Metamorphose von der Raupe zum Schmetterling - DGHS
Metamorphose von der Raupe zum Schmetterling - DGHS
Metamorphose von der Raupe zum Schmetterling - DGHS
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INTERVIEW<br />
<strong>Metamorphose</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> <strong>Raupe</strong><br />
<strong>zum</strong> <strong>Schmetterling</strong><br />
Interview mit <strong>der</strong> Alterspräsidentin des Bayerischen Landtags, Barbara Rütting,<br />
anlässlich ihres 80. Geburtstages<br />
Sie ist als Politikerin mitunter unbequem – auch für die eigene Partei – und nicht<br />
mehr die Schauspielerin, als die sie weltweit in Filmen bekannt wurde. Sie spielt<br />
nicht mehr, sie lebt. Sie lebt ihr Leben in mannigfachen Facetten, verantwortungsvoll,<br />
selbstbewusst. Bereits zu Lebzeiten wohl durchschritt sie eine Art<br />
„<strong>Metamorphose</strong>“, eine Wandlung, die offen bleibt für die Individuation und Verän<strong>der</strong>ung.<br />
Dies hält sie geistig jung. Aus dem Fernsehen ist sie einem breiten Publikum<br />
inzwischen auch zu Fragen <strong>der</strong> Sterbe- und Freitodhilfe bekannt.<br />
<strong>DGHS</strong>-Mitglied, die sie ist, blieb sie nicht nur passives Mitglied, wollte sie nicht nur<br />
ihre eigenen Vorteile einer Mitgliedschaft sehen, son<strong>der</strong>n hineinwirken in die Öffentlichkeit<br />
und Gesicht zeigen. Dies geschieht lange schon mit Anzeigen, in denen<br />
sie sich zu ihrer Einstellung bekennt. Unlängst feierte sie ihren runden Geburtstag.<br />
Wer sie kennt, erlebt und gesprochen hat, möchte meinen, dass dies ein<br />
an<strong>der</strong>er „run<strong>der</strong>“ sei, bei weitem noch nicht <strong>der</strong> Achtzigste. „Ich bin alt und das<br />
ist gut so“ meint sie mit ihrem neuesten Buch (vgl. S. 23 unten). Und sie bekennt<br />
sich zu ihren „acht gelebten Jahrzehnten“. Eine bemerkenswerte Frau. Sie<br />
hatte und hat den Mut, zu sich selbst und ihren Ansichten zu stehen, frei, gar unbekümmert.<br />
Trotz <strong>der</strong> Sorgen, die sie als Mensch benennt, trotz <strong>der</strong> Kritik, die sie<br />
zu so manchen Entwicklungen unserer Gesellschaft äußert, hat sie ihre Zuversicht,<br />
ihren Blick auf das Glück und auch auf den Humor und das Lachen nicht vernachlässigt.<br />
Anlässlich ihres 80. Geburtstages entstand dieses Interview. „Meine<br />
Mutmacher aus acht gelebten Jahrzehnten“ lautet <strong>der</strong> Untertitel ihres Buches. Diese<br />
acht Jahrzehnte sind auch Mutmacher für an<strong>der</strong>e Menschen, für Menschen jeden<br />
Alters. Es sind vor allem Mutmacher für die ältere Generation und jene, die<br />
noch Zeit haben, sich darauf einzustellen.<br />
HLS: Frau Rütting, Sie haben eine herausragende<br />
Schauspielerkarriere hinter<br />
sich, aber das Schau-Spielen ist letztlich<br />
nicht Ihre Sache. In einem ARD-Gespräch<br />
bei Beckmann erklärten Sie dies<br />
jüngst. We<strong>der</strong> die Show noch das Spiel ist<br />
Ihr Anliegen. Ist es die Authentizität des<br />
Lebens – und, verzeihen Sie diese für<br />
eine <strong>DGHS</strong>-Zeitschrift naheliegende Frage<br />
– auch die Authentizität des Sterbens?<br />
Rütting: Ich sehe mich als kleines, aber<br />
wichtiges Glied <strong>der</strong> großen Weltengemeinschaft,<br />
zu <strong>der</strong>en Glück ich beitragen<br />
möchte. Dazu gehört, dass ich im Leben<br />
authentisch bin – ich hoffe, es auch im Sterben<br />
einmal zu sein.<br />
HLS: Sie haben sich für den Tierschutz, für<br />
gesunde Ernährung, für sinnvollen Humor<br />
und das Lachen, für Naturschutz und eine<br />
gesunde Lebensweise eingesetzt. Sie haben<br />
nicht nur in Büchern darüber geschrieben<br />
22<br />
Humanes Leben · Humanes Sterben 1/2008<br />
o<strong>der</strong> in Interviews darüber geredet, son<strong>der</strong>n<br />
es tatsächlich getan, authentisch,<br />
echt, glaubwürdig. Nun sind Sie für die Partei<br />
<strong>von</strong> Bündnis90/Die Grünen im Bayerischen<br />
Landtag. Lebt nicht die Politik oft<br />
mehr vom Schauspiel, vom vielen Reden<br />
und Versprechen und weniger vom Umsetzen<br />
<strong>der</strong> Anliegen <strong>der</strong> Bevölkerung? Wie<br />
kommen Sie da zurecht?<br />
Rütting: Wir sind lei<strong>der</strong> nur 15 Grüne <strong>von</strong><br />
180 Abgeordneten. Meine Anträge werden<br />
grundsätzlich <strong>von</strong> <strong>der</strong> Union abgelehnt, das<br />
hat mich zuerst enorm frustriert. Inzwischen<br />
erlebe ich immer häufiger, dass sie<br />
nach einiger Zeit als CSU-Antrag im Plenum<br />
vorgestellt und dann natürlich angenommen<br />
werden. Ich habe mich mit einer<br />
Art Maulwurf- Funktion abgefunden: Der<br />
Maulwurf buddelt und buddelt, niemand<br />
schätzt seine Arbeit – aber dann ist ein<br />
schöner weicher Erdhügel entstanden, in<br />
den man Samen legen kann, die eines Ta-<br />
ges Früchte tragen. Darüber freue ich<br />
mich.<br />
HLS: Mehrmals haben Sie sich in Interviews<br />
und Gesprächen über den Sinn des<br />
Lebens geäußert. Als engagiertes Mitglied<br />
<strong>der</strong> <strong>DGHS</strong> werden Sie sich auch gefragt<br />
haben: Gibt es für Sie einen Sinn des<br />
Sterbens, des Todes?<br />
Rütting: Der Tod gehört <strong>zum</strong> Leben. Vermutlich<br />
ist <strong>der</strong> Sterbeprozess eine Umkehrung<br />
des Geburtsprozesses. Ich war vorher<br />
da und werde auch nachher da sein, nur<br />
in einer an<strong>der</strong>en Form. Vielleicht ähnlich<br />
<strong>der</strong> <strong>Raupe</strong>, die wohl kaum ahnt, dass ihr die<br />
Verwandlung in einen schönen <strong>Schmetterling</strong><br />
bevorsteht.<br />
HLS: Sie sind bereit, Gesicht zu zeigen,<br />
auch für das heikle Thema <strong>der</strong> Sterbehilfethematik.<br />
So bekundeten Sie offen: „Die<br />
Möglichkeit, das Leben selbst zu beenden,<br />
ist doch die einzige Freiheit, die <strong>der</strong><br />
Mensch überhaupt hat. Für mich Trost und<br />
Hilfe, es mit Gelassenheit zu ertragen.“<br />
Nun stand am 13. November in <strong>der</strong> Süddeutschen<br />
Zeitung, <strong>der</strong> C-Politiker Bosbach<br />
werbe „für ein Verbot <strong>von</strong> Sterbehilfeorganisationen“.<br />
Geläufig ist das Klischee,<br />
solche Organisationen würden Geld<br />
mit dem Sterben verdienen, das sei anstößig,<br />
sittenwidrig, lebensfeindlich. Die den<br />
C-Parteien nahe stehenden Kirchen gehen<br />
da<strong>von</strong> aus, Gott habe das Leben gegeben,<br />
nur er dürfe es nehmen. Was meinen Sie<br />
dazu? Ist unsere Gesellschaft, ist die Politik<br />
unfähig, mit dem Thema des Todes und<br />
Sterbens adäquat umzugehen? Werden<br />
durch solche Verbote nicht eher Suizidversuche<br />
am Bahngleis o<strong>der</strong> <strong>von</strong> Geisterfahrern<br />
auf <strong>der</strong> Autobahn zunehmen?<br />
Rütting: Nach Sendungen <strong>zum</strong> Thema<br />
Sterben erhalte ich regelmäßig Anrufe und<br />
Briefe <strong>von</strong> verzweifelten Menschen, die<br />
zwangsweise – man muss es so nennen – am<br />
Leben gehalten werden. Sie flehen um eine<br />
humane Erlösung, sagen oft: „Ich will mich
Bild: Clemens Bilan/ddp<br />
doch nicht aufhängen o<strong>der</strong> vor einen Zug<br />
werfen müssen.“ Ich bleibe dabei: Die<br />
Möglichkeit, dass ich mein Leben selbst beenden<br />
kann, und zwar wirklich auf eine<br />
„würdige“ Art, ist für mich absolut tröstlich<br />
und lässt es mich leichter ertragen.<br />
HLS: Auf Län<strong>der</strong>ebene soll ein neuer § 217<br />
im Strafgesetzbuch eingeführt werden,<br />
dessen Vorlage – Stand 2006 – <strong>der</strong> Jurist Dr.<br />
Kautz in dieser Zeitschrift bereits als verfassungswidrig<br />
eingestuft hat. Die Partei<br />
<strong>von</strong> Bündnis 90/Die Grünen waren bislang<br />
stärker an gesetzlichen Regelungen des<br />
Dosenpfands interessiert; ein eigener, gar<br />
BUCHTIPP<br />
Wegen <strong>der</strong> Bildrechte<br />
erfolgt im Internet<br />
keine Abbildung.<br />
Barbara Rütting bei ihrer eigenen Art <strong>von</strong><br />
„Kehraus“ (Feier <strong>zum</strong> 80. Geburtstag im Bayerischen<br />
Landtag). Mit dem Besen, symbolisch gesprochen,<br />
kehrt sie so manche Schmuddelecke<br />
aus, die auch <strong>zum</strong> Bereich <strong>der</strong> Sterbehilfe<br />
politisiert wird. Rütting steht für Altenhilfe, gesunde<br />
Ernährung, Umweltschutz und Psychohygiene;<br />
und für die Freiheit <strong>zum</strong> Freitod.<br />
umfassen<strong>der</strong> Vorschlag zur gesetzlichen<br />
Regelung <strong>der</strong> Sterbehilfe liegt <strong>von</strong> keiner<br />
in den Län<strong>der</strong>n und im Bundestag vertretenen<br />
Parteien vor. Ist dies Ihrer Einschätzung<br />
nach gewollt? Liebt die Politik<br />
das Verdrängen existenzieller Fragen?<br />
Rütting: Ja, allerdings, Sterbehilfe ist in unserer<br />
westlichen Welt nach wie vor ein <strong>von</strong><br />
den meisten Menschen verdrängtes Tabuthema.<br />
Und da Politiker Menschen<br />
sind, verdrängen sie es ebenfalls, schon weil<br />
sie beliebt sein und wie<strong>der</strong> gewählt werden<br />
wollen.<br />
HLS: Parteienübergreifende Arbeit im<br />
Interesse <strong>der</strong> Bürger könnte die Parteienund<br />
Politikerverdrossenheit, die schon oft<br />
beklagt wurde, min<strong>der</strong>n. Welche Chancen<br />
sehen Sie, die Scheren zwischen dem Willensbildungsprozess<br />
in <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
und dem innerhalb <strong>der</strong> Parteiebenen – gerade<br />
bei so existenziellen Fragen wie <strong>der</strong><br />
Sterbehilfe – stärker zu schließen?<br />
Rütting: Genau das tue ich ja. Ich sehe mich<br />
als Vertreterin <strong>der</strong> Bevölkerung mit durchaus<br />
wertkonservativen Ansichten. Ich mache<br />
den Mund auf ohne zu taktieren, ob<br />
mir das bei den Wählern schadet o<strong>der</strong> nicht<br />
– und genau das wird erstaunlicherweise<br />
geschätzt. Grundsätzlich bin ich wohl etwas<br />
mutiger als die meisten Menschen.<br />
HLS: Die DEUTSCHE GESELL-<br />
SCHAFT FÜR HUMANES STERBEN<br />
setzt sich seit Jahren für bessere Palliativmedizin<br />
und Schmerztherapie ein. Gleichzeitig<br />
for<strong>der</strong>t die <strong>DGHS</strong> die Ultima Ratio<br />
Die knapp 290 Seiten des Buches machen in <strong>der</strong> Tat<br />
Mut; und sie enthalten viele Anregungen, es sich im<br />
Leben besser einzurichten. Vor allem in Gesundheits-<br />
und Ernährungsfragen kann Vorsorge und die<br />
konkrete Umsetzung kluger Ratschläge nicht<br />
hoch genug angesetzt sein. Da geht es um Abwehrkräfte<br />
des Körpers, um die Frage, ob wir gesün<strong>der</strong><br />
ohne Ärzte leben würden (S. 29), um Ayurveda,<br />
Bachblüten und Cholesterin, um Depressionen,<br />
Erschöpfung, Fasten, um die Gelenke, Heilerde<br />
und Jugendwahn, um Klimaschutz und Kneipp –<br />
um nur einige Stichworte zu nennen. „Lachen ist die<br />
beste Medizin“, schreibt sie (S. 130). Rütting hat dazu<br />
bereits separat veröffentlicht (wir berichteten).<br />
<strong>der</strong> geregelten Freiheit <strong>zum</strong> Suizid unter<br />
Sorgfaltskriterien. Für seltene Extremfälle<br />
erwartet die <strong>DGHS</strong> sogar die gesetzliche<br />
Regelung <strong>der</strong> aktiven direkten Sterbehilfe,<br />
nämlich dann, wenn <strong>der</strong> unheilbar<br />
Kranke, <strong>der</strong> den Tod wünscht, zu einer<br />
Selbsttötung körperlich nicht in <strong>der</strong> Lage<br />
ist. Verfassungsrechtler wie Professor Hufen<br />
sähen kein Hin<strong>der</strong>nis des Grundgesetzes,<br />
dies zu regeln. Immerhin wird die<br />
aktive indirekte Sterbehilfe längst schon in<br />
Deutschland praktiziert. Was wäre verwerflich,<br />
gar sittenwidrig am dann humanen,<br />
selbstbestimmten Sterben <strong>der</strong> betroffenen<br />
Patienten?<br />
Rütting: Gar nichts. Ich bin absolut dafür!<br />
HLS: Wenn Sie jungen Menschen einen<br />
Rat geben wollten, worauf sie in ihrem Leben<br />
achten sollten o<strong>der</strong> worin sie einen<br />
Sinn sehen sollten, welcher Ratschlag<br />
wäre dies?<br />
Rütting: Ich werde oft gefragt, welchen<br />
Sinn meiner Meinung nach das Leben hat.<br />
Da ich ja selbst Jahrzehnte lang danach gesucht<br />
habe, sage ich heute: Den Sinn muss<br />
ich meinem Leben selbst geben. Also: Im<br />
Hier und Jetzt leben, so prall wie möglich<br />
mit allen Freuden und Schmerzen, sich<br />
selbst und an<strong>der</strong>e erfreuen, Loslassen<br />
üben – auch in Bezug auf das Leben<br />
selbst.<br />
HLS: Wir danken sehr herzlich für dieses<br />
Interview!<br />
Das Interview führte HLS-<br />
Chefredakteur Dr. Kurt F. Schobert.<br />
Acht gelebte Jahrzehnte · Barbara Rüttings neuestes Buch<br />
Ein eigenes Stichwort ist dem Humanen Sterben bewidmet.<br />
Abgedruckt findet sich die gekürzte Ansprache<br />
und Laudatio <strong>von</strong> Barbara Rütting anlässlich<br />
<strong>der</strong> 25 Jahre <strong>DGHS</strong>-Verbandsgeschichte (S.<br />
193 - 200). Sie hielt eine bekennende Rede mit einem<br />
hier abgedruckten Gedicht zu ihrer Mutter, die<br />
nicht in Würde sterben durfte (vgl. S. 196). „Die zentrale<br />
Frage“ erläutert sie, „ist die Frage nach <strong>der</strong> Verfügungsgewalt<br />
des Menschen über sein eigenes Leben.“<br />
Rütting weist auf die Schere zwischen <strong>der</strong><br />
Meinungsbildung <strong>der</strong> Bevölkerung und den Taten<br />
<strong>der</strong> Politiker hin. „Die Diskussion wird in Deutschland<br />
häufig unehrlich geführt.“ Fürwahr.<br />
Kurt F. Schobert<br />
Humanes Leben · Humanes Sterben 1/2008 23