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Besuch Ehep Schmal - Kinderdorf Rio eV

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<strong>Besuch</strong> bei <strong>Kinderdorf</strong> <strong>Rio</strong> e.V. ‐ Aldeia da Criança Alegre, <strong>Rio</strong> de Janeiro<br />

Reisebericht von Helga <strong>Schmal</strong> und Thomas Jacob, 05. – 16. September 2012<br />

Bereits seit vielen Jahren unterstützen wir <strong>Kinderdorf</strong> <strong>Rio</strong>. Als wir dann gegen Ende 2011 unsere Süd‐<br />

amerika‐Reise planten, kam die Idee, neben dem <strong>Besuch</strong> touristischer Ziele Kontakt zu <strong>Kinderdorf</strong> <strong>Rio</strong><br />

(bzw. der Partnerorganisation Aldeia da Criança Alegre in <strong>Rio</strong> de Janeiro) aufzunehmen, gedacht als<br />

‚kleiner Arbeitseinsatz‘, falls benötigt. Zwar hatten wir diffuse Vorstellung von der Arbeit von Aldeia<br />

und <strong>Kinderdorf</strong> <strong>Rio</strong>, doch auf den Vor‐Ort‐<strong>Besuch</strong> waren wir schon mächtig gespannt.<br />

Nach verschiedenen E‐Mail‐Kontakten und durch tatkräftige Unterstützung von Frau Simons vom<br />

<strong>Kinderdorf</strong> <strong>Rio</strong> e.V. in Oberhausen „stand“ die Verbindung zur Aldeia in <strong>Rio</strong>, unsere Anreise per Bus<br />

aus Minas Gerais war terminiert und pünktlich erwartete uns Dr. Sergio Coelho, Kinderarzt und Vor‐<br />

standsmitglied von Aldeia, am Busbahnhof in <strong>Rio</strong> de Janeiro, mit einem sauber ausgearbeiteten Pro‐<br />

gramm für uns <strong>Besuch</strong>er aus Deutschland, die wir im Gästehaus im Stadtteil Maracanã wohnen durf‐<br />

ten.<br />

Gleich am nächsten Morgen ging es nach Petrópolis, einer Stadt mit ca. 320.000 Einwohnern nördlich<br />

von <strong>Rio</strong>. „Offene Türen“ – das ist das dortige Projekt in Contorno. Ein Sozialzentrum inklusive ange‐<br />

schlossener KiTa, in dem die Kinder aus Familien, deren Eltern offensichtlich überlastet sind, Tages‐<br />

betreuung angeboten bekommen und diese auch rege in Anspruch nehmen. Der Bogen spannt sich<br />

hier von Nachhilfestunden (hier sind Eltern schnell überfordert) über Schach, Street Dance bis hin zu<br />

Kampfsport. All diese Aktivitäten zeigen bei den Jugendlichen, die schon länger dabei sind, erfreuli‐<br />

che Erfolge: Das Selbstbewusstsein steigt, die Erfahrung, mit Ausdauer und Disziplin selbst „etwas<br />

erreichen“ zu können, führt zur Bereitschaft zu lernen und die Erfahrung an jüngere Kinder weiter zu<br />

geben.<br />

Was ein Elternhaus oft nicht leisten kann, übernimmt hier Aldeia (wir trafen eine 23‐jährige, die mit<br />

ihrem 7. Kind schwanger war und offensichtlich nicht wusste, was sie mit einer Waschmaschine an‐<br />

fangen sollte): die Vermittlung von Werten, die Perspektiven für Jugendliche schaffen.<br />

Helô, ehrenamtliches Vorstandsmitglied aus Petrópolis, zeigte uns das Haus, die Einbeziehung von<br />

Familien in gemeinsame Aktivitäten, aber auch die Grenzen der Möglichkeiten einer nicht‐staatlichen<br />

Organisation. Besonders angesichts der Folgen der verheerenden Überschwemmungen und Erdrut‐<br />

sche vom Januar 2011 (die in der Stadt noch immer deutlich sichtbar sind und etliche Familien haben<br />

obdachlos werden lassen) wurde dies deutlich.<br />

Zurück in <strong>Rio</strong> de Janeiro bekamen wir einen<br />

Eindruck von den baulichen Zuständen und<br />

den Wohnbedingungen in einer Favela am<br />

Beispiel des complexo do alemão, der durch<br />

eine immense Anstrengung der brasilianischen<br />

Behörden („Força da Pacifição“) im Jahre 2010<br />

Complexo do Alemão, <strong>Rio</strong> de Janeiro


der Herrschaft von Drogenbanden, paramilitärischen Gruppen und Kriminellen entrissen werden<br />

konnte. Eine Seilbahn mit 6 Stationen bindet nun dieses Areal, in dem an die 60.000 Menschen le‐<br />

ben, an das öffentliche Verkehrsnetz an, ermöglicht den Transport der Bewohner zu Arbeitsplätzen<br />

und Versorgung und gibt die Chance, die Angebote der Stadt (Schule, Kultur, Sport, Gesundheit etc.)<br />

zu erreichen. Immer noch patrouillieren schwer bewaffnete Polizisten durch das Viertel und an den<br />

Haltestellen, haben es jedoch geschafft, gemeinsam mit den Bewohnern ein Gefühl von Sicherheit<br />

und Aufbruch zu vermitteln.<br />

Dr. Coelho und die Sozialarbeiterin Marenilse<br />

Saturnino von Aldeia berichteten von den schier<br />

überwältigenden Problemen, vor denen sowohl<br />

die Stadt als auch Hilfsorganisationen stehen.<br />

Aldeia unterstützt hier im Rahmen ihres Pro‐<br />

gramms: Zielgruppe sind Familien mit sehr gerin‐<br />

gem oder keinem Einkommen, kranken Famili‐<br />

enmitgliedern, oft Analphabeten und – in Brasi‐<br />

lien weit verbreitet – allein von Frauen geführt,<br />

da die Erzeuger der Kinder unbe‐<br />

Marenilse Saturnino und Dr. Sergio Coelho berichten in kannt/unauffindbar sind. Die Unterstützung fin‐<br />

dem Favela‐Komplex do Alemão<br />

det statt in Form von Beratungen (sehr zeitauf‐<br />

wendig) und ständiger Betreuung in Fragen der Gesundheit, (Bürger‐) Rechten, allgemeiner Hygiene,<br />

Ernährung und Bildung; auch sportliche und kulturelle Angebote sowie Musikprojekte gehören zum<br />

Repertoire.<br />

Der Vorstand von Aldeia mit Ärzten und Ernäh‐<br />

rungswissenschaftlerinnen bietet hierfür eine aus‐<br />

gezeichnete fachliche Kompetenz, die unterstützt<br />

von Mitarbeiterinnen wie Marenilse Saturnino dann<br />

vor Ort umgesetzt wird.<br />

Die Kombination von lehrender Tätigkeit an der<br />

Universität von Dr. Coelho oder Frau Dr. Sandra<br />

Fortes – einem weiteren Vorstandsmitglied ‐ und<br />

deren ehrenamtlichen Engagement wird auch in Dr. Coelho erläutert das Prinzip der Gesundheits‐<br />

den staatlichen Gesundheitszentren gewürdigt: Bei einem <strong>Besuch</strong> am Rande des Complexo do Ale‐<br />

mão erlebten wir den regen <strong>Besuch</strong> von Bewohnern, die dort eine kompetente Anlaufstelle in Ge‐<br />

sundheitsfragen haben.


Nova Friburgo – hier hatte das Unwetter<br />

2011 besonders übel zugeschlagen. Wir<br />

trafen Jens Rohland, einen Entwicklungs‐<br />

helfer aus Deutschland, der für Aldeia ar‐<br />

beitet und gemeinsam mit seiner Familie<br />

schon seit 11 Monaten hier lebt und den<br />

Sozialarbeiter Alex Nascimento.<br />

An die 900 Tote wurden bei der Unwetter‐<br />

katastrophe 2011 aus den Schlammmassen<br />

und Trümmern geborgen, über 400 Men‐<br />

schen werden immer noch vermisst. In nur<br />

wenigen Stunden waren Wassermassen in<br />

die Täler gerauscht, die normalerweise in<br />

Nova Friburgo im Januar 2011 – über 900 Menschen über‐<br />

lebten die Erdrusche nicht, Tausende wurden obdachlos.<br />

einem halben Jahr niedergehen, und hatten dabei nicht nur die auf der dünnen Bodendecke errichte‐<br />

ten einfachen Häuser mit sich gerissen, sondern auch zahlreiche ‚solide‘ Bauten. Die Narben dieses<br />

Desasters sind in der ganzen Stadt noch deutlich sichtbar und Alex berichtet traurig von den Eindrü‐<br />

cken, als er am vierten Tag nach den Erdrutschen mithalf, Trümmer zu beseitigen und nach Überle‐<br />

benden zu suchen.<br />

Angesichts dieser für unsere Ver‐<br />

hältnisse unvorstellbaren Katastro‐<br />

phe muten die staatlichen Maß‐<br />

nahmen ein gutes Jahr danach oft<br />

etwas provisorisch an: hier und da<br />

neue Drainagen an Straßen, gele‐<br />

gentliche Absperrungen, um zu<br />

verhindern, dass an denselben ge‐<br />

fährdeten Bereichen erneut gebaut<br />

wird. Ein nach der Katastrophe<br />

installiertes Sirenensystem soll<br />

Nova Friburgo – über ein Jahr nach der Katastrophe<br />

zukünftig bei drohenden Gefahren<br />

die Bevölkerung warnen, ein Sam‐<br />

melpunkt wurde eingerichtet. In Ermangelung von Alternativen siedeln die Überlebenden von 2011<br />

oft genug – mit den bescheidenen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln ‐ an denselben Stellen, an<br />

denen die Hänge seinerzeit ihre alten Behausungen wegrissen, und hoffen, beim nächsten Mal möge<br />

es weniger schlimm kommen.


Die insgesamt drei Sozialarbeiter von Aldeia – so<br />

berichtet Jens Rohland – betreuen, beraten und<br />

unterstützen über 100 Familien; die Einrichtung<br />

versorgt darüber hinaus u.a. Familien mit<br />

Grundnahrungsmitteln und mit aus Deutschland<br />

kommenden Sachspenden.<br />

Das Gebäude, das 2011 ebenfalls von dem Un‐<br />

wetter betroffen war, präsentierte sich uns<br />

wieder voll funktionsfähig mit einem Kindergar‐<br />

Aldeia da Crianca, Nova Friburgo, Tagesstätte ten im Erdgeschoss und den für die Arbeit von<br />

Aldeia notwendigen Räumen (Büroräume,<br />

Computerkursraum) des Obergeschosses, das zukünftig auch der Lagerung der Sachmittelspenden<br />

dienen soll. Hier sowie im ehemaligen <strong>Kinderdorf</strong> Centenário arbeitet das Aldeia‐Team. Von hier aus<br />

werden u.a. die reintegrierten ehemaligen <strong>Kinderdorf</strong>kinder in ihren Familien besucht und beratend<br />

unterstützt. Hier werden auch Kleiderspenden aus Brasilien und Deutschland in einem Basar ver‐<br />

kauft, um mit dem Erlös andere Aldeia‐Projekte zu ermöglichen.<br />

In der Nähe von Nova Friburgo (Cen‐<br />

tenario) hatten wir Gelegenheit, die<br />

„Keimzelle“ von <strong>Kinderdorf</strong> <strong>Rio</strong> zu<br />

besuchen. Hier waren bis zu 100 Kin‐<br />

der untergebracht, betreut von Kin‐<br />

derdorfeltern. Die Gesetzesänderung<br />

von 2009, die die Kinder wieder in<br />

ihre Ursprungsfamilien zurückführte,<br />

brachte einen entscheidenden, viel‐<br />

leicht nicht in jedem Fall positiven <strong>Kinderdorf</strong> in Centenario<br />

Einschnitt für die Arbeit von <strong>Kinderdorf</strong> und Aldeia, in der Konsequenz auch für die Häuser und Dör‐<br />

fer der Vereine. Die vorbildliche Liegenschaft in Centenario (ehem. <strong>Kinderdorf</strong> und Fazenda) wird nun<br />

als Seminarstätte, Ausbildungszentrum, Offene Tür und Ferienfreizeitort genutzt, Aldeia erarbeitet<br />

derzeit langfristige Nutzungskonzepte, die diese Ressource noch besser in die Erfordernisse der all‐<br />

täglichen Arbeit einbeziehen können.<br />

Unser Fazit:<br />

Aldeia unterstützt unmittelbar vor Ort und leistet hervorragende Arbeit für bedürftige Familien. Die<br />

Akzeptanz in der Bevölkerung ist sehr hoch.<br />

Die Unterstützung durch Aldeia äußert sich in verschiedenen Maßnahmen: ständige Betreuung und<br />

unterstützende Beratung von Kindern und Familien im Alltag sowie materielle Hilfe für die Bedürf‐<br />

tigsten, sowohl permanent als auch im Katastrophenfall.


Das Aldeia‐Team ist hoch motiviert und sehr kompetent, genießt das Vertrauen der Zielgruppen in<br />

hohem Maße. Wir waren sehr angetan von dem, was für die Kinder und Jugendlichen und für ihre<br />

Familien geleistet wird.<br />

Es ist offensichtlich, dass der Verwaltungsaufwand minimal ist (ein klitzekleines Büro) und nahezu<br />

alles, was an Mitteln aus Deutschland eingeht, unmittelbar vor Ort den Projekten zu Gute kommt.<br />

Die Hilfe kommt offensichtlich denjenigen zugute, die von ihrer eigenen Gesellschaft wenig bis gar<br />

nichts erwarten können und gibt somit den ganz Schwachen zumindest eine Perspektive sowie – z.B.<br />

durch die Teilnahme an der „Offenen Tür“ – die Erfahrung, etwas Bestimmtes gut oder besser als<br />

andere zu beherrschen, zu lernen und lernen zu können. Die Erfahrung zu machen, nicht aufzugeben,<br />

sondern „dran zu bleiben“‐ und dass dies respektiert wird.<br />

So gelingt es immer wieder, den Teufelskreis aus Armut, schlechter Bildung, fehlenden Berufschan‐<br />

cen, Kriminalität und Krankheit zu durchbrechen. Nicht immer glückt dies auf Dauer, doch viele Fälle<br />

von erfolgreich integrierten jungen Menschen sind für das Aldeia‐Team Bestätigungen, auf dem rich‐<br />

tigen Weg zu sein.<br />

Und wir?<br />

Wir sind beeindruckt von der Intensität der Impressionen, dem Engagement der Mitarbeiter und<br />

freuen uns darauf, weiter mit Sergio, Marenilse, Jens und den vielen anderen Helfern in Kontakt zu<br />

bleiben.<br />

Helga <strong>Schmal</strong> und Thomas Jacob<br />

Oktober 2012

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