und</strong> Leitungstätigkeit, Berl<strong>in</strong><br />
(0.) 1966; Frank Dittmann/Rudolf Seis<strong>in</strong>g (Hg.), Kybernetik<br />
steckt den Osten an. Aufstieg <strong>und</strong> Schwierigkeiten e<strong>in</strong>er<br />
<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären <strong>Wissenschaft</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>, Berl<strong>in</strong> 2007.<br />
9 Vgl. Matthias Middell, 1968 <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>. Das Beispiel Hochschhulreform,<br />
<strong>in</strong>: Etienne Franyois u.a. (Hg.), 1968 - e<strong>in</strong><br />
europäisches Jahr?, Leipzig 1997, S. 125-146.
<strong>Pasternack</strong>: <strong>Wissenschaft</strong> <strong>und</strong> <strong>Politik</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />
ressourcen für die sozialistische Entwicklung des<br />
Landes darzustellen.Ursprünglich war <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat e<strong>in</strong>e<br />
möglichst weitgehende Trennung von Forschung <strong>und</strong><br />
Lehre an <strong>der</strong> Trennl<strong>in</strong>ie von Akademie<strong>in</strong>stituten <strong>und</strong><br />
Hochschulen beabsichtigt. Doch am Ende entstand e<strong>in</strong><br />
<strong>Wissenschaft</strong>ssystem, das sämtliche E<strong>in</strong>richtungen<br />
- Akademien wie Hochschulen - mit <strong>der</strong> Anfor<strong>der</strong>ung<br />
befrachtete, gleichermaßen Gr<strong>und</strong>lagen- wie auch<br />
Anwendungsforschung zu betreiben. Die Losung des<br />
Jahrzehnts war: »<strong>Wissenschaft</strong> als Produktivkraft«.<br />
Dazu gehörte auch e<strong>in</strong>e deutliche Ausweitung <strong>der</strong><br />
HochschulbiIdungsbeteiligu ng. lO<br />
In Westdeutschland waren die 60er-Jahre das Jahrzehnt<br />
<strong>der</strong> Hochschulöffnung, kulturellen Durchlüftung<br />
<strong>und</strong> Demokratisierung sowohl <strong>der</strong> Hochschulen<br />
als auch, von diesen wesentlich ausgehend, <strong>der</strong> Gesellschaft.<br />
Der H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> ist auch hier e<strong>in</strong>e Innovationskrise<br />
gewesen, gekoppelt mit <strong>der</strong> Prognose,<br />
man steuere auf e<strong>in</strong>e »Bildungskatastrophe« ZU. II<br />
Die Anlässe dieser Wahrnehmungen waren <strong>der</strong> sogenannte<br />
Sputnikschock 1957 <strong>und</strong> die nachfolgenden<br />
Raumfahrterfolge <strong>der</strong> Sowjetunion. In das Gr<strong>und</strong>gesetz<br />
wurden für den <strong>Wissenschaft</strong>sbereich B<strong>und</strong>eskompetenzen<br />
<strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>schaftsaufgaben von B<strong>und</strong><br />
<strong>und</strong> Län<strong>der</strong>n aufgenommen: Ohne B<strong>und</strong>esbeteiligung<br />
schien die <strong>Wissenschaft</strong>sentwi.cklung hoffnungslos<br />
<strong>in</strong> Rückstand zu geraten. Damit setzte e<strong>in</strong>e massive<br />
Hochschulexpansion e<strong>in</strong>. Kulturell bedeutsam war vor<br />
allem die nachholende Aufarbeitung <strong>der</strong> NS-Vergangenheit.<br />
12 Als Voraussetzung <strong>der</strong> Hochschulexpansion<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> kulturellen Neukonfiguration <strong>der</strong> westdeutschen<br />
Hochschulen wirkte e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>guläre Koalition<br />
von Akteuren, die im Übrigen e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> wenig zugeneigt<br />
waren: Es gab e<strong>in</strong>e h<strong>in</strong>reichende Interessenüberlappung<br />
zwischen Technokraten e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong><br />
Demokraten an<strong>der</strong>erseits. Die e<strong>in</strong>en sahen geöffnete,<br />
expandierende <strong>und</strong> erneuerte Hochschulen als zentrale<br />
Bed<strong>in</strong>gung, um die Wettbewerbsfähigkeit des<br />
Wirtschaftsstandorts <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Systemkonkurrenz<br />
zu sichern. Die an<strong>der</strong>en sahen solche Hochschulen als<br />
zentrale Bed<strong>in</strong>gung, um Bildung als Bürgerrecht <strong>und</strong><br />
mehr Chancengleichheit durchzusetzen. 1J<br />
Die 70er-Jahre brachten hochschul- <strong>und</strong> wissenschaftspolitisch<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> e<strong>in</strong>e Expansionsriickna/une<br />
<strong>und</strong> Diszipl<strong>in</strong>ierung. Mit <strong>der</strong> Entmachtung<br />
Waltel' Ulbrichts durch Erich Honeekel' wich die<br />
513<br />
<strong>Wissenschaft</strong>s- <strong>und</strong> Innovationseuphorie e<strong>in</strong>em<br />
deutlich sachlicheren Verhältnis zu Forschung <strong>und</strong><br />
Hochschulbildung. Die Studienanfängerquote <strong>der</strong><br />
entsprechenden Altersjahrgänge g<strong>in</strong>g wie<strong>der</strong> auf 12,6<br />
Prozent zurück, nachdem sie zuvor fast 19 Prozent<br />
(1970) erreicht hatte. 14 Zugleich wurden die 70er<br />
Jahre durch Diszipl<strong>in</strong>ierungen geprägt. Diese waren<br />
zwar nicht wissenschaftsspezifiscb <strong>in</strong>tendiert,<br />
son<strong>der</strong>n allgeme<strong>in</strong> <strong>in</strong>telligenzpolitisch - mit dem<br />
Höhepunkt <strong>der</strong> Biermann-Ausbürgerung 1976 <strong>und</strong><br />
den daraus folgenden Entwicklungen <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />
<strong>in</strong> den künstlerischen Milieus. Doch hatten diese<br />
Vorgänge Auswi rkLIngen auch auf Hochschulen <strong>und</strong><br />
Forschungs<strong>in</strong>stitute. Politisch orthodoxe Positionen<br />
gewannen dort die Oberhand, <strong>und</strong> politisch motivierte<br />
Verfahren gegen Studierende <strong>und</strong> <strong>Wissenschaft</strong>ler/<br />
-<strong>in</strong>nen strahlten <strong>in</strong> ihren Diszipl<strong>in</strong>ierungswirkungen<br />
jeweils weit aus. 15<br />
Die b<strong>und</strong>esdeutschen Entwicklungen <strong>der</strong> 70er-Jahre<br />
h<strong>in</strong>gegen waren durch die Fortsetzung <strong>der</strong> Hochschulexpansion<br />
<strong>und</strong> e<strong>in</strong>e gleichzeitig e<strong>in</strong>setzende Pädagogisierung<br />
charakterisiert. Große Hochschulbauvorhaben<br />
wurden <strong>in</strong> Gang gesetzt sowie zahlreiche<br />
Universitäten neu gegründet <strong>und</strong> die Fachhochschulen<br />
geschaffen. Mit <strong>der</strong> Expansion gerieten auch neue<br />
Gruppen an die Hochschulen, die bis vor kurzem noch<br />
von konservativen Professoren als studierunfähig kategorisiert<br />
worden waren. Diesen Behauptungen <strong>der</strong><br />
10 Vgl. Wolfgang Lambrecht, <strong>Wissenschaft</strong>spolitik zwischen<br />
Ideologie <strong>und</strong> Pragmatismus. Die 111. Hochschulreform<br />
(1965 - 71) am Beispiel <strong>der</strong> TH Karl-Marx-Stadt, Münster<br />
u. a. 2007.<br />
11 Georg Picht, Die deutsche Bildungskatastrophe. Analyse<br />
<strong>und</strong> Dokumentation, Freiburg i. Br. 1964.<br />
12 Vgl. dazu vor allem Rolf Seeliger (Hg.), Braune Universität.<br />
Deutsche Hochschullehrer gestern <strong>und</strong> heute, 4 Bde.,<br />
München 1964-1966.<br />
13 Vgl. Ralf Dahrendorf, Bildung ist Bürgerrecht, Hamburg<br />
1965; Wollgang Nitsch u. a., Hochschule <strong>in</strong> <strong>der</strong> Demokratie,<br />
Berl<strong>in</strong>/Neuwied 1965.<br />
14 Robert D. Reisz/Manfred Stock, Inklusion <strong>in</strong> Hochschulen.<br />
Beteiligung an <strong>der</strong> Hochschulbildung <strong>und</strong> gesellschaftlichen<br />
Entwicklung <strong>in</strong> Europa <strong>und</strong> <strong>in</strong> den USA (1950-2000), Bonn<br />
2007, S. 61.<br />
15 Dieser Aspekt ist noch nicht systematisch untersucht - wie<br />
generell die 70er-Jahre bislang selten Gegenstand eigenständiger<br />
Studien s<strong>in</strong>d. So muss <strong>der</strong>zeit v. a. auf Er<strong>in</strong>nerungsliteratur<br />
von Zeitzeugen zurückgegriffen werden.
514<br />
Stlldierunfähigkeit sollte <strong>der</strong> Boden entzogen werden.<br />
Die im Zuge dessen expandierende Hochschuldidaktik<br />
neigte dabei zu überschießendem Elan <strong>und</strong> suchte<br />
sich als Leitwissenschaft <strong>der</strong> Hochschulbildung zu<br />
profilieren - mit <strong>der</strong> Folge, <strong>in</strong> den beiden folgenden<br />
Jahrzehnten umso gründlicher an den Rand gedrängt<br />
zu werden.<br />
Die 80er-Jahre waren <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> von e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en<br />
gesellschaftlichen Krise <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Generationsblockade<br />
geprägt. Beide wirkten auch unmittelbar<br />
auf die <strong>Wissenschaft</strong> <strong>und</strong> <strong>in</strong> ihr. Die offensichtlich<br />
werdende Krise des sozialistischen Systems wurde<br />
we<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Politi k noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> als gesellschaftliche,<br />
son<strong>der</strong>n vorrangig als Steuerungskrise<br />
begriffen. 16 Die Undenkbarkeit, dass dieses historisch<br />
>fortschrittlichere< System schlicht zusammenbrechen<br />
könnte, die ger<strong>in</strong>ge Attraktivität des kapitalistischen<br />
Systems außerhalb se<strong>in</strong>er Prosperitätszonen Westeuropa,<br />
Nordamerika, Australien <strong>und</strong> Japan sowie, vor<br />
allem, <strong>der</strong> Kalte Krieg mit se<strong>in</strong>en immer wie<strong>der</strong>kehrenden<br />
Überhitzungsphasen - dies sorgte für e<strong>in</strong>e<br />
Selbstbegrenzung des wissenschaftlichen Denkens im<br />
Angesicht <strong>der</strong> realsozialistischen Systemkrise. Doch<br />
selbst systemimmanente Steuerungsreformen wurden<br />
blockiert. Auch hierfür f<strong>in</strong>det sich allgeme<strong>in</strong>gesellschaftlich<br />
wie wissenschaftsspezifisch e<strong>in</strong>e parallele<br />
Ursache: Die Aufbaugeneration <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> okkupierte<br />
anhaltend die Führungspositionen <strong>und</strong> SchaltsteUen<br />
des Systems, während e<strong>in</strong>e eher an technokratischer<br />
Sachlichkeit orientierte mittlere Ka<strong>der</strong>generation <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> zweiten Reihe gehalten wurde. Nicht zuletzt diese<br />
Generationsblockade verh<strong>in</strong><strong>der</strong>te systemimmanente<br />
Steuerungsreformen bzw. <strong>der</strong>en Vordenken <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Wissenschaft</strong>. 17<br />
Auch <strong>in</strong> Westdeutschland gab es <strong>in</strong> den 80er-Jahren<br />
e<strong>in</strong>e Generationsblockade <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>. Allerd<strong>in</strong>gs<br />
war diese dort weniger politisch aufgeladen.<br />
Sie rührte zwar von den Massenbesetzungen <strong>der</strong> expansionsweise<br />
neu geschaffenen Professuren Anfang<br />
<strong>der</strong> 70er-Jahre her. Deren komplett e<strong>in</strong>er Generation<br />
angehörende Inhaber/<strong>in</strong>nen befanden sich nun noch<br />
nicht im Pensionsalter, während unterdessen aber die<br />
nächste <strong>Wissenschaft</strong>lergeneration herangewachsen<br />
war. So entstand e<strong>in</strong> Berufungsstau. Politisch relevant<br />
sollte dies jedoch erst im nächsten Jahrzehnt werden.<br />
An die Pädagogisierung <strong>der</strong> Hochschulen schloss sich<br />
Forum<br />
nun zunächst <strong>der</strong>en Biirokratisierung an. Kapazitätsverordnung<br />
(KapVO), Zentralstelle zur Vergabe von<br />
Studienplätzen (ZVS) sowie das wissenschaftspolitische<br />
Kartell aus B<strong>und</strong>-Län<strong>der</strong>-Kommission für<br />
Forschungsför<strong>der</strong>ung <strong>und</strong> Bildungsplanung (BLK)<br />
<strong>und</strong> Kultusm<strong>in</strong>isterkonferenz (KMK): Sie standen<br />
für e<strong>in</strong>e technisch verwaltende Erstarrung <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>spolitik,<br />
die ke<strong>in</strong>e Antworten hatte für die<br />
Bewältigung <strong>der</strong> Expansionsfolgen. Die Bürokratisierung<br />
stellte den Versuch dar, die sich nun strukturell<br />
verfestigende Unterf<strong>in</strong>anzierung <strong>der</strong> Hochschulen zu<br />
bewirtschaften.<br />
Die 90er-Jahre, das Jahrzehnt <strong>der</strong> deutschen Vere<strong>in</strong>igung,<br />
brachten <strong>in</strong> Ostdeutschland die Abwicklungen<br />
<strong>und</strong> die Transformation des kompletten <strong>Wissenschaft</strong>ssystems.<br />
18 Diese Vorgänge bestanden aus<br />
drei Teilprozessen: e<strong>in</strong>er strukturellen Anpassung<br />
<strong>der</strong> ostdeutschen an die westdeutsche <strong>Wissenschaft</strong>,<br />
<strong>der</strong> <strong>in</strong>haltlichen Pluralisierung des Forschungs- <strong>und</strong><br />
Lehrbetriebs sowie des Personalumbaus, bestehend<br />
aus <strong>der</strong> Personalstruktur-Neugestaltung <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
PersonaWberprüfung. 19 Faktisch lief dies auf e<strong>in</strong>en<br />
16 Frank Ettrich, Soziologie <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>. Hilfswissenschaft zwischen<br />
ideologischer Delegitimierung <strong>und</strong> partieller Professionalisierung,<br />
<strong>in</strong>: Berl<strong>in</strong>er Journal für Soziologie, 3-4/1992,<br />
S. 447 -472, hier 450.<br />
17 E<strong>in</strong>e späte Ausnahme stellt das »Sozialismus-Projekt« an<br />
<strong>der</strong> Humboldt-Universität zu Berl<strong>in</strong> dar, das zu spät kam,<br />
um noch praktische Wirkungen entfalten zu können. Vgl.<br />
Michael Brie u. a., Studie zur Gesellschaftsstrategie, Berl<strong>in</strong><br />
(0.) 1989; Ra<strong>in</strong>er Land u. a. (Hg.), Der SED-Reformdiskurs<br />
<strong>der</strong> achtziger Jahre. Dokumentation <strong>und</strong> Rekonstruktion<br />
kommunikativer Netzwerke <strong>und</strong> zeitlicher Abläufe, Analyse<br />
<strong>der</strong> Spezifik <strong>und</strong> <strong>der</strong> Differenzen zu an<strong>der</strong>en Reformdiskursen<br />
<strong>der</strong> SED, Berl<strong>in</strong>/Leipzig o. J. [1999?]; Dirk Rochtus,<br />
Zwischen Realität <strong>und</strong> Utopie. Der »dritte Weg« als Konzept<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> 1989/90, Leipzig 1999.<br />
18 Zu Details vgl. <strong>Peer</strong> <strong>Pasternack</strong>, Demokratische Erneuerung<br />
<strong>und</strong> Kolonialisierung. Prüfung zweier Klischees, <strong>in</strong>: Altons<br />
Söllner/Ralf Walkenhaus (Hg.), Ostprofile. Universitätsentwicklungen<br />
<strong>in</strong> den neuen B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n, Opladen/Wiesbaden<br />
1998,S. 146-173.<br />
19 Zu Details vgl. <strong>Peer</strong> <strong>Pasternack</strong>, Die wissenschaftliche Elite<br />
<strong>der</strong> <strong>DDR</strong> nach 1989, <strong>in</strong>: Hans-Joachim Veen (Hg.), Alte Eliten<br />
<strong>in</strong> jungen Demokratien. Wechsel, Wandel <strong>und</strong> Kont<strong>in</strong>uität<br />
<strong>in</strong> Mittel- <strong>und</strong> Osteuropa, Köln u. a. 2004, S. 121-148; <strong>Peer</strong><br />
<strong>Pasternack</strong>, <strong>Wissenschaft</strong>spersonal als Transformationsproblem.<br />
Resümee e<strong>in</strong>es unverdauten Vorgangs, <strong>in</strong>: Petra<br />
Boden/Frank-Rutger Hausmann (Hg.), Evaluationskultur als<br />
Streitkultur, Bielefeld 2005, S. 494-509.
516<br />
Die deutsch-deutsche <strong>Wissenschaft</strong>sentwicklung <strong>der</strong> Nachkriegsjahrzehnte <strong>in</strong> Stichworten<br />
Forum<br />
1950er-Jahre 1960er-Jahre 1970er-Jahre 1980er-Jahre 1990er-Jahre 2000er-Jahre<br />
Zentralisie- techno-<br />
Expansions- Abwickrung,<br />
Gegen- kratische Mo- Krise,<br />
rücknahme,<br />
lung,<br />
<strong>DDR</strong> privilegierung, <strong>der</strong>nisierung,<br />
Generations-<br />
Manageria-<br />
Diszipl<strong>in</strong>ie- Transfor-<br />
Ka<strong>der</strong>- Hochschul- biockade lisierung,<br />
rung mation Utilitaripolitisierung<br />
expansion<br />
Re-Büro-<br />
_____ •••• ____ 0_. sierung,<br />
Hochschul-<br />
kratisierung,<br />
Generations- Auflö- Flexibili-<br />
expansion, Expansions- Fö<strong>der</strong>aliblockade,<br />
sung <strong>der</strong> sierung<br />
B<strong>und</strong>es- kulturelle fortsetzung,<br />
sierung,<br />
Restauration Untert<strong>in</strong>an- Generarepublik<br />
Durchlüftung, Pädagogi-<br />
Verschulung<br />
zierung, Büro- tionsblo-<br />
Demokrati- sierung<br />
kratisierung ckade<br />
sierung<br />
Verschulung verb<strong>und</strong>en: Obligatorische Lehrveranstaltungen,<br />
starre Studienpläne, ger<strong>in</strong>ge Selbststudienzeit,<br />
Standardisierung <strong>und</strong> zahlreiche Prüfungsanfor<strong>der</strong>ungen<br />
kennzeichnen die bisherige Studienstrukturreform.<br />
Was hier unternommen wurde, war e<strong>in</strong>e Herausarbeitung<br />
dom<strong>in</strong>ieren<strong>der</strong> Entwicklungsl<strong>in</strong>ien. Dies<br />
impl iziert, dass nichtdom<strong>in</strong>ierende vernachlässigt<br />
wurden. Um es an e<strong>in</strong>em Beispiel zu verdeutlichen:<br />
Im Verhältnis zum radikalen Elitenbruch, wie er nach<br />
1945 <strong>in</strong> Ostdeutschland stattfand, ist es für diese Betrachtung<br />
nicht wesentlich, dass <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelfällen auch<br />
dort auf <strong>in</strong> den NS verstrickte <strong>Wissenschaft</strong>ler zurückgegriffen<br />
wurde. 25 Denn dom<strong>in</strong>ierend war <strong>der</strong><br />
Bruch, nicht die Kont<strong>in</strong>uität. Umgekehrt verhielt es<br />
sich dagegen im Westen Deutschlands: Elitenkont<strong>in</strong>uität<br />
verband sich mit zum Teil offener Fe<strong>in</strong>dseligkeit<br />
gegenüber Emigranten <strong>und</strong> Rückkehrern. Daher ist<br />
dies dort mit dem Begriff <strong>der</strong> Restauration als dom<strong>in</strong>ieren<strong>der</strong><br />
Trend vermerkt.<br />
Auch trifft sich die obige Darstellung <strong>in</strong> zahlreichen<br />
Punkten nicht mit <strong>in</strong>dividuellen Er<strong>in</strong>nerungen, wie<br />
sie mittlerweile <strong>in</strong> reicher Zahl publiziert s<strong>in</strong>d. Das<br />
entwertet die Er<strong>in</strong>nerungen <strong>der</strong> Zeitzeugen nicht,<br />
son<strong>der</strong>n verweist auf etwas an<strong>der</strong>es: Die dom<strong>in</strong>ierenden<br />
Entwicklungsl<strong>in</strong>ien e<strong>in</strong>er Zeit erschließen<br />
sich erst e<strong>in</strong>er distanzierten, vom E<strong>in</strong>zelerleben abstrahierenden<br />
Betrachtung - zeitlich, räumlich o<strong>der</strong><br />
kognitiv distanziert <strong>und</strong> analytisch abstrahierend. Wir<br />
haben es hier mit e<strong>in</strong>er unaufhebbaren Diskrepanz<br />
von Zeitzeugenschaft <strong>und</strong> Zeitgeschichtsschreibung<br />
zu tun. Diese zeigt sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er »Deutungskonkurrenz«<br />
zwischen Zeitzeugen <strong>und</strong> Zeitbistorikern. 26<br />
Wenn beispielsweise für die B<strong>und</strong>esrepublik <strong>der</strong><br />
60er-Jahre als e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> dom<strong>in</strong>ierenden Entwicklungen<br />
die kulturelle Durchlüftung des <strong>Wissenschaft</strong>sbetriebs<br />
festgehalten wird, dann wi<strong>der</strong>spricht das zweifelsohne<br />
zahlreichen Er<strong>in</strong>nerungen von Zeitzeugen. Diese<br />
haben häufig vor allem Krawalle <strong>und</strong> Angriffe auf<br />
akademische Traditionen im Gedächtnis behalten.<br />
Doch handelte es sich dabei zum e<strong>in</strong>en um zeitty-<br />
25 Z. B. den Germanisten Joachim Müller (vgl. Günter Schmidt!<br />
Ulrich Kaufmann [Hg.], Ritt über den Bodensee. Studien <strong>und</strong><br />
Dokumente zum Werk des Jenaer Germanisten Joachim<br />
Müller, Jena/Quedl<strong>in</strong>burg 2006), den Chemiker Peter Adolt<br />
Thiessen (vgl. Christ<strong>in</strong>a Eibl, Der Physikochemiker Peter<br />
Adolf Thiessen als <strong>Wissenschaft</strong>sorganisator [1899-1990].<br />
E<strong>in</strong>e biographische Studie, Diss. phil. Stuttgart1999; Klaus<br />
Beneke, Die Kolloidwissenschaftler Peter Adolf Thiessen,<br />
Gerhart Jan<strong>der</strong>, Robert Havemann, Hans Witzmann <strong>und</strong><br />
ihre Zeit, Nehmten 2000, S. 24-174), den Mediz<strong>in</strong>er Jussuf<br />
Ibrahim (vgl. Bericht <strong>der</strong> Kommission <strong>der</strong> Friedrich-Schiller-Universität<br />
Jena zur Untersuchung <strong>der</strong> Beteiligung Prof.<br />
Dr. Jussuf Ibrahims an <strong>der</strong> Vernichtung »lebensunwerten<br />
Lebens« während <strong>der</strong> NS-Zeit, Jena 2000) sowie die mediz<strong>in</strong>ische<br />
Hochschullehrerschaft <strong>in</strong>sgesamt (vgl. Anna<br />
Sab<strong>in</strong>e Ernst, »Die beste Prophylaxe ist <strong>der</strong> Sozialismus«.<br />
Ärzte <strong>und</strong> mediz<strong>in</strong>ische Hochschullehrer <strong>in</strong> <strong>der</strong> SBZ/<strong>DDR</strong><br />
1945-1961, Münster 1997).<br />
26 Konrad Jarausch, Zeitgeschichte <strong>und</strong> Er<strong>in</strong>nerung. Deutungskonkurrenz<br />
o<strong>der</strong> Interdependenz?, <strong>in</strong>: <strong>der</strong>s./Mart<strong>in</strong><br />
Sabrow (Hg.), Verletztes Gedächtnis. Er<strong>in</strong>nerungskultur<br />
<strong>und</strong> Zeitgeschichte im Konflikt, Frankfurt a. M./New York<br />
2002, S. 9-37.
518<br />
gesetzter Grenzen'zu geschehen hatte, war die <strong>DDR</strong><br />
Geschichte auch e<strong>in</strong>e Geschichte des Scheiterns <strong>der</strong><br />
Verwissenschaftlichung von <strong>Politik</strong>. Obendre<strong>in</strong> war<br />
die Parteiaufsicht über die wissenschaft<strong>in</strong>ternen Vorgänge<br />
ergänzt durch e<strong>in</strong>e geheimpolizeiliche. Diese<br />
prägte zwar nach allgeme<strong>in</strong>er Auffassung <strong>der</strong> meisten<br />
<strong>Wissenschaft</strong>lerl<strong>in</strong>nen den akademischen Alltag weniger,<br />
als dies nachträgliche Darstellungen nahelegen.<br />
Doch erzeugte sie zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong> latentes Bewusstse<strong>in</strong><br />
des Beobachtetwerdens <strong>und</strong> wurde überdies dann,<br />
wenn e<strong>in</strong> <strong>Wissenschaft</strong>ler erst e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong>s operative<br />
Fadenkreuz gelangt war, sehr schnell existenziell.<br />
Die <strong>DDR</strong>-<strong>Wissenschaft</strong> stand bei all dem <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Rollenkonflikt: Sie war, wollte sie ernstgenommen<br />
werden, den universalistischen Regeln <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />
unterworfen, musste aber zugleich die partikularistischen<br />
Ansprüche des politischen Systems bedienen.<br />
3o Dies führte zu e<strong>in</strong>er permanenten Spannung<br />
zwischen Instrumentalisierung <strong>und</strong> Homogenisierung<br />
<strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> e<strong>in</strong>erseits sowie Versuchen <strong>der</strong> Nischenbildung<br />
<strong>und</strong> Err<strong>in</strong>gungen von Teilautonomie(n)<br />
an<strong>der</strong>erseits.<br />
Schließlich liegt e<strong>in</strong> zentraler politisch <strong>in</strong>duzierter<br />
Unterschied zwischen <strong>DDR</strong>- <strong>und</strong> b<strong>und</strong>esdeutscher<br />
<strong>Wissenschaft</strong> dar<strong>in</strong>, dass <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> e<strong>in</strong> Lebenselixier<br />
<strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> dramatisch e<strong>in</strong>geschränkt war:<br />
die freie Fachkommunikation <strong>und</strong> damirdie wissenschaftliche<br />
Öffentlichkeit. Sowohl <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen<br />
als auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>in</strong>ländischen Kommunikation<br />
waren die <strong>DDR</strong>-<strong>Wissenschaft</strong>lerl<strong>in</strong>nen auf Diät gesetzt.<br />
Publikationen <strong>in</strong> Zeitschriften unterlagen faktisch<br />
<strong>der</strong> Zensur <strong>und</strong> darüber h<strong>in</strong>aus dem allgegenwärtigen<br />
Restriktionsargument »Papierknappheit«.<br />
Der Zugang zu <strong>in</strong>ternationaler Fachliteratur war m<strong>in</strong>destens<br />
beh<strong>in</strong><strong>der</strong>t, häufig beschränkt <strong>und</strong> obendre<strong>in</strong><br />
nach Hierarchiepositionen abgestuft. Reisegenehmigungen<br />
fÜJ das westliche Ausland wurden nach<br />
<strong>und</strong>urchschaubaren Kriterien versagt o<strong>der</strong> erteilt;31<br />
für den größten Teil <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>lerl<strong>in</strong>nen blieben<br />
sie ohneh<strong>in</strong> von vornhere<strong>in</strong> unerreichbar. Brief<br />
Iiehe Kommunikation mit westlichen FachkoUegen<br />
wurde ungern gesehen <strong>und</strong> sollte über die jeweiligen<br />
Dienstvorgesetzten laufen. Und schließlich galt die<br />
sowjetische <strong>Wissenschaft</strong> - nach den sogenannten<br />
Klassikern - unabhängig von ihrer tatsächlichen<br />
Leistung als Wahrheitsmaßstab. Unter solchen den<br />
Forum<br />
<strong>DDR</strong>-<strong>Wissenschaft</strong>lern angesonnenen Bed<strong>in</strong>gungen<br />
zugleich fortwährend das berühmte »Weltniveau«<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Forschungsarbeit erreichen zu sollen, musste<br />
selbstwi<strong>der</strong>sprüchlich se<strong>in</strong>.<br />
In <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik dagegen dom<strong>in</strong>ierte e<strong>in</strong> Verständnis<br />
von <strong>Wissenschaft</strong> als autonomer Sphäre. Dies<br />
fand se<strong>in</strong>en Ausdruck <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen <strong>Wissenschaft</strong>sfreiheit<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>in</strong>stitutionelle Hochschulautonomie.<br />
Gleichwohl s<strong>in</strong>d hier auch Anfechtungen zu<br />
notieren. Alle<strong>in</strong> <strong>der</strong> Umstand, dass 60 Prozent aller<br />
Forschungsausgaben <strong>in</strong> <strong>der</strong> privaten Wirtschaft getätigt<br />
werden, verweist auf e<strong>in</strong>e entsprechend große<br />
Arena <strong>der</strong> suspendierten <strong>Wissenschaft</strong>sfreiheit. Im<br />
öffentlich f<strong>in</strong>anzierten Bereich ergeben sich E<strong>in</strong>schränkungen<br />
<strong>der</strong> Autonomie dann, wenn die <strong>Wissenschaft</strong><br />
durch Tendenzen funktionslogischer Sektorenkolonisation<br />
usurpiert wird: Mehrfach fanden <strong>und</strong><br />
f<strong>in</strong>den sich Versuche, politischen <strong>und</strong> wirtschaftlichen<br />
Funktionslogiken im <strong>Wissenschaft</strong>sbereich Geltung<br />
zu verschaffen. Politische Interventionen begründen<br />
sich zum Teil aus dem Umstand, dass weit überwiegend<br />
öffentliche Mittel zur F<strong>in</strong>anzierung <strong>der</strong> Forschung<br />
aufgewendet werden. So gab es etw'a immer<br />
wie<strong>der</strong> Konjunkturen des Ausbaus bestimmter Fächer,<br />
<strong>und</strong> über öffentliche För<strong>der</strong>programme wurde (<strong>und</strong><br />
wird) versucht, bestimmte Themenfel<strong>der</strong> prioritär<br />
zu entwickeln. Daneben kamen aber auch - etwa im<br />
Zusammenhang mit dem Radikalenerlass <strong>in</strong> den 70er<br />
Jahren - explizit politisch motivierte Überdehnungen<br />
versuchter E<strong>in</strong>flussnahme auf die <strong>Wissenschaft</strong> vor.<br />
Im Unterschied zur <strong>DDR</strong> konnten <strong>und</strong> können solche<br />
Entwicklungen jedoch publiziert <strong>und</strong> dadurch<br />
öffentlich diskutiert werden.<br />
E<strong>in</strong> bleiben<strong>der</strong> Makel ist es, dass <strong>in</strong> den 90er-Jahren<br />
für zahlreiche ostdeutsche <strong>Wissenschaft</strong>ler/<strong>in</strong>nen die<br />
Schutzmechanismen <strong>der</strong> Verfassung <strong>und</strong> <strong>der</strong> öffentlichen<br />
Thematisierbarkeit konfligieren<strong>der</strong> Ansprüche<br />
nicht erfahrbar wurden. Dem stand e<strong>in</strong>e politisch <strong>in</strong>duzierte<br />
Dynamik <strong>der</strong> ostdeutschen <strong>Wissenschaft</strong>stransformation<br />
entgegen, die mögliche Verfahrens-<br />
30 Ettrich (Anm. 16), S. 453.<br />
31 Vgl. Jens Nie<strong>der</strong>hut, Die Reiseka<strong>der</strong>. Auswahl <strong>und</strong> Diszipl<strong>in</strong>ierung<br />
e<strong>in</strong>er privilegierten M<strong>in</strong><strong>der</strong>heit <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>, Leipzig<br />
2005.
<strong>Pasternack</strong>: <strong>Wissenschaft</strong> <strong>und</strong> <strong>Politik</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> 519<br />
wi<strong>der</strong>stände ausdrücklich durch Beschleunigung aus<br />
dem Wege räumen wollte.'2<br />
Als zentraler Unterschied zwischen <strong>DDR</strong> <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esrepublik<br />
h<strong>in</strong>sichtlich des <strong>Wissenschaft</strong>-<strong>Politik</strong><br />
Verhältnisses ist zu notieren, wie die Steuerung von<br />
<strong>Wissenschaft</strong> aufgefasst <strong>und</strong> umgesetzt wurde. In<br />
<strong>der</strong> <strong>DDR</strong> war <strong>der</strong> Steuerungsoptimismus, auch gegen<br />
aUe wi<strong>der</strong>streitenden Erfahrungen, zeitenübergreifend<br />
ungebrochen. Er wurde lediglich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
kurzen Phase <strong>in</strong> den 60er-Jahren relativiert, als deI<br />
Eigenlogik <strong>der</strong> Subsysteme breiterer Raum verschafft<br />
werden sollte. In <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik h<strong>in</strong>gegen fand<br />
<strong>und</strong> f<strong>in</strong>det fortwährend e<strong>in</strong>e Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung<br />
zwischen Steuerungsoptimisten <strong>und</strong> Steuerungspessimisten<br />
statt - die nie e<strong>in</strong>deutig entschieden wurde<br />
<strong>und</strong> wechselnde Sieger sah <strong>und</strong> sieht.<br />
3. Fazit<br />
In <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> dom<strong>in</strong>ierte die Heteronomie das Verhältnis<br />
von <strong>Wissenschaft</strong> <strong>und</strong> <strong>Politik</strong>. Sie konnte nur<br />
im E<strong>in</strong>zelfall durch fortwährend prekäre Teilautonomie-Arrangements<br />
relativiert werden. In <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik<br />
ist die Autonomie <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> nie<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich <strong>in</strong> Frage gestellt worden. Sie erfährt<br />
ihre Gefährdungen seltener durch e<strong>in</strong>e übergriffige<br />
<strong>Politik</strong> als durch Usurpationen sektorenfrem<strong>der</strong> Funktionslogiken,<br />
etwa denen des Marktes.<br />
Metaphorisch ließe sich auch formulieren: In <strong>der</strong><br />
<strong>DDR</strong> trachtete die <strong>Politik</strong> danach, die <strong>Wissenschaft</strong><br />
zu domestizieren. Die <strong>Wissenschaft</strong>ler sollten sich den<br />
politischen Vorgaben, Abläufen <strong>und</strong> Ansprüchen unterwerfen<br />
- im Gegenzug wurden e<strong>in</strong>ige arttypische<br />
Eigenheiten zugestanden bzw. <strong>in</strong> Kauf genommen. In<br />
<strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik war es durch die Jahrzehnte h<strong>in</strong><br />
im Wesentlichen akzeptiert, dass die <strong>Wissenschaft</strong><br />
ihr eigenes Habitat selbst organisiert. Die <strong>Politik</strong> erwartete<br />
zwar auch, dass Nützlichkeitserwartungen<br />
bedient werden. Sie baute aber im Wesentlichen darauf,<br />
dass die Erträge desto effektiver ausfallen, je<br />
restriktionsfreier sie zustande kommen.<br />
Erstaunen muss, dass trotz <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen, unter<br />
denen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> <strong>Wissenschaft</strong> betrieben werden<br />
musste, <strong>in</strong> zahlreichen Bereichen beachtenswerte<br />
Forschungsergebnisse erzielt wurden 33 - wobei diese<br />
Bewertung davon ausgeht, dass Beachtliches nicht erst<br />
dann erreicht wird, wenn Paradigmen umgestoßen<br />
<strong>und</strong> wissenschaftliche Revolutionen ausgelöst werden:<br />
<strong>Wissenschaft</strong> ist überall <strong>und</strong> systemunabhängig<br />
nur ausnahmsweise Spitzenwissenschaft. Insoweit ist<br />
solide <strong>Wissenschaft</strong> auch nicht alle<strong>in</strong> solche, welche<br />
die Zeiten überdauert. Der größte Teil <strong>der</strong> Forschungsergebnisse<br />
erledigt sich allerorten durch die<br />
jeweils darauf aufbauenden nachfolgenden Arbeiten<br />
spätestens <strong>der</strong> nächsten Forschergeneration. Das haben<br />
ost- <strong>und</strong> westdeutsche <strong>Wissenschaft</strong> wie<strong>der</strong>um<br />
gememsam.<br />
32 Vgl. z. B. Jürgen Mittelstraß, Unverzichtbar, schwer kontrollierbar.<br />
Die Strukturkommission - Alibi o<strong>der</strong> zeitgemäßes<br />
Instrument <strong>der</strong> Hochschulpolitik?, <strong>in</strong>: 10 Jahre danach, Hg.<br />
Stifterverband für die Deutsche <strong>Wissenschaft</strong>, Essen 2002,<br />
S.29-32.<br />
33 Z. B. zur Geschichte <strong>der</strong> Französischen Revolution, zur Geschichte<br />
des Zweiten Weltkriegs, zur L<strong>in</strong>guistik <strong>und</strong> Grammatiktheorie<br />
o<strong>der</strong> zur Krebsforschung.