15.04.2013 Aufrufe

Heft 08 neu - Zentralverband der Ärzte für Naturheilverfahren

Heft 08 neu - Zentralverband der Ärzte für Naturheilverfahren

Heft 08 neu - Zentralverband der Ärzte für Naturheilverfahren

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

INTERVIEW<br />

Prof. Dr. Dr. h.c. Heinz Schilcher<br />

Vorstandsmitglied des ZÄN<br />

Praxis<br />

?<br />

Matejka: Von allen <strong>Naturheilverfahren</strong><br />

scheint mir<br />

die Pflanzenheilkunde mit<br />

die besten Chancen zu<br />

haben, in das Weltbild <strong>der</strong> so genannten<br />

Schulmedizin aufgenommen<br />

zu werden. Vor allem die<br />

wissenschaftlichen Erkenntnisse<br />

über Heilpflanzen wie Weißdorn,<br />

Mariendistel, Johanniskraut haben<br />

in den letzten Jahren <strong>der</strong> Pflanzenheilkunde<br />

zweifellos Anerkennung<br />

gebracht. Trotzdem herrscht vor<br />

allem in Kreisen <strong>der</strong> klinischen<br />

Medizin nach wie vor große Skepsis<br />

bis Unkenntnis. In einer Umfrage<br />

des ärztlichen Arbeitskreises<br />

Naturmedizin wird angegeben,<br />

dass lediglich 11% <strong>der</strong> Medizinstudenten<br />

überhaupt wissen, dass<br />

es eine Phytopharmakologie gibt.<br />

Wie bewerten Sie diesen Fakt und<br />

welche Maßnahmen sind aus Ihrer<br />

Sicht erfor<strong>der</strong>lich, um die Verbreitung<br />

<strong>der</strong> phytotherapeutischen<br />

Kenntnisse vor allem in <strong>Ärzte</strong>kreisen<br />

zu för<strong>der</strong>n?<br />

Schilcher: Nachdem seit 1993 im<br />

schriftlichen 2. Medizinischen Staatsexamen<br />

auch Fragen über Phytotherapie<br />

gestellt werden, sollte/müsste<br />

jede medizinische Fakultät Vorlesungsveranstaltungen<br />

über Phytotherapie<br />

anbieten. In den Jahren 1990<br />

bis 1996 war man an mehreren medizinischen<br />

Universitäten, beispiels-<br />

528<br />

weise in Berlin, Erlangen, Heidelberg,<br />

Münster, München, Würzburg u.a.,<br />

relativ ernsthaft darum bemüht, Lehrveranstaltungen,<br />

meist mit externen<br />

Dozenten, über Phytotherapie anzubieten.<br />

Ich persönlich lehrte beispielsweise<br />

an <strong>der</strong> FU Berlin „ausgewählte<br />

Kapitel <strong>der</strong> Phytotherapie“ zwischen<br />

1984 und 1989 im Rahmen eines<br />

pharmakologischen Seminars und von<br />

Phytotherapie und<br />

pflanzliche Arzneimittel<br />

Interview mit Prof. Dr. Heinz Schilcher,<br />

Vorstandsmitglied des <strong>Zentralverband</strong>es <strong>der</strong> <strong>Ärzte</strong> <strong>für</strong><br />

<strong>Naturheilverfahren</strong> und Regulationsmedizin<br />

1990 bis 1996 „Phytotherapie <strong>für</strong> die<br />

klinischen Semester“ als eigenständige<br />

Vorlesung am Lehrstuhl <strong>für</strong> Naturheilkunde.<br />

Lei<strong>der</strong> hat in den letzten<br />

Jahren das Lehrangebot eher abgenommen,<br />

lei<strong>der</strong> auch das Interesse <strong>der</strong><br />

Studenten, weil man seitens <strong>der</strong> Studentenschaft<br />

bemerkt hat, dass die<br />

wenigen Phytotherapiefragen das Prüfungsergebnis<br />

kaum beeinflussen.<br />

Zwei Verbesserungsmaßnahmen wären<br />

an den Universitäten möglich:<br />

1. Die Besprechung von Phytopharmaka,<br />

insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong>jenigen,<br />

die man zur „Evidence based<br />

medicine“ rechnen darf, im Rahmen<br />

<strong>der</strong> Lehrveranstaltungen <strong>der</strong><br />

Disziplin Pharmakologie.<br />

2. Im Rahmen <strong>der</strong> Lehrveranstaltungen<br />

in <strong>der</strong> Inneren Medizin sollten<br />

auch phytotherapeutische Strategien<br />

angesprochen werden.<br />

?<br />

Matejka: Unabhängig von<br />

wissenschaftlichen Erkenntnissen<br />

unterliegt die<br />

Pflanzenheilkunde aber<br />

<strong>Ärzte</strong>zeitschrift <strong>für</strong> <strong>Naturheilverfahren</strong> 44, 8 (2003)


auch einem breiten volksheilkundlichen<br />

Erfahrungsschatz. Mitunter<br />

habe ich das Gefühl, dass<br />

diese z.T. über Jahrhun<strong>der</strong>te getätigten<br />

Erfahrungen oft gering<br />

geschätzt werden im Vergleich zu<br />

Studienergebnissen. In <strong>der</strong> täglichen<br />

Therapie habe ich nicht das<br />

Gefühl, dass ein pflanzenheilkundliches<br />

Mittel nur deshalb besser<br />

wirkt, weil es wissenschaftlich<br />

anerkannt ist. Überbewertet man<br />

nicht ein wenig die Wissenschaftstheorie<br />

im Vergleich zur traditionellen<br />

ärztlichen Erfahrung, von<br />

<strong>der</strong> auch Rudolf Fritz Weiß, einer<br />

<strong>der</strong> Nestoren <strong>der</strong> Phytotherapie in<br />

Deutschland, sprach?<br />

Schilcher: Ihr Eindruck ist lei<strong>der</strong><br />

richtig. Nicht nur von dogmatisch ausgerichteten<br />

Pharmakologen und Klinikern,<br />

son<strong>der</strong>n insbeson<strong>der</strong>e auch von<br />

den Behörden, beispielsweise vom<br />

Bundesinstitut <strong>für</strong> Arzneimittel und<br />

Medizinprodukte (BfArM) und von<br />

den gesetzlichen Krankenkassen, besitzt<br />

die Erfahrung in Form <strong>der</strong> Experience<br />

based medicine eine äußerst<br />

geringe Anerkennung. Dies gilt lei<strong>der</strong><br />

auch <strong>für</strong> jüngere und methodisch<br />

durchaus gute offene klinische Anwendungsbeobachtungen.<br />

Wenn eine<br />

klinische Studie nicht doppelblind und<br />

gegen ein Placebo angelegt ist, dann<br />

wird sie von den Dogmatikern „belächelt“<br />

und vom BfArM auf die unterste<br />

Stufe eines Wirksamkeitsnachweises<br />

gestellt. Diese Diskriminierung<br />

<strong>der</strong> ärztlichen Beobachtung erfolgt,<br />

obwohl methodisch gut konzipierte<br />

offene Anwendungsbeobachtungen<br />

die Gesamtwirksamkeit eines Arzneimittels<br />

häufig besser (!) charakterisieren<br />

als eine GCP-Studie, in denen nur<br />

ein o<strong>der</strong> zwei Zielparameter untersucht<br />

werden, die möglicherweise von<br />

untergeordneter klinischer Bedeutung<br />

sind. Lei<strong>der</strong> kommt noch hinzu, dass<br />

englischsprachige Studien, auch wenn<br />

sie viele methodische Fehler aufweisen,<br />

mehr Bedeutung besitzen als<br />

die seriöse Beobachtung eines einfachen<br />

nie<strong>der</strong>gelassenen Arztes.<br />

<strong>Ärzte</strong>zeitschrift <strong>für</strong> <strong>Naturheilverfahren</strong> 44, 8 (2003)<br />

Praxis<br />

?<br />

Matejka: Wenn Sie eine<br />

„Hitliste“ von Heilpflanzen<br />

aufführen würden, die<br />

imstande wären, beson<strong>der</strong>s<br />

umsatzstarke chemische<br />

Präparate zu ersetzen, welche<br />

Substanzen würden Sie an erster<br />

Stelle erwähnen? Johanniskraut,<br />

Weißdorn o<strong>der</strong> auch eine Reihe<br />

an<strong>der</strong>er Pflanzen?<br />

Schilcher: Je nach <strong>der</strong> Patientenklientel<br />

und <strong>der</strong> Situation in <strong>der</strong> jeweiligen<br />

ärztlichen Praxis können<br />

verschiedene „Hitlisten“ aufgestellt<br />

werden. Standardisierte Johanniskraut-<br />

o<strong>der</strong> Weißdornpräparate gehören<br />

aufgrund <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />

Datenlage mit Sicherheit in die<br />

„Hitliste“. Wissenschaftlich gut belegt,<br />

obwohl auch hier kontroverse<br />

Meinungen existieren, sind die phytochemisch<br />

definierten Ginkgoblätterpräparate.<br />

Große Bedeutung in <strong>der</strong><br />

Verordnung besitzen die Phytopharmaka<br />

zur Behandlung <strong>der</strong> BPH. Von<br />

den eingesetzten Kürbissamen-, Sabalfrüchte-,<br />

Brennnesselwurzel- und<br />

Roggenpollen-Präparaten existieren<br />

weit mehr experimentelle und klinische<br />

Studien als von chemischsynthetischen<br />

„Prostatamitteln“. Die<br />

„Phyto-Prostatamittel“ sind wirksam,<br />

nebenwirkungsarm und dazu um rund<br />

1/3 billiger. In die „Hitliste“ gehören<br />

<strong>neu</strong>erdings Arzneipflanzen wie Cimicifuga<br />

racemosa (Silberkerze), Vitex<br />

agnus castus (Mönchspfeffer) und<br />

Trifolium pratense (Rotklee) zur Behandlung<br />

des prämenstruellen Syndroms<br />

und klimakterischer Beschwerden.<br />

?<br />

Matejka: In den letzten<br />

Jahren verschwanden<br />

etliche pflanzliche Präparate,<br />

weil sie den Wissenschaftsnachweis<br />

nicht erbringen<br />

konnten. Dies lag zum großen Teil<br />

an den mangelnden finanziellen<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> meist klein- und<br />

mittelständischen Hersteller. Auf<br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite dachte ich immer,<br />

es gäbe eine Art Bestandsschutz<br />

529<br />

<strong>für</strong> über Jahre und Jahrzehnte hinweg<br />

bewährte Therapien. Gibt es<br />

keine an<strong>der</strong>e Möglichkeit, <strong>der</strong>artige<br />

Präparate zu erhalten, o<strong>der</strong> bleibt<br />

den Herstellern nur ein Ausweichen<br />

in den Nahrungsergänzungsmittelsektor,<br />

sofern überhaupt möglich?<br />

Schilcher: Der „Bestandsschutz“<br />

ärztlich bewährter Arzneimittel <strong>der</strong><br />

„beson<strong>der</strong>en Therapierichtungen“, darunter<br />

Phytopharmaka, war ein großes<br />

Anliegen <strong>der</strong> damaligen Parlamentarier<br />

bei <strong>der</strong> Verabschiedung des 2.<br />

Arzneimittelgesetzes im Jahre 1976.<br />

Von dem Willen <strong>der</strong> damaligen Fachausschüsse<br />

– ich selbst war Mitglied<br />

einer Sachverständigenkommission –<br />

verspürt man kaum noch etwas. Ein<br />

pflanzliches Kombinationsarzneimittel,<br />

das beispielsweise seit 30 o<strong>der</strong><br />

40 Jahren erfolgreich verordnet worden<br />

ist, besitzt kaum eine Chance <strong>der</strong><br />

Nachzulassung durch das BfArM. Als<br />

Autor des Handbuches „Leitfaden<br />

Phytotherapie“, erschienen im Urban-<br />

Fischer Verlag, musste ich bei <strong>der</strong> Bearbeitung<br />

<strong>der</strong> 2. Auflage feststellen,<br />

dass mehrere von mir empfohlene altbewährte<br />

Phytopharmaka im Jahre<br />

2003 nicht mehr im Verkehr sein<br />

werden o<strong>der</strong> wegen Nachzulassungsprobleme<br />

die fixe Kombination än<strong>der</strong>n<br />

mussten. Das Ausweichen auf<br />

Nahrungsergänzungsmittel o<strong>der</strong> Kosmetika<br />

aufgrund einer Versagung <strong>der</strong><br />

Nachzulassung schadet <strong>der</strong> Phytotherapie,<br />

insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> so genannten<br />

rationalen Phytotherapie, sehr,<br />

zum großen Nachteil <strong>der</strong> Patienten.<br />

Interessante Arzneipflanzenextrakte,<br />

beispielsweise ein Rotkleeextrakt mit<br />

einem definierten Gehalt an Isoflavonen,<br />

kommen gleich als Nahrungsergänzungsmittel<br />

auf den Markt und<br />

ersparen sich damit die hohen Kosten<br />

<strong>der</strong> Qualitätskontrollen und klinischen<br />

Studien, die <strong>für</strong> Arzneimittel vorgeschrieben<br />

sind.<br />

?<br />

Matejka: Ist es nicht ein<br />

Skandal, dass zahlreiche<br />

pflanzenheilkundliche<br />

Präparate in ihrer Zu-


sammensetzung – oft auf Druck<br />

von Arzneimittelkommissionen –<br />

deutlich verän<strong>der</strong>t werden, ihren<br />

ursprünglichen Namen aber behalten?<br />

Ist das nicht eine (bewusste)<br />

lrreführung des Patienten und<br />

oft auch des Therapeuten?<br />

Schilcher: Wenn die Zusammensetzung<br />

<strong>der</strong> Arzneimittel durch Auflagen<br />

des BfArM geän<strong>der</strong>t werden musste,<br />

dann ist dies durch den Zusatz N<br />

hinter dem Handelsnamen zu erkennen.<br />

Beispielsweise wurden aus klinisch<br />

geprüften Cysto-Fink-Kapseln<br />

zwei Extrakte herausgenommen. Das<br />

geän<strong>der</strong>te Präparat heißt nunmehr<br />

Cysto-Fink N-Kapseln. Richtig ist,<br />

dass in einigen wenigen Fällen die<br />

Rezepturverän<strong>der</strong>ungen so gravierend<br />

sind, dass <strong>der</strong> ursprüngliche Handelsname<br />

nicht mehr berechtigt wäre. Das<br />

AMG 76 lässt jedoch zu, dass <strong>der</strong> alte<br />

Handelsname auch bei wesentlichen<br />

Rezepturän<strong>der</strong>ungen beibehalten werden<br />

darf, allerdings mit dem Zusatz N.<br />

Für den Arzt bedeutet dies, dass er<br />

sich die <strong>neu</strong>e Zusammensetzung<br />

schon etwas genauer ansehen sollte.<br />

?<br />

Matejka: Beim ehemaligen<br />

Bundesgesundheitsamt<br />

gab es die Phytotherapiekommission<br />

E, die <strong>für</strong> die<br />

Aufbereitung <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />

Literatur zu den einzelnen<br />

Heilpflanzen zuständig war. Meines<br />

Wissens gibt es diese Kommission<br />

seit Auflösung des Bundesgesundheitsamtes<br />

jetzt nicht mehr. Wie<br />

können dann Heilpflanzen, die bislang<br />

nicht zugelassen waren, noch<br />

eine Zulassung und damit Anerkenntnis<br />

bekommen? Wer ist<br />

jetzt da<strong>für</strong> zuständig?<br />

Schilcher: Es ist nicht richtig, dass<br />

die Sachverständigenkommission <strong>für</strong><br />

pflanzliche Arzneimittel, die Kommission<br />

E, nicht mehr existiert. Die<br />

Kommission E existiert nach wie vor<br />

und sie hat kürzlich ihre 9. Amtsperiode<br />

angetreten. Es wird lei<strong>der</strong><br />

immer wie<strong>der</strong> damit verwechselt, dass<br />

Praxis<br />

die Kommission E seit 1995 keine<br />

Drogenmonografien mehr erstellt.<br />

Ihre Tätigkeit als sog. Aufbereitungsund<br />

Zulassungskommission wurde<br />

im Jahre 1995 nur mehr auf eine Zulassungskommission<br />

eingeschränkt<br />

und die Kommission ist beim Bundesinstitut<br />

<strong>für</strong> Arzneimittel und Medizinprodukte<br />

(BfArM) in Bonn angesiedelt.<br />

Wenn eine nicht monografierte<br />

Arzneipflanze eine arzneimittelrechtliche<br />

Zulassung erhalten will,<br />

dann müssen alle Zulassungsformalitäten<br />

wie <strong>für</strong> ein chemisch-synthetisches<br />

Arzneimittel nach § 21 AMG 76<br />

vorgelegt werden. Bislang hat noch<br />

keine Droge, die bei uns in <strong>der</strong> Phytotherapie<br />

nicht verwendet worden ist,<br />

z.B. das Weihrauchharz, eine Zulassung<br />

geschafft. So besitzt kein einziges<br />

TCM-Arzneimittel eine Arzneimittelzulassung<br />

in Deutschland!<br />

? ?<br />

Matejka: Von verschiedenen<br />

Gesundheitsministern<br />

wurden seit den <strong>neu</strong>nziger<br />

Jahren Pläne zu Positivund<br />

Negativlisten diskutiert,<br />

meistens aber wie<strong>der</strong> verworfen.<br />

Derzeit wird wie<strong>der</strong> einmal über<br />

eine Positivliste diskutiert, was<br />

bedeutet, dass nur die darin aufgeführten<br />

Präparate auch zu<br />

Lasten <strong>der</strong> gesetzlichen Krankenkasse<br />

verordnet werden dürfen.<br />

Fürchten Sie nicht, dass dabei<br />

zwangsläufig mo<strong>der</strong>ne chemische<br />

Präparate dominieren und pflanzliche<br />

Präparate – womöglich aus<br />

Unkenntnis <strong>der</strong> zuständigen Kommission<br />

– hinten runterfallen?<br />

Schilcher: Die vorgesehene Positivliste,<br />

die vermutlich nun doch nicht<br />

realisiert werden soll, glie<strong>der</strong>t sich in<br />

eine Hauptliste, die mit wenigen Ausnahmen<br />

nur chemisch-synthetische<br />

Arzneimittel enthält, und in einen<br />

Anhang, bestehend aus einer Liste <strong>für</strong><br />

Phytopharmaka, Homöopathika und<br />

anthroposophische Arzneimittel. Vorgesehen<br />

ist, dass auch die Arzneimittel<br />

<strong>der</strong> 3 Anhanglisten von den gesetzlichen<br />

Krankenkassen erstattet werden<br />

530<br />

müssen. Es ist allerdings zu be<strong>für</strong>chten,<br />

dass die Krankenkassen bei den<br />

Arzneimitteln <strong>der</strong> 3 Anhanglisten gewisse<br />

Abstriche machen wollen. Im<br />

vorliegenden Entwurf zur Positivliste<br />

sind überraschend viele Phytopharmaka<br />

in die Liste aufgenommen<br />

worden.<br />

Von den in meinem „Leitfaden Phytotherapie“<br />

konkret empfohlenen Fertigarzneimitteln<br />

stehen rund 90 % in dem<br />

im Herbst 2001 verabschiedeten Entwurf<br />

zur Positivliste. Aus grundsätzlichen<br />

Erwägungen und unter Berücksichtigung<br />

des Pluralismus in <strong>der</strong><br />

Medizin ist natürlich eine Bevormundung<br />

durch eine Liste abzulehnen.<br />

Eine Positivliste entspricht<br />

mehr o<strong>der</strong> weniger einer kommunistischen<br />

Staatsmedizin, wenn kein<br />

breites Arzneimittelangebot zur Verfügung<br />

steht.<br />

Matejka: Wie sehen Sie die<br />

Situation im internationalen<br />

Maßstab? Gibt es in<br />

an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n auch<br />

eine ähnlich verbreitete Phytotherapie<br />

wie in Deutschland?<br />

Schilcher: Pflanzliche Arzneimittel<br />

werden weltweit verwendet und in<br />

Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> 3. Welt sind Phytopharmaka<br />

die Mittel <strong>der</strong> 1. Wahl, weil<br />

chemisch-synthetische Arzneimittel<br />

nur in begrenztem Ausmaße zur Verfügung<br />

stehen. Die Anwendung von<br />

Phytopharmaka in Deutschland unterscheidet<br />

sich weltweit dadurch, dass<br />

pflanzliche Arzneimittel neben chemisch-synthetischen<br />

Arzneimitteln<br />

stets von <strong>Ärzte</strong>n verordnet und von<br />

Krankenkassen erstattet werden –<br />

noch erstattet werden. So etwas existiert<br />

in an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n nicht. Die<br />

ärztliche Verordnung ist durchaus<br />

berechtigt, weil man in Deutschland<br />

bereits in den 30er-Jahren damit<br />

begonnen hat, experimentell die Wirkungen<br />

und klinisch die Wirksamkeit<br />

zu bestimmen bzw. zu prüfen. Hinzu<br />

kommt, dass man sich in Deutschland<br />

bereits seit Ende <strong>der</strong> 50er-Jahre um<br />

eine phytochemische Standardisie-<br />

<strong>Ärzte</strong>zeitschrift <strong>für</strong> <strong>Naturheilverfahren</strong> 44, 8 (2003)


ung <strong>der</strong> Phytopharmaka gekümmert<br />

hat. Qualitativ besitzen die in<br />

Deutschland produzierten pflanzlichen<br />

Arzneimittel weltweit den<br />

höchsten Standard und weltweit finden<br />

nur im deutschen Arzneimittelgesetz<br />

(AMG 76) Phytopharmaka eine<br />

beson<strong>der</strong>e Berücksichtigung. Ebenso<br />

weltweit einmalig ist <strong>der</strong> „Arzt <strong>Naturheilverfahren</strong>“,<br />

<strong>der</strong> im beson<strong>der</strong>en<br />

Ausmaß über eine gute Kenntnis verfügt.<br />

Das ärztliche phytotherapeutische<br />

Know-how sowie <strong>der</strong> hohe<br />

Qualitätsstandard <strong>der</strong> verordneten<br />

Phytopharmaka in Deutschland lassen<br />

wenig Verständnis aufkommen, dass<br />

die bewährte deutsche Situation, mit<br />

<strong>der</strong> arzneimittelrechtlichen Son<strong>der</strong>stellung<br />

<strong>der</strong> Phytopharmaka, von den<br />

„Lehrlingen“ in den EU-Arzneimittelkommissionen<br />

ignoriert wird und auf<br />

den niedrigeren Stand <strong>der</strong> „traditional<br />

used herbs“ gebracht werden soll.<br />

? ?<br />

Matejka: Seit mehr als<br />

zehn Jahren werden auch<br />

in Deutschland verstärkt<br />

Behandlungen mit <strong>der</strong><br />

traditionellen chinesischen Medizin<br />

angeboten. Im Rahmen dieser Behandlungskonzepte<br />

spielen chinesische<br />

Heilkräuter eine wichtige<br />

Rolle. Ich habe mir sagen lassen,<br />

dass diese Heilkräuter aber z.T.<br />

stark mit Pestiziden und Schwermetallen<br />

kontaminiert sein sollen<br />

und zudem vielfach sehr stark<br />

wirksame Komponenten enthalten,<br />

die u.U. auch bedrohliche Nebenwirkungen<br />

entfalten können.<br />

Können Sie dazu etwas sagen? Wo<br />

kann sich <strong>der</strong> Interessierte hinwenden,<br />

wenn er sich über Gefahren<br />

chinesischer Heilpflanzen informieren<br />

möchte, bzw. aus welchen<br />

Quellen kann er einwandfreie<br />

Präparate erhalten?<br />

Schilcher: Die fragliche Qualität <strong>der</strong><br />

TCM-Heilkräuter ist in <strong>der</strong> Tat ein<br />

großes Problem, ganz abgesehen davon,<br />

dass <strong>der</strong> Verordner, also <strong>der</strong> Arzt<br />

o<strong>der</strong> Heilpraktiker, <strong>für</strong> die Wirksamkeit<br />

und Unbedenklichkeit verant-<br />

<strong>Ärzte</strong>zeitschrift <strong>für</strong> <strong>Naturheilverfahren</strong> 44, 8 (2003)<br />

Praxis<br />

wortlich ist, weil <strong>für</strong> die TCM-Heilkräuter<br />

keine arzneimittelrechtliche<br />

Zulassung existiert. Diese rechtliche<br />

Situation ist den wenigsten Verordnern<br />

bekannt! Für die Qualität <strong>der</strong><br />

TCM-Kräuter, also <strong>für</strong> die Abgabe <strong>der</strong><br />

richtigen und botanisch geprüften<br />

Droge sowie <strong>für</strong> die Prüfung auf unerwünschte<br />

Rückstände ist <strong>der</strong> Apotheker<br />

verantwortlich. Der Verordner<br />

soll sich beim Apotheker vergewissern,<br />

dass dieser nur zertifizierte<br />

Drogen abgibt, da <strong>der</strong> Apotheker in<br />

<strong>der</strong> Regel nicht in <strong>der</strong> Lage ist, TCM-<br />

Kräuter zu prüfen. Es existieren einige<br />

Prüflaboratorien, die in <strong>der</strong> Lage sind,<br />

die TCM-Drogen auf Identität und<br />

Reinheit zu prüfen. Zu erwähnen wäre<br />

noch, dass – bis auf wenige Ausnahmen<br />

– eine in Europa genutzte Arzneipflanze<br />

nicht durch eine TCM-Droge<br />

ersetzt werden kann, da es sich um<br />

grundsätzlich verschiedene therapeutische<br />

und auch pharmakologische<br />

Ansatzpunkte handelt.<br />

Matejka: Wird die Pflanzenheilkunde<br />

heute an den<br />

Universitäten, etwa im<br />

Rahmen des Pharmakologieunterrichtes<br />

gelehrt, geduldet<br />

o<strong>der</strong> weiterhin totgeschwiegen?<br />

Können Sie Universitäten nennen,<br />

die in dieser Hinsicht sehr fortschrittlich<br />

sind?<br />

Schilcher: Es existieren nur drei<br />

Lehrstühle <strong>für</strong> Naturheilkunde, und<br />

zwar an <strong>der</strong> FU Berlin, in Rostock<br />

sowie an <strong>der</strong> Universität in Ulm. Stark<br />

wirksame Naturstoffe, wie Alkaloide<br />

o<strong>der</strong> herzwirksame Glykoside, wurden<br />

schon immer im Rahmen des<br />

Pharmakologieunterrichtes besprochen.<br />

Die „Mite“-Phytopharmaka<br />

fanden bzw. finden kaum eine Berücksichtigung.<br />

Ebenso fehlt an den<br />

Universitäten eine Pflichtlehrveranstaltung<br />

bzw. eine Hauptvorlesung<br />

über Phytotherapie. An einigen Universitäten,<br />

wie in Heidelberg, München,<br />

Erlangen, Bonn u.a., existieren<br />

naturheilkundliche Ambulanzen und<br />

auch sporadische Lehrveranstaltun-<br />

531<br />

gen, jedoch keine regelmäßigen Lehrveranstaltungen<br />

über das ganze Semester.<br />

Eine genaue Auskunft über die<br />

Lehrsituation an deutschen Universitäten<br />

kann <strong>der</strong> Expertenkreis Naturmedizin<br />

(EKN), Schiffenberger Weg<br />

55, 35394 Gießen, geben. Die Situation<br />

ist auf alle Fälle unbefriedigend,<br />

wobei die Situation sicherlich dadurch<br />

erschwert wird, dass es in Deutschland<br />

zur Zeit keinen Mediziner gibt,<br />

<strong>der</strong> sich auf dem Gebiet <strong>der</strong> Phytotherapie<br />

habilitiert hat.<br />

Matejka: Herr Proff. Schilcher, ich<br />

bedanke mich <strong>für</strong> Ihre gründliche<br />

Beantwortung meiner Fragen,<br />

welche das große interdisziplinäre<br />

Gebiet <strong>der</strong> Phytotherapie und <strong>der</strong><br />

pflanzlichen Arzneimittel dem<br />

Leser und insbeson<strong>der</strong>e den<br />

Politikern erläutern soll.<br />

Dieses Interview mit Prof. Schilcher<br />

führte Herr Dr. med. R. Matejka, Chefredakteur<br />

<strong>der</strong> Zeitschrift „Naturarzt“. Der<br />

Abdruck aus <strong>Heft</strong> Nr. 6 Juni 2003 erfolgt<br />

mit freundlicher Genehmigung des Zeitschrift.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!