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Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz - Gesundheit Berlin eV

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Chantal Hugo<br />

<strong>Sexuelle</strong> <strong>Belästigung</strong> <strong>am</strong> <strong>Arbeitsplatz</strong> –<br />

Ein <strong>Gesundheit</strong>srisiko für Frauen<br />

<strong>Sexuelle</strong> Übergriffe haben viele Gesichter. Sie gehen von verbalen Anmachen, Be-<br />

rührungen bis hin zu Vergewaltigungen.<br />

Wie aus der Studie „zur Lebenssituation, Sicherheit und <strong>Gesundheit</strong> von Frauen in Deutsch-<br />

land“ (Müller und Schröttle 2004, BMfF) hervorgeht, erleben 13 % der befragten Frauen<br />

strafrechtlich relevante Gewalt nach dem 16 Lebensjahr. 58 % gaben in der Untersuchung<br />

sexuelle <strong>Belästigung</strong>en an. 12 % der Täter k<strong>am</strong>en aus dem Arbeits-/Ausbildungsbereich.<br />

Am Ausmaß sexualisierter Gewalt <strong>am</strong> <strong>Arbeitsplatz</strong> wird deutlich, dass es sich um ein gesell-<br />

schaftliches, d.h. strukturelles Problem handelt. Wie auch bei anderen Formen der sexuali-<br />

sierten Gewalt geht es nicht um einen „fehlgeleiteten Ausdruck von Sexualität“. Diese Ge-<br />

walt wird gezielt als Mittel zur Diskriminierung und Machtausübung eingesetzt.<br />

Die Folgen sind weitreichend, die Taten bleiben oft im Dunkeln: Hoher Leistungsdruck, Angst<br />

vor <strong>Arbeitsplatz</strong>verlust, Ausgrenzung etc. verschärfen die seelische Belastung durch einen<br />

solchen Übergriff. Für viele Frauen entsteht ein Teufelskreis, der sich negativ auf allgemeine<br />

Leistungsfähigkeit und <strong>Gesundheit</strong> auswirkt. Manche Frauen verlassen einen solchen Ar-<br />

beitsplatz „freiwillig“ und nehmen lieber Arbeitslosigkeit und die d<strong>am</strong>it verbundenen Ein-<br />

schränkungen in Kauf. Die gesetzlichen Möglichkeiten werden häufig nicht ausgeschöpft.<br />

Wir von Lara, dem Krisen und Beratungszentrum für vergewaltigte und sexuell belästigte<br />

Frauen, erfahren täglich von diesen psychischen, körperlichen, sozialen und ökonomischen<br />

Folgen und suchen mit den Betroffenen nach Bewältigungsmöglichkeiten. Unsere Aufgabe ist<br />

es auch dieses tabuisierte Thema an die Öffentlichkeit zu bringen. Wir wollen auffordern,<br />

sich d<strong>am</strong>it zu beschäftigen, wie sich sexualisierte Gewalt und ihre Folgen verhindern lassen,<br />

welche Netzwerke noch geschaffen werden müssen, um Bedingungen für eine gewaltfreie<br />

Arbeitswelt zu schaffen.<br />

<strong>Gesundheit</strong> <strong>Berlin</strong> (Hrsg.): Dokumentation 13. bundesweiter Kongress Armut und <strong>Gesundheit</strong>, <strong>Berlin</strong> 2007<br />

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Chantal Hugo: <strong>Sexuelle</strong> <strong>Belästigung</strong> <strong>am</strong> <strong>Arbeitsplatz</strong> – Ein <strong>Gesundheit</strong>srisiko für Frauen<br />

VORTRAG:<br />

• Gesetzlicher Rahmen (Auszug)<br />

1974 wurden erstmals im Strafrecht sexuelle Übergriffe von Vorgesetzten, Arbeitgebern und<br />

Auszubildenden in Paragraph § 174 StGB unter Strafe gestellt.<br />

Der Straftatbestand kann in sexueller Beleidigung, sexueller Nötigung oder Vergewaltigung<br />

bestehen (Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung Paragraph § 174-184 StGB)<br />

Die Beweislast liegt bei der/dem Anzeigenden, d.h. insbesondere Glaubwürdigkeit darlegen,<br />

evtl. Zeugen suchen, Gedächtnisprotokolle anlegen.<br />

Mögliche Beschwerdewege (n.: Beschäftigtenschutzgesetz):<br />

• Beschwerde an den Arbeitgeber muss Maßnahmen prüfen (z.B. Abmahnung, Umsetzung,<br />

Kündigung)<br />

• Beschwerde an den Betriebsrat und Personalrat<br />

• Zurückbehaltungsrecht der Arbeitsleistung ohne Verlust der Vergütungsansprüche gem.<br />

§273 BGB, wenn es zum Schutz (Wiederholungsgefahr)erforderlich ist, kann der/die An-<br />

klagende die Arbeit einstellen<br />

• Kündigung, ohne Sperre beim Arbeits<strong>am</strong>t wegen Eigenkündigung<br />

• Klage auf Schmerzensgeld<br />

<strong>Berlin</strong>er LGG erstmals in dt. Gesetz sexuelle <strong>Belästigung</strong> definiert (§ 12 LGG: Landesanti-<br />

diskriminierungsgeetz -LADG- 31.12.1990; Gesetz u. Verordnungsblatt für <strong>Berlin</strong>, 47. Jahr-<br />

gang-Nr.3 vom 12.1.1991, geändert 13.4.1993 in Landesgleichstellungsgesetz -LGG-)<br />

1. „Dienstkräfte mit Leitungsaufgaben haben Dienstpflicht, sexuellen <strong>Belästigung</strong>en ent-<br />

gegenzuwirken; bekannt gewordenen Fällen nachzugehen“<br />

2. sexuelle <strong>Belästigung</strong>en, insbesondere unnötiger Körperkontakt, von betroffenen un-<br />

erwünschte Bemerkungen sexuellen Inhalts, unerwünschte Bemerkungen, Kommentare oder<br />

Witze über äußere von Beschäftigten, Zeigen pornographischer Darstellungen <strong>am</strong> Arbeits-<br />

platz, sowie Aufforderung zu sexuellen Handlungen<br />

3. sex. <strong>Belästigung</strong>en sind Dienstpflichtsverletzungen und Dienstvergehen (i. S. der Lan-<br />

desdiziplinarordnung)<br />

4. Beschwerde einer Betroffenen darf nicht zu Benachteiligungen führen<br />

• Was ist sexuelle <strong>Belästigung</strong> <strong>am</strong> <strong>Arbeitsplatz</strong>?<br />

JedeR hat eine andere Toleranzgrenze.<br />

Zu sexuellen <strong>Belästigung</strong>en zählen z.B. Berührungen <strong>am</strong> Po, Busen, Aufdrängen von Küssen,<br />

schmutzige Witze, anzügliche Bemerkungen über Aussehen, Nacktfotos als Deko… Verspre-<br />

chen von beruflichen Verbesserungen bei sexuellen Kontakten…<br />

<strong>Gesundheit</strong> <strong>Berlin</strong> (Hrsg.): Dokumentation 13. bundesweiter Kongress Armut und <strong>Gesundheit</strong>, <strong>Berlin</strong> 2007<br />

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Chantal Hugo: <strong>Sexuelle</strong> <strong>Belästigung</strong> <strong>am</strong> <strong>Arbeitsplatz</strong> – Ein <strong>Gesundheit</strong>srisiko für Frauen<br />

Versuch der Definition von der EU-Kommission.:<br />

<strong>Sexuelle</strong> <strong>Belästigung</strong> <strong>am</strong> <strong>Arbeitsplatz</strong> ist unerwünschtes Verhalten mit sexuellem Hintergrund<br />

durch eine Person, oder anderes sexuelles Verhalten, welches die Würde von Frauen und<br />

Männern <strong>am</strong> <strong>Arbeitsplatz</strong> beeinträchtigt<br />

• Täterzahlen<br />

Die Repräsentative Studie von 2004 vom Bundesministerium für F<strong>am</strong>ilie, Senioren, Frauen<br />

und Jugend zur „Lebenssituation, Sicherheit und <strong>Gesundheit</strong> von Frauen in Deutschland“<br />

besagt:<br />

13 %, also fast jede 7. Frau erlebt strafrechtlich relevante sexuelle Gewalt nach dem 16.<br />

Lebensjahr<br />

58 % geben sexuelle <strong>Belästigung</strong>en an<br />

Die Mehrzahl der Täter kommt nach der oben genannten Studie aus dem Nahbereich:<br />

Partner/Ex-, Geliebter 49 %<br />

F<strong>am</strong>ilie 10 %<br />

Freunde, Bekannte, Nachbarn 20 %<br />

Beruf, Ausbildung 12 %<br />

Betreuungsperson, Helfer 4 %<br />

Flüchtig Bekannte 22 %<br />

Unbekannte 15 %<br />

• Die Täter rechnen nicht mit Gegenwehr!<br />

Nur selten kommt es zu Konsequenzen für Belästiger, da häufig keine direkten Beweise oder<br />

Zeugen vorhanden sind. Dies erschwert die Strafverfolgung.<br />

Disziplinarverfahren, Abmahnungen, arbeitsrechtliche Schritte werden jedoch auch bei vor-<br />

handenen Beweisen selten eingeleitet.<br />

Stattdessen wird die belästigte Person auf die weitreichenden Folgen für den Belästiger hin-<br />

gewiesen, was den Druck auf Betroffene erhöht.<br />

Tendenziell wird, wenn etwas im Fall einer <strong>Belästigung</strong> unternommen wird, auf Umsetzung<br />

gedrängt, oft auch auf die der Betroffenen.<br />

<strong>Gesundheit</strong> <strong>Berlin</strong> (Hrsg.): Dokumentation 13. bundesweiter Kongress Armut und <strong>Gesundheit</strong>, <strong>Berlin</strong> 2007<br />

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• Mythen<br />

Hinzu kommt, dass vom Umfeld die vorgetragenen Beschwerden häufig als übertrieben an-<br />

gesehen werden. Dahinter stehen in der Gesellschaft wirks<strong>am</strong>e Mythen über sexualisierte<br />

Gewalt:<br />

1. Eine betroffene Frau hätte den Übergriff provoziert.<br />

2. Eine Frau wünsche sich Annmachen insgeheim.<br />

3. Eine Frau müsse sich nur wehren, dann würde ihr das nicht passieren.<br />

4. Anmachen, Übergriffe, Vergewaltigungen passierten nur von Fremden.<br />

D<strong>am</strong>it wird letztendlich die Frau für die Tat und für die Folgen verantwortlich gemacht. Zum<br />

Beispiel auch für das verschlechterte Arbeitsklima.<br />

• Betroffene<br />

Die Betroffenen sprechen oft nicht über das Erlebte. Hier greifen die o.g. Mythen und führen<br />

zu den Gefühlen von Mitschuld und Sch<strong>am</strong>.<br />

Hinzu kommt die Angst vor den sozialen und ökonomischen Folgen. Nicht selten fürchten<br />

sich die Opfer vor weiteren Übergriffen und Bedrohungen durch die Täter.<br />

Die Sorge, dass ihr nicht geglaubt wird und Schwierigkeiten, das Geschehene zu verbalisie-<br />

ren tun ihr Übriges.<br />

• Risikofaktoren<br />

Bedingungen, die sexuelle <strong>Belästigung</strong>en/Übergriffe begünstigen:<br />

Meistens stehen die Betroffenen in der hierarchischen Struktur unter den Tätern. Steht die<br />

Betroffene z.B. in Ausbildung und d<strong>am</strong>it in besonderer Abhängigkeit, kann sie gezielt über<br />

sexualisierte Gewalt diskriminiert werden. In der Ausbildung stehende wehren sich seltener,<br />

sind verunsicherter, abhängiger. Bei fehlender Information wissen sie nicht an wen sie sich<br />

wenden können. Haben Angst, sich zu bl<strong>am</strong>ieren oder als „prüde“ zu gelten. Oft fühlen sich<br />

die Betroffenen paradoxerweise als „Störenfriede“.<br />

Generell sind Menschen, die neu im Betrieb sind oder Angst vor <strong>Arbeitsplatz</strong>verlust haben<br />

gefährdeter. Auch Frauen, die keinen oder keinen gesicherten Aufenthaltsstatus haben, hier<br />

„illegal“ arbeiten und so nicht geschützt sind potenziell stärker gefährdet.<br />

• Institutioneller Rahmen<br />

Eine Schlüsselrolle in der Vermeidung sexualisierter Gewalt kommt dem Betrieb zu.<br />

Es muss die Frage gestellt werden, welchen Umgang es in der Institution mit Sexualisierter<br />

Gewalt gibt?<br />

Vermeidung von sex. Gewalt muss im Interesse jedes Betriebes liegen. Neben der sozialen,<br />

gesellschaftlichen und menschlichen Verantwortung, geht es nicht zuletzt um die Reduzie-<br />

rung von Kosten aufgrund von Arbeitsausfall.<br />

<strong>Gesundheit</strong> <strong>Berlin</strong> (Hrsg.): Dokumentation 13. bundesweiter Kongress Armut und <strong>Gesundheit</strong>, <strong>Berlin</strong> 2007<br />

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Chantal Hugo: <strong>Sexuelle</strong> <strong>Belästigung</strong> <strong>am</strong> <strong>Arbeitsplatz</strong> – Ein <strong>Gesundheit</strong>srisiko für Frauen<br />

Es ist wichtig, eine offene, vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen, dass die sex. Gewalt<br />

überhaupt „angezeigt“ wird.<br />

Ein klar positionierter Betrieb mit einer von Fairness, „Hinschauen“ und Offenheit geprägter<br />

Unternehmenskultur kann gleichzeitig auch helfen, sexuelle <strong>Belästigung</strong>en zu verhindern.<br />

Dies kann z.B. in Form von Dienstanweisungen, Hausordnungen, Dienstvereinbarungen er-<br />

folgen. Wichtig ist aber auch, dass das Kollegium, also die Basis diese Vereinbarungen trägt.<br />

Daher sollte es grundsätzlich Informationsveranstaltungen zum Thema geben.<br />

Inhalte könnten sein:<br />

• Klarstellen, das sex. <strong>Belästigung</strong> Rechtsverstöße darstellen<br />

• Handlungshilfen geben: soziale Handlungskompetenz üben, um sicher mit Problemsit. vor-<br />

her, während und nachher umzugehen.<br />

• Sensibilisierung für sexualisierte Gewalt<br />

• Adressen von Unterstützungs- und Beratungsstellen nennen<br />

Die Intimität der Situation für Betroffene, aber auch MitarbeiterInnen, die sich mit diesem<br />

Thema beschäftigen, ist zu berücksichtigen.<br />

DAS WISSEN WIR VON DEN BETROFFENEN FRAUEN/LARA<br />

Welche Hilfe wünscht sich die Betroffene/R beispielsweise?<br />

• psychologische Unterstützung<br />

• betriebliche Konsequenzen, Schutz, Entlastung und Hilfe<br />

• Verhindern von negativen Folgen <strong>am</strong> <strong>Arbeitsplatz</strong>/Solidarität der Vorgesetzten und des<br />

Kollegiums<br />

• rechtliche Infos<br />

<strong>Gesundheit</strong> <strong>Berlin</strong> (Hrsg.): Dokumentation 13. bundesweiter Kongress Armut und <strong>Gesundheit</strong>, <strong>Berlin</strong> 2007<br />

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Chantal Hugo: <strong>Sexuelle</strong> <strong>Belästigung</strong> <strong>am</strong> <strong>Arbeitsplatz</strong> – Ein <strong>Gesundheit</strong>srisiko für Frauen<br />

Hugo, Chantal<br />

Teilhabe und Empowerment durch Selbsthilfe/Betroffenenansatz, SA 11.00<br />

geboren 1968<br />

Dipl. psych.; approbierte Verhaltenstherapeutin<br />

Diplompsychologin an der Krisen- und Beratungsstelle für vergewaltigte und sexuell belästig-<br />

te Frauen LARA; Tätigkeitsfelder: psychologische Beratung, Krisenintervention und Kurzzeit-<br />

therapie, Fortbildung, Projektorganisation<br />

Kontakt:<br />

LARA, Krisen- und Beratungszentrum für vergewaltigte und sexuell belästigte Frauen,<br />

Fuggerstr. 19, 10777 <strong>Berlin</strong><br />

beratung@lara.de<br />

www.lara-berlin.de<br />

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<strong>Gesundheit</strong> <strong>Berlin</strong> (Hrsg.): Dokumentation 13. bundesweiter Kongress Armut und <strong>Gesundheit</strong>, <strong>Berlin</strong> 2007<br />

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