Klassenobergrenzen herabsetzen - GEW Niedersachsen
Klassenobergrenzen herabsetzen - GEW Niedersachsen
Klassenobergrenzen herabsetzen - GEW Niedersachsen
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Die Klassenfrequenzen in den Niedersächsischen<br />
Schulen sind auf einem anhaltend<br />
hohen Sftand. Die im Oktober<br />
veröffentliche Schulstatistik des Kultusministerium<br />
zeigt: An Gymnasien und Gesamtschulen<br />
war das Jahr 2008 das schlechteste Jahr<br />
seit Jahrzehnten.<br />
28,4 Prozent der Gymnasialklassen haben<br />
über 30 Schülerinnen und Schüler, 83,2 Prozent<br />
über 25. In den 90er-Jahren waren Klassen<br />
über 30 eine seltene Ausnahme (unter<br />
3 Prozent) und weniger als die Hälfte der<br />
Klassen hatte mehr als 25. Der seit 2003 und<br />
insbesondere seit 2004 zu verzeichnende Anstieg<br />
an großen und sehr großen Klassen an<br />
Gesamtschulen und Gymnasien ist immer<br />
noch nicht gestoppt. Auch an den Realschulen<br />
gibt es keine Besserung: Die Werte blieben<br />
nahezu auf dem Höchststand der letzten<br />
Jahre. An den Grundschulen sind zwar keine<br />
Verschlechterungen mehr zu verzeichnen,<br />
doch haben immer noch 64,4 Prozent der<br />
Klassen 20 und mehr Schülerinnen und<br />
Schüler. Nur an den Hauptschulen bildet sich<br />
der Trend sinkender Schülerzahlen auch in<br />
abnehmenden Klassenfrequenzen ab. Damit<br />
sich jede/r ein Bild von dieser schlechten<br />
Entwicklung machen kann, haben wir die<br />
statistischen Daten seit 1992 für die Schulformen<br />
zusammengestellt. (Tabelle Gymnasien<br />
siehe Seite 2 – übrige Schulformen<br />
www.gew-nds.de).<br />
Raubbau an Arbeitskraft<br />
und Gesundheit<br />
Die Daten der offiziellen Schulstatistik belegen,<br />
was wir tagtäglich spüren. Die chronische<br />
personelle Unterbesetzung der Schulen verursacht<br />
Raubbau an der Arbeitskraft und Gesundheit<br />
der Lehrerinnen und Lehrer und des<br />
nicht lehrenden Schulpersonals.<br />
Zu große Klassen steigern die Arbeitsbelastung<br />
erheblich: Unterrichten wird schwieriger.<br />
Für den einzelnen Schüler, die einzelne Schülerin<br />
steht weniger Zeit zur Verfügung. Die Anzahl<br />
der Korrekturen und Prüfungen steigt. Dabei<br />
wachsen die Erwartungen der Eltern an die<br />
Leistungen der Schulen – insbesondere an<br />
den Grundschulen. Effektive und qualitativ<br />
hochwertige Bildungsbedingungen sind unter<br />
diesen Bedingungen nicht oder nur durch<br />
Überlastung und übermäßigen Verschleiß zu<br />
realisieren. Die Lehrkräfte erwarten, dass diese<br />
Überlastung nun endlich beseitigt wird.<br />
Die <strong>GEW</strong> setzt sich deshalb massiv für die<br />
Reduzierung der <strong>Klassenobergrenzen</strong> ein. Die<br />
Landesdelegiertenkonferenz hat folgende Zielwerte<br />
als Forderung bekräftigt:<br />
– Grundschule 20<br />
– Sekundarstufe I in allen Schulformen 25<br />
– Sekundarstufe II Kurse 18<br />
Bei integrativem/inklusivem Unterricht müssen<br />
die Gruppengrößen zusätzlich reduziert<br />
werden und müssen zusätzliche Lehrerstunden<br />
zugewiesen werden, wie es dem derzeit<br />
gültigen Erlass entspricht.<br />
Ein Stufenplan muss jetzt starten<br />
Wann und wie soll die Reduzierung der<br />
<strong>Klassenobergrenzen</strong> beginnen? Niemand<br />
kann erwarten, dass die Zielwerte in einem<br />
Schritt zu erreichen sind. Ein Stufenplan von<br />
der 1. Klasse bis zum Abitur muss aber im<br />
kommenden Schuljahr beginnen. Ein erster<br />
deutlicher Schritt könnte in den Grundschulen<br />
vorgenommen werden. In dieser Schulform<br />
sinken die Schülerzahlen erkennbar und es<br />
sind genügend Lehrkräfte auf dem Arbeitsmarkt,<br />
um das nötige Personal für diesen<br />
Schritt zu gewinnen. Für alle Schulen muss<br />
Jahr für Jahr ein Schritt in Richtung der Zielwerte<br />
geplant, verbindlich festgelegt und realisiert<br />
werden.<br />
www.gew-nds.de<br />
HERAUSGEBER: <strong>GEW</strong>ERKSCHAFT ERZIEHUNG UND WISSENSCHAFT K 1527 E, NR. 11 16. NOVEMBER 2009<br />
Entlastung jetzt einleiten<br />
<strong>Klassenobergrenzen</strong> <strong>herabsetzen</strong><br />
Bessere Personalversorgung in Kitas, Schulen und Hochschulen<br />
Größer sollte eine Klasse im Sekundarbereich I nicht sein. Tatsächlich aber haben gut 80<br />
Prozent mehr als 25 Schülerinnen und Schüler.<br />
Wie verhält sich die Niedersächsische Landesregierung<br />
gegenüber diesen Vorstellungen?<br />
Die Kultusministerin hat im Frühjahr 2009 erklärt,<br />
sie plane, die <strong>Klassenobergrenzen</strong> herabzusetzen.<br />
Gespräche mit der <strong>GEW</strong>, den<br />
Lehrerverbänden des Beamtenbundes sowie<br />
dem Landeselternrat und dem Landesschülerrat<br />
zu diesem Thema sind inzwischen terminiert.<br />
Die Ministerin ist der Auffassung, ab<br />
2011 solle mit der Reduzierung der <strong>Klassenobergrenzen</strong><br />
begonnen werden. Ab 2011 werde<br />
nämlich – so die Ministerin – die Unterrichtsversorgung<br />
entspannter, weil dann durch den<br />
doppelten Abiturjahrgang an den Gymnasien<br />
der Personalbedarf verringert würde und weil<br />
sich an den anderen Schulformen der Rückgang<br />
der Schülerzahlen erkennbar auswirke.<br />
Zu Zielwerten für die einzelnen Schulformen ist<br />
aus dem MK bisher nichts bekannt geworden.<br />
Die <strong>GEW</strong> begrüßt, dass die Landesregierung<br />
sich dieser wichtigen Aufgabe stellt und<br />
nimmt die Gesprächsangebote selbstverständlich<br />
an. Im Nachbarland Nordrhein-Westfalen<br />
sind Gespräche über einen Stufenplan<br />
auf einem guten Weg. Es kann also funktionieren,<br />
gemeinsam Lösungen zu finden, wenn<br />
man will – auch zwischen einer CDU-FDP-Landesregierung<br />
und der <strong>GEW</strong>.<br />
Foto: Rainer Unkel / imago<br />
NIEDERSACHSEN 11/2009
2<br />
Eine Einigung auf den Einstieg in den Stufenplan<br />
ist vordringlich. Das Argument der Ministerin,<br />
wegen des doppelten Abiturjahrgangs an<br />
den Gymnasien wäre 2011 das richtige Jahr,<br />
um mit der Reduzierung der <strong>Klassenobergrenzen</strong><br />
anzufangen, sticht nur bedingt. Immerhin<br />
wird an den Gymnasien ab 2011 das Lehrerarbeitszeitkonto<br />
zurückgegeben – jetzt wird es<br />
noch weiter aufgebaut. Dies wirkt der Entlastung<br />
entgegen. Zu große Erwartungen sind<br />
deshalb an die Entlastungseffekte nicht zu richten.<br />
Und vor allem ist der doppelte Abiturjahrgang<br />
kein Argument für die Verweigerung des<br />
Einstiegs in einen Stufenplan an den Grundschulen.<br />
Ohne eine Verbesserung des Personalschlüssels,<br />
ohne den Erhalt aller Stellen und<br />
die Einrichtung zusätzlicher Stellen, wird es keine<br />
Lösung geben können.<br />
Regierung muss<br />
Verlässlichkeit beweisen<br />
Der Regierung muss klar sein: Die Lehrerinnen<br />
und Lehrer, die sozialpädagogischen Fachkräfte,<br />
das nicht lehrenden Schulpersonal und<br />
die Schulleiterinnen und Schulleiter bringen<br />
dieser Regierung nicht gerade großes Vertrauen<br />
entgegen. Wenn die Regierung Vertrauen erwerben<br />
will, handelt sie klug, wenn sie im<br />
Schuljahr 2010 mit einem Stufenplan beginnt<br />
und wenn sie diesen dann Jahr für Jahr auch<br />
einhält – ohne jede Vorbehalte.<br />
Die Landesregierung muss bedenken, dass<br />
ihr die Beschäftigen im niedersächsischen Bildungswesen<br />
unter den Auspizien der Steuerpolitik<br />
der schwarz-gelben Bundesregierung weniger<br />
denn ja trauen. Schließlich planen Merkel<br />
und Westerwelle Steuersenkungen just zu dem<br />
Zeitpunkt, in dem die Steuereinnahmen insbe-<br />
VON EBERHARD BRANDT<br />
Höchste Regierungskunst<br />
ist es, vernünftigeEntscheidungen<br />
zu treffen, die sich<br />
des Beifalls breiter Kreise<br />
der Gesellschaft erfreuen,<br />
die den Erwartungen<br />
der eigenen Basis<br />
entsprechen, die politischen<br />
Gegner verblüffen und die vor allem<br />
Lösungen für Aufgaben bedeuten, die in der<br />
Zukunft bestehen. Es wird einer Regierung keineswegs<br />
als Schwäche, sondern als Stärke<br />
ausgelegt, wenn sie sich bei solchen Entscheidungen<br />
von überkommenen Vorstellungen<br />
trennt.<br />
Die an Gesamtschule interessierten Eltern<br />
und Schülerinnen und Schüler, der Landeselternrat,<br />
die Vertretungen der Schulträger und<br />
die <strong>GEW</strong> erwarten von der schwarz-gelben Koalition<br />
in Hannover endlich Bewegung: Die Zulassung<br />
von Gesamtschulen „ohne Wenn und<br />
Aber“. Das bedeutet: Einrichtung von Gesamtschulen,<br />
so wie sie die Eltern vor Ort wünschen,<br />
so wie sie die Bürgermeister und oftmals auch<br />
Landräte unabhängig von ihrer parteipoliti-<br />
11/2009 NIEDERSACHSEN<br />
Gesamtschulen „ohne Wenn und Aber“<br />
Bewegung statt Sturheit<br />
schen Ausrichtung befürworten. Und zwar nicht<br />
aus ideologischen Gesichtspunkten, sondern<br />
einfach, weil es vernünftig ist, angesichts des<br />
demografischen Wandels eine Schule vor Ort<br />
zu haben, die alle Bildungsgänge – auch den<br />
gymnasialen – integriert und zum Abitur führt.<br />
Eine Schule im Heimatort oder nahe bei, die<br />
möglichst viele Kinder ohne weite Wege besuchen<br />
können. Oder eine Schule, die in großen<br />
Städten den Eltern und ihren Kindern eine Alternative<br />
zum gegliederten Schulsystem bietet –<br />
vor allem einen anderen Weg zum Abitur als am<br />
Turbo-Gymnasium.<br />
Der Zeitpunkt für neue Entscheidungen ist<br />
günstig. Die Verordnung zur Schulentwicklung<br />
muss bis Ende des Jahres neu gefasst werden.<br />
Ein guter Anlass zurückzukehren zu den „alten“<br />
Zulassungsbedingungen für Gesamtschulen:<br />
Vierzügig, im Ausnahmefall dreizügig.<br />
Außerdem muss die Verpflichtung zum Turbo-Abi<br />
an Gesamtschulen zurückgenommen<br />
werden. Bei Vorlage der entsprechenden Verordnungen<br />
wird sich zeigen, dass eine integrierte<br />
Sekundarstufe I mit dem derzeit gültigen Gesetzes<br />
nicht zusammenpasst.<br />
Was Ministerpräsident Roland Koch in Hessen<br />
kann, muss auch in <strong>Niedersachsen</strong> möglich<br />
sein: Gesamtschulen zulassen – auch vier- und<br />
LANDESPOLITIK<br />
Weitere Tabellen zur Entwicklung der Klassenfrequenzen sind auf der <strong>GEW</strong>-Homepage www.gew-nds.de<br />
zu finden. Quelle: Jährliche Schulstatistik des MK „Die niedersächsischen allgemein bildenden Schulen in Zahlen“.<br />
sondere der Länder und Kommunen exorbitant<br />
fallen und in dem die so genannte „Schuldenbremse“<br />
ihre Schatten voraus wirft. Die Ausgaben<br />
für Bildung sind systemrelevant. Sie dürfen<br />
in der Krise nicht abgebaut, sondern sie müssen<br />
erweitert werden. Es ist Sache der Landesregierung,<br />
Verlässlichkeit gegenüber den Beschäftigten<br />
in Schulen, Kitas und Hochschulen<br />
gerade in Krisenzeiten zu beweisen. Darum<br />
muss der Start eines Stufenplans im kommenden<br />
Schuljahr beginnen. Jeder Verzögerung<br />
wird der Geruch anhängen, dass die Entlastung<br />
auf den St. Nimmerleinstag verschoben wird.<br />
Der Niedersächsische Schulleitungsverband<br />
hat aus eben diesem Grund darauf bestanden,<br />
dass die Entlastung der Schulleiterinnen und<br />
Schulleiter sofort und nicht erst 2011 beginnt.<br />
Verbesserung der Personalausstattung<br />
der Schulen<br />
Die Schulen benötigen dringend mehr Lehrkräfte,<br />
um die Vertretungs- und Förderkonzepte<br />
realisieren zu können, die nicht zu einer zusätzlichen<br />
Belastung des vorhandenen Personals<br />
führen. Die Reduzierung der Zuweisung von<br />
Lehrerstunden, die unter Kultusminister Buse-<br />
mann vorgenommen wurde, muss zurückgenommen<br />
werden. Außerdem muss der Ganztagsbetrieb<br />
mit dem erforderlichen Personal<br />
ausgestattet werden, damit ein vernünftiger gebundener<br />
Ganztag an allen Ganztagsschulen<br />
realisiert werden kann. Dies erwarten heutzutage<br />
die Eltern. Dies fordern die Schulträger, so<br />
der Präsident des Niedersächsischen Städtetages,<br />
der Lüneburger Oberbürgermeister Mädge<br />
bei der Städteversammlung im Oktober.<br />
Dazu braucht es den Erhalt aller Stellen sowie<br />
die Einrichtung zusätzlicher Stellen. Ohne<br />
eine deutliche Entlastung der Lehrkräfte wird es<br />
überdies nicht gelingen, den erforderlichen<br />
pädagogischen Nachwuchs für die Schulen zu<br />
gewinnen.<br />
Die Forderungen der <strong>GEW</strong> nach kleineren<br />
Lerngruppen und einer besseren Betreuungsquote<br />
gelten selbstverständlich nicht nur für die<br />
allgemein bildenden Schulen, sondern auch für<br />
die berufsbildenden, die Kindertagesstätten<br />
und die Hochschulen. An allen Bildungseinrichtungen<br />
leiden Pädagoginnen und Pädagogen<br />
und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler<br />
unter einer chronischen Überlastung.<br />
EBERHARD BRANDT<br />
dreizügige, so wie es dem örtlichen Bedarf entspricht.<br />
Kein Turboabitur an der IGS, kein<br />
Zwang dazu an der KGS!<br />
Ich sage klar und deutlich: Die <strong>GEW</strong> fordert<br />
nicht, durch Gesetzesänderung, Haupt- und<br />
Realschulen oder Gymnasien abzuschaffen.<br />
Schon gar nicht die Einrichtung eines Zwei-<br />
Säulen-Modells nach dem Muster anderer Bundesländer,<br />
wie es auch in <strong>Niedersachsen</strong> immer<br />
mal wieder in der bildungspolitischen Debatte<br />
auftaucht. Es ist unverkennbar, dass die gesellschaftlichen<br />
Mehrheiten für pragmatische Lösungen<br />
durch die Betroffenen stehen, nicht für<br />
generelle Lösungen über ihre Köpfe hinweg.<br />
Erinnert sich Ministerpräsident Wulff eigentlich<br />
noch daran, welchen enormen Beifall er in<br />
den Medien für seine Wahlkampfankündigung<br />
bekam, er wolle das Gesamtschulgründungsverbot<br />
aufheben? Das wurde als staatsmännisches<br />
Handeln eines Landesvaters bezeichnet.<br />
Was hindert ihn, diese Linie wieder aufzunehmen?<br />
Die <strong>GEW</strong> ist bereit, sich für zukunftsfähige<br />
Lösungen einzusetzen und zu kooperieren –<br />
auf Landesebene und vor Ort.<br />
Es muss wieder Bewegung in die Entwicklung<br />
kommen. Die Bewegung von unten, aus<br />
den Schulen, aus den Gemeinden muss wieder<br />
sichtbar werden.
KOALITIONSVERTRAG 3<br />
VON DIERK HIRSCHEL<br />
Die Tinte unter dem Koalitionsvertrag ist<br />
trocken. Die Ämter sind vergeben. Jetzt<br />
kann die Tigerente richtig loslegen. Mut<br />
zur Zukunft lautet das schwarz-gelbe Motto.<br />
Das Positive vorweg: Geschichte wiederholt<br />
sich diesmal nicht. Schäuble spielt nicht den<br />
Brüning. Der neue Finanzminister will nicht in<br />
der Krise sparen. Noch nicht. Die Jünger Ludwig<br />
Erhards haben offensichtlich dazugelernt.<br />
Das ist gut so.<br />
Schlecht ist, dass Merkel und Westerwelle<br />
die öffentlichen Kassen plündern. Das hat<br />
große Tradition. Bereits Ronald Reagan behauptete<br />
Steuerpolitik sei Wachstumspolitik.<br />
Das größte steuerpolitische Großexperiment<br />
der Moderne hinterließ aber nur verbrannte<br />
Erde. Der US-Schuldenberg verdreifachte<br />
sich in acht Jahren auf gigantische 2,6 Billionen<br />
US $. Auch hierzulande mussten wir bittere<br />
Erfahrungen machen. Hans Eichel schuf<br />
mit milliardenschweren Steuersenkungen riesige<br />
Haushaltslöcher. Das Geld fehlt uns heute<br />
noch. Die Gleichung - weniger Steuern -<br />
mehr Wachstum - weniger Schulden – ist<br />
noch nie aufgegangen. Nun will uns die<br />
schwarz-gelbe Steuerpolitik um jährlich rund<br />
30 Milliarden Euro entlasten. Ein Prozent<br />
Wachstum spült aber nur 5,5 Milliarden Euro<br />
in die Staatskassen zurück. Nach Adam Riese<br />
benötigen wir chinesische Wachstumsraten<br />
um die Lücke zu schließen. Willkommen im<br />
Märchenland.<br />
Doch damit nicht genug. Unrealistische<br />
Wachstumserwartungen sind nicht das einzi-<br />
NIEDERSACHSEN<br />
Herausgeber:<br />
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft<br />
<strong>Niedersachsen</strong>, Berliner Allee 16,<br />
30175 Hannover, Telefon 0511 33804-0,<br />
Fax 0511 33804-46, eMail@<strong>GEW</strong>-Nds.de<br />
Vorsitzender: Eberhard Brandt, Hannover<br />
Verantwortl. Redakteur: Joachim Tiemer<br />
Redaktion: Sabine Kiel, Andreas Klepp,<br />
Richard Lauenstein, Hans Lehnert,<br />
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E-Mail: J.Tiemer@<strong>GEW</strong>-Nds.de<br />
Erziehung und Wissenschaft <strong>Niedersachsen</strong> (EuW)<br />
erscheint 10x jährlich (Doppelausgabe im Juni und<br />
September). Für Mitglieder ist der Bezugspreis im<br />
Mitgliedsbeitrag enthalten. Für Nichtmitglieder beträgt<br />
der Bezugspreis jährlich 7,20 € zzgl. 11,30 €<br />
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eingehende Manuskripte können nur ausnahmsweise<br />
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ISSN<br />
0170-0723<br />
Zum schwarz-gelben Koalitionsvertrag<br />
Keine Lehren aus<br />
der Krise gezogen<br />
Der Koalitionsvertrag stößt auf breite Kritik: Die zentralen Probleme des Landes bleiben ungelöst.<br />
Ein noch ärmerer Staat kann die Zukunft nicht gestalten.<br />
ge Problem. Fraglich ist auch, ob die konservativ-liberalen<br />
Steuerpläne überhaupt<br />
Wachstum erzeugen. Von den neuen Steuergeschenken<br />
profitieren mehrheitlich Besserverdienende.<br />
Dies gilt für die Absetzbarkeit<br />
der Sozialversicherungsbeiträge, den Kinderfreibetrag,<br />
die Unternehmens- und Erbschaftssteuergeschenke<br />
ebenso wie für die<br />
Einkommenssteuerreform 2011.<br />
Wer wenig verdient, kann wenig Steuern<br />
sparen. Jeder dritte Beschäftigte zahlt heute<br />
gar keine Steuern mehr. Dank niedriger Bruttolöhne.<br />
Deutlich mehr Netto vom Brutto gibt<br />
es unter der bürgerlichen Regierung nur für<br />
Gut- und Spitzenverdiener. Letztere legen<br />
aber mehr als ein Fünftel ihres Einkommens<br />
auf die hohe Kante. Folglich füttern die Steuergeschenke<br />
die Sparkonten und nicht die<br />
Kassen des Einzelhandels oder Handwerks.<br />
Und natürlich investiert kein Unternehmer nur<br />
weil der Fiskus künftig weniger abkassiert.<br />
Niedrigere Unternehmenssteuern füllen keine<br />
Auftragsbücher. Somit wird klar: Die schwarzgelbe<br />
Steuerpolitik ist keine Wachstumssondern<br />
Klientelpolitik und Reichtumspflege.<br />
Mit fatalen Folgen: Am Ende des Tages<br />
sind die öffentlichen Kassen endgültig leer.<br />
Die staatliche Finanzierungsbasis erodiert,<br />
der Schuldenberg wächst. Anschließend<br />
heißt es: Sparen, Sparen, Sparen. Die Weichen<br />
sind bereits gestellt. Viele Städte und<br />
Gemeinden stehen schon jetzt kurz vor dem<br />
Ruin. Über die Hälfte der Steuersenkung geht<br />
aber zu Lasten der Länder und Kommunen.<br />
Dann zwingt die gesetzlich verankerte Schul-<br />
denbremse die Kassenwarte den Rotstift anzulegen.<br />
Gekürzt wird in der Regel bei öffentlichen<br />
Investitionen. Gleichzeitig beabsichtigt<br />
die neue Regierung die Wettbewerbsposition<br />
öffentlicher Unternehmen zu schwächen.<br />
Zwangsläufig rollt dann, vor dem Hintergrund<br />
leerer Kassen, die nächste Privatisierungswelle.<br />
Damit lautet die schwarz-gelbe Antwort auf<br />
die schwerste Wirtschaftskrise seit 80 Jahren:<br />
Weiter so! Es werden keine Lehren aus der<br />
Krise gezogen. Die zentralen Probleme des<br />
Landes bleiben ungelöst. Ein noch ärmerer<br />
Staat kann die Zukunft nicht gestalten. Die Vision<br />
einer Bildungsrepublik bleibt eine inhaltsleere<br />
Phrase. Die Modernisierung des<br />
Gesundheitswesens und der ökologische<br />
Umbau kommen nicht voran. Die gesellschaftliche<br />
Spaltung setzt sich fort. So leistet<br />
staatliches Handeln keinen Beitrag zu mehr<br />
wirtschaftlicher Dynamik. Schwache Masseneinkommen<br />
tun ein Übriges. Der Binnenmarkt<br />
bleibt am Boden liegen. Nur das Ausland<br />
kann uns noch helfen. Doch die Weltwirtschaft<br />
ist heute eine Andere als vor der Krise.<br />
Die Kreditblase ist geplatzt. US-Amerikaner,<br />
Briten, Iren und Spanier werden in den nächsten<br />
Jahren sparen müssen. Folglich werden<br />
sie weniger Autos, Maschinen und Anlagen<br />
kaufen. Der deutschen Exportindustrie stehen<br />
schwere Jahre bevor. Deswegen ist es<br />
notwendiger denn je, die Binnenmarktkräfte<br />
zu stärken. Ein handlungsfähiger Staat spielt<br />
dabei eine zentrale Rolle. DIERK HIRSCHEL<br />
DGB-Chefökonom<br />
Foto: dpa<br />
NIEDERSACHSEN 11/2009
4<br />
Das Schaumburger Land wird Gesamtschulland<br />
Große Nachfrage nach<br />
Gesamtschulplätzen<br />
Die Diskussion um weitere Gesamtschulen<br />
ist in <strong>Niedersachsen</strong> in vollem<br />
Gange. Zum 1. August 2009 wurden in<br />
<strong>Niedersachsen</strong> 14 (!!!) neue Gesamtschulen<br />
genehmigt und eingerichtet (zwei KGS’n und<br />
zwölf IGS’n). Von den zwölf neuen Integrierten<br />
Gesamtschulen sind allein im Landkreis<br />
Schaumburg drei eingerichtet worden: in<br />
Obernkirchen, in Helpsen und in Rodenberg.<br />
Mit der schon seit 1991 bestehenden IGS in<br />
Stadthagen gibt es zurzeit im Landkreis<br />
Schaumburg vier Integrierte Gesamtschulen.<br />
Diskussion um neue<br />
Gesamtschule in<br />
<strong>Niedersachsen</strong> in vollem Gang<br />
Doch schon zum Schuljahresbeginn hat sich<br />
herausgestellt, dass nicht alle Schüler/innen<br />
einen Gesamtschulplatz erhalten konnten. Im<br />
Losverfahren mussten immer noch viele Schüler/innen<br />
abgelehnt werden. Außerdem hatten<br />
die Stadt Rinteln und die Samtgemeinde Lindhorst<br />
beim Landkreis Schaumburg die Einrichtung<br />
jeweils einer IGS zum 01.08.2010 beantragt.<br />
Ausgelöst durch die hohen Anmeldezahlen<br />
zu diesem Schuljahr (von 730 Anmeldungen<br />
kreisweit konnten nur 550 berücksichtigt werden!)<br />
hat der Landkreis am 23. Juni 2009 beschlossen,<br />
zur Ermittlung des Bedürfnisses an<br />
der Errichtung weiterer Gesamtschulen eine<br />
Elternbefragung in der Stadt Rinteln und in den<br />
Samtgemeinden Lindhorst und Sachsenhagen<br />
durchzuführen.<br />
11/2009 NIEDERSACHSEN<br />
Nach den Sommerferien wurde die Elternbefragung<br />
durchgeführt und das Ergebnis war<br />
klar: In Rinteln entschieden sich 389 (39,2 Prozent)<br />
von 992 befragten Eltern aus den Klassen<br />
1-4 für eine IGS. 782 Fragebögen wurden<br />
zurückgegeben (78,8 Prozent), davon haben<br />
sich 389 für eine IGS ausgesprochen, das waren<br />
also schon 49,7 Prozent. In Lindhorst haben<br />
sich 406 (36,5 Prozent) von 1112 befragten<br />
Eltern in den Klassen 1-4 für eine IGS ausgesprochen.<br />
Hier wurden allerdings nur 661<br />
von 1112 ausgeteilten Fragebögen zurückgegeben,<br />
das entspricht einer Beteiligungsquote<br />
von 54,9 Prozent. Von den 611 zurückgegebenen<br />
Fragebögen haben sich allerdings 406 für<br />
eine IGS ausgesprochen, das entspricht einer<br />
Zustimmungsquote von 66 Prozent.<br />
Größte Gesamtschuldichte<br />
in <strong>Niedersachsen</strong><br />
Auffällig gering war bei beiden Befragungen<br />
der Wunsch nach dem Besuch einer Hauptschule<br />
(Rinteln 1,4 Prozent der Befragten, in<br />
Lindhorst 0,5 Prozent!). Auch die Realschule<br />
wurde gering nachgefragt (14,3 Prozent der<br />
Befragten in Rinteln, nur noch 2,9 Prozent in<br />
Lindhorst). Das Gymnasium rangiert in der<br />
Gunst der Eltern erst nach der IGS an zweiter<br />
Stelle (19,3 Prozent der Befragten in Rinteln,<br />
nur 10,7 Prozent in Lindhorst).<br />
Damit ist festzustellen, dass es an den<br />
Standorten Rinteln und Lindhorst einen großen<br />
Bedarf an der Errichtung von Integrierten Gesamtschulen<br />
gibt.<br />
GESAMTSCHULEN IN NIEDERSACHSEN<br />
Folgerichtig hat der Schulausschuss am<br />
26.10.2009 einstimmig (bei drei Enthaltungen<br />
der CDU) beschlossen, dem Kreistag die Errichtung<br />
von neuen IGS’n in Lindhorst und in<br />
Rinteln zu empfehlen. Dieser Empfehlung ist<br />
der Kreisausschuss am 3. November 2009 gefolgt.<br />
Er hat mit 8:3 Stimmen beschlossen,<br />
beim Land <strong>Niedersachsen</strong> einen Antrag auf die<br />
Genehmigung von zwei neuen IGS’n in Lindhorst<br />
und in Rinteln zu stellen.<br />
Das ist inzwischen auch geschehen, vorbehaltlich<br />
der Entscheidung des Kreistages, der<br />
am 15. Dezember 2009 mehrheitlich den Beschluss<br />
fassen wird.<br />
Die CDU hat im Kreisausschuss mehrheitlich<br />
gegen den Beschlussvorschlag gestimmt,<br />
weil sie den Fortbestand der Haupt- und Realschulen<br />
im Landkreis Schaumburg sehr kritisch<br />
bewertet.<br />
Es ist davon auszugehen, dass es im Landkreis<br />
Schaumburg zum Schuljahr 2010/2011<br />
sechs Integrierte Gesamtschulen geben wird,<br />
daneben fünf Gymnasien, eine kombinierte<br />
Haupt- und Realschule in Stadthagen und jeweils<br />
eine Haupt- und Realschule in Bückeburg.<br />
Aber auch in der Residenzstadt Bückeburg<br />
tut sich was. Hier hat die Gruppe Bündnis<br />
90/Die Grünen nun im dortigen Schulausschuss<br />
beantragt zu ermitteln, wie viele Eltern<br />
ihre Kinder auf eine IGS schicken würden,<br />
wenn es diese Schulform auch in Bückeburg<br />
geben würde. Begründet wurde dieser Vorstoß<br />
damit, dass viele Eltern das IGS-Konzept gut<br />
fänden, ihre Kinder aber nicht unbedingt zu einer<br />
entfernteren IGS schicken würden. Befürwortet<br />
wurde der Vorstoß auch vom Vorsitzenden<br />
des Stadtelternrats. Auch der Bückeburger<br />
Bürgermeister erklärte, man solle sich für<br />
eine IGS in Bückeburg einsetzen. Bei einer<br />
Enthaltung votierte der Schulausschuss dafür,<br />
eine Bedarfsermittlung in der Bückeburger Elternschaft<br />
durchzuführen.<br />
Damit dürfte das Schaumburger Land bald<br />
die größte Gesamtschuldichte in <strong>Niedersachsen</strong><br />
haben. Dies ist das Ergebnis einer sehr<br />
großen Nachfrage seitens der Elternschaft,<br />
das Ergebnis einer sehr guten Arbeit der bisherigen<br />
Gesamtschulen und das Ergebnis eines<br />
engagierten Eintretens der Kreispolitik für<br />
ein zukunftsorientiertes Schulsystem.<br />
Der Landkreis Rotenburg<br />
blockiert<br />
Gesamtschulgründungen<br />
Anders sieht es momentan im Landkreis Rotenburg<br />
(Wümme) aus. Auch im Landkreis Rotenburg<br />
(Wümme) gibt es seit Monaten eine<br />
sehr intensive Diskussion um die Errichtung<br />
von Gesamtschulen. In nahezu allen Samtgemeinden<br />
gab es Informationsabende für interessierte<br />
Eltern und am 11. März 2009 sogar eine<br />
groß angelegte Anhörung zum Thema „Weiterentwicklung<br />
der Schulstruktur im Landkreis<br />
Rotenburg (Wümme)“.<br />
Bei dieser Anhörung, zu der von der Kreisverwaltung<br />
eingeladen worden war, überwogen<br />
deutlich die Stimmen pro Gesamtschule.<br />
Namhafte Experten sprachen sich sehr deutlich<br />
für die Einrichtung von Gesamtschulen<br />
aus. Der Schulausschuss empfahl unmittelbar<br />
nach der Anhörung dann, ein kreisweites<br />
Schulkonzept zu erstellen, in dem auch Gesamtschulen<br />
berücksichtigt werden sollen.
GESAMTSCHULEN IN NIEDERSACHSEN 5<br />
In der Rotenburger/Wümme Rundschau<br />
vom 15.03.2009 hieß es nach der Anhörung<br />
und nach der Sitzung des Schulausschusses<br />
in einem Kommentar von Ines van Rahden:<br />
„Der Weg für Gesamtschulen im Landkreis Rotenburg<br />
scheint frei. Mittlerweile ist auch den<br />
letzten Verfechtern des dreigliedrigen Schulsystems<br />
klar geworden, dass ein starres Festhalten<br />
an alten Strukturen langfristig keinen<br />
Sinn ergibt. Der Schulausschuss legte mit seiner<br />
Empfehlung den Grundstein zur Einrichtung<br />
von KGS und IGS. Dieser Schritt war<br />
mehr als überfällig.“<br />
In der Tat war die Nachfrage nach Gesamtschulen<br />
im Landkreis Rotenburg sehr groß.<br />
Insgesamt sieben (!!!) Samtgemeinden haben<br />
bei ihrem Schulträger (Landkreis Rotenburg)<br />
die Errichtung einer Gesamtschule (vier Mal<br />
KGS, drei Mal IGS) beantragt. Doch schon<br />
bald erklärte die Kreisverwaltung, dass das<br />
dreigliedrige Schulsystem im Landkreis Rotenburg<br />
aufrecht erhalten werden soll. „Es wird in<br />
keinem Fall sieben Gesamtschulen im Kreis<br />
geben“, betonte der Schuldezernent. „Maximal<br />
drei Standorte kommen in Frage.“<br />
Die Nachfrage nach<br />
Gesamtschulen ist sehr groß<br />
Der Kreistag hat in seiner Sitzung am<br />
28.05 2009 dann die gewünschten Elternbefragungen<br />
auf den Weg gebracht. Diese<br />
kreisweite Befragung wurde zu Beginn des<br />
Schuljahres 2009/10 unter den Erziehungsberechtigten<br />
der Grundschüler/innen der Jahrgangsstufen<br />
1-4 durchgeführt. Ausgegeben<br />
wurden 7336 Fragebögen, 5445 wurden<br />
zurückgegeben, das entspricht einer Beteiligungsquote<br />
von 74,2 Prozent. Dabei haben<br />
sich 3189 grundsätzlich für eine Gesamtschule<br />
(IGS/KGS) ausgesprochen, das entspricht<br />
einer Zustimmungsquote von 43,5<br />
Prozent. Im Schnitt haben sich pro Jahrgang<br />
also ca 800 Eltern für eine Gesamtschule<br />
ausgesprochen. Das heißt: Rotenburg<br />
braucht mindestens fünf (!!!) Gesamtschulen.<br />
Was aber macht die Kreisverwaltung? Sie<br />
schlägt nur eine (!!!) KGS (Sittensen) vor und<br />
begründet dies damit, dass die geforderte<br />
langfristige Fünfzügigkeit an keinem Standort<br />
erreicht wird. Der Kreistag hat dann auch am<br />
22. Oktober 2009 dem Vorschlag der Verwaltung<br />
zugestimmt.<br />
Erst nach diesem Kreistagsbeschluss<br />
kommt erneut Bewegung in die Sache. Die<br />
Kreisverwaltung hat den Kreistag vorgeführt,<br />
indem sie darauf verzichtet hat, entsprechend<br />
der Ergebnisse der Elternbefragung Einzugsbereiche<br />
für neue Gesamtschulstandorte zusammenzufassen,<br />
damit auch fünfzügige Gesamtschulen<br />
entstehen können. Dabei ist<br />
doch klar, dass bei der Zustimmungsquote der<br />
Eltern die Standortauswahl entscheidend ist.<br />
Hier hätte sich die Kreisverwaltung schon die<br />
Mühe machen müssen, in Abstimmung mit<br />
den Samtgemeinden dem Elternwillen Rechnung<br />
zu tragen. Mit dem jetzt gefassten Beschluss,<br />
nur eine KGS zuzulassen, wird der Elternwille<br />
in Rotenburg mit Füßen getreten. Hier<br />
muss schnell eine Korrektur erfolgen.<br />
RICHARD WILMERS<br />
Vor 30 Jahren: Arbeitsniederlegung<br />
Genau 30 Jahre ist es her, dass die<br />
<strong>GEW</strong> <strong>Niedersachsen</strong> ein neues Instrument<br />
zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen<br />
ihrer Mitglieder erprobt<br />
hat. Am 13. November 1979 legten mehr als<br />
4000 Lehrerinnen und Lehrer demonstrativ<br />
für zwei Unterrichtsstunden ihre Arbeit nieder.<br />
Mit diesem „Demonstrationsstreik“ sollte<br />
den in Celle tagenden Ministerpräsidenten<br />
der Länder vor Augen geführt werden.<br />
dass ihre jahrelange Hinhaltetaktik in der<br />
Frage der Lehrerarbeitszeit von der Lehrerschaft<br />
nicht mehr hingenommen wurde.<br />
Zwei Tage später bekräftigten in Celle mehr<br />
als 10.000 Lehrerinnen und Lehrer ihre Entschlossenheit,<br />
das „Stillhalteabkommen“ der<br />
Tarifvertrag – Länder (TV-L) /<br />
Über Lehrkräfte wird am 8. Dezember verhandelt<br />
Kein entscheidender<br />
Durchbruch<br />
In den Tarifverhandlungen zur Eingruppierungsordnung<br />
(L-EGO) des TV-L zwischen<br />
den Gewerkschaften und der Tarifgemeinschaft<br />
deutscher Länder (TdL) ist auch nach<br />
der 5. Verhandlungsrunde vom 10. bis 12.<br />
November in Düsseldorf noch kein entscheidender<br />
Durchbruch erzielt worden. In Arbeitsgruppen<br />
werden die Eingruppierungsmerkmale<br />
und die Zuordnung der Tätigkeiten und<br />
Merkmale zu den Entgeltgruppen bearbeitet.<br />
Bisher sind vorwiegend die unteren Entgeltgruppen<br />
EG 2 bis 8 bearbeitet worden. Die für<br />
die <strong>GEW</strong> wegen der Lehrkräfte besonders<br />
wichtigen Entgeltgruppen 9 bis 15 werden in<br />
den nächsten Verhandlungsrunden erörtert<br />
werden.<br />
Im Organisationsbereich der <strong>GEW</strong> sind folgende<br />
Berufsgruppen von den Verhandlungen<br />
erfasst<br />
1. Lehrkräfte an Schulen<br />
2. Lehrkräfte an Hochschulen<br />
3. Beschäftigte im Sozial- und Erziehungsdienst<br />
(Sozialpädagogische Fachkräfte)<br />
Während es für letztere um die Sicherung<br />
und Weiterentwicklung der bisherigen Eingruppierung<br />
geht, soll für die Lehrenden erstmals<br />
eine tarifvertragliche Regelung der Eingruppierung<br />
erreicht werden. Über 200.000<br />
angestellte Lehrkräfte werden bisher durch<br />
einseitige Arbeitgeberrichtlinien den Entgelt-<br />
Regierungschefs in Sachen Lehrerarbeitszeit<br />
nicht länger zu akzeptieren.<br />
Den Demonstrationsstreik konnte auch eine<br />
massive Einschüchterungskampagne der<br />
Schulbehörden nicht verhindern. Am Vortage<br />
der Arbeitsniederlegung wurde bekannt, dass<br />
gegen sieben Mitglieder des Geschäftsführenden<br />
Landesvorstandes der <strong>GEW</strong> <strong>Niedersachsen</strong><br />
ein Verbot der Amtsführung ausgesprochen<br />
und disziplinarische Vorermittlungen<br />
wegen Verdachts eines „schwerwiegenden“<br />
Dienstvergehens eingeleitet wurden.<br />
Disziplinarverfahren gab es auch gegen die<br />
beamteten Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />
an der Arbeitsniederlegung, die von den<br />
Schulleitungen erfasst und den damaligen<br />
gruppen des TV-L zugeordnet. Die <strong>GEW</strong> hatte<br />
es erreicht, dass die TdL im Rahmen der im<br />
September aufgenommenen Tarifverhandlungen<br />
auch die Eingruppierung der Lehrkräfte<br />
verhandelt. Bisher ist nur der 8. Dezember als<br />
den Lehrkräften vorbehaltener Verhandlungstermin<br />
anberaumt worden. Ein Ziel dieses Tages<br />
muss es sein, einen verbindlichen, klar<br />
abgesteckten Zeit- und Verhandlungsplan zu<br />
vereinbaren und in Arbeitsgruppen bis zu der<br />
Sitzung der zuständigen Bundestarifkommission<br />
der <strong>GEW</strong> am 17./18. Dezember Verhandlungsergebnisse<br />
zu erzielen, über die dann<br />
beraten und befunden werden kann.<br />
Die <strong>GEW</strong> <strong>Niedersachsen</strong> wird in den<br />
nächsten Wochen ihre Informationen zu den<br />
laufenden Tarifverhandlungen weiter intensivieren<br />
und in möglichst vielen Veranstaltungen<br />
dieses Thema aufgreifen. Dabei muss<br />
auch die Frage eine zentrale Rolle spielen,<br />
wie seitens der Beschäftigten Unterstützung<br />
für die <strong>GEW</strong>-Forderungen (siehe EuW<br />
10/2009, Seite 15) zum Ausdruck gebracht<br />
werden kann. Die Aktionen während der Tarifrunde<br />
im Bereich des TV-L Anfang 2009 sind<br />
dabei ein gutes Beispiel.<br />
Aktuelle Informationen zu den laufenden<br />
Tarifverhandlungen können über die Homepage<br />
www.gew-nds.de/Tarifrunde abgerufen<br />
werden. RÜDIGER HEITEFAUT<br />
Bezirksregierungen „gemeldet“ werden<br />
mussten. Vorwurf: Schuldhafter Verstoß gegen<br />
die Dienstpflichten, „indem Sie sich am<br />
13.11.1979 während Ihrer Unterrichtszeit an<br />
einer streikähnlichen Arbeitsverweigerung<br />
beteiligt haben“. Die „einfachen“ Beteiligten<br />
wurden mit einer Geldbuße in Höhe von 100<br />
DM belegt, an der Arbeitsniederlegung teilnehmende<br />
Schulleiterinnen und Schulleiter<br />
wurden mit 500 DM zur Kasse gebeten. Die<br />
Disziplinarverfügungen wurden damals<br />
durchweg mit großer Gelassenheit im Bewusstsein<br />
zur Kenntnis genommen und akzeptiert,<br />
dass die Geld-„Buße“ der Preis dafür<br />
sei, sich vom Dienstherrn einmal nicht alles<br />
gefallen zu lassen. D.G.<br />
NIEDERSACHSEN 11/2009
6<br />
Das MK gibt Erläuterungen. Durchlaufende Mittel sind ab sofort über das Girokonto der Schule<br />
oder über Konten des Schulträgers abzurechnen.<br />
Girokonten und kein Ende ...<br />
MK beantwortet Fragen des SHPR zur<br />
Einführung der Schulkonten<br />
In ihren Stellungnahmen zum Erlass „Führung<br />
von Girokonten durch die Schulen“, der seit<br />
dem 01.09.2009 in Kraft ist, hatten der Schulhauptpersonalrat<br />
und die <strong>GEW</strong> insbesondere<br />
auf die Mehrbelastung der Schulleitungen und<br />
der Lehrkräfte sowie deren fehlende Erfahrungen<br />
in Fragen des Haushaltsrechts hingewiesen.<br />
Außerdem wurde kritisiert, dass nicht<br />
deutlich genug werde, was unter „durchlaufenden<br />
Mitteln“ zu verstehen ist.<br />
Budget der Schulen<br />
In einer ausführlichen Antwort weist das Kultusministerium<br />
(MK) in einem Schreiben an den<br />
Schulhauptpersonalrat (SHPR) vom 28.10.2009<br />
eingangs darauf hin, dass sich der neue Erlass<br />
nur auf Zahlungen beziehe, die auch bisher<br />
schon von den Schulen und den Lehrkräften<br />
geleistet worden seien. Auf die praktischen Unterschiede,<br />
die die konsequente Umsetzung<br />
der neuen Regelung für die Schulen haben<br />
dürfte, geht das MK jedoch nur am Rande ein.<br />
Zahlungen zugunsten bzw. zulasten des<br />
Budgets der Schulen (Mittel für Schulfahrten<br />
und SchiLF, Budget der Ganztagsschulen sowie<br />
die Mittel für Modellversuche) werden bisher<br />
von der Schule angestoßen und technisch<br />
über die Landesschulbehörde abgewickelt, al-<br />
50 Jahre<br />
in der <strong>GEW</strong><br />
Zum 50-jährigen <strong>GEW</strong>-Jubiläum gratulieren wir<br />
im November folgenden Kolleginnen und Kollegen<br />
und danken für ihre langjährige Mitgliedschaft:<br />
Ekkehard Scharenberg (Aurich).<br />
Unser Dank gilt außerdem allen Kolleginnen<br />
und Kollegen, deren Mitgliedschaft sich in diesem<br />
Monat zu einem weiteren Jahr rundet.<br />
11/2009 NIEDERSACHSEN<br />
so über deren Konto. Die Budgetplanungen der<br />
Schulen sind also stets mit den Ist-Zahlungen<br />
durch die LSchB abzustimmen. Der neue Erlass<br />
macht es möglich, so das MK, dass die Schulen<br />
nach Einrichtung eines Girokontos ihr Jahresbudget<br />
in einer Komplett-Zahlung, z. B. zu Beginn<br />
des Haushaltsjahres, zur Verfügung gestellt<br />
bekommen und somit die Abgleiche für<br />
die Einzelzahlungen mit der LSchB entfallen.<br />
Darin sieht das MK eine Erleichterung, da der<br />
Arbeitsschritt der Abrechnung der Einzelzahlungen<br />
entfällt. Diese Umstellung müssen die<br />
Schulen gemäß Erlass bis spätestens 1.1.2014<br />
durchführen. Detaillierte Ausführungen zur Umstellung,<br />
die das Budget betrifft, findet man im<br />
Erlass unter Punkt 3. Hier kann es in der Tat Erleichterungen<br />
geben, insbesondere weil auch<br />
die Umstellungsfrist hinreichend lang ist.<br />
Zahlungen von<br />
„durchlaufenden Mitteln“<br />
Zahlungen für „durchlaufende Mittel“ (Erlass<br />
Punkt 1.1.2) sind hingegen ab sofort über das<br />
eine Girokonto der Schule oder über Konten<br />
des Schulträgers abzurechnen. Das MK erläutert<br />
im o. g. Schreiben, wie durch den SHPR erbeten,<br />
was darunter zu verstehen ist. Bei den<br />
durchlaufenden Mitteln handele es sich um<br />
Norbert Böhmer (Osnabrück), Armin Bottenberg<br />
(Braunschweig), Maria Cordes (Bremen), Wolfgang<br />
Cziep (Niedernjesa), Antje Felguth (Nienburg),<br />
Dagmar Friedl (Weener), Konrad Homeister<br />
(Harsum), Robert Just (Lotte), Renate Karos<br />
(Burgdorf), Dagmar Krüger-Orth (Hannover), Andrea<br />
Kunkel (Barsinghausen), Christine Linke (Alfeld),<br />
Cornelia Lochner (Kutenholz), Alfred Mengler<br />
(Delmenhorst), Silke Meyer-Gerhardy (Hannover),<br />
Werner Mohr (Bremen), Heike Neef (Göttingen),<br />
Gerd Otten (Langen), Brigitte Packheiser<br />
Foto: Seeliger / imago<br />
SCHULFINANZEN<br />
Zahlungen, die im schulischen Bereich anfallen.<br />
Diese Zahlungen müssen aus verfassungsrechtlichen<br />
Gründen und unter dem Aspekt der<br />
Fürsorgepflicht über öffentliche Kassen abgewickelt<br />
werden. „Die bekannte Praxis, Zahlungen<br />
für schulische Aufgaben über private Girokonten<br />
der Lehrkräfte oder Bankverbindungen<br />
von Schulvereinen (sog. schwarze Kassen) abzuwickeln,<br />
widerspricht den verfassungsrechtlichen<br />
Vorgaben. Als schulische Aufgaben hat<br />
der LRH (Landesrechnungshof) u. a. Zahlungen<br />
für Klassenfahrten, das Einsammeln von Mitteln<br />
für Kopien, die Abwicklung von Zahlungen bei<br />
‚Übungsfirmen’ oder die Verwaltung von Mitteln<br />
der EU in seinem Prüfbericht aufgeführt.“<br />
(Schreiben des MK) Das MK weist in diesem<br />
Zusammenhang darauf hin, dass der LRH das<br />
Einsammeln von Mitteln für Kopien als schulische<br />
Aufgabe bezeichnet habe, die über öffentliche<br />
Kassen der Schulträger abzuwickeln sind.<br />
Zu diesen Aufgaben zählt das MK auch Zahlungen<br />
für Klassenfahrten einschließlich Wandertage<br />
und Theaterbesuche sowie Materialbestellungen.<br />
Neue Aufgaben für<br />
die Sekretariate<br />
„Für Zahlungen der Schulträger können<br />
Schulsekretärinnen tätig werden. Für den Einsatz<br />
von Schulsekretärinnen sind die Schulträger<br />
zuständig“, heißt es weiter. Die Frage ist, ob<br />
die Schulträger das auch so sehen! Die Umsetzung<br />
der Erlassregelungen nach dieser Interpretation<br />
würde auf alle Fälle eine erhebliche<br />
Mehrbelastung der Sekretariate mit sich bringen,<br />
da jetzt z. B. alle Klassenfahrten usw. dort<br />
verbucht, kontrolliert und abzurechnen wären.<br />
Da würden in den meisten Schulen die zurzeit<br />
zur Verfügung stehenden Stunden für Sekretariatsarbeit<br />
auf keinen Fall ausreichen.<br />
Das MK sagt zu, bei Bedarf Fortbildungsveranstaltungen<br />
zum Thema „Girokonten“ durchzuführen.<br />
Die LSchB sei aufgefordert worden,<br />
die Schulen zu informieren und im Rahmen ihrer<br />
Aufgaben bei der Führung der Schulgirokonten<br />
zu unterstützen. Im Rahmen der Einführung des<br />
Budgets der eigenverantwortlichen Schulen habe<br />
es zudem bereits Fortbildungsveranstaltungen<br />
gegeben.<br />
Für das MK scheinen sich durch die Zuständigkeit<br />
der Schulträger die Fragen der Praktikabilität<br />
und Belastungen für die Schulen gelöst<br />
zu haben. Da den Schulträger diese neue Aufgabenzuweisung<br />
in der Regel noch nicht bekannt<br />
sein dürfte, steht somit voraussichtlich<br />
nicht nur eine Protestwelle aus den Schulen,<br />
sondern auch eine aus den Kommunen ins<br />
Haus. HENNER SAUERLAND<br />
25 Jahre in der <strong>GEW</strong><br />
Zum „Silbernen“ <strong>GEW</strong>-Jubiläum gratulieren wir im November folgenden Kolleginnen und Kollegen<br />
und danken für ihre langjährige Mitgliedschaft:<br />
(Bremen), Karl-Heinz Pieper (Helmstedt), Helga<br />
Poepken (Oldenburg), Klaus-Peter Reiblein (Oldenburg),<br />
Karin Reiss (Stade), Heike Schlimme-<br />
Graab (Langenhagen), Burkhard Seebaum (Vahlbruch),<br />
Christina Seidel-Detert (Wallenhorst), Beate<br />
Sommer (Oldenburg), Thomas Strunck (Hamburg),<br />
Kerstin Teuber-Engelking (Verden), Gisela<br />
Theising (Hannover), Elke van Deest (Oldenburg),<br />
Isabel Weber (Küsten), Wolfgang Weh (Fredenbeck),<br />
Martina Wieland (Holzminden), Christine<br />
Will (Wilhelmshaven).
DGB-STUDIE ZUR ARBEITSLOSIGKEIT 7<br />
Auf dem Weg zur Jobagentur. Die Arbeitslosigkeit<br />
ist besonders bei Menschen mit Abitur<br />
oder höheren Abschlüssen gestiegen.<br />
In Göttingen kursiert seit einiger Zeit ein<br />
Witz: wenn man in ein Taxi steige, solle man<br />
den Fahrer oder die Fahrerin auf jeden Fall<br />
mit Herr oder Frau „Doktor“ begrüßen. Grund:<br />
die massenhafte Akademikerarbeitslosigkeit<br />
in dieser Universitätsstadt.<br />
Nun, die Nachdenklicheren wussten es seit<br />
langem schon: durch mehr Bildung gibt es<br />
keinen einzigen Erwerbslosen weniger. Bildung<br />
erhöht die Qualifikation der Arbeitsplatzbewerber,<br />
sie schafft aber keine einzige neue<br />
Stelle für sie. Und die Logik dieses Zusammenhangs<br />
ist ja auch von denkbar schlichter<br />
Natur: wenn mit einem Schlag sämtliche Einhundert-Meter-Läufer<br />
eine Sekunde schneller<br />
rennen, gibt es keinen Sieger mehr als vor dieser<br />
Qualifikationssteigerung aller. Heißt für die<br />
Arbeitswelt: „Generation Praktikum“ lässt<br />
grüßen! Die könnte Endlos-Geschichten erzählen<br />
über ihre Weiterqualifikationen. „Fortbildung“<br />
im Sinne von „Wegbildung“ wäre zutreffender<br />
ausgedrückt.<br />
Die Generation Praktikum<br />
lässt grüßen<br />
Was die DGB-Studie zur Arbeitslosigkeit<br />
auf erschreckende Weise belegt hat, das ist<br />
aber nicht nur diese banale Erkenntnis. Diese<br />
Studie zeigt zusätzlich auf: es gibt einen<br />
Strukturwandel innerhalb der Arbeitslosigkeit.<br />
Und dieser Strukturwandel ist gekennzeichnet<br />
dadurch, dass der bundesdeutsche Arbeitsmarkt<br />
anteilig immer weniger qualifizierte Arbeitskräfte<br />
benötigt und stattdessen anteilig<br />
immer mehr Arbeitsplätze für Geringqualifizierte<br />
schafft.<br />
Das bedeutet: Die Wirtschaft organisiert<br />
sich in der Weise um, dass sie im wachsenden<br />
Maße nur noch Mindestlöhner braucht. Die<br />
Rettungsfantasie „Bildung“, wieder und wieder<br />
vorgetragen von den Hartz-IV-Parteien<br />
(mit deutlichem Vorwurf oft an die Adresse der<br />
arbeitswilligen Zwangsuntätigen, zu wenig für<br />
die eigene „Wiedereingliederung ins Arbeitsleben“<br />
zu tun), dieses „Bildungs“-Gequatsche<br />
ist nichts anderes als ungebildeter Blödsinn,<br />
eine ideologisch-motivierte Diffamierung der<br />
ALG-II-BezieherInnen.<br />
Zynischer<br />
Selbstentlastungsversuch<br />
Und: dieses „Bildungs“-Gerede ist nichts<br />
anderes als der zynische Selbstentlastungsversuch<br />
des nach wie vor praktizierten Markt-<br />
DGB-Studie zum Arbeitsmarkt<br />
Vor allem Hochqualifizierte<br />
werden arbeitslos<br />
Einer DGB-Studie zufolge, die Mitte Oktober veröffentlicht wurde, ist die Arbeitslosigkeit besonders<br />
stark bei Menschen mit Abitur oder höherem Abschluss gestiegen. „Die Zahl der Jobsuchenden<br />
mit Fach- oder Hochschulreife lag im August um 24 Prozent höher als ein Jahr zuvor“,<br />
so der Online-Dienst von tagesschau.de. Und weiter: Die Arbeitslosenzahlen der Menschen mit<br />
Mittlerer Reife stiegen im gleichen Zeitraum nur um 5,4 Prozent, die der Arbeitssuchenden mit<br />
Hauptschulabschluss um 10,8 Prozent. Bei Jobsuchern ohne jeden Schulabschluss war lediglich<br />
eine Anstiegsziffer von 5,5 Prozent zu verzeichnen. Heißt: das Risiko, arbeitslos zu werden<br />
oder zu bleiben, übertraf bei den Hoch- und Höchstqualifizierten das Risiko Erwerbslosigkeit für<br />
Schulabgänger ohne Abschluss um mehr als das Vierfache.<br />
„Auch eine gute schulische Ausbildung schützt längst nicht mehr vor Arbeitslosigkeit“, so Wilhelm<br />
Adamy, Leiter der Abteilung Arbeitsmarktpolitik beim DGB-Vorstand. Bereits 15,8 Prozent<br />
der Arbeitslosen in den alten Bundesländern verfügten über eine Fachhochschul- oder Hochschulreife,<br />
in den neuen Ländern seien es 13,8 Prozent. Ergänzend dazu tagesschau.de.: „Bei<br />
Menschen mit Fach- oder Hochschulreife macht der DGB zudem ein wachsendes Risiko der Verarmung<br />
aus. Nach den Berechnungen der Gewerkschaft sei die Zahl der Hartz-IV-Empfänger bei<br />
Hochqualifizierten im August binnen Jahresfrist um fast 14 Prozent emporgeschnellt. Bei Hauptschulabsolventen<br />
stieg dieser Wert im selben Zeitraum nur um 1,4 Prozent, bei Schulabbrechern<br />
um 1,6 Prozent.“ Das bedeutet mit anderen Worten: innerhalb der letzten zwölf Monate ist die<br />
Gefahr, in Hartz-IV zu landen, für Hochqualifizierte nahezu zehnmal größer geworden als für<br />
Hauptschüler mit oder ohne Abschluss.<br />
Nach der DGB-Studie zur Arbeitslosigkeit<br />
„Bildung“ – eine ideologische<br />
Rettungsfantasie<br />
radikalismus’, der verantwortlich zeichnet für<br />
die Massenarbeitslosigkeit. Schließlich: im<br />
Suggestionsbereich dieser Talkshow-These,<br />
Mangel an „Bildung“ sei schuld am Fortbestehen<br />
der Arbeitslosigkeit, geistert zusätzlich<br />
noch der diffamierende Umkehrschluss herum,<br />
es sei auch Mangel an „Bildung“ gewesen,<br />
der überhaupt erst zu dieser immensen<br />
Erwerbslosigkeit geführt habe – eine weitere<br />
Beschuldigung also der Zwangsarbeitslosen.<br />
Das Wirtschaftssystem ist schuld<br />
Fest steht, viele Politiker plappern damit nur<br />
die Propaganda des Neoliberalismus’ in unserem<br />
Arbeitsparadies nach. Vom Ablehnungsgrund<br />
„überqualifiziert“, den schon so mancher<br />
Arbeitsplatzsuchende zu hören bekam,<br />
scheinen diese Mitmenschen auf den Talkshow-Sesseln<br />
noch nie etwas vernommen zu<br />
haben. Sie quatschen mit ihrem Medien-Gebrabbel<br />
einen inhumanen Massenskandal aus<br />
dem allgemeinen Bewusstsein weg und versehen<br />
ihn mit einer Pseudolegitimation: die<br />
„ungebildeten“ Arbeitssuchenden seien<br />
schuld an ihrem Schicksal, nicht das Wirtschaftssystem.<br />
Kurz: diese Politiker stellen<br />
sich auf die Seite einer Ökonomie, die schon<br />
seit langem eines der wichtigsten Menschenrechte<br />
nicht mehr realisiert, das Recht der arbeitswilligen<br />
und arbeitsfähigen Menschen<br />
auf Arbeit – nebenbei: auf menschenwürdige<br />
Arbeit! – und auf ein menschenwürdiges<br />
Leben.<br />
Wenn hier jemand „Bildung“ benötigt, dann<br />
sind es diese Beschwörer der „Bildung“. Vielleicht<br />
würde ihnen ja helfen, wenn sie einmal<br />
für ein ganzes Jahr lang Taxi fahren müssten,<br />
zum Beispiel in Göttingen, dieser netten alten<br />
Universitätsstadt. HOLDGER PLATTA<br />
Holdger Platta, 65, ist Wissenschaftsjournalist<br />
( Rundfunk, Bücher, Zeitschriften- und Online-<br />
Beiträge, Vorträge). Seine Arbeitsschwerpunkte<br />
sind Zeitgeschichte, Sozialpsychologie<br />
und Arbeit und Soziales. Kollege Platta ist<br />
ver.di-Mitglied.<br />
Foto: dpa<br />
NIEDERSACHSEN 11/2009
8<br />
Die Schattenseiten der Eigenverantwortlichen Schule<br />
Wenn Schulleiter ihre<br />
Macht missbrauchen<br />
Seitdem die Schulen in <strong>Niedersachsen</strong> eigenverantwortlich<br />
geworden sind, erleben<br />
viele Kollegien die Folgen der Umwandlung<br />
einer demokratischen Schulstruktur<br />
in eine an den Prinzipien von Kapitalgesellschaften<br />
orientierten Bertelsmann-Schule. Die<br />
zahlreichen und fundierten, insbesondere die<br />
neue Position des Schulleiters betreffenden<br />
Warnungen vor dieser Umwandlung im Vorfeld<br />
des neuen Schulgesetzes wurden von der Landesregierung<br />
in den Wind geschlagen. Es<br />
könnte sein, dass sie jetzt Sturm erntet.<br />
Uneingeschränkte Entscheidungsgewalt<br />
des Schulleiters<br />
Die unklaren Konfliktregelungen im Schulgesetz<br />
haben im Landtag zu einer Kleinen Anfrage<br />
der Abgeordneten Ursula Helmhold (GRÜ-<br />
NE) und Ina Korter (GRÜNE) zur Haushaltsführung<br />
der Schulleiter sowie zu den Rechten<br />
des Schulvorstandes geführt. Gerade dieser<br />
Bereich scheint besonders geeignet, in offener<br />
Missachtung des Schulgesetzes die Rechte<br />
des Schulvorstandes, der ein schwacher Ersatz<br />
für die ehemals starke Gesamtkonferenz<br />
ist, auszuhebeln, ohne Rechtsfolgen befürchten<br />
zu müssen.<br />
So lautete die Antwort der Landesregierung<br />
auf die Anfrage auch lapidar: „Das Schulgesetz<br />
knüpft zwar keine direkte Rechtsfolge an eine<br />
Nichtentlastung, gleichwohl stellt die nicht ordnungsgemäße<br />
Vorlage eines Haushaltsplanentwurfes<br />
eine Pflichtverletzung dar.“ Offensichtlich<br />
sieht sich die Landesregierung weder<br />
schockiert über eine solche Pflichtverletzung<br />
noch dazu veranlasst, den betroffenen Kollegien<br />
bzw. dem gewählten Schulvorstand zu<br />
ihrem Recht zu verhelfen. Ein verheerendes Ergebnis<br />
für alle, die gerade Schulen in der<br />
Pflicht sehen, ein zentraler gesellschaftlicher<br />
11/2009 NIEDERSACHSEN<br />
Ort für die Schaffung und Stärkung demokratischen<br />
Bewusstseins zu sein.<br />
Dass die Bertelsmann-Schule genau das<br />
Gegenteil ermöglicht und bewirkt, erlebt derzeit<br />
auch ein Gymnasium im Umland von Hannover.<br />
Der vor drei Jahren eingesetzte Schulleiter<br />
interpretierte von Anfang an „eigenverantwortliche<br />
Schule“ als gleichbedeutend mit alleiniger<br />
und uneingeschränkter Entscheidungsgewalt<br />
des Schulleiters. Er überging häufig<br />
sämtliche Gremien, die das Schulgesetz<br />
und das Niedersächsische Personalvertretungsgesetz<br />
als Möglichkeit für Kollegien, Eltern<br />
und Schüler vorsehen, Schule mitzugestalten.<br />
Wer die gefassten Entscheidungen nicht widerspruchslos<br />
abnickte, wurde mit vielerlei<br />
Schikanen konfrontiert. In der Schule entstand<br />
schon im ersten Jahr der Amtsführung ein Klima<br />
der Einschüchterung und Angst, vergleichbar<br />
den Betrieben in der BRD, die immer wieder<br />
wegen gravierender Verstöße gegen Persönlichkeitsrechte<br />
durch die Presse gehen. Offene<br />
Gespräche im Lehrerzimmer unterblieben<br />
zunehmend. Ebenso wurden kritische Äußerungen<br />
in den Gremien seltener.<br />
Klima der Einschüchterung<br />
und Angst<br />
Sowohl die Personalvertretung des Kollegiums<br />
als auch die Vertreter der Elternschaft<br />
bemühten sich in immer neuen Anläufen, zu einer<br />
Veränderung der Zustände zu gelangen –<br />
ohne Erfolg, da der Schulleiter ihnen das Recht<br />
absprach, seine Amtsführung zu kritisieren. Die<br />
Missachtung der Schulgremien und auch offensichtliche<br />
Rechtsverstöße wurden der Landesschulbehörde<br />
bekannt gemacht – ebenfalls<br />
ohne Erfolg, der Schulleiter blieb unter<br />
dem Schutz der Behörde.<br />
SCHULLEITUNG<br />
Keinen Erfolg brachte auch die Schulinspektion,<br />
die der Schulleitung erkennbare Defizite in<br />
der Koordinierung des Schulbetriebs bescheinigte.<br />
Folgenlos war auch eine Initiative des<br />
Kollegiums mit dem Ziel die Eskalationsspirale<br />
zu unterbrechen.<br />
Da die Situation immer unerträglicher wurde,<br />
immer mehr Kolleginnen und Kollegen Versetzungsanträge<br />
stellten oder eine Versetzung beabsichtigten<br />
und immer mehr Eltern nach Alternativen<br />
zu diesem Gymnasium für ihre Kinder<br />
suchten, entschlossen sich ein erheblicher<br />
Teil des Kollegiums, der Personalrat und unabhängig<br />
hiervon auch die Schulelternvertretung<br />
im März 2009 schließlich zu Beschwerdebriefen<br />
an den Staatssekretär im Kultusministerium,<br />
Bernd Althuismann.<br />
Das Ergebnis dieser Beschwerde kann man<br />
nur ernüchternd nennen: Das Kollegium des<br />
Gymnasiums erhielt überhaupt keine Antwort.<br />
Der Personalrat musste zur Kenntnis nehmen,<br />
dass er als legitimer Vertreter der Interessen<br />
des Kollegiums keine Resonanz erfuhr, sondern<br />
seinerseits auf Vorwürfe der Behörde<br />
stieß. Die Elternvertreter erhielten durch Vertreter<br />
des Kultusministeriums die Auskunft, als<br />
Gesprächspartner nicht relevant zu sein. Allerdings<br />
wurde diese Position insofern revidiert,<br />
als den Eltern jetzt doch eine direkte Überprüfung<br />
der Zustände an dieser Schule in Aussicht<br />
gestellt wurde.<br />
Keine Unterstützung<br />
durch das MK<br />
Das Verhalten von Kultusministerium und<br />
Landesschulbehörde hat im Sommer 2009<br />
nicht nur die Abwanderungsbewegung hin zu<br />
anderen Schulen erheblich verstärkt, sondern<br />
auch zu einer tiefen Irritation in der gesamten<br />
Schulöffentlichkeit geführt. Dabei bleibt die<br />
häufig gestellt Frage unbeantwortet, wie es<br />
sein kann, dass offenkundige Missstände und<br />
unbestreitbares Fehlverhalten zu keiner Reaktion<br />
seitens der Verantwortlichen in Hannover<br />
führen. Auch dieser Vergleich wird häufig gezogen:<br />
in einem Betrieb hätten solche Zustände<br />
entweder zur Pleite oder zu personellen Konsequenzen<br />
geführt.<br />
Die Region der Schule musste die Folgen<br />
der Bildungspolitik der Landesregierung schon<br />
in mehrfacher Hinsicht sehr schmerzvoll erfahren:<br />
Die Behinderung von IGS-Gründungen<br />
und Ganztagsschulen und eben auch eigenmächtige<br />
statt verantwortlicher Schulleiter. Die<br />
weitere Entwicklung bleibt offen. Ganz sicher<br />
aber kann in einem solchen Klima keine für<br />
neue Wege offene Schule entstehen, denn<br />
dafür ist die unabdingbare Voraussetzung,<br />
dass zwischen allen Beteiligten ein ungehinderter<br />
Austausch stattfinden kann.<br />
Die Landesregierung sollte sich schnell damit<br />
auseinandersetzen, ob sie sich auch weiterhin<br />
darauf beschränken will, von ihr erkannte<br />
Pflichtverletzungen lediglich zur Kenntnis zu<br />
nehmen. Sie ist es Lehrern, Eltern und<br />
Schülern, die sich jeden Tag in niedersächsischen<br />
Schulen um die Weiterentwicklung der<br />
Schule bemühen, schuldig , sie darin zu stärken,<br />
anstatt deutliche Hinweise auf gravierende<br />
Missstände und pflichtverletzende Vorgänge<br />
zu übergehen. Der Hinweis auf Paragraphen<br />
des Schulgesetzes ist jedenfalls keine<br />
Antwort auf eine Anfrage, wenn es gerade um<br />
die Verletzung dieses Schulgesetzes geht. -hh
VERTRETUNGSPERSONAL IN SCHULEN 9<br />
Honorarverträge im Unterricht<br />
Problematischer Wildwuchs<br />
Personen, die in<br />
Schulen mit sogenanntenHonorarverträgen<br />
beschäftigt<br />
werden, dürfen nicht im<br />
Unterricht eingesetzt<br />
werden. Dabei ist unerheblich,<br />
ob es sich um<br />
ausgebildete Lehrkräfte<br />
oder Personen mit anderen<br />
Qualifikationen<br />
handelt.<br />
Aber eine schlechte<br />
Unterrichtsversorgung,<br />
Personalmangel,<br />
schmale Budgets und<br />
das Abladen von Verantwortung<br />
auf die Schulen<br />
befördern rechtlich<br />
prekäre Scheinlösungen<br />
über prekäre Beschäftigung.<br />
Zunehmend werden<br />
Honorarverträge<br />
durch Schulleitungen<br />
geschlossen, um weiteres<br />
Personal für die<br />
Schulen zu gewinnen<br />
und so und scheinbar<br />
die Unterrichtsversorgung<br />
zu sichern (oder zu<br />
verbessern). Überliefert<br />
ist der Kommentar eines<br />
Schulleiters, der diese Art der Verträge als<br />
„kreativen Umgang mit den Möglichkeiten“<br />
bezeichnet.<br />
Leistungsbewertung<br />
durch Honorarkräfte?<br />
Was einerseits als „kreativer Umgang“ bezeichnet<br />
wird, gestaltet sich andererseits als<br />
massives rechtliches und pädagogisches<br />
Problem in den Schulen. Honorarverträge<br />
sind keine Arbeitsverträge und durch sie werden<br />
somit auch keine Beschäftigungsverhältnisse<br />
begründet. Durch einen Honorarvertrag<br />
Unseren Toten<br />
zum Gedächtnis<br />
Wir werden ihr Andenken stets<br />
in Ehren halten.<br />
Gewerkschaft<br />
Erziehung und Wissenschaft<br />
Landesverband <strong>Niedersachsen</strong><br />
Friedrich Harre<br />
Bad Iburg<br />
geb. am 13.10.1921<br />
gest. am 16.09.2009<br />
Renate Wittholt<br />
Aurich<br />
geb. am 27.04.1952<br />
gest. am 07.10.2009<br />
Gotthard Schroeter<br />
Ahlerstedt<br />
geb. am 04.11.1925<br />
gest. am 09.10.2009<br />
Wolfhard Daniel<br />
Braunschweig<br />
geb. am 23.11.1940<br />
gest. am 12.10.2009<br />
Franz Traxler<br />
Aurich<br />
geb. am 08.03.1948<br />
gest. am 16.10.2009<br />
Hans-Heinrich Gerken<br />
Scheeßel<br />
geb. am 21.07.1944<br />
gest. am 04.11.2009<br />
wird kein Schuldverhältnis begründet, dass<br />
eine weisungsgebundene (Unterrichts-)Tätigkeit<br />
gegen ein entsprechendes Entgelt festlegt.<br />
Honorarbeschäftigte unterliegen damit<br />
keiner Weisungsgebundenheit durch die<br />
Schulleitung und sind freiberufliche oder<br />
selbstständig Tätige. Eine unterrichtende Tätigkeit<br />
in öffentlichen Schulen kann grundsätzlich<br />
jedoch nur in einer weisungsgebundenen<br />
Vertragsform durchgeführt werden –<br />
damit schließt sich der Einsatz von Honorarkräften<br />
im Unterricht absolut aus.<br />
Schulrechtlich eröffnen sich für den Einsatz<br />
von Honorarkräften weitere Ausschlussgründe.<br />
Schulnoten, die durch Honorarkräfte festgelegt<br />
oder beeinflusst wurden, sind rechtlich<br />
angreifbar, da diese Personen überhaupt<br />
nicht unterrichten und somit zwangsläufig<br />
auch nicht benoten dürfen. In der Praxis jedoch<br />
scheint das Problem an vielen Schulen<br />
nicht bekannt zu sein. Da wirken Honorarkräfte<br />
durch Schulnoten kräftig mit an Nichtversetzungen<br />
oder Schullaufbahnempfehlungen.<br />
Dies ist rechtlich absolut unhaltbar.<br />
Keine sozialversicherungspflichtige<br />
Tätigkeit – keine Tarifbindung<br />
Auch die Qualifikation der beschäftigten<br />
Honorarkräfte spielt nicht immer eine tragende<br />
Rolle bei der Auswahl. Es sind inzwischen<br />
u.a. Bankkauffrauen, Physiotherapeuten,<br />
Tischler, Sozialpädagogen, Musiker, Rhythmikerinnen<br />
und Künstler auf Honorarbasis an<br />
Schulen beschäftigt und voll mit ihren Wochenstunden<br />
im Unterricht eingesetzt. Damit<br />
ist auch eine Entwertung des Lehrerberufs<br />
und des jahrelangen<br />
Studiums verbunden.<br />
Häufig handelt es<br />
sich bei diesen Honorarverträgenobendrein<br />
nicht um geringfügige<br />
Beschäftigungen<br />
mit wenigen Wochenstunden,<br />
sondern um<br />
Verträge, die bis an eine<br />
Vollbeschäftigung heranreichen<br />
und zu Monatseinkommen<br />
von<br />
1300 bis 1500 Euro<br />
führen. Allerdings stellen<br />
diese Honorarverträge<br />
auch für die Betroffenen<br />
keine wirkliche<br />
Alternative dar und begründen<br />
prekäre Beschäftigungen.Honorarkräfte<br />
sind über<br />
die Verträge nicht sozialversichert.<br />
Es besteht<br />
keine Rentenversicherung,<br />
keine Krankenversicherung<br />
und keine Arbeitslosenversicherung.<br />
Für diese Absicherungen<br />
müssen die Honorarkräfte<br />
aus ihren<br />
Einkommen freiwillig<br />
und eigenständig selber sorgen. Tarifverträge<br />
haben für diese Personen ebenso keine Gültigkeit.<br />
Klare rechtliche Vorgaben und<br />
Handreichungen sind notwendig<br />
Die entsprechenden Erlasse und Handreichungen<br />
von Kultusministerium und Landesschulbehörde<br />
zu den Vertragsformen in<br />
Schulen sind bei der Bewertung von Honorarverträgen<br />
wenig hilfreich. Vieles deutet darauf<br />
hin, dass sowohl das Kultusministerium als<br />
auch die Landesschulbehörde das heiße Eisen<br />
des Einsatzes von Honorarkräften nicht<br />
anfassen wollen. Bisher gibt es keine Anzeichen,<br />
dass die grassierenden Vertragsprobleme<br />
grundsätzlich eingedämmt werden sollen.<br />
Vielleicht ist die Befürchtung zu groß, dass<br />
dann der tatsächliche Umfang der Probleme<br />
der Unterrichtsversorgung in den Schulen<br />
nach außen deutlich wird. Bisher ist kein entsprechender<br />
Handlungsansatz erkennbar.<br />
Dabei besteht hier dringender und umfassender<br />
Regelungs-bedarf.<br />
Es reicht nicht aus, wenn die Landesschulbehörde<br />
nur punktuell auf besonders eklatante<br />
Auswüchse bei den Honorarverträgen reagiert,<br />
sondern diese Vertragsform muss<br />
grundsätzlich durch klare Vorgaben sofort aus<br />
dem unterrichtsrelevanten Bereich verbannt<br />
werden. Sofern Vertretungspersonal in Schulen<br />
eingesetzt wird, muss es sich um fachlich<br />
ausgebildetes Lehrpersonal mit ordentlichen<br />
TV-L Verträgen handeln. Der Wildwuchs mit<br />
den Honorarverträgen muss sofort gestoppt<br />
werden. ENNO EMKEN<br />
NIEDERSACHSEN 11/2009
10<br />
Lehrerinnen und Lehrer sind wichtige Moderatoren und Unterstützer bei Projekten in Schulen.<br />
Sie kennen sich in allen Projektphasen aus.<br />
<strong>GEW</strong>-Workshop der Fachgruppe Gymnasien<br />
Projektmanagement<br />
leicht gemacht<br />
VON TANJA FÖHR<br />
Die Durchführung von<br />
Projekten gewinnt<br />
an Bedeutung für<br />
Schülerinnen und Schüler<br />
und bereitet sie auf die Arbeit<br />
im Beruf vor. Projektarbeit<br />
bietet jungen Menschen im Rahmen des<br />
Schullalltages die Möglichkeit, verstärkt Eigeninitiative,<br />
Engagement, Teamarbeit und Kreativität<br />
für konkrete Aufgabenstellung zu nutzen.<br />
20 Lehrerinnen und Lehrer aus Berufsschulen<br />
und Gymnasien kamen im Rahmen einer<br />
Veranstaltung der Fachgruppe Gymnasien<br />
nach Hannover und hatten folgende Fragen:<br />
Welche Methoden des Projektmanagements<br />
gibt es? Welche sind für Schüler geeignet?<br />
Wie machen wir Projekte an unserer Schule?<br />
In dem Seminar wurden die Grundlagen erarbeitet,<br />
vermittelt und diskutiert. Ein Schwerpunkt<br />
lag dabei auf den Methoden, die geeignet<br />
sind, um mit SchülerInnen zu arbeiten, Regeln<br />
auf zustellen, Ideen zu entwickeln und<br />
Konflikte zu lösen.<br />
Was zeichnet ein Projekt aus?<br />
1. eine zeitliche Begrenzung (Start- und Endtermin)<br />
2. eine klare Zielvorgabe, welche in den Dimensionen<br />
Zeit, Kosten und Qualität messbar<br />
ist<br />
3. klare Kostenvorgaben und begrenzte Ressourcen<br />
4. projektspezifische Organisation<br />
Welche Phasen gibt<br />
es in einem Projekt?<br />
1. Phase: Definition<br />
Diese Phase umfasst die Ideenfindung zu einem<br />
Thema bis zur Formulierung eines konkreten<br />
Projektauftrages und die Ernennung<br />
des Projektleiters.<br />
11/2009 NIEDERSACHSEN<br />
Als Methoden zur Ideenfindung<br />
wurden die Walt-Disney-Methode,<br />
ABC-Liste und viele andere<br />
vorgestellt.<br />
Wichtig ist dabei die<br />
konkrete Zielformulierung,<br />
der eine Auswahl<br />
vorausgegangen ist.<br />
Das Ziel sollte realistisch sein und<br />
klar und eindeutig für alle SchülerInnen<br />
sein. Die Kosten sollten schon in die<br />
Zielfindung mit einbezogen werden und natürlich<br />
auch der Termin, zu dem das Projekt fertig<br />
sein soll.<br />
2. Phase: Planung<br />
Die Projektplanung ist für das Projekt unabdingbar.<br />
Hier wird der Projektablauf schon einmal<br />
gedanklich vorweggenommen. Sie gibt<br />
die Sicherheit, später das Richtige zum richti-<br />
Fotos: Tanja Föhr<br />
TAGUNGEN<br />
gen Zeitpunkt zu tun. Ein Projektstrukturplan in<br />
Form eines Mind Maps oder eines Baumdiagramms<br />
verschafft allen einen guten<br />
Überblick. Kosten werden geplant, die Zeit<br />
eingeteilt, Verantwortungen abgegeben. Wer<br />
führt das Protokoll? Wer informiert wen, wann<br />
und wie? Wann werden Teambesprechungen<br />
gemacht? Wo werden die Protokolle und Zwischenergebnisse<br />
abgelegt? Welche Teilziele<br />
(Meilensteine) definieren wir? Wie gehen wir<br />
mit Konflikten um?<br />
3. Phase: Durchführung<br />
Während der Durchführung des Projektes<br />
koordiniert der Projektleiter alle Elemente des<br />
Projektes: Er ist der zentrale Ansprechpartner<br />
und hat den Überblick über den Projektstatus<br />
und trägt die Verantwortung für das Ergebnis.<br />
Er muss die ursprünglich geplante Durchführung<br />
und den aktuellen Projektverlauf abgleichen<br />
und bei Abweichungen eingreifen. Er<br />
muss sicherstellen, dass alle Beteiligten am<br />
Projekt ein Feedback bekommen und Problemen<br />
gelöst werden.<br />
4. Phase: Abschluss<br />
Jedes Projekt ist zeitlich begrenzt und hat<br />
daher ein klar definiertes Ende. Der Projektabschluss<br />
soll Gelegenheit geben in strukturierter<br />
Form eine Rückschau vorzunehmen. Durch<br />
ein erfolgreiches Projekt erfahren SchülerInnen<br />
Anerkennung und Motivation. Wertvolle Lernerfolge<br />
werden aber auch häufig gerade<br />
durch problematische Projekte erreicht.<br />
Ein Projektabschlussbericht gibt Rechenschaft<br />
über den Verlauf und den Erfolg des<br />
Projektes, eine Präsentation kann eine gelungene<br />
Abschlussveranstaltung sein, bei der<br />
man auch Erfolge feiern kann. Eine Evaluation<br />
kann wertvolle Hinweise geben, die in einem<br />
nächsten Projekt eingebaut werden könnten.<br />
Tanja Föhr, 43, arbeitet seit fünf Jahren im Innovationszentrum<br />
<strong>Niedersachsen</strong> GmbH als Kommunikations-<br />
und Bildungsexpertin und zusätzlich seit<br />
einem Jahr im Zukunfts- und Innovationsfonds<br />
<strong>Niedersachsen</strong> als Bildungsreferentin. Sie ist seit<br />
ca. zehn Jahren Projektleiterin für unterschiedliche<br />
Projekte, zudem Multiplikatorin für Bildung für<br />
Nachhaltige Entwicklung, Business Coach und<br />
promoviert derzeit zum Thema „Effizienz des Wissenstransfers<br />
auf Fachtagungen“.<br />
„Was soll am Ende als Ergebnis herauskommen? Können wir das in der Zeit schaffen?“ Mit<br />
solchen Fragen sollte die Zieldefinition überprüft werden. Die Hinterfragung des Ziels ist ein wichtiger<br />
Schritt vor der Planung der Maßnahmen.
SCHWIMMUNTERRICHT 11<br />
Schwimmen lernte Marie M.* erst mit 10<br />
Jahren. Sie war nicht sehr mutig und fürchtete<br />
sich vor Gewässern jeglicher Art. Im<br />
Schwimmunterricht der 4. Klasse kümmerte sich<br />
die Sportlehrerin um die übrigen 24 SchülerInnen,<br />
die alle schwimmen konnten. Marie übte allein<br />
im Nichtschwimmerbecken „Qualle – Gleiten“<br />
oder einfach nur, den Kopf für ein paar Sekunden<br />
unter Wasser zu halten.<br />
In den Jahren zuvor wurde sie von ihrer Mutter,<br />
selbst begeisterte Schwimmerin, in diverse<br />
Schwimmkurse geschickt. Vergebens – die dort<br />
angewandten Methoden, z.B. die am Beckenrand<br />
sitzenden Kinder überraschend ins Wasser<br />
zu schubsen, lehrten Marie noch mehr das<br />
Fürchten.<br />
Als sie aber im ersten Schulhalbjahr die Note 4<br />
im Zeugnis bekam (dagegen war die Sportzensur<br />
immer sehr gut), packte sie der sportliche Ehrgeiz,<br />
sie überwand ihre Angst und lernte<br />
Schwimmen. Jedoch blieben der Respekt vor<br />
dem Element Wasser und die Angst vorm Tauchen,<br />
denn niemand hatte der Schülerin gezeigt,<br />
wie sie diese Angst abbauen konnte.<br />
Da Marie schon immer eine begeisterte Sportlerin<br />
war und sie sich in fast allen bekannten<br />
Sportarten – bis auf Schwimmen – zu Hause fühlte,<br />
beschloss sie, Sport zu studieren, um Lehrerin<br />
zu werden.<br />
Diese fundierte pädagogische Ausbildung<br />
führte schließlich dazu, dass sie bis heute das<br />
Fach Schwimmen sehr gern unterrichtet. Aufgrund<br />
ihrer eigenen Erfahrungen, aber auch der<br />
im Studium erworbenen Methoden zum Angstabbau<br />
und Mutmachen legt sie stets besonderen<br />
Wert auf ein angstfreies Unterrichtsklima.<br />
Doch trotz aller methodischen Erfahrung und<br />
ihres großen Einfühlungsvermögens ist Marie M.<br />
nicht zufrieden. Denn sowohl durch den langen<br />
Anfahrtsweg von der Schule zum Schwimmbad<br />
und den anschließenden Rückweg als auch<br />
durch die Zeiten für das Umziehen und Duschen<br />
bleibt ihren SchülerInnen von jeder Doppelstunde<br />
nur maximal eine halbe Stunde effektive<br />
Schwimmzeit. Viel zu wenig für eine vernünftige<br />
Schwimmausbildung!<br />
Wie ist das obige Fallbeispiel nun einzuordnen<br />
oder anders gefragt: Wie können die aktuellen<br />
Bedingungen für den Schwimmunterricht beschrieben<br />
werden? Dazu ein Auszug aus dem<br />
niedersächsischen Schwimmerlass (SVBL<br />
1/2005 S.14) z.B. zur Anzahl der Aufsichtspersonen:<br />
„(...)In diesem Erfahrungs- und Lernfeld wird<br />
der Unterricht grundsätzlich von einer Lehrkraft<br />
erteilt. Umfasst die Lerngruppe in der Grundschule<br />
und in den Schuljahrgängen 5 und 6 mehr<br />
als 15 Schülerinnen und Schüler, muss eine weitere<br />
geeignete Aufsicht führende Person gemäß<br />
§62 Abs.2 NSchG eingesetzt werden (...)“.<br />
Was bedeutet das in der Realität? Wenn in einer<br />
weiterführenden Schule in Klasse 7 Schwimmen<br />
auf dem Stundenplan steht, muss eine<br />
Sportlehrkraft bis zu 33 SchülerInnen unterrichten,<br />
beaufsichtigen und im Auge behalten. Zusätzliche<br />
Stunden für eine weitere Aufsicht<br />
führende Person sieht die Stundentafel nicht vor.<br />
Stattdessen schreibt der Erlass für die Durchführung<br />
des Unterrichts den Lehrkräften folgen-<br />
Jeder fünfte Schüler hat keinen Zugang zu einem Schwimmbad. Immer mehr Bäder werden<br />
von den Kommunen geschlossen.<br />
Rahmenbedingungen an den Schulen unzumutbar<br />
Immer mehr Schüler können nicht schwimmen<br />
des Verhalten vor: „(...) Die Lehrkraft hat ihren<br />
Platz während des Unterrichts so zu wählen,<br />
dass sie alle im Wasser befindlichen Schülerinnen<br />
und Schüler sehen kann. Sie wird sich daher<br />
in der Regel außerhalb des Wassers aufhalten<br />
(...).“<br />
Wie soll das bei einer Gruppengröße von mehr<br />
als 30 Schülerinnen möglich sein?<br />
Für die NichtschwimmerInnen wird vorgeschlagen,<br />
dass sie möglichst „(...) in einer geschlossenen<br />
Lerngruppe zusammengefasst werden.<br />
Dies kann zur Herstellung einer vertretbaren<br />
Lerngruppenstärke auch klassen- oder schulformübergreifend<br />
erfolgen (...).“<br />
Zusätzliche Lehrerstunden gibt es dafür nicht.<br />
Zudem ist Letzteres in einem Schwimmbad, das<br />
auch für den öffentlichen Badebetrieb geöffnet<br />
hat, organisatorisch kaum leistbar.<br />
Unter diesen Bedingungen lehnen es zunehmend<br />
mehr Schulen und Lehrkräfte im Primarund<br />
Sekundarbereich ab, Schwimmen zu unterrichten.<br />
So auch die Schule von Marie M., denn<br />
die Vorgaben des Erlasses und die daraus resultierenden<br />
Risiken sind im Unterrichtsalltag so<br />
hoch, dass sie von einzelnen Sportlehrkräften<br />
trotz großen Engagements nicht erreicht bzw. getragen<br />
werden können.<br />
Muss es erst wieder zum Äußersten kommen<br />
und ein Kind während des Schwimmunterrichts<br />
ertrinken, damit der Erlass und seine unhaltbaren<br />
Bedingungen zurückgenommen werden? Die<br />
<strong>GEW</strong> fordert, dass das Kultusministerium sich<br />
seiner Verantwortung stellen und die Voraussetzungen<br />
schaffen muss, um einen verantwortungsvollen,<br />
den Kindern und Jugendlichen gerecht<br />
werdenden Schwimmunterricht zu ermöglichen.<br />
Ein erster Schritt in diese Richtung wäre eine<br />
Rückbesinnung auf die in der alten Fassung<br />
des Schwimmerlasses geltende Gruppenstärke<br />
von maximal 15 SchülerInnen pro Aufsichtsperson<br />
auch in den höheren Klassen der Sekundarstufe.<br />
Darüber hinaus führt die immer schlechter<br />
werdende Infrastruktur der niedersächsischen<br />
Kommunen dazu, dass viele Schulen keine<br />
Schwimmausbildung mehr anbieten können. So<br />
weist Kurt-Peter Christophersen in einem Artikel<br />
der Nordsee-Zeitung vom 10.07.2009 auf die<br />
Aussagen des Sprechers der Deutschen Lebens-<br />
Rettungsgesellschaft (DLRG) Martin Jannssen<br />
hin und kritisiert, dass in Deutschland 20 Prozent<br />
der SchülerInnen keinen Zugang zu Schwimm-<br />
bädern hätten und immer mehr Schwimmbäder<br />
von den Kommunen geschlossen würden.<br />
Während Marie M. das Glück hatte, dass<br />
während ihres Grundstudiums die Sportart<br />
Schwimmen für alle Studierenden verpflichtend<br />
war, kann heutzutage das Schwimmen abgewählt<br />
werden. Laut Aussage einer Mitarbeiterin<br />
des niedersächsischen Kultusministeriums wird<br />
eine spezifische Schwimmfachausbildung nicht<br />
für zwingend notwendig erachtet. In der Nordsee-Zeitung<br />
wird sie mit den Worten zitiert: „Jeder<br />
Sportlehrer kann auch Schwimmunterricht<br />
erteilen.“<br />
Wen wundert es da noch, wenn die Zahl der<br />
NichtschwimmerInnen bei den unter 18-Jährigen<br />
steigt? Christophersen beruft sich auf eine Studie,<br />
wonach bereits im Jahre 2004 fast 34 Prozent<br />
der Kinder und Jugendlichen nicht schwimmen<br />
konnten.<br />
Die <strong>GEW</strong> setzt sich seit Jahren dafür ein, dass<br />
umfassend ausgebildete Sportlehrkräfte den<br />
SchülerInnen in für alle Schulen erreichbaren<br />
Schwimmbädern das Schwimmen in kleinen<br />
Gruppen beibringen sollen.<br />
Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen ist<br />
die Gefahr einer Verletzung der Aufsichtspflicht<br />
und der z.T. dadurch bedingten Unfälle extrem<br />
groß. Die Sportlehrkräfte befinden sich in der<br />
Zwickmühle: Den SchülerInnen das Schwimmen<br />
beizubringen, ist enorm wichtig und kann in Einzelfällen<br />
lebensrettend sein. Wenn die Lehrkraft<br />
jedoch aufgrund der oben dargestellten strukturellen<br />
Defizite fast zwangsläufig ihre Aufsichtspflicht<br />
verletzt und womöglich einen schweren<br />
Unfall übersieht, kann sie das nicht nur den Job<br />
kosten. Sie wird in einem solchen Fall auch juristisch<br />
zur Verantwortung gezogen und kann dann<br />
aller Erfahrung nach nicht auf die Unterstützung<br />
ihres Dienstherrn hoffen.<br />
Dies sind unzumutbare Arbeits- und Lernbedingungen<br />
für alle Betroffenen!<br />
Die <strong>GEW</strong> fordert daher die Landesregierung<br />
auf, die lebensbedrohliche Situation für die<br />
wachsende Anzahl an nichtschwimmenden<br />
SchülerInnen endlich ernst zu nehmen und Abhilfe<br />
zu schaffen, indem sie den bestehenden Erlass<br />
überarbeitet und die Schulen mit den entsprechenden<br />
Rahmenbedingungen, gut ausgebildeten<br />
Fachlehrkräften und schulortnahen<br />
Schwimmbädern für einen erfolgsversprechenden<br />
Schwimmunterricht ausstattet. *(Name geändert,<br />
d. Red.) BIRTE CLASEN<br />
Foto: Joachim Tiemer<br />
NIEDERSACHSEN 11/2009
12<br />
VON HASSO ROSENTHAL<br />
Mit Vergleichstest überziehen die Kultusministerien<br />
unsere Schulen. Das<br />
ist fragwürdig, denn einem großen<br />
Aufwand von Seiten der Schulbehörde, der<br />
Kollegien und der Schüler steht ein mehr als<br />
fragwürdiger Nutzen gegenüber. Mit Hilfe<br />
der Evaluation wird allgemein bei einem<br />
pädagogischen Vorhaben das Verhältnis von<br />
angestrebten Zielen und den wirklich erreichten<br />
Erfolgen festgestellt. Dann wird entschieden,<br />
wie weiter verfahren werden soll.<br />
Ich stelle in Frage, ob die Zentraltests der<br />
Bundesländer und die bundesweit durchge-<br />
11/2009 NIEDERSACHSEN<br />
Eine kritische Auseinandersetzung mit den Vergleichstests<br />
Zentraltests messen alles Mögliche,<br />
aber keinen Leistungszuwachs<br />
Eine Schulklasse wird getestet. Dem großen Aufwand steht ein nur fragwürdiger Nutzen gegenüber.<br />
70 Jahre<br />
Siegbert Thomas (Grethem)<br />
03.11.1939<br />
Helmut Fullriede (Stolzenau)<br />
04.11.1939<br />
Klaus Tanski (Meerbeck)<br />
08.11.1939<br />
Isolde Gamperl (Visselhövede)<br />
12.11.1939<br />
Harald Pleitner (Oldenburg)<br />
13.11.1939<br />
Fritz Hesemann (Hambergen)<br />
15.11.1939<br />
Hartmut Ratzke (Veltheim)<br />
16.11.1939<br />
Unsere Jubilare im November<br />
Die <strong>GEW</strong> gratuliert<br />
Ursula Wais (Nottensdorf)<br />
18.11.1939<br />
Margarete Bunk<br />
(Braunschweig), 21.11.1939<br />
Dorothee Pfennig (Hannover)<br />
21.11.1939<br />
Heinz Meyer (Winsen)<br />
23.11.1939<br />
Dietmar Seeck (Emden)<br />
25.11.1939<br />
Fritz Hüser (Springe)<br />
26.11.1939<br />
Johannes Kolb (Hildesheim)<br />
29.11.1939<br />
führten VERA-Tests diesen Kriterien genügen.<br />
1. Heuristische Sichtweise<br />
Nach den Ergebnissen der PISA-Untersuchung<br />
ging man fraglos von einer minderen<br />
Leistungsqualität des deutschen Schulsystems<br />
aus. Dabei passte man sich den im Bolognaprozess<br />
genannten Standards an, ohne<br />
zu hinterfragen, warum zum Beispiel die Leistungen<br />
der hiesigen Facharbeiter und Ingenieure<br />
in ihren Unternehmen dazu beigetragen<br />
haben, dass die Bundesrepublik Exportweltmeister<br />
hat werden können. Leistungen, die<br />
auf der Grundlage des Schul- und Berufsbildungssystems<br />
sich entwickeln konnten.<br />
75 Jahre<br />
Wolfgang Ittmann (Hannover)<br />
04.11.1934<br />
Rosemarie Rohde (Wolfsburg)<br />
09.11.1934<br />
Sigrid Henjes (Barsinghausen)<br />
18.11.1934<br />
Klaus Johanns (Oldenburg)<br />
18.11.1934<br />
Hannelore Selker<br />
(Bad Bentheim)<br />
20.11.1934<br />
Dieter Boenkemeyer<br />
(Bramsche), 21.11.1934<br />
Foto: Peter Mielke<br />
TESTS<br />
Die Deutung der PISA-Ergebnisse wurden<br />
also ohne die Hinterfragung der besonderen<br />
Leistungen der bisherigen Allgemeinbildung<br />
verwendet, um das Bildungssystem mit von<br />
der KMK vorgegebenen Kernkompetenzen<br />
und einem Netz von Überprüfungsrastern und<br />
Kontrollmechanismen umzubauen. Dabei<br />
wurde wenig Rücksicht auf die bisherigen<br />
durchaus erfolgreichen Traditionen dezentral<br />
funktionierender Leistungsentwicklung und<br />
Leistungskontrolle - fußend auf den alten<br />
Rahmenrichtlinien - genommen.<br />
Die niedersächsische Schulentwicklung ist<br />
z.B. durch folgende Probleme gekennzeichnet:<br />
– Rückbau der gemeinsamen Schulbesuchszeit<br />
– Ausbau der Kontrollsysteme<br />
– Ausweitung autoritärer Strukturen<br />
– Abbau der Mitgestaltungsmöglichkeiten der<br />
Lehrer<br />
– Zentralisierung der schulübergreifenden<br />
Schulaufsicht (Landesschulbehörde)<br />
– schärfere Selektion der Schülerschaft<br />
– Verschlechterung des Berufsbildungswesens<br />
– Abschaffung der Landeszentrale für politische<br />
Bildung<br />
– Ausbau eines zentralen Schulinspektorensystems<br />
und Abbau der dezentralen schulinternen<br />
und regionalen Evaluation<br />
– Rückbau der Fördermöglichkeiten durch<br />
prekäre Arbeitsverhältnisse in den „Verlässlichen<br />
Grundschulen“<br />
– Outputorientierung durch die Standards im<br />
Gegensatz zur Prozessorientierung der alten<br />
Richtlinien.<br />
Fraglich ist auch, inwieweit bei den Tests<br />
der Sinnhorizont hinterfragt wird, den die Entwickler<br />
den Testbatterien zugrunde legen. Die<br />
kulturelle Bandbreite einer in Jahrzehnten<br />
Otto Poguntke (Gifhorn)<br />
21.11.1934<br />
Horst Nespethal (Oldenburg)<br />
22.11.1934<br />
Renate Gall (Uplengen)<br />
23.11.1934<br />
Joachim Hensel<br />
(Bad Rothenfelde), 23.11.1934<br />
Hartmut Braun<br />
(Hohenhameln), 24.11.1934<br />
Peter Winschewski<br />
(Süpplingen), 30.11.1934<br />
80 Jahre<br />
Ursula Braul (Lehrte)<br />
01.11.1929<br />
85 Jahre<br />
Hans Benedix (Celle)<br />
01.11.1924<br />
Gerda Hauptmann<br />
(Wilhelmshaven), 16.11.1924<br />
Heinz Metasch (Rastede)<br />
16.11.1924<br />
86 Jahre<br />
Werner Böhnke (Buxtehude)<br />
09.11.1923<br />
Wilhelm Thies (Hannover)<br />
24.11.1923<br />
87 Jahre<br />
Martin Kunze (Northeim)<br />
10.11.1922<br />
88 Jahre<br />
Sophie Haarmann (Bramsche)<br />
15.11.1921<br />
Rudolf Bruenig<br />
(Braunschweig), 23.11.1921<br />
89 Jahre<br />
Emil Springer (Hannover)<br />
09.11.1920<br />
Joachim Kempe (Hemmingen)<br />
27.11.1920<br />
90 Jahre<br />
Heinz Kerl (Einbeck)<br />
28.11.1919
TESTS 13<br />
entwickelten Lehr- und Lernkultur wird ohne<br />
Not gebrochen und mit der vorliegenden<br />
Form der Tests auf ein vermindertes Spektrum<br />
heruntergesetzt. Die Bewertungsschemata<br />
scheinen von vorbestimmten Fragestellungen<br />
des Untersuchungsgegenstands auszugehen<br />
und können nur Ergebnisse innerhalb<br />
bestehender Deutungsmuster liefern.<br />
2. Sichtweise vergleichender Verfahren<br />
Vergleichende Verfahren beschäftigen sich<br />
mit regionalen, nationalen und internationalen<br />
Vergleichen. Gegenstand der Untersuchungen<br />
sind jahrgangsbezogen verschiedene<br />
Schularten, Lehrpläne, Standards und Methoden.<br />
Doch die Methodenvielfalt der Schulen,<br />
die je zeitlich verschieden schrittigen realen<br />
Umsetzungen der Curricula machen Vergleichstests<br />
zumindest vor den Abschlusstests<br />
besonders fragwürdig.<br />
Bei der Bewertung<br />
der Tests darf man sich<br />
normalerweise nicht auf<br />
die Differenz messbarer<br />
Größen beschränken,<br />
sondern muss andere<br />
Variablen bei allen Testformen<br />
wie die soziale<br />
Struktur der jeweiligen<br />
Klasse, der Schule, des<br />
Ortes, kulturelle Besonderheiten<br />
der Schüler<br />
und vieles Andere mehr<br />
in Betracht ziehen. Das<br />
findet bei allen Zentraltests<br />
nicht statt. Diese<br />
sind vom Vorgehen her,<br />
mit dem alle über einen<br />
Kamm geschoren werden<br />
sollen, auch nicht<br />
vorgesehen.<br />
Alternativ wären deregulierte<br />
und dezentrale<br />
schulspezifische Tests<br />
denkbar, die den Vorteil<br />
hätten, dass den Fachlehrern<br />
für den Förderund<br />
Forderaspekt schülerspezifische Handreichungen<br />
gegeben werden könnten, um<br />
festgestellte Defizite aufzuarbeiten. Das Problem<br />
unseres Schulsystems ist, dass es eine<br />
administrativ, personell und materiell entwickelte<br />
Förderkultur kaum gibt. Damit sind<br />
nicht die schulintern durchaus vorhandenen,<br />
mit viel Arbeit entwickelten Förderkonzepte<br />
und Materialien gemeint, sondern die fehlende<br />
Unterstützung durch die Landespolitik.<br />
3. Sichtweise quantitativer Verfahren<br />
Mit Längsschnittstudien werden mehrere<br />
aufeinander folgende Erhebungsphasen derselben<br />
Untersuchungsgruppen angesetzt.<br />
Dies ist bei den PISA-Erhebungen unmöglich,<br />
da jeweils unterschiedliche Versuchsgruppen<br />
evaluiert werden. Das Verfahren der an Standards<br />
orientierten, zentral gesteuerten Tests<br />
setzt als Parameter voraus, dass vergleichbare<br />
Kernkompetenzen über Jahre hinaus in unterschiedlichen<br />
gleichaltrigen Testgruppen an<br />
sich vergleichbar sind. Bei der Auswertung<br />
dies vorausgesetzt, werden zentrale Tendenzen<br />
und Extremwerte festgestellt, die bundes-<br />
(VERA) und landesspezifisch (Abschlusstests)<br />
ausgewertet werden. Dabei<br />
wird mit den Korrelationsanalysen untersucht,<br />
ob auffällige Ergebnisse signifikant vom stati-<br />
stischen Mittelwert abweichen. Mit der Faktorenanalyse<br />
wird versucht, von der Korrelation<br />
unterschiedlicher Werte auf gemeinsam zugrunde<br />
liegende Faktoren zu schließen. Erst<br />
wird also eine Vergleichbarkeit (falsch) vorausgesetzt,<br />
dann werden die Ergebnisse für<br />
die Normsetzung interpretiert.<br />
Problem ist dabei, dass die KMK und die einzelnen<br />
Ministerialbürokratien die Ergebnisse<br />
nutzen, um das Schulsystem mit ganzen Batterien<br />
von Maßnahmen zu überziehen, ohne<br />
– eine Ergebnisrelevanzanalyse vollzogen zu<br />
haben,<br />
– die gewachsenen Strukturen auf Bildungsbedeutsamkeit<br />
untersucht zu haben,<br />
– die relative Unzuverlässigkeit der Ergebnisse<br />
(siehe 4.) zu hinterfragen.<br />
Damit verbunden ist ein kontraproduktiver<br />
Druck auf alle Teile der Schulsysteme, der ei-<br />
ne wirkliche, immer notwendige Verbesserung<br />
behindert.<br />
4. Sichtweise qualitativer Verfahren<br />
In der empirischen Forschung gehört zur<br />
Interpretation der Daten ein umfassendes<br />
Kontextwissen. Dazu gehört die Regel der<br />
Einbeziehung der Lebenswelten der untersuchten<br />
Gruppe. Ist das geschehen, erfolgt<br />
normalerweise eine Reduktion der Untersuchung<br />
auf Grundaussagen und eine Einordnung<br />
der Ergebnisse auf einer Werteskala.<br />
Bei der Auswertung der Ergebnisse in der<br />
qualitativen Forschung geht es darum, die<br />
normativen Setzungen der Untersuchten zu<br />
erfassen bei Bewahrung ihrer Individualität.<br />
Ergebnisse sollten Kernkompetenzen und<br />
Schlüsselqualifikationen sein, die die<br />
Grundlage der Theorie eines normativen<br />
Handelns in Richtung auf eine anzuzielende<br />
Verbesserung festgestellter Defizite bilden<br />
sollen.<br />
Das ist weder bei VERA noch bei Abschlusstests<br />
vorgesehen. Es würde voraussetzen,<br />
dass schulintern dezentral und individuell<br />
verifizierbar Ergebnisse in konkrete Förderprogramme<br />
umgesetzt werden können.<br />
Stattdessen werden unterschiedlichste<br />
pädagogische Konzepte ausgegrenzt für<br />
fragwürdige von der KMK und den Ministerialbürokratien<br />
vorgegebene einheitliche Regelsysteme.<br />
5. Konsequenzen<br />
Bei der Durchführung der Forderungen des<br />
Bolognaprozesses und der Umsetzung der<br />
Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen der<br />
PISA-Studie sind die Landesregierungen einem<br />
rein politischen und ökonomischen<br />
Nützlichkeitskonzept gefolgt, ohne in allen<br />
Bereichen die institutionelle soziale Geschichte<br />
der Bildungsbereiche zu berücksichtigen.<br />
„Wo es eigentlich um die Vermittlung<br />
und Erarbeitung von Bildungsinhalten gehen<br />
sollte, verschwenden Schüler und Lehrer ihre<br />
Energien mit überbordender Verwaltungsarbeit.“<br />
Auf der Strecke bleibt die Vielfalt einer unangepassten<br />
Bildung, die ein Erfolgsmodell<br />
für individuell starke<br />
Facharbeiter und Ingenieure<br />
war. Fragt<br />
man IHK - und Gewerkschaftsvertreter,<br />
wie man am Besten<br />
die erfolgreiche Industriekultur<br />
- getragen<br />
von den in ihr Arbeitenden<br />
- behindern<br />
kann, dann<br />
kann man durchaus<br />
hören: „Bolognaprozess!“<br />
Ursache ist der Irrglaube,<br />
dass man<br />
die Qualität von Bildung<br />
verbessern<br />
könne, indem man<br />
administrativ an der<br />
Schulwirklichkeit<br />
vorbei Bildungsabschlüsse<br />
neu kategorisieren<br />
könne.<br />
Dazu gehört die seltsame<br />
Anhäufung von<br />
Reglementierungen<br />
und Modularisierungen, die den Begriff der<br />
Allgemeinbildung ad absurdum führen. Begriffe<br />
wie Weltwissen, Solidarität, Kontroverse,<br />
Vielfalt und gesellschaftliche Verantwortung<br />
spielen da keine Rolle.<br />
Sinn macht eigentlich nur eine vollständige<br />
Abschaffung der Zentraltest. Stattdessen<br />
könnten zentral entwickelte, jahrgangs-,<br />
schulform- und fachbezogene Jahrestests<br />
schulintern durchgeführt und ohne zentralistische<br />
Ermittlungssysteme ausgewertet hilfreich<br />
sein. Dazu müssten umfangreiche jahrgangs-,<br />
schulform- und fachbezogene Fördermaterialien<br />
an allen Schulen zur Verfügung<br />
gestellt werden.<br />
Fragt man, ob mit Hilfe der Evaluation<br />
durch Zentraltests pädagogischer Vorhaben<br />
das Verhältnis von angestrebten Zielen und<br />
wirklich erreichten Erfolgen festgestellt<br />
wird, so kann man diese Frage nur verneinen.<br />
Zentraltests fügen pädagogischen Prozessen<br />
Schaden zu, behindern die Leistungsentwicklung<br />
der Schülerinnen und Schüler,<br />
sind kontraproduktiv bei differenzierten Vorhaben.<br />
Sie messen alles Mögliche, aber keine<br />
Leistungszuwächse. Sie gehören abgeschafft.<br />
NIEDERSACHSEN 11/2009
14<br />
Eine Studie aus dem Jahr 2009 der Gemeinnützigen<br />
Gesellschaft Gesamtschulen<br />
(GGG) und des Schulleitungsverbandes<br />
Gesamtschulen (SLVGE) in Nordrhein-Westfalen<br />
erbrachte hoch interessante<br />
Ergebnisse. 70,5 Prozent der Abiturienten/innen<br />
an den Gesamtschulen in NRW hatten,<br />
als sie die Grundschule verließen, keine Empfehlung<br />
für den Besuch des Gymnasiums. Sie<br />
haben dennoch das Abitur erfolgreich bestanden.<br />
Diese Jugendlichen machten also<br />
entgegen der Prognose das Abitur.<br />
Im Durchschnitt haben an den NRW-Schulen<br />
25,9 Prozent der Schüler/innen einen Migrationshintergrund,<br />
an den Gymnasien beträgt<br />
der Anteil 14,0 Prozent. In der o.g. Untersuchung<br />
wurde festgestellt, dass der Anteil<br />
der Schüler/innen mit Migrationshintergrund,<br />
die 2009 an den Gesamtschulen den 13.<br />
Jahrgang besuchten, bei 34,7 Prozent lag.<br />
32,4 Prozent der 2009 befragten Schüler/innen<br />
sind im Jahrgang 11 von der Haupt-<br />
oder Realschule in die gymnasiale Oberstufe<br />
der Gesamtschulen gewechselt. Für diese<br />
Schüler/innen bietet die Gesamtschule die<br />
Möglichkeit, in der gymnasialen Oberstufe einer<br />
allgemein bildenden Schulform ein nach<br />
landesweiten Standards vergleichbares<br />
Abitur zu erwerben. Wohlgemerkt: Die Abiturienten/innen<br />
der Gesamtschulen haben<br />
dasselbe zentrale Abitur absolviert wie die<br />
Abiturienten/innen an den Gymnasien.<br />
Aus den vorgelegten Daten lässt sich die<br />
überdurchschnittliche Leistung der Oberstufen<br />
an Gesamtschulen in NRW zur Förderung<br />
von weitergehenden Bildungskarrieren<br />
erneut und detailliert belegen, kommentieren<br />
Keine Empfehlung für den Besuch des Gymnasiums und dennoch das Abitur gemacht. Das<br />
ist das Ergebnis einer aktuellen Studie in NRW.<br />
Verzerrte Grundschulempfehlungen oder erfolgreiche Gesamtschule oder beides?<br />
Untersuchung aus NRW bestätigt<br />
Leistungen der Gesamtschulen<br />
die Verfasser der Studie. „Dabei ist die Heterogenität<br />
der Schülerpopulation an Gesamtschulen<br />
die Grundlage, nicht der Hinderungsgrund<br />
für den Erfolg.“ Weiterhin sei<br />
die Fragwürdigkeit von Schulformprognosen<br />
am Ende der vierten Grundschulklasse<br />
durch die Arbeit der Gesamtschulen aktuell<br />
bestätigt worden.<br />
GGG und SLVGE NRW leiten aus der Studie<br />
u. a. folgende Forderungen ab:<br />
• Das Konzept G 9 (13 Jahre bis zum<br />
Abitur) ist unabdingbar, um alle Ressourcen<br />
bei Schülern/innen zu höherwertigen<br />
Schulabschlüssen zu aktivieren und zu fördern.<br />
65. Pädagogische Woche in Cuxhaven<br />
Großes Engagement der Lehrkräfte<br />
bei Fortbildung zu Heterogenität<br />
Annegret Sloot, Bezirksvorsitzende der<br />
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft<br />
Lüneburg, konnte bei der Eröffnung<br />
der traditionsreichsten Lehrerfortbildung<br />
in <strong>Niedersachsen</strong> eine steigende Anzahl<br />
von Lehrkräften begrüßen. In Cuxhaven-Duhnen<br />
sprachen Vertreter aller Landtagsfraktionen<br />
der <strong>GEW</strong> ihre Anerkennung für ihr Engagement<br />
in der Fortbildung aus, das 1930 begründet,<br />
von den Nazis verboten und seit<br />
1948 weitergeführt wurde. Alle Kultusminister<br />
haben seitdem die Duhner Woche unterstützt.<br />
Der bildungspolitische Sprecher der CDU-<br />
Landtagsfraktion Dr. Karl-Ludwig von Danwitz<br />
fand herzliche Worte, um das profunde<br />
Fortbildungsprogramm und das herausragende<br />
Engagement der Lehrerinnen und Lehrer<br />
11/2009 NIEDERSACHSEN<br />
zu würdigen. Die großen Anmeldungszahlen<br />
zu den vielfältigen Angeboten zeigten, wie<br />
groß der Bedarf an Fortbildung ist. Es sei erforderlich,<br />
das staatliche Angebot zu erweitern.<br />
Von Danwitz versprach, das Land arbeite<br />
daran, ja, diese Aufgabe habe Priorität.<br />
Der <strong>GEW</strong>-Landesvorsitzende Eberhard<br />
Brandt nahm diese Ankündigung in Cuxhaven<br />
erfreut auf. „Ich bin allerdings verwundert,<br />
dass der CDU-Abgeordnete Biallas den alten<br />
Konfrontationskurs gegen die <strong>GEW</strong> fortsetzt.<br />
Nichts anderes bedeutet doch seine polemische<br />
Presseerklärung, in der er das Engagement<br />
der <strong>GEW</strong> für eine bessere Personalversorgung<br />
der Schulen gegen ihr Engagement<br />
in der Cuxhavener Woche ausspielt. Ich denke,<br />
die Zeit der Konfrontation sollte endlich<br />
vorbei sein.“<br />
GESAMTSCHULE<br />
• Verbindlicher Ganztag ist für erfolgreiches<br />
Lernen auch in der Sek II unabdingbar.<br />
• Neugründungen von Gesamtschulen<br />
müssen Ganztagsschulen mit fachlicher Förderung<br />
in Sek I und Sek II sein.<br />
• Der Elternwille ist ernst zu nehmen. Bei<br />
der zukünftigen Schulentwicklungsplanung<br />
sind die Forderungen nach durchlässigen, integrierten<br />
Schulformen, Ganztag und individueller<br />
Förderung als Leitlinie umzusetzen.<br />
Die Untersuchung aus NRW nahmen sieben<br />
SPD-Abgeordnete des Niedersächsischen<br />
Landtags Anfang September zum Anlass,<br />
in einer Kleinen Anfrage nachzufragen,<br />
wie viele Schüler/innen in <strong>Niedersachsen</strong><br />
das Abitur trotz fehlender gymnasialer Empfehlung<br />
geschafft hätten (Drucksache<br />
16/1705).<br />
Unmittelbar vergleichende Aussagen könnten<br />
nicht gemacht werden, heißt es in der<br />
Antwort der Landesregierung vom 23. September,<br />
da die niedersächsische Schulstatistik<br />
keine Aussagen möglich mache, die auf<br />
den einzelnen Schüler bezogen werden könnten.<br />
„Die Schulstatistik des Niedersächsischen<br />
Kultusministeriums hat nicht das Ziel<br />
der Schaffung des ‚gläsernen Schülers’, sondern<br />
dient allein der Sicherstellung der gleichmäßigen<br />
Verteilung der zur Verfügung stehenden<br />
Ressourcen und deren angemessener<br />
Verwendung.“<br />
Es bleibt das Geheimnis der Landesregierung,<br />
was eine anonyme Untersuchung des<br />
Schulerfolgs von Schülern/innen zu tun haben<br />
soll mit der Schaffung des „gläsernen<br />
Schülers“. Vielleicht gibt es andere Gründe<br />
dafür, solche Untersuchungen nicht durchzuführen.<br />
Einzelheiten und Daten zur Untersuchung<br />
aus NRW finden Interessierte unter:<br />
http://www.ggg-nrw.de/PM-PDF/SLVGE-<br />
GGG-NRW+090813+PM_GE-Abitur.pdf<br />
HENNER SAUERLAND<br />
Foto: Sven Simon / imago
AUS ANDEREN <strong>GEW</strong>-LANDESVERBÄNDEN 15<br />
Die <strong>GEW</strong> Hamburg hat am 24. September<br />
2009 mit 2.500 PädagogInnen, die älter<br />
als 50 sind – davon über 80 Prozent<br />
Beamtinnen und Beamte –, den größten<br />
Streiktag an Hamburgs Schulen seit über 20<br />
Jahren durchgeführt. Dieser Streik war der<br />
vorläufige Höhepunkt einer zweijährigen Kampagne,<br />
in deren Verlauf bereits im November<br />
2008 und im April 2009 jeweils mehrere Tausend<br />
KollegInnen vormittags während der<br />
Schulzeit zu Demonstrationen und Kundgebungen<br />
zusammen gekommen waren.<br />
Die Geduld unserer Kolleginnen und Kollegen<br />
ist am Ende. Die Argumente für Alterentlastung<br />
und Altersteilzeit haben wir wieder und<br />
wieder in die Stadt getragen:<br />
55 Prozent der Kolleginnen und Kollegen<br />
sind älter als 50 und sie arbeiten heute länger<br />
als je zuvor. Die Hälfte aller Lehrkräfte ist inzwischen<br />
in Teilzeit, weil eine volle Stelle für<br />
viele nicht auszuhalten ist, wenn sie gesund in<br />
den Ruhestand kommen wollen. Hamburg ist<br />
das einzige Bundesland, das weder Alterteilzeit<br />
noch Alterentlastung für seine Lehrkräfte<br />
hat. Hamburg hat die längsten Arbeitzeiten<br />
der gesamten Bundesrepublik. Damit alle gesund<br />
in den Ruhestand kommen können, ist<br />
eine Altersentlastung dringend und sofort<br />
nötig. Wir haben zu wenig junge Lehrer<br />
Und wir haben zu wenig junge Menschen in<br />
Ausbildung für den Lehrerberuf.<br />
Im „Hamburger Abendblatt“ haben 68 Prozent<br />
der Leserinnen und Leser den Aufruf der<br />
<strong>GEW</strong> zum Streik für Altersentlastung älterer<br />
Lehrkräfte für richtig gehalten. Die Elternkammer,<br />
die Bildungspolitiker aus CDU, Linker,<br />
SPD und GAL, halten unsere Forderungen für<br />
gerechtfertigt. Die Bürgerschaftsfraktion der<br />
LINKEN hat einen Antrag in die Bürgerschaft<br />
eingebracht, in der sie die Wiedereinführung<br />
der 2004 abgeschafften Altersteilzeit und der<br />
2001 abgeschafften Altersentlastung für Lehrer<br />
und Lehrerinnen fordert. Lehrkräfte über 55<br />
Jahre sollen danach eine Unterrichtsstunde<br />
weniger, die über 60-Jährigen zwei Unterrichtsstunden<br />
weniger arbeiten müssen. Die<br />
Debatte im Parlament hat gezeigt, dass alle<br />
Fraktionen verstanden haben, dass es nicht<br />
so weitergehen kann wie bisher.<br />
Zustimmung aus<br />
der Bevölkerung<br />
Unsere Urabstimmung in den Schulen zur<br />
Arbeitsniederlegung für unsere Forderungen<br />
hat ein großartiges Ergebnis von fast 90 Prozent<br />
Ja-Stimmen gebracht. Dies war der erste<br />
große Streik der <strong>GEW</strong> Hamburg seit 1988.<br />
Viele waren schon damals dabei – wir alle<br />
wissen, was es heißt, wenn Beamte und Angestellte<br />
in Hamburgs Schuldienst streiken.<br />
Wir wissen, dass viel Mut zu einem solchen<br />
Schritt gehört und wir haben es uns nicht<br />
leicht gemacht. Dass so zahlreich gestreikt<br />
wurde, liegt daran, dass die Wut und<br />
Empörung über die arrogante Machtpolitik der<br />
Regierung und deren Ignoranz gegenüber unseren<br />
Belangen viel größer sind als die Angst<br />
vor Repressalien.<br />
Wir setzen damit auch ein Zeichen dafür,<br />
dass sich auch Beamte und Staatsdiener<br />
nicht einschüchtern lassen. Es entspricht<br />
nicht mehr einer modernen, offenen Gesellschaft<br />
des 21. Jahrhunderts, sondern dem<br />
obrigkeitsstaatlichen Verständnis preußischer<br />
Höhepunkt einer zweijährigen Kampagne der <strong>GEW</strong> Hamburg. 2500 Kolleginnen und Kollegen<br />
über 50 legten die Arbeit nieder und traten Ende September in den Streik.<br />
2.500 Hamburger Kolleginnen und Kollegen beteiligt<br />
Streik für Altersentlastung<br />
Beamtenkultur aus dem 19. Jahrhundert,<br />
wenn in dieser Stadt ernsthaft über die Legalität<br />
und Legitimität von Streiks von Beamten<br />
geredet wird. Auch Beamte sind heute keine<br />
Bittsteller mehr, deren Arbeitsbedingungen<br />
ohne Mitsprache und Beteiligung vom<br />
Dienstherrn geregelt werden, sondern selbstbewusste<br />
Verhandlungspartner – und zu Verhandlungen<br />
gehören Druckmittel, für uns Beschäftigte<br />
der Streik.<br />
90 Prozent votieren bei<br />
der Urabstimmung mit ja<br />
Das ist übrigens im europäischen Recht<br />
weitgehend anerkannt. Beamtenstreik passe<br />
nicht in die Landschaft, wird von interessierter<br />
Stelle behauptet, schließlich sollten wir froh<br />
sein, einen krisensicheren Arbeitsplatz zu haben.<br />
Aber was nutzt uns ein unkündbarer Arbeitsplatz,<br />
wenn ihn immer weniger von uns in<br />
Vollzeit ausfüllen können, wenn immer mehr<br />
von uns dabei krank werden und den Ruhestand<br />
nicht gesund erreichen? Sollen wir das<br />
widerstandslos hinnehmen im Vertrauen auf<br />
die Fürsorgepflicht des Dienstherrn?<br />
Diese Fürsorgepflicht hat der Dienstherr<br />
permanent verletzt – deshalb ist diese Arbeitsniederlegung<br />
als Notwehrmaßnahme gerechtfertigt.<br />
Im Übrigen haben wir nicht nur für unsere<br />
eigenen Interessen gestreikt, sondern dafür,<br />
dass mehr junge Lehrkräfte eine Chance auf<br />
einen Job erhalten, und vor allem auch, damit<br />
ausreichend viele Lehrer an die Schulen kommen,<br />
die Zeit für die individuelle Förderung ihrer<br />
Schülerinnen und Schüler haben, statt abgehetzt,<br />
gestresst und krank immer mehr Unterrichtsstunden<br />
zu erteilen.<br />
Wir begannen um 9:00 Uhr mit einem<br />
Streikfrühstück und einer Streikversammlung<br />
im Hauptgebäude der Uni Hamburg. Schon<br />
da hörten mehr als 1.000 TeilnehmerInnen<br />
mitreißende Reden von Klaus Bullan, Ilse<br />
Schaad und Heinz-Josef Bontrup. Besondere<br />
Empörung kam auf der Versammlung immer<br />
dann auf, wenn aus dem Bildungsbericht der<br />
Behörde zitiert wurde: So steht dort z.B., dass<br />
die Lehrkräfte in Hamburg seit Einführung des<br />
Arbeitszeitmodells immer weniger Unterrichtsstunden<br />
geben. Zynischer und ignoranter<br />
kann man den gestiegenen Belastungen<br />
der Beschäftigten kaum entgegentreten.<br />
Nach der Versammlung stießen weitere<br />
Streikende auf der Moorweide dazu, so dass<br />
wir mit insgesamt 2.500 KollegInnen zu einer<br />
machtvollen Demonstration zur Finanzbehörde<br />
am Gänsemarkt aufbrachen.<br />
Alte entlasten, Junge einstellen, das ist das<br />
Motto der <strong>GEW</strong> Hamburg und mit dieser Forderung<br />
treten wir der Regierung mit all unserer<br />
Kraft entgegen.<br />
Beamte und Staatsdiener lassen<br />
sich nicht mehr einschüchtern<br />
Die Regierung spielt auf Zeit: Wenn die alten<br />
Kollegen und Kolleginnen die Schulen verlassen<br />
haben, wird – so ihre Hoffnung – der<br />
Ruf nach Altersentlastung leiser oder zumindest<br />
billiger zu verwirklichen – und wenn der<br />
selbstverursachte Mangel an jungen ausgebildeten<br />
Lehrkräften da ist, dann kann man ja<br />
nicht mehr so viele einstellen. Das Zeitfenster,<br />
um unsere Forderungen durchzusetzen, ist<br />
nur noch wenige Jahre geöffnet, wir brauchen<br />
die Entlastungen alter Lehrkräfte und die Einstellung<br />
junger jetzt – und zwar sofort. Wir<br />
werden deshalb weiter machen.<br />
Zu der Urabstimmung waren alle KollegInnen<br />
an den Schulen aufgerufen. 90 Prozent<br />
haben zugestimmt, Kampfmaßnahmen für unsere<br />
Forderrungen zu ergreifen. Sollte der Senat<br />
nicht einlenken, werden wir beim nächsten<br />
Mal alle KollegInnen – auch die unter 50 – zu<br />
einem flächendeckenden Streik in Hamburg<br />
aufrufen.<br />
Die Kampfbereitschaft unserer Mitglieder,<br />
aber auch ihre Erwartung gegenüber der Regierung,<br />
ist hoch. -kb<br />
Foto: Jochen Geffers<br />
NIEDERSACHSEN 11/2009
18<br />
Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen hat Auswirkungen auf das niedersächsische<br />
Schulsystem. Als Referenten hatte der <strong>GEW</strong>-Bezirksverband Lüneburg Ministerialrat Peter<br />
Wachtel eingeladen.<br />
Treffen der Schulleiter im <strong>GEW</strong>-Bezirksverband Lüneburg<br />
Inklusion als<br />
zentrales Thema<br />
„Welche Auswirkungen kann die UN-Konvention<br />
über die Rechte von Menschen mit Behinderungen<br />
auf das Schulsystem in <strong>Niedersachsen</strong><br />
haben?“ Zu diesem Thema referierte<br />
Dr. Peter Wachtel, Ministerialrat im Kultusministerium,<br />
vor 50 <strong>GEW</strong>-SchulleiterInnen aus<br />
dem <strong>GEW</strong>-Bezirksverband Lüneburg in Jeddingen.<br />
Auf Einladung der Bezirksvorsitzenden<br />
Annegret Sloot finden seit vielen Jahren regelmäßig<br />
Treffen für <strong>GEW</strong>-Schulleitungen aller<br />
Schulformen statt, bei denen es zumeist um<br />
aktuelle bildungs- und schulpolitische Fragen<br />
geht.<br />
UN-Konvention über die Rechte<br />
von Menschen mit Behinderungen<br />
Diesmal ging es um die Inklusion, um die<br />
Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an<br />
der Gesellschaft und z.B. am Besuch einer allgemein<br />
bildenden Schule. Da dieses Thema<br />
auch Auswirkungen auf die Lehrerbildung haben<br />
wird, waren zum ersten Mal die LeiterInnen<br />
der Studienseminare zu der Veranstaltung mit<br />
eingeladen.<br />
Dr. Wachtel war bei der Vorstellungsrunde<br />
besonders erfreut darüber, dass nicht nur<br />
SchulleiterInnen aus den Grund- und Förderschulen,<br />
sondern auch aus der Sekundarstufe<br />
anwesend waren, denn die Umsetzung der<br />
UN-Konvention über die Rechte von Menschen<br />
mit Behinderungen (BRK) wird auch für ihre<br />
Schulformen konkrete Auswirkungen haben.<br />
Die UN-Konvention ist sowohl vom Bundestag<br />
und als auch vom Bundesrat einstimmig ratifiziert<br />
worden und inzwischen seit März 2009<br />
in Kraft. Der Artikel 24 der BRK („Inclusive education“)<br />
lautet: „Die Vertragsstaaten anerkennen<br />
das Recht von Menschen mit Behinderung<br />
auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskrimi-<br />
11/2009 NIEDERSACHSEN<br />
nierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit<br />
zu verwirklichen, gewährleisten die<br />
Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem<br />
auf allen Ebenen und lebenslanges<br />
Lernen ...“ Inklusion ist zentrales Thema in der<br />
Diskussion um die Weiterführung der sonderpädagogischen<br />
Förderung in allen Ländern der<br />
Bundesrepublik Deutschland.<br />
Die UN-Konvention ist nach dem Inkrafttreten<br />
nunmehr in die schulgesetzlichen Regelungen<br />
der Bundesländer umzusetzen. Bemerkenswert<br />
ist, dass das Wort „inclusive“ mit „integrativ“<br />
übersetzt wurde. Will man hier schon<br />
der Inklusionsdebatte einen Riegel vorschieben?<br />
Eine Arbeitsgruppe der Kultusministerkonferenz<br />
ist mit der Überarbeitung der Empfehlungen<br />
zur sonderpädagogischen Förderung<br />
von 1994 beauftragt. Als Leiter dieser Arbeitsgruppe<br />
berichtete Dr. Wachtel über die<br />
vorläufigen Ergebnisse sowie den Stand der<br />
bundesweiten Diskussion.<br />
Ministerialrat Dr. Wachtel<br />
als Referent<br />
Da sich die UN-Konvention auf die sonderpädagogische<br />
Förderung auch in <strong>Niedersachsen</strong><br />
auswirken wird, diskutierten die Anwesenden<br />
mit Interesse zu der Fragestellung „Gibt es<br />
einen landesweiten Entwicklungsplan zur Fortführung<br />
der Regionalen Integrationskonzepte<br />
und wie sieht dieser aus?“ Deutlich wurde das<br />
gemeinsame Ziel betont, dass zukünftig weniger<br />
Schüler und Schülerinnen die Förderschule<br />
besuchen, sondern dass diese in der Grundschule<br />
im gemeinsamen Unterricht sonderpädagogisch<br />
unterstützt werden.<br />
Die sonderpädagogische Förderung ist damit<br />
nicht abgeschafft, sondern wird durch<br />
das zuständige Förderzentrum anders organi-<br />
<strong>GEW</strong>-BEZIRKSVERBAND LÜNEBURG<br />
siert. Für die präventive und sonderpädagogische<br />
Förderung in den Regelschulen werden<br />
diesen FörderlehrerInnenstunden zugewiesen,<br />
die eine Binnendifferenzierung in heterogenen<br />
Gruppen unter Berücksichtigung der<br />
Schulform und der Sozialstruktur der Region<br />
ermöglichen. Anders ausgedrückt: Die Kinder<br />
kommen nicht mehr zu den Lehrkräften in die<br />
Förderschulen, sondern die Kollegen und Kolleginnen<br />
aus den Förderschulen kommen zu<br />
den Kindern in die Regelschulen, die damit in<br />
ihrer vertrauten Umgebung bleiben können<br />
und dort am gesellschaftlichen Leben teilnehmen.<br />
Ein solches regionales Konzept verringert<br />
nicht die Sollstunden an Förderlehrerstunden<br />
(Sollstunden in der Förderschule und Soll-<br />
Stunden im RIK), sondern nur die Zahl der<br />
Schülerinnen und Schüler in der Förderschule<br />
selbst. Dies ist ein wichtiger Schritt auf dem<br />
Weg zu einem inklusiven Bildungssystem. Bei<br />
diesem Prozess werden die Förderschulen sich<br />
verkleinern bzw. sogar auflösen. Doch muss<br />
die sonderpädagogische Ressource für die<br />
Grundversorgung erhalten bleiben.<br />
Sonderpädagogische Förderung<br />
wird nicht abgeschafft,<br />
sondern anders organisiert<br />
In Niedersachen haben sich von 1800<br />
Grundschulen bereits 600 Grundschulen für<br />
die sonderpädagogische Grundversorgung<br />
entschieden. Anregungen für die Landesregierung,<br />
das Prinzip der Freiwilligkeit bei der Einführung<br />
der sonderpädagogischen Grundversorgung<br />
zu verlassen, wurden heftig diskutiert.<br />
Zurzeit gilt noch: Die schulformspezifische<br />
Anrechnungszeit für Lehrkräfte richtet sich<br />
nach der Zahl der Klassen in der Förderschule<br />
(0,5 Std. pro Klasse). Das gilt ebenso für die<br />
Anrechnungsstunden für Schulleiter und<br />
Schulleiterinnen eines Förderzentrums. Auch<br />
richtet sich die Besoldung eines Schulleiters/Schulleiterin<br />
nach der Zahl der Schüler in<br />
der Förderschule.<br />
Die Zahl der Schülerinnen und Schüler im<br />
Förderzentrum wird sich verringern. Die<br />
pädagogische und koordinierende Arbeit im<br />
Förderzentrum wird größer. Es ist unumstritten,<br />
dass eine veränderte Entlastung für Schulleitungen<br />
von Förderzentren geschaffen werden<br />
muss. Als eine Möglichkeit wird die Berechnung<br />
einer Richtgröße von fiktiven Klassen gesehen,<br />
um Leitungen von Förderzentren mit<br />
ausreichend Zeit zu versorgen.<br />
Einen großen Stellenwert hatte in Jeddingen<br />
die Frage, wie der bildungspolitische Auftrag<br />
des Niedersächsischen Schulgesetzes (§ 4) im<br />
Sek.I-Bereich, außer durch Integrationsklassen,<br />
organisiert werden kann. Also planmäßig<br />
und nicht als Lösung für einzelne Kinder. Die<br />
UN-Konvention „für ein integratives Bildungssystem<br />
auf allen Ebenen“ stimmt mit unserer<br />
gewerkschaftlichen Position „eine Schule für<br />
alle“ überein. Dafür wird sich die <strong>GEW</strong> weiterhin<br />
einsetzen, indem sie von der Landesregierung<br />
fordert<br />
– Fortbildungen für die Vorbereitung von Lehrkräften<br />
auf den gemeinsamen Unterricht<br />
– einen Schwerpunkt Gemeinsamer Unterricht<br />
in der Ausbildung von PädagogInnen<br />
– die Bereitstellung von ausreichenden Ressourcen.<br />
GUNDI MÜLLER / ANNEGRET SLOOT
BÜCHER 19<br />
Vera F. Birkenbihl: Jungen und Mädchen –<br />
wie sie lernen (München 2005).<br />
„Hunde werden durch Tierschutzgesetze<br />
geschützt – wann werden kleine Jungen eine<br />
Lobby bekommen?“ Birkenbihl provoziert<br />
nicht nur, sondern veröffentlicht ein in der<br />
Form und in der Abfolge ungewohntes Buch:<br />
„Pflichtkapitel“ werden durch „Wissens-Quiz-<br />
Spiele“ unterbrochen und es folgen „Module“<br />
zur Vertiefung, auf welche im Text verwiesen<br />
wird und die in beliebiger Reihenfolge gelesen<br />
werden können. Auf die Praxis-Module<br />
„Techniken für besseres Schreiben und Lesen“<br />
sei hier besonders hingewiesen. Insgesamt<br />
verstärken grafische Darstellungen und<br />
Zeichnungen die Einprägsamkeit. Die Darstellungsformen<br />
sollen sicher einer hirngerechten<br />
Aufbereitung für die Leser/innen entsprechen,<br />
denn die Grundlage der Ausführungen<br />
bilden die Erkenntnisse der modernen<br />
Hirnforschung. Hinzu kommen Erkenntnisse<br />
neuerer entwicklungspsychologischer und<br />
entwicklungsphysiologischer Studien und Ergebnisse<br />
genetischer Forschungen. Diese<br />
werden schließlich verbunden mit den Erfahrungen<br />
und Erkenntnissen der langen Tradition<br />
der Reformpädagogik.<br />
Das Pflichtkapitel „Lernfenster“<br />
Das Pflichtkapitel „Lernfenster“ verweist in<br />
der Unterüberschrift auf die Frage „Sollen wir<br />
Kinder nach dem Alter sortieren?“, also altersspezifische<br />
Klassen bilden, die auf altersspezifischen<br />
Lehrstoff ausgerichtet sind?<br />
Natürlich nicht, denn wissenschaftlich bewiesen<br />
sei, dass Fertigkeiten und Handlungskompetenzen<br />
von gleich begabten Kindern<br />
im Schnitt um zwei Jahre differieren können.<br />
„Wenn wir sagen, ein Kind im Alter von sieben<br />
Jahren sollte etwas beherrschen, dann erwerben<br />
manche Kinder diese Fähigkeit tatsächlich<br />
mit sieben, manche aber schon mit sechs<br />
oder fünf, andere mit acht oder neun Jahren;<br />
also umfasst die Formel „plus/minus 2“ eine<br />
Spanne von ca. fünf Jahren.“<br />
40 Jahre<br />
in der <strong>GEW</strong><br />
Zum 40-jährigen <strong>GEW</strong>-Jubiläum gratulieren<br />
wir im November folgenden Kolleginnen und<br />
Kollegen und danken für ihre langjährige Mitgliedschaft:<br />
Herbert Blazejewicz (Hude), Ahmed Chaker<br />
(Großefehn), Hans Deckert (Damnatz), Gabriele<br />
Drubel (Garbsen), Hartmut Herzog (Wilhelmshaven),<br />
Guenter Kellmer (Uetze), Hans-<br />
Joachim Köcher (Rinteln), Kurt Lütjens (Braunschweig),<br />
Annegret Messerschmidt (Neustadt),<br />
Bodo Messerschmidt (Neustadt), Hermann<br />
Ocken (Apen), Wolfgang Quintern (Göttingen),<br />
Wolfgang Rajewski (Braunschweig), Hartmut<br />
Ratzke (Veltheim), Irmtraut Richey (Söhlde),<br />
Uta Tröster-Ghorab (Gehrden), Heinz-Georg<br />
Weil (Jelmstorf), Manfred Zimmermann (Norden).<br />
Unser Dank gilt außerdem allen Kolleginnen<br />
und Kollegen, deren Mitgliedschaft sich in diesem<br />
Monat zu einem weiteren Jahr rundet.<br />
Zu einem Buch von Vera Birkenbihl<br />
Wann bekommen kleine<br />
Jungen eine Lobby?<br />
Cover der CD „Jungen und Mädchen – wie sie lernen.“<br />
Kinder könnten sich aber nur dann weiter<br />
entwickeln und ihre Lernlust aufrechterhalten,<br />
wenn das Gehirn für eine bestimmte Art von<br />
Tätigkeit (sog. Lernfenster) bereit sei. Jedes<br />
Kind entwickelt also individuelle Sensibilitäten<br />
unabhängig vom chronologischen Alter<br />
für die „Öffnung“ von Lernfenstern. Im Folgenden<br />
belegt Birkenbihl dann, dass „sich die<br />
Entwicklungswege von Jungen und Mädchen<br />
überkreuzen, das heißt: „Jungen entwickeln<br />
vor der Pubertät die sogenannte Grobmotorik,<br />
während die Mädchen feinmotorisch zugange<br />
sind (…). Nach der Pubertät ist es umgekehrt.“<br />
Alle Versuche also, kleine Jungen zu<br />
feinmotorischen Fähigkeiten zu zwingen, laufen<br />
der Entwicklung zuwider.<br />
In einem weiteren Pflichtkapitel lautet die<br />
Überschrift „Sind Jungen lernbehindert?“<br />
Natürlich ist auch dies wieder eine rein rhetorische<br />
Frage, denn wenngleich der Anteil von<br />
Jungen an den Kindern in Förderschulen erheblich<br />
höher liegt als der von Mädchen,<br />
wenngleich ADHS-Diagnosen bei Jungen wesentlich<br />
häufiger gestellt werden als bei<br />
Mädchen, wenngleich 80 Prozent der sog.<br />
Lernbehinderten männlich sind, beschreibt<br />
Birkenbihl die Wirkung vieler Faktoren, die die<br />
Pathologisierung von Jungen geradezu provozieren,<br />
da die Entwicklung natürlichen<br />
männlichen Lernverhaltens in den Schulen<br />
nicht berücksichtigt wird. Zu diesen Faktoren<br />
gehören unter anderem bestimmte Stufen<br />
von Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsstilen,<br />
Selbstwertzuschreibungen und Gruppendynamiken,<br />
in denen sich Jungen bewegen.<br />
Auch wird wieder auf Überkreuzentwicklungen<br />
von Jungen und Mädchen verwiesen.<br />
Aufgrund neuerer Vorgaben des Niedersächsischen<br />
Kultusministeriums werden<br />
künftig unsere eingeschulten Kinder in Jahrgang<br />
5 am Gymnasium noch jünger sein als<br />
bisher. Angesichts der aufgezeigten individuellen<br />
Entwicklung von Kindern müssten<br />
sich Inhalte, Formen der Vermittlung und<br />
Umgehensweisen hierauf einstellen. Allerdings<br />
wird an Jahrgangsklassen und zugeschriebenem<br />
„Stoff“ (jeder weiß es: Die<br />
Kerncurricula sind total überfrachtet!) festgehalten.<br />
Quadratur des Kreises<br />
Wir Lehrerinnen und Lehrer am Gymnasium<br />
müssen also gewissermaßen die Quadratur<br />
des Kreises vollbringen, wir müssen den<br />
„Stoff“ abarbeiten und dabei individuelle Entwicklungspotenziale<br />
von Kindern einbeziehen,<br />
das spezifische Lernverhalten von<br />
Mädchen berücksichtigen und zugleich aber<br />
versuchen, den Bewegungsdrang der Jungen<br />
und ihre besondere Form des Arbeitsverhaltens<br />
und der Wissensaneignung nicht auszublenden.<br />
Denn: „Wir haben lange genug daran<br />
gearbeitet, die Frauen zu emanzipieren,<br />
und wir müssen dafür sorgen, dass diese Entwicklung<br />
anhält, aber wir müssen uns auch<br />
fragen, ob wir dabei einen Teil der Männerwelt<br />
(unbeabsichtigt?) geopfert haben, und zwar<br />
den, der sich am wenigsten wehren kann, den<br />
der kleinen Jungen.“<br />
Unsere Empfehlung: Sehr lesenswert!<br />
WERNER FINK<br />
Hinweis: Einen guten Einblick verschafft V. F.<br />
Birkenbihl, „Jungen und Mädchen – wie sie<br />
lernen“. Vortrag in Odelzhausen, DVD 2004.<br />
NIEDERSACHSEN 11/2009
20<br />
Sich mit Gewalt Anerkennung verschaffen. Dies ist eines der Motive für Jugendgewalt bis hin zu Amokläufen.<br />
VON UWE FINDEISEN<br />
Anmerkungen zur aktuellen Diskussion über Amok und die Konsequenzen<br />
Jugendgewalt – unerklärlich,<br />
anomal oder was?<br />
Alltägliche Schlägereien auf dem Schulhof,<br />
Abgrenzungen zwischen Peergroups,<br />
Ausgrenzungen Einzelner,<br />
Sachbeschädigungen usw. sind ständige Begleiterscheinung<br />
des Schulalltags – und seit<br />
1997 vermehrt Amokläufe. Hier eine kritische<br />
Auseinandersetzung mit aktuellen Erklärungen<br />
(Langmans „Amok im Kopf“) sowie Thesen<br />
zum Kult des Selbstbewusstseins.<br />
Ein erschreckender Vergleich ...<br />
Der Psychiater Langman schreibt: „Was<br />
wird aus potenziellen Schulamokläufern, die<br />
vor der Ausführung ihrer Pläne gestoppt werden?<br />
... Hätten sie als Erwachsene noch<br />
größere Gräuel angerichtet? Das Letztere<br />
wurde im Fall von Eric Harris behauptet... Er<br />
wollte zu den Marines gehen und Explosionswaffen<br />
studieren. Stellen wir uns Eric Harris<br />
als Erwachsenen vor – Exmarine, Militärexperte<br />
für Sprengstoff. In Columbine ging keine<br />
von Erics großen Bomben hoch. Als Sprengstoffexperte<br />
hätte er funktionierende Bomben<br />
gebaut. Die Vorstellung ist beängstigend.<br />
Das ist aber nicht das einzig mögliche<br />
Szenario. Nehmen wir an, er wäre zu den Marines<br />
gegangen. Er sehnte sich nach Status<br />
und Anerkennung, und ein Marine genießt beides<br />
in hohem Maße. Neben dem Status hätte<br />
er einen Ort gehabt, zu dem er gehörte, wo er<br />
akzeptiert worden wäre. Er war ein intelligenter,<br />
lernbegieriger Junge, der beim Militär vielleicht<br />
brilliert hätte... Wie er in seinem Tage-<br />
11/2009 NIEDERSACHSEN<br />
buch schrieb: ‚Ich wäre ein verdammt guter<br />
Marine geworden – da hätte ich einen Grund<br />
gehabt, Gutes zu tun.’“ (L 281f) An anderer<br />
Stelle heißt es: „Es hatte also nichts (zu tun)<br />
mit dem Töten von Feinden im Krieg ... Hier<br />
ermordeten Kinder viel mehr Kinder ohne ersichtlichen<br />
Grund. Und was sich jeder fragt,<br />
ist: Warum?" (L 30) Langman macht unter der<br />
Hand einen Vergleich. Aber was trägt der Vergleich<br />
‚institutioneller’ und ‚privater’ Gewalt<br />
zur Erklärung bei?<br />
1. Er geht vom gleichen Inhalt der Tätigkeiten<br />
aus: Zerstörung.<br />
2. Auch wenn der Inhalt gleich ist, macht er einen<br />
Unterschied: Bei der Institution gilt die<br />
Tätigkeit als begründet („Feinde“), man erwirbt<br />
Anerkennung und einen Status.<br />
3. Die private Gewalt erhält nicht diese Attribute,<br />
sie ist grundlos, es werden „viel<br />
mehr“ getötet (nicht an Kollateralschäden<br />
denken!).<br />
4. Also besteht der Unterschied nicht zwischen<br />
Gewalt und Gewaltfreiheit, sondern<br />
zwischen legitimierter und nicht legitimierter,<br />
zwischen erlaubter und verbotener Gewalt.<br />
... und eine Wahrheit: Gewalt ist<br />
ein Mittel der Durchsetzung<br />
Langman geht in seinem Vergleich von einem<br />
Faktum aus: Gewalt ist in der Gesellschaft<br />
präsent, z.B. beim Militär konzentriert<br />
und als Äußerung des staatlichen Gewaltmonopols<br />
selbstverständlich. Sie ist legitimes<br />
Mittel zur Durchsetzung von Interessen („Fein-<br />
JUGEND<strong>GEW</strong>ALT<br />
de töten“), wobei ihr Einsatz den staatlichen<br />
Instanzen vorbehalten und Privatpersonen<br />
versagt ist. Für Langman stellen nach Anerkennung<br />
strebende Jugendliche kein Problem<br />
dar, wenn ihre Gewalt in erlaubten Formen abläuft.<br />
(Übrigens: eine sehr „amerikanisch“funktionelle<br />
Betrachtung des Militärs als Ort<br />
für Statuserwerb!)<br />
Die Kategorie anomal leugnet<br />
die gesellschaftliche Realität<br />
Allseitige Präsenz von Gewalt ist auch<br />
durch die Medien gegeben, die diese ja nur<br />
abbilden: von der Kriegsberichterstattung bis<br />
zum Unterhaltungsangebot in Filmen etc.<br />
Aber „die Gewalt in den Medien kann Schulmassaker<br />
nicht hinreichend erklären, weil die<br />
große Mehrheit der Menschen, die Gewalt in<br />
den Medien sehen, keine Mörder werden ...<br />
Welchen Einfluss hat die Mediengewalt auf<br />
Schul-Amokläufer? (Und nicht nur auf diese,<br />
U.F.) Sie legitimiert Gewalt und liefert Rollenmodelle."<br />
(L 36) Wenn Jugendliche in den Medien<br />
etwas über Gewalt lernen, dann nicht,<br />
diese abzulehnen, sondern sie zu bewerten.<br />
Bei der eigenen Durchsetzung ist also ständig<br />
die Frage präsent, ob dafür Gewalt als Mittel<br />
gerechtfertigt ist.<br />
Jugendliche lernen hierzulande nicht den<br />
Unterschied von gewaltfrei und gewaltsam,<br />
sondern von gerechter und ungerechter Gewalt,<br />
wobei der berechtigte Einsatz meist als<br />
Gewaltfreiheit idealisiert wird. Mit der Attribuierung<br />
der verbotenen Gewalt als anomal und<br />
der erlaubten als normal leugnet Langman,<br />
Foto: Steffen Schellhorn / imago
JUGEND<strong>GEW</strong>ALT 21<br />
dass Gewalt Mittel der Durchsetzung ist. Seine<br />
Analyse ist ein Vergleich, der von einem logischen<br />
Fehler lebt: Die Tat, die unerlaubt Gewalt<br />
anwendet, wird zur Untat, zur Tat, die<br />
nicht das tut, was man normaler Weise macht.<br />
Damit wird nichts mehr über die Tat ausgesagt,<br />
sondern eine Grenze festgelegt, an der<br />
sie zu messen und, wenn sie die Grenze überschreitet,<br />
als anomal, unlegitimiert, grundlos<br />
zu verwerfen ist. Schematisch dargestellt:<br />
Stehlen = das tut man nicht<br />
= das ist verboten<br />
(fehlendes<br />
Rechtsbewusstsein)<br />
Schimpfen = das tut man nicht<br />
= das ist unhöflich<br />
(fehlende Moral)<br />
Hilfe verweigern = das tut man nicht<br />
= das ist unsittlich<br />
(fehlende Sittlichkeit)<br />
Prügeln = das tut man nicht<br />
= das ist intolerant<br />
(fehlende Anerkennung<br />
der Person)<br />
Töten = das tut man nicht<br />
= das ist unmenschlich<br />
(fehlende Empathie)<br />
Jede Tat wird in einer Form gedacht, die sie<br />
negativ, als Fehlen von etwas Wünschenswertem,<br />
ausdrückt. Aber es wäre gerade zu<br />
klären, was der Täter selber sich vorgestellt<br />
hat. Durch die Entgegensetzung entsteht ein<br />
Zirkel: Warum stiehlt er? Weil er das Verbot<br />
des Stehlens nicht beachtet. Und warum beachtet<br />
er es nicht? Weil er stiehlt. Die Gründe,<br />
die der Täter hat, übergeht der logische ‚Totschläger’<br />
normal/anomal. Man beschreibt das<br />
anomale Verhalten in seiner ganzen Vielfältigkeit<br />
und kommt am Ende doch nur zu der<br />
Theorie, dass es eine Abweichung ist.<br />
Langman: „Schul-Amokläufer sind gestörte<br />
Individuen. Es sind keine normalen Jugendlichen.“<br />
(L 47) Demnach gibt es eigentlich keinen<br />
Übergang zur Gewalt, und falls sie stattfindet,<br />
liegt es in der Besonderheit, ja Krankheit<br />
des Individuums. So sind die möglichen<br />
gesellschaftlichen Gründe aus dem Blick.<br />
Langman fasst zusammen: Es sind „fragile<br />
Persönlichkeiten, die auf kleine Kränkungen<br />
und normale Frustrationen überreagieren, sowie<br />
masochistische Neigungen, die vergangene<br />
Wunden offen halten und erlittenes Unrecht<br />
aufbauschen. In allen Fällen zeigte sich<br />
ein Mangel an Empathie.“ (L 249) Man merkt<br />
an den Wörtern „fragil“, „überreagieren“, „offen<br />
halten“, „aufbauschen“, „Mangel an“,<br />
dass hier nicht Gründe der Handlungen erklärt<br />
werden, sondern ein Vergleich mit dem normalen<br />
Zustand stattfindet, in dem Frustrationen<br />
ausgehalten werden.<br />
Das Schema normal/anomal<br />
macht aus dem<br />
Selbstbewusstsein Anpassung<br />
Aus den ganzen Un-Wörtern folgt kein Beurteilung,<br />
sondern eine Verurteilung. Langman<br />
geht vom Amoklauf aus, will ihn aber nicht in<br />
Verbindung mit dem (Schul-)Alltag, mit Willen<br />
und Selbstbewusstsein der Akteure bringen.<br />
Er interpretiert die Taten Jugendlicher als Fehlen<br />
von Selbstbewusstsein. Dieses sei<br />
schwach ausgeprägt, die Betreffenden dächten<br />
sich als „kleine Würmer“ und suchten<br />
nach Kompensation. „Die meisten Schul-<br />
Amokläufer ... hatten eine so schwache Ich-<br />
Identität, dass sie auf jedes Vorkommnis, das<br />
ihre Stabilität bedrohte, extrem reagierten ...<br />
Außerdem sind sie extrem empfänglich für<br />
Hänselei und Abweisung. Eine selbstsichere<br />
Person kann mit einem Affront besser umgehen<br />
als jemand, der weiß (oder argwöhnt),<br />
dass der Affront berechtigt ist. Wenn man sich<br />
bereits für einen Ausgestoßenen und Versager<br />
hält, nimmt jede Erfahrung, die diese Gefühle<br />
bestätigt, eine übergroße Dimension im Bewusstsein<br />
des Betroffenen an. Das Problem<br />
ist also nicht, dass die Täter manchmal<br />
gehänselt oder abgewiesen wurden, sondern<br />
dass sie hochempfindlich waren und dadurch<br />
zu extremen Reaktionen neigten.“ (L 238)<br />
Aber gerade dieses Ich haben die Amokläufer<br />
rücksichtslos durchgesetzt.<br />
Der Grund, Gewalt als legitim anzusehen,<br />
auch für sich als Mittel einzusetzen, liegt in der<br />
Anerkennung des Ich als Ehrfrage der Person,<br />
und ihrem Recht darauf, sich das Verweigerte<br />
zu holen. Die Ehrfrage ist in der Konsequenz<br />
eine Gewaltfrage; aus dem Anspruch, sich gegen<br />
die ungerechte Welt durchzusetzen, folgt<br />
für den Einzelnen der Übergang, auf Gewalt<br />
als sein Mittel zu reflektieren. Wie die Ehrfrage<br />
Jung und Alt umtreibt, ist also schon das Erschreckenden<br />
– lange bevor sich Einzelne<br />
dann ihr legitimes Recht zum Zuschlagen und<br />
Vernichten des „Feindes“ herausnehmen.<br />
Wie muss die Frage gestellt werden, um<br />
nicht in die Falle des Vergleichs zu tappen?<br />
Dass aus dem Ziel der Anerkennung der<br />
Übergang zur privaten Gewaltanwendung folgen<br />
kann und dass dies mit dem gesellschaftlich<br />
gültigen Anspruch auf Selbstbehauptung<br />
zusammenhängt, wird mit dem Wortpaar normal/anomal<br />
verdeckt. Die Frage nach dem<br />
Zusammenhang gestellt zu haben, ist das Verdienst<br />
von Engel/Hurrelmann. Gerade die<br />
Identifikation mit den Zielvorgaben und Werten<br />
der herrschenden Leistungs- und Erfolgskultur<br />
„kann abweichendes Verhalten in dem<br />
Maße erzeugen, in dem der wertgeschätzte<br />
Erfolg nicht auf konforme Weise, also mit legitimen,<br />
gesellschaftlich akzeptierten Mitteln,<br />
erreicht werden kann“ (E/H 1993). Das aber ist<br />
erklärungsbedürftig. Wenn es um den Erfolg<br />
geht, warum wählen Jugendliche dann Gewalt<br />
als Mittel, also einen Weg, der den Erfolg im<br />
Leistungsvergleich gerade ausschließt?<br />
Eine Sphäre mit eigenen<br />
Maßstäben: Die Anerkennung<br />
des Ich und Gedanken zur Gewalt<br />
Kinder und Jugendliche machen eine doppelte<br />
Buchführung, bei der die Bewährung im<br />
Leistungsvergleich mit der Bewährung im privaten<br />
Vergleich der Personen und ihrer Anerkennung<br />
verdoppelt wird. Hier herrscht nicht<br />
die Autorität der Lehrperson, Jugendliche machen<br />
sich vielmehr selber zur Autorität der zu<br />
vergebenden und zu erhaltenden Anerkennung<br />
und wählen dafür alle Mittel aus dem<br />
Freizeit- und Privatbereich: von der Kleidung<br />
übers Handy bis zum Styling des eigenen Körpers,<br />
und dass Sex dazu gehört, ist heutzutage<br />
klar. Alles läuft als ständiger Kampf um die<br />
Anerkennung der Person, getrieben vom Ideal<br />
der gesicherten Anerkennung. Das aber ist eine<br />
Unmöglichkeit, denn auch hier findet ein<br />
Ranking statt, in dem es Ausgegrenzte geben<br />
muss, weil das den Status der Eingegrenzten<br />
herstellt.<br />
Wer in dem Anerkennungskampf um den<br />
Wert der Person, bei dem man vom Urteil<br />
der Umwelt abhängt, den Umweg über die<br />
anderen als Behinderung der Durchsetzung<br />
erfährt, überzeugt nicht mehr mit Selbstdarstellung,<br />
sondern mit Gewalt. Wo man beim<br />
Versuch der persönlichen Anerkennung ständig<br />
scheitert, da holt man sie sich direkt:<br />
Respekt wird eingefordert, mit Gewalt. Der<br />
andere muss den Blick senken, sich unterwürfig<br />
zeigen, dann ist Anerkennung hergestellt.<br />
Dafür trainiert man seinen Körper,<br />
macht sich zum Muskelprotz, der mit seiner<br />
Stärke die persönliche Hierarchie in Schulklasse<br />
und Freizeit bestimmen will. Wenn die<br />
Anerkennung physischer Stärke unterbleibt,<br />
helfen weitere Instrumente der Gewalt –<br />
Waffen –, den Mitmenschen die Ernsthaftigkeit<br />
des eigenen Anerkennungswillens zu<br />
demonstrieren. Damit macht man sich aber<br />
wieder von der Reaktion anderer abhängig:<br />
Sie können den Waffenbesitz als konsequenzlose<br />
Angeberei belächeln.<br />
NIEDERSACHSEN 11/2009
22<br />
So ergibt sich der Moment für den Übergang,<br />
dass der Wille bedingungslos gelten<br />
soll. Der Amokläufer erklärt sich zum Gesetzgeber<br />
und Richter in einem. „Wenn ich etwas<br />
sage, dann passiert es – das ist mein Glaube.<br />
Ich bin das Gesetz, und wer etwas dagegen<br />
hat, geht drauf.“ (L 231) Wenn die Gewalt als<br />
Mittel der Durchsetzung in den Blick kommt,<br />
wird der Übergang zur Tat zwingend; aber es<br />
bleibt eine Frage des Willens, wann die Tat<br />
wirklich vollzogen wird. Der Jugendliche hat<br />
sich zu einer Entscheidungsfrage vorgearbeitet:<br />
„Ich wünschte nur, ich könnte es tatsächlich<br />
TUN, anstatt nur davon zu TRÄUMEN.“<br />
(L 71). Auf den Gedanken, dass auch ihm Gewalt<br />
zustehen könnte, um die Anerkennung<br />
seines Ichs durchzusetzen, folgt das Dilemma<br />
der Glaubwürdigkeit vor sich selbst: Die Gewalt<br />
muss auch gelten. Also beherrscht dies<br />
nun das Bewusstsein des Jugendlichen und<br />
es ist seine Sache, ob er sich als Lügner vor<br />
sich selbst entlarvt – du traust dich nicht –<br />
oder sich als konsequenter Mensch zur Tat<br />
entscheidet und sie plant.<br />
Von der gültigen Gewalt „lernen“<br />
und sie für sich legitimieren<br />
Bei Langman fehlt völlig, dass der Übergang<br />
zur Gewalt von den realen Gewaltverhältnissen<br />
und deren Legitimation abgeguckt<br />
ist. Gewalt darf benutzt werden, wenn sie legitimiert<br />
ist, das lernen die Jugendlichen praktisch<br />
in der Gesellschaft. Amokläufer glauben<br />
sich im Recht und wissen zugleich, dass ihre<br />
Gewalt beschränkt ist, dass sie von der stärkeren<br />
Instanz Staat wieder zunichte gemacht<br />
wird, weshalb so gut wie alle ihren eigenen<br />
Tod nach oder bei der Tat einplanen, denn<br />
sonst wäre ja die ganze Legitimation widerlegt.<br />
Amokläufe sind Hinrichtungen ohne Erlaubnis,<br />
sie werden sozusagen als Raubkopie des<br />
Rechts auf die eigene Anerkennung mit einem<br />
höheren Wert, einer über dem wirklichen<br />
Recht stehenden Instanz, legitimiert: Gott,<br />
Hitler, Jesus, Mos ... Es ist das Gedankenmuster<br />
höchster legitimierter Gewalt, vor der<br />
die normalen Instanzen des Gewaltmonopols<br />
verblassen sollen. Die Täter durchschauen sozusagen<br />
die Heuchelei der Gewaltfreiheit und<br />
kopieren für sich die Methoden der Legitimation<br />
(Gewalt wegen ...) durch eine noch höhere<br />
Heuchelei.<br />
Für sie ist die Moral etwas, das sich von<br />
dem Subjekt aus bestimmt, das die Macht<br />
hat. Und wenn sie sich entschieden haben,<br />
Macht auszuüben, dann lehnen sie auch die<br />
offizielle Legitimation der Gewalt ab und<br />
schaffen sich ihre eigene: „Ich wäre Gott,<br />
dann wäre jeder OFFIZIELL unter mir.“ (L 81)<br />
Man kann das als Wahn bezeichnen, aber es<br />
ist die Konsequenz aus dem herrschenden<br />
Ideal „Deine Person ist etwas wert“ und aus<br />
dem Ranking der Konkurrenz, das Sieger nur<br />
ermöglicht, wenn es zugleich Verlierer schafft.<br />
Zwei gewaltsame<br />
Durchsetzungsvarianten: der<br />
Bestimmer und der Siegertyp<br />
Der Bestimmer der persönlichen Hierarchie<br />
richtet sich gegen die Mitkonkurrenten. Hänseln,<br />
Beschimpfen, Isolieren, Bedrohen<br />
usw. schaffen neben der Notenhierarchie eine<br />
Hierarchie persönlicher Geltung. Es geht da-<br />
11/2009 NIEDERSACHSEN<br />
mit also – wie bei den Noten, aber mit anderen<br />
Mitteln – strukturell um Platzierungsfragen in<br />
einer persönlichen Rangordnung. Bei Spiegel-<br />
Online (17.9.09) steht über den Amokläufer<br />
Georg R.: „Der wollte immer alles bestimmen,<br />
immer der Anführer sein – aber Freunde hatte<br />
der keine.“ Durch Ausgrenzung bestraft man<br />
andere, verschafft sich selbst im Ausgucken<br />
eines Opfers eine Peergroup-Identität.<br />
Der Siegertyp verschafft sich „Selbstwerteffekte<br />
auch durch körperliche Attacken“ (N).<br />
Wenn ein Jugendlicher den Widerspruch, von<br />
den Anerkennungstouren der Mitkonkurrenten<br />
abhängig zu sein, nicht aushält, wenn das<br />
schauspielerische Gehabe nicht wirkt, dann<br />
muss er sich in sich zurückziehen, was sich<br />
aber mit dem Anerkennungszweck beißt, oder<br />
die Anerkennung erzwingen. Dann greift er zur<br />
direkten Gewalt und wird so zum Siegertyp.<br />
Mit Gewalt sorgt der Betreffende dafür, dass<br />
der Unterlegene Anerkennung zollen muss, indem<br />
er zum geschlagenen Verlierer gemacht<br />
wird. Hier regiert der Zweck, als Siegertyp zu<br />
erscheinen, wo immer es sich machen lässt.<br />
Die Ehrfrage – Mord und Selbstmord<br />
als letzter Identitätsbeweis<br />
Wer seinen Misserfolg als Ehrfrage sieht,<br />
d.h. als Beleidigung seiner Persönlichkeit, seines<br />
Selbstbildes, der will nichts über die wirklichen<br />
Gründe seines Scheiterns wissen, sondern<br />
sein Selbstbild anerkannt haben. Es geht<br />
ihm um die Glaubwürdigkeit vor sich selbst. Er<br />
sieht sich als beleidigte Persönlichkeit, die,<br />
JUGEND<strong>GEW</strong>ALT<br />
wenn sie sich nicht wehrt, der Beleidigung<br />
auch noch Recht geben würde. Das Selbstbild<br />
wird zur Ehrfrage. Die Ehre muss wieder hergestellt<br />
werden.<br />
Dabei verkehrt sich im Denken des Täters<br />
der wirkliche Zusammenhang, indem er das<br />
Verhalten der Mitschüler und Lehrer als eine<br />
einzige Ansammlung von Tätigkeiten registriert,<br />
die dazu da sind, ihn zu verletzen. Er<br />
unterstellt allen den bösen Willen, ihn nicht zu<br />
seinem Recht kommen zu lassen. In seinem<br />
Denken kommt nicht vor, dass die andern<br />
ebenfalls in den Zwängen der Leistungskonkurrenz<br />
stecken und selbst versuchen, die Anerkennung<br />
ihrer Persönlichkeit durchzusetzen.<br />
Abstrakt und völlig desinteressiert an den<br />
Gründen für den „Kult des Selbstbewusstseins“<br />
(H) in der Schülerschaft, besteht er auf<br />
der Durchsetzung seines eingebildeten Siegeranspruchs.<br />
Mit einer den realen Verhältnissen<br />
abgeschauten Legitimationsform glaubt er<br />
sich im Recht, mit dem Mittel Gewalt die Welt<br />
für die Missachtung zu bestrafen.<br />
Gewaltprävention<br />
bei Jugendlichen?<br />
Wenn die Diagnose „anomale Jugendgewalt“<br />
heißt, dann ergibt sich folgende Therapie:<br />
Die Jugendlichen „müssen gesunde Bewältigungsstrategien<br />
entwickeln, die es ihnen<br />
erlauben, mit Belastungen umzugehen, ohne<br />
gefährlich zu werden.“ (L 280) Es wird also individuelle<br />
Anpassung gefordert. (zur Kritik<br />
vgl. K) Bei Mord und Totschlag um der Ehre<br />
willen handelt es sich aber nicht um ein Jugendphänomen,<br />
die Einordnung in die Rubrik<br />
„Jugendgewalt“ ist irreführend. Denn das gibt<br />
es bei Erwachsenen ebenso: Amokläufer bringen<br />
Amtspersonen, Arbeitskollegen, Familienmitglieder<br />
... um. Unter dem Ehrentitel „Familiendrama“<br />
ist Letzteres in die alltägliche Berichterstattung<br />
„aus aller Welt“ eingegangen.<br />
Die hierbei anfallenden Übergänge und Widersprüche<br />
zu thematisieren, wäre das Erste,<br />
was man Jugendlichen und Erwachsenen zu<br />
erklären hätte, wenn man Gewalt aus Ehre<br />
verhindern will. Doch die Grenze der Prävention<br />
liegt in der Normalität der Anerkennungs-<br />
Konkurrenz, in der man Verlierer schaffen<br />
muss, um Sieger sein zu können in der Sphäre<br />
der Schule und der Sphäre der privaten Anerkennung.<br />
Weitere Aufsätze des Autors finden Sie unter:<br />
www.magazin-auswege.de<br />
Uwe Findeisen ist M.A., Erziehungswissenschaftler<br />
und Jugendtherapeut. Er lebt in<br />
Dortmund.<br />
Literatur<br />
U. Engel/K. Hurrelmann: Was Jugendliche wagen,<br />
Weinheim und München 1993, (zitiert als E/H)<br />
F. Huisken, z. B. Erfurt – Was das bürgerliche Bildungs-<br />
und Einbildungswesen so alles anrichtet,<br />
Hamburg 2002 (zitiert als H)<br />
A. Krölls, Kritik der Psychologie, Hamburg 2006<br />
(zitiert als K)<br />
P. Langman, Amok im Kopf, Weinheim und Basel<br />
2009, (zitiert als L)<br />
G. Nüberlin, Selbstkonzepte Jugendlicher und<br />
schulische Notenkonkurrenz – Zur Entstehung von<br />
Selbstbildern Jugendlicher als kreative Anpassungsreaktionen<br />
auf schulische Anomien, Herbolzheim<br />
2002. (zitiert als N)
JUGENDLITERATUR UND MEDIEN 23<br />
Diskussion bei der Leipziger Buchmesse. Die Autorinnen Beatrix Gurian, Manuela Martini, Susanne Mischke und Krystyna Kuhn diskutieren mit der<br />
Moderatorin des Arena Verlags über ihre Bücher. Bis März 2009 existierten 2056 Seiten Arena Thriller.<br />
Das Böse hat seine guten Seiten – jedenfalls bei Arena<br />
Mädchen-Thriller-Reihe entwickelt<br />
Den 1949 von Georg Popp gegründeten<br />
Arena Verlag kennt man aufgrund seines<br />
bereits 1981 entwickelten Erstleseprogramms,<br />
das heute als „Edition Bücherbär“<br />
weit verbreitet ist. Im Jugendbuchbereich<br />
dominierten Autoren wie Rainer M.<br />
Schöder, Willi Fährmann und Federica de Cesco.<br />
Mit Andreas Eschbach, Jürgen Banscherus<br />
oder Isabel Abedi prägen neben internationalen<br />
Autoren wie Graham P. Taylor und<br />
Mary Hoffman auch deutsche Autorinnen das<br />
Programm mit. Neben seinen bekannten<br />
Schwerpunkten im Bereich Fantasy-Literatur<br />
und historische Romane entwickelt der Arena<br />
Verlag seit 2007 die Mädchen-Thriller-Reihe<br />
„Arena Thriller“ unter dem Motto „Das Böse<br />
hat seine guten Seiten.“<br />
Bis heute sind zwölf Taschenbücher von<br />
insgesamt sieben deutschsprachigen Autorinnen<br />
erschienen. Ergänzt wird die Reihe von<br />
drei Hörbüchern und drei 2009 aufgelegten<br />
Minibüchern für die Hosentasche oder unterwegs.<br />
Der Verlag bietet unter www.forum.arenaverlag.de<br />
ein Forum an, auf dem die Leserinnen<br />
die Reihe und ihre einzelnen Bände diskutieren<br />
können. Schaut man sich die Einträge<br />
der Leserinnen an, sieht man auf den ersten<br />
Blick, dass viele der Reihe treu bleiben<br />
und mehrere Bände lesen.<br />
Besonders positiv erwähnen die Leserinnen<br />
den Roman „Sommerfrost“ von Manuela<br />
Martini, der 2009 erschienen ist. Lyra lebt mit<br />
ihrer Mutter in Marbella und möchte gemeinsam<br />
mit ihren Klassenkameraden den Tod ihrer<br />
Mitschülerin Pia aufklären. Parallel dazu<br />
lernt sie einen jungen Mann kennen, der sie<br />
fasziniert. Nicht nur, weil sie sich in ihn verliebt,<br />
sondern auch, weil er scheinbar etwas<br />
über Lyras tote Schwester weiß.<br />
Anders als Lyra ahnen die Leserinnen recht<br />
schnell, dass mit ihm etwas nicht stimmt.<br />
Gleichzeitig wird deutlich, dass es auch beim<br />
Tod der Schwester Ungereimtheiten gab, und<br />
schließlich ist da noch der aktuelle Todesfall.<br />
Insgesamt viel Raum für spannende Verwicklungen,<br />
Verfolgungsjagden, Action und jede<br />
Menge Spannungskribbeln in der Magengrube.<br />
Ähnliches gilt für Krystyna Kuhns „Dornröschengift“,<br />
bei dem ebenfalls nicht klar ist,<br />
wer wann die Wahrheit spricht, wer Freund<br />
und wer Feind ist. Zugleich ist dieser Thriller<br />
einer der subtileren. Er spielt scheinbar ganz<br />
in der Nähe, jede kann die beschriebenen Typen<br />
in der eigenen Umgebung wiederfinden.<br />
Das macht diesen Plot zu einem, der besonders<br />
unter die Haut geht, denn der Mord an<br />
Sophies Klassenkameradin könnte eben auch<br />
nebenan im Wald passieren.<br />
Susanne Mischkes „Waldesruh“ dagegen<br />
erzählt einen stringenten Handlungsablauf.<br />
Als Maries Großmutter stirbt, befürchtet sie,<br />
von ihrem kleineren Bruder getrennt zu werden<br />
und in ein Heim zu müssen. Deshalb vergräbt<br />
sie den Leichnam gemeinsam mit ihrer<br />
Freundin Emily. Die Mädchen wollen so tun,<br />
als wäre nichts passiert. Doch das erweist<br />
sich als ziemlich schwierig, als zwielichtige<br />
Typen auftauchen. Die Mädchen können sich<br />
keinen Reim auf die Sache machen, befürchten<br />
aber auch die Entdeckung des Todes der<br />
Großmutter und manövrieren sich so in eine<br />
gefährliche Situation.<br />
Die Leserinnen schwanken bei diesem Roman<br />
zwischen vollständiger Ablehnung, er ist<br />
ihnen zu eklig, makaber oder unglaubwürdig,<br />
und großer Begeisterung, da die Mädchen ihr<br />
Schicksal selbst in die Hand nehmen und sich<br />
(rabiat) zur Wehr setzen.<br />
Doch auch die Minibücher (alle 2009) sind<br />
durchaus eine Empfehlung wert. Besonders<br />
„Bittersüßes oder Saures“ von Krystyna Kuhn<br />
überzeugt durch einen spannenden Plot, dem<br />
es tatsächlich gelingt, am Ende auch erfahrene<br />
Leserinnen zu überraschen.<br />
Nachdem ihre Mutter gestorben ist, zieht<br />
Lena zur Familie ihres Vaters. Alles ist so anders<br />
als in ihrem alten Leben: die große,<br />
schicke Villa direkt am See, die neuen Geschwister,<br />
von denen Lena befürchtet, dass<br />
sie denken, dass sie ihnen etwas wegnehmen<br />
will.<br />
Als Lena am Halloweenabend alleine zu<br />
Hause ist, geschehen plötzlich merkwürdige<br />
Dinge, und Lena beginnt an ihrem Verstand<br />
zu zweifeln. Doch als sie dann noch die Stimme<br />
ihrer Mutter hört, gerät die Situation außer<br />
Kontrolle. Sie verliert sogar den Glauben an<br />
ihren Freund.<br />
Als Hörbuch ist beispielsweise Krystyna<br />
Kuhns „Schneewittchenfalle“ erschienen. Der<br />
Text wird von Katja Amberger einfühlsam vorgelesen.<br />
In diesem Psychothriller sind Stella<br />
und ihr Vater auf eine Nordseeinsel gezogen.<br />
Ihr Vater, um zu vergessen. Stella, um sich zu<br />
erinnern. Denn Stella hat bei dem Autounfall,<br />
bei dem ihre Mutter ums Leben gekommen<br />
ist, ihr Gedächtnis verloren. Doch dann geschehen<br />
Dinge auf der einsamen Insel, die<br />
Stellas schlimmste Alpträume wahr werden<br />
lassen. Und bald ahnt sie, dass ihre Erinnerungen<br />
der Schlüssel zu einem ungeheuerlichen<br />
Geheimnis sind. Dass der Showdown<br />
an einer windumtosten Ecke der Insel stattfindet,<br />
ist ein deutliches Sinnbild für die Gefühlsstürme,<br />
denen Stella auf dem Weg zur Wahrheit<br />
bzw. Erkenntnis ausgesetzt ist.<br />
Allen Büchern gemeinsam ist, dass sie sich<br />
nicht für Jugendliche unter 14 Jahren eignen<br />
und sich wohl vorzugsweise an Mädchen<br />
richten. Schülerbüchereien dürfte die Anschaffung<br />
der Bände (auch der Minibücher)<br />
eine ständige Nachfrage bescheren. Sie bieten<br />
sich durchaus auch für Mädchen-Krimi-<br />
Projekte an, da man Aufbau und Struktur eines<br />
Thrillers hervorragend ableiten und eventuell<br />
in eigene (gemeinsame?) Texte umwandeln<br />
kann. SABINE HARTMANN<br />
Foto (3): Sabine Hartmann<br />
NIEDERSACHSEN 11/2009
24<br />
Fugger erzählt und beeindruckt<br />
Harald Parigger, Fugger und der Duft des<br />
Goldes. Arena, Würzburg, 2009, 150 S., 8,95<br />
Euro.<br />
Dieses Buch erzählt die Geschichte des jungen<br />
Bauernsohnes Johann. Er befreit den<br />
reichen Kaufmann Jakob Fugger, der von Räubern<br />
überfallen wurde. Aus Dankbarkeit nimmt<br />
der Handelsherr seinen Retter mit nach Augsburg<br />
und macht ihn zu seinem Bewacher. Johann<br />
lernt eine neue, für ihn fremde Welt kennen.<br />
Das Unternehmen der Fugger unterhält<br />
Handelsbeziehungen mit vielen Städten in Europa.<br />
Der junge Mann lernt Überfluss, Terminhetze,<br />
Intrigen und Betrügereien kennen. Das<br />
Buch arbeitet geschickt heraus, dass es sich<br />
um eine Zeit im Umbruch handelt. Städte werden<br />
einflussreich. Neue Industriezweige (Bergbau,<br />
Textilherstellung ...), neue Berufe (Brillenmacher,<br />
Metallgießer, Buchdrucker ...) entwickeln<br />
sich und bringen Menschen anderer<br />
Stände Wohlstand. Viele Angehörige des Ritteradels<br />
verarmen. Die Wirtschaftsform des Ka-<br />
Blöd sind sie nicht, die Idioten<br />
Karlijn Stoffels, 1:0 für die Idioten. 165 S., Beltz, 12,95 Euro (ab 13)<br />
Luisa ist in der Villa Strandlust gelandet, einer<br />
psychotherapeutischen Klinik. Man hatte<br />
die knapp 15-Jährige aus dem Meer gezogen,<br />
abgemagert, verwahrlost, schwarz gekleidet.<br />
Ein Jahr dauert es, bis sie in eine betreute<br />
Wohngruppe entlassen werden kann.<br />
Von diesem Jahr lässt Karlijn Luisa selbst<br />
berichten. Luisa ist intelligent, erfasst Situationen<br />
schnell, hat Witz und Einfühlungsvermögen.<br />
Sie sieht, was den anderen in ihrer<br />
Gruppe fehlt, wie ihnen zu helfen ist. Sie<br />
bringt den stummen Daniel zum Reden, hilft<br />
Jezebel sich nicht mehr zu kratzen und<br />
lockt Hassan unter seiner Wolldecke hervor.<br />
Sie kann es besser, als die dösigen<br />
Therapeuten und Sozios(Sozialpädagogen),<br />
glaubt sie. Aber sie leidet eben unter<br />
sehr gestörter Wahrnehmung. Es dauert<br />
lange, ehe sie überhaupt die Therapie<br />
wirklich beginnen kann, zunächst rennt<br />
sie nur ruhelos umher. Aber allmählich<br />
nimmt sie die Hilfsangebote an, wird<br />
ruhiger und bereit, über sich nachzudenken.<br />
Es ist eine traurige und bittere Geschichte,<br />
die Karlijn dem Leser erzählt.<br />
Man lernt viele schwer gestörte<br />
Kinder kennen und es gibt für keines<br />
ein schnelles Happyend. Aber man<br />
darf beobachten, wie verantwortungsvolle<br />
Menschen zu helfen versuchen,<br />
souverän und sicher. Und<br />
der Autorin gelingt es, in dem traurigen Geschehen<br />
Situationswitz zu zeigen. Die Kinder<br />
sind ja nicht blöd, sie kennen ihre Lage<br />
und müssen damit leben und sie haben<br />
eben Spaß daran, beim Fußballspiel die Soziogruppe<br />
zu besiegen. Dann ist der Ruf<br />
„1:0 für die Idioten“ für sie einfach komisch,<br />
Galgenhumor eben.<br />
Jugendliche Leser lernen, dass es neben<br />
dem „normalen“ Leben, das sie selbst hoffentlich<br />
leben, ganz andere Wege gibt, auf die<br />
11/2009 NIEDERSACHSEN<br />
Bücher-Ecke<br />
pitalismus entsteht. - Die einfache Erzählung<br />
über den Bauernsohn wird unterbrochen von<br />
zehn Sachkapiteln, die die Lebensumstände<br />
am Anfang des 16. Jahrhunderts genauer erklären<br />
(Augsburg am Ende des Mittelalters,<br />
Das Privatleben zur Zeit Jakob Fuggers, Was<br />
zu Fuggers Zeiten auf den Tisch kam, Der<br />
Mensch lernt den Wert der Bildung schätzen,<br />
Der Mensch erweitert seinen Horizont: Kopernikus,<br />
Kolumbus, Augsburg und die Reformation.<br />
Zahlreiche Illustrationen unterstützen den<br />
Text. Wichtige Szenen der Geschichtserzählung<br />
werden begleitet von schwungvollen, witzigen<br />
Zeichnungen. Die Sachtexte enthalten<br />
etliche, geschickt ausgewählte Holzschnitte<br />
aus dem 16. Jahrhundert, die Nähe zu der Zeit<br />
vermitteln. Die beigefügten kleinen schwarz-<br />
man geraten kann. Es gibt eben Situationen,<br />
die Menschen in eine andere Welt gleiten<br />
lassen, aus der sie nur mit<br />
professio-<br />
neller Hilfe herauskommen.<br />
Luisas Geschichte lässt mitfühlen und hilft<br />
Lesern sicher auch, Verständnis für Menschen<br />
zuzulassen, die anders sind. Die Jugendlichen<br />
in dem Dorf, an dessen Rand die<br />
Villa Strandlust steht, die haben jedenfalls<br />
überhaupt kein Verständnis, für die wohnen<br />
da ganz einfach Idioten, nach denen man<br />
Steine werfen darf. DOROTHEE PFENNIG<br />
JUGENDLITERATUR UND MEDIEN<br />
weiß-Bilder von Gemälden sind in der Qualität<br />
nicht befriedigend. Ein Glossar am Ende des<br />
Buches erläutert wichtige Begriffe aus dem<br />
Text. Insgesamt gesehen gelingt es dem Autor<br />
lebendige Einblicke in das Alltagsleben der<br />
Zeit zu geben. Das Buch ist sicher eine hervorragende<br />
Ergänzung zu Schulgeschichtsbüchern.<br />
WILFRIED FISCHER<br />
◆<br />
Märchenhaft gut<br />
Karla Schneider, Wenn ich das 7. Geißlein<br />
wär’, Boje 2009, 40 S., ISBN 978-3-414-<br />
82183-6, 14,95 Euro<br />
Zwei Kinder fantasieren zu den Grimmschen<br />
Märchen „Der Wolf und die sieben<br />
Geißlein” und „Rotkäppchen”. Sie erleben<br />
sich in Rollenspielen: Jäger, Rotkäppchen,<br />
Geißlein, Geißenmutter, Hunde und Wölfe. Es<br />
gibt eine Kraft der Verzauberung, eine Kraft der<br />
Angstbewältigung. Diese Kräfte werden in<br />
Märchen dargestellt. Schon vor 30 Jahren hat<br />
Bruno Bettelheim beschrieben: „Kinder brauchen<br />
Märchen”. Das ist – neben Harry Potter –<br />
immer noch aktuell.<br />
Zwei Künstlerinnen haben sich an dieses<br />
außergewöhnliche (Buch-)Werk gemacht. Karla<br />
Schneider hat den Text geschrieben, in dem<br />
Junge und Mädchen (Ottinka Taube) rasant um<br />
die Märchen von den sieben Geißlein und Rotkäppchen<br />
herumfantasieren und tief in die Rollenspiele<br />
eintauchen.<br />
Stefanie Harjes verlegt mit ihren Bildern die<br />
Handlung in ein Krankenhaus mit entsprechenden<br />
Betten, dem Tropf, Wasserflasche<br />
auf dem Nachttisch, Urinflasche unterm<br />
Bett. Der Junge verwandelt sich<br />
in den Jäger, das Grimmsche Märchenbuch<br />
liegt aufgeschlagen auf seinem<br />
Bett, und Ottinka Taube wird zum Wolf;<br />
sie irritiert den Jäger, springt von einem<br />
zum anderen Märchen und geht vom<br />
„blöden Großmutterhaus zum Sieben-<br />
Geißlein-Haus, ätsch-bätsch!”.<br />
Da wird der Junge zum 7. Geißlein. Rollenspiele,<br />
Rollenwechsel, fantastische Erlebnisse!<br />
Und fast immer ist da dieser<br />
große, grimmige, gewaltige, gefährliche<br />
Wolf, der über Betten springt, der bei den<br />
Blumen, aber auch mal nett zu Rotkäppchen<br />
ist oder dem, bei einer OP außer Gefecht gesetzt,<br />
narkotisiert, der Bauch aufgeschnitten<br />
wird; die Geißlein sind befreit!.<br />
Illustrationen und Handlung wirken fast surreal.<br />
Bäume, Häuser, Masken, Kinder wirken<br />
grafisch, wie mit Kohlestrich gezeichnet, dazu<br />
sind Gesichter, Fliegenpilze, Schmetterling,<br />
Fliege, Hirsch, Vogel, Flügel, Akkordeon, Organe<br />
in das Geschehen hineinmontiert. Zum<br />
Thema stimmig etwas Farbe zum Schwarz:<br />
dunkelviolett, rot, grün. Welche Botschaft hat<br />
der große schwarze Vogel? Und der weiße mit<br />
der Krone?<br />
Das Buch ist spannend und attraktiv in seinen<br />
unterschiedlichen Ebenen – Alltagswirklichkeit,<br />
Märchen und Fantasie! „Wenn ich ...<br />
wäre” – angstauslösende und angstbezwingende<br />
Momente sind so herstellbar. Die kleinen<br />
Leser und Leserinnen sollten die beiden<br />
Märchen kennen, dann gehen mit Sicherheit<br />
noch weitere Fantasiereisen los.<br />
Ab 6 Jahren und für alle, die Freude an<br />
kunstvollen, außergewöhnlichen Bilderbüchern<br />
haben! CHRISTIANE SCHRÖDER-HINZ
JUGENDLITERATUR UND MEDIEN 25<br />
Die Mondblume<br />
angehimmelt wird. Cameron (genannt „Underdog”)<br />
verliert fast jeden Kampf, steht aber zäh<br />
immer wieder auf und erlangt so die Achtung<br />
der anderen Boxer.<br />
Die Brüder geraten in große seelische Konflikte,<br />
als sie gegeneinander kämpfen müssen.<br />
„Das ist der größte Kampf meines Lebens. Ich<br />
kämpfe gegen meinen Bruder. Ich kämpfe für<br />
meinen Bruder. (S. 148)” Dieses Füreinanderdasein<br />
zeichnet ihr Verhältnis aus, ist typisch<br />
für die Beziehung der Familienmitglieder, gibt<br />
der Familie Halt.<br />
Der zweite Band „Cameron Wolfe” spielt ca.<br />
ein Jahr später. Ruben hat eine Lehre als Maurer<br />
begonnen; der Familie geht es besser. Cameron<br />
berichtet nun vor allem von sich selbst.<br />
Die anderen halten ihn für einen Versager. Er<br />
selbst wartet auf den Zeitpunkt, wo er erwachsen<br />
werden würde, sucht nach Momenten, in<br />
denen er mit sich „im Reinen” ist. Sehr offen<br />
gewährt er Einblick in sein Inneres, schreibt<br />
Einar Turkowski: Die Mondblume. 32 Seiten,<br />
Atlantis-Orell Füssli Verlag, Zürich 2009, 16,90<br />
Euro ( ab 12)<br />
Zufrieden lebt ein Mann in seinem Garten,<br />
einem kleinen Paradies, einem verwunschenen<br />
Ort verborgen vor der Außenwelt. Zusammen<br />
mit dem Mann geht der Betrachter<br />
auf Entdeckungsreise. An den verschlungenen<br />
Pfaden wachsen wundersame Pflanzen, in denen<br />
sich geheimnisvolle Tiere verbergen. Ganz<br />
hinten im Garten steht eine ganz besondere<br />
Pflanze, die eine Blütenknospe entwickelt, die<br />
sich nicht öffnet. Der Mann lockt die Pflanze<br />
und lässt sich dabei einiges einfallen. Zunächst<br />
bleiben alle seine Versuche vergeblich,<br />
aber in einer Vollmondnacht öffnet sich die<br />
wundersame Blüte und nun wird jede Vollmondnacht<br />
zum Fest.<br />
Die Bilder sind wahre Hingucker. Sie zeigen<br />
die Liebe zum Detail, eine enorme<br />
Vielfalt, Ideenreichtum und<br />
einen Hauch von Surrealismus.<br />
Wirklichkeitsnahe Details bilden<br />
die Bausteine für die traumhafte<br />
Konfiguration.<br />
Einar Turkorwski ist Autor<br />
und Illustrator. Er zeichnet mit<br />
Bleistift und Radiergummi. Dadurch<br />
entstehen Schattierungen<br />
von vollschwarz bis feinste<br />
helle Nuancen. Die Bleistifttechnik<br />
zeigt hohe Akribie und<br />
Perfektion. Es ist unglaublich,<br />
was mit Bleistift und Radiergummi<br />
entstehen kann. Das<br />
Druckpapier dieses Buches ist<br />
beige, um diese Schattierungen<br />
deutlich zu machen. Im Anhang<br />
des Buches werden Maltechnik<br />
und Druckverfahren erläutert.<br />
Einar Turkorwskis erstes Jungs und Sachbücher passen gut zueinander.<br />
Buch, seine Diplomarbeit, bekam<br />
viele Preise, darunter den „Lesepeter“.<br />
◆<br />
Sieger oder Verlierer?<br />
Markus Zusak, Wilde Hunde. cbj, 2008, 366<br />
S., 978-3-570-13612-6, 14,95 Euro<br />
Zwei Romane in einem Band über die Brüder<br />
Wolfe. Die beiden leben in ärmlichen Verhältnissen.<br />
Sie geben aber die Hoffnung nicht<br />
auf und kämpfen mit allen Mitteln, erlaubten<br />
und unerlaubten, für eine bessere Zukunft. Das<br />
Jugendbuch „Wilde Hunde” zeigt einen Ausschnitt<br />
aus dem Leben der Brüder Wolfe, Ruben<br />
und Cameron.<br />
Die beiden Jugendlichen von vielleicht 15<br />
und 16 Jahren leben am Rande einer großen<br />
Stadt in einem Armenviertel. Die Familie<br />
kämpft gegen den sozialen Abstieg, seit der<br />
Vater arbeitslos geworden ist. „Wir sind Wölfe,<br />
wilde Hunde (Titel!), und das ist unser Platz in<br />
der Stadt” (S. 27). Im ersten Buch steht der ältere<br />
der Brüder, Ruben, im Mittelpunkt. Der<br />
nachdenklichere Cameron erzählt die Geschichte.<br />
Um Geld zu verdienen, die häusliche Misere<br />
zu überwinden, aber vor allem um Selbstachtung<br />
wiederzugewinnen, kämpfen die Brüder<br />
bei illegalen Boxkämpfen mit. Ruben (Fighting<br />
Ruben Wolfe) ist ein Siegertyp, der anderen<br />
seinen Stempel aufdrückt und von Mädchen<br />
von seiner Sehnsucht nach Mädchen und der<br />
aufkeimenden Liebe zu Octavia.<br />
Der Klappentext ist falsch, verleitet den Leser<br />
zu einer oberflächlichen Lesart. Die Brüder<br />
sind keine Konkurrenten um das Mädchen. Es<br />
geht in diesem Buch vor allem um Camerons<br />
Kampf um einen würdigen Standpunkt in dieser<br />
Welt. „Ich bin hungrig danach etwas – jemand<br />
– zu sein.” (S. 278) Bei der Suche nach<br />
der eigenen Identität entdeckt er, dass er mit<br />
Worten umgehen kann, dass Geschichten in<br />
ihm ruhen. Dadurch empfindet er eine Art<br />
„Okaysein”. Am Ende kommt er zu dem<br />
Schluss: „Ich habe die wirkliche Welt durchwandert<br />
und mich durch die Dunkelheit der<br />
Straßen in mir geschrieben.” S. 365<br />
Im Anschluss an jedes Kapitel finden sich<br />
Camerons poetische Schreibversuche in Kursivdruck.<br />
Sie nehmen Gedanken des zuvor<br />
Geschilderten auf, weisen auf zukünftige Ereignisse<br />
hin, bilden aber durchaus eine Geschichte<br />
für sich. Sie schildern seine nächtlichen<br />
Wege mit einem fiktiven Hund, den man<br />
als sein alter ego begreifen kann, der ihm die<br />
Richtung weist zu einem sinnerfüllten Leben<br />
als Mensch und Dichter.<br />
Auch wenn man Bücher über das Boxen,<br />
über jugendliche Underdogs, die sich auf dubiose<br />
Weise aus den Slums heraus kämpfen,<br />
nicht mag – dieses Buch wird man nach den<br />
ersten Seiten nicht mehr aus der Hand legen.<br />
Das sprachliche Vermögen des Autors ist<br />
überwältigend. Die Story ist vielleicht nicht<br />
ganz neu, aber durch die Art, wie sie erzählt<br />
wird, wirkt sie ganz neu, ist poetisch, genau<br />
und differenziert, lyrisch und dramatisch. Sie<br />
zieht den Leser in einen Sog; lässt ihn mitfühlen<br />
und leiden mit Cameron und Ruben<br />
Wolfe.<br />
Der Jugendroman ist sehr empfehlenswert<br />
für Jungen und Mädchen und auch für Erwachsene.<br />
Selten wurden Gefühle eines Jungen<br />
so sensibel und subtil beschrieben.<br />
PETRA FISCHER<br />
◆<br />
Mit Fremden gehe ich nicht mit<br />
Edith Schreiber-Wicke, Immer diese Monster,<br />
Thienemann, 2009, 25. S., 978-3-522-<br />
43633-5, 12,90 Euro<br />
Big Monster, Der Greifer, Der Schleicher<br />
und Der Beißer wollen Svenja in<br />
Angst und Schrecken versetzen.<br />
Es gelingt ihnen nicht. Nur<br />
Langohr, Svenjas Kuschelhase,<br />
bibbert. Svenja erklärt ihm die<br />
monstermäßigen „Erscheinungen”<br />
(Palme, Kleiderständer ...).<br />
Die aufgeblasenen, beleidigten<br />
Monster ziehen sich zurück in<br />
Videospiel, Horrorfilm und Gruselbuch,<br />
bis Svenja eines Tages<br />
vor dem Schulhaus wirkliche<br />
Angst spürt und sich durch<br />
monstermäßiges Schreien zu<br />
helfen weiß.<br />
Schon der Titel „Immer diese<br />
Monster” auf dem Hardcover, in<br />
leuchtend gelben bizarr-zittrigen<br />
Großdruckbuchstaben geschrieben,<br />
und dazu die vom<br />
Coverrand grüßenden Porträts<br />
der vier „aufgeblasenen” Monster,<br />
lässt große und kleine Betrachter<br />
ahnen: So sieht richtige Angst auf<br />
keinen Fall aus! Aber der dunkle Schatten des<br />
Mannes vor dem Schulhaus lässt Svenja Kälte<br />
im Magen und etwas Raues im Hals<br />
spüren. Und als der Mann noch wagt zu sagen:<br />
„Ich könnte dich nach Hause bringen”,<br />
setzt dieses deutliche Gefühl in Svenja<br />
Selbstbewusstsein, Mut, Kraft und Energie zu<br />
monstermäßigem Schreien frei.<br />
Langohr fragt: „Waf war denn daf”? Svenja<br />
antwortet: „Das war mein allerbester lautester<br />
Monsterschrei!” Hausmeister, Lehrerin und<br />
Kinder sind alarmiert und schauen besorgt,<br />
beschützend aus Schultür und Fenster. Der<br />
Mann verschwindet. Und dann kommt auch<br />
Mutter, die sich verspätet hat, und Svenja<br />
kann ihr alles erzählen.<br />
Mut tut gut – ist eine wirkungsvolle, wichtige<br />
Affirmation; aber Angst am richtigen Ort<br />
zur richtigen Zeit zuzulassen, zu spüren und<br />
darauf angemessen zu reagieren, ist lebenswichtig!<br />
Das vermittelt das Buch den Kleinen<br />
in Text und Bild eindrücklich. Keine Angst zu<br />
haben – „Das kann äußerst gefährlich sein”,<br />
meint auch Big Monster und bläst nachdenklich<br />
etwas Feuer aus den Nüstern.<br />
Thematisiert ist das alles in klarer, kindgerechter<br />
Sprache, in wunderbar klaren, den<br />
Text detailliert wiedergebenden Bildern – ohne<br />
aufgeblasen zu wirken. So etwas gibt es<br />
NIEDERSACHSEN 11/2009
26<br />
Alle lesen und haben dabei die Wahl zwischen verschiedenen erzählenden und Sachbüchern.<br />
(leider) eben. Die Monster erscheinen in<br />
Leuchtfarben immer auf Schwarz, Svenja lebt<br />
in einem hübschen, in hellen Farben gehaltenen<br />
Zimmer; das Schulhaus leuchtet eigentlich<br />
gelb, aber nicht im Schatten des bedrohlichen<br />
Mannes.<br />
Für Kindergärten und erste Klassen – aber<br />
auch für (Groß-) Elternhäuser!<br />
CHRISTIANE SCHRÖDER-HINZ<br />
◆<br />
Andi hat ein Problem<br />
Jaromir Konecny, Doktorspiele, cbt, 2009,<br />
179 S., 978-3570-16022-0, 12,95 Euro.<br />
Kann er seine Cousine erobern und ihr zeigen,<br />
dass sein Glied nicht zu klein ist. „Endlich<br />
konnte ich mein Lieblingsthema zum Roman<br />
machen”, heißt es in der Danksagung im<br />
Vorspann des Buches. Man kann sich des<br />
Eindrucks nicht erwehren, als hätte der Autor<br />
mit diesem Buch tatsächlich seine eigenen<br />
pubertären Bedrängnisse abgearbeitet. - Ein<br />
vorangestellter Sachtext erklärt, warum Männer<br />
einen dreimal stärkeren Sexualtrieb haben<br />
als Frauen. Im Folgenden wird dann durch<br />
den Ich-Erzähler – Andi – der Beweis geführt,<br />
dass halbwüchsige Jungen sich ausschließlich<br />
mit sexuellen Phantasien, den Körperteilen<br />
der Mädchen oder dem Bedürfnis zu masturbieren<br />
beschäftigen.<br />
Andi hat ein besonderes Problem. Bei<br />
„Doktorspielen” im Alter von sieben Jahren<br />
findet seine gleichaltrige Cousine sein Glied<br />
recht klein. Nach neun Jahren sollen die beiden<br />
sich wiedersehen und Andi fürchtet Lillis<br />
Urteil. Bis Lilli dann auf Seite 74 endlich auftaucht,<br />
erfährt der Leser in vielen Sprachvarianten<br />
alles über das zu begutachtende Körperteil.<br />
Dank des Internets ist der Protagonist<br />
bestens informiert über das weibliche Pendant<br />
und teilt dies in poetischer Form mit („Ich<br />
hab im Web ja schon Hunderttausende Mösen<br />
gesehen, in all ihren Arten und Abarten...”<br />
(S. 44). Wichtig erscheint ihm auch die Anzahl<br />
der zu tätigen Masturbationen und die richtige<br />
„Wichstechnik” (vgl. S. 16).<br />
Andis Freund Dirty Harry versucht<br />
Mädchen (und den Leser?) mit schmutzigen<br />
Witzen zu erheitern. Auf die Begegnung mit<br />
Lilli nach neun Jahren, bei der Andy und Harry<br />
gerade eine Gießkanne und eine Kosmetiktasche<br />
an das erigierte Glied hängen und dabei<br />
singen: „Hey, hey, gib’s mir Baby!” reagiert<br />
Lilli gelassen. Als Tochter eines Arztes ist ihr<br />
die Anatomie des menschlichen Körpers ver-<br />
11/2009 NIEDERSACHSEN<br />
traut, und sie hat ein unverkrampftes Verhältnis<br />
zur Sexualität. Sie findet ihren Cousin lustig<br />
und beobachtet amüsiert, mit wieviel Elan<br />
und Fantasie (Gedichte, Lieder, Zauberei ...)<br />
er sie umwirbt. So endet das Buch mit einem<br />
Happyend. Lilly und Andi werden ein Paar.<br />
Man mag dem Autor zugestehen, dass es<br />
ihm letztlich um einen spielerischen Umgang<br />
mit der Sexualität geht. Es gelingt ihm, lustige<br />
Szenen mit den pubertierenden Helden zu<br />
gestalten, zuweilen blitzt Ironie auf, wird augenzwinkernd<br />
deutlich gemacht, dass man<br />
diese durch Testosteron gesteuerte Phase<br />
nicht zu ernst nehmen sollte. Aber auch so<br />
gute Ideen, wie z. B. den eigenen Vater als<br />
unbekannten Chat-Partner entscheidende<br />
Ratschläge geben zu lassen, werden überlagert<br />
von dem unaufhörlichen „Pimmel-Gerede”.<br />
Für welche Zielgruppe ist das Buch geschrieben?<br />
Hierzu lässt der Autor Harry sagen:<br />
„Was kannst du schon mit sechzehn lesen?<br />
Vor lauter Wichserei kommst du doch zu<br />
gar nichts.” Ältere Jugendliche, die diese angebliche<br />
Phase überwunden haben, interessieren<br />
sich für andere Lektüre; jüngeren ist<br />
das Buch überhaupt nicht zu empfehlen.<br />
PETRA FISCHER<br />
◆<br />
Politik und ihre Problemfelder<br />
Marietta Slomka, Kanzler lieben Gummistiefel,<br />
cbj, 2009, 978-3-570-13555-6, 19,95<br />
Euro.<br />
Die bekannte Nachrichten-Moderatorin<br />
Marietta Slomka legt hier ein bemerkenswertes<br />
Buch vor. Es bietet auf angenehme Weise<br />
eine Einführung in demokratischen Spielregeln<br />
und Abläufe. Die Arbeit im Parlament<br />
kann von außen betrachtet ziemlich langweilig<br />
aussehen. „Doch wer sich auskennt und<br />
die Feinheiten versteht, kann besser mitreden<br />
und über manchen ,Skandal´ auch herzhaft<br />
lachen.” Unterhaltsam werden wichtige Fragen<br />
verständlich beantwortet, so dass man<br />
über Politik Bescheid weiß und die Vorgänge<br />
einordnen kann. Es werden u. a. so wichtige<br />
Problemfelder angesprochen wie: Warum soll<br />
ich wählen gehen? – Wozu brauchen wir eine<br />
Regierung? – Warum kassiert der Staat Steuern?<br />
– Wie wird man Politiker? – Wie werden<br />
Wahlkampagnen gemacht?<br />
Zwischendurch gibt es Interviews mit kompetenten<br />
Persönlichkeiten: Guido Westerwelle<br />
(Wahlkampf), Richard von Weizsäcker (die<br />
JUGENDLITERATUR UND MEDIEN<br />
Macht des Wortes), Ursula von der Leyen<br />
(Frauen in der Politik), Amadeus Hasl-Kleiber<br />
vom Bundesverfassungsgericht (Jeder kann<br />
sein Recht bekommen) ...<br />
Nach dem großen Kapitel „Politik in<br />
Deutschland” folgen die Kapitel „Europapolitik”<br />
und „Weltpolitik”. Gerade die Erläuterungen<br />
zur Europapolitik sind besonders wertvoll,<br />
sind doch die Ansichten über die EU in<br />
der Bevölkerung sehr widerspruchsvoll. Hier<br />
bekommt der Leser, geistreich und unterhaltsam<br />
formuliert, fundiertes Hintergrundwissen<br />
präsentiert. Ein Abschnitt beschäftigt sich besonders<br />
mit der Frage: „Was bringt die EU<br />
speziell Jugendlichen?” Auch das Großkapitel<br />
„Weltpolitik” bleibt dicht an aktuellen Ereignissen<br />
und analysiert auf verständliche<br />
Weise bedeutende Problemfelder.<br />
Zum Schluss werden die fünf wichtigsten<br />
Probleme der Welt herausgestellt: Klimawandel<br />
und nationale Einzelkämpfer – Energiekrise<br />
– Bevölkerungswachstum und fehlende<br />
Gleichberechtigung – Terrorismus – Weltweite<br />
Finanzkrise. Weitere Interviews mit Cem Özdemir,<br />
Frank-Walter Steinmeier und Heidemarie<br />
Wiezcorek-Zeul liefern politische Einblicke<br />
aus erster Hand. Statt eines Nachwortes<br />
enthält das Buch witzige Definitionen ausgewählter<br />
Begriffe und macht noch einmal<br />
deutlich: Politik hat auch unterhaltsame,<br />
manchmal sogar komische Seiten.<br />
Das Sachbuch ist üppig ausgestattet mit<br />
sorgfältig ausgewählten Farbfotos, die den<br />
Text sinnvoll begleiten und erläutern. Anzumerken<br />
bleibt, dass die Herausgeberin Marietta<br />
Slomka vom Verlag auf dem Umschlag<br />
deutlich auch mit Foto herausgestellt wird.<br />
Der Mitautor (Daniel Westland), der sicher<br />
wohl für die meisten Texte verantwortlich ist,<br />
bleibt im Hintergrund.<br />
„Was die Politik entscheidet, geht wirklich<br />
jeden einzelnen von uns an. Ob wir wollen<br />
oder nicht, man kann sich dem gar nicht entziehen.<br />
Besser also, man kann mitreden”<br />
(Slomka im Vorwort). Dazu liefert dieses hervorragend<br />
konzipierte Buch die besten Voraussetzungen.<br />
Dieses Buch ist nicht nur für<br />
Jugendliche eine Fundgrube über Politik,<br />
auch Erwachsene bekommen hier umfangreiche<br />
Informationen. Dieses Buch gehört in jede<br />
Familie. WILFRIED FISCHER
BÜCHER 27<br />
Teamarbeit<br />
als<br />
Schlüssel<br />
zum Erfolg<br />
Günter Binsteiner, Wilfried Kretschmer u. a.,<br />
Teamarbeit macht Schule. Bausteine der Entwicklung.<br />
Robert-Bosch-Gesamtschule, Hildesheim,<br />
Seelze-Velber: Kallmeyer, ISBN:<br />
978-3-7800-1023-0, 120 Seiten, 21,95 Euro<br />
„Hier wäre ich gern zur Schule gegangen“<br />
gestand der Niedersächsische Ministerpräsident<br />
Christian Wulf am 21. Mai 2008 nach einem<br />
Besuch der Robert-Bosch-Gesamtschule<br />
(RBG) in Hildesheim dem Redakteur der<br />
„Hildesheimer Allgemeinen Zeitung“. Wer die<br />
neueste Veröffentlichung der Trägerin des<br />
Hauptpreises des Deutschen Schulpreises<br />
2007, das Buch „Teamarbeit macht Schule,<br />
Bausteine der Entwicklung, Robert-Bosch-<br />
Gesamtschule Hildesheim“, gelesen hat, wird<br />
dem Ministerpräsidenten zustimmen.<br />
Das Wort „Team“ begleitet die Leserin, den<br />
Leser durch das ganze Buch. Es beschreibt<br />
das Zusammenwirken von Lehrenden und<br />
Leitenden, von Lernenden und ihren Eltern in<br />
den jeweiligen Gruppen oder gruppenübergreifend.<br />
„Teamarbeit“ ist tatsächlich der<br />
Schlüssel zum Erfolg der RBG, deshalb<br />
nimmt der Buchtitel zu Recht dieses Wort auf.<br />
Es wird nirgends im Text definiert und auch<br />
nie in einen theoretischen Zusammenhang<br />
gebracht. Alles, was im Buch steht, zeigt,<br />
dass die Schule den Begriff „Teamarbeit“<br />
lebt, alles, was es enthält, ist original Robert-<br />
Bosch-Gesamtschule.<br />
Konsensbildung im Inneren<br />
Getreu seinem Grundsatz, dass es kein Copyright<br />
auf gute Ideen gibt, erzählt das Autorenteam<br />
freimütig, wie die Schule nach der<br />
Gründungseuphorie Anfang der 1970er-Jahre<br />
durch externe Faktoren und innere Probleme<br />
in eine Phase der Resignation geriet, und wie<br />
sie sich aus ihr zunächst durch Reaktion,<br />
dann aber durch selbstbewusste und kompetente<br />
Aktion befreite. Auf diesem Weg spielten<br />
die Schulleitungen eine wichtige Rolle,<br />
wichtiger aber waren die ideenreichen und<br />
umsetzungsstarken Teams, die die Schule<br />
von unten her veränderten, mit offenem Unterricht,<br />
fächerübergreifendem Arbeiten,<br />
Fachpraktika und Facharbeiten und mit sehr<br />
bewusst geplanter Arbeit an außerschulischen<br />
Lernorten in Hildesheim oder weit<br />
außerhalb an der Ostsee entstanden beispielhaft<br />
Mitte der 1980er-Jahre als pädagogische<br />
Reaktion auf eine existenzgefährdende Entwicklung.<br />
„Die Schule blühte aus sich heraus auf“.<br />
Die beiden letzten Schulleiter, Friedemann<br />
Hoppmann und Wilfried Kretschmer, sorgten<br />
für Konsensbildung im Inneren und für deren<br />
Der Buchtitel.<br />
Absicherung durch verbindlicheRegeln und<br />
transparente Strukturen sowie für anerkennende<br />
Aufmerksamkeit von außen. Überträgt<br />
man die Teamentwicklungsuhr von Wilfried<br />
Schley auf die ganze fast vierzigjährige Entwicklung<br />
der RBG, dann lassen sich tatsächlich<br />
ziemlich gleichmäßig verteilt die Phasen<br />
„Forming“, „Storming“, „Norming“ und „Performing“<br />
identifizieren.<br />
Die Schule lebt von der<br />
Identifikation der an<br />
ihr Beteiligten<br />
Organisatorischer wie pädagogischer<br />
Kern der Schule sind die Jahrgangsteams.<br />
Bei ihnen liegt die Zuständigkeit für die vernetzte<br />
Projektarbeit, Praxistage und das Methoden-Curriculum.<br />
Sie begannen auch mit<br />
den kollegialen Unterrichtshospitationen, die<br />
längst fester Bestandteil einer Feed-Back-<br />
Kultur geworden sind, die auch die Schülerund<br />
Elternschaft sowie Instrumente der<br />
Fremdevaluation regelmäßig einbezieht. Die<br />
Jahrgangsleiterinnen und -leiter der Eingangs-,<br />
Mittel- und Oberstufe bilden Stufenleiterteams,<br />
die Stufenleiter sind Mitglieder<br />
der kollegialen Schulleitung. Fachbereichsund<br />
Jahrgangsleiter sowie die Kollegiale<br />
Schulleitung bilden zusammen das Didaktisch-Pädagogische-Gremium,<br />
dem auch<br />
Schüler- und Elternvertreter angehören. Likert<br />
wäre mit der überlappenden Teamorganisation<br />
zufrieden.<br />
Von diesem Didaktisch-Pädagogischem<br />
Gremium – der zentralen Steuerungsgruppe<br />
der Schule – ging dann im Dezember 2002<br />
mit der Sichtung, Bewertung und Neuausrichtung<br />
der Aktivitäten der entscheidende<br />
Impuls für den heute erreichten Entwicklungsstand<br />
aus. Mit diesem Datum trat die<br />
Schule ein in die entscheidende Phase einer<br />
explizierten Schulentwicklung. Der dann von<br />
der Gesamtkonferenz angenommene Masterplan<br />
legte auf einem Zeitstrahl die abzuarbeiten<br />
Projekte fest: Leitbild, Transparenz/Gremienstruktur,<br />
Moderner Lehrplan, Pädagogi-<br />
scher Konsens, Verbesserung der Unterrichtsqualität.<br />
Allein die Entwicklung und Revision<br />
des Modernen Lehrplans, der auf Din-<br />
A-0-Plakate geklebt wurde und als begehbarer<br />
Lehrplan die Aula füllte, zeigt, mit wie viel<br />
Kreativität und Enthusiasmus die Schule ihre<br />
Aufgaben anpackt.<br />
Wer sich anstecken lassen möchte, findet<br />
die Ergebnisse der Robert-Bosch-Gesamtschule<br />
und Tipps für die Praxis dokumentiert,<br />
darunter auch Informationen für die<br />
Betreuer in den Gruppenstunden – zur Zeit<br />
wöchentlich 150 Eltern sowie weitere „Paddys“,<br />
also ältere Schülerpaten für die Jüngeren.<br />
Der zweite und dritte Teil des Buchs handelt<br />
vom Lernen und Leben in der Robert-<br />
Bosch-Gesamtschule und – exemplarisch<br />
für fächerübergreifendes, ganzheitliches Lernen<br />
– von der jährlich stattfindenden Sommerschule<br />
auf der dänischen Insel Aarö. Die<br />
UNESCO-Schule beteiligt sich dort am<br />
UNESCO-Ostsee-Projekt. Die Fotos, die zitierten<br />
Schüler- und Elternäußerungen und<br />
der Text des Autorenteams offenbaren einen<br />
entspannten, kooperativen Umgang miteinander,<br />
der sicher dadurch begünstigt wird,<br />
dass es an der RBG kein Sitzenbleiben gibt.<br />
Das allein reicht als Erklärung für die Erfolge<br />
der Schule allerdings nicht aus. Entscheidend<br />
ist, dass alle das sichere Gefühl haben<br />
können, beteiligt zu sein, anerkannt zu werden<br />
und Unterstützung für ihre persönliche<br />
Entwicklung zu finden. Dazu kommen das<br />
Zulassen von Ideen, das Einlassen auf ihre<br />
Umsetzung und die Offenheit für Kritik.<br />
Starker Viertaktmotor<br />
Was die Hildesheimer Robert-Bosch-Gesamtschule<br />
antreibt, ist ein starker Viertaktmotor<br />
mit den Phasen Planen, Probieren,<br />
Prüfen, Praktizieren. Das vorliegende Buch<br />
lässt erwarten, dass der Treibstoff für den<br />
Motor, die Ideen und Visionen für eine immer<br />
bessere Schule, unerschöpflich fließt.<br />
HARTMUT HÄGER<br />
NIEDERSACHSEN 11/2009
28<br />
EuW 09/2009<br />
Zweigliedrigkeit verbaut<br />
Reformperspektiven<br />
Förderschulen werden ignoriert<br />
In der EuW-Septemberausgabe schreibt<br />
Autorin Brigitte Schumann wieder einmal von<br />
einem dreigliedrigen Schulsystem, dessen eines<br />
Glied abgeschnitten werden soll. Leider<br />
fühle ich mich mitsamt meinem Kollegium<br />
krass übergangen, da wir das vierte Glied dieses<br />
Schulsystems sind – die Förderschulen.<br />
Zukunftschancen unserer Schüler entstehen<br />
so nicht mehr, wenn selbst unsere Gewerkschaft<br />
unsere Arbeit ignoriert. Sind denn zu<br />
wenige Förderlehrer gewerkschaftlich organisiert,<br />
dass wir nicht wahrgenommen werden?<br />
Da die <strong>GEW</strong> nicht zum ersten Mal die Förderschulen<br />
als viertes Glied des Schulsystems<br />
ignoriert, wollte ich meinem Ärger so mal Luft<br />
gemacht haben. H. Schnock<br />
Förderschullehrer FöS Kielhornschule<br />
Braunschweig<br />
●<br />
EuW 10/2009, Seite 20/21<br />
Magnus Klaue, „Privatisierte Pädagogik“<br />
Persönliches Siegertreppchen<br />
Seit mehr als 25 Jahren lese ich regelmäßig<br />
die EuW und musste in dieser Zeit schon das<br />
eine oder andere Mal den Kopf schütteln,<br />
wenn gewerkschaftliches Dogma einen differenzierten<br />
Blick erschwerte oder konservierte<br />
Feindbilder gebotene Sachlichkeit erschwerten.<br />
Mein persönliches Siegertreppchen in<br />
dieser Galerie hat der Artikel von Magnus<br />
Klaue in EuW 10/2009 unter der Überschrift<br />
„Privatisierte Pädagogik“ mühelos erstiegen.<br />
Mit den darin geäußerten Verallgemeinerungen,<br />
verbunden mit Widersprüchlichkeiten<br />
und Unkenntnis der Sachlage, ließ er alle Mitbewerber<br />
mühelos hinter sich.<br />
Die Zahl der Privatschulgründungen hat in<br />
der Tat in den letzten Jahren stark zugenommen<br />
und hält weiter an. Die Nachfrage ist<br />
groß, denn das gegliederte (es ist übrigens<br />
nicht nur „dreigliedrig“!) Schulsystem ist ungerecht,<br />
schafft eine gesellschaftlich/gesell-<br />
60 Jahre<br />
in der <strong>GEW</strong><br />
Zum 60-jährigen <strong>GEW</strong>-Jubiläum gratulieren<br />
wir im November folgenden Kolleginnen<br />
und Kollegen und danken für ihre langjährige<br />
Mitgliedschaft:<br />
Wolfgang Rähmer (Wolfsburg).<br />
Unser Dank gilt außerdem allen Kolleginnen<br />
und Kollegen, deren Mitgliedschaft sich in<br />
diesem Monat zu einem weiteren Jahr rundet.<br />
11/2009 NIEDERSACHSEN<br />
Briefe an die Redaktion<br />
Leserbriefe stellen nicht unbedingt die Meinung der Redaktion<br />
dar. Je kürzer eine Zuschrift ist, desto größer ist die Chance, veröffentlicht<br />
zu werden. Die Redaktion behält sich Kürzungen vor.<br />
schaftspolitisch und für die kindliche Psyche<br />
schädliche Konkurrenzsituation und ist nicht<br />
sonderlich erfolgreich. Es ist keine „dumpfe<br />
Überzeugung“, dass das staatliche Bildungssystem<br />
der nachwachsenden Generation nur<br />
wenig Perspektiven bietet (siehe die Situation<br />
der Haupt- und eines großen Teils der Realschüler),<br />
wie auch der Autor später selbst fürs<br />
Gymnasium feststellt („Entwertung des Abiturs“,<br />
„Universitätsstudium keine Absicherung<br />
gegen ein Leben in Arbeitslosigkeit“).<br />
Spätestens seit PISA wissen wir auch, dass<br />
das „Ideal der Chancengleichheit eine Leerformel“<br />
ist. Leider läuft der Unterricht in den<br />
allermeisten öffentlichen Schulen immer noch<br />
frontal, fragend-entwickelnd, gleichschrittig<br />
und vom Niveau her an der vermeintlichen<br />
Mitte ausgerichtet ab.<br />
Von daher nimmt es nicht Wunder, dass<br />
sich Eltern nach Alternativen umsehen. Diese<br />
Alternativen finden sich überdurchschnittlich<br />
häufig in den meist reformpädagogisch ausgerichteten<br />
privaten Schulen, auch wenn Magnus<br />
Klaue dies mithilfe von drei Einzelbeispielen<br />
(von 5.000! privaten Schulen) in Abrede<br />
zu stellen versucht.<br />
Die vergleichsweise autonome „Ausgestaltung<br />
der Lehrpläne sowie die [Möglichkeit<br />
der] Auswahl der Lehrkräfte“ an privaten<br />
Schulen trägt sicherlich mit zur Attraktivität in<br />
den Augen von Eltern und übrigens auch von<br />
Kolleginnen und Kollegen bei.<br />
Da hilft es auch nicht, wenn Magnus<br />
Klaue die Bemühungen der Schulen in privater<br />
Trägerschaft um Gemeinsinn, Gemeinschaft<br />
und Solidarität auf die „Stärkung einer<br />
corporate identity“ zu reduzieren versucht,<br />
wo doch inzwischen hinreichend<br />
nachgewiesen wurde, welch’ qualitätssteigernde<br />
Wirkung das gemeinsame Ethos einer<br />
Schule hat.<br />
Auch die in der Tat vorhandene „ständige<br />
Kooperation zwischen Eltern und Lehrern“ (ist<br />
übrigens Erlasslage) wird von Herrn Klaue mit<br />
„Konfrontationsvermeidung“ nur unzureichend<br />
beschrieben. Ebenso ist er nicht ganz<br />
auf dem Laufenden, was die Berufsorientierung<br />
an Schulen betrifft. Auch er verwechselt<br />
sie offensichtlich mit Berufsfindung, da er sie<br />
ans Ende der Schullaufbahn setzt. Neueren<br />
Definitionen nach ist Berufsorientierung jedoch<br />
mehr als Berufsfindung und integraler<br />
Bestandteil von Bildung.<br />
Das Argument der „Schule für Reiche“ ödet<br />
langsam an, wenn man bedenkt, dass es an<br />
vielen privaten Schulen mittlerweile Stipendien,<br />
Freiplätze, Schulgeldstaffelungen etc.<br />
gibt und man heute beispielsweise an öffentlichen<br />
Gymnasien Notebooks, Buchmiete,<br />
Skifreizeiten, Mittagessensgeld, Fördervereinsbeiträge<br />
usw. zahlen muss.<br />
Ich bringe im Gegensatz zu Magnus<br />
Klaue Verständnis für alle Schulen auf, die<br />
sich um kontrolliertes Sponsoring oder sinnvolle<br />
Kooperationen mit der freien Wirtschaft<br />
bemühen, wenn Land und Kommunen nicht<br />
für die nötige Ausstattung sorgen (können<br />
oder wollen). T-Shirts mit Logos o.ä. machen<br />
allerdings nur dort Sinn, wo eine Schule<br />
durch gemeinsame Diskussion und Verschriftlichung<br />
von Grundlagen des Umgangs<br />
miteinander und der zu vermittelnden Inhalte<br />
sowie der Nutzung eines umfangreichen<br />
Methodenrepertoires, ein Schulprogramm,<br />
ein Profil und damit ein Schulethos entwickelt<br />
hat (s.o.).<br />
Völlig richtig liegt Magnus Klaue indes mit<br />
seiner Schlussfolgerung; nämlich dass es<br />
dringend nötig ist, „an öffentlichen Schulen<br />
eine Diskussion darüber [zu] beginnen, welche<br />
Form von Bildung den Schülern sinnvollerweise<br />
zu vermitteln wäre [besser: welche<br />
Bildung man ermöglichen sollte] und warum<br />
ein solcher Bildungsbegriff sich nicht mit einer<br />
Schule als Wissensunternehmen verträgt“<br />
und schon gar nicht mit einer Stopf-<br />
Batterie für unzusammenhängende, willkürlich<br />
aneinandergereihte und für die Menschenbildung<br />
überflüssige Informationen.<br />
Gerd Meiborg<br />
Schulleiter der<br />
Heinrich-Albertz-Schule, Salzgitter<br />
Lesepeter der<br />
AJuM der <strong>GEW</strong><br />
Der Lesepeter<br />
ist die<br />
Auszeichnung<br />
der ArbeitsgemeinschaftJugendliteratur<br />
und Medien<br />
(AJuM) der<br />
<strong>GEW</strong> für ein<br />
herausragendes,<br />
aktuelles<br />
Buch der Kinder-<br />
und Jugendliteratur.<br />
Die ausführliche Rezension (mit pädagogischen<br />
Hinweisen) ist im Internet unter<br />
www.ajum.de abrufbar.<br />
Im November 2009 erhält den LesePeter<br />
das Sachbuch: Demay, Éric – Delfine und<br />
Wale, Fotografien von Perrine Douq u.v.a.<br />
Esslinger, Esslingen 2009. Aus dem Französischen<br />
von Anne Brauner, ISBN 978-3-<br />
480-22584-2, 93 Seiten, 19,90 Euro, ab 10<br />
Jahre<br />
Delfine und Wale gehören zu den interessantesten<br />
Lebewesen unserer Meere und<br />
besonders die Delfine galten schon seit Urzeiten<br />
als Freunde der Menschen. Das<br />
Buch macht mit seinen ausgezeichneten<br />
Fotografien und aussagekräftigen Texten<br />
mit ihrer Welt, ihrem Leben und ihrer Geschichte<br />
vertraut.<br />
So erfährt<br />
der Leser<br />
nicht nur interessante<br />
Einzelheiten<br />
über die<br />
Tiere selbst,<br />
sondern<br />
auch über<br />
ihre Beziehungen<br />
zu<br />
Menschen<br />
und anderen<br />
Tieren.
Die Mitgliederversammlung<br />
des Landesausschusses<br />
Junge <strong>GEW</strong> hat ein neues<br />
SprecherInnen-Team gewählt<br />
Sönke Volkmann (Stellvertreter), Stefanie Kramer<br />
(Sprecherin), Bernard Göbel (Stellvertreter;<br />
von links). Als Arbeitsschwerpunkte wurden<br />
Veranstaltungen zur Schnittstelle Studium<br />
und Berufseinstieg vereinbart sowie eine erhöhte<br />
Präsenz der Jungen <strong>GEW</strong> innerhalb<br />
und außerhalb der Gewerkschaft. Auf einem<br />
Klausurtag im Februar 2010 möchte der Landesausschuss,<br />
der sich aus Mitgliedern fast<br />
aller Organisationsbereiche der <strong>GEW</strong> zusammensetzt,<br />
das politische Profil der Jungen<br />
<strong>GEW</strong> schärfen.<br />
Kommission „Courage gegen Rechts“<br />
Einladung zur Mitarbeit<br />
„Wer die Jugend hat, hat die Zukunft“; diese<br />
politische Weisheit haben sich auch die NPD<br />
und die sie flankierenden NS-Kameradschaften<br />
zur strategischen Leitlinie gemacht. Mit Schulhof-CDs,<br />
rechten Schülerzeitungen, Rechtsrock-<br />
Konzerten, politischer Erlebnispädagogik<br />
und radikaler Protestattitüde gelingt es ihnen in<br />
zunehmendem Maße, junge Menschen für ihre<br />
Politik zu interessieren und zu mobilisieren.<br />
Zwar ist die Jugendorganisation der NPD, die<br />
„Jungen Nationaldemokraten“, zahlenmäßig<br />
schwach und in vielen Regionen als organisierte<br />
Kraft kaum wahrnehmbar, jedoch zeigen<br />
Wahlanalysen aus den letzten Jahren, dass ihre<br />
Parolen und die ihrer Mutterpartei NPD bei jungen<br />
Menschen auf erhebliche Resonanz<br />
stoßen.<br />
So wählten z.B. bei der Landtagswahl in<br />
Sachsen 15 Prozent der ErstwählerInnen die<br />
NPD (gegenüber 5,6 Prozent insgesamt). In<br />
Thüringen waren es 14 Prozent, im Saarland<br />
5 Prozent. Probeabstimmungen vor der Bundestagswahl<br />
unter noch nicht wahlberechtigten<br />
Jugendlichen zeigten ähnliche Tendenzen.<br />
Der stetig wachsende aktivistische Kern der<br />
neonazistischen Szene (z.B. bei den Aufmärschen<br />
in Bad Nenndorf und Hannover) besteht<br />
aus Jugendlichen und jungen Erwachsenen.<br />
In unserer beruflichen Tätigkeit in Schule<br />
und Jugendarbeit haben wir es also genau mit<br />
der Altersgruppe zu tun, die ein bevorzugtes<br />
Rekrutierungsfeld neonazistischer Organisationen<br />
darstellt. Wir sind also gefordert, darauf<br />
präventiv, gegebenenfalls auch konfrontativ<br />
zu reagieren. Um hierbei erfolgreich zu sein,<br />
ist ein möglichst fundiertes Wissen über den<br />
rechten jugendlichen Lifestyle (Musik, Kleidung,<br />
Symbolik), über Strategien und Wandlungsprozesse<br />
der rechten Szene (z.B. „Autonome<br />
Nationalisten“) sowie über erfolgreiche<br />
Gegenstrategien („Schule ohne Rassismus“,<br />
Antifa-AGs, AufMUCKEn gegen Rechts etc.)<br />
erforderlich.<br />
Aufgaben der Kommission<br />
Vor diesem Hintergrund hat die Landesdelegiertenkonferenz<br />
beschlossen, auf Landesebene<br />
eine Kommission mit dem Titel „Courage gegen<br />
Rechts“ einzurichten.<br />
Zentrale Aufgaben der zu schaffenden Kommission<br />
sollen es sein,<br />
– aktuelle Informationen über Erscheinungsformen<br />
und Strategien der rechten (Jugend)-Szene<br />
in die Organisation hinein zu vermitteln,<br />
– praxisnahe Beispiele über erfolgreiche Projekte<br />
gegen Rechts zu sammeln und bereitzustellen,<br />
– Hilfe bei Kontakten zu Fachreferentinnen und<br />
Fachreferenten zu leisten<br />
– eine Vernetzung von bereits in diesem Themenbereich<br />
aktiver und erfahrener Kolleginnen<br />
und Kollegen zu fördern<br />
– einen Informations- und Erfahrungsaustausch<br />
zu Arbeitskreisen und Kommissionen anderen<br />
<strong>GEW</strong>-Landesverbänden sowie anderen<br />
DGB- Gewerkschaften aufzubauen.<br />
Für die Mitarbeit in dieser neu aufzubauenden<br />
Kommission werden interessierte Kolleginnen<br />
und Kollegen gesucht! Erfahrungen in der<br />
Thematik Antirassismus/Antifaschismus im<br />
schulischen und/oder außerschulischen Bereich<br />
sind wünschenswert, aber nicht zwingend<br />
Voraussetzung. Es ist geplant, im Januar 2010<br />
ein erstes Kommissionstreffen in Hannover<br />
durchzuführen.<br />
Interessierte Kolleginnen und Kollegen<br />
melden sich bitte per E-Mail unter:<br />
ralfbeduhn@gmx.de oder per Post:<br />
Ralf Beduhn/KGS Leeste,<br />
Schulstraße 40, 28844 Weyhe.<br />
RALF BEDUHN<br />
Schülerwettbewerb zur Geschichte des<br />
2. Mai 1933 gestartet<br />
„Geschichte und Politik<br />
für junge Köpfe“<br />
Der vom Deutschen Gewerkschaftsbund<br />
(DGB) im vergangenen Jahr ins Leben<br />
gerufene Schülerwettbewerb zur Geschichte<br />
des 2. Mai 1933 findet auch im Schuljahr<br />
2009/2010 statt. Klassen, Teams oder Einzelne<br />
aus den Jahrgängen 8 bis 11 aller<br />
Schularten können teilnehmen. Am Beispiel eines<br />
Gewerkschaftshauses ihrer Stadt oder Region<br />
sollen sie die Geschehnisse des 2. Mai<br />
1933, des Tages des nationalsozialistischen<br />
Überfalls auf die Gewerkschaftshäuser, recherchieren<br />
und darstellen. Für die Prämierung<br />
der Arbeiten stellt die gewerkschaftliche Immobiliengesellschaft<br />
GIRO insgesamt 25.000<br />
Euro zur Verfügung. Schirmherr des Wettbewerbs<br />
unter dem Motto „Geschichte und Politik<br />
für junge Köpfe“ ist der ver.di-Vorsitzende<br />
Frank Bsirske.<br />
Letzter Abgabetermin ist der erste Ferientag<br />
der Sommerferien 2010, in <strong>Niedersachsen</strong> also<br />
der 24. Juni 2010. Die Preisverleihung findet<br />
Ende des Jahres 2010 in Berlin statt, inklusive<br />
Reise in die Bundeshauptstadt und zwei<br />
Übernachtungen für die drei Hauptpreisträger.<br />
Im Schuljahr 2008/09 waren rund 30 Beiträge<br />
ausgezeichnet worden. Eine Realschulklasse<br />
aus <strong>Niedersachsen</strong> hatte den ersten Hauptpreis<br />
gewonnen.<br />
„Die geschichtliche Erinnerung wach zu<br />
halten und das kritische Bewusstsein gegen<br />
Neonazis zu stärken, ist das Ziel des<br />
Schülerwettbewerbs“, sagte DGB-Landesvorsitzender<br />
Hartmut Tölle. Jugendliche im Alter<br />
von 14 bis etwa 17 Jahren sollten motiviert<br />
werden, sich mit der lokalen Geschichte der<br />
Arbeiterbewegung einerseits und des Nationalsozialismus<br />
andererseits auseinander zu<br />
setzen.<br />
GIRO-Geschäftsführer Nikolaus Hüwe betont:<br />
„Die große Herausforderung des Wettbewerbs<br />
liegt darin, ein historisches Datum als<br />
konkretes Einzelereignis anschaulich zu machen<br />
und gleichzeitig die politischen Zusammenhänge<br />
zu verstehen.“ Die Geschichte vieler<br />
Gewerkschaftshäuser in Deutschland sei<br />
gut aufgearbeitet, die Schülerinnen und<br />
Schüler könnten bei ihren Recherchen auf umfangreiches<br />
Quellenmaterial zurückgreifen.<br />
Alle Informationen zum Wettbewerb gibt es<br />
im Internet unter www.zweiter-mai-1933.de.<br />
29<br />
NIEDERSACHSEN 11/2009
30<br />
Termine<br />
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft <strong>Niedersachsen</strong><br />
Fachgruppe Sonderpädagogik<br />
www.gew-nds.de/sos<br />
Fortbildungstagung<br />
1. Dezember 2009 in Jeddingen<br />
Jeddinger Hof, Heidmark 1, 27374 Visselhövede<br />
10.00 Uhr: Frau Prof. Dr. Birgit Lütje-Klose (Universität Bielefeld) – Kooperation<br />
von Regelschullehrkräften und SonderpädagogInnen – eine<br />
zentrale Bedingung für eine inklusive Unterrichtung von Kindern mit<br />
besonderem Förderbedarf<br />
Die gemeinsame Erziehung und Bildung von Schülerinnen und Schülern<br />
mit und ohne Behinderungen wird in Deutschland viel diskutiert, aber im<br />
internationalen Vergleich noch immer viel zu selten umgesetzt. Um eine<br />
inklusive Erziehung und Bildung umsetzen zu können, ist die Kooperation<br />
von Regelschullehrkräften und SonderpädagogInnen eine unabdingbare<br />
Voraussetzung. Für beide Berufsgruppen, besonders aber für die<br />
SonderpädagogInnen sind damit Veränderungen in den Rollen und Aufgaben<br />
verbunden, viele Absprachen und Einigungsprozesse werden<br />
notwendig.<br />
14.00 Uhr: Arbeitsgruppen zu Projekten aus dem Gemeinsamen Unterricht<br />
AG 1 Integrierte Gesamtschule Hannover Linden / Jakob-Muth-Preis<br />
2009 – KollegInnen berichten über ihren Weg zur Inklusiven Schule<br />
AG 2 „Integrative (Inklusive?) Arbeit an der Grundschule am Ottermeer –<br />
„Eine Schule für alle“ – Zwei Kolleginnen stellen das Integrationskonzept<br />
vor.<br />
AG 3 Zentrum für Beratung und Erziehung im Landkreis Hameln – KollegInnen<br />
der Albert-Schweitzer-Schule stellen die Arbeit des<br />
Beratungszentrums im Rahmen des Mobilen Dienstes Erziehungshilfe<br />
vor.<br />
Tagungsbeitrag incl. Mittagessen: Mitglieder 10 Euro, Nichtmitglieder<br />
30 Euro, AnwärterInnen 5 Euro<br />
Anmeldung nicht erforderlich<br />
Programm<br />
18.30 Uhr Begrüßung – Petra<br />
Wilke, Leiterin des Landesbüros<br />
der Friedrich-Ebert-Stiftung<br />
Impulsvortrag – Abdul Samad<br />
Mrowat, Konsul der Islamischen<br />
Republik Afghanistan<br />
anschließend Diskussion mit<br />
Franz H. U. Borkenhagen,<br />
ehem. Leiter des Planungsstabes<br />
im Bundesministerium der<br />
Verteidigung, Manija Gardizi,<br />
Politologin, Berlin, Hans-Ulrich<br />
Klose, MdB, Abdul Samad<br />
Mrowat, Konsul der Islamischen<br />
Republik, Afghanistan<br />
Moderation: Christian Holzgreve,<br />
Hannoversche Allgemeine<br />
Zeitung<br />
21.00 Uhr Ende der Veranstaltung<br />
Verantwortlich: Susanne Stollreiter, Friedrich-Ebert-Stiftung, Landesbüro<br />
<strong>Niedersachsen</strong><br />
Organisation: Friedrich-Ebert-Stiftung, Landesbüro <strong>Niedersachsen</strong><br />
Theaterstraße 3, 30159 Hannover, Tel.: 0511 357708-30, Fax: 0511<br />
357708-40, niedersachsen@fes.de<br />
11/2009 NIEDERSACHSEN<br />
3. März 2010<br />
6. Wirtschaft-Live-Messe<br />
in diesem Jahr an den BBS Bremervörde<br />
SCHÜLER UNTERNEHMEN ZUKUNFT<br />
Am 3. März 2010 findet die 6. Wirtschaft-Live-Messe der berufsbildenden<br />
Schulen statt, ausrichtende Schule ist in diesem Jahr<br />
die BBS Bremervörde. Angeregt während einer Lehrerfortbildung<br />
zu Wirtschaft-Live-Projekten an den BBS Bremervörde im<br />
Jahre 2003, wurde diese Art der Veranstaltung schnell zu einer<br />
Institution mit stets wandelnden Schwerpunkten. In den Jahren<br />
2004, 2005 und 2006 an den BBS Verden sowie 2008 an den<br />
BBS II Stade und 2009 an den BBS Zeven bildete der Messecharakter<br />
mit Fachvorträgen sowie Experten-informationen<br />
den Schwerpunkt, während im Jahr 2007 an den BBS Bremervörde<br />
eine reine Fortbildungs- und Informationsveranstaltung<br />
für Lehrerinnen und Lehrer geplant wurde.<br />
Ausrichter ist wieder das bewährte Team der BBSen Bremervörde,<br />
Stade II, Verden und Zeven mit Unterstützung aus den BB-<br />
Sen Buxtehude sowie Osterholz-Scharmbeck unter der Schirmherrschaft<br />
der Landesschulbehörde Lüneburg. Dieses Team<br />
hatte auch die bisherigen überregional sehr gut angenommenen<br />
Veranstaltungen ausgerichtet.<br />
In diesem Jahr wird wieder eine Messe im bewährten Rahmen<br />
konzipiert, auf der sich verschiedenste Wirtschaft-Live-Projekte<br />
den Besuchern vorstellen. Neben dem inzwischen sich etablierten<br />
"Lehrer-Stammtisch" mit Informationsblöcken von Praktikern<br />
für Praktiker wird auch ein Erfahrungsaustausch zu Wirtschaft-Live-Projekten<br />
vor dem Hintergrund der inzwischen vollzogenen<br />
Neuordnung der beruflichen Grundbildung angeboten.<br />
Anmeldungen bitte mit dem unter http://www.wirtschaft-livemesse.de<br />
abrufbaren Bogen an die BBS Stade II, Herrn Reduhn,<br />
Fax: 04141 492-205, zu senden. Weitere Infos mit vorgesehenem<br />
Tagesprogramm sind abrufbar unter www.wirtschaft-livemesse.de<br />
oder Thorsten Eilers, Johann-Heinrich-von-Thünen-<br />
Schule, BBS Bremervörde, für das ORGA-Team, Tel. 04761 983-<br />
5656.<br />
Programm<br />
Freitag, 04.12.2009, 16.00<br />
Uhr Begrüßung und Einführung<br />
16.15 Uhr Vortrag mit Diskussion<br />
– Der organisierte<br />
Rechtsextremismus in <strong>Niedersachsen</strong><br />
Rechte Strukturen,<br />
rechte Ideologie,<br />
rechte Aktionen Andreas<br />
Speit, Journalist und Autor<br />
18.00 Uhr Abendessen<br />
19.00 Uhr Vortrag mit DiskussionRechtsextremismus<br />
an der Schule – Lifestyle,<br />
Symbole, Musik, Fabian<br />
Kaufmann, Sozialpädagoge<br />
Samstag, 05.12.2009, 9.00<br />
Uhr Film „Machtspiele“,<br />
Auswertung und Diskussion<br />
11.00 Uhr Vortrag mit Diskussion<br />
Stammtischparolen<br />
und rechte Sprüche, Jürgen<br />
Schlicher, Diversity Works<br />
e.V.<br />
12.30 Uhr Mittagspause<br />
13.30 Uhr Gruppenarbeit – Umgang mit rechten Sprüchen und Stammtischparolen<br />
– Reaktionsmöglichkeiten – Rollenspiele und Gegenargumente,<br />
Jürgen Schlicher, Diversity Works e.V.<br />
17.00 Uhr Seminarende<br />
Anmeldung bis 20. November 2009. Anfragen und Anmeldungen an:<br />
Friedrich- Ebert- Stiftung, Landesbüro <strong>Niedersachsen</strong>, Verantwortlich:<br />
Susanne Stollreiter, E- Mail: niedersachsen@ fes. de, Tel. 0511 357708-<br />
30, Fax 0511 357708- 40
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Statistisches Bundesamt, September 2009 Quelle: Böckler impuls<br />
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31<br />
NIEDERSACHSEN 11/2009
32<br />
Ein Cartoon von Peter Baldus<br />
11/2009 NIEDERSACHSEN<br />
LETZTE SEITE
16 17<br />
Eingangsamt für Lehrkräfte mit dem Lehramt<br />
an Realschulen wird auf A 12 gesenkt<br />
Mit der Änderung des Niedersächsischen Besoldungsgesetzes<br />
hat der Landtag im Oktober beschlossen, dass ab dem Einstellungsverfahren<br />
zum 01.02.2010 Lehrkräfte mit dem Lehramt an<br />
Realschulen unabhängig von der Schulform ausschließlich in das<br />
Eingangsamt mit der Besoldungsgruppe A 12 NBesO in den niedersächsischen<br />
Schuldienst eingestellt werden. Eine Übertragung<br />
des Eingangsamtes nach A 13 BBesO kommt nicht mehr in Betracht.<br />
Aktualisierte Informationen zur Neuen Influenza<br />
Mit Stand vom 05.11.2009 sind die Informationen zur Neuen Influenza<br />
für Eltern und Schüler/innen aktualisiert worden. Das Merkblatt<br />
ist zu finden unter:<br />
http://cdl.niedersachsen.de/blob/images/C59591651_L20.pdf<br />
Besondere Regelungen für teilzeitbeschäftigte<br />
und begrenzt dienstfähige Lehrkräfte<br />
Dem Schulhauptpersonalrat ist es gelungen, dass nun auch die<br />
begrenzt dienstfähigen Lehrkräfte in die Erleichterungen der Arbeitsbedingungen<br />
für teilzeitbeschäftigte Lehrkräfte einbezogen sind. Die<br />
Erleichterungen in Kurzform:<br />
– Soweit wie möglich sollten teilzeitbeschäftigte Lehrkräfte für<br />
dienstliche Aufgaben nur im Umfang ihrer reduzierten Unterrichtsverpflichtung<br />
eingesetzt werden.<br />
– Dasselbe gilt für Springstunden, soweit sie nicht vermieden werden<br />
können.<br />
– Ein unterrichtsfreier Tag ist zu ermöglichen, wenn die Unterrichtsverpflichtung<br />
um mindestens ein Drittel ermäßigt ist.<br />
– Auf familiäre Verpflichtungen sollte Rücksicht genommen werden.<br />
Dies gilt insbesondere für die Festlegung von Unterrichtsbeginn<br />
und Unterrichtsende.<br />
Diese Regelungen gelten auch für Altersteilzeitbeschäftigte. Zusätzlich<br />
ist für diejenigen, die aus familiären Gründen (§ 62 NBG) reduziert<br />
haben, ausgeschlossen, dass sie am Vormittag und Nachmittag<br />
desselben Tages und mit weniger als zwei Stunden am Tag eingesetzt<br />
werden.<br />
Für Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst findet dieser Erlass keine<br />
Anwendung. In besonders begründeten Einzelfällen kann das MK<br />
dennoch zustimmen. Der vollständige Erlass ist auf der Homepage<br />
des SHPR abrufbar.<br />
Fachberaterinnen und Fachberater für schulformbezogene<br />
Fachberatung werden geschult<br />
Zu einer zentralen Auftaktveranstaltung trafen sich im September<br />
2009 262 Fachberaterinnen und Fachberater, die für die<br />
schulformbezogene Fachberatung an Grund-, Haupt-, Real- und<br />
Förderschulen zuständig sein werden. Aufgaben der Fachberatung<br />
sind u. a. die unterrichtsbezogene Beratung und Vermittlung neuer<br />
fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Erkenntnisse, die<br />
Mitwirkung bei der Qualitätsentwicklung und –sicherung der<br />
Schulen unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Vergleichsarbeiten,<br />
Abschlussprüfungen und Inspektionsberichte, die Unterstützung<br />
bei der Schulprogrammentwicklung, die Mitwirkung bei<br />
Unterrichtsbesichtigungen sowie die Mitgestaltung von Fortbildungsmaßnahmen<br />
der Schulen. Die neu ernannten Fachberaterinnen<br />
und Fachberater werden nun zunächst mit einem von der<br />
Landesschulbehörde und dem NiLS konzipierten Konzept qualifiziert,<br />
das sieben Module umfasst. Fachliche Unterstützung erfährt<br />
das Projekt durch Prof. Dr. Jürgen Oelkers von der Universität<br />
Zürich. Dieser betonte in seinem Vortrag im Rahmen der Veranstaltung<br />
die Notwendigkeit, das Know-how im Umgang mit den<br />
neuen Anforderungen in den Schulen aufzubauen. Ansonsten<br />
würde die nächste Bildungsreform versanden und – wie der<br />
Schweizer sagt – einer „Schubladisierung“ Vorschub geleistet<br />
werden. Der Vortrag sowie weitere Informationen lassen sich auf<br />
der Homepage der Landesschulbehörde finden.<br />
Am Rande: Bisher konnte erst die Hälfte der geplanten Zahl an<br />
Fachberaterinnen und Fachberatern verpflichtet werden - ein Zeichen<br />
dafür, dass die Bedingungen für die Aufgabenwahrnehmungen nicht<br />
attraktiv genug sind.<br />
Weitere 120 Ganztagsschulen in 2010<br />
Im Schuljahr 2010/2011 sollen weitere 120 Ganztagsschulen<br />
genehmigt werden. Um diese Schulen mit einer sogenannten<br />
Grundausstattung an Lehrerstunden (2,5 Stunden pro Klasse für<br />
die Jahrgänge 3 bis 6) versorgen zu können, sind im Landeshaushalt<br />
zwei Mio. Euro veranschlagt. Sollten mehr Anträge eingehen,<br />
als mit dieser Summe ausgestattet werden können, sollen<br />
geeignete Kriterien zur Prioritätensetzung entwickelt werden<br />
(Protokoll der 47. Plenarsitzung, Seite 6016). Zusätzliche Haushaltsmittel,<br />
um schon bestehende Ganztagsschulen mit weiteren<br />
Lehrerstunden versorgen zu können, sind bisher nicht eingeplant.<br />
11/2009 NIEDERSACHSEN<br />
Arbeitsgruppe des MK erarbeitet<br />
Konzept für Umsetzung des<br />
G8 an Gesamtschulen<br />
Das MK hat eine Arbeitsgruppe gebildet,<br />
deren Auftrag es ist, noch vor dem gesetzlich<br />
vorgeschriebenen Anhörungsverfahren die<br />
Konzepte für die untergesetzlichen Regelungen<br />
zur Einführung des Abiturs nach 8 Jahren<br />
an Gesamtschulen vor dem Hintergrund der<br />
bisherigen Gesamtschulpraxis und Gesamtschulerfahrungen<br />
zu erörtern und zu reflektieren.<br />
Die AG setzt sich aus 3 Schulleiter/innen<br />
der IGS, je zwei Stufenleiter/innen des Sekundarbereichs<br />
I und II der IGS, zwei Schulleiter/innen der KGS, zwei<br />
Vertreter/innen der Gemeinnützigen Gesellschaft Gesamtschule sowie<br />
zwei für Gesamtschulen zuständigen Dezernent/innen der LSchB<br />
zusammen und wird von dem zuständigen Referatsleiter im MK geleitet.<br />
Das Anhörungsverfahren soll zum Jahreswechsel eingeleitet werden,<br />
mit der Veröffentlichung der Erlasse und Verordnungen ist im<br />
Frühjahr zu rechnen. Ebenfalls in die Anhörung gehen werden die<br />
Neufassungen der Grundsatzerlasse für die Hauptschulen und die<br />
Realschulen, um die schulgesetzlich neu vorgeschriebene Profilbildung<br />
und Berufsorientierung umzusetzen. Hierzu sind vom MK keine<br />
vorbereitenden Arbeitsgruppen mit Externen eingerichtet worden.<br />
Unterrichtsbesuche des Schulleiters<br />
Gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 NSchG unterrichten und erziehen Lehrkräfte<br />
in eigener pädagogischer Verantwortung. Diese Garantie dient<br />
jedoch ausschließlich öffentlichen Interessen. Aus ihr ergibt sich kein<br />
grundsätzlich subjektives Abwehrrecht gegenüber Eingriffen des<br />
Dienstherren in die Unterrichtstätigkeit. Eine Lehrkraft hat deshalb<br />
auch einen Unterrichtsbesuch der Schulleiterin bzw. des Schulleiters<br />
zu akzeptieren. Im Falle von Beschwerden etc. darf sich der Schulleiter<br />
bzw. die Schulleiterin durch Unterrichtsbesuche ein eigenes Bild<br />
von der Lehrtätigkeit machen. Eine Stichprobenfunktion können solche<br />
Besuche nur ohne eine genaue Terminankündigung erfüllen.<br />
(OVG Lüneburg, 15.05.2009, AZ 5 ME 39/09)<br />
Umsatzsteuer für Schulverpflegung<br />
Mit Urteil vom 12.02.2009 (V R 47/07) hob der Bundesfinanzhof ein<br />
Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichtes vom 23.05.2007 (5 K<br />
365/02) auf und beschied: Die Umsätze aus der entgeltlichen Verpflegung<br />
von Lehrern und Schülern einer Ganztagsschule durch einen<br />
privaten Förderverein sind weder nach dem UStG noch nach Art 13<br />
Teil A Abs. 1 Buchstabe i der Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei. Gegen<br />
Steuerbescheide des Finanzamtes hatte ein eingetragener Förderverein<br />
von Eltern, der in einem Gymnasium eine Cafeteria eingerichtet<br />
hatte und Schüler und Lehrkräfte mit Speisen und Getränken versorgte.<br />
Das niedersächsische Finanzgericht hatte der Klage mit Hinweis<br />
auf Art 132 Abs 1 Buchstabe i der Richtlinie 2006/112/EG stattgegeben.<br />
Die Revisionsentscheidung des Bundesfinanzhofes führte<br />
aber zur Aufhebung dieses Urteils und zur Abweisung der Klage. Eine<br />
steuerfreie Gewährung von Beherbergung und Beköstigung sei nur<br />
dann steuerfrei, wenn dem Unternehmer selbst die Erziehung, Ausbildung<br />
oder Fortbildung der Jugendlichen obliege. Dies sei bei der<br />
Beköstigung von Schülern und Lehrern an einer Schule durch einen<br />
Elternverein nicht der Fall. Der Kläger könne sich auch nicht darauf<br />
berufen, dass die Schule sich seines Unternehmens nur als Erfüllungsgehilfe<br />
bedient habe, da er den Verkauf von Getränken und<br />
Mahlzeiten nicht im Namen des Schulträgers durchgeführt habe. Eine<br />
vom Kläger vorgelegte Bescheinigung, wonach er im Interesse des<br />
Schulträgers tätig geworden sei, genüge nicht.<br />
Übernahme des Tarifabschlusses<br />
auf Beamtenbesoldung<br />
Der Alimentationsgrundsatz ist nicht verletzt, wenn der Tarifabschluss<br />
für den öffentlichen Dienst mit einer Verzögerung von fünf<br />
Monaten für die Beamtenbesoldung übernommen wird. BVerG. Urteil<br />
vom 23.07.2009 – 2 C 76.08.<br />
Schulvorstand – Was tun, wenn sich die<br />
Anzahl der Sitze während der laufenden<br />
Amtsperiode verändert?<br />
Für Schulen im Aufbau kann sich das Problem ergeben, dass sich<br />
im Laufe der zweijährigen Amtszeit des gerade gewählten Schulvorstandes<br />
die Zahl der Vollzeitlehrereinheiten mit Auswirkung auf die<br />
Anzahl der Sitze im Schulvorstand erhöht. Ab 21 Lehrkräften steigt<br />
die Zahl der Mitglieder im Schulvorstand von 8 auf 12 an, ab 50 Lehrkräften<br />
besteht der Schulvorstand aus 16 Personen. In diesem Fall ist<br />
die erforderliche Anzahl von neuen Mitgliedern nachzuwählen.<br />
Sollte die Zahl der Lehrkräfte aufgrund zurückgehender Schüler/innenzahlen<br />
sinken, so ist dies erst bei der nächsten obligatorischen<br />
Wahl zu berücksichtigen. Wird allerdings zu Schuljahresbeginn<br />
festgestellt, dass die Zahl der Vollzeitlehrereinheiten nicht nur vorübergehend<br />
weniger als vier (nicht aufgerundet) ausmacht, ist der<br />
Aus Rechtsschutz-<br />
gew-nds.de/SHPR<br />
Schulvorstand aufgelöst und die Gesamtkonferenz übernimmt<br />
gemäß § 38b Abs. 1 Satz 5 NSchG die Aufgaben, unabhängig davon,<br />
ob die zweijährige Wahlperiode der Erziehungsberechtigten und<br />
Lehrkräfte beendet ist. Wird die Schwellenzahl vier überschritten, ist<br />
auch im laufenden Schuljahr ein Schulvorstand zu bilden.<br />
Repräsentativerhebung zu den Kopiergewohnheiten<br />
von Unterrichtsmaterialien<br />
Der Gesamtvertrag über die Abgeltung urheberrechtlicher Ansprüche<br />
schreibt vor, Erhebungen über die Kopiergewohnheiten von<br />
Schulen vorzunehmen. In <strong>Niedersachsen</strong> wurden von der Landesschulbehörde<br />
88 Schulen ausgewählt, die drei Prozent der Gesamtschülerzahl<br />
repräsentieren sollen. Die Lehrkräfte der betroffenen<br />
Schulen müssen in einem Zeitraum von acht Schulwochen bis zum<br />
11.12.2009 von allen Fotokopien und Vervielfältigungen, die sie für<br />
Unterrichts- oder Prüfungszwecke herstellen, ein Zusatzexemplar kopieren<br />
und dieses mit einem Begleitformular sammeln. Die Unterlagen<br />
gehen ohne Absender der Schulen an die Zentralstelle Fotokopieren<br />
an Schulen (ZFS) und werden dort unter Wahrung der Anonymität<br />
ausgewertet. Die derzeit gültige Vereinbarung zwischen den<br />
Bundesländern und den Rechteinhabern endet am 31.12.2010. Neue<br />
Regelungen sollen dann auf der Grundlage der jetzt laufenden Erhebung<br />
getroffen werden. Die derzeit geltenden Regelungen lassen sich<br />
auf der Homepage des MK finden: www.mk.niedersachsen.de, Pfad<br />
„Themen“.<br />
Änderung des Erlasses zur Schulinspektion<br />
Durch eine Änderung des Erlasses „Schulinspektion in <strong>Niedersachsen</strong>“<br />
plant das MK eine Anpassung an die Praxis sowie einen<br />
verbesserten Informationsfluss. So wird geregelt, dass die zuständigen<br />
Dezernent/innen der LSchB zukünftig bei der mündlichen Rückmeldung<br />
an die Schulöffentlichkeit nach Abschluss einer Inspektion<br />
dabei sind und den Entwurf des schriftlichen Berichtes erhalten. Die<br />
Schulträger sollen neben Gesamtkonferenz und Schulvorstand<br />
zukünftig die ungekürzte Schlussfassung des Berichts erhalten. Ein<br />
besonderer Hinweis gilt dem Einhalten datenschutzrechtlicher Bestimmungen,<br />
insbesondere der im Bericht enthaltenen personenbezogenen<br />
Daten. In Fällen, in denen die NSchI eine Nachinspektion<br />
festlegt, soll neben der Abstimmung über Verbesserungs- und Unterstützungsmaßnahmen<br />
eine Vereinbarung zwischen LSchB und Schule<br />
geschlossen werden, in der Indikatoren für die Zielerreichung formuliert<br />
sind.<br />
LINKE fordert kostenfreie Schülerbeförderung<br />
Die Landtagsfraktion der Linken hat einen Gesetzentwurf zum<br />
Schülertransport in den Landtag eingebracht, der die kostenfreie<br />
Schülerbeförderung für alle Schüler/innen, d. h. auch für die, die eine<br />
SEK II oder die BBS besuchen, vorsieht. Unter Berücksichtigung des<br />
Konnexitätsprinzips würden auf das Land durch die Ausweitung des<br />
Berechtigtenkreises auf kostenlose Beförderung Mehrkosten von<br />
jährlich etwa 60 Millionen Euro zukommen.<br />
Kein Schulobstprogramm in <strong>Niedersachsen</strong><br />
Trotz intensiver Bemühungen der schulobstpolitischen Sprecher<br />
der Landtagsfraktionen wird sich <strong>Niedersachsen</strong> voraussichtlich<br />
nicht an dem EU-Programm in Höhe von 90 Mio. beteiligen, da der zu<br />
erbringende Eigenanteil des Landes in Höhe von 1,5 Mio. nicht bereitgestellt<br />
wird. Der Versuch des Landwirtschaftsministers Ehlen, private<br />
Sponsoren zu gewinnen, war auch nicht von Erfolg gekrönt. Begründet<br />
wird der Ausstieg aber auch mit dem unvertretbar hohen<br />
bürokratischen Mehraufwand, der auf Schulen und Kommunen zugekommen<br />
wäre. Die Opposition sieht dieses als Vorwand an, damit<br />
sich das Land um die Finanzierung drücken könne. Den Schulen<br />
bleibt damit allerdings erspart, dafür Sorge zu tragen, dass die Obstund<br />
Gemüseversorgung der Schülerinnen und Schüler Eu-gerecht<br />
und damit ohne Bevorteilung des Altländer Apfels gegenüber der<br />
Orange aus Valencia, erfolgt. Auch die Frage, ob Smoothies oder Tomatenmark<br />
richtliniengemäß als kostenfrei zu verteilendes Obst und<br />
Gemüse gelten, muss ebenso wenig geklärt werden, wie die Festlegung,<br />
wer protokolliert, welcher Schüler wann wie viel Obst erhalten<br />
hat. Als Alternative verwies Landwirtschaftsminister Ehlen auf das<br />
privatwirtschaftlich organisierte Schulapfelprojekt im Alten Land, das<br />
ein „hervorragendes Modell“ sei und ohne komplizierte, überregle-<br />
Bitte ans<br />
„Schwarze<br />
Brett“ hängen<br />
und<br />
Personalratsarbeit<br />
mentierte staatliche Einmischung<br />
erfolgreich laufe. Das Projekt sieht<br />
vor, dass die Schüler nach einer<br />
Absprache zwischen der Schule<br />
und dem Lieferanten täglich einen<br />
frischen Apfel bekommen. Die<br />
Kosten dafür liegen bei 20 Euro pro<br />
Kind und Schulhalbjahr. Die FDP<br />
hingegen forderte einen neuen<br />
Schulobstplan, der ohne EU-Mittel<br />
auskommt.<br />
Haushaltsführung im<br />
Haushaltsjahr 2009<br />
Die Haushaltssperre für Sachausgaben ist mit Erlass des Finanzministeriums<br />
vom 02.10.2009 für den Bereich des Kultusministeriums<br />
aufgehoben worden. Betroffen sind u. a. die 10-prozentige Kürzung<br />
der Mittel für Fortbildungsmaßnahmen. Vorgesehen ist außerdem,<br />
auch den Einstellungsstopp zu beenden. Betroffen hiervon sind z. B.<br />
die Schulsozialarbeit sowie die Schulassistent/innen.<br />
Einbindung der Fachkräfte für Arbeitssicherheit<br />
bei Sanierungs- und Baumaßnahmen<br />
Das MK hat in einem Schreiben an alle Schulen darauf hingewiesen,<br />
dass bei den Baumaßnahmen im Rahmen der Umsetzung<br />
des Konjunkturpaketes II die Aspekte des Arbeitsschutzes mit in<br />
den Blick genommen werden sollten. Die Fachkräfte für Arbeitssicherheit<br />
sollten deshalb frühzeitig in die Planung von Sanierungsund<br />
Baumaßnahmen einbezogen werden, um Planungsfehler zu<br />
vermeiden und Beispiele guter Praxis einzubeziehen. Zuständig<br />
für die Baumaßnahmen seien zwar die Schulträger, das Einbeziehen<br />
der Fachkräfte für Arbeitssicherheit sollte ihnen jedoch von<br />
den Schulleitungen als Serviceangebot des Landes vorgeschlagen<br />
werden.<br />
Schüler-Mails: Zwischen Aufsichtspflicht<br />
und Fernmeldegeheimnis<br />
Der Lehrerinformationsdienst macht auf seiner Homepage<br />
(www.erfolgreich-lehren.de) darauf aufmerksam, dass Lehrer nicht alles<br />
lesen dürften, was Schüler im Unterricht schreiben, da die Aufsichtspflicht<br />
mit dem Fernmeldegeheimnis kollidiere. So dürften<br />
Lehrkräfte z. B. die Schüleraktivitäten am Rechner im Computerraum<br />
der Schule überprüfen und eine nicht unterrichtsbezogene Tätigkeit<br />
untersagen, das Lesen einer privaten E-Mail verbiete sich gemäß Artikel<br />
10 des Grundgesetzes und Paragraf 88 des Telemediengesetzes<br />
allerdings.<br />
Hospitationen von Erziehungsberechtigten<br />
im Unterricht<br />
Im Niedersächsischen Schulgesetz gibt es keine ausdrückliche<br />
Regelung über Besuche von Erziehungsberechtigten im Unterricht.<br />
Hospitationen durch Eltern sind jedoch möglich, wie z. B. im<br />
Grundschulerlass geregelt wird. In den Grundsatzerlassen der<br />
Schulformen wird weiterhin geregelt, in welcher Weise dem Gedanken<br />
der konstruktiven Zusammenarbeit zwischen Schule und<br />
Elternhaus Rechnung getragen werden kann. Dies kann unter anderem<br />
durch Elternsprechtage, Elternabende, Informationsveranstaltungen<br />
oder Einzelberatungsgespräche geschehen. Darüber hinaus<br />
haben die Lehrkräfte gemäß § 96 Abs. 4 NSchG Inhalt, Planung<br />
und Gestaltung des Unterrichts mit den Klassenelternschaften,<br />
z. B. auf Elternabenden, zu erörtern. Nach Auffassung des<br />
MK können diese Gespräche ggf. sachlicher und praxisorientierter<br />
geführt werden, wenn den Erziehungsberechtigten die Gelegenheit<br />
gegeben wird, auch den Unterricht zu besuchen. Elternbesuche<br />
müssen jedoch zwischen den einzelnen Eltern und der Klassenbzw.<br />
Fachlehrkraft abgesprochen werden, da die Lehrkraft die<br />
letzte Entscheidung darüber habe, ob eine bestimmte Unterrichtsstunde<br />
für einen Elternbesuch geeignet ist oder nicht. Ein<br />
grundsätzliches Ablehnen von Elternhospitationen ist ebenso wenig<br />
möglich wie ein Eingreifen der Eltern in den Unterricht.<br />
Beschränkte steuerliche Berücksichtigung<br />
nicht mit dem Grundgesetz vereinbar<br />
Das NLBV informiert in einem elektronischen Informationsbrief<br />
über die Änderung des § 10 EStG mit Wirkung ab Januar 2010<br />
durch das Bürgerentlastungsgesetz. „Die Neufassung geht zurück<br />
auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 13.<br />
Februar 2008 in dem das Gericht die beschränkte steuerliche<br />
Berücksichtigung von Beiträgen zu einer privaten Basiskrankenund<br />
Pflegepflichtversicherung als mit dem Grundgesetz unvereinbar<br />
angesehen hat. Die neuen Regelungen gelten sowohl für gesetzlich<br />
Versicherte, als auch für privat Versicherte. Bei den privat<br />
Krankenversicherten sind die geleisteten Beiträge jedoch nur insoweit<br />
zu berücksichtigen, wie der Versicherungsnehmer einen Ver-<br />
sicherungsschutz erwirbt, der dem der gesetzlichen Krankenversicherung<br />
entspricht, das heißt eine Basis-Krankenversicherung.<br />
Beiträge für eine darüber hinausgehende Versorgung – z. B. Chefarztbehandlung,<br />
Einbettzimmer – sowie zur Finanzierung eines Krankengeldes<br />
gehören nicht dazu. Diese Mehrleistungen – sofern sie mitversichert<br />
sind – sind aus dem vom Arbeitnehmer geleisteten Beitrag<br />
herauszurechnen. Die Unternehmen der privaten Krankenversicherung<br />
werden im November mit der Versendung der entsprechenden<br />
Bescheinigungen beginnen.<br />
Damit sich bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Beamtinnen<br />
und Beamten, Versorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfängern<br />
die regelmäßig anfallenden Vorsorgeaufwendungen für<br />
die Renten-, Kranken und Pflegepflichtversicherung nicht erst nach<br />
Ablauf des Kalenderjahres bei der Einkommensteuerveranlagung,<br />
sondern bereits im laufenden Jahr auswirken, wird bei der Lohnsteuerberechnung<br />
eine Vorsorgepauschale berücksichtigt. Durch diese<br />
Vorsorgepauschale wird ein möglicher Sonderausgabenabzug vorweggenommen.<br />
Die Eintragung eines Freibetrages für Vorsorgeaufwendungen<br />
auf der Lohnsteuerkarte ist daher nicht notwendig. Unabhängig<br />
davon soll die Grundpauschale von 3.000 in Steuerklasse<br />
III bzw. 1.900 Euro in den Steuerklassen I, II, IV und V berücksichtigt<br />
werden. Weitere Informationen können dem Internetauftritt des Bundesfinanzministeriums<br />
entnommen werden.<br />
Entwicklung von Privatschulen<br />
Die Zahl der allgemein bildenden Privatschulen in <strong>Niedersachsen</strong><br />
ist in der Zeit von 2003 bis 2008 von 117 auf 152 gestiegen (Landtagsdrucksache<br />
16/1445). Ein Plus von fast 30 Prozent. Den größten<br />
Anteil haben die Gymnasien (2003: 30, 2008: 35) und die Förderschulen<br />
mit dem Schwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung (2003:<br />
29, 2008: 41, plus 41 Prozent). In Deutschland gab es im Schuljahr<br />
2005/2006 insgesamt 4.637 Privatschulen, 43,5 Prozent mehr als<br />
1992, mit insgesamt 873.000 Schülerinnen und Schülern, ein Plus<br />
von 52 Prozent gegenüber 1992. In den neuen Bundesländern hat<br />
sich die Zahl seit 1992 vervierfacht, im Westen gab es ein Plus von<br />
16,4 Prozent. Träger von Privatschulen sind im Wesentlichen die Kirchen<br />
(ca. 2.100). Im internationalen Vergleich liegt Deutschland allerdings<br />
eher hinten: Anteil von Privatschulen in Prozent<br />
(2004):Deutschland: 6,7 Frankreich: 21,3, Großbritannien: 40,6, Niederlande:<br />
76,4.<br />
Kleine Anfrage zum Zentralabitur<br />
Das MK hat im September eine Kleine Anfrage der GRÜNEN-Abgeordneten<br />
Ina Korter zum Zentralabitur beantwortet. Das MK stellt<br />
unter anderem fest, dass es entgegen der Behauptung der Fragestellerin<br />
im Verlaufe der Jahre 2006 bis 2009 beim Zentralabitur nicht zu<br />
einer Häufung von Fehlern gekommen sei, die wenigen Fehler seien<br />
weiter reduziert worden. „Im Abitur 2009 sind in allen Fächern für die<br />
Prüflinge in den Aufgabenstellungen keinerlei Fehler aufgetreten. Die<br />
sehr wenigen Fehler in den Lehrermaterialien waren keine sinnentstellenden<br />
Fehler und sind im Regelfall vor Beginn der Korrekturzeit<br />
für die Lehrkräfte richtiggestellt worden.“ Und weiter: „Nicht nur die<br />
Herstellung der Vergleichbarkeit und Transparenz bei den Aufgabenstellungen,<br />
Korrekturen und Bewertungen war leitendes Motiv für die<br />
Einführung des Zentralabiturs in <strong>Niedersachsen</strong>, sondern auch die<br />
Absicht, die fachliche Breite der Lehrplanvorgaben für die schriftliche<br />
Abiturprüfung auszuschöpfen. Bis zum Abitur 2006 wurde in einigen<br />
Fächern diese fachliche Breite bei den von den Lehrkräften entwickelten<br />
Aufgabenvorschlägen nicht in dem erforderlichen Umfang<br />
berücksichtigt. Insoweit ging es bei der Einführung des Zentralabiturs<br />
von Anfang an auch um das Anforderungsniveau in der schriftlichen<br />
Abiturprüfung im Sinne der Qualitätsentwicklung.“ Ach so …<br />
Die Abiturdurchschnittsnoten haben sich im Land mit leichten<br />
Schwankungen von 2003 (Landesdurchschnitt: 2,73) bis 2009 tendenziell<br />
verbessert (2009: 2,65). Die Anzahl der am Abitur teilnehmenden<br />
Schülerinnen und Schüler hat sich von 2003 (21.662) bis 2009<br />
(28.884) um mehr als 30 Prozent erhöht. Die Anzahl der Schülerinnen<br />
und Schüler, die das Abitur nicht bestanden haben, schwankt in den<br />
Jahren unregelmäßig zwischen 3,0 und 4,1 Prozent, wobei 2003 3,8<br />
Prozent und 2009 4,0 Prozent erreicht wurden. Die Anzahl der Schülerinnen<br />
und Schüler, die ohne den schulischen Teil der Fachhochschulreife<br />
aus der gymnasialen Oberstufe ausscheiden, liegt bei zwischen<br />
5 und 6 Prozent, nur 2007 lag dieser Anteil unter 5 Prozent.<br />
Schülerinnen und Schüler, die in der gymnasialen Oberstufe ein<br />
Schuljahr wiederholen müssen, werden seit dem 01.08.2007 erfasst.<br />
Im Schuljahr 2007/2008 haben 1.032 Schülerinnen und Schüler ein<br />
Schuljahr in der gymnasialen Oberstufe wiederholt, im Schuljahr<br />
2008/2009 waren es 1.137 Schülerinnen und Schüler, in beiden Fällen<br />
entspricht dies 2,4 Prozent der Schülerinnen und Schüler der gymnasialen<br />
Oberstufe. Den vollständigen Text und die statistischen Angaben<br />
findet man unter folgender Adresse auf der Landtagsseite<br />
(Drucksache16/1659):http://www.landtagniedersachsen.de/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/1501-2000/16-1659.pdf<br />
AN DIESER AUSGABE HABEN MIT<strong>GEW</strong>IRKT:<br />
Thomas Glauche, Cordula Mielke, Henner Sauerland, Monika<br />
Schaarschmidt<br />
NIEDERSACHSEN 11/2009