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Filmrezensionen Iklimler - Jahreszeiten (Kinostart: 27.09.2007) Am Anfang sieht man ein unbeschwertes Paar, sich kindlich zwischen Ruinen tummelnd. Dann eine Großaufnahme ihres Gesichts im Wandel der Emotionen, erst fröhlich ihren Geliebten beobachtend unbetrübt, dann zweifelnd ernst und schließlich tränenüberströmt, alles in einer Einstellung. Daraufhin erscheint der Titel IKLIMLER - JAHRESZEITEN. Es war das Gesicht der Fernsehproduzentin Bahar, welche mit dem Archäologen Isa eine schwierige Beziehung führt, ein Paar in der Krise. Der türkische Regisseur und männliche Hauptdarsteller Nuri Bilge Ceylan (UZAK – DISTANT) schafft mit seiner ca. 100minütigen Charakterstudie eine eiskalte Atmosphäre der Sprachlosigkeit, aus Hilflosigkeit geboren, in Hilflosigkeit mündend. Ihre Interaktion scheint aufgespalten in zwei Extreme: Isa funktioniert und agiert, Bahar empfindet und reagiert. Unfähig, seiner Frau auf emotionaler Ebene näher zu kommen, deutet er ihre verzweifelten Zeichen und Gesten lange Zeit falsch. Ein Abendessen mit Freunden eskaliert, gemeinsames Erleben mündet in stummer Kälte. Die Trennung ist unumgänglich. Die Kamera folgt nun in wunderbar allegorischen wie elegischen Bildern Isas einsamem Weg über seine Ex-Geliebte bis hin zu einem Annäherungsversuch, als sich sein und Bahars Weg erneut kreuzen. Der Natur und ihren Extremen wie grell-strahlender Sonne, nasstrüben Herbstwinden oder alles ummantelndem Schnee wird in verspielt-klaren Bildern ausgiebig gehuldigt und intensivieren Ceylans Version der menschlichen Unfähigkeit zum Glück. Eine wahre Freude für Anhänger des filmischen Raumes zwischen den Zeilen und ein sinnlicher Bilderreigen an atmosphärischen Eindrücken obendrein! Als kleines Augenzwinkern zum Schluss: Ob sinnbildlich als Sicherheitsgefühl in kalten, doch klar abgegrenzten gedanklichen Räumen oder als bloßer „Running Gag“ verstanden, zeigt uns Herr Ceylan mit IKLIMLER - JAHRESZEITEN eine nette Veranschaulichung des Begriffs „Schubladendenken“! (PD) Immer nie am Meer (Kinostart: 04.10.2007) „Die Hoffnung stirbt zuletzt, heißt es. Aber was, wenn sie schon seit Jahren in einem begraben ist und plötzlich wird es klar? Da ist eine aussichtslose Situation: eingekeilt zwischen Bäumen, absurd, grotesk und vielleicht gar nicht so endgültig. Aber wie in so vielen Situationen des Lebens gibt man sich hin, akzeptiert, kapituliert und setzt dem gelebten Fatalismus die Baumkrone auf. Manchmal geht man in den Keller lachen und manchmal in den Wald sterben, und in IMMER NIE AM MEER wohl beides.“ Diese vorzüglich gewählten Worte des österreichischen Regisseurs Antonin Svoboda (SPIELE LEBEN) zu seinem neuen Werk möchte ich in ihrer ganzen Natürlichkeit als Einführung stehen lassen. Nicht in den Keller, sondern ins Kino sollte sich der schwarzhumorig angehauchte Lachmuskelfetischist begeben, und zwar in diese aberwitzige Geschichte über drei Männer, welche durch das Zusammenspiel einiger dummer, überspitzt ironisch inszenierter Zufälle eingeschlossen zwischen zwei Bäumen, ein paar Tage apathischen Wartens überstehen müssen. Schon die Zusammensetzung der drei aus dem phlegmatischen Geschichtsprofessor Baisch, dessen depressiven, tablettensüchtigen Schwager Anzengruber und dem durch Zufall kurz vor dem Unfall aufgelesenen manischen Kleinkünstler Schwanenmeister lässt ahnen, in welche zwischenmenschliche und humorige Tiefen sich die Komödie bewegen wird. Eingeschlossen im mit Panzerglas ausgestatteten ehemaligen Auto des diesjährig verstorbenen österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim haben die drei lediglich einige Flaschen Prosecco und eine Schüssel Heringssalat als Proviant zur Verfügung. Ein chaotisches Potpourri aus überdrehter Heiterkeit, verzweifelten Weinkrämpfen, absurden Gesprächen und intimen Momenten strömt nun auf den Zuschauer ein und verlangt ihm mithilfe einiger wunderbar fäkalhumoriger Einsprengsel einiges ab. Als wäre dies nicht schon genug, zieht das eingeklemmte Auto nach einiger Zeit auch noch die Aufmerksamkeit eines kleinen, wissenschaftlich begeisterten Jungen auf sich. Dieser beschäftigt sich bevorzugt mit dem Verhalten in Stresssituationen und hat aufgrund dieses für ihn glücklichen Zufalls nun nicht mehr nur seine Ratten für Experimente im Sinn! Ein Film, in dem die Frage, ob seine Protagonisten überleben so ungleich unwichtiger erscheint als das im Abspann zu lesende „Kein Tier kam durch Menschen zu Schaden“! Ein paar Längen und weniger geglückte Pointen sind zwar vorhanden, alles in allem ist IMMER NIE AM MEER jedoch meine Empfehlung für die Untermalung der nächsten cineastischen Lachtränen! (PD) Klopka – Die Falle (Kinostart: 11.10.2007) „Zu welcher Familie möchtest Du gehören?“ Wie oft im Leben stellen wir uns diese Frage, ganz heimlich und oft für uns selbst verklausuliert? Für seine eigene Familie lügt, klaut und tötet man sogar im Notfall. Genau an diesem Punkt setzt der serbische Regisseur Srdan Golubovic (APSOLUTNIH STO – ABSOLUTE HUNDRED) an und zaubert, basierend auf der Romanvorlage von Nenad Teofilovic, mit KLOPKA – DIE FALLE eine harte und eindrücklich inszenierte Allegorie auf zwischenmenschliche Dynamiken der Grausamkeit. Die zwischen Psychodrama und Thriller pendelnde Geschichte um den Bauingenieur Mladen, seine als Lehrerin arbeitende Gattin Marija und deren gemeinsamen, schwer erkrankten Sohn Nemanja spielt im Nachkriegsserbien und könnte doch an jedem anderen beliebigen Ort und zu jeder anderen Zeit unserer Welt in all ihrer Unerbittlichkeit statt finden. Die lebensrettende Operation für Nemanja ist für die beiden finanziell unerschwinglich und als nach einem verzweifelten Spendenaufruf in der Zeitung, neben den üblichen verletzenden Sticheleien im persönlichen Umfeld, ein unmoralisches Angebot an Mladen herangetragen wird, <strong>kann</strong> dieser nicht widerstehen. Töten muss er einen Fremden, um sein eigenes Fleisch und Blut vor dem Tod zu bewahren. Golubovic taucht die nun nicht mehr aufzuhaltende Tragik altgriechischen Ausmaßes in kühle Farben, eine atmosphärischdichte Geräuschkulisse und würzt das ganze mit Szenen ausgedehnten Schweigens, nur schwer zu ertragender Leere. Die exzellent besetzten Darsteller tun durch ein fatalistisches und eindrückliches Spiel ihr übriges, um die persönlichen Abgründe aller Involvierten nach außen zu tragen. Der Regisseur fasst zusammen: „Es geht um die Freiheit der Wahl, die es nicht wirklich gibt...“, und wer möchte ihm widersprechen? Sind wir nicht alle ein Teil irgendeiner Familie, für die wir lügen, klauen und sogar töten würden...und dabei nur allzu gerne ausblenden, dass wir dies immer dem Mitglied einer anderen Familie antun? Nach dem Konsum dieses den Zuschauer gänzlich absorbierenden Meisterwerks wird sich zur Eingangsfrage vielleicht eine zweite gesellen: „Möchtest du zu einer Familie gehören?“ Mein persönlicher Film des Jahres!!! (PD) 33