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JOSEPH BEUYS - Materialien

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Beuys Beziehung zum Tier - Beuys der Schamane<br />

Der Künstler Joseph Beuys wollte, mit seiner am Schamanen<br />

orientierten, mystischen Person, Zeichen für die<br />

Zukunft setzen. Laut Definition wird ein Schamane als<br />

Medizinmann und Zauberer angesehen, zu dessen religiösen<br />

und metaphysischen Aufgaben Krankenheilung,<br />

Rituale, Prophetie und soziale Regulierung gehören. Der<br />

Schamane besitzt materielle und spirituelle Kräfte und<br />

gilt als Vermittler zwischen den Menschen und der Welt<br />

der Götter. Einem Schamanen geht es darum, Dinge zu<br />

ergründen und erfahren, die nichts mit dem Rationalen<br />

oder der Vernunft zu tun haben. Joseph Beuys hatte<br />

durchaus Anküpfungspunkte an diese mystische Gestalt<br />

gefunden. Beuys äußerte sich:<br />

„Andere bezeichnen gewisse Elemente, wie auch mein Verhalten,<br />

meine Aktionen und viele Charaktere in den Zeichnungen<br />

als Schamanismus. Ich akzeptiere das ja sogar.<br />

Ich sage aber nur in dem Sinne, dass ich nicht durch den<br />

Schamanismus auf den Tod hinweise, sondern umgedreht:<br />

durch den Schamanismus weise ich auf den Todescharakter<br />

unserer Gegenwart hin. Ich weise aber zugleich darauf<br />

hin, dass der Todescharakter der Gegenwart in der Zukunft<br />

überwindbar ist.“ 1)<br />

Die Legenden, die sich um seine Person umgeben und erschaffen,<br />

beruhen zum Großteil auf der Geschichte seiner<br />

Rettung nach seinem Flugzeugabsturz im 2. Weltkrieg.<br />

Auch sein Äußeres hatte Erkennungswert. Zu seinen charakteristischen<br />

Kleidungsstücken zählten der Filzhut und<br />

die Anglerweste. Als Accessoires trug Beuys ein Hasenkiefer<br />

als Krawattennadel und Hasenköttelchen in der<br />

Brusttasche. Brigitte Marschall vergleicht den Hut mit<br />

einer Maske, dessen Träger eins wird mit dem Symbol. Die<br />

Bedeutung der Maske, deren Ursprung im Kult liegt, ist<br />

für den Träger von großer Bedeutung. Durch sie werden<br />

ihm religiöse Kräfte und Kräfte der Natur übertragen. 2)<br />

Joseph Beuys‘ Intention, die Kunstwelt und die Gesellschaft<br />

zu reformieren, sind auf depressive Erschöpfungszustände<br />

zurückzuführen, an denen der Künstler 1955<br />

litt. Während seiner Krise wäre es ihm wie einem Schamanen<br />

gelungen, sich selbst zu heilen. Beuys verstand<br />

sich selbst nie als Heiler im direkten Sinne, sondern als<br />

Person, die ihre Mitmenschen mit Hilfe der Kunst zur<br />

Selbstheilung anregt. Kunst war für ihn Medizin, Therapie,<br />

er ging sogar soweit sie als Salbe oder Pille zu bezeich-<br />

nen. Von der Idee des Künstlers als Heiler distanzierten<br />

sich seine Künstlerkollegen im Nachkriegsdeutschland,<br />

da auch die Nationalsozialisten behaupteten, sie wollten<br />

Deutschland heilen.<br />

Beuys sagte: „Krankheiten sind fast immer auch geistige<br />

Krisen im Leben, wo alte Erfahrungen und Denkvorgänge<br />

abgestoßen beziehungsweise zu durchaus positiven Veränderungen<br />

umgeschmolzen werden.“ 3) Diesen Erneuerungsvorgang<br />

übertrug er auf die Kunst, auf die Gesellschaft,<br />

auf die Politik und auf sein Verständnis eines demokratischen<br />

Staates. Diese Denkvorgänge fasste er unter dem<br />

„Erweiterte Kunstbegriff“ zusammen. Seine Kunst sollte<br />

die althergebrachte Trennung zwischen Kunst, Leben und<br />

Politik aufheben. So stellte er die Gleichung auf: Kunst<br />

= Mensch = Kreativität = Freiheit. Dies besagt, dass der<br />

Mensch als kreatives Wesen auch ein freies Wesen ist.<br />

Das zentrale Anliegen von Beuys war die Erweiterung des<br />

tradtionellen Kunstbegriffs bis hin zu einer „anthropologischen<br />

Kunst“, in der der Mensch Mittel- und Ausgangspunkt<br />

ist. Die Wirkungsbereiche der Kunst wurden auf alle<br />

menschlichen Tätigkeitsbereiche ausgedehnt. Der traditionellen<br />

Kunst warf er vor, nur schöne Bilder produziert<br />

und bestenfalls aufklärerisch gewirkt, nicht aber auf die<br />

Gesellschaft unmittelbar eingewirkt zu haben. Er dagegen<br />

wollte Bewusstsein bilden, die Ideale „Demokratie, Geist,<br />

Solidarität“ verwirklichen und die Gesellschaft zu einem<br />

„Sozialen Organismus“ formen. Der Prozess des kreativen<br />

Denkens und politischen Handelns war wichtiger als das<br />

Herstellen des eigentlichen Kunstobjektes. Geheimnisvoll<br />

und eigenartig waren seine Werke. Er wollte alte Denkstrukturen<br />

aufbrechen, die er als zu einseitig und rational<br />

kritisierte. Mit der provokanten Veränderung der gewohnten<br />

Logik des Betrachters wollte er ihn zu Beobachtungen<br />

führen.<br />

Am Beispiel des Tieres vesuchte Beuys, eine künstlerische<br />

Strategie der Partizipation zu entwickeln. Er strebte danach,<br />

das Wesen und das Bewusstsein der Tiere mit dem<br />

der Menschen für seine Gesellschaftsutopie in Einklang zu<br />

bringen. Der materialistisch geprägte Mensch sollte Intuition<br />

und Imagination, Fähigkeiten, die er der Tierwelt<br />

zuschrieb, wieder gewinnen. Typisch für seine Arbeiten<br />

aus den Fünfzigerjahren waren Themenschwerpunkte wie<br />

Rationalismuskritik, Kristallformen, Kristallisationspro-<br />

1) Beuys im Gespräch mit Heiner Bastian und Jeannot Simmen, in: Rotterdam 1979, S.32. Zur Thematik des Schamanismus bei Beuys vgl. u.a.<br />

Heller 1984; Goodrow 1991; Graevenitz 1991; Müller 1994; Kuspit 1995; Fischer-Lichte 2000; Krems 2008; Bochardt-Birbaumer 2010<br />

2) 176 vgl. Brigitte Marschall und Martin Fichter: Theater nach dem Holocaust. Documentartheater, Popästhetik und Happening.<br />

Wien, 2006. S. 214.<br />

3) Adriani, Götz; Konnertz, Winfried; Thomas, Karin: Joseph Beuys, Köln 1993. S.40.<br />

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