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Poesie nun „wirkt im Raume: dadurch, dass sie ihre ganze Re<strong>de</strong> sinnlich macht. [...] Man<br />
kann also sagen, dass das erste Wesentliche <strong>de</strong>r Poesie wirklich eine Art von Malerei,<br />
sinnliche Vorstellung sei. Sie wirkt in <strong>de</strong>r Zeit: <strong>de</strong>nn sie ist Re<strong>de</strong> [...] vorzüglich, in<strong>de</strong>m sie<br />
durch die Schnelligkeit, durch das Gehen und Kommen <strong>de</strong>r Vorstellungen, auf die Seele<br />
wirkt, und in <strong>de</strong>r Abwechselung teils, teils in <strong>de</strong>m Ganzen, das sie durch die Zeitfolge erbauet,<br />
energisch wirket. [...] dass sie einer Abwechselung, und gleichsam Melodie <strong>de</strong>r<br />
Vorstellungen, und Eines Ganzen fähig sei, <strong>de</strong>ssen Teile sich nach und nach äußern, <strong>de</strong>ssen<br />
Vollkommenheit also energesieret – dies macht sie zu einer Musik <strong>de</strong>r Seele, wie sie die<br />
Griechen nannten.“ 14 Für Her<strong>de</strong>r vereinigt Poesie also das Räumliche <strong>de</strong>r Malerei mit <strong>de</strong>m<br />
Energischen <strong>de</strong>r Musik und wirkt durch Kraft, d.h. Sinn.<br />
In <strong>de</strong>m Musikroman Hil<strong>de</strong>gard von Hohenthal geht es Heinse primär um Musik als<br />
geordnetes Spiel <strong>de</strong>r Energie und <strong>de</strong>r Spannungszustän<strong>de</strong>. Er macht das am Beispiel <strong>de</strong>r<br />
Stimmtöne eines natürlichen Sprechers und dann <strong>de</strong>s Sängers klar, wobei „Ton“ immer von<br />
tonus, Spannungszustand abgeleitet gedacht wer<strong>de</strong>n muss:<br />
Die Aussprache im gemeinen Leben [...] richtet sich nach <strong>de</strong>m Ton von Vernunft und<br />
Verstand; die Aussprache in <strong>de</strong>r Musik richtet sich nach <strong>de</strong>m Ton <strong>de</strong>r Lei<strong>de</strong>nschaften.<br />
[...] Warum erhöht man <strong>de</strong>n Ton <strong>de</strong>r Aussprache überhaupt; o<strong>de</strong>r lässt ihn sinken?<br />
Warum bleibt er gleich? Wenn ich einen Schluss <strong>de</strong>r kalten Vernunft vortrage: so<br />
brauch’ ich <strong>de</strong>n Ton, <strong>de</strong>r meiner Kehle und <strong>de</strong>r ganzen Stimmung meiner Existenz <strong>de</strong>r<br />
natürlichste ist [...]. So bald aber Lei<strong>de</strong>nschaft mein Wesen spannt, bekommt <strong>de</strong>r Ton<br />
auch mehr Gehalt. [...] Je<strong>de</strong>r Ton ist das Resultat unsrer momentanen Existenz. Bleibt<br />
unsre Existenz im gewöhnlichen Zustand: so bleibt auch <strong>de</strong>r Ton <strong>de</strong>rselbe. Diesen Ton<br />
<strong>de</strong>r Stimme muss <strong>de</strong>r Komponist von je<strong>de</strong>m Sänger und je<strong>de</strong>r Sängerin wohl fassen;<br />
dieser ist ihr eigentliches C, alle an<strong>de</strong>rn Töne stehen damit in Kontrast. Was hinauf<br />
o<strong>de</strong>r hinuntersteigt, ist Lei<strong>de</strong>nschaft, so bald es über Quarten und Quinten geht;<br />
erhöhter o<strong>de</strong>r erniedrigter Zustand. (SW 5, 238 f.)<br />
Der natürliche, <strong>de</strong>r erhöhte, <strong>de</strong>r abgespannte Stimmton und damit <strong>de</strong>r Zustand <strong>de</strong>r Existenz<br />
<strong>de</strong>s Sprechers o<strong>de</strong>r Sängers teilt sich nach Heinse über die Luft- und Körperschwingungen<br />
<strong>de</strong>m Hörer physiologisch mit und hat damit unmittelbare Wirkung auf <strong>de</strong>ssen Existenz (SW 5,<br />
24 f.). Auch die Tonarten Dur und Moll geben volle bzw. mangelhafte Existenz wie<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r<br />
übermäßige Dreiklang ist nur bei plötzlichem Übergang brauchbar (SW 5, 59 f.). Sogar<br />
innerhalb <strong>de</strong>s Dreiklangs wer<strong>de</strong>n die Spannungsunterschie<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Intervalle interpretiert:<br />
14 Ebd. 195.