Ursprung der Kinderläden - BAGE
Ursprung der Kinderläden - BAGE
Ursprung der Kinderläden - BAGE
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>Ursprung</strong> <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>läden<br />
2011 - 25 Jahre Bundesarbeitsgemeinschaft (<strong>BAGE</strong> e.V.)<br />
Es ist sicher bekannt, dass die Elterninitiativen ihren<br />
<strong>Ursprung</strong> in <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>ladenbewegung <strong>der</strong> Jahre 1965 bis<br />
1986 haben. Die Studentenbewegung hatte eine Neuorientierung<br />
<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>erziehung im familiären und im außerfamiliären Bereich als wichtige<br />
Grundlage für die moralische und politische Ausrichtung <strong>der</strong> Nachkriegsgesellschaft<br />
erkannt: Mit den Kin<strong>der</strong>läden - zur Entlastung <strong>der</strong> Eltern für politisches Engagement und<br />
zur Entwicklung praktikabler pädagogischer und autoritätskritischer Erziehungsformen.<br />
Man kann <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>ladenbewegung viel vorwerfen, aber sie hat die Türen zur Akzeptanz<br />
<strong>der</strong> außerfamiliären Kin<strong>der</strong>erziehung in <strong>der</strong> BRD weit aufgestoßen. Vor dem Hintergrund<br />
des 2. Weltkrieges hat sie die Familie als staatstragendes Instrument in Frage gestellt und<br />
die Gesellschaft mitverantwortlich gemacht für Bildung, Erziehung und Betreuung. Zur Erinnerung:<br />
Erst ab 1972 wurden die ersten Kin<strong>der</strong>gartengesetze in den Bundeslän<strong>der</strong>n verabschiedet.<br />
Bis dahin galt: Die alleinige Verantwortung für die Erziehung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> oblag<br />
den Eltern, vorrangig den Müttern.<br />
Die öffentliche Auseinan<strong>der</strong>setzung über die Ziele und Methoden <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>ladenbewegung<br />
kreiste um nackte Kin<strong>der</strong>, chaotische Kin<strong>der</strong>gruppen und verletzte moralische<br />
Vorstellungen (die Kin<strong>der</strong> wi<strong>der</strong>sprechen ihren Eltern, grüßen an<strong>der</strong>e Erwachsene nicht<br />
anständig, machen sich schmutzig etc.). Die Medienwirksamkeit <strong>der</strong> Kommune 1 war<br />
gewinnbringen<strong>der</strong> als die Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> Motivation und Ernsthaftigkeit <strong>der</strong><br />
engagierten Eltern.<br />
Nach 1972 wurde es sehr viel ruhiger um die Kin<strong>der</strong>läden. In den meisten größeren Städten<br />
Deutschlands gab es Elterngruppen, die ihren selbstorganisierten Kin<strong>der</strong>garten in <strong>der</strong><br />
Tradition <strong>der</strong> Studentenbewegung "Kin<strong>der</strong>laden" nannten. Die Gründe für die Selbstorganisation<br />
waren offensichtlich: uralte Konzepte <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>gärten mit riesengroßen<br />
Gruppen und konservativ ausgebildeten ErzieherInnen, die mit Elternarbeit o<strong>der</strong> Elternmitarbeit<br />
nichts am Hut hatten sowie die viel zu wenigen Kin<strong>der</strong>gartenplätze. (Von den Einrichtungen<br />
zur Betreuung von Kin<strong>der</strong>n im Alter von 0 - 3 Jahren war damals in den<br />
Anfängen auch in <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>ladenbewegung noch wenig zu sehen).<br />
Beson<strong>der</strong>s in Großstädten und Ballungsräumen entstanden immer mehr selbstorganisierte<br />
Kin<strong>der</strong>betreuungsprojekte. Sie nannten sich Kin<strong>der</strong>laden, Elterninitiative, Eltern-Kind-<br />
Gruppe, Eltern-Kind-Initiative, Kin<strong>der</strong>haus, Krabbelgruppe, Babygruppe etc.<br />
Die jungen Eltern, die diese Einrichtungen aufbauten und betrieben, fingen ganz langsam<br />
an, sich von den Kin<strong>der</strong>läden zu distanzieren. Sie empfanden die Kin<strong>der</strong>laden-Ideologie<br />
eher als Hypothek denn als Anregung. Das hing nach meiner Beobachtung in Bayern auch<br />
damit zusammen, dass die kommunale Bürokratie, die mit dem Vollzug <strong>der</strong> neuen Kin<strong>der</strong>gartengesetzgebung<br />
betraut war, immer noch einen riesigen Bammel vor den „linken Horden“<br />
hatte und alles, was nach Kin<strong>der</strong>laden roch, sehr sehr kritisch beäugte. Selbstorganisiertes<br />
war links, radikal und verdächtig. Wer sich nicht auf die Angebote des Staates<br />
verlassen wollte, musste subversives Gedankengut im Kopf haben.<br />
Viele Eltern wollten sich das nicht antun - sie wollten einen Platz für ihre Kin<strong>der</strong>, waren mit<br />
<strong>der</strong> traditionellen Kin<strong>der</strong>betreuung in mehr als 25 Kin<strong>der</strong> großen Kin<strong>der</strong>gruppen unzufrieden,<br />
begeisterten sich für die Idee <strong>der</strong> Selbstorganisation, wollten ihre Erziehungsverantwortung<br />
nicht einfach an einen Träger abgeben, son<strong>der</strong>n den Kin<strong>der</strong>garten mit ihren<br />
Kin<strong>der</strong>n gestalten - aber nicht die Bürokratie reformieren.<br />
1
2011 - 25 Jahre Bundesarbeitsgemeinschaft (<strong>BAGE</strong> e.V.)<br />
Am Anfang waren die Kin<strong>der</strong>läden Orte <strong>der</strong> sozialpolitischen Diskussion und politischen<br />
Aktion mit sozialpädagogischen Konsequenzen.<br />
Die Kin<strong>der</strong>läden und Elterninitiativen ab Ende 1970 bis heute sind viel mehr Orte <strong>der</strong><br />
sozialpädagogischen Diskussion. Die Kritik am Erziehungsstil von Oma und Opa und<br />
<strong>der</strong>en Umgang mit unserer nationalsozialistischen Geschichte verlor an Bedeutung. Die<br />
Erziehung <strong>der</strong> eigenen Kin<strong>der</strong>, die Erwartung nach Entlastung und gemeinsames Handeln<br />
traten in den Vor<strong>der</strong>grund. Es ging und geht nicht mehr um die Reform von Familie, son<strong>der</strong>n<br />
um die Vereinbarkeit <strong>der</strong> individuellen Lebensplanung mit den immer komplexeren<br />
Bedingungen des Arbeitsmarktes und <strong>der</strong> Freizeitindustrie.<br />
Und trotzdem sind nicht nur die individuellen Erwartungen <strong>der</strong> Eltern <strong>der</strong> Auslöser für das<br />
Engagement in heutigen Elterninitiativen und Kin<strong>der</strong>läden. Es geht zwangsläufig um gesellschaftliche<br />
Fragen und Demokratieentwicklung, um Zivilgesellschaft und Bürgerschaftliches<br />
Engagement. Alles ist politisch - so wie Alles, was wir tun und was wir nicht tun,<br />
Vorbild für die Entwicklung von Werten für unsere Kin<strong>der</strong> ist. (Hier <strong>der</strong> Hinweis auf die<br />
Studie des DJI "Familienselbsthilfe und ihr Beitrag zur kommunalen Wertschöpfung" 1998)<br />
Entstehungsgeschichte <strong>der</strong> <strong>BAGE</strong><br />
Von Berlin, München, Stuttgart und Frankfurt weiß ich, dass es damals (in den Siebzigern)<br />
regionale Zusammenschlüsse von Kin<strong>der</strong>läden gab - die "Zentralräte <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>läden", die<br />
neben <strong>der</strong> alternativen Pädagogik auch die gesellschaftspolitische Bedeutung und Notwendigkeit<br />
einer reformierten Kin<strong>der</strong>erziehung diskutierten. Es kam jedoch nie zu einem<br />
funktionierenden Zusammenschluss dieser kommunalen Zentralräte, obwohl es dazu einige<br />
Anläufe gab - woran auch immer das gelegen haben mag.<br />
Bereits Ende <strong>der</strong> siebziger Jahre war das Konzept <strong>der</strong> Mütterzentren im „Deutschen<br />
Jugendinstitut“ (DJI) im Rahmen eines Forschungsprojekts zur Elternarbeit (1976-1980)<br />
entwickelt worden. Dieses Projekt beför<strong>der</strong>te die feministische Debatte, die u.a. zur Entstehung<br />
des „Müttermanifestes“ führte (siehe Dokumente auf <strong>der</strong> <strong>BAGE</strong>-Website).<br />
Im Jahre 1980 begann auf Anregung <strong>der</strong> Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung<br />
ein Projekt zu Erforschung von Präventionsmaßnahmen zur Verringerung <strong>der</strong> Herz- und<br />
Kreislauferkrankungen. Den Zuschlag für das Projekt erhielt <strong>der</strong> Bundesverband „Neue<br />
Erziehung (BNE)“ mit Sitz in Bonn, <strong>der</strong> vom Bundesverband <strong>der</strong> Arbeiterwohlfahrt gegründet<br />
worden war. Er sollte das dringend notwendige Gegengewicht zu den kirchlichen<br />
Familienverbänden werden. Im Projekt sollte untersucht werden, ob die gegenseitige<br />
Entlastung und Hilfestellung von Eltern Einfluss auf die Herz- und Kreislauferkrankungen<br />
von Männern und Frauen hat. Das Projekt trug den Namen "Eltern helfen Eltern" und war<br />
für einen Modellzeitraum von fünf Jahren angelegt.<br />
Die ProjektmitarbeiterInnen beim BNE kannten die Szene und nutzen die Erfahrungen von<br />
Eltern und ErzieherInnen aus Kin<strong>der</strong>läden und Elterninitiativen sowie an<strong>der</strong>er Mitarbeiter-<br />
Innen aus psychosozialen, selbstorganisierten Projekten. Es entstand ein bundesweiter<br />
Arbeitskreis, <strong>der</strong> sich regelmäßig traf, Erfahrungen austauschte, die eigene Arbeit reflektierte,<br />
Konzepte verglich, diskutierte und weiterentwickelte.<br />
Nach fünf Jahren sollte das Projekt auslaufen. Auf Druck und durch viel Engagement<br />
wurde das Modell verlängert und sammelte weiterhin Daten zur Auswertung, diesmal unter<br />
dem Namen „Elterninitiativen auf dem Lande“. Der Projektträger war diesmal das Institut<br />
„Frau und Gesellschaft“ in Hannover. Natürlich gab es einen Bruch in <strong>der</strong> bisherigen Arbeit<br />
des Arbeitskreises. Die TeilnehmerInnen hatten während <strong>der</strong> fünf Jahre erfahren, wie<br />
wichtig, entlastend und motivierend so ein Netzwerk ist und beschlossen, die Auflösung<br />
2
2011 - 25 Jahre Bundesarbeitsgemeinschaft (<strong>BAGE</strong> e.V.)<br />
des AK nicht so ohne weiteres zu akzeptieren. Ende 1985 planten sie eine Vereinsgründung,<br />
um den Zusammenschluss <strong>der</strong> Ehrenamtlichen (ErzieherInnen, Eltern, ehrenamtliche<br />
MitarbeiterInnen in Kin<strong>der</strong>läden und Elterninitiativen) formal zu sichern. Gleichzeitig<br />
wollten sie natürlich beweisen, dass das, was unter den Fittichen des BNE möglich war,<br />
auch in Eigenverantwortung und Eigeninitiativen realisierbar ist.<br />
Im April 1986 wurde in Berlin <strong>der</strong> Verein Bundesarbeitsgemeinschaft Elterninitiativen<br />
(<strong>BAGE</strong>) e.V. offiziell gegründet. Nachdem sich die MitarbeiterInnen aus den psychosozialen<br />
Projekten nach Ablauf <strong>der</strong> Modellphase in speziellen Landes- bzw. Bundesverbänden<br />
engagiert hatten, waren die Kin<strong>der</strong>läden und Elterninitiativen übrig geblieben.<br />
Weil immer mehr Eltern Kin<strong>der</strong>läden und Elterninitiativen gründeten, entstanden parallel<br />
zur <strong>BAGE</strong> in vielen Großstädten und Ballungsräumen <strong>der</strong> Bundesrepublik in den Jahren<br />
1980 - 1985 Anlauf- und Kontaktstellen für Eltern, die eine Initiative, einen Kin<strong>der</strong>laden<br />
gründen wollten. Diese Kontaktstellen spezialisierten sich auf die Unterstützung von<br />
Eigeninitiative, berieten in Fragen <strong>der</strong> Vereinsgründung, Konzeptentwicklung und Selbstorganisation.<br />
Sie arbeiteten auf kommunaler Ebene und wussten lange nichts voneinan<strong>der</strong>.<br />
In einer nebligen Herbstnacht 1986 trafen sich auf Einladung <strong>der</strong> „Kin<strong>der</strong>laden-Initiative<br />
Hannover“ MitarbeiterInnen (Eltern und ErzieherInnen) aus Kin<strong>der</strong>läden und Elterninitiativen<br />
im Jugendgästehaus am Rande von Hannover. MitarbeiterInnen <strong>der</strong> <strong>BAGE</strong> hörten<br />
zufällig von dieser Initiative und nahmen am Treffen teil.<br />
Es war relativ schnell klar, dass es ungeachtet <strong>der</strong> unterschiedlichen geschichtlichen Entwicklung<br />
<strong>der</strong> Kontaktstellen (die aus dem Projekt "Eltern helfen Eltern" und die autark entstandenen)<br />
sinnvoll war, unter einem Dach zusammenzuarbeiten. Die Erfahrungen im<br />
Arbeitskreis "Eltern helfen Eltern" deckten sich nahezu nahtlos mit den Vorstellungen und<br />
Erwartungen <strong>der</strong> TeilnehmerInnen dieses "Kontaktstellentreffens". Die Vorarbeiten <strong>der</strong><br />
<strong>BAGE</strong> und die Idee, einen För<strong>der</strong>antrag an das Bundesministerium zu stellen, fanden breite<br />
Zustimmung. Das Konzept wurde ausführlich diskutiert und aktualisiert. Alle bekannten<br />
Kontaktstellen waren mit dem Zusammenschluss unter dem Dach <strong>der</strong> <strong>BAGE</strong><br />
einverstanden. Die <strong>BAGE</strong> e.V. hatte sich vom Arbeitskreis "Eltern helfen Eltern" zu einem<br />
eigenständigen, selbstverwalteten und unabhängigen Bundesverband entwickelt - als<br />
Lobby und Vertretung <strong>der</strong> Interessen von mehr als 8000 selbstorganisierten Projekten zur<br />
Bildung, Erziehung und Betreuung von Kin<strong>der</strong>n - egal unter welchem Namen sie<br />
firmierten.<br />
Bereits im selben Jahr stellte die <strong>BAGE</strong> einen Antrag auf För<strong>der</strong>ung an das Bundesministerium<br />
für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit unter <strong>der</strong> Amtsführung von Rita<br />
Süssmuth (CDU, 1985 -1988). In den Auseinan<strong>der</strong>setzungen wurde schnell deutlich, dass<br />
die Bundespolitik kein son<strong>der</strong>liches Interesse an <strong>der</strong> selbstorganisierten Kin<strong>der</strong>betreuung<br />
hatte. Die Kin<strong>der</strong>betreuung war im Jugendwohlfahrtsgesetz geregelt, das neue Kin<strong>der</strong>-<br />
und Jugendhilfegesetz (KJHG) war in Vorbereitung und überhaupt waren für Kin<strong>der</strong>gärten<br />
und Horte die Län<strong>der</strong> und Kommunen zuständig. Der Bund war an einer För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />
selbstorganisierten Kin<strong>der</strong>betreuung nicht interessiert.<br />
Die <strong>BAGE</strong> machte deutlich, dass Selbsthilfe ein Modell <strong>der</strong> gesellschaftlichen Mitverantwortung<br />
ist. Sie erläuterte das System <strong>der</strong> Selbsthilfe, bei <strong>der</strong> die Mitverantwortung aller<br />
am Projekt Beteiligten, die Akzeptanz <strong>der</strong> unterschiedlichen Fähigkeiten, das Selbstbestimmungsrecht<br />
<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>, die gleichberechtigte Zusammenarbeit von Eltern und ErzieherInnen,<br />
eine innovative - auch für die Politik interessante - Form zur Gestaltung von<br />
sozialpolitischen Maßnahmen ist. Sie versuchte zu erklären, dass Eigeninitiative und<br />
-verantwortung Bausteine für die Zivilgesellschaft und die Akzeptanz von Fähigkeiten die<br />
Voraussetzung für demokratisches Handeln sind. Für den Bund war das nicht förde<br />
3
ungsfähig.<br />
2011 - 25 Jahre Bundesarbeitsgemeinschaft (<strong>BAGE</strong> e.V.)<br />
Mit <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vereinigung 1989 kam eine ganz neue Aufgabe auf die Kin<strong>der</strong>- und Jugendhilfe<br />
zu. Während im Westen mit dem gesetzlich neu verankerten Rechtsanspruch auf<br />
einen Kin<strong>der</strong>gartenplatz ein riesiges Aufbauprogramm für Kin<strong>der</strong>gartenplätze gestartet<br />
wurde, sollten im Osten <strong>der</strong> Republik die in staatlicher Trägerschaft organisierten Kin<strong>der</strong>tagesstätten<br />
in freie Trägerschaft übergeführt werden, gleichzeitig gab es ein riesiges Abbauprogramm,<br />
um die fast 100% Versorgung mit Krippen, Kin<strong>der</strong>garten und Hortplätzen<br />
auf ein "notwendiges Maß“ zu reduzieren. Wie schon im Westen <strong>der</strong> 80er und 90er Jahre<br />
war <strong>der</strong> Maßstab für das Notwendige nicht <strong>der</strong> Bedarf <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n die Berufstätigkeit<br />
<strong>der</strong> Eltern. Und da in <strong>der</strong> Folge <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vereinigung viele BürgerInnen <strong>der</strong> neuen<br />
Bundeslän<strong>der</strong> ihre Jobs verloren, war auch <strong>der</strong> Bedarf an Kitaplätzen nicht mehr in dem<br />
Maße notwendig.<br />
Das Bundesministerium war darüber hinaus sehr daran interessiert, die in den neuen Bundeslän<strong>der</strong>n<br />
entstehenden Kin<strong>der</strong>tagesstätten in freier Trägerschaft zu motivieren, sich <strong>der</strong><br />
<strong>BAGE</strong> anzuschließen.<br />
Dieser Prozess ist nicht ganz einfach zu beschreiben. Die Elterninitiativen im Westen hatten<br />
ihren <strong>Ursprung</strong> und ihre Geschichte in <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>ladenbewegung auf Grund <strong>der</strong> Tatsache,<br />
dass es viel zu wenig Betreuungsplätze außerhalb <strong>der</strong> Familie gab.<br />
Die Elterninitiativen im Osten entstanden, weil viele kommunale Kitas abgebaut werden<br />
sollten, die Eltern aber "ihre" Einrichtung erhalten wollten und sie deshalb in eigener Trägerschaft<br />
(als Elternverein) weiterführen wollten. Die Kommunen waren natürlich daran<br />
interessiert, die Kita Plätze zu reduzieren, versprachen sich aber nicht nur eine Bereicherung<br />
<strong>der</strong> sozialen Landschaft, son<strong>der</strong>n auch entsprechend Zuschüsse vom Bund, wenn<br />
sie die Projekte als Familien- und Nachbarschaftszentren mit integrierter Kin<strong>der</strong>betreuung<br />
genehmigen würden.<br />
Die Eltern <strong>der</strong> in den neuen Bundeslän<strong>der</strong>n entstehenden Kin<strong>der</strong>läden und Elterninitiativen<br />
hatten wegen <strong>der</strong> unterschiedlichen Geschichten und Perspektiven Berührungsängste mit<br />
den Initiativen aus dem Westen. Die <strong>BAGE</strong> e.V. respektierte diese Vorsicht, bemühte sich<br />
um Kooperationen, vermied Vereinnahmung.<br />
Auf dieser Grundlage entstand ein relativ entspanntes Verhältnis zwischen den Eltern und<br />
ErzieherInnen aus Ost und West. Mit Ausnahme von Berlin, Leipzig und Dresden gab es<br />
jedoch in den neuen Bundeslän<strong>der</strong>n keine kommunalen Kontaktstellen, wie sie im Westen<br />
organisiert und aufgebaut worden waren. Den Kontaktstellen Leipzig und Dresden wurden<br />
zudem in den folgenden Jahren wegen knapper Haushaltsmittel die Zuschüsse für die<br />
Beratung und Vernetzung <strong>der</strong> Elterninitiativen gestrichen. Übrig blieb <strong>der</strong> Berliner „Dachverband<br />
<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- und Schülerläden“ (DAKS) als Fusion <strong>der</strong> West- und Ostberliner Kin<strong>der</strong>läden<br />
und Elterninitiativen.<br />
Ende 1989 kam ein Mitarbeiter des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und<br />
Gesundheit unter <strong>der</strong> Leitung von Ursula Lehr (CDU, 1988 – 1991) auf die Idee, dass die<br />
<strong>BAGE</strong> im Verbund mit an<strong>der</strong>en Familienselbsthilfeprojekten för<strong>der</strong>ungsfähig sein könnte.<br />
Damals waren das <strong>der</strong> Bundesverband <strong>der</strong> Mütterzentren, <strong>der</strong> Bundesverband <strong>der</strong> Familien-<br />
und Nachbarschaftszentren, die Arbeitsgemeinschaft Freier Stillgruppen und die<br />
Bundesarbeitsgemeinschaft <strong>der</strong> Selbsthilfegruppen <strong>der</strong> Stieffamilien.<br />
1 1/2 Jahre wurde gemeinsam diskutiert und verhandelt, verschiedene Variationen eines<br />
Antrages geschrieben, korrigiert, verworfen, neu geschrieben und letztlich beim Ministerium<br />
eingereicht. Für das Jahr 1991 wurde dann zum ersten Mal die Familienselbsthilfe<br />
vom Ministerium geför<strong>der</strong>t.<br />
Die <strong>BAGE</strong> arbeitete bis zum Jahr 2007 mit einer ehrenamtlichen Geschäftsstelle – unter<br />
4
2011 - 25 Jahre Bundesarbeitsgemeinschaft (<strong>BAGE</strong> e.V.)<br />
stützt durch eine kollektive Geschäftsführung, die sich aus MitarbeiterInnen verschiedener<br />
Kontaktstellen zusammensetzte.<br />
Seit 2007 wird die <strong>BAGE</strong> mit einer halben Stelle zur Koordination <strong>der</strong> kommunalen und<br />
regionalen Kontaktstellen vom Bund geför<strong>der</strong>t. Das Kontaktstellentreffen und die Mitglie<strong>der</strong>versammlung<br />
sind weiterhin die entscheidenden Organe, die die Inhalte und Strategie<br />
<strong>der</strong> <strong>BAGE</strong> definieren. Ausführendes Organ ist weiterhin die Kollektive Geschäftsführung.<br />
Der Autor dieser Zeilen hat die <strong>BAGE</strong> von 1980 bis bis zu seiner Rente Ende 2009 begleitet.<br />
Ich wünsche <strong>der</strong> <strong>BAGE</strong> aus tiefster Seele alles nur erdenklich Gute und Teure, damit sie<br />
auch weiterhin die Arbeit machen kann, die notwendig und sinnvoll ist:<br />
Die Beratung, Unterstützung und Begleitung von Eltern und Elterngruppen, die die<br />
Kin<strong>der</strong>betreuung selbst organisieren,<br />
Johannes Lachenmair<br />
(München, Oktober 2011)<br />
damit die Kin<strong>der</strong> das kriegen, was sie verdienen: das Beste.<br />
5