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Bei Gott! - Beschreiber

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Da geht die Pumpe Der Kopf des<br />

Hammels ist abgetrennt. Jetzt<br />

pumpt Metzger Abdelfadel (r.)<br />

Luft zwischen Fell und Haut des<br />

Tieres, damit sich beides leichter<br />

voneinander lösen lässt<br />

stark gezuckert, und mit kleinen Pfannkuchen,<br />

die man in Honig tunkt. Seine<br />

Frau Amina lässt alles durch eines ihrer<br />

Kinder aus der Küche liefern. Sie selbst<br />

betritt den Empfangsraum nicht. Die<br />

Touilis haben drei Töchter: Assia, 21,<br />

Soukayna, 17, Hassna, 12, und einen<br />

Sohn, Ismail, 18.<br />

Nach dem Tee springt Habib selbst<br />

auf, um einen abgegriffenen Lederband<br />

zu holen. Er küsst den Koran zärtlich<br />

und liest die Sure 37,99-113 vor. Um den<br />

Fremden aus dem Abendland zu erklären,<br />

was von Indonesien über Zentral-<br />

asien bis Marrakesch jedes Kind und<br />

jeder Passant im Supermarché weiß:<br />

weshalb jeder gläubige Muslim am Höhepunkt<br />

der Hadsch, im zehnten islamischen<br />

Monat, ein Schaf zu opfern hat,<br />

wenn er es sich denn leisten kann. Warum<br />

das vier Tage lang zu feiern ist. Und<br />

zu teilen: mit der Familie, den Kindern,<br />

den Freunden und den Armen. Weil<br />

nämlich Ibrahim seinen einzigen Sohn,<br />

Ismail, opfern sollte. Für Allah. Der<br />

wollte das so, als Liebesbeweis. Und als<br />

er sah, dass Ibrahim dazu bereit war,<br />

erließ er ihm das Opfer – und Vater und<br />

Sohn opferten aus Dank einen Widder.<br />

So kommt es, dass fast anderthalb Milliarden<br />

Muslime das Opferfest feiern.<br />

Am Morgen des Schlachtfestes ist<br />

vom Himmel über Marrakesch der Vorhang<br />

gezogen, kein Fetzen Wolke hängt<br />

darin, und die Sonne lässt die seidenen<br />

Dschellabas, Kopftücher und Gebetskappen<br />

schimmern wie Perlmutt am<br />

Strand. Auf der Brache zwischen Habibs<br />

Viertel und einer Militärkaserne haben<br />

die Männer vorn und die Frauen weiter<br />

hinten ihre Teppiche ausgelegt und sich<br />

darauf gebeugt. Der Muezzin ruft zum<br />

Kauwerkzeug<br />

Schlachter Abdelfadel<br />

zieht einem<br />

Hammel mit<br />

beiden Händen<br />

das Fell ab. Sein<br />

Messer hat er<br />

dabei fest im Griff<br />

zweiten Mal, es ist kurz vor acht. Auch<br />

Habib und seine Jüngste schlendern<br />

zum Gebet, mit dem Teppich unterm<br />

Arm. Habib ganz in Weiß und Hassna in<br />

einem neuen Kleid, das die Mutter bis<br />

in die Nacht genäht hat. Zwischen den<br />

Betenden und Mekka stehen: ein Imam,<br />

ein Fußballtor und der Atlas, als versuchte<br />

er, sich in seiner majestätischen<br />

Größe zwischen Allah und die Gläubigen<br />

zu drängen.<br />

Der Henker ist schon im Haus. Eigentlich<br />

ist es ein Schlachter, wie es sie<br />

an jeder Ecke gibt. Aber irgendwie bringen<br />

einen die vielen Schafe, der Gedanke<br />

an ein massenhaftes Blutbad, weibliche<br />

Warnungen wie die, man solle ein<br />

paar Gummistiefel erstehen, und vermutlich<br />

auch die spitzen Kapuzen der<br />

Männer auf finstere Gedanken. Dabei<br />

ist es ganz ruhig. Es ist ein Feiertag, auf<br />

den Straßen nichts los. Nur die roten<br />

Nationalflaggen flattern, als eskortiere<br />

sogleich der König vorbei. Und auch der<br />

schlachtet heute, sein hoheitlicher Mes-<br />

serzug wird live im Fernsehen übertragen.<br />

Aber es gibt kein ahnungsvolles<br />

Geblöke, still liegt die Stadt.<br />

Abdelfadel ist Berber vom Land, und<br />

Habib hat ihn bestellt, um die sechs<br />

der kopf ist für<br />

die junGen<br />

Schafe in seiner Familie und noch ein<br />

paar mehr bei den Nachbarn zu richten.<br />

Denn ein Messer durch die Gurgel ziehen,<br />

das kann jeder. Sagen zumindest<br />

alle, die man darauf anspricht. Aber das<br />

war’s dann noch nicht. Man kann den<br />

Hammel ja nicht einfach auf dem Hinterhof<br />

liegen und verbluten lassen. Beziehungsweise<br />

schon. Aber der Reihe<br />

nach. Noch sitzt Abdelfadel mit Habib<br />

beim Tee, neben sich einen Jutesack, aus<br />

dem eine Fahrradpumpe und ein Messerschaft<br />

ragen, und macht Herrenwitze<br />

wie den, dass er auch seiner Frau an<br />

die Gurgel gehen sollte. 100 Dirham,<br />

zehn Euro, bekommt er dafür, dass er<br />

die Schafe halal schächtet und … Dann<br />

liegt das erste Schaf auf den Fliesen des<br />

Hofs und zuckt mit dem Kopf. Abdelfadel<br />

hat mit einem akkuraten Zug den<br />

Hals durchtrennt. Tiere halal zu schächten,<br />

heißt: sie nicht zu betäuben – aber<br />

in einem Streich die Luft-, die Speiseröhre<br />

und die großen Blutgefäße zu<br />

kappen. Und das Tier dann ausbluten zu<br />

lassen. Denn Islam und Judentum verbieten<br />

den Verzehr von Blut. Der Ham-<br />

hammelfleisch<br />

Gilt als rein<br />

mel zuckt ein, zwei, vielleicht 15 Sekunden.<br />

Stille. Die Kinder stehen daneben<br />

und schauen zu. Aus den Fenstern der<br />

oberen Stockwerke lachen Amina und<br />

die anderen Frauen herunter. Die übrigen<br />

Schafe drücken sich in die Ecke<br />

des Hofes.<br />

Abdelfadel schneidet den Schafskopf<br />

ab. Ismail legt ihn zur Seite, der<br />

Kopf ist für die Jungen. Dann nimmt ><br />

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