Bei Gott! - Beschreiber
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Hauptsache BBQ<br />
Die jungen Männer<br />
grillen Köpfe, Hufe<br />
und Hörner der<br />
Hammel auf einem<br />
Bettenrost, hier<br />
vor dem Tor einer<br />
Kaserne<br />
162<br />
Abdelfadel die Fahrradpumpe. Nicht<br />
jeder hat so ein schickes Ding. Habibs<br />
Schwager muss sich oben auf der Dachterrasse<br />
ohne Pumpe abplagen und Luft<br />
zwischen Fell und Haut des Tieres pusten,<br />
damit sie sich besser voneinander<br />
trennen lassen. Ismail hält das <strong>Bei</strong>n<br />
fest, Abdelfadel steckt die Pumpe hinein,<br />
und nach einer Weile sieht das<br />
kopflose Tier aus, als könnte es nun<br />
über die Berge fliegen. Auf Werbeplakaten<br />
in der Stadt segeln seit Tagen solche<br />
Schafsballons herum. Dann schlitzt<br />
Abdelfadel das Bauchfell auf und zieht<br />
einen Teil davon ab. Er bricht die Haxen<br />
des Tieres und verkeilt es damit am<br />
Fenstergitter. Es erfordert nicht nur<br />
Übung und Geschick, es kostet Kraft.<br />
Der hagere Mann muss in das Tier hineinsteigen,<br />
um es zu häuten. Auch das<br />
Fell nimmt sich Ismail. Schließlich<br />
schlitzt Abdelfadel den Bauch auf und<br />
die Eingeweide quellen heraus. Habib<br />
trägt sie in einem Eimer zu den Frauen<br />
in die Küche. Man könnte das Schaf<br />
jetzt am Fenster zum Hof hängen lassen.<br />
In den meisten Häusern auf dem<br />
Land liegen noch einige Tage nach dem<br />
Opferfest die geschlachteten Tiere herum,<br />
als gehörten sie genauso dazu.<br />
Und sie tun es auch. Das Tier ist Teil des<br />
Hauses, ob lebend oder tot. Und Hammelfleisch<br />
hält sich länger als Schwein,<br />
auch deswegen gilt es als rein. Trotzdem<br />
werden die Zeitungen nach dem Aïd<br />
mangelnde Hygiene und Verletzungen<br />
durch scharfe Messer beklagen. In<br />
Habibs Hof schieben die Frauen mit<br />
Fens terwischern das Blut in den Gully.<br />
Und auf dem Lehmboden mancher<br />
Dörfer trocknen die Blutlachen ein, und<br />
das wirkt, als trüge die marokkanische<br />
Erde Wundmale.<br />
In Aminas Küche unterm Dach<br />
scheint die Sonne, die Novemberstrahlen<br />
tunken den Raum in dottergelbes<br />
Licht. Aus einem Radio rumpelt alter<br />
Jazz. Die Küche ist etwas größer als ein<br />
deutsches Gästebad, und auf dem Boden<br />
liegt der nackige kopflose Hammel.<br />
Es ist jetzt elf Uhr vormittags, und bis<br />
zum Abend um sieben werden Amina<br />
und ihre Tochter Soukayna das Tier zerlegt<br />
haben. Der Kühlschrank auf dem<br />
Balkon wird voll sein mit Plastiktüten.<br />
Und Amina fertig mit ihren Kräften. Alle<br />
zwei, drei Stunden, wenn der Muezzin<br />
ruft, wird sie, während sie Koteletts<br />
schneidet oder Pansen wäscht, „Allahu<br />
akbar“ mitmurmeln. Soukayna wird hin<br />
und wieder im Spiegel ihr Make-up korrigieren.<br />
Sie ist Friseurin und bemalt<br />
das Gesamte tier<br />
wird verwertet<br />
zwischendrin Hände und Füße der anderen<br />
mit Henna. Die Frauen sind unter<br />
sich. Wie gut, dass der Mann morgen<br />
weg ist. Habib wird mit seinem Bruder<br />
den Onkel auf dem Land besuchen. Geschenke<br />
– Mandarinen, Bananen, Schokolade<br />
– verteilen. Ringeltauben jagen.<br />
Und Tee trinken. Amina beugt sich über<br />
das Tier, deutet auf die verschiedenen<br />
Körperregionen und sagt: „Schulter!<br />
Kotelett! Tajine! Couscous!“ Und dann<br />
zieht sie die schon gewaschenen und<br />
mit Knoblauch, Cumin und Safran gewürzten<br />
Gedärme aus einer Schüssel<br />
wie klitschnasse hautfarbene Feinstrumpfhosen<br />
und ruft: „Delicieux!“<br />
Die Därme werden einen Tag mariniert,<br />
dann zwei Wochen lang über Wäscheleinen<br />
abgehangen und gekocht. Das<br />
gesamte Tier wird verwertet, von den<br />
Hörnern bis zu den Hufen. Von den gegrillten<br />
Innereien-Spießchen schwärmt<br />
jeder. Je nachdem, woher er kommt,<br />
nennt er sie: Brochette (Frankreich),<br />
Boulfaf (Casa blanca) oder Znen (Mar-<br />
rakesch). Dafür grillen Amina und Soukayna<br />
über einem kleinen Kohlebecken<br />
auf dem Balkon vor ihrem Familienzimmer<br />
Herz und Leber kurz an und<br />
stückeln sie in große Würfel. Rauchschwaden<br />
vernebeln das Zimmer, es ist<br />
das Aroma des Aïd. Dann kommt die<br />
Köstlichkeit: das Fettnetz, das die Innereien<br />
des Schafes im Bauchraum umhüllte.<br />
Wie eine geklöppelte Gardine<br />
hing es zum Trocknen über der Tür. Soukayna<br />
schneidet die feinsten Teile in<br />
Anstecknadel Herz und Leber vom<br />
Schaf, gewürfelt, mit Fett umwickelt,<br />
auf Spieße gesteckt und gegrillt.<br />
Saftig, knusprig, göttlich!<br />
Streifen heraus, sie haben die Konsistenz<br />
von Kaugummi, und umwickelt<br />
jeden angegrillten Herz- und Leberwürfel<br />
mit dem Fett, spießt sie auf. Amina<br />
beugt sich noch mal über den Grill. Es<br />
schmeckt saftig, knusprig, süßlich und<br />
wirklich: delicieux. Man hört nur noch<br />
Hassnas Schmatzen.<br />
Ismail kriegt vom Herz noch nichts<br />
ab, denn er hat mit Kopf und Füßen zu<br />
tun. Auf der Brache hinter der Siedlung<br />
haben die Jungen in Gruben Feuer entzündet,<br />
die Flammen lecken an den Bettenrosten,<br />
die sie darübergelegt haben. ><br />
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