KOMISCHE KNOCHEN
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<strong>KOMISCHE</strong> <strong>KNOCHEN</strong><br />
Anatomie-Lehrstunde in Entenhausen: Der koreanische Künstler Hyungkoo Lee erschafft<br />
Skelette von Wesen, die gar nicht existieren – Comicfiguren nämlich. Derzeit zu sehen im<br />
aus selbst gefertigten Knochen<br />
Naturhistorischen Museum Basel.<br />
Text: Martin Rasper<br />
Alles Skeletti? Man meint, ihn<br />
schnattern zu hören, dabei<br />
ist er doch nur ein Skelett – aus<br />
Kunstharzknochen. Donald<br />
Duck im Anflug auf die frechen<br />
Jungenten Tick, Trick und Track.<br />
www.natur.de 08/2008 75
Der koreanische Künstler<br />
Hyungkoo Lee in<br />
seinem Atelier, das an das<br />
Arbeitszimmer eines<br />
Naturforschers aus dem<br />
19. Jahrhundert<br />
erinnert.<br />
SEUFZ!<br />
Das Leben als Comicfigur ist kein leichtes.<br />
Gut, man ist unsterblich, muss sich nicht um seine<br />
Altersvorsorge kümmern und hat Fans in aller Welt<br />
– aber um welchen Preis! Als zweidimensionales<br />
Wesen fristet man sein Dasein, unerreichbar getrennt<br />
von der realen Welt. Körperlos. Alterslos. Geschlechtslos.<br />
Das kann es doch nicht sein!<br />
Jetzt aber kommt der koreanische Künstler Hyungkoo<br />
Lee daher und haucht Comicfiguren Leben ein – und<br />
zwar, kurioserweise, indem er auf wissenschaftlich<br />
exakte Weise ihre Skelette nachbildet. Die wiederum<br />
sind die lebendigsten Toten, die man sich vorstellen<br />
kann: Da stehen Tick, Trick und Track als Knochengerüste<br />
ins schönste Palaver vertieft, unverkennbar mit<br />
dem kecken Schwanzbürzel und dem riesigen Schnabel,<br />
während Onkel Donald in dem Moment so zeternd<br />
angeflattert kommt, dass man fast zusammenzuckt<br />
(Foto S. 74/75). Bugs Bunny, das unbesiegbare<br />
Kaninchen mit den riesigen<br />
Nagezähnen (Fotos S. 77), stürzt sich<br />
mutig auf einen imaginären Gegner, und<br />
der clevere Road Runner flüchtet mit<br />
solch raumgreifenden Schritten vor<br />
Willi Koyote (Foto S. 78), dass man förmlich<br />
den aufgewirbelten Straßenstaub zu<br />
sehen meint.<br />
Diese Skulpturen von Hyungkoo<br />
Lee, die das Naturhistorische Museum<br />
Basel erstmals in Europa zeigt, sind<br />
mehr als intellektuelle Spielerei. Sie<br />
Diese Skulpturen<br />
sind mehr als<br />
intellektuelle Spielerei:<br />
eine einzigartige<br />
Kombination aus<br />
Kunst, Handwerk<br />
und Wissenschaft<br />
sind eine einzigartige Kombination<br />
aus Kunst, Handwerk<br />
und Wissenschaft.<br />
Selten hat jemand diese ursprünglich<br />
verwandten, einander<br />
aber zunehmend entfremdeten Sphären so lustvoll<br />
aufeinanderprallen lassen. Das Ganze ist so schlüssig<br />
und einleuchtend, dass man sich fragt: Warum hat das<br />
nicht schon früher einer gemacht?<br />
Der Künstler selbst verrät nicht, wie er auf die Idee<br />
verfiel, Comicfiguren als Skelette nachzubilden; wie<br />
er überhaupt wenig über die Hintergründe seines<br />
Tuns preisgibt. Es lässt sich aber einiges aus seinem<br />
Werk ersehen. Lee, der nach dem Kunststudium in<br />
Seoul seine Ausbildung 2002 an der School of Art der<br />
Yale-Universität abschloss, hatte sich schon mehrere<br />
Jahre lang mit verschiedenen Aspekten von Körperlichkeit<br />
beschäftigt. Er fertigte Prothesen, mit denen<br />
man durch Unterdruck seine Finger oder Brüste vergrößern<br />
konnte, oder baute Helme, in die so starke<br />
Linsen eingebaut waren, dass nicht nur der Träger<br />
einen verzerrten Blick auf die Welt bekam, sondern<br />
selbst auch ein groteskes Aussehen erhielt.<br />
Und irgendwann baute er das Skelett<br />
eines Homunculus, eines Zwergenmenschen,<br />
aus Pappmaché.<br />
Mit den Comic-Skeletten hat der Koreaner<br />
jetzt endgültig eine Position eingenommen,<br />
von der aus er fröhlich in<br />
die Welt der Naturhistorie hinübergrüßt.<br />
Das zeigt sich auch ganz deutlich<br />
an seinem Atelier, das Bestandteil der<br />
Ausstellung ist: Es wirkt wie das Arbeitszimmer<br />
eines Naturforschers aus<br />
dem 19. Jahrhundert. Da drängeln sich<br />
<br />
Fotos: Arario Gallery/Hyungkoo Lee, Comic: Cinetext<br />
„Oh Schreck!“ scheint das Kunst-<br />
Skelett von Bugs Bunny gerade<br />
auszurufen. Ausgehend von den<br />
Comics des aufrechten Hasen<br />
hat der Künstler die Formen<br />
echter Hasenknochen studiert<br />
und dann in zahllosen, kolorierten<br />
Zeichnungen so abgewandelt,<br />
dass sie „wissenschaftlich exakt“<br />
den Körperformen der Comicfiguren<br />
entsprechen.<br />
Sein oder nicht sein? Um seine<br />
Kenntnisse in der Tieranatomie weiter<br />
zu vertiefen, fertigt Hyungkoo Lee<br />
viele Zeichnungen nach der Natur an<br />
– wie etwa diese Schädelstudie<br />
einer Harpyie (rechts). Harpyien sind<br />
große, kräftig gebaute Greifvögel.<br />
Sie bewohnen die tropischen Wälder<br />
Mittel- und Südamerikas und<br />
ernähren sich vor allem von Faultieren<br />
und Affen.<br />
76 natur+kosmos 08/2008<br />
kunst + kultur<br />
kunst + kultur
In seinem Atelier beschäftigt<br />
Hyungkoo Lee Mitarbeiter, die<br />
ihm helfen, die von ihm<br />
gestalteten Negativformen<br />
aus Silikon mit Kunstharz<br />
auszugießen, um möglichst<br />
„lebensechte“ Comic-Knochen<br />
zu erhalten.<br />
Nichts wie hinterher! Willi Koyote in<br />
typischer Rennpose. Zum<br />
ersten Mal allerdings als Skelett.<br />
Wie ein fossiler Fund sieht<br />
das Comictier dadurch aus. Unten<br />
eine kolorierte Vorzeichnung<br />
für den Totenkopf von Micky Maus.<br />
Foto: Arario Gallery,/Hyungkoo Lee<br />
auf dem riesigen Holztisch jede<br />
Menge Knochen zwischen anatomischen<br />
Werken und Fläschchen<br />
mit Chemikalien; Zangen<br />
und Pinsel, Messlehren, Pinzetten<br />
und allerlei andere Gerätschaften<br />
liegen neben einem altmodischen<br />
Mikroskop, wie es<br />
schon Georges Cuvier oder Alexander<br />
von Humboldt benutzt<br />
haben könnten. Auf dem Boden<br />
häufen sich neben einem Rucksack<br />
aus grobem Leinen Gesteinsproben<br />
und ein Geologenhammer,<br />
während die Wände<br />
von alten Vitrinen und Schubladenschränken<br />
gesäumt sind.<br />
Ein ehemals weißer, zünftig befleckter<br />
Arbeitskittel hängt lässig<br />
über einem menschlichen Skelett; die abgelegte Lesebrille<br />
und eine leere Kaffeetasse auf dem Tisch vervollständigen<br />
den Eindruck, dass der Gelehrte nur mal<br />
eben aus dem Raum gegangen ist. Ein romantisches<br />
Naturforscheridyll, fast schöner als in Wirklichkeit.<br />
Und tatsächlich hat Lees Arbeit viel mit der Vorgehensweise<br />
eines Forschers gemein. Jedem Objekt<br />
geht ein intensives Studium der Anatomie voraus,<br />
etwa anhand von Büchern; dann folgt die Auseinandersetzung<br />
mit dem jeweiligen Tier, dem er sich zunächst<br />
zeichnend nähert. So bekommt er ein Gefühl<br />
für die Proportionen und die anatomischen Eigenheiten.<br />
Auch diese, mit altmeisterlicher Sorgfalt angefertigten<br />
Zeichnungen sind faszinierend, weil sie den<br />
Erkenntnisprozess sichtbar machen, der in den<br />
fertigen Skeletten kaum mehr zu erahnen<br />
ist. Nach dem Zeichnen folgt dann<br />
der eigentliche Bau des Skeletts, ein<br />
kreativer, schöpferischer Akt im wahrsten<br />
Sinn des Wortes. Jeder einzelne Knochen,<br />
vom Schädel über die Wirbelsäule<br />
bis zum kleinsten Fingerknöchelchen,<br />
wird zunächst präzise aus Knete<br />
geformt. Dieses Positiv führt zu einer<br />
Negativform aus Silikon, in der wiederum<br />
der endgültige „Knochen“ aus<br />
Kunstharz gegossen wird. Nach dem<br />
Die mit geradezu<br />
altmeisterlicher<br />
Sorgfalt gefertigten<br />
Zeichnungen sind<br />
faszinierend, weil<br />
sie den Erkenntnisprozess<br />
sichtbar<br />
machen<br />
Erstarren wird der „Knochen“ aus der Silikonform<br />
gelöst und weiter bearbeitet: geschliffen, poliert und<br />
mit einer Patina aus Ölfarbe versehen, bis er realistischer<br />
wirkt als so mancher echte Knochen.<br />
Wie sehr sich der Künstler dabei in die Anatomie<br />
seiner Figuren einarbeiten und welche schwierigen<br />
Entscheidungen er im Lauf des Prozesses treffen<br />
muss, zeigt sich immer wieder auf überraschende<br />
Weise. Die Erfinder von Donald Duck, Willi Koyote<br />
oder Bugs Bunny haben sich ja keine Gedanken darüber<br />
gemacht, ob ihre Geschöpfe auch aus Fleisch<br />
und Blut existieren könnten. Lee aber muss das,<br />
wenn er realistische Skelette bauen will. Und dabei<br />
stellt er natürlich fest, dass ein Kaninchen gar nicht so<br />
aufgerichtet gehen könnte, wie Bugs Bunny es tut, weil<br />
die Wirbel seiner Wirbelsäule dazu in<br />
die falsche Richtung stehen. Um aufrecht<br />
gehen zu können, braucht Bugs<br />
Bunny eine Wirbelsäule, die so ausgerichtet<br />
ist wie die des Menschen. Auch<br />
Willi Koyote hätte seine Schwierigkeiten<br />
mit dem aufrechten Gang: Das Hinterhauptsloch,<br />
durch das in Verlängerung<br />
der Wirbelsäule die Halsschlagader<br />
und die Hauptnervenstränge in<br />
den Kopf führen, liegt beim Koyoten<br />
wie bei allen Vierbeinern hinten am<br />
kunst + kultur www.natur.de 08/2008 79
Christoph Meier, Chefpräparator des Naturhistorischen<br />
Museums Basel, dreht den Spieß um: Er tut so, als habe<br />
er es bei dem Skelett von Willi Koyote mit den Knochenfunden<br />
eines unbekannten Wesens zu tun. Aufgrund<br />
ihrer Struktur rekonstruiert er die Büste des „Tieres“.<br />
DER KÜNSTLER UND SEIN WERK<br />
Schädel. Damit Willi Koyote zum Zweibeiner werden<br />
kann, braucht er sein Hinterhauptsloch unten am<br />
Schädel, eben so wie der Mensch.<br />
Wie fruchtbar der Zusammenstoß von Kunst und<br />
Wissenschaft darüber hinaus für den Betrachter ist,<br />
zeigt sich anhand einer Ergänzung zu Lees Arbeiten,<br />
die sich das Museum selbst ausgedacht hat. Der Chefpräparator<br />
Christoph Meier hat nämlich den Spieß<br />
umgedreht und Lees Werk benutzt, um zu zeigen, wie<br />
in solch einem Fall die Wissenschaft funktioniert. Er<br />
hat die Knochen von Lees Koyoten behandelt wie<br />
einen Fund im Gelände – und an sie die Fragen gestellt,<br />
die er in einem solchen Fall eben stellen würde:<br />
Was kann man aus den Knochen schließen? Wie<br />
passen sie zusammen? Was verraten sie über das Lebewesen,<br />
zu dem sie gehörten?<br />
Da ist zuerst einmal das merkwürdige Maul, bei dem<br />
der Oberkiefer den Unterkiefer beträchtlich überragt.<br />
„Ein Tier mit einem solchen<br />
Überbiss müsste eigentlich austrocknen“,<br />
befindet Meier, „das<br />
kann ja das Maul gar nicht schließen.“<br />
Da er aber spaßeshalber<br />
davon ausgeht, dass das Tier wirklich<br />
existiert hat –„wir haben ja die Knochen als Beweis,<br />
nicht wahr?“ – muss er sich also überlegen, wie das<br />
Ganze trotzdem funktioniert haben könnte: „Man<br />
könnte zum Beispiel annehmen, dass es große Lefzen<br />
hatte, die den Unterkiefer abschließen.“<br />
Aus dem kleinen Brustkorb wiederum schließt<br />
Meier, dass das Tier nur eine kleine Lunge hatte und<br />
nicht übermäßig viel gerannt sein kann, und aus den<br />
nur in eine Richtung beweglichen Ellenbogen, dass<br />
es nicht gut klettern konnte. Die spitze Schnauze<br />
wiederum führt ihn zu dem Fazit, „dass dieses Tier<br />
wahrscheinlich im flachen Wasser lebte und Fische<br />
fing.“ Wenn das Chuck Jones wüsste, der Zeichner<br />
und Produzent, der den permanent durch die Wüste<br />
rasenden Koyoten im Jahr 1948 erfunden hat!<br />
Um zu zeigen, wie ein Präparator in so einem Fall<br />
arbeitet, hat Meier den Kopf und einen Arm des Tiers<br />
ansatzweise mit Plastilin aufgebaut. Dazu betrachtet<br />
er die Lage der Knochen, schließt daraus, wo die Muskelstränge<br />
verlaufen sein müssten, und modelliert<br />
einen Muskel nach dem anderen. Herausgekommen<br />
ist ein Wesen, das mit seiner spitzen Schnauze, den<br />
großen Lefzen und riesigen Kulleraugen derart unschuldig<br />
in die Welt schaut, dass es einem schier das<br />
Herz erweicht. Der Künstler, so hört man, soll das<br />
Ergebnis interessant gefunden haben.<br />
Als nächstes will Hyungkoo Lee sich übrigens<br />
Goofy vornehmen, den tollpatschigen Hund. Auch so<br />
einer mit Überbiss. Das wird wieder was werden!<br />
Hyungkoo Lee, geboren 1969 in Pohan, Korea, lebt und arbeitet in Seoul. Er studierte am College of Fine Art in<br />
Seoul, und an der School of Art der Yale Universität, New Have, USA. 2004 Einzelausstellung „The Objectuals“<br />
im Sungkok Art Museum in Seoul, 2006 „Animatus“ in der Arario Gallery, Cheonan, Korea.<br />
Ausstellung: Das Naturhistorische Museum Basel zeigt Hyungkoo Lees Skulpturen noch bis 31. August 2008.<br />
Augustinergasse 2, CH 4001 Basel, Tel. (0041) 61 266 55 00, E-Mail nmb@bs.ch, geöffnet Di. - So. 10 - 17 Uhr,<br />
Eintritt: 10,- CHF, Kinder bis 13 Jahre gratis, Jugendliche 5,- CHF.<br />
LINKS IM NETZ: Zur Website des Künstlers über www.natur.de, Stichwort: Komische Knochen<br />
Foto: Sprecher & Sutter (4), ArarioGallery/Hyungkoo Lee<br />
Foto: IDM<br />
Wasser ist gesund<br />
Unser Körper braucht Mineralstoffe<br />
und Spurenelemente. Auf<br />
der oft viele Tausend Jahre langen<br />
Reise durch die Erde nimmt<br />
das Mineralwasser wichtige Mineralien<br />
auf. Deren Zusammensetzung<br />
ist vom Untergrund abhängig<br />
– deshalb sind die Sorten<br />
so vielfältig. Zu den wertvollen Inhaltstoffen<br />
gehören:<br />
Hydrogenkarbonat: reguliert<br />
den Säure-Basen-Haushalt<br />
Zink: unterstützt Wundheilung<br />
Flour: fördert Knochen- und<br />
Zahnaufbau<br />
Magnesium: unterstützt Muskeln<br />
und Nervenfasern<br />
Eisen: wichtig für die Sauerstoffbindung<br />
im Blut<br />
Calcium: wichtig für den<br />
Knochenaufbau<br />
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80 natur+kosmos 08/2008<br />
kunst + kultur<br />
verbraucher + gesundheit www.natur.de 08/2008 81