Leseprobe - lechflimmern.de - Kino in Augsburg
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E<strong>in</strong> Interview mit Andreas Nohl,<br />
<strong>de</strong>m Übersetzer und Herausgeber <strong>de</strong>r<br />
»Dracula«-Jubiläumsausgabe<br />
Bram Stokers »Dracula« wur<strong>de</strong> <strong>in</strong> mehr als 45 Sprachen<br />
übersetzt und ist stets lieferbar gewesen. War <strong>de</strong>r Roman<br />
gleich bei se<strong>in</strong>em Ersche<strong>in</strong>en 1897 e<strong>in</strong> Erfolg?<br />
Stoker war mit <strong>de</strong>m, was er geschrieben hat, nie son<strong>de</strong>rlich<br />
erfolgreich. Er galt als Kolportageschriftsteller, und er be-<br />
trachtete se<strong>in</strong> Schreiben selbst nur als Mittel, um sich Geld<br />
h<strong>in</strong>zuzuverdienen. Doch zweifellos war »Dracula« se<strong>in</strong> er-<br />
folgreichstes Buch. Es erregte e<strong>in</strong> gewisses Maß an Aufsehen,<br />
und auch <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Presse bekam es recht gute Kritiken. Dass das<br />
Buch jedoch zu Lebzeiten von Stoker noch ke<strong>in</strong> Bestseller<br />
war, lässt sich daraus ersehen, dass <strong>de</strong>r Autor <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en letzten<br />
Jahren – nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Schauspieler Henry Irv<strong>in</strong>g gestorben<br />
war, für <strong>de</strong>n und <strong>de</strong>ssen Theater er als Manager gearbeitet<br />
hatte – <strong>in</strong> beschei<strong>de</strong>nen Verhältnissen lebte.<br />
Der Welterfolg setzte erst <strong>de</strong>utlich später e<strong>in</strong>, nach <strong>de</strong>m<br />
Ersten Weltkrieg, als Friedrich Wilhelm Murnau und nach<br />
ihm an<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n Stoff <strong>de</strong>s männlichen Vampirs für <strong>de</strong>n Film<br />
adaptierten. Auch spielte <strong>de</strong>r Broadway hier e<strong>in</strong>e entschei-<br />
<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Rolle: Der später berühmt gewor<strong>de</strong>ne »Dracula«-<br />
Filmdarsteller Bela Lugosi war <strong>in</strong> <strong>de</strong>n 1920er Jahren auf <strong>de</strong>r<br />
Bühne mit dieser Rolle sehr erfolgreich.<br />
Wir haben es also im Grun<strong>de</strong> mit e<strong>in</strong>er medialen Vielfach-<br />
verwertung zu tun, die peu à peu zu e<strong>in</strong>er immer größeren –<br />
auch <strong>in</strong>ternationalen – Verbreitung beitrug. Ich glaube, das<br />
<strong>K<strong>in</strong>o</strong> mit Bela Lugosi und später mit Christopher Lee war<br />
dabei entschei<strong>de</strong>nd.<br />
Wofür steht »Dracula« und woher kommt <strong>de</strong>r Mythos?<br />
Diese Frage ist nicht e<strong>in</strong>fach zu beantworten, schon weil das,<br />
was Bram Stoker aus <strong>de</strong>m Mythos macht, so extrem vielschich-<br />
tig ist. Sicher geht die I<strong>de</strong>e auf <strong>de</strong>n alten Vampirglauben zurück,<br />
und Stoker benutzt <strong>de</strong>n Namen e<strong>in</strong>er historischen Figur – <strong>de</strong>s<br />
legendären transsilvanischen Bojaren Vlad Dracula (1431–<br />
1476), <strong>de</strong>r äußerst brutal war und <strong>de</strong>r Pfähler genannt wur<strong>de</strong>,<br />
weil er se<strong>in</strong>e Fe<strong>in</strong><strong>de</strong> auf Holzpfählen aufspießen ließ – und er-<br />
f<strong>in</strong><strong>de</strong>t e<strong>in</strong>en ganz neuen unsterblichen Vampir, <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>e Inva-<br />
sion <strong>in</strong> England plant. Die historische Figur Vlad hat übrigens<br />
Dokumente nicht nur mit Dracula (<strong>de</strong>r Teufel), son<strong>de</strong>rn auch<br />
mit Dragula (<strong>de</strong>r Geliebte) unterschrieben. Damit beg<strong>in</strong>nt be-<br />
reits die merkwürdige Ambivalenz, die mit <strong>de</strong>r Person und <strong>de</strong>r<br />
literarischen Figur verbun<strong>de</strong>n ist.<br />
Wie hat sich die Wahrnehmung <strong>de</strong>s Vampirs mit <strong>de</strong>r Zeit<br />
gewan<strong>de</strong>lt? Wor<strong>in</strong> besteht die Fasz<strong>in</strong>ation?<br />
Nun, zunächst hat es <strong>de</strong>n Volksglauben gegeben, e<strong>in</strong>en Aber-<br />
glauben, <strong>de</strong>r sich <strong>in</strong> Teilen bis heute erhalten hat: Viele Kultu-<br />
ren <strong>de</strong>r Welt kennen blutsaugen<strong>de</strong> Vampire seit ältester Zeit.<br />
Auch <strong>in</strong> Rumänien erzählt man von sogenannten »Nachzeh-<br />
rern« und »Untoten«, e<strong>in</strong>er spezifischen Form <strong>de</strong>s Gespens-<br />
terglaubens. John Polidori, <strong>de</strong>r Freund und Arzt von Lord<br />
Byron, schrieb um 1816 »The Vampyre« – anlässlich e<strong>in</strong>es<br />
Wettstreits unter Freun<strong>de</strong>n darum, wer die beste Gruselge-<br />
schichte schreiben könne. Das fand übrigens <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Schweiz<br />
am Genfer See statt. Unter an<strong>de</strong>rem g<strong>in</strong>g aus diesem Wett-<br />
streit Mary Shelleys »Frankenste<strong>in</strong>« hervor. Be<strong>de</strong>utend war<br />
zweifellos auch die Erzählung »Carmilla« (1872) von Sheridan<br />
Le Fanu, dar<strong>in</strong> geht es um e<strong>in</strong>e Vampir<strong>in</strong>.<br />
Erst Bram Stoker hat die vielen Fä<strong>de</strong>n dieses Mythos zusam-<br />
mengefügt und daraus <strong>de</strong>n alles beherrschen<strong>de</strong>n Typus <strong>de</strong>s<br />
mo<strong>de</strong>rnen Vampirs gemacht – wenn wir <strong>de</strong>n verführerischen<br />
Vamp-Typ <strong>de</strong>r Frauen e<strong>in</strong>mal beiseite lassen.<br />
Das Ganze bewegt sich natürlich immer auf e<strong>in</strong>em schmalen<br />
Grat zwischen Fasz<strong>in</strong>ation und Hochkomik. Niemand glaubt<br />
ja im Ernst an solche Vorgänge, außer vielleicht im Traum:<br />
Der Schlaf <strong>de</strong>r Vernunft gebiert Ungeheuer, heißt es auf <strong>de</strong>r<br />
berühmten Radierung von Goya, wo Eulen und riesige Fle<strong>de</strong>r-<br />
mäuse <strong>de</strong>n e<strong>in</strong>geschlafenen Denker umkreisen. Im Phantasti-<br />
schen liegt eben e<strong>in</strong> großer Reiz – sozusagen die Subversion<br />
<strong>de</strong>r Alltagsvernunft, <strong>de</strong>s gesun<strong>de</strong>n Menschenverstands. Nach<br />
dieser Subversion besteht offenbar <strong>in</strong> reglementierten – o<strong>de</strong>r<br />
sagen wir: verwalteten – Gesellschaften e<strong>in</strong> starkes Bedürfnis.<br />
Im Übrigen sche<strong>in</strong>t mir die Welt gera<strong>de</strong> durch die Herrschaft<br />
<strong>de</strong>r Vernunft an Unheimlichkeit nicht verloren zu haben, im<br />
Gegenteil. Möglicherweise ist die Figur <strong>de</strong>s Dracula <strong>de</strong>shalb<br />
e<strong>in</strong>e entlasten<strong>de</strong> Projektionsfläche.<br />
Was haben Bram Stoker und Stephanie Meyer geme<strong>in</strong>sam?<br />
Nichts.<br />
Was macht, im Vergleich zu <strong>de</strong>n zahlreichen Epigonen,<br />
Bram Stokers »Dracula« so e<strong>in</strong>zigartig?<br />
Nun, es ist die erste als Roman funktionieren<strong>de</strong> Geschichte<br />
e<strong>in</strong>es Vampirs – mit allen historischen Beson<strong>de</strong>rheiten <strong>de</strong>s aus-<br />
gehen<strong>de</strong>n 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts. Die spätviktorianische Literatur –<br />
<strong>de</strong>nken Sie nur an <strong>de</strong>n gera<strong>de</strong> wie<strong>de</strong>r <strong>in</strong> Deutschland so <strong>in</strong>ten-<br />
siv wie<strong>de</strong>rent<strong>de</strong>ckten Robert Louis Stevenson o<strong>de</strong>r an Arthur<br />
Conan Doyle mit se<strong>in</strong>em »Sherlock Holmes« – hat e<strong>in</strong>e enor-<br />
me Ausstrahlung, und das trifft offenbar auch auf das Genre<br />
<strong>de</strong>r Gothic Tales zu. Unsere Zeit sche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>e untergründige Ver-<br />
wandtschaft zum späten 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt zu spüren.<br />
Bei Stokers »Dracula« kommt nun vieles zusammen: Es ist<br />
e<strong>in</strong> Krim<strong>in</strong>alroman, es geht um Liebe, um Wahns<strong>in</strong>n, um Inte-<br />
grität, um Wildnis o<strong>de</strong>r Wildheit, die <strong>in</strong> das Zentrum <strong>de</strong>r Zivi-<br />
lisation – London! – seuchenartig vordr<strong>in</strong>gen will. Es s<strong>in</strong>d<br />
<strong>in</strong> »Dracula« so viele be<strong>de</strong>utsame Motive und Perspektiven<br />
erstmals versammelt, dass man e<strong>in</strong>fach von <strong>de</strong>r Schaffung